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Baumwolle, Zucker und Blut

Globalgeschichte: Noch immer verdrängt: Afrikanische Sklaven schufen in Amerika Europas Wohlstand

Afrika war für den deutschen Philosophen Hegel ein „Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichten in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt ist“. Heutzutage gilt der sogenannte „dunkle Kontinent“ vielen als Garant für schlechte Nachrichten; Korruption, Bürgerkrieg und Hungersnot scheinen endemisch zu sein. Geschichte, so der häufige Tenor, habe sich anderswo ereignet, an Afrika sei der Fortschritt vorbeigegangen.

Wie soll man einem solch metaphysisch verkleideten Rassismus entgegentreten?

Howard W. French liefert mit „Afrika und die Entstehung der modernen Welt“ eine argumentationsstarke Gegenerzählung. Wobei das erste Wort des Titels zu präzisieren wäre. „Afrika“ steht hier für die Westküste von Ghana bis Angola, wo die Europäer zunächst ihre Gier nach Gold und dann nach Sklaven befriedigten. French erzählt keine afrikanische, sondern eine transatlantische Geschichte. Gut so!

Damit folgt er nämlich dem Tenor der neueren Globalgeschichte. Demnach verstellt der Blick auf einzelne Nationen oder Regionen den Blick auf dynamische Wechselwirkungen zwischen den Kontinenten, die seit dem 15. Jahrhundert das Zeitalter der ersten Globalisierung einläuteten. „Die Entstehung der modernen Welt“ lässt sich ohne die intensiven wirtscha lichen Verflechtungen zwischen Westeuropa, Westafrika und Amerika, insbesondere der Karibik, nicht verstehen.

Die Schaffung eines ungeheuren Reichtums basierte auf der gewaltsamen Verschleppung von etwa 12,5 Millionen Afrikanerinnen und Afrikanern, die zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert die Überfahrt über den Atlantik überlebten. Das Buch ist gespickt mit Wirtscha sdaten, die einen staunen lassen. Zucker aus Brasilien, Jamaika und Haiti machte lange Jahre einen Großteil der Staatseinnahmen in Portugal, England und Frankreich aus und übertraf im Wert die Edelmetallimporte aus Südameri- ka. Oder die Steigerung der amerikanischen Baumwollproduktion: 1790: 680 Tonnen; 1800: 16.500 Tonnen, 1820: 76.000 Tonnen, 1860: 900.000 Tonnen. Das weiße Gold aus den Südstaaten wurde zum Turbo für die industrielle Revolution in den Fabriken Großbritanniens. Diese „afrikanischen“ Produkte trieben also die Integration der Weltwirtscha entscheidend voran. French betont auch die „Modernität“ der ausbeuterischen Plantagenwirtscha

Gerade kleine Inseln wie São Tomé oder Barbados spielten eine entscheidende Rolle für die Herausbildung kapitalistischer Wirtscha sformen: Arbeitsteilung, Spezialisierung, Synchronisierung der Abläufe und Buchführung.

Der Atlantikhandel wurde einerseits zur Geißel Afrikas (durch Bevölkerungsverluste und politische Fragmentierung) und andererseits zum Wohlstandsmotor und Modernitätsbeschleuniger für Europa. Er prägte über Jahrhunderte maßgeblich die europäische Kultur und Politik. Der karibische Zucker etwa veränderte die europäischen Konsumgewohnheiten im 17. und 18. Jahrhundert grundlegend. Ein Großteil der militärischen Auseinandersetzungen der westeuropäischen Mächte drehte sich um die fetten Erträge der amerikanischen Kolonien und den dafür notwendigen „Nachschub“ an afrikanischen Menschen.

French, ein afroamerikanischer Autor und preisgekrönter Journalist, war lange Jahre Auslandskorrespondent der New York Times, unter anderem in Westafrika und der Karibik. Er beklagt eindringlich, dass afrikanische Geschichte in diesem transatlantischen Sinne in den Schulbüchern kaum vorkommt: „Der Westen erklärt seinen Weg in die Moderne, indem er Afrika aus dem Bild tilgt.“ French sagt dies mit Blick auf die USA, aber in Europa sieht es diesbezüglich wohl noch schlechter aus. Es fehle auch an einer materiellen Erinnerungskultur. Bei seinen Besuchen in Elmina (Ghana), auf Sao Tomé, in Nordbrasilien und im Missis-

»Der Westen erklärt seinen Weg in die Moderne, indem er Afrika aus dem Bild tilgt sippi-Delta stößt French kaum auf explizite Hinweise, etwa Denkmäler, die das begangene Unrecht dokumentieren. Stattdessen wird etwa auf der Evergreen Plantation in Louisiana – jener Farm, auf der Quentin Tarantino „Django Unchained“ drehte, also der ausbeuterische Rassismus gezeigt wird – den Touristen weiterhin das Bild des harmonischen Miteinanders von weißen Herren und schwarzen Sklaven vermittelt.

Eindringlich schildert French das unsägliche Leid der versklavten Menschen. Von dem Moment an, ab dem sie auf einer Zuckerplantage zu arbeiten begannen, hatten sie im Schnitt nur noch fünf bis sieben Jahre zu leben. Er betont aber auch immer ihre Handlungsmöglichkeiten. Die Sklaven wussten dank ihrer transatlantischen Kommunikationsnetzwerke über politische Ereignisse o schneller Bescheid als ihre Peiniger. Sie waren immer mehr als nur Opfer und erhoben sich häufig. French hebt den erfolgreichen Aufstand der Sklaven in Haiti hervor (1791–1804), die nacheinander mehrere französische und englische Heere schlugen und die zweite Republik in der westlichen Hemisphäre gründeten – im Gegensatz zu den USA aber die Gleichheit der Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe postulierten.

Howard W. French: Afrika und die Entstehung der modernen Welt. Eine Globalgeschichte. Kle -Co a, 512 S., € 36,–

French stützt sich auf die neueste Literatur und hat eine Unmenge an Daten und Fakten zusammengetragen, doch manchmal verliert er sich ein wenig in Details. Auch läu er mitunter Gefahr, alles durch seine transatlantische Interpretationsschablone verstehen zu wollen, also monokausale Erklärungen hervorzubringen. Asien kommt in seiner Globalgeschichte praktisch nicht vor. Hier kommen politischer Aktivismus (Anklage) und Geschichtswissenscha (Analyse) einander ins Gehege. An Frenchs These, der kardinalen und nach wie vor weitgehend ignorierten Bedeutung der Afrikaner für die Entstehung der modernen Welt, ändert das nichts.

OLIVER HOCHADEL

Rosa Pock legt nach zweieinhalb Jahrzehnten eine Fortsetzung ihrer Prosa Ein Halbjahr im Leben einer Infantin vor. Journalartige Einträge wie Traumprotokolle, Mikroerzählungen oder (Selbst-) Beobachtungen ö nen einen ebenso individuellen wie universalen Denk- und Emp f indungsraum zwischen Kunst und Wissenschaft, Alltag und Entgrenzung. Ein grandioses poetisch-philosophisches Werk von verblü ender Prägnanz und feinem Humor. www.ritterbooks.com