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FALTER

HEUREKA Das Wissenschaftsmagazin

M edizin:

Ist das Skalpell des Chirurgen ein Mittel gegen Fettsucht, und sind Gentests an Babys gut?

Tiere: Warum sie uns fressen und wie sie uns bei der Diagnose von Krankheiten helfen Sicherheit: Wie sicher f端hlen sich eigentlich die Migranten bei uns?

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Frau? Was ist eine

Wir alle glauben zu wissen, was eine Frau ist. Was aber sagen Wissenschaft und Sport dazu?

T I T ELFOTO: M AR T IN SCHOELLER / W W W.P ONDPR E SS.COM

Erscheinungsort: Wien P.b.b. 02Z033405 W Verlagspostamt: 1010 Wien laufende Nummer 2242/2010

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WAS WÜRDEN SIE GERNE WISSEN UND ERFORSCHEN >

Die Prinzessin selbst! Denn Naturwissenschaften und Technik sind nicht länger Erbpacht der Prinzen. In zahlreichen Mädchen und jungen Frauen schlummern Talente in diesem Bereich, die dem heimischen Forschungsstandort nicht verloren gehen dürfen. Daher finanziert das Wissenschaftsministerium Programme wie „Sparkling science“, die „Kinderunis“ oder „fforte“, um bei Mädchen und jungen Frauen die Begeisterung für Physik, Mathematik und Naturwissenschaften zu wecken und zu fördern. Mehr dazu auf www.bmwf.gv.at.

Wissen schafft > Chancengleichheit. BM Dr. Beatrix Karl

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung


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Inhalt

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Stipendien für Doktorandinnen Und eine junge Professorin für Alte Musik Gentechnik und Chirurgie Sowie ein neues Zentrum für Physikgeschichte Sie fühlen sich unsicher Studie über die Sicherheit von Migranten Countdown zum Thema Zahlen zur Situation von Wissenschaftlerinnen

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Frauenuniversitäten, Bücher zum Thema Eigene Frauenunis sind gut für Frauen Was ist eine Frau? Was Medizin und Sport darauf antworten Interview mit Ministerin Beatrix Karl Über Frauen in Wissenschaft und Gesellschaft Gibt es eine weibliche Physik Was Physikerinnen dazu sagen

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Mutterglück aus dem Reagenzglas Künstliche Befruchtung für Single-Frauen Krokodil mit großem Maul Das Bild der Frau in der Öffentlichkeit Wissenschaftspolitik und EU-Kolumne Zehn Jahre Bologna: Feier und Aufruhr Gedicht, HEUREKA-Rätsel und Windeln Das neue Falter HEUREKA Rätsel zum Thema

Kommentar

Editorial

Uni brennt, Finanzkrise und Wettbewerb Gerhard Kr atk y

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ie Wissenschaft und ihre Lehre sind frei! Dieser Verfassungsgrundsatz sei all jenen in Erinnerung gerufen, die sich nun im Gefolge der Finanzkrise durch Gängelung, Dirigismus und Bewirtschaftungsideen mehr Effizienz und damit Einsparungen erhoffen. Ja, alle sollen studieren dürfen und möglichst viel Freiheit bei der Studienwahl und bei der Auswahl des Studienangebots haben. Die Bologna-Architektur ist hilfreich, soll aber individuelle Bildungsbedürfnisse möglichst nicht einschränken. Die Grundlagenforschung ist auszubauen und muss sich frei entfalten können. Thematische Vorgaben oder das Diktat der Nutzenanwendung sind kontraproduktiv, weil Ergebnisse der Grundlagenforschung nicht vorhersehbar und daher nicht nach Kriterien der Wirtschaftlichkeit bewertbar sind. Vorschläge, die Grundlagenforschung in Österreich einzustellen und an die EU zu delegieren (© WK-Präsident Leitl) sind punkto Kleinkariertheit kaum zu überbieten. Im Gegenteil: Das Prinzip „Ausbildung durch Forschung“ ist ein wesentliches Erfolgskriterium – auch für den Wirtschaftsstandort. Und freies Erkenntnisstreben ist ein konstituierendes Element unseres Kulturverständnisses. Wissenschaft braucht mehr und nicht weniger Wettbewerb! Aber gerade ein auf maximale Freiheit ausgerichtetes System braucht Methoden der Ressourcensteuerung. Selbst wenn es gelingt, die Ausgaben für das tertiäre Bildungssystem auf zwei Prozent des BIP anzuheben, gibt es Beschränkungen, innerhalb derer Ressourcen möglichst effizient und gerecht zu verteilen sind. Bleibt nur die Frage, wie diese Ressourcenverteilung vorzunehmen ist – und hier scheiden sich die Geister.

Dirigismus und planwirtschaftliche Verfahren sind der eine Weg, etwa verordnete Kontingentierung bei den Studienplätzen, Themenvorgaben für die Grundlagenforschung, unzureichend leistungsorientierte Basisfinanzierung der Universitäten. Wettbewerb ist der andere Weg. Studierende stellen sich einem systematischen Qualitätswettbewerb um Studienplätze – je früher, desto besser. Mittel für die Grundlagenforschung werden nach internationalen Qualitätskriterien im Wettbewerbsverfahren vergeben und das Universitätspersonal wird

im Wege offener, international angelegter Berufungsverfahren ausgewählt. Selbstregelnde anstelle planwirtschaftlicher Systeme sind in allen Bereichen die Devise für die Weiterentwicklung unseres Wissenschaftssystems. Gerhard Kratky, Geschäftsführer des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich

Finkenschlag Handgreifliches von Tone Fink

C h r is t i a n Z ill n e r

Es ist Oliver Hochadel und Klaus Taschwer zu danken, dass sie heureka! in den letzten zehn Jahren aufgebaut und zu einem respektierten Magazin geformt haben. Nun wird Falter HEUREKA weitere Aufgaben übernehmen, nämlich über ein bestimmtes Thema, das weiterhin den Schwerpunkt bildet, hinaus von Wissenschaft in Österreich sowie über Wissenschaftspolitik berichten. In seiner neuen Form stellt Falter HEUREKA an Wissenschaftlerinnen Fragen, die uns im Leben bewegen – und zeigt, wie Wissenschaft auf solche Fragen reagiert. Es ist der Versuch, Wissenschaft als Teil unseres gesellschaftlichen Lebens zu verstehen. Wissenschaftlerinnen agieren unter Voraussetzungen, die unsere Gesellschaft ermöglicht, daher sieht Falter HEUREKA es auch als Aufgabe widerzuspiegeln, wie sie von einer interessierten Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Das wesentliche Ziel von Falter HEUREKA ist, das Verständnis für die heimische (Grundlagen-)Forschung zu fördern. Was auch heißt, sie vor unbedachten Angriffen seitens selbsternannter Effizienzexperten in Schutz zu nehmen. Niemand außer den WissenschaftlerInnen soll ihre Forschung bestimmen. Unter dieser Voraussetzung stellen wir dann unsere Fragen an sie. heureka@falter.at

Impressum Falter 13a/10 Herausgeber: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H. Medieninhaber: Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: 01/536 60-0, E: service@falter.at, www.falter.at Artdirektion: Dirk Merbach Layout: Reini Hackl, Raphael Moser Fotoredaktion: Karin Wasner, Ioulia Kondratovitch Korrektur: Helmut Gutbrunner Druck: Goldmann Druck AG, 3430 Tulln DVR: 047 69 86.

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heureka! erscheint mit U ­ nterstützung des Bundesministeriums ­für Wissenschaft und Forschung

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Aus Wissenschaft und Forschung Kopf im Bild

Bestärkt zum Doktorat CHRISTINE BAUMGARTNER

nde Februar erhielten 27 junE ge Wissenschaftlerinnen DOCfFORTE-Stipendien der Österreichische Akademie der Wissenschaften: 30.000 Euro brutto vom Wissenschaftsministerium. Raphaela Schwentner, 26, St. Anna Kinderkrebsforschung, Uni Wien

Als Kind hat sie ihre Eltern gedrängt, sich Haare auszureißen. Nach einigen mikroskopischen Untersuchungen und einem Praktikum im Linzer Krankenhaus wusste Raphaela Schwentner: Ich will Molekularbiologie studieren. Für ihre Diplomarbeit ist die heute 26-Jährige einer Ausschreibung der Sankt Anna Kinderkrebsforschung gefolgt – jetzt arbeitet sie als Mitglied der Forschungsgruppe auch an ihrer Dissertation. Die Stipendiatin untersucht das EWSFLI1 Protein, das für die Entstehung des Ewing-Sarkoms verantwortlich ist. Diese aggressive Knochenkrebserkrankung ist bei Kindern die zweithäufigste Knochenkrebsform. Kathrin Henschel, 26, Institut für Theoretische Physik, Uni Innsbruck

Die jüngste Institutsleiterin

einer heimischen Uni, Eva Maria Pollerus, war noch keine 30, als sie 2005 das Institut für Alte Musik und Aufführungspraxis an der Kunstuniversität Graz übernahm. Wie kam sie zur Alten Musik? Als 16-jährige Pianistin liebte sie es, Madrigale zu singen, und „entdeckte“ das Cembalo. „Acht Stunden Proben am Tag machten mich nicht müde. Ganz im Gegenteil, Alte Musik gibt mir Kraft.“ Neben ihrer Professur gibt sie Konzerte als Solistin, Ensembleleiterin und Continuoistin und nimmt CDs auf. Obwohl das Institut für Alte Musik sehr erfolgreich ist, überlegt das Rektorat der Kunstuni Graz ein Auslaufen der Alte-Musik-Studiengänge. Dass es nicht so weit kommt, hoffen nicht nur Institutsleiterin, Lehrende und Studierende. T e x t : nat h alie grosssc h ä dl , F oto : J . J . K ucek eva.pollerus@kug.ac.at

Wer verteilt das Essen? In Haiti teilte die UN Essen nur an Frauen aus. Genderexpertinnen kritisieren diese Praxis martina powell

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ine Meldung Anfang Jänner über die Erdbebenkatastrophe in Haiti: Wegen Rangeleien an den Verteilstellen hatte das UN-Welternährungsprogramm (WFP) für Frauen gesonderte Lebensmittelausgaben eingerichtet. Mit robusteren Verteilungssystemen erreiche man mehr Menschen schneller. Die deutsche Genderexpertin Antje Schrupp bloggt daraufhin: „Wenn ich solche Nachrichten lese, bin ich gleichzeitig erleichtert und verärgert. Erleichtert, weil es offenbar so ist, dass es bei der Verteilung von Lebensnot-

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wendigem gerechter zugeht, wenn man es Frauen anvertraut. Verärgert bin ich, weil sich an dem Schema so niemals etwas ändert, wonach man sich immer auf die Frauen verlässt, wenn es um das Gemeinwohl geht.“ Für Schrupp arbeitet die WFP mit veralteten Geschlechterrollen: Männer sollen in der Öffentlichkeit in Konkurrenz mit anderen Männern treten. Frauen sollen sich selbstlos und uneigennützig um die Familie kümmern. Petra Dannecker, Professorin für Soziologie und Genderforschung an der Uni Wien stimmt Schrupp zu: Mit dem Verteilerprogramm der WFP

würden Frauen als Opfer konstruiert und zu „food providers“ instrumentalisiert. Sie lehnt es aber ab, derartig heftig Kritik zu üben wie ihre Kollegin: „Katastrophenhilfe ist etwas anderes als langfristige Entwicklungshilfe. Im Fall Haitis geht es um das Erreichen einer Bevölkerungsgruppe in einer Notsituation.“ Statt kurzfristige Projekte zu zerlegen, müsste man sich eher die Frage stellen, wie sich die Hilfe in Haiti weiterentwickelt. Für Dannecker offenbart die Diskussion ein anderes Problem: „In der Forschung fällt es leicht zu kritisieren – aber schwer, die Theorie in Praxis umzusetzen.“

„Morgen kommt keine Firma zu mir und sagt: Wow, das bau ich jetzt“, erklärt Kathrin Henschel. „Es geht hier nur um Grundlagenforschung.“ Sie hat an der Universität Freiburg Physik studiert und ist für ihr Doktorat nach Innsbruck übersiedelt. Henschel wird die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie, in diesem Fall eine Atomwolke, untersuchen und beschreiben. Physik gilt als Männerstudium – warum? Henschel verortet das Problem in die Schulzeit: „Es ist normal, dass man Mathe und Physik nicht versteht, es ist aber nicht normal, dass es auch Spaß machen kann.“ Julia Ring, 27, Mikrobiologie, Institut für Molekulare Biowissenschaft, Uni Graz

Hefezellen sind altruistisch: Zum Wohle der jungen Zellen bringen sie sich um. Klingt seltsam – das dachte sich auch Julia Ring, als sie davon in einer Vorlesung hörte. Jetzt schreibt sie eine Dissertation über „Alzheimer im Hefemodell“. Da die menschliche Zelle der Hefezelle sehr ähnlich ist, testen Forscher Proteine, die Alzheimer auslösen, an Hefemodellen. Konkret geht es Ring um das Protein Beta-Amyloid. Das ist schuld daran, dass Nervenzellen absterben. Rings Doktorarbeit soll in Zukunft helfen, dieses Zellsterben zu stoppen. Seit eineinhalb Jahren arbeitet sie daran.

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Frauen in der Forschung auf dem Vormarsch Immer mehr Frauen entscheiden sich für eine Berufslaufbahn in Forschung und Entwicklung, der Frauenanteil am heimischen F&E-Sektor wächst kontinuierlich. Mit gezielten Maßnahmen des BMVIT wird dieser Aufwind weiter verstärkt und die Geschlechtergerechtigkeit verbessert.

Das BMVIT verfolgt daher mit seinen aktuellen Maßnahmen primär zwei Zielsetzungen: Es gilt, mehr junge Menschen für Forschung zu begeistern und dabei besonderes Augenmerk auf Mädchen zu legen. „Klar ist: Wenn wir unser Ziel, unter die Top 3 der innovativsten Volkswirtschaften Europas aufzusteigen, erreichen wollen, dürfen wir nicht auf Frauen – und damit auf die Hälfte des Potentials – verzichten“, so Infrastrukturministerin Doris Bures. BMVIT unterstützt Forschungsnachwuchs. Die Unterstützung talentierter Nachwuchsforscherinnen ist ein wichtiger Ansatzpunkt für Chancengleichheit. Mit den „generation-innovation“-

„Wir dürfen bei den Anstrengungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern keine Sekunde nachlassen. Wir können erst zufrieden sein, wenn wir die Einkommensschere geschlossen haben. Daher war es mir so wichtig, die Förderung für Frauen kräftig auszubauen“, sagt Infrastrukturministerin Doris Bures. Sie hat die Förderungen für das Programm FEMtech gegenüber 2008 um 70 Prozent auf 4,6 Millionen Euro erhöht.

Einkommensschere schließen. Die aktuelle Studie „Einkommensunterschiede in F&E“ bestätigt die besseren Verdienstmöglichkeiten für Frauen im Bereich Forschung und Entwicklung im Vergleich zu anderen Wissenschaftsfeldern. Der „Gender Pay Gap“, also der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen, liegt dennoch bei 22 Prozent. „Die Studie bestärkt mich darin, dass wir bei den Anstrengungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern keine Sekunde nachlassen dürfen.

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FACTS aus der Studie „Einkommensunterschiede in F&E“ • F&E ist ein expandierender Sektor • Bietet Frauen ein hohes Lohnniveau • Einkommensunterschied geringer als in Gesamtwirtschaft • Trotzdem verdienen Frauen noch 22 % weniger • Sehr gute Aufstiegschancen für Frauen • Aber: Deutliche niedrigere Aufstiegsgeschwindigkeit für Frauen mit Kindern • Empfehlungen der Studie: Transparenz bei den Einkommen, Vereinbarkeit aktiv unterstützen

Fotos: BMVIT/HBF/Wenzel

Praktika bekommen heuer 1.000 SchülerInnen die Möglichkeit, während eines Sommerpraktikums in einem österreichischen Top-Unternehmen wertvolle berufliche Erfahrungen im Bereich Naturwissenschaften oder Technik zu sammeln. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf jungen Frauen.

Ministerin Doris Bures mit Praktikantinnen im Austrian Institute of Technology

Wir können erst zufrieden sein, wenn wir die Einkommensschere geschlossen haben. Daher war es mir so wichtig, die Förderung für Frauen kräftig auszubauen. Heuer stellen wir 4,6 Millionen Euro für die maßgeschneiderte Unterstützung von Frauen im Rahmen des Programms FEMtech zur Verfügung – um 70 Prozent mehr als vor zwei Jahren“, so die klare Antwort der Ministerin auf die nach wie vor vorhandenen Einkommensunterschiede.

FÖRDERSPEKTRUM DES BMVIT

Weitere Informationen: www.bmvit.gv.at, www.femtech.at, www.generation-innovation.at, www.ffg.at

• Unterstützung für Nachwuchswissenschafterinnen schon während des Studiums (Begleitung über 2 Jahre bis in den Job)

• Interesse an Naturwissenschaften und Technik schon im Kindergarten wecken • Errichtung von naturwissenschaftlich orientierten Betriebskindergärten, wie zum Beispiel im AIT – Austrian Institute of Technology in Seibersdorf zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie • 1.000 Sommerpraktikumsplätze für SchülerInnen in Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit besonderem Schwerpunkt auf jungen Frauen • Förderung von Wiedereinstiegs- und Arbeitszeitmodellen • Förderung von Karriereentwicklungsmodellen für Frauen • Erstmalige Vergabe des Staatspreises für Chancengleichheit in F&E: Vorzeigemodelle wurden prämiert


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Aus Wissenschaft und Forschung

Gentests an Babys Die ter Hönig

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entechnologie – eine Branche, an die sich die Wachstumshoffnungen der Zukunft knüpfen. Dabei ist auf den ersten Blick nicht viel zu sehen: Ein Gen besteht aus einer bestimmten Basenfolge, die als Code der Erbsubstanz gilt. Gene reihen sich auf Chromosomen, die sich im Zellkern befinden, ähnlich wie Perlen auf der entsprechenden Schnur. Gene mit ihrem Code bilden Information, die im Zellkern durch biochemische Vorgänge in Eiweiß (Protein) umgesetzt wird und für Zellteilung und Wachstum sorgt. Jeder Mensch verfügt über 30.000 Gene. Voraussetzung für Wachstumshoffnungen, i.e. gute Geschäfte, auf diesem Gebiet ist die Genforschung. Ihre Gegner sehen darin freilich nur das Schreckliche wachsen: Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer

nach genetischen Merkmalen auswählen, Krankenkassen, die ihre Klientel gemäß genetischer Merkmale sortieren, und Klone als menschliche Ersatzteillager. Wissenschaftler wie der Wiener Gynäkologe Ernst Kubista und der Genetiker Markus Hengstschläger können solchen Vorstellungen nichts abgewinnen. Sie verweisen auf das in Österreich streng gehandhabte Gentechnikgesetz. Diese verhindere, dass Unternehmen und Kassen an entsprechende Daten von Personen gelangen. Klone am freien Markt klingen für die beiden Universitätsprofessoren nach Science-Fiction. Markus Hengstschläger beklagt die in Österreich für ihn nicht nachvollziehbare Skepsis: „Es gibt noch eine Schere zwischen dem, was in den Genen bereits gelesen werden kann, und dem, was in Form von Vorsorge oder Therapie gegen Krankheiten getan werden könnte.“ Er ist überzeugt, dass herkömmliche Medizin an ihre Grenzen stößt: „Wir werden keine Krankheiten mehr heilen, indem wir Knochen zählen oder den Venen und Arterien lateinische Namen geben.“ Molekulare Forschung ist für Hengstschläger die Zukunft. Hier braucht es intensive Grundlagenforschung, damit man den „kranken Genen“ entkommen kann. Große Bedeutung misst Hengstschläger dem Screening von Neu-

geborenen zu. Dabei werden einige Blutstropfen aus der Ferse des Babys entnommen. Lässt sich ein mutiertes Gen erkennen, könnte man in bestimmten Fällen dramatische spätere Erkrankungen wie etwa eine geistige Behinderung rechtzeitig therapieren. Manche Gentests, wie die Untersuchung auf ererbten Brust- und Ei-

Mass-Index (BMI) von über 30 krankhaft dick – in Österreich neun Prozent, Tendenz steigend. „Es ist ein fataler Irrtum, dem alten Dogma von drei warmen Mahlzeiten am Tag zu folgen“, warnt Univ.Prof. Wolfgang Feil, Vorstand der Chirurgie am Evangelischen Krankenhaus in Wien. „Das gilt, wenn überhaupt, nur für Schwerstarbeiter, aber sicher nicht für Büromenschen – egal wie aktiv sie sind.“ 75 Prozent der Patienten mit Bluthochdruck, 50 Prozent jener mit erhöhten Blutfetten und 90 Prozent der Typ-2-Diabetiker sind übergewichtig. Krankhafte Fettsucht (Adipositas) hat Folgen: Das Typ-2-Diabetes-Risiko steigt bei Übergewichtigen auf das 40-Fache. Bei einem BMI von über 35 verdoppelt sich das Sterberisiko, bei einem übergewichtigen Diabetiker verzehnfacht es sich. Das Krebsrisiko beträgt das Dreifache, das Herzinfarktrisiko ist doppelt so hoch. Adipositas gilt als genetisch vorbestimmt. Das menschliche Genom ist programmiert, Hunger nicht zuzulassen und überschüssige Energie

zu bewahren. Ein geringer Teil dieser Energie kann in Leber und Muskulatur als Stärke gespeichert und bei Bedarf rasch in Zucker umgewandelt werden. Der größte Teil gelangt ins Fettgewebe und lässt sich nur mühsam mobilisieren. Ein weiterer Teil wird zu Wärme. Es ist genetisch vorgegeben, ob überschüssige Energie vorwiegend zu Wärme und abgegeben wird oder in die Fettspeicher wandert. Ist normales Körpergewicht programmiert, wird das Sättigungsgefühl rascher erreicht, überschüssige Energie als Wärme abgegeben und der Grundumsatz gesteigert. Steht die Genprogrammierung auf Übergewicht, wird überschüssige Energie sofort als Fett gespeichert, das Sättigungsgefühl stellt sich erst später ein. Die menschlichen Gene haben sich seit 300.000 Jahren nicht verändert, wohl aber die Lebens- und Essgewohnheiten. Einzig von ihnen hängt es ab, ob die genotypische Veranlagung relevant wird. Adipositas ist auch ein soziales Phänomen. Sie gilt vorwiegend als Problem sozialer

„Wir werden keine Krankheiten mehr heilen, indem wir Knochen zählen“ Markus Hengstschläger, Genetiker, Wien Ernst Kubista, Gynäkologe und Genetiker, Wien

„Manche Gentests bei speziellen Krebsformen haben bereits eine hundertprozentige Aussagekraft“ ernst kubista

erstockkrebs oder Dickdarmkrebs, haben laut Ernst Kubista bereits eine 100-prozentige Aussagekraft. Auch in der Neurologie entdeckt man genetische Veränderungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Erkrankung im höheren Lebensalter erwarten lassen: etwa Chorea Huntington, eine Erkrankung, die im mittleren Lebensalter auftritt und derzeit noch nicht behandelbar ist. Alle anderen derzeitigen genetischen Vorhersagen haben laut Kubista einen „Erwartungsgrad“ von maximal 30 bis 50 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens ist begrenzt und von unterschiedlichen Umweltfaktoren abhängig. „Wissen über eine mögliche spätere Erkrankung hat nur dann einen Sinn, wenn es dafür Behandlungsund Früherkennungsmethoden gibt oder der Betroffene präventive Maßnahmen in der Lebensführung setzen kann“, sagt Kubista. „Es bringt nichts, genetische Veränderungen zu untersuchen, die zu Erkenntnissen führen, an die keine Konsequenzen geknüpft werden können. Sie belasten den Betreffenden und seine Familie letztlich nur. Markus Hengstschläger sieht es ähnlich: „Nur dort, wo ein kausaler Zusammenhang von genetischer Veränderung und Erkrankung nachgewiesen ist und wo es auch eine Prophylaxe bzw. Therapie gibt, ist ein Gentest sinnvoll.“

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Gentechnik

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s klingt paradox: Wir erfahren aus Medien ständig vom Hunger in der Welt. Doch unter Medizinern gilt etwas anderes als größte Bedrohung für Menschen: Fehlernährung mit Übergewicht. In den USA sind zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung krankhaft übergewichtig. Das Problem betrifft auch Europa, Australien, Russland, Brasilien und China. Laut einer aktuellen OECD-Studie sind 24 Prozent der Briten mit einem Body-

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„Drei warme Mahlzeiten am Tag sind Unsinn“ Wolfgang Feil, Vorstand der Chirurgie am Evangelischen Krankenhaus Wien „Der Patient muss mitarbeiten“ Gerhard Prager, Leiter Adipositaschirurgie an der Univ.-Klinik für Chirurgie Wien

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Die ter Hönig

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Skalpell gegen Fettsucht

Unterschichten. Sie essen statt teurerer gesunder Nahrung wie Obst und frisches Gemüse günstigeres „Junk Food“. Außerdem sind ihre Arbeitszeiten meist kürzer, was das Verlangen nach Unterhaltung steigert, die meist auch mit der Aufnahme von Junk Food einhergeht. „Man muss endlich beim Fastfood ansetzen und nicht bei Diäten. Diese versagen bei über 90 Prozent aller krankhaft Übergewichtigen“, sagt Univ.-Prof. Albert Tuchmann,


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Aus Wissenschaft und Forschung Physikgeschichte

Christian Zillner

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s klingt wie der Traum eines Schülers vor dem Physiktest: Die Spitzen der europäischen Physikwissenschaften sitzen vor Ab­ bildungen historischer physikali­ scher Geräte, deren Verwendungs­ zweck sie bestimmen sollen – und keiner hat eine Ahnung. Peter Maria Schuster, Physiker und Dichter, Autor eines legendä­ ren, erstmals im Falter erschienenen Essays über Christan Doppler, re­ alisiert nun gemeinsam mit der Eu­ ropean Physical Society auf Schloss Pöllau in der Steiermark das erste Eu­ ropean Centre for the History of Phy­ sics, mit einer permanenten Schau zu österreichischen Physikern (ers­ te Schwerpunkte: Christian Dopp­ ler, Josef Loschmidt, Josef Stefan, Ludwig Boltzmann und Victor Franz Hess) sowie mit wechselnden Beiträ­

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Fotos: Privat

Leiter der Chirurgie am Floridsdor­ fer Krankenhaus. „Die lapidare Emp­ fehlung, essen S’ halt weniger, ist für einen 140-Kilo-Mann, der drin­ gend abnehmen muss, wenig ziel­ führend.“ Nimmt der Übergewich­ tige durch eine Crashdiät rasch ab, kommt es vor allem zu einer Redukti­ on der Muskelmasse, erst später zur Reduktion der Fettdepots. Beginnt er wieder zu essen, giert sein Körper nach dem genetisch programmierten Ziel und wandelt zugeführte Energie „Für Jobaussichten achten die Menschen neuerdings aufs Gewicht“ Internist und Vorsorgemediziner Miro Urlicic

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„Man muss beim Fastfood ansetzen“ Albert Tuchmann, Leiter der Chirurgie am Floridsdorfer Krankenhaus

Physiktest für Physikprofessoren:  Was zeigt dieses Bild?

sofort in Fettgewebe um, ohne den Grundumsatz zu steigern und mehr Wärme abzugeben. Daher setzen Chirurgen auf Ein­ griffe zur effizienten Gewichtsre­ duktion. Vor allem dort, wo die Ge­ fahr gesundheitlicher Folgeschäden rasches Abnehmen erfordert. Die Adipositaschirurgie soll Nahrungs­ aufnahme und Absorption von Nah­ rung (Kalorien) im Magen-Darm-Ka­ nal einschränken. „Bei den „restrik­ tiven“ Operationen wie Magenband oder -bypass wird der Mageneingang eingeengt bzw. der Magen ausge­ schaltet. Bei den „malabsorptiven““ Operationen wie dem Duodenal­ switch wird vor allem der Dünn­ darm als Resorptionsoberfläche um­ gangen“, erklärt Wolfgang Feil. Man­ che Operationen vereinigen beide Formen in sich. „Die Auswahl der geeigneten Operation hat immer in­ dividuell zu erfolgen.“ Internationale Studien belegen, dass Typ-2-Diabetes bei rund drei Viertel der Patienten mit krankhaf­ tem Übergewicht durch eine Opera­ tion geheilt werden kann. „80 Pro­

zent aller Typ-2-Diabetiker benöti­ gen nach einem Magenbypass keine Medikamente mehr und haben ei­ nen normalen Zuckerstoffwechsel“, sagt Univ.-Prof. Gerhard Prager, Lei­ ter der Arbeitsgruppe Adipositaschi­ rurgie an der Universitätsklinik für Chirurgie in Wien. „Geringeres Ge­ wicht führt zu einer verringerten Sterblichkeit, zu weniger Herzin­ farkten und weniger Krebsfällen.“ Wenn bei einem BMI von über 35 alle Diäten erfolglos geblieben sind, ist der chirurgische Eingriff eine Op­ tion, „natürlich nach Ausschöpfen aller konservativen Maßnahmen“, sagt Prager, der auch schwerst über­ gewichtige Jugendliche zu seinen Pa­ tienten zählt. Um Gewicht zu reduzieren, ist je nach Art der Operation mehr oder weniger „Mitarbeit“ des Patienten erforderlich: „Das verstellbare Ma­ genband ist die geringste Stütze. Der Patient muss sehr stark an einer Um­ stellung seiner Ernährungsgewohn­ heiten arbeiten, etwa langsam essen und gut kauen. Arbeitet er nicht mit, wird er nicht genug abnehmen.“ Ein

Auflösung: Bicyclemodell nach Ludwig Boltzmann, zur Illustration zweier Stromkreise nach der Theorie von Maxwell (Induktionsphänomene in Abhängigkeit vom Selbstinduktionskoeffizienten und vom wechselseitigen Induktionskoeffizienten)

Was die Physiker schufen

gen aus EU-Staaten von historischen physikalischen Geräten. „Damit soll der historisch wert­ volle Bestand der europäischen Uni­ versitäten vor Verlust und Zerstörung gerettet werden“, erklärt Schuster, „und ein Zentrum entstehen, in dem Physiker historisch arbeiten können. Denn nur Physiker können ihre eige­ ne Geschichte aufarbeiten.“ Die Schau umfasst rund 500 Ob­ jekte als Dauer- und zeitlich begrenz­ te Leihgaben heimischer Universitä­ ten. „Sie müssen fotografiert, doku­ mentiert, identifiziert und erklärt werden, da sie den meisten Physi­ kern heute nicht mehr vertraut sind. Dazu habe ich ein Team von Physi­ kerinnen und Physikern zusammen­ gestellt, vorwiegend emeritierte Pro­ fessoren, pensionierte Assistenten der Physik und ehemalige Mitarbei­ tern ausländischer Firmen wie Carl Zeiss, die mit diesen Geräten noch vertraut sind“, sagt Schuster. Nicht zuletzt dieses Know-how hat die Rektorate der Universitäten überzeugt, ihre Sammlungen, die seit Jahrzehnten nicht mehr sicht­ bar und nie als europäisches Kul­ turgut erkannt worden sind, an das neue Zentrum in Schloss Pöllau zu überstellen. Das neue Ausstellungs­ zentrum nennt sich „echophysics“, ein Akronym aus der englischen Be­ zeichnung European Centre for the History of Physics und eine Anspie­ lung auf die Bergnymphe Echo.

Eröffnung und Publikumsvorträge: Eröffnung des neuen Ausstellungszentrums auf Schloss Pöllau am 20. Mai um 16 Uhr. Titel der ersten Ausstellung: „Strahlung – der ausgesetzte Mensch“. Zur Eröffnung findet am 28./29. Mai ein internationales Symposium über die Geschichte der Physik („The Roots of Physics in Europe“) statt. Drei Vorträge sind für die Allgemeinheit zugänglich (29. Mai um 18 Uhr, Schloss Pöllau): Günther Hasinger, Direktor MPI für Plasmaphysik, Garching: „Von der Sonne auf die Erde: Die Energie der Zukunft“, Wolfgang Baumjohann, Direktor des Victor-Franz-Hess-Forschungsinstituts der Akademie der Wissenschaften, Graz: „Was sucht Österreich im Weltraum?“ und Siegfried Bauer, Graz (ehem. Vizedirektor der Weltraumwissenschaften des NASA Goddard Space Flight Center): „Victor Franz Hess: Forscher zwischen Erde und Kosmos“. www.echophysics.org

Patient mit Magenbypass hingegen muss relativ weniger mittun. „Der Bypass greift viel stärker in die hor­ monelle Regulation von Hunger und Sättigung ein. Das Hungerhormon Ghrelin wird runterreguliert, das Sättigungshormon PYY 3-36 wird hinaufreguliert. Daher ist auch die Schwankungsbreite des Gewichts­ verlustes nach der Magenbypass-OP viel geringer“, sagt Gerhard Prager. „Mancher, bei dem gesundheitli­ che Argumente wie Bluthochdruck und die Gefahr von Typ-2-Diabetes jahrelang nicht zogen, kommt jetzt und will seine überschüssigen Kilos aus Jobgründen rasch loswerden“, sagt der Wiener Internist und Vor­ sorgemediziner Miro Urlicic, der zu diesem Zweck eigens ein „SchlankSchlemmer-Programm“ anbietet. „Abspecken ist durchaus in“, er­ fährt der Personalberater Karl Pis­ wanger in der täglichen Praxis bei zahlreichen Firmen. Sie befürch­ ten bei stark Übergewichtigen Ge­ sundheitsprobleme. „Allerdings re­ lativiert sich der Trend ein wenig bei hochspezialisierten Positionen.“

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Aus Wissenschaft und Forschung

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in kurzes Schnuppern mit der Nase, und die Diagnose steht fest. Mit ihren Riechkünsten können Hunde mehreren Studien zufolge Krebs am Atem des Patienten erschnüffeln. Ein Forscherteam um Michael McCulloch von der kalifornischen Pine Street Klinik hat fünf Testtiere – drei Labradore und zwei portugiesische Wasserhunde – drei Wochen lang darauf trainiert, anhand von Atemproben Lungen- und Brustkrebs zu erkennen. Mittels klassischer Belohnungsstrategie wurden die Hunde motiviert, sich beim Erschnüffeln einer krebsbelasteten Atemprobe hinzusetzen bzw. hinzulegen. 55 Patienten mit Lungenkrebs, 31 mit Brustkrebs und 83 Gesunde hatten in Plastikröhrchen zu pusten, an denen die Hunde dann schnüffelten. Das verblüffende Ergebnis: in 88 bis 97 Prozent lagen die Tiere richtig, unabhängig vom Stadium der Krankheit. McCulloch und sein Team kamen zum Schluss, diese Atemanalyse könnte dazu beitragen, Früherkennungs-Unsicherheiten bei der Diagnose zu reduzieren. Auch britische Wissenschaftler sind bei Blasenkrebspatienten längst „auf den Hund gekommen“. Nach Schnuppern an Urinproben hatten die Tiere allerdings eine bescheidene Trefferquote von 41 Prozent erzielt. Bereits 1989 hatte das Medizinjournal The Lancet über einen Vierbeiner berichtet, der ständig intensiv am noch nicht diagnostizierten Hautkrebs seiner Besitzerin schnupperte und für seine diagnostischen Fähigkeiten später als „America’s Top Dog“ ausgezeichnet wurde. Echte Vision oder Spielerei einzelner Forscher? Krebszellen enthalten typische Inhaltsstoffe wie Benzole und alkalische Duftnoten, die für Hundenasen eindeutig erkenn- und unterscheidbar sind. „Der Ansatz, dass sich Tumore durch einen charakteristischen Geruch in den Körpersekreten verraten, kann bei der Entwicklung sogenannter elektronischer Nasen zur Früherkennung von Krebs helfen“, erklärt

Tiere essen uns auch Be t tina Benedik t

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ann beißt Hund, soll einer alten Journalistenweisheit gemäß eine Geschichte sein. In China ist sie es aber wohl nur für den Gourmetkritiker, dort beißen der Mann, die Frau und das Kind ganz gern in den Hund. Umgekehrt kommt es auch bei uns vor. Dann freilich ist es kein kulinarischer Genuss, sondern ein Unglück. Menschen spielen mit ihrem Leben, wenn sie bei Tieren Schwächen zeigen. Das gilt für den Erlebnispark in Orlando genauso wie für den Be­ serlpark in Wien. So attackierte im Erlebnispark SeaWorld im Februar der Schwertwal Tillikum seine Trainerin Dawn Brancheau: 5,5 Tonnen auf fast sieben Meter gegen 55 Kilo und 1,65

Tourismus

Nordamerika 95,3 64 % d e s w e l t w e i t e n To u r i s m u s b e i 15 % d e r We l t b e v ö l k e r u ng

Lateinamerika und Karibik 47,1

Europa 484 ,4

Nordafrika 16,3

Subsaharisches Afrika 28, 2

Asien 184 ,3

47,6 Golfstaaten und Naher Osten Anzahl der Touristen Millionen

1600

1200

Anzahl der Touristen 2007, in Millionen

800 400 0 1950

Wer sich das Reisen leisten kann © 2009: Le Monde diplomatique, Berlin/Quellen: Welttourismusorganisation (UNWTO), 2008

1 Milliarde im Jahr 2010

2000

2020

Meter Körpergröße. Diese Unterlegenheit wurde der Waltrainerin am Ende zum Verhängnis. Es muss aber wohl schon vorher beim Kontakt zwischen Mensch und Tier etwas falsch gelaufen sein. „Überheblichkeit“, meint der Zoologe und Tierarzt Herbert Schramm aus Ternitz. „Der Mensch maßt sich an, Wildtiere gefangen zu halten. Dabei muss ihm bewusst sein, dass er sie nicht zivilisieren kann.“ Gerade dieses Bewusstsein ist für den Menschen im Umgang mit Tieren überlebenswichtig. Auch Michael Martys, Innsbrucker Biologe, Verhaltensforscher und Direktor des Alpenzoos, betont: „Wenn ein Mensch mit Wildtieren in Kontakt tritt, dann sollte er dies nur mit größter Konzentration und in dem Bewusstsein tun, dass ein Wildtier immer ein Wildtier bleibt.“ Schon eine kleine Konzentrationsschwäche kann fatal sein. Wie bei jenem Tigerdompteur in Hamburg, der im Dezember 2009 beim Betreten des Käfigs stolpert und stürzt. Die Tiger greifen an und verletzen ihn lebensgefährlich. Die niederösterreichische Tierärztin Renate Brezovsky vermutet: „Wenn der Dompteur stolpert und dabei mit den Armen rudert, stellt diese hektische Bewegung womöglich eine Bedrohung für die Tiger dar.“ Michael Martys sieht außerdem ein Erkennungsproblem: „Wenn der Dompteur am Boden liegt, zeigt er ein Verhalten, das die Tiger nicht gelernt haben. Ein solches ihnen unbekannte Verhalten kann bei den Tieren Beutefang auslösen.“ Das Beutefangverhalten ist bei Raubtieren angeboren wie das Erkämpfen einer Rangordnung oder das Verteidigen eines Territoriums. Ebenfalls genetisch festgelegt ist das Aggressionspotenzial – beim Schwertwal geradeso wie beim Hund. Die innere Bereitschaft zum Angreifen erhöht der Mensch gezielt beim Züchten bestimmter Hunderassen und verstärkt sie durch Erziehung. Ein Schlüsselreiz von außen kann dann auch ein Unglück auslösen. Vorbeugende Maßnahmen scheitern in vielen Fällen an der Entscheidungsschwäche von Hundebesitzern. „Wenn ich dazu rate, aggressive Hunde zu kastrieren oder ihnen Glückshormone zur Entspannung zu verabreichen, wird das leider oft nicht befolgt“, erklärt Renate Brezovsky. Hätte Waltrainerin Dawn Brancheau etwas besser machen können? „Nein“, sagt Herbert Schramm, „wir können gar nicht genügend Voraussetzungen erfüllen, damit nichts passiert. Weil eben immer etwas passieren kann. Vielleicht hatte der Wal einfach nur einen schlechten Tag.“

Foto: juan monino/istockphoto

Die ter Hönig

Jürgen Lösch vom Deutschen Krebsforschungsinstitut in Heidelberg. „Bei Ausbildung und Training von Krebshunden wird das einzigartige Geruchsvermögen eingesetzt, um Geruchsproben von gesunden und kranken Menschen zu unterscheiden“, bestätigt Wolfgang Gleichwert, Projektleiter der Krebssuchhundestaffel im steirischen Zeltweg. Auch er beschäftigt sich seit Jahren mit dieser Thematik und hat eine spezielle Methode entwickelt, Atemluftproben von Menschen zu konservieren, um sie von Vierbeinern „auswerten“ zu lassen. Simpler Geruchstest statt belastender Untersuchungen? Die Aussicht, dass Hunde schon sehr frühe Stadien von Lungen- oder Brustkrebs entdecken können, klingt zwar fantastisch. Dass sich daraus Entwicklungsansätze für standardmäßig eingesetzte elektronische Nasen ergeben könnten, scheint aber durchaus plausibel. Medizintechnik und Pharmaforschung nehmen das Projekt jedenfalls ernst. Ganz neu ist die Idee vom Hund als „Assistenzarzt“ übrigens auch nicht. Denn den Chinesen war schon vor 3000 Jahren bekannt, dass die empfindliche Hundnase frühzeitig Krankheiten bei Menschen erschnüffeln kann.

Wer sich das Reisen leisten kann

©2009: Le Monde diplomatique, Berlin

B_08_13_10 8 Quellen: Welttourismusorganisation (UNWTO), 2008.

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dynamowien

Der Hund riecht den Krebs

Zoologie

G r a f i k : © 2 0 0 9 : L e M o n d e d i p l o m a t i q u e , B e r l i n / Q u e ll e n : W e l t t o u r i s m u s o r g a n i s a t i o n ( UN W TO ) 2 0 0 8

Diagnostik


heureka

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9

Aus Wissenschaft und Forschung Soziologie

Sie fühlen sich unsicher Sabine Edith Br aun

KIRAS, einer Initiative des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie vom Forschungsinstitut des Roten Kreuzes gemeinsam mit der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien und dem Sozialforschungsinstitut SORA durchgeführt. Die Studie verarbeitet 36 qualitative Interviews mit Migranten unterschiedlicher Herkunft. Edith Enzenhofer, eine der Autorinnen, berichtet: „Es gibt drei wesentliche Erkenntnisse. Erstens: Leben auf Zeit lässt kein Sicherheitsgefühl zu. Wer nicht weiß, ob er nicht vielleicht bald abgeschoben wird, lebt in ständiger Angst. Das macht jede Lebensplanung zunichte. Das zweite ist Armut. Das reicht von der niedrigen Pension eines Gast-

arbeiters bis hin zu Asylwerbern, die gar nicht arbeiten dürfen. Eine Asylwerberin hat erzählt, sie wollte sich mit zehn Euro ein Packerl Zigaretten am Automaten kaufen. Dann ist kein Wechselgeld herausgekommen, und sie hat gewusst: Heute gibt es für die Familie kein Nachtmahl. Der dritte Punkt ist Fremdenfeindlichkeit. Ausnahmslos alle wurden schon einmal Opfer von Fremdenfeindlichkeit. Das hat uns erschüttert.“ Der Kriminalsoziologe Arno Pilgram war im Beraterteam für die Studie. „Eines der Sicherheitsprobleme jener mit unsicherem Aufenthaltsstatus ist, dass sie öffentliche Stellen und Rechtsschutz nicht im selben Maße nützen können wie andere.

Viele trauen den Behörden nicht. Das schafft Unbehagen. Migration an sich ist ja Suche nach Sicherheit. Und nun wird hier auch diese Hoffnung oft enttäuscht. Die Unsicherheit wird von Migranten durch Überangepasstheit bewältigt, oder durch das Hinnehmen schlechter Behandlung, etwa Unterbezahlung. So jemand geht auf kein Amt, um sein Recht einzufordern.“ Pilgram schätzt an dieser Studie, „dass sie nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommt, à la ‚behandelt sie gut, um eurer eigenen Sicherheit willen; sonst sind das tickende Zeitbomben‘. Zu viel wird nur aus der Sicherheitsverbesserungsperspektive beurteilt. Aber diese Studie hat für mich Sozialreportage-Charakter.“

PROJEK T: BIODIVERSITÄT DER Ö1 P R OG RAMMSCHWER P UNKT 201 0 ZUM »INTER NATIONALEN JAH R DER BIODIVER SITÄT «

UM FA SSE N D E BE ITRÄG E IN D E N Ö1 SE N D UN G E N »VOM L E BE N D E R N ATUR« | »R AD IOKOL L E G « | »D IM E NS I O NEN« | » W I S S EN A K T U ELL« dynamowien

G r a f i k : © 2 0 0 9 : L e M o n d e d i p l o m a t i q u e , B e r l i n / Q u e ll e n : W e l t t o u r i s m u s o r g a n i s a t i o n ( UN W TO ) 2 0 0 8

Foto: juan monino/istockphoto

E

ine neue Studie zeigt, dass es um das Sicherheitsgefühl von Migranten schlecht bestellt ist. Das größte Problem ist ein unsicherer Aufenthaltsstatus. Auch Armut und Fremdenfeindlichkeit spielen eine Rolle. Mediale und politische Diskurse verknüpfen Migration und Kriminalität einseitig: Das Wort „Sicherheit“ erscheint im Zusammenhang mit Ausländern als Sicherheit vor Ausländern. Nun befasst sich eine Studie mit der Frage, wie es um das Sicherheitsgefühl der Fremden selbst bestellt ist. Sie wurde im Rahmen des Sicherheitsforschungs-Förderprogramms

Migranten werden bei uns als Sicherheitsrisiko eingestuft – doch wie steht es eigentlich um ihre Sicherheit?

E IN E D E TAIL L IE RTE SE N D UN GSÜBE RSIC HT IN OE 1 . ORF. AT / BIOD IVE RSITAE T SC IE N C E . ORF. AT

»Wir sollten jedes kleinste Stückchen der Artenvielfalt erhalten, während wir lernen damit umzugehen und zu verstehen, was es für die Menschheit bedeutet.« [Edward O. Wilson]

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Titel 10

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heureka

Was ist eine Frau?

Der Countdown zum Thema Carolin Gier mindl

10 000

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sche Ökologie-Institut mit einem Frauenanteil von 50 Prozent und einem

Daten: Weniger als ein Drittel aller Wissenschaftler weltweit sind Frauen.

Euro hoch und ein Jahr alt ist der Staatspreis für Chancengleichheit von Frauen in Forschung und

Entwicklung. Siegreich im letzten Jahr war unter anderem das Österreichi-

Länder hat das Statistik-Institut der Unesco (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) in

puncto Forschung und Wissenschaft untersucht. Resultat der ausgewerteten

geschlechtsunabhängigen Gehaltsschema.

2010

Doppelpremiere an der Uni Wien: Monika Henzinger und Stefanie Rinderle-Ma sind die ersten Informatikprofes-

72

Jahre alt und kein bisschen leise: Helga Nowotny. Die österreichische Wissenschaftstheoretikerin ist seit 1. März Präsidentin des Europäi-

schen Forschungsrats (ERC) und leitet damit eines der wichtigsten Ämter der

sorinnen an der Fakultät. Henzinger war Google-Forschungsleiterin und

europäischen Wissenschaft. Der ERC verfügt von 2007 bis 2013 über ein

Professorin an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne. Rinderle-Ma

Budget von 7,5 Milliarden Euro zur Förderung von Spitzenforschung.

hat sich an der Universität Ulm habilitiert.

2008

hat die Bundesgleichstellungskommission festgestellt, dass die Londoner Kuratorin Clementine Deliss bei der

22

Prozent weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen beziehen vollzeitbeschäftigte weibliche Forscherinnen in Österreich.

Rektorswahl 2007 an der Akademie der bildenden Künste in Wien diskriminiert wurde.

1897

20

Prozent aller Studienabbrecherinnen gaben an, dass Studium hätte „ihre Erwartungen nicht erfüllt“. Am wenigsten Studien-

ließ die Uni Wien erstmals Frauen in ihre Hörsäle.

abbrecher (5 Prozent) hat die Montanuni Leoben. Dort gibt es unter den

Zumindest an der philosophischen Fakultät. Elise Richter

Lehrenden genau drei Frauen. Eine Professorin, eine Assistenzprofessorin

war die erste Frau, die 1905 an der Uni Wien habilitierte und die erste Frau,

und eine Dozentin.

die in Österreich zur Außerordentlichen Professorin ernannt wurde. Richter gründete den Verband der Akademikerinnen und rief 1927 zur Gründung einer Frauenpartei auf. Sie starb in Theresienstadt.

642

17

Prozent aller Professuren an Österreichs Unis haben Frauen inne. Der Anteil der Professorinnen an iranischen Universitäten beträgt

20 Prozent. In Rumänien sind 30 Prozent der Professoren weiblich.

Jahre nach Gründung der ersten Universität in Österreich wird

österreichische Wissenschaftlerin, die als erste Frau an der TU Wien in

8,3

Prozent aller Studentinnen sind Mütter und auf Kinderbetreuung angewiesen.

Maschinenbau promovierte, ihr Amt nieder.

520

Frauen über 60 studieren derzeit an der Universität Wien.

153

ner Frau geleitet. Derzeit prüft die Bundes-Gleichstellungskommission,

ob die Innsbrucker Internistin Margarethe Hochleitner von der Medizin-Uni Innsbruck bei der Rektoratsbestellung im Vorjahr diskriminiert wurde. 2011

Büsten und Gedenktafeln im Arkadenhof der Uni Wien ehren

stehen viele Rektoratswahlen an. Rektoren werden vom jeweiligen

bedeutende Männer. Eine Frau wurde in den erlauchten Kreis

Universitätsrat gewählt. Dieser Rat besteht aus ausgewählten Personen, die

aufgenommen. Die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach.

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0

Keine der 21 öffentlichen österreichischen Universitäten wird von ei-

von der Regierung und den Uni-Senaten entsendet werden.

F o t o : M a r t i n S c h ö l l e r / w w w . p o n d p r e ss . c o m

im Oktober 2007 mit Ingela Bruner zum ersten Mal eine Frau

Rektorin einer staatlichen Uni. Nach 16 Monaten legt die schwedisch-

29.03.2010 15:29:37 Uhr


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Was ist eine Frau?

heureka

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Zu den Fotos des Themas „Female Bodybuilders“ ist das zweite Buch von Martin Schoeller. Er gilt als ein Meister der Porträtkunst in der gegenwärtigen Fotografie. Seit 1999 arbeitet er für das Magazin „The New Yorker“, fotografierte Bill Clinton, Barack Obama, Angelina Jolie, George Clooney und viele andere.

F o t o : M a r t i n S c h ö l l e r / w w w . p o n d p r e ss . c o m

Female Bodybuilders – Collector‘s Edition von Martin Schöller, September 2008, 50 Farbfotos, Preis: $37.50 www.pondpress.com

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29.03.2010 13:44:18 Uhr


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heureka

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Was ist eine frau?

Frauen-Unis – nur für Amerikanerinnen Pädagogik In den USA besetzen Absolventinnen von Frauenhochschulen auffallend viele Spitzenjobs Carolin Gier mindl

I

n Österreich wird an der Koedukation an Universitäten nicht gerüttelt. In den USA besetzen Absolventinnen von Frauenhochschulen auffallend viele Spitzenjobs, vor allem in traditionellen Männerdomänen. Hillary Rodham Clinton, zum Beispiel. Sie drängelte sich konsequent in die erste Reihe und kandidierte für den mächtigsten Job der Welt. Oder Madeleine Albright. Die Vorvorgängerin von Hillary Clinton trat als erste Frau in der Geschichte Amerikas das Amt einer Außenministerin an. Zielorientiert, selbstbewusst, unbeirrbar – so der Eindruck, den Mrs. Albright hinterließ. Wo haben die beiden Politikerinnen studiert? Am Wellesley College, einer Hochschule für Frauen. Mehr als 80 Women’s Colleges gibt es in den USA. Gegründet wurden sie im 19. Jahrhundert, als Hochschulen den Männern vorbehalten waren. Heute gelten die Notbehelfe von damals als Kaderschmieden weiblicher Elite: Ein Viertel aller weiblichen Kongressabgeordneten hat eine Frauenhochschule absolviert, ein Drittel aller Managerinnen in den größten Konzernen der USA studierte an einem Women’s College. Fakten und Forschungsergebnisse belegen: Studentinnen an Frauen-Unis sind selbstbewusster, motivierter und zeigen eine höhere Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Zudem trauen sie sich auch in männlich dominierten Fächern wie Naturwissenschaften und Technik mehr zu. Laut der New York Times sind 43 Prozent aller promovierten Mathematike-

„Das Potenzial von Frauen wird in monoedukativem Zusammenhang besser ausgeschöpft“ Birgit Sauer, Geschlechterforscherin, Uni Wien

„In Technik und Naturwissenschaft sollte es Frauenstudiengänge geben“ Angelika Wetterer, Geschlechtersoziologin, Uni Graz

rinnen und 50 Prozent der Ingenieurswissenschaftlerinnen in den USA Absolventinnen von Frauen Colleges. Also, her mit den Frauen-Unis! Eine Hochschule für Frauen auch in Österreich? Birgit Sauer, Professorin für politische Theorie und Geschlechterforschung an der Uni Wien, fände dies „als Projekt sehr spannend. Das Potenzial von Frauen wird in monoedukativem Zusammenhang sicher besser ausgeschöpft.“ Auch deutlich weniger Frauen, die nach Magister- oder Diplomprüfung der Wissenschaft den Rücken kehren, verspräche sich die Professorin davon. „Es gibt an koedukativen Hochschulen einfach zu wenig Förderangebote für Frauen nach dem ersten Studienabschluss.“ Auch im Uni-Alltag bemerkt die Politologin in Vorlesungen vor 200 oder 300 Studierenden kleine, große Unterschiede: „Da melden sich auffallend mehr Männer zu Wort. Frauen haben offenbar eine größere Hemmschwelle, in solchen Runden zu reden. Eine intelligente, leise Studentin wird aber nicht gesehen. An einer Massen-Uni muss man sichtbar sein.“ Ums Trauen geht es. Frauenhochschulen, geschützte Räume, ermöglichen es Studentinnen gezielt, viel mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln, ist Angelika Wetterer, Professorin für Geschlechtersoziologie an der Uni Graz, überzeugt. Vor allem in der Naturwissenschaft und in technischen Fachbereichen würde die Grazer Professorin Frauenstudiengänge begrüßen, „weil alle wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass Monoedukation hier von Vor-

teil ist. Bestimmte Geschlechterstereotype greifen einfach nicht, so bald das andere Geschlecht abwesend ist.“ Wetterer weiß von Modellversuchen an deutschen Unis und davon, dass Studiengänge für Frauen „in der WissenschaftsCommunity total abgewertet werden. Tenor: Weiberkram, ein Pudding-Bachelor.“ Der Abschluss gilt weit weniger. „Dann kann man es auch gleich sein lassen“, fasst Wetterer zusammen. Bewusst elitär gehalten, nur hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen unterrichten die besten Studentinnen – mit dieser Idee ging 100 Tage lang die „Internationale Frauenuniversität Kultur und Technik“ auf der Expo 2000 in Hannover an den Start. Das Projekt, das langfristig Bestand haben sollte, scheiterte rasch. Es fanden sich keine Geldgeber mehr. In Österreich ist an eine Hochschule für Frauen ohnehin nicht zu denken. „Die Förderung von Frauen an Universitäten ist ein zentrales Anliegen von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl. Eigene Women Colleges nach US-Vorbild sind derzeit aber nicht geplant“, heißt es aus dem Ministerium. Claudia von Werlhof, Professorin für Frauenforschung in Innsbruck, kümmert das wenig. So lange Frauen inhaltlich nichts anderes machen als Männer, sei es völlig unerheblich, an welcher Institution sie letztendlich studieren, so Werlhof. Sie fordert stattdessen eine neue, weniger patriarchal orientierte Wissenschaft. „Aber es ist naiv zu glauben, dass man den Frauen Gutes will.“

Die Zukunft ist weiblich nde 2009 haben in den USA die Frauen E die Männer am Arbeitsplatz zahlenmäßig überholt. Frauen machen die Mehrheit der Universitätsabgänger in den OECDStaaten aus, Tendenz steigend. In Österreich sind 54 Prozent aller Studierenden weiblich. In den USA wurden in den letzten zehn Jahren doppelt so viele Unternehmen von Frauen gegründet wie von Männern. In der EU haben Frauen sechs von acht Millionen der seit 2000 neu geschaffenen Jobs besetzt. 2011 wird es in den USA und in vielen europäischen Ländern mehr als doppelt so viele weibliche wie männliche Studierende geben. In den nächsten Jahren werden Frauen Zweidrittel der Angestellten in zehn der 15 am schnellsten wachsenden Berufsfeldern stellen.

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Anteil der weiblichen Studierenden in Österreich (2008)   Frauen   Männer  Jus

Humanmedizin

7.001 6.021

Psychologie 2.956

Pädagogik

13.599 11.294

1.473

9.900

9.008

Telematik 82 1.233

Maschinenbau 2.856

237

Informatik

8.684

1.751

Auch im Bereich Forschung & Entwicklung holen die dort traditionell unterrepräsentierten Frauen auf: Die Steigerungsrate bei Frauen liegt in Österreich bei 82 Prozent – deutlich höher als die 67 Prozent bei Männern. Beim wissenschaftlichen Personal haben die Frauen um 150 Prozent zugelegt, die Männern um 56. Allerdings liegt der Frauenanteil erst bei 21 Prozent. Aber das wird sich ändern: Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate bei den naturwissenschaftlichen Studienanfängerinnen in Österreich ist seit 2001 mehr als doppelt so hoch wie bei den Männern. In den geisteswissenschaftlichen Fächern oder bei Jus sind die Frauen längst in der Mehrheit. Dennoch werden viele Frauen für die gleiche Tätigkeit schlechter bezahlt als

Männer. Frauen sind in der obersten Managementebene immer noch stark unterrepräsentiert. Laut einer britischen Studie soll es noch 60 Jahre dauern, bis die Frauen gleichberechtigt in den Vorstandsetagen der größten Unternehmen sitzen. Doch in absehbarer Zeit werden die Frauen die Macht übernehmen – weil sie besser qualifiziert und in der Mehrheit sind. Sie werden auch die Spielregeln verändern. Frauen gelten als gruppenorientierter. Dies wird im Geschäftsleben immer wichtiger. Auch der weltweit größte Unternehmensberater McKinsey verkündet neuerdings, dass Frauen fünf von neun zentralen Managementqualitäten besser erfüllen als Männer. Deshalb raten Consulter ihren Kunden, mehr auf ihre weiblichen Angestellten zu hören.

Fotos: uni graz, Hans Kraxner

Thomas Ask an Vierich

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F o t o s : r o w o h l t, s u h r k a m p, r a n d o m h o u s e , H a r v a r d U n i v e r s i t y P r e s s

Gesellschaft Die Frauen überholen die Männer am Arbeitsmarkt und ganz besonders bei den akademisch Qualifizierten


Was ist eine frau?

heureka

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Kommentar Arkadenhof der Uni Wien

Grafikkabinett Püribauers Tierversuche

Der Muse reicht’s E r i c h K le i n

„Es ist naiv zu glauben, dass man den Frauen Gutes will“

Was kann Frau? Und was will Frau? Die Kanadierin Susan Pinker beschäftigt sich mit den Entwicklungen der Geschlechter. Welche Rolle spielt die Kindheit für künftige Lebensentscheidungen von Mann und Frau? Ist es biologisch bedingt, dass die Frau auf der Karriereleiter immer hintennach ist? Und was macht Männer mit Lernschwächen zu erfolgreichen Managern?

Bist du eine Frau? Diese Frage ist nicht ganz neu. Schon im 19. Jahrhundert war die Medizin mit Sexualdifferenzierungsstörungen, also mit Patienten von uneindeutigem Geschlecht, konfrontiert. Mangelndes Wissen trieb Mediziner oft zu brutalen Eingriffen. Alice Domurat Dreger gibt Einblick in die Arztpraxen vor über 150 Jahren, entführt nach England und Frankreich und untersucht, wie Männer damals Frauen definierten.

schehen. Uni und Gebäudeverwalter BIG schrieben einen Wettbewerb aus. Ihn gewann die Wienerin Iris Andraschek mit „Der Muse reicht’s“. Das Werk im Arkadenhof des Hauptgebäudes ist ein ironischer Kommentar. Noch immer gilt Musils Regel, Denkmäler haben es an sich, dass sie nicht beachtet werden. Ohnedies musste eine Frau zumindest Kaiserin sein, um eines zu bekommen. Der Volksmund witzelte über Pallas Athene, die Göttin der Weisheit, sie stehe vor dem Parlament, weil drinnen keine Weisheit herrsche. Im universitären Tempel des Wissens ist mit Monumenten nicht mehr zu spaßen: Der Siegfriedkopf in der Eingangshalle, vor dem studierende Nazis seinerzeit „Juden raus, Sozis raus!“ skandierten, bekam letzthin einen Glassturz samt polit-korrektem Kontext; gleichzeitig wurde er dezent zur Seite gerückt. Dahinter öffnet sich das Tor zum Walhalla der Geisteswelt um 1900: die aufkommende Wissensgesellschaft erstarrte dort zu 150 Büsten und Gedenktafeln bedeutender Männer aller Fakultäten. Verfassungsvater Kelsen und Nobelpreisphysiker Schrödinger kamen in den 80ern, später Freud und die von den Nazis ermordeten Koryphäen der medizinischen Fakultät dazu. Die einzige Frau unter all dem ist Marie von Ebner-Eschenbach – und Castalia, die in der Mitte sitzende Quelle und Muse der Inspiration. Iris Andraschek installierte zu Füßen dieses Symbols der Aufklärung einen monumentalen Schatten quer durch den Hof. Die Silhouette einer Frauenfigur mit erhobener Hand entspricht den Regeln von Kunst am Bau in historischen Ensembles, stößt sie um und nimmt dabei die ganze Geschichte mit. Das Pathos des Aufbruches, als wären alle Frauen in Gestalt dieses Schattens von den umstehenden Säulensockeln gestiegen, ist Erinnerung und Aufforderung an Männer wie Frauen. Zumindest kann man die angebrachte, höchst sperrige Inschrift so lesen: „Erinnerung an die nicht stattgefundenen Ehrungen von Wissenschaftlerinnen – und an das Versäumnis, deren Leistungen an der Universität Wien zu würdigen.“ Wie wird es gewesen sein, wenn ein Denkmal nicht nur Denkmal bleibt. Sind Frauen nur Opfer? Der Muse reicht’s, ist ziemlich zweideutig. Und man muss dabei aufpassen, nicht über die Stiegen zu stolpern.

Susan Pinker. Begabte Mädchen, schwierige Jungs – der wahre Unterschied zwischen Männern und Frauen. Pantheon. 448 Seiten. 2009

Alice Domurat Dreger. Hermaphrodites and the Medical Invention of Sex. Harvard University Press. 268 Seiten. 2000

Tipp: Erich Klein in der Reihe City-Walks, Falter Verlag: „Denkwürdiges Wien, 3 Routen zu Mahnmalen, Gedenkstätten und Orten der Erinnerung“

Claudia von Werlhof, Frauenforscherin, Uni Innsbruck

Ill u st r at i o n : B e r n d P ü r i ba u e r

Freihandbibliothek Buchtipps von Emily Walton

F o t o s : r o w o h l t, s u h r k a m p, r a n d o m h o u s e , H a r v a r d U n i v e r s i t y P r e s s

Frau sein hat keine Logik

Fotos: uni graz, Hans Kraxner

undert Jahre nach der ersten PromotiH on einer Frau an der Uni Wien, dachten die Verantwortlichen, muss etwas ge-

Es war eine These, die anfangs provozierte: Judith Butler schrieb in den frühen 90ern als eine der Ersten davon, dass das Geschlecht biologisch nicht zu definieren sei. In diesem Buch geht die US-Forscherin der Geschlechterfrage nach und beruft sich dabei auf die Unterscheidung zwischen „sex“ und „gender“, zwischen dem biologischen Geschlecht und der sozialen Geschlechts­ identität. Ihr Ziel ist es, die festgefahrene Logik, dass Kopf und Körper übereinstimmen müssen, zu durchbrechen. Geschlecht ist für Butler etwas Performatives und Veränderbares. Heute ist das Unbehagen der Geschlechter ein Standardwerk, soeben in der vierten Auflage erschienen. Judith Butler. Das Unbehagen der Geschlechter. Suhrkamp. 236 Seiten. 2009 Biologisch bedingte Lebensplanung

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Wer und was bin ich?

Calliope Stephanides, Enkel griechischer Einwanderer, erzählt seine Geschichte zwischen den Geschlechtern: Mit 14 bemerkt er, dass er nicht nur Mädchen, sondern auch Mann ist. Er hat bisher übersehene männliche Geschlechtsmerkmale und fühlt sich zu Frauen hingezogen. Fortan lebt er als Zwischengeschlecht und macht sich auf die Suche nach seinen Genen, seiner Familie. Jeffrey Eugenides ist ein berührendes Familienepos gelungen, in dem die Fragen „Wer und was bin ich?“ zu einer modernen griechischen Sage verwoben werden. Jeffrey Eugenides. Middlesex. Rowohlt. 736 Seiten. 2004 Wenn Mann eine Frau macht

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Was ist eine frau?

emily walton

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er Vater kneift die Augen zusammen, blickt auf den Bildschirm. Falten bilden sich auf seiner Stirn. Nichts ist für ihn auf dem Ultraschallbild zu erkennen. „Nun sagen Sie schon. Was wird es?“ Seine Frau quetscht aufgeregt seine Hand. „Es wird … ein Mädchen“, sagt die Ärztin. Die Eltern strahlen. Sie denken an Namen: Sarah, Stefanie, vielleicht Regina; fahren in den Baumarkt, kaufen rosa Tapete, während Oma pinke Socken strickt. Sie erziehen eine Tochter mit Locken, großen Augen und einer Vagina. Als in der Pubertät die Regelblutung ausbleibt, liegt das Mädchen selbst beim Frauenarzt. Auf dem Ultraschallbild: nichts. Kein Baby, aber auch keine Gebärmutter und keine Eierstöcke. Solche Fälle kennt Ulrike Kaufmann, Ärztin und medizinische Beraterin von transsexuellen Personen im Wiener AKH. „Vor kurzem kam ein junges Mädchen zu mir“, sagt sie in der Ambulanz 9D, Frauenheilkunde. „Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke fehlten ihr.“ Kaufmann führte Untersuchungen durch. Und die sollten viel mehr über das Mädchen aussagen als die Tatsache, dass sie niemals Kinder bekommen würde: „Beim Nachweis der Chromosomen zeigte sich ein Y-Chromosom, das heißt ein männlicher Karyotyp mit 46 XY und nicht der einer Frau mit 46 XX.“ Kaufmanns Diagnose: testikuläre Feminisierung, auch als Complete Androgen Insensitivity Syndrom, CAIS, bekannt. Die Rezeptoren der Zielzellen für Testosteron sind defekt, der Körper kann das Hormon nicht verarbeiten. Ein weiblicher Körper entsteht – bei männlichem Chromosomensatz. „Bei der Geburt erscheinen diese Mädchen trotz männlicher Keimdrüsen komplett weiblich. Oft fallen erst Monate nach der Geburt Schwellungen in den Leisten auf, die sich als Hoden herausstellen“, sagt der Kinderhormonspezialist Stefan Riedl, der an der Universitätsklinik für Kinderund Jugendheilkunde Wien Kinder mit Störungen der Geschlechtsentwicklung betreut. Eine junge Frau mit Brüsten, Vagina und Hoden. Ist das eine Frau?

Geschlechtsteile belegen gar nichts „Es ist schwierig, beinahe unmöglich, diese Frage zu beantworten, denn die äußeren Geschlechtsteile sagen gar nichts aus“, sagt Elisabeth Oberzaucher, Anthropologin an der Uni Wien, „ausschlaggebend ist der weibliche Chromosomensatz, Karyotyp 46 XY.“ Das ist doch eine Antwort! Doch dann kommt der Zusatz: „meistens“. „In der Regel stimmen Chromosomen und Geschlechtsorgane überein. Aber es gibt auch Sonderfälle.“ Die Ausnahme bildet etwa jenes Neugeborene unter 4000 anderen, das mit uneindeutigem Geschlecht, einer Sexualdif-

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Was ist eine F

ferenzierungsstörung (Disorder of Sexual Development, DSD) zur Welt kommt. Rund 20 solche Patienten mit DSD gibt es pro Jahr in Österreich. Die testikuläre Feminisierung ist nur eines von vielen Erscheinungsbildern. So gibt es Anomalien der Geschlechtschromosomenzahl: Patientinnen mit Ulrich-Turner-Syndrom fehlt ein X-Chromosom, eins der beiden Geschlechtschromosomen. Funktionsverlust der Eierstöcke, Kleinwuchs und Unfruchtbarkeit sind die Folge. Das Klinefelter-Syndrom hingegen betrifft Buben und Männer. Sie haben zum männlichen Karyotyp ein zusätzliches X-Chromosom (47, XXY). Die Hoden degenerieren zu Beginn der Pubertät. Die Testosteronproduktion ist reduziert, Mangelerscheinungen sind fehlende Spermienbildung „Die häufigste Sexualdifferenzierungsstörung bei Mädchen ist das andrenogenitale Syndrom AGS“, sagt Riedl. Die Bildung des Stresshormons Cortisol ist gestört, stattdessen produziert die Nebennierenrinde Sexualhormone, die den Körper vermännlichen lassen.

Wir kennen Mann und Frau. Doch nicht immer ist das eindeutig. Was, wenn Frau Hoden statt Eierstöcken hat? Oder aus einem Mann eine Frau mit Penis wird?

Die Frau entsteht im Kopf

Mit Eierstöcken und Penis Dann können Mädchen mit Eierstöcken und Penis auf die Welt kommen – oder zumindest mit etwas, das einem Penis ähnlich sieht. Die Klitoris tritt als übergroße Ausstülpung (Klitorishypertrophie) auf. Ab 2,5 Zentimetern definiert die Medizin den Kitzler als Penis. „Klitoris und Penis haben eine sehr ähnliche Struktur“, sagt Anthropologin Oberzaucher. Soll heißen: Im Grunde haben wir alle einen Penis. „Und im Grunde sind wir alle Frauen. Ohne die Einflüsse von Hormonen, würden sich alle Embryos zur Frau entwickeln.“ Der Mediziner Riedl holt weiter aus, führt die Geschlechtsdifferenzierung auf die Gene zurück. Im Zentrum steht das SRY-Gen (Sex-determining region Y chromosome gene), das für die männliche Entwicklung zuständig ist. Ist SRY vorhanden, entstehen aus den Keimdrüsenanlagen Hoden. Die weiblichen Anlagen der inneren Geschlechtsorgane bilden sich zurück, das Sexualhormon Testosteron wird produziert. Testosteron ist verantwortlich für die Entwicklung des Penis und der Hoden. Testosteron macht die Gesichtszüge eckiger, den Rücken breiter und Körperbehaarung, kurz, Testosteron macht den Mann zum Mann, und damit anders als die Frau. Unter Einfluss des Sexualhormons ist der Mann erregter, aktiver, aggressiver – aber auch anfälliger, denn Testosteron schwächt das Immunsystem. Der Referenzbereich für Testosteron liegt laut Kaufmann bei Männern zwischen 2,5 und 8,4 ng/ml. Auch Frauen verfügen über das männliche Sexualhormon, wenn auch nur in ge-

ringer Konzentration: Zwischen 0,08 und 0,48 ng/ml liegt der weibliche Wert. Sind Testosteronmarker vielleicht die Lösung, um das Geschlecht zu bestimmen? „Auf keinen Fall“, sagt Kaufmann. Denn es gibt eine Vielzahl an Erkrankungen, die zu erhöhten Testosteronwerten bei Frauen führen können. „Beim Polyzystischen Ovarsyndrom etwa erhöhen sich die männlichen Hormone.“ Zyklusstörungen, Haarausfall oder Haarwachstum an unüblichen Stellen sind die Folge. Trotzdem bleibt Frau Frau. Auch Kaufmanns Patientin mit den XY-Chromosomen hatte einen Testosteronwert außerhalb des weiblichen Normbereichs. Noch ein Grund, ihr zu sagen, dass sie nicht das ist, wofür sie sich hält? Obwohl sie wie eine Frau fühlt und denkt?

Ab 2,5 Zentimetern definiert die Medizin den Kitzler als Penis. Klitoris und Penis haben eine sehr ähnliche Struktur. Soll heißen: Im Grunde haben wir alle einen Penis

Frausein ist auch Kopfsache, sagt die Anthropologin Oberzaucher: „In der embryonalen Entwicklung ist vor allem das Östrogen der Mutter ausschlaggebend. Ein weiblicher Embryo kann das Östrogen der Mutter abbauen, ein männlicher nicht. Es entstehen unterschiedliche Hirnstrukturen“. Die Hirnhälften sind bei Frauen stärker verbunden. Das Klischee, Frauen verfügten eher über vernetztes Denken und sprachliche Intelligenz, Männer seien dafür stärker mathematisch-mechanisch veranlagt, stimmen. Aber auch hier folgt der Zusatz: „meistens“. „Die Entwicklung des Gehirns eines Embryos passiert über einen anderen hormonellen Pfad als die des Körpers“, sagt Oberzaucher. „So kann es durchaus vorkommen, dass ein weibliches Gehirn in einem männlichen Körper sitzt.“ Dann kommt ein Bub mit der Fähigkeit zum Multitasking auf die Welt. Macht ihn das mehr zur Frau? „Nein“, sagt Oberzaucher. „Der Mensch ist ein Individuum. Schwankungsbreiten und Überlappungsbereiche sind natürlich.“ Grundsätzlich weist das Gehirn der Frau aber Unterschiede zum männlichen auf: Es hat weniger Gesamtvolumen und wiegt im Schnitt 1245 Kilogramm, ein paar Gramm weniger als jenes der Männer. Ist das ein Anhaltspunkt? Sollten alle Frauen in die Röhre zur Magnetresonanztherapie, um als Frau identifiziert zu werden? Vielleicht ist aber auch die Fingerlänge das „wahre“ Differenzierungsmerkmal. Oberzaucher sagt, dass es einen Zusammenhang zwischen Fingerwachstum und Gehirnentwicklung gibt: „Ein langer Ringfinger, meist länger als der Zeigefinger, deutet auf eine hohe Hormonkonzentration und damit Vermännlichung des Gehirns in der vorgeburtlichen Entwicklung hin. Bei Frauen ist der Ringfinger meist kürzer als der Zeigefinger.“ Handfeste Anhaltspunkte für Mann und Frau sind auch diese Ergebnisse freilich nicht.

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WAS IST EINE FRAU?

e Frau?

nis. Welches Geschlecht hat diese Person? Der Verfassungsgerichtshof in Österreich hat ein Urteil über den Personenstand von Transsexuellen gesprochen: Wer sich als Frau fühlt und dies nach außen trägt, kann auch mit männlichen Genitalien als Frau registriert werden, wenn sich das äußere Erscheinungsbild an das weibliche Geschlecht annähert.

Zumal sich das Gehirn auch verändern kann, etwa im Zuge einer Hormontherapie bei der Geschlechtsumwandlung. „Männer, die zu Frauen werden, berichten davon, dass sie unter dem Einfluss von Östrogen beim Fotografieren oder Malen kreativere Techniken entwickeln“, sagt Transsexuellenexpertin Kaufmann.

Wie weiblich bin ich? Nach einer Geschlechtsumwandlung lebt Mann als Frau und Frau als Mann. Transsexuelle sind der Beweis, dass es das bloße biologische Geschlecht nicht gibt. Viel eher macht das Individuum selbst das Geschlecht. Doch wann entscheidet Frau, sich als Frau zu fühlen und zu benehmen? „Die Geschlechtsidentität kommt im Kleinkindalter auf“, sagt die Wiener Entwicklungspsychologin Brigitte Rollett. Bis zur Pubertät legt sich der Jugendliche meist fest. „Aber es gibt keinen Stichtag, bis zu dem man sich entschieden haben muss. Ich habe transsexuelle Klienten, die sich erst mit 30 entscheiden, sich als Frau zu empfi nden. Sie fühlen sich im falschen Körper.“ Schon im Kindesalter sind Tendenzen in die gegengeschlechtliche Richtung keine Seltenheit. Wann muss man sie ernst nehmen? „Wenn sie lange anhalten und sich auf den Alltag auswirken“, sagt der Kinderendokrinologe Riedl. Wenn sich ein Bub etwa weigert, in der Schule das Bubenklo zu benützen oder die Kleidung der Schwester anziehen will. Bei etwa einem Fünftel der betroffenen Kinder ist die Störung anhaltend. „Man muss es auf jeden Fall ernst nehmen“, sagt die Medizinerin Kaufmann. In Holland betreuen Ärzte und Psychiater auch Jugendliche mit Geschlechtsidentitätsstörung und bereiten sogar die Geschlechtsumwandlung auf hormoneller Ebene vor.

Für transsexuelle Teilnehmer an den Olympischen Spielen gibt es inzwischen Auflagen

Was ist eine Frau?

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Wer lebt wie eine Frau, ist eine Als Frau zu leben, sagt somit mehr über „Frau“ aus, als biologisch eine Frau zu sein. Jeder entscheidet – früher oder später – für sich selbst, was er ist. Mann oder Frau? Diese Wahlmöglichkeiten lässt die Gesellschaft heute zu. Doch bis ins späte 18. Jahrhundert dominierte das Ein-Geschlecht-Modell, sagt die Historikerin Edith Saurer: „Man ging davon aus, dass Mann und Frau körperlich gleich gebaut sind, mit dem Unterschied, dass beim Mann der Penis eben draußen, bei der Frau drinnen ist.“ Zwar unterschied man zwischen den Geschlechtern, aber eine ausgefeilte biologische Unterscheidung brachte erst das 19. Jahrhundert. 2010 ist die Welt zweigeschlechtlich defi niert. Ist die Zuordnung bei der Geburt nicht möglich, greift die Medizin ein. „In den 60ern und 70ern hat man oft zu schnell gehandelt, einerseits aus mangelndem Wissen, andererseits durch Beschränkungen der operativen Genitalchirurgie“, sagt Riedl. Alles, was zu klein für einen Penis war, wurde zum weiblichen Genitale gemacht – ungeachtet des „echten“ Geschlechts. Heute wartet man eher zu, bevor defi nitive Schritte, wie etwa die Keimdrüsenentfernung, gesetzt werden.

Das gelebte dritte Geschlecht

Geschlechtsumwandlung bei Kindern In Österreich sind solche Eingriffe bei transsexuellen Jugendlichen vor dem 18. Lebensjahr nicht zugelassen. Dabei könnte man den Betroffenen einen langen Leidensweg ersparen: Eine hormonelle Therapie wird eingeleitet, noch bevor sich irreversible sekundäre Geschlechtsmerkmale (Körperbau, Stimmbruch, Behaarung, Busen) ausbilden. Diese medikamentöse Pubertätsverzö1960 gerung dient auch dazu, den Betroffenen eine verlängerte Bedenkzeit zu geben, bevor eine defi nitive Behandlung mit dem gegengeschlechtlichen Hormon erfolgt. Erst dann wird der fi nale Schritt eingeleitet: die operative Geschlechtsumwandlung. „Manche Patienten wollen aber nur eine hormonelle Angleichung des Geschlechts“, sagt die Transsexuellenexpertin Kaufmann. Eine Hormontherapie 1960 1990 stoppt dann den Bartwuchs, das Gesicht bekommt feminine Züge. Mann benimmt sich als Frau – und hat trotzdem einen Pe-

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Skizze: Lisa Elena Hampel

Obwohl die westliche Gesellschaft von einem binären Mann-Frau-System ausgeht, existiert auch ein tatsächliches Geschlecht dazwischen: Im Fall von „echtem Herma1990 2010 phroditismus“ haben Betroffene sowohl Eierstock- als auch Hodengewebe und innere Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter. Das soll aber nicht heißen, dass es einen menschlichen Zwitter gibt. „Weibliche und männliche fortpflanzungsfähige Geschlechtsorgane in einem Körper, das existiert nicht“, sagt die Anthropologin Oberzaucher. Es2010 gibt aber das gelebte „dritte Geschlecht“, das in vielen Kulturen sozial anerkannt ist. Menschen leben als Zwischengeschlecht – zwischen Mann und Frau. Die Hijras in Indien sind etwa Männer, die Saris tragen und Frauennamen annehmen. Häufig sind sie kastriert, entmannt also. Frausein ist aber längst nicht das Ziel ihres Lebensstils. Die Frage „Bist du Mann oder Frau?“ stellt sich nicht. „Wer unbedingt das Geschlecht ‚Frau‘ defi nieren will, sollte immer auch das Ziel hinterfragen“, sagt Oberzaucher. „Im Leistungssport etwa wird das

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Geschlecht immer wieder zum Thema, da der Testosteronspiegel eine wichtige Rolle für den sportlichen Erfolg spielt.“ Das Internationale Olympische Komitee IOC und der internationale Leichtathletikverband IAAF beschäftigen sich seit den 60ern mit dem Thema Frau – fast noch intensiver als die Wissenschaft. Denn immer wieder kommt das uneindeutige Geschlecht im Sport vor. Die polnische Sprinterin Ewa Klobukowska (Weltrekord Staffellauf 1964) hatte zusätzlich zu ihren beiden X-Chromosomen ein Y-Chromosom. Und auch Skiweltmeisterin Erika Schinegger (1966) war genetisch männlich – mit nach innen gewachsenen Geschlechtsteilen. Heute lebt Erika als Erik, als Mann.

Das Geschlecht im Sport 1966 wurden im Sport erste Geschlechtstests eingeführt, bei denen Frauen sich nackt den Gutachtern stellen mussten: Brüste und Vagina machten zur Frau. Später sollte ein Abstrich der Wangeninnenseite feststellen, ob die Sportlerin dem weiblichen Karyotyp 46 XX entspricht. Doch in den 90ern hat man begonnen, diese Geschlechtstests wieder zu hinterfragen. Beim IOC wurden zum letzten Mal alle Teilnehmerinnen bei den Olympischen Sommerspielen 1996 in Atlanta überprüft. Sieben Teilnehmerinnen wurden diagnostiziert, die sich körperlich weder vollständig zur Frau noch zum Mann entwickelt hatten. Sie durften trotzdem antreten. Seit 1999 verzichtet das IOC auf Geschlechtstests, der IAAF testet nur noch in Zweifelsfällen – so wie etwa im Vorjahr im Fall der Läuferin Caster Semenya. Die südafrikanische Sportlerin mit flacher Brust, Oberlippenbart und Vagina räumte Gold ab. „Ihr erhöhter Testosteronspiegel führte zu Leistungen, mit denen sich „normale“ Frauen nicht messen können. Vielleicht wäre eine andere Einteilung als in Mann/ Frau-Kategorien im Sport eine bessere Lösung“, sagt die Anthropologin Oberzaucher. Doch wo ansetzen? Beim Hormonhaushalt? Bei der Muskelmasse? Gynäkologen, Endokrinologen, Psychologen, Mediziner und Genderexperten beschäftigen sich mit Semenya und sollen Ergebnisse liefern, statt wie bisher ein bloßer Laborbefund. Ein zaghaftes Umdenken hat stattgefunden. Auch für transsexuelle Teilnehmer an den Olympischen Spielen gibt es Auflagen: Liegt die Geschlechtsumwandlung zehn Jahr zurück, ist die Teilnahme im „neuen“ Körper erlaubt. Eine allgemeingültige Defi nition für „Frau“ hat man aber weder im Sport noch in der Wissenschaft gefunden. Das Geschlecht ist keine bloß biologische Tatsache mehr. „Frau ist, wer als Frau lebt und fühlt“, sagt die Medizinerin Kaufmann. Denn daran können weder Operation noch Medikamente etwas ändern.

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Was ist eine frau? Falter HEUREKA: Frau Ministerin, Sie sind Juristin. Gibt es eine juristische Definition von Frau? Beatrix Karl: Frauen und Männer sind Men-

„Im Bereich der öffentlichen Universitäten haben wir derzeit keine einzige Chefin. Das muss sich ändern.“

schen. Das muss man nicht juristisch erklären.

Frauen erhalten für gleiche Arbeit nur in seltenen Fällen dasselbe Gehalt wie Männer … Beatrix Karl: Dass die Einkommensschere

nach wie vor so weit auseinanderklafft, ist ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft. Die Arbeit von Frauen und Männern ist gleich viel wert und muss daher auch in derselben Höhe abgegolten werden. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist selbstverständlich einklagbar. Aber auch die EU plant hier verstärkt Maßnahmen. Ich sehe aber auf nationaler Ebene maßgeblich meine dafür zuständigen Ministerkollegen Heinisch-Hosek für Frauen und Hundstorfer für Arbeit gefordert. Ich erwarte mir, dass auch auf nationaler Ebene Maßnahmen zur Schließung der Einkommensschere getroffen werden – Lippenbekenntnisse rund um den internationalen Frauentag sind zu wenig.

Beatrix Karl, Wissenschaftsminiterin

Haben Sie unterschiedliche Herangehensweisen an wissenschaftliche Probleme bei Frauen und Männern bemerkt? Beatrix Karl: Unterschiedliche Herange-

Foto: Christian Jungwirth

hensweisen an wissenschaftliche Probleme sind keine Frage des Geschlechts, sondern eine Frage der eigenen Erfahrung und der individuellen Kreativität.

Gibt es eine „weibliche“ Rechtswissenschaft oder Rechtssprechung? Beatrix Karl: Es gibt immer mehr Frauen so-

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„Nicht zufriedenstellend“ Wissenschaftsministerin Beatrix Karl über die Chancen von Frauen in Wissenschaft und Gesellschaft

i n t er v i ew : chr i s t i a n z i l l n er

Ist hier eine Veränderung in Gang? Beatrix Karl: Die Veränderung ist im Gang.

Im akademischen Mittelbau liegt der Frauenanteil bereits bei 43 Prozent. Zudem sind Bemühungen des BMWF, wie das Programm „excellentia – Ein High Potentials Programm zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft“, zu nennen. Das Programm wurde 2004 auf Empfehlung des frauenpolitischen Beirats etabliert und unterstützt mit finanziellen Anreizen die Anhebung des Professorinnenanteils an den österreichischen Universitäten. Bei den Zweitabschlüssen (Doktorat, Master), bei den wissenschaftlichen und künstlerischen MitarbeiterInnen und bei den ProfessorInnen hat sich der Frauenanteil in den vergangenen vier Jahren merklich verbessert. Er ist mit 18,7 Prozent noch nicht zufriedenstellend. Aber die Dynamik ist da, ich will diese Entwicklung weiter vorantreiben. Haben Sie in Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn an sich selbst ein Zögern vor unbekannten Problemen bemerkt?

Beatrix Karl: Natürlich gab es immer wieder

mal Zweifel, aber wer kennt das denn nicht. Die Angst vor dem Scheitern kann auch ein ungemeiner Ansporn sein, nichts unversucht zu lassen, um ein Ziel zu erreichen. Aber es sei auch gesagt: Wer nie scheitert, wird auch nichts lernen.

Gibt es eine Rektorin an einer österreichischen Universität? Beatrix Karl: Ja, wir haben derzeit bereits

zwei Rektorinnen an österreichischen Privatuniversitäten. Christa Them an der UMIT in Hall/Tirol und Marianne Betz an der Anton Bruckner Uni in Linz. Betz ist gleichzeitig auch die Vorsitzende der Österreichischen Privatuniversitätenkonferenz. Außerdem haben wir mit Eva Werner seit letztem Herbst auch eine Rektorin einer Österreichischen Fachhochschule und im Bereich der Pädagogischen Hochschulen hat es mit der Bestellung von Dagmar Hackl zur Rektorin der PH Wien bereits 2006 den Auftakt zur Bestellung zahlreicher Rektorinnen österreichweit gegeben. Nur im Bereich der öffentlichen Universitäten haben wir derzeit keine einzi-

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Fotos: Theresa Dirtl/Univer sität Wien; Privat

wohl in der Rechtswissenschaft als auch in der Rechtssprechung. Dadurch werden beide Gebiete mit neuen Sichtweisen und Herangehensweisen angereichert. Und das ist sicher ein Vorteil. Von 22.924 Studierenden des Diplomstudiums Rechtswissenschaften im Wintersemester 2009 waren 12.719 Frauen, das sind 55,5 Prozent. Im Doktoratsstudium waren von 5009 Studierenden 2455 Frauen, das sind immerhin 49 Prozent. Laut jüngster Wissensbilanz der Universitäten über das Studienjahr 2007/08 wird die Lehre in Rechtswissenschaften zu 30 Prozent von Frauen bestritten. Die Tendenz ist weiter steigend, die Rechtswissenschaften sind hier ein absolut positives Beispiel. Die Parität zwischen weiblichen und männlichen Studierenden an öffentlichen Universitäten wurde 1999/2000 erreicht, bei den Abschlüssen im darauffolgenden Studienjahr. Die Dauer einer wissenschaftlichen Laufbahn ab Erstabschluss kann wohl nur marginal dazu beigetragen haben, dass Frauen auf der ProfessorInnen­ ebene noch nicht gleichziehen konnten. Eine Erklärung ist sicher, dass die Gleichstellung auf der Alltagsebene noch nicht ganz funktioniert: Wenn es drei Assistenten gibt – zwei davon männlich und eine Frau – dann ist es meistens die Frau, die die administrativen Arbeiten erledigt, während sich die Männer der Forschung widmen. Ein anderer Punkt ist die Vereinbarkeit mit der Familie – als Wissenschaftlerin kann man nicht um 16 Uhr den Bleistift fallen lassen. Hier brauchen wir flexiblere Kinderbetreuungseinrichtungen.


Was ist eine frau?

Frauen sind in der Physik in Österreich stark unterrepräsentiert. Fehlt es an Chancengleichheit? Te x t: Uschi Sor z

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Kann man Bestellungen in Richtung Bevorzugung von Frauen bewegen? Beatrix Karl: Im Bundesgleichbehandlungs-

Foto: Christian Jungwirth

Regina Hitzenberger, Forschungsgruppe Aerosol- und Umweltphysik, Fakultät für Physik, Uni Wien

Fotos: Theresa Dirtl/Univer sität Wien; Privat

Eine Spitzenbeamtin hat mir erzählt, sie müssen Frauen förmlich beknien, um sie dazu zu bringen, sich für Führungspositionen zu bewerben … Beatrix Karl: Natürlich gibt es solche Fälle.

Hier geht es aber nicht darum, dass Frauen sich diese Aufgaben nicht zutrauen würden. In erster Linie geht es hier darum, dass die Vereinbarkeit mit der Familie hierbei eine große Rolle spielt. Solange Arbeitgeber nicht flexibler werden, werden Frauen in Führungspositionen auch Einzelerscheinungen bleiben. Und mit Arbeitgeber meine ich hier nicht nur die Privatwirtschaft – hier ist auch der Bund gefordert, genauso auch wie unsere Universitäten und Hochschuleinrichtungen. Essenziell ist bei der Unterstützung junger Wissenschaftlerinnen vor allem, möglichst früh mit Fördermaßnahmen zu beginnen. Mithilfe von Nachwuchsförderprogrammen, wie Doktorats- und Habilitationsstipendien oder Mentoringprogrammen, werden junge Wissenschaftlerinnen beim Vorantreiben ihrer wissenschaftlichen Karrieren unterstützt. Das BMWF unterstützt weiters öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, sogenannte Visibility-Maßnahmen, um auch das Bewusstsein dafür zu schaffen und Wissenschaftlerinnen vor den Vorhang zu holen.

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Gibt es eine weibliche Physik?

ge Chefin. Das muss sich ändern. Ich hoffe, dass durch die von mir initiierte Gründung des Forums Gender & Diversity innerhalb der Universitätenkonferenz auch eine vermehrte Auseinandersetzung mit der Chancengleichheit von Frauen und Männern erfolgt. Die Oldboys-Networks an den Universitäten müssen aufgebrochen werden, sonst werden es Frauen nie schaffen, an die Spitze zu kommen. Frauenförderung sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch Gender Budgeting sind Themen in den Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten, und ich werde mir hier ganz genau anschauen, welche Maßnahmen die Universitäten in diesen Bereichen setzen.

gesetz, das auch für die Universitäten gilt, gibt es das Frauenförderungsgebot. Es besagt, dass bei gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt aufzunehmen sind, solange noch keine 40 Prozent Frauenquote erreicht ist. Auf Empfehlung des Frauenpolitischen Beirats wurde Anfang 2009, gefördert vom BMWF, ein Projekt zur externen Beratung und Begleitung der Qualitätsentwicklung des Berufungsmanagements gestartet. Durchgeführt wird es von der österreichischen Qualitätssicherungsagentur AQA, zehn österreichische Universitäten nehmen daran teil. Mit der letzten Novellierung des UG 2002 wurde außerdem eine verpflichtende 40 Prozent Frauenquote für alle universitären Gremien und Organe eingeführt. Aber es geht nicht nur um die Lehre. Frauen müssen sowohl in Lehre als auch in Forschung vertreten sein. Frauen müssen dieselben Rahmenbedingungen vorfinden wie Männer, um eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere absolvieren zu können.

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Helga Stadler, Physikdidaktikerin (emer.), Institut für Theoretische Physik, Uni Wien

Martina Erlemann, Physikerin und Soziologin, Uni Klagenfurt und Wien

ie Frage nach einer weiblichen Physik in dem Sinn zu stellen, ob Frauen an Forschungsaufgaben möglicherweise auf eine andere Art herangehen und dadurch einen anderen Input liefern, stieß bei den befragten Physikerinnen an heimischen Universitäten eher auf hochgezogene Augenbrauen. „Natürlich nicht“, sagt etwa die Wiener Universitätsprofessorin Regina Hitzenberger von der Forschungsgruppe Aerosol- und Umweltphysik. „Physik beschreibt Gesetzmäßigkeiten und erfordert eine strukturierte Art des Denkens, aber das hat nichts mit männlich oder weiblich zu tun.“ Die Methodik sei zudem stark vorgegeben. „Die Geschlechterverteilung in der Physik ist eine andere Frage, aber unterschiedliche Zugänge sehe ich nicht.“ Als Vorstandsmitglied des Arbeitskreises „Chancengleichheit in der Physik“ ist es Hitzenberger schon aus Gründen der Gerechtigkeit ein Anliegen, „dass jeder und jede sein bzw. ihr volles Potenzial entfalten kann“. Zum Beispiel werden Frauen an der Fakultät bewusst zum Doktoratsstudium ermutigt. „An der Schnittstelle vom Diplom zum Doktorat verlieren wir gut ein Viertel der Frauen.“ Und die machen ohnehin keinen großen Anteil an den Studierenden aus: „Bei den Studienanfängerinnen haben wir rund 30 Prozent, bis zum Doktorat sind es deutlich weniger als 20 Prozent.“ Frauenförderung könne nicht greifen, „wenn es keine Frauen gibt, die man fördern kann“, konstatiert die Physikerin Hitzenberger trocken. Die Initiativen des Arbeitskreises gehen daher in Richtung Mentoring und Networking. Während der Frauenanteil in anderen Naturwissenschaften steigt und in manchen sogar gleichwertig oder höher ist, sind Frauen in Physik und Technik zumindest in Österreich und Deutschland noch immer stark unterrepräsentiert. Martina Erlemann, studierte Physikerin und promovierte Wissenschaftssoziologin, stellt in diesem Zusammenhang die Frage, was es für Folgen hat, „dass Physik nach wie vor eher als etwas Männliches konstruiert wird“. Dass es auch ihrer Ansicht nach keine weibliche Physik im Sinne des biologischen Geschlechts gebe, bedeute nicht, dass die Physik oder andere Naturwissenschaften geschlechtneutral wären, sagt Erlemann, die an den Universitäten Augsburg und Klagenfurt in der Gender- und Wissenschaftsforschung arbeitet.

„Solange der wechselseitige Verweisungszusammenhang von Physik und Maskulinität aufrechtbleibt, man Physik beispielsweise mit einer Art zu denken assoziiert, die man Männern zuschreibt, stellt sie für viele Frauen keine attraktive Wissenschaft dar“, erklärt Erlemann. Der Chancengleichheit käme es sicherlich zugute, diese historisch gewachsene Verknüpfung aufzulösen. Denn „den Physikerinnen bringt diese Art der Forschung Spaß, für sie ist nichts Maskulinisierendes in der Physik“. Die Wiener Physikdidaktikerin Helga Stadler meint – allerdings mangels adäquater Studien ohne gesicherten Beleg, wie sie betont –, dass eine gewisse Tendenz bei der Auswahl innerhalb des Fachs zu beobachten sei. „Frauen scheinen gern in neuen Feldern zu forschen, die noch nicht hierarchisch besetzt sind.“ Als historisches Beispiel nennt sie die Kernphysik. „Und zwar nicht nur Marie Curie“, erläutert Stadler, „in Wien hat es viele berühm-

„Frauenförderung kann nicht greifen, wenn es keine Frauen gibt, die man fördern kann“ Regina hit zenberber fa k u lt ä t f ü r p h y s i k , u n i w i e n

te Frauen auf diesem Gebiet gegeben, wie etwa Lise Meitner.“ Aus der Physikdidaktik wisse man auch, dass Sinnfindung und soziale Aspekte wichtig sind, um das Interesse von Mädchen zu wecken. „Das auf die Wissenschaft umzulegen könnte bedeuten, dass sich Frauen von den neuen integrativen Bereichen angezogen fühlen oder solchen wie Quantenmechanik, bei denen es um existenziellere Fragen des menschlichen Denkens geht.“ Um mehr Frauen in die Physik zu bringen, müsse man früh ansetzen, sagt Stadler und bedauert, dass in unserem differenzierten Schulsystem die Weichen so entscheidend gestellt werden. In dem Alter, in dem sie zwischen verschiedenen Schultypen wählen müssen, reagieren Jugendliche besonders sensibel auf die vorgegebenen Konnotationen eines Fachs. „Wenn Physik nicht ausreichend und gut vermittelt wird, wie können Mädchen je feststellen, ob sie das Fach interessant finden, oder das Selbstbewusstsein entwickeln, selbst ein Physikstudium zu beginnen?“

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Mutterglück aus dem Reagenzglas Y vonne Schröder

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„Die Bedeutung der assistierten Reproduktion in den nächsten Jahren weiter zunehmen.“ Ludwig Wildt, Direktor der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Innsbruck

„Die meisten Frauen kommen aus Deutschland, aber mehr und mehr aus Österreich. Auch Kundinnen aus Italien und Frankreich haben wir“ Anette Weinreich, Direktorin einer Befruchtungsklinik in Kopenhagen

1978 kam Louise Joy Brown, das erste durch künstliche Befruchtung gezeugte Baby, in Oldham bei Manchaster zur Welt. 1982 folgte das erste IVF -Baby in Österreich, Zlatan Jovanovics. Österreich war weltweit das sechste Land, in dem ein Baby im Reagenzglas gezeugt wurde. Bis 2006 wurden weltweit etwa drei Millionen Babys auf diese Weise geboren. In Deutschland sind in den letzten Jahren etwa zwei Prozent der Babys durch künstliche Befruchtung entstanden, in Dänemark liegt der Prozentsatz mit 3,9 Prozent etwa doppelt so hoch. Die meisten künstlichen Befruchtungen pro Kopf werden in Israel durchgeführt. Dort kann sich jede Singlefrau kostenlos mit anonymem Sperma ihren Kinderwunsch erfüllen lassen. In Österreich und Deutschland ist künstliche Befruchtung laut Gesetz nur Verheirateten oder heterosexuellen Paaren erlaubt. Paare ohne Trauschein müssen sich ihre Lebensgemeinschaft vom Gericht oder Notar bestätigen lassen. Frauen dürfen nicht älter als 40, der Mann muss unter 50 sein. Singlefrauen oder Frauen in lesbischen Beziehungen ist IVF verboten. Die Frage, ob es trotz des gesetzlichen Verbots Möglichkeiten für Singlefrauen zur künstlichen Befruchtung in Österreich gibt, verneint Ludwig Wildt. „Rein legal gibt es diese Möglichkeit in Österreich nicht. Es gibt aber Ärzte, die eine Vorbehandlung mit Medikamenten übernehmen. Die künstliche Befruchtung lassen die Frauen dann im Ausland vornehmen.“ Katharina S. braucht keine hormonelle Vorbehandlung. Sie sitzt im Flugzeug auf dem Weg zu Vitanova, einer Fertilitätsklinik in Kopenhagen, am Abend fliegt sie wieder zurück. „Unser Ziel ist es, durch Engagement, Beratung und Unterstützung den bestmöglichen Rahmen für alle, die einen Kinderwunsch haben, zu schaffen“, lautet der erste Satz auf der Homepage der Klinik, die in Englisch, Schwedisch, Deutsch, Italienisch und Französisch abrufbar ist. Bei Vitanova ist man auf Ausländerinnen eingestellt. „Etwa 80 Prozent unserer Kundinnen kommen aus dem Ausland, allein aus dem Grund, weil sie bei uns problemlos eine Befruchtung mit Fremdsamen durchführen lassen können“, sagt Anette Weinreich, Mitgründerin von Vitanova. „Die meisten Frauen kommen aus Deutschland, aber mehr und mehr aus Österreich. Auch Kundinnen aus Italien und Frankreich haben wir.“ Singlefrauen, die zur künstlichen Befruchtung nach Kopenhagen reisen sind zum Großteil zwischen 38 und 45 Jahre alt. In Dänemark ist das gesetzliche Höchstalter für einen solchen Eingriff fünf Jahre höher als in Österreich. Länder wie Dänemark oder Belgien erleben seit einigen Jahren einen Befruch-

tungstourismus, vor allem durch Singlefrauen über 30. Das Statistische Bundesamt in Deutschland berichtet, dass im Jahr 2004 die meisten Kinder von 30- bis 34-Jährigen geboren wurden. 1994 waren es noch die 25- bis 29-Jährige. 2002 erklärte Clare Murray von der Universität London beim Kongress der „Europäischen Gesellschaft für Human-Reproduktion und Embryologie“ (ESHRE) in Wien, dass mehr als zwei Drittel der Singlefrauen, die sich den Kinderwunsch durch eine Samenbank erfüllen, es aus Angst tun, keinen Partner zur Familiengründung mehr zu finden. „Für eine Insemination kann man morgens an- und abends abreisen. Ab Sommer führen wir auch In-vitro-Eingriffe durch, dafür muss man dann mit zwei oder drei Tagen rechnen“, sagt Klinikdirektorin Weinreich. „Frauen, die zu uns kommen, sind meistens vollkommen gesund. Sie brauchen keine Hormonbehandlung vorab, um genügend Eizellen zu bilden. Das Einzige, was ihnen fehlt, ist der passende Partner.“ Eine Insemination mit einem Versuch kostet bei Vitanova 560 Euro. Ein In-vitro-Paket mit drei Versuchen 3360 Euro. Kann die steigende Nachfrage die Gesetzgebung in Österreich beeinflussen? „Es ist schwer abzuschätzen, wann das der Fall sein wird“, sagt Ludwig Wildt. „Eine einheitliche Regelung für ganz Europa wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Generell gilt für deutschsprachige Länder sogar eher die Tendenz zu verstärkten Restriktionen im Bereich der Fortpflanzungsmedizin. Das hat auch mit unserer Geschichte zu tun. So verweist man bei der Besprechung von Embryonengesetzen bei uns immer wieder auf die Selektion und Rassenlehre im ‚Dritten Reich‘. Wobei die künstliche Auslese bei der künstlichen Befruchtung rein statistisch überhaupt keine Rolle spielt.“ Die Zukunft der Reproduktionsmedizin sieht Wildt dennoch positiv. „Aus sehr unterschiedlichen Gründen wird die Bedeutung der assistierten Reproduktion in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Etwa wegen dem zunehmenden Alter, in dem Frauen ihren Kinderwunsch realisieren wollen. Oder auch, weil immer mehr neue Partnerschaften in der Altersgruppe der über 30-Jährigen eingegangen werden. Es ist zu hoffen, dass die Gesetzgebung diesen Umstand berücksichtigen wird.“ Möglicherweise wird die moderne Reproduktionsmedizin auch die weibliche Familienplanung verändern: Frauen werden frische Eizellen in jungen Jahren entnehmen und einfrieren lassen, um im fortgeschrittenen Alter Kinder risikolos auszutragen. Das könnte ein Weg sein, um Frauen den Zeitdruck für ihre Familienplanung zu nehmen.

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Foto: Archiv

Assistierte Reproduktion, umgangssprachlich künstliche Befruchtung, lautet der Begriff für den medizinischen Eingriff zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Entweder durch Intrauterine Insemination IUI, bei der die beweglichen Spermienzellen des Mannes mittels eines Katheters direkt in die Gebärmutter der Frau eingebracht werden, oder durch In-vitro-Fertilisation IVF, bei der die Spermien des Mannes in einem Reagenzglas den Weg zu den Eizellen finden. Befruchtete Eizellen werden in Österreich bis zu fünf Tage nach der Befruchtung kultiviert und dann in die Gebärmutter eingesetzt. Den meisten Behandlungen liegt eine Hormonbehandlung der Frauen zugrunde, die den Eierstock dazu anregt, Eibläschen (Follikel) zu bilden und Eizellen zur Reifung zu bringen. „Die Behandlungsdauer beträgt zehn bis 14 Tage bis zur Punktion, fünf bis sechs Tage bis zum Transfer und dann zehn bis 14 Tage bis zur Überprüfung, ob eine Schwangerschaft eingetreten ist“, erklärt Ludwig Wildt, Direktor der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in Innsbruck. Seit 1. Jänner 2000 können aus Mitteln des aus Familienlastenausgleichsfonds und Sozialversicherung gespeisten IVF -Fonds 70 Prozent der Kosten einer IVF bezahlt werden. Allerdings reicht eine Behandlung meist nicht, um ans Ziel zu kommen – übernommen werden in Österreich pro Frau maximal vier Versuche. „Die Kosten betragen mit Medikamenten etwa 3000 Euro, die Erfolgsrate liegt bei etwa 30 Prozent“, sagt Wildt. Dennoch wurden in den letzten Jahren etwa 1500 Babys durch künstliche Befruchtung in Österreich gezeugt. Die Dunkelziffer ist wohl höher. Denn in Österreich dürfen nur (Ehe-) Paare auf diese Methoden zurückgreifen.

Österreichische Singlefrauen dürfen sich im Land nicht künstlich befruchten lassen. Also fliegen sie nach Dänemark. Dort finden sie ihr Wunschkind

Fotos: Rosem ar ie Ge ar hart/is tock photo; Departmen t Fr auenheilkunde, K linik für g y n. Endok r inologie und R eproduk t ionsmedizin

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er Grund, dass ich mit 38 Jahren noch kinderlos bin, liegt nicht daran, dass ich keine Kinder bekommen kann, sondern daran, dass meine letzten drei Lebensabschnitts­gefährten noch nicht einmal eine Zahnbürste bei mir deponiert haben.“ Die 38-jährige Katharina S. hat die meiste Zeit ihres Lebens in ihre Karriere investiert. Mit Erfolg. Sie ist Pressesprecherin eines großen österreichischen Unternehmens und verdient mehr als die meisten ihrer Exfreunde. „Meine biologische Uhr tickt, und ich möchte auf jeden Fall ein Kind, bevor es zu spät ist“, sagt sie und stellt den kleinen Koffer auf die Gepäckwaage des Checkin-Counters. Viel braucht sie nicht auf ihrer Reise, vor allem bequeme Sachen, ein Nachthemd, ein paar Bücher. Für sie und viele andere gleichaltrige Frauen ist es ist kurz vor zwölf. Zeit fürs Boarding. Sie fliegt nach Kopenhagen, um sich künstlich befruchten zu lassen.


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Ulrike K adi

Frauenbilder pflastern unseren Alltag. All die

Foto: Archiv

Fotos: Rosem ar ie Ge ar hart/is tock photo; Departmen t Fr auenheilkunde, K linik für g y n. Endok r inologie und R eproduk t ionsmedizin

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ls Fellini noch ein Kind war, ging er abends leidenschaftlich gern ins Bett. Jeder Ecke seines Bettes hatte er einen anderen Namen gegeben: Fulgor, Savoia, Opera Nazionale Balilla und Sultano. Das waren die Namen der vier großen Kinos in Rimini. Kaum dass Fellini die Augen geschlossen hatte, gab er sich den Bildern hin. Als wären sie Frauen. Fellini liebte es zu träumen. Freud hätte gesagt, er liebte es, sich Wünsche zu erfüllen. Denn in den kurzen und langen Filmen unserer Nächte können wir unseren eigenen Wünschen und Hoffnungen, aber auch unseren Befürchtungen und Ängsten begegnen. Und manchmal auch Tieren. Ob die Tiere träumen, wisse er nicht, schreibt Freud in seiner „Traumdeutung“. Umgekehrt haben wir Gewissheit: Menschen träumen von Tieren. Das lässt sich nachweisen. Sie erzählen schließlich davon. Der Berliner Psychoanalytiker und Mitstreiter Freuds, Karl Abraham, berichtet von mehreren Spinnenträumen eines seiner Analysanden: Einmal hängt eine Spinne an der Decke und wird vom Zimmermädchen mit dem Besen zerdrückt. Ein anderes Mal fällt ein großes, haariges Exemplar von einem Kasten herunter auf den Träumer, der neben seiner Frau oder seiner Mutter steht. Im dritten Traum wird der Träumer von seiner Frau gewarnt, dass die Spinne, die über seinem Bett an einem Faden turnt, ihn berühren oder auf ihm her­u mkrabbeln könnte. Die Spinne taucht dauernd neben Frauen auf – neben dem Zimmermädchen, der Mutter, der Ehefrau. Er kann es nicht gleich begründen. Aber Abraham ist überzeugt davon, dass die Spinne im Traum eine Frau verkörpert. Frauen können irritieren. Auf animalische Weise. Wie Spinnen, wie Motten. Oder wie der Geier, den Freud in seiner Arbeit über Leonardo da Vinci mit dessen Mutter in Verbindung bringt. Freud beschreibt den Geier als ernährend, liebevoll und lustspendend. Doch die Ambivalenz dem Raubvogel gegenüber ist nicht zu übersehen. Der Schnabel des Geiers flößt alles andere als Vertrauen ein. In der Hieroglyphenschrift der Ägypter war das Bild des Geiers das Zeichen für die Mutter. Ägyptologisch wird das mit der Klangidentität der Worte für Mutter und für Geier erklärt. Ein zufälliger Gleichklang? Die Sprache weiß mit ihren Klanggebilden manches zu verraten, was wir mit Bildern wieder zu verdecken suchen. vielen Bilder erinnern aber nicht im Entferntesten an die animalischen Traumgespenster aus psychoanalytischen Praxen. Vom Fernsehen über Printmedien, die Plakatwerbung bis hin zur medizinischen Präventionslyrik sind wir mit Bildern von Frauenkörpern konfrontiert. Die permanente öffentliche Körperarbeit mit oder ohne entsprechende Entlohnung folgt ritualisierten Mustern. In diesem Szenario werden die Regeln, denen die zeitgenössische Körperwahrnehmung unterliegt, nicht nur perpetuiert, sondern immer wie-

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Krokodil mit großem Maul Was das Bild der Frau in der Öffentlichkeit von unseren Ängsten und Wünschen verrät

der neu hervorgebracht. Die idealen Körperformen sollen den Eindruck machen, als seien sie unverrückbar. Nicht Körperformen werden mit den Bildern vermittelt, sondern Körpernormen. Sie werden affirmiert von der bedeutungslosen Freundlichkeit so vieler Bildgesichter, die im besten Fall einer versonnenen Melancholie Platz macht. Sie werden bestätigt von einer makellosen Faltenlosigkeit, die an die Starre von beidseitigen Gesichtslähmungen erinnert. Sie werden immer neu unterstrichen von einer Schlankheit, deren oftmals anorektische Genese seit Jahren allgemein bekannt ist. Kritische Gegenpositionen fehlen indes nicht. Der gerade im deutschen Sprachraum angelaufene Film „Precious: Das Leben ist kostbar“ (Lee Daniels 2009) gibt einer solchen kritischen Haltung ein Gesicht. Die übergewichtige Claireece, vom eigenen Vater zum zweiten Mal geschwängert und vom Schicksal in vielerlei Hinsicht nicht bevorzugt, nennt sich selbst ­Precious, wertvoll. Als ließe sich mit einem Wort ein auf dürre Frauenkörper abgerichteter öffentlicher Blick korrigieren. Die britische Psychoanalytikerin Suzy Orbach weist seit Jahren auf die Notwendigkeit realistischer Gegenbilder hin. Eine internationale Kosmetikfirma hat auf ihre Anregung eine Kampagne für sogenannte wahre Schönheit gestartet. Doch trotz des nachweislichen wirtschaftlichen Erfolgs für die Herstellerfirma ist eine nachhaltige Beeinflussung der öffentlich zur Schau gestellten Wahrnehmungsvorlieben bis dato ausgeblieben. Etwas an den Bildern widersetzt sich unse-

ren absichtlichen Zugriffen. Das wird bei den Traumbildern besonders deutlich. Versuchen Sie doch einmal, sich einen Traum zu wünschen. Sie werden sehen, Sie schei-

Das Original der Venus von Willendorf befindet sich im Naturhistorischen Museum in Wien

Die Bilder von der verfügbaren und verführbaren Frau dienen der Angstabwehr und versprechen Sicherheit gegenüber der Mächtigkeit einer Frau

Ulrike Kadi, Psychiaterin, derzeit in einem Projekt des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF, lehrt an der Uni Wien

tern. Ihr Unbewusstes hat keinen Pay-TVKanal. Mit den öffentlichen Bildern ist es ähnlich. Das Bemühen, diese Bilderwelt zu verändern, mag die Breite des Bilderangebots vergrößern. Eine gezielte Politik der Bilder wäre möglicherweise sogar in der Lage, Bilderverbote zu befördern (etwa durch Hinweis auf ihre Gesundheitsschädlichkeit). Doch damit werden die Bilder nur aus dem Blickfeld gerückt. Sie sind nicht zum Verschwinden zu bringen. Die Dynamik, der sich diese offensichtlich schwer beeinflussbaren Bildregime verdanken, wird davon nicht berührt. Geier, Motten, Bienen, Spinnen sind nicht die einzigen Tiersymbole, die uns im Traum begegnen. Der französische Psychoanalytiker Gérard Wajcman meint, wir wünschten uns von all den Tieren, mit denen wir uns in der Realität wie in der Fantasie umgeben, nur eines: dass sie sich nach uns sehnen. Doch die Tiere halten sich fern von uns. Sie lassen uns allein. Wir können nicht anders, als über sie nachdenken, ­darüber, was sie für uns bedeuten. In einer Zeit, in der die Traumsymbolforschung aus der Frühzeit der Analyse ihre Überzeugungskraft weitgehend eingebüßt hat, verfolgen sie uns als Metaphern in Gedanken und Träumen. Die Mutter ist ein Krokodil mit einem großen Maul, in dem wir sind, sagt der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan. Mit der Mutter verbindet sich nicht nur die weibliche Seite unserer Existenz, sondern auch das Körperliche, ja das Animalische als etwas Bedrohliches. Eine Mutter kann geben und verweigern. Sie kann sich zu- oder abwenden. Sie kann wollen oder nicht. Das alles entspricht Erfahrungen, die die allermeisten von uns mit einer weiblichen Figur früh gemacht haben. Die Angst, die wir – zunächst noch sprachlos – durchzustehen hatten, vermischt sich seit jeher mit dem Bemühen, unsere Wünsche erfüllt zu bekommen. Das versuchen wir nicht zuletzt mithilfe von Bildern. Viele der gegenwärtig öffentlich eingesetzten Frauenbilder suggerieren, dass Frauen als Objekt mit einer perfekten Oberfläche gleichermaßen verfüg- und verführbar sind. Die Betrachtung dieser Bilder vermittelt den Eindruck von Kontrollierbarkeit. Sie verspricht Sicherheit gegenüber der dunklen Mächtigkeit einer (ersten) Frau. Damit dienen diese Bilder der Angstabwehr. Sie verdecken wie ein Fetisch das, was in direkter Konfrontation kaum zu ertragen wäre. Darum ist es so schwer, sie zum Verschwinden zu bringen. Doch trotz der vielen perfekten Frauenbilder bleiben Reste der Ängste und suchen sich andere Wege kultureller Bewältigung. Sie werden zum Beispiel metaphorisch in einem Lied evoziert, treten als unförmige Schuhe einen unverständlichen Siegeszug gegen sämtliche ästhetische Empfindungen an oder manifestieren sich als zeitlose Produkte aus Reptilienleder – denken Sie nur an „Die Bar zum Krokodil“, an die Crocs oder an die exotische Mode der Krokotaschen.

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Wissenschaftspolitik Jugend

tag nahmen 10.000 Studierende teil. „Der Bologna-Prozess bringt Burnout und Stress“, „Finanzspritze gegen Bildungsgrippe“ oder „Dichter und Denker statt Bachelor und Banker“ stand auf Transparenten. Aus ganz Europa waren rund 1500 Studierende zum Gegengipfel angereist, darunter Lara (19) und Luis (22) aus Rom. „18 Stunden sind wir im Autobus gesessen“, erzählt Lara. Luis ist eigentlich Spanier, in Rom absolviert er gerade ein Erasmus-Semester. Zur Anti-Bologna-Bewegung stieß er schon daheim. Man müsse aus allen Universitäten die Vorteile herausklauben, um daraus die ideale Uni zu schaffen, meinen beide. Das Wichtigste sei: „The freedom to study!“ Höhepunkt am Freitag war eine Podiumsdiskussion am Uni Campus, u.a. mit Andreas Keller, dem Vorstandsmitglied der deutschen Bildungsgewerkschaft GEW, und Isabelle Bruno, Politik-Lektorin in Lille und Mitorganisatorin des in Kürze in Brüssel stattfindenden Alternative Summit zur Lissabonstrategie. Bruno sieht sich selbst als „BolognaOpfer“ – und kämpft dagegen, dass aus Unis „Companies“ werden.

Andreas Keller, der die Uni 1999 verließ, um in die politische Praxis zu wechseln, meint, es sei höchste Zeit für eine Kehrtwende in der Hochschulpolitik. Aber man dürfe nicht gegen „Bologna“ als Idee sein. Nur die Umsetzung sei schiefgegangen. Mate Kapovic, Teaching Assistant in Zagreb, wirft ihm Naivität vor: „It is very, very naive to think that this is just an accident!“ Oberstes Bologna-Ziel, meint er, bleibe nach wie vor eine Uni nach neoliberalem Zuschnitt. DieösterreichischeWissenschafts­ ministerin Beatrix Karl präsentierte indes „Bologna reloaded“: zehn Maßnahmen zur Verbesserung der Implementierung. „In Wirklichkeit ist das alles ein einziger großer Punkt“, so die ÖH-Vorsitzende Sigrid Maurer, die bei der Konferenz dabei war und durch ihr mit „Uni brennt“-Buttons gespicktes Kleid mit allen Ministern ins Gespräch kam. „Wir müssen schauen, all das hinzukriegen, was in den letzten zehn Jahren verabsäumt wurde!“ Die Aktionsgruppe „Unsere Uni“ meint dazu: Ohne die nötigen Rahmenbedingungen wie etwa die Wahl des Rektorats durch eine Universammlung, wie es schon vor dem UG 2002 der Fall war, sei auch „Bologna reloaded“ zum Scheitern verurteilt.

Unipolitik

Bologna: Feier und Aufruhr Sabine Edith Br aun

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ie einen feierten und konferierten, die anderen protestierten und diskutierten. Am 11. und 12. März fand in Budapest und Wien die Jubiläumskonferenz zur Unterzeichnung des Bologna-Hochschulabkommens statt. Dass ein Großkonzern schon seit Tagen Energydrinks vor der Uni Wien verteilte, hatte wohl weniger mit der Konferenz und dem Gegengipfel zu tun als vielmehr damit, dass ein neues Semester begonnen hat. Dieses brachte auch der Studierendenbewegung den dringend nötigen Mobilisierungsschub. Die neue Energie entlud sich zu Beginn der Konferenz in der Nacht auf den 11. März mit der kurzfristigen Besetzung des Neuen Institutsgebäudes. Dann folgten eine Demo, Diskussionen und Workshops. An der Demonstration vom Westbahnhof zur Hofburg am Donners-

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Freudenfeier?

Brief aus Brüssel Christian Bre t ter

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März 2010. Eines vorweg: Kinder erziehen ist kein Kindergarten. Es ist Schwerarbeit mit dem Leben. Das sei gesagt. Wurden Sie gefragt ob Sie auf der Welt sein wollen. Nein? Also, sind wir doch froh, dass nicht alles Tun aufgrund von Frage und Antwort passiert. So gibt es weiterhin Kinder und Forscher. Denn, sofern Forschung mit dem Neuen zu tun hat, kann sie, wie das nichtgefragte Kind, auch keine Antworten geben. Da ich schon mit Grundsätzlichem zum Leben begonnen habe, fahre ich mit Grundsätzlichem zur Kolumne fort. Sie steht auf zwei Säulen. Die eine steht im Europaviertel in Brüssel, dort wohne ich. Die andere steht in der Kunst, dort denke ich. Säulen gibt es beinahe an jedem Gebäude, in dem sich ein Teil des EUVerwaltungsrhizoms befindet. Freilich sind die Säulen und Kapitelle heute nur mehr in Andeutungen und ohne Funktion vorhanden. Aber auch wenn die heutigen Griechen fast pleite sind, gibt es doch noch Bürgerstolz der von Griechenland herrührt. Der Ausblick von meiner Brüssler Säule bringt mir Einblicke in den europäischen Hof. Es schwirren unzählige wohlgebildete Menschen in Sonntagsanzügen umher. Sie alle wurden von ihren Heimatländern entsandt, um immerfort Kompromisse zu erreden, die für alle eine Win-win-Situation sein sollen. Um das Unmögliche ganz unmöglich zu machen, spricht jedes Fürstentum in seiner Sprache. Auch für die Forschung ist Sprache eines der wichtigsten Werkzeuge. Folgende Abkürzungen sind einem Powerpoint-Dokument der spanischen Präsidentschaft entnommen, in dem die Prioritäten zu Forschung und Innovation der Union für die nächsten Monate vorgestellt werden:

A n a l y s e u n d V i s u a l i s i e r u n g : F AS . r e s e a r c h G m b H w i e n 2 0 0 7

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ein Trallala, kein Catwalk-Gestöckel, kein Geschwätz. Es gibt auch unpeinliche Talentshows: Bei „FameLab“, dem internationalen Wettbewerb für junge Wissenschaftler, sind reger Geist, rhetorisches Geschick und Kreativität gefragt. Die Kandidatinnen und Kandidaten müssen innerhalb weniger Minuten ihr komplexes Forschungsgebiet so vorstellen, dass auch der Letzte im Saal begreift, um was es geht.

Italienerin überzeugte neben einer packenden Vorstellung auch mit dem Motiv ihrer Teilnahme: „Ich bin überzeugt davon, dass Forschungsgeist nicht nur unter dem Laborkittel, sondern im Herzen jedes Menschen lebt. Wissenschaftskommunikation kann diesen Geist wecken.“ Aufgeweckt und erstaunlich kreativ präsentieren sich Jahr für Jahr Österreichs Schüler und Schülerinnen. In der aktuellen Wettbewerbsrunde von „Jugend Innovativ“ haben 460 Nachwuchsforscherteams Projektideen in Bereichen wie Engineering, Business, Design oder Klimaschutz eingereicht. (www.jugendinnovativ. at) Mit dem Förderprogramm „Sparkling Science“ will das Wissenschaftsministerium das Interesse Jugendlicher an der Forschung lebendig halten. Bis 6.April 2010 können Schulen in Kooperation mit Forschungseinrichtungen noch Anträge für anspruchsvolle, innovative Schulprojekte einreichen. (www.bmwf.gv.at/ oesterreich forscht)

ERA, CREST, EPSCO, ESFRI, EIT, WIRE, CIP, RoK, RRDC, BONUS, ITER, COST, EU 2020 Strategy, SF, FP, GMES, ITER, COMPT, RWP.

Die Kürzel erinnern mich an die „Sonate in Urlauten“. Kurt Schwitters hat sie 1923 geschrieben und dabei ein Spiel mit der klassischen Form der Sonate der gesprochenen Sprache als Information und dem Klang des Gesangs als Musik getrieben. Hier taucht nun meine Säule in der Kunst auf. Von ihr erklingt nun Schwitters Ursonate: Fümms bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Eee. Oeeeeeeeeeee, dll rrrrr beeeee bö, fümms bö wö tää zää Uu. Dedenn nn rrrr, li Ee, mpiff tillff too, tilll, Jüü Kaa? Ziiuu ennze ziiuu nnzkrrmüü rakete bee bee? Rakete bee zee ...

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Fotos: sabine edith braun

Carolin Gier mindl

Gar nicht so leicht, wenn man sich beispielsweise mit winkelaufgelöster Ionenstreuung in theoretischer Kernphysik beschäftigt. Aber: Was nützt die ganze Forschungsarbeit, wenn keiner davon weiß?, fragte sich British Council, Großbritanniens internationale Organisation für Bildung und Wissenschaft, die das Format länderübergreifend etablierte. Seit 2007 findet FameLab nun zeitgleich in Österreich, Griechenland, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Serbien, Aserbaidschan, der Türkei, Israel und Großbritannien statt. Die Finalisten der jeweiligen Länder liefern sich dann in Cheltenham, beim renommierten Science Festival, einen spannenden Showdown. Finale ist heuer am 12. Juni, die nationale Kür findet nach Vorentscheidungen an den Unis Klagenfurt, Wien, Innsbruck und Graz dann Ende April in Wien statt. (www.famelab.at) Im letzten Jahr holte sich die österreichische Bewerberin, die Molekularbiologin Lucia Aronica, in Cheltenham den dritten Platz. Die gebürtige

Foto: k atrin bruder

Austrias next TopForscher

Kommentar


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Wissenschaftspolitik

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Wissensnetzwerk der Grundlagenforschung FAS_LegendeZuGrundlagenforschung.pdf

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14:28:45 Uhr

Verflechtung von Wissenschafts­ disziplinen durch FWF-Projekte (1992 bis 2006). Enthalten sind alle Disziplinen, die durch mindestens drei Projekte verlinkt sind. Kreisgröße: Anzahl der Wissenschaften, mit denen die jeweilige Disziplin verbunden ist.

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Farben kennzeichnen Wissenschafts­ bereiche (siehe Legende). Innerhalb der strichlierten Ellipsen befinden sich die Attraktorzentren der Grundlagenforschung: Geschichtswissenschaften, formale Wissenschaften (Mathematik, Informatik), Physik, Biologie und Medizin.

Naturwissenschaften Technische Wissenschaften Humanmedizin Land- & Forstwirtschaft, Veterinärmedizin Sozialwissenschaften Geisteswissenschaften

Wissenschaftler des Jahres

Was wird hier prämiert? Sabine Edith Br aun

Fotos: sabine edith braun

Foto: k atrin bruder

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udolf Grimm beschäftigt sich mit ultrakalten Atomen. Am 2. Februar 2010 wurde er zum „Wissenschafter des Jahres 2009“ gewählt. Wir wollten wissen, wie diese Auszeichnung zustande kommt. Unter welchen Gesichtspunkten findet so eine Wahl eigentlich statt? Braucht man ein bestimmtes Alter? Die hiesige Staatsbürgerschaft? „Danach wird nicht einmal gefragt. Wir haben auch keinerlei Quoten“, meint Christian Müller, Vater des Preises und Vorstandsmitglied des Klubs der Wissenschaftsjournalisten. „Jedes Klubmitglied kann einen Vorschlag machen. Eine Wahlkommission des Klubs prüft die Vorschläge, gewählt wird der Wissen-

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schafter des Jahres dann von den Klubmitgliedern.“ Der Sieger 2009, Rudolf Grimm, ist Experimentalphysiker, ein Sohn Mannheims und Ex-Punkmusiker. Punk ist für ihn kein Thema mehr, aber als Physiker leistete er Pionierarbeit: Seinem Team gelang es weltweit als erstem, ein Bose-Einstein-Kondensat herzustellen. „Dabei synchronisieren sich die Wellen einzelner Atome und schwingen im Gleichtakt. Dadurch sieht das Ganze aus wie ein Superatom, und Quanteneffekte treten besonders deutlich auf“, erklärt Rudolf Grimm. Ulrike Felt vom Institut für Wissenschaftsforschung der Uni Wien sagt dazu: „Mir ist unklar, was hier prämiert wird. Wird Wissenschaft in die Gesellschaft getragen, oder ist es die Anerkennung einer Leistung? Ist es der Wissenschaftler als public person? Das ist für mich nie ganz klar geworden! Mir ist überhaupt bei einigen nicht klar, warum sie auf diesen Listen landen! Aber es gibt ja auch den Sportler des Jahres. Wir scheinen uns als Gesellschaft darauf zuzubewegen, dass wir ständig Reihungen und Rankings brauchen!“ „Wir maßen uns nicht an, die wissenschaftliche Leistung von jemandem zu bewerten – das können wir auch nicht. Es geht um die Vermittlung“, erklärt Müller.

Rudolf Grimm sagt dazu: „Es ist auch ein Beitrag zum weiteren Abbau des Elfenbeinturm-Klischees.“ Dieses Klischee hat einen Grund: „Früher haben Wissenschaftler oft aufgelegt, wenn man angerufen hat, oder gesagt, man soll in zwei Wochen wieder anrufen“, sagt Müller. Haben geniale Selbstvermarkter unter den Wissenschaftlerinnen die besseren Chancen zum „Wissenschafter der Jahres“ gewählt zu werden? Müller bestreitet das nicht: „Der Klub will das Bemühen der Forscher auszeichnen, ihre Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Ich habe einmal für die Science Busters plädiert. Das kam dann doch nicht so gut an.“

Die Preisträger: 2009: Rudolf Grimm, Experimental-

physiker, Uni Innsbruck, ÖAW

2008: Fátima Ferreira, Molekularbio-

login, Uni Salzburg

2007: Wendelin Schmidt-Dengler,

Germanist, Uni Wien

2006: Konrad Paul Liessmann,

Philosoph, Uni Wien

2005: Helga Kromp-Kolb,

Meteorologin, BOKU Wien

2004: Rudolf Taschner, Mathemati-

ker, TU Wien, math.space

2003: Josef Penninger, Genetiker,

ÖAW Wien

2002: Renée Schroeder,

Biochemikerin, Uni Wien

2001: Ulrich Körtner, Evangelischer

Theologe, Uni Wien

2000: Hildegunde Piza, Plastische

Chirurgin, Uni Innsbruck

„Mir ist bei einigen nicht klar, warum sie auf der Wahlliste landen.“ Univ.-Prof. Ulrike Felt, Uni Wien

1999: C hristoph Badelt, Sozial- u.

„Der Preis soll das Elfenbeinturm-Klischee abbauen.“ Christian Müller, Vater des Preises „Wissenschafter des Jahres“

Wirtschaftswissenschaftler, WU Wien 1998: Herbert Budka, Prionenforscher, Uni Wien 1997: Heinrich Wänke/Rudolf Rieder, Mitarbeit am Marsmobil, Max-Planck-Institut Mainz 1996: A nton Zeilinger, Experimentalphysiker, Uni Innsbruck 1995: Stefan Karner, Zeithistoriker, Uni Graz 1994: G eorg Wick, Altersforscher, Med. Uni Innsbruck

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Gedicht Bo r i s C h e r so n s k i j

Boris Chersonskij, geboren 1950 in Czernowitz (Ukraine), lebt in Odessa. Lyriker, Übersetzer, klinischer Psychologe. Publikationen ab den späten 1960er-Jahren im Samizdat, seit Mitte der 1980erJahre in der russischen Emigrantenpresse. Bislang veröffentlichte Chersonskij zehn Gedichtbände. Erster in Russland veröffentlichter Gedichtband semejni archiv (Familienalbum, 1995/2006). 2008 BrodskijStipendiat in Rom.

Zum Glück ist die Stadt groß, und immer findet sich ein junger Mensch mit Masken-Mütze, Augenschlitzen, bewaffnet mit Armeepistole, denn er ist – Soldat, Auftragsausführer, was auch immer, nur kein Mörder, Mord setzt irgendein Gefühl voraus, persönliche Beziehungen, Neid, Zorn oder Wut, hier aber geht es um Technik, nur die Tat – aus der Menge heraustreten, in der Menge untertauchen.

Aus dem Russischen von

Die Verabredung ist in einer Stunde. Sie steht an einem Kiosk, winkt ihm: bist du schon fertig?

Er ich K lein

Schüsse – genau so viele, wie nötig. Jener, der blutüberströmt fällt, lenkt von dem ab, der schießt, populär sind Opfer immer, zumindest, bis die Leiche weggeräumt wird. Mütze in die Jackentasche. In irgendeiner Kapelle zündet der sportliche Junge zwei Kerzen an, geht hinaus, spuckt aus, raucht sich eine an, hockt sich auf die Stufen neben einen zerlumpten Bettler.

Seine Antwort: Hatte keine Zeit zum Niedersetzen. Beide lachen. Sie gehen, er schneller, sie kommt kaum mit, sagt – langsamer, es ist ja keiner hinter dir her! Er verlangsamt den Schritt. Und tatsächlich ist niemand hinter ihm her. 20. Januar 2009

Rätsel von Gaja Waagrecht: 1 Griechischer Kraft-Ausdruck? Eine rhetorische Frage 6 Akademische Titelheldin 8 Wenn -iaden so beginnen, enden sie nie 9 Streitbare Barbara, bewies über Gebühr Rückgrat und kehrte SP und ÖH den Rücken 10 Vorwort zum Book der Geaddeten 11 Parade-schwul 13 So was gibt’s nur in der politischen Orangerie: Der Professor als lebensmenschliches Diplomarbeitsthema 15 Vor der Wahl eine Klasse für sich 16 Ihrer/Seiner Forschung verdanken wir viele neue Sex-Artikel 18 Ihr Ort hat seit 40 Jahren einen Sendeplatz 19 Das Tun zeitigt bei Hebel und Bowle Wirkung 23 Biopic antik: Die Mathematikerin Hypatia von Alexandria ist aktuell ein Kinostar 24 Machten die Erdkugel salonfähig Senkrecht: 1 Postmodernepunk 2 Wo Genie und Wahnsinn nahe beieinander liegen (2 Wörter in NÖ) 3 Diese goldenen Früchte hängen in Hollywood außerordentlich tief 4 Wer konventionell darum ansucht, kommt eher nicht aus Genf 5 Studienobjekt, nahe dran am Kriminal 7 Anti-Synthese 10 Auf diesen Namen hören zwischen Australien und Neuseeland 332 Islands 12 Stellen Forscher bei amtlichen Stellen 17 Wortklaubers Spaltprodukt 20 Ob Windschatten oder Kielwasser: wirkt anziehend 21 Balladesker König aus der Geheimratsecke 22 Chinesische Weg-Beschreibung Lösungsworte:

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Was am Ende bleibt Die Windel, eine Endlos-Story Ortrun Veichtlbauer

Die Revolution der Einwegwindel als Objekt der industriellen Massenkultur begann im Jahr 1961. Da brachte der Waschmittelkonzern Procter & Gamble die ersten Pampers auf den US-Markt. Schnelle Verfügbarkeit, Sauberkeit und Bequemlichkeit lauteten die Verkaufargumente. Bill Gates erklärte Jahre: „Die bei weitem beste Technologie bei mir zuhause sind Pampers.“ Seit 1979 gibt es Pampers auch in Österreich. Im Österreich der Nachkriegszeit wurden zerschnittene Leintücher als Windeln verwendet; in den 50er- und 60er-Jahren folgten Baumwolltücher, die nach Gebrauch gewaschen werden mussten. Die Journalistin Thea Leitner schrieb: „Wenn ich heute Mütter um etwas beneide, dann sind es die Wegwerfwindeln.“ Die Reinigung der Stoffwindeln war nicht nur zeitaufwendig, sie forderte auch Zutaten, die kaum vorhanden waren, Heizmaterial zum Auskochen und Waschpulver.“ Die „Generation Mölny“ der 70er-Jahre steckte in den gelben „Schwedenhosen“ von Johnson&Johnson. Innerhalb eines Jahrzehnts wurde die aus Polyethylen bestehende „Mölny“ vom Markt verdrängt. Der Hersteller von Pampers erzielt einen Jahresumsatz von mindestens einer Milliarde US-Dollar. Dieses Konsumgut steht allerdings auch für ein globales Müllproblem: Pampers und deren Generics bestehen aus Holz, Rohöl, Energie und Wasser. Der Saugkern besteht aus einer Mischung aus Zelluloseflocken, ab Mitte der 80er-Jahre kam der „Superabsorber“ aus nicht abbaubarem, wasserspeichernden Zucker dazu. Ungefähr 25 Prozent des anfallenden Mülls sind Plastik und Papier, der Rest Körperausscheidungen. Rund 4500 Windeln oder eine Tonne Windelmüll verbraucht ein Kind, bis es „sauber“ ist; das ergibt allein für Wien eine jährlich 15- bis 18.000 Tonnen, etwa vier Prozent des Restmülls. Neben dem Müllproblem schlägt der Produktionsprozess mit Rohstoff-, Energieverbrauch und Emissionen für Herstellung und Verteilung zu Buche. Bei der Stoffwindel fallen erhöhter Energie-, Wasser- und Waschmittelverbrauch für die Reinigung sowie Umweltschäden durch den intensiven Baumwollanbau an. Eine maßgebliche Ökobilanzanalyse beurteilte vor einigen Jahren beide Windelsysteme als „gleichwertig“. Die Windeldebatte gilt als nicht gelöst – sicher ist nur: der Windelverbrauch eines Kindes entspricht dem Umwelteinfluss einer Autofahrt von etwa 2000 bis 3500 Kilometern.

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Förderung künstlerischer Forschung: PEEK CALL 2010 Das Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) ist eine Programm-Initiative des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (BMWF) Zielgruppe Jede in Österreich künstlerisch-wissenschaftlich tätige Person, die über die entsprechenden Qualifikationen verfügt Zielsetzung » Förderung von innovativer Arts-based Research von hoher Qualität, wobei die künstlerische Praxis eine zentrale Rolle bei der Fragestellung spielt » Erhöhung der Forschungskompetenz, der Qualität und des internationalen Rufs österreichischer Arts-based Researchers » Erhöhung des Bewusstseins für Arts-based Research und der potenziellen Anwendung innerhalb der breiteren Öffentlichkeit sowie innerhalb der wissenschaftlichen und künstlerischen Communities Anforderungen » hohe künstlerisch-wissenschaftliche Qualität auf internationalem Niveau » ausreichend freie Arbeitskapazität » notwendige Infrastruktur (Anbindung an eine geeignete universitäre oder außeruniversitäre Institution in Österreich, welche die für das Projekt erforderliche Dokumentationsleistung, Unterstützung und Qualität der Ergebnisse gewährleistet) Antragstellung » 10.03.2010 bis 12.05.2010 (Datum des Poststempels) » auf Englisch » ein hinsichtlich Ziele und Methodik genau beschriebenes, zeitlich begrenztes Projekt (max. 36 Monate) Kontakt » Dr. Alexander Damianisch alexander.damianisch@fwf.ac.at +43-1-505 67 40 DW 8112 weitere Informationen, Antragsunterlagen etc.: www.fwf.ac.at/de/projects/peek.html

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