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Das wird noch dauern mit der grünen Wende

Ökologie: Der Abschied von fossilen Brennstoff en wird viel langwieriger als angenommen, warnt Vaclav Smil

Wenn Vaclav Smil eins nicht leiden kann, dann spektakuläre Langfristprognosen, die auf wackligen Annahmen gründen. Genüsslich zählt er Irrtümer der Vergangenheit auf: etwa jenen aus dem Jahr 1960, als die Menschen sich wegen der rasch zunehmenden Weltbevölkerung sorgten. Wenn der aktuelle Trend sich fortsetze, werde deren Wachstumsrate am 13. November 2026 den Wert „unendlich“ erreichen, war in der angesehenen Zeitschri Science zu lesen.

Ebenso Abstand von Prognosen nimmt der Autor beim Thema Erderwärmung: freilich von jenen, die behaupten, diese gebe es gar nicht, aber auch von einem angeblichen „Hang zum Katastrophismus, verkörpert von denen, die behaupten, es blieben uns nur noch ein paar Jahre, bis sich der letzte Vorhang über die moderne Zivilisation senkt“. Ebenso nichts abgewinnen kann er dem „Techno-Optimismus“, wonach „die Zauberkrä e der technischen Innovation“ alles lösen würden. Was Smil sagt, hat Gewicht: Der tschechisch-kanadische Forscher hat mehr als 40 Bücher über Energie und Umweltfragen verfasst, von keinem anderen lebenden Wissenscha ler wurden mehr Bücher in der Zeitschri Nature besprochen.

Smils Haup hese: Der Abschied von den Fossilen wird viel langwieriger als angenommen. Schließlich gehe es um viel mehr als „nur“ grünen Strom und Treibstoff: Es gehe auch um Alternativen bei der Herstellung von Zement, Stahl, Plastik und Dünger. Sie alle seien so schnell nicht ersetzbar, schon gar nicht in den Dimen-

Michael Girkinger sionen, die für acht Milliarden Menschen und mehr vonnöten sind. Jene, die nun etwa einwenden, Dünger gehöre ohnehin reduziert, mahnt Smil: Solche Optionen hätten nur wohlhabende Länder. Andere hätten Au olbedarf, auch bei Energie und anderen Gütern. Das Wissen, das er hier ausbreitet, überzeugt und macht das Buch absolut lesenswert.

Was irritiert, zumal von einem solchen Kapazunder, sind die polemischen Kommentare zu jenen, die wegen der Klimakrise warnen. Diese malten in „apokalyptischem“ und „hysterischem“ Tonfall an die Wand, dass „unser Planet gleichzeitig abbrennen und im Wasser versinken werde“. Dabei sagt Smil selbst, wir hätten schon längst viel mehr gegen die Erderwärmung tun müssen. Unklar bleibt, was genau er an seriösen Klimaszenarien anzweifelt und was die erdrückende Abhängigkeit vom Fossilen nun heißt: Was sollen wir und unsere Regierungen tun? Am Ende beruhigt er mit der Abgeklärtheit des 79-Jährigen: „Der wahrscheinlichste Gang der Dinge wird eine gemischte Abfolge von Fortschritten und Rückschlägen […] sein.“

GERLINDE PÖLSLER

Vaclav Smil: Wie die Welt wirklich funktioniert.

C.H. Beck, 392 S., € 28,80

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Michael Girkinger analysiert den ambivalenten Trend zur Selbstoptimierung zwischen eigenem Antrieb und gesellschaftlichem Druck.

ISBN 978-3-85371-517-8, 176 Seiten, broschiert, 20,00 Euro E-BooK: ISBN 978-3-85371-910-7, 15,99 Euro