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Zu fake, zu fad, hysterisch oder eiskalt

Gesellscha : Beate Hausbichler und Noura Maan rücken die Biografien öff entlich verunglimp er Frauen zurecht keit, diese auszuleben, in den Suizid getrieben wurde.

Die Traumata der Eltern und Großeltern, so Galit, führen bei Enkeln und Kindern zu Albträumen, psychischen Krankheiten, körperlichen Symptomen oder dem Zwang, bestimmte Muster zu wiederholen. Ähnlich verhalte es sich mit kollektiven Traumata, wie Atlas am Beispiel Israels zeigt, das als Nation von Holocaust-Überlebenden gegründet wurde, die keine Opfer bleiben wollen. Auch ein militärischer Sieg ist für die Psychoanalytikerin stets nur „eine Wiederholung des zugrunde liegenden Traumas, das er eigentlich hätte heilen sollen“.

In die Geschichten ihrer Patienten lässt Atlas neben Ausflügen in die Geschichte der Psychoanalyse auch aktuelle Erkenntnisse zur Epigenetik einfließen. Eine letztgültige Erklärung für all die überraschenden Zusammenhänge bietet freilich auch diese nicht.

Besser erforscht ist hingegen der Weg zur Überwindung der Traumata und ihrer Folgen: Wird die Ursache erkannt und kann dadurch Teil einer Erzählung werden, muss das Trauma nicht aufs Neue durchlebt werden. Seit Benjamin um den grausamen Tod seines Großvaters weiß, kann er endlich „au ören, diese Tatsache in seinem Körper mit sich herumzutragen und sie immer wieder von Neuem zu erleben“. Eve erkennt, dass ihre Affäre ein Versuch war, gegen ihre von der Mutter geerbte innere Leblosigkeit anzukämpfen, und kann sich wieder ihrer Familie zuwenden. Seit Leonardo den Grund für die Verzweiflung seines Großvaters verstanden hat, kann er den eigenen Schmerz überwinden. Galit Atlas’ Schlussfolgerung: „Wenn wir uns bewusst erinnern, wird unser Körper befreit und darf vergessen.“ GEORG RENÖCKL

Bitch, Bimbo, Blow-Job-Queen wurde Monica Lewinsky in den Medien genannt. Ihren eigenen Namen solle sie aufgeben, legte man ihr nahe. Tatsächlich ist er bis heute verknüp mit dem sogenannten „Lewinsky-Skandal“ auch „MonicaGate“ genannt, als wäre sie und sonst niemand verantwortlich. Lewinsky war 22 Jahre alt und Praktikantin im Weißen Haus, als sie sich 1995 in ihren Chef verliebte: Bill Clinton, damals Staatsoberhaupt der USA und verheiratet. Clinton begann mit der duellen Schicksale wird das misogyne Muster sichtbar, das tief in unserer Gesellscha verankert ist. Frauen werden gemaßregelt, bestra und gedemütigt. Permanent. Vor unser aller Augen. Eine ganze Industrie lebt davon: Klatschmagazine, Frauenzeitschri en, Boulevardmedien. Das Internet hat eine neue Dimension eröffnet. Es scheint normal, dass Frauen beobachtet, bewertet und beurteilt werden. Ob Herrenwitz oder existenzvernichtende Verleumdung – ist sie nicht selbst schuld? Sie drängt sich in die Öffentlichkeit, hat sich schon mal vor einer Kamera ausgezogen, ist zu fake, zu fad, zu sexy, zu unweiblich, hysterisch oder eiskalt. „Wie sie es auch macht, es ist verdammt falsch“, bringt Hausbichler es im klugen Vorwort auf den Punkt. Und schließlich hat schon Eva das Paradies zerstört, Yoko Ono die Beatles und Meghan Markle beinahe die britische Monarchie.

27 Jahre jüngeren Untergebenen eine Beziehung – was er, als Gerüchte für Unruhe sorgten, vorerst abstritt: „I did not have sexual relations with that woman.“

Über Lewinsky brach „eine Lawine öffentlicher Erniedrigung“ herein, die ihr Leben für immer veränderte. Clinton blieb im Amt und Ehemann, sein Name unangefochten. „Dass Lewinsky so verurteilt wurde, obwohl sie weder als Präsident unter Eid gelogen noch ihre:n Partner:in betrogen hatte, spricht nicht nur Bände über die unterschiedlichen Maßstäbe, die an Frauen und Männer in puncto Moral gelegt werden“, stellt Autorin Noura Maan fest, Redakteurin der Tageszeitung Der Standard. Gemeinsam mit ihrer Arbeitskollegin Beate Hausbichler hat sie das Buch „Geradegerückt“ herausgegeben.

Neben dem Porträt von Monica Lewinsky finden sich darin 27 weitere Biografien prominenter Frauen, darunter Marie Antoinette, Paris Hilton, Romy Schneider, Courtney Love und Natascha Kampusch; die meisten verfasst von Kolleginnen vom Standard, wo die Beiträge als Serie erschienen sind.

Die Sammlung ist bunt, aber keineswegs willkürlich. Über die indivi-

Anders als Männer wie Clinton schützen Stand, Position und Geld Frauen nicht. Im Gegenteil: Privilegierte Frauen fallen zu sehen scheint von besonderem Reiz. Mit Mitgefühl dürfen sie nicht rechnen. Das ist (mehr oder weniger) tragisch für jede einzelne prominente Betroffene. Darüber hinaus aber dient es als Lehre für alle Mädchen und Frauen. Denn, so sind die Autorinnen überzeugt, „wie die Öffentlichkeit mit Frauen umgeht, bleibt vor allem bei den Jüngeren hängen: als Bild, wie sie später (nicht) zu sein haben oder wie man Frauen zu behandeln hat. Völlig egal, was sie tun, wie sie aussehen oder was sie leisten. Für künftige Generationen von Mädchen ist es wichtig, dass sich diese frauenverachtenden Erzählungen nicht mehr durchsetzen – und sie einfach Menschen sein können.“

FELICE GALLÉ

Beate Hausbichler, Noura Maan (Hg.): Geradegerückt. Kremayr & Scheriau, 224 S., € 24,–

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