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Wie man zum Mann wird

In „Young Mungo“ erzählt Douglas Stuart eine schwule Coming-of-Age-Geschichte – deprimierend und grandios zugleich odie und ihr jüngerer Bruder haben die Ohren am Teppich, die Hintern in der Höhe. Aus der Wohnung unter den Hamiltons dringt das Wimmern von Mrs. Campbell, die gerade von ihrem betrunkenen Mann verprügelt wird, nachdem die Rangers das Derby gegen Celtic verloren haben. „Mach was, Mungo!“, fleht Jodie den 15-Jährigen an, dessen Ratlosigkeit sie auf die Palme bringt: „Kannst du nicht einmal deinen Mann stehen?“

Es wird wieder an der ebenso smarten wie beherzten Jodie sein, deeskalierend einzuschreiten und die misshandelte Nachbarin mit einer List aus der Reichweite ihres prügelnden Mannes zu locken. Also Jodie sich über diese Manifestation toxischer Männlichkeit echauffiert, kriegt sie aber was zu hören: „So naw, Jodie Hamilton, it’s not about the fitba. It’s not about if he likes a wee drink, or doesnae like ma cookin’. Ye’re nothin’ but a pair of da weans.“

So liest sich die Tirade, in der Mrs. Campbell ihren Mann verteidigt, der 27 Jahre lang in der Wer einer lebensbedrohlichen Arbeit nachgegangen war, ehe diese geschlossen und er entlassen wurde, im englischen Original. Glaswegian ist die vielleichst sperrigste Spielart des an sich schon nicht ganz unsperrigen schottischen Idioms, aber es hat seinen eigenen Charme; und hat man erst einmal geschnallt, dass mit „fitba“ „football“ gemeint ist, hat man den Sound bald im Ohr. Die Übertragung ins Deutsche kann da nur scheitern: „Und was hamse gekriegt für die ganze Maloche? Sind auffe Straße gesetzt worden von irgendwelchen Anzugsheinis aus Westminster, die Glasgow nich mah auf der Landkarte finden.“

Wie seine Protagonisten stammt der heut in New York lebende Douglas Stuart aus Glasgow und wuchs in dem Milieu auf, das er schon in seinem grandiosen, 2020 mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman „Shuggie Bain“ beschrieben hat. „Young Mungo“ spielt ein paar Jahre später in den frühen 1990ern, bleibt aber nicht nur dem

Die hohe Kunst Douglas Stuarts und das Ethos seines Schreibens besteht darin, sich nie dem sauren Kitsch dunkelschwarzer Desillusioniertheit zu überlassen

Schauplatz, sondern auch der familiären Konstellation treu: Wieder ist der Titelheld das jüngste von drei Geschwistern, Sohn einer schwer alkoholkranken, alleinerziehenden Mutter; schuld an der Abwesenheit des Vaters trägt diesmal freilich kein Beziehungsdrama, sondern schlicht der Tod: Kurz, nachdem er mit seiner Frau zusammengezogen war, wurde er von den blutjungen Angehörigen einer Gang abgefeitelt; Mungo hat nicht einmal ein Foto von ihm zu Gesicht bekommen.

Fast hat es den Anschein, als wäre Stuart dem Motto von Leonard Cohens Abschiedsalbum gefolgt: „You want it darker? We’ll kill the flame.“ Ein viel düstereres und grausameres Setting hätte sich der Autor für seinen Titelhelden nicht ausdenken können – einen san mütigen Burschen, der sich mehr fürs Zeichnen als für Fußball und nicht sonderlich für Mädchen interessiert; etwas, was die Mutter, Mo-Maw genannt, „ernstha beunruhigt“, wohingegen ihr der Umstand, dass ihr Ältester eine 15-Jährige geschwängert hat und die Tochter womöglich von der Schule fliegt, herzlich egal zu sein scheint.

Also verfällt Mo-Maw auf die Idee, Mungo der Obhut zweier Ex-Knackis zu überlassen, die sie von den Anonymen Alkoholikern kennt, damit die gemeinsam „Männersachen“ unternehmen. Der Plan erweist sich als genauso bescheuert, wie er klingt, ja schlimmer noch. Der gemeinsame, von reichlich Whisky und Dosenbier begleitete Angelausflug gerät zum Horrortrip nicht nur, weil es Katzen und Hunde regnet und die drei Hobbyfischer hoffnungslos schlecht ausgerüstet sind, sondern auch, weil sich die beiden kaputten Typen sexuell an Mungo vergehen – was sie selbstverständlich noch lange nicht zu „Schwuchteln“ macht.

Die hohe Kunst von Doulas Stuart und das hohe Ethos seines Schreibens besteht darin, sich nie dem sauren Kitsch dunkelschwarzer Desillusioniertheit zu überlassen. So beschert der in eine Spirale der Ge- walt mündende Ausflug, bei dem Mungo nicht nur zum ersten Mal in seinem Leben einen See sieht, sondern überhaupt aus Glasgows Eastend rauskommt, auch Momente euphorischer Exaltation und den Lesern Landscha sschilderungen von leuchtender Erhabenheit.

Auf der zweiten, dem Angelausflug vorausgehenden und diesen überhaupt erst initiierenden Erzählebene spinnt sich – zögerlich und zart – eine Liebesgeschichte an. Es handelt sich quasi um einen Romeound-Julius-Plot, denn James Jameson, so sein tatsächlicher Name, widmet sich nicht nur mit einiger Passion der nicht eben als hyperviriles Hobby geltenden Taubenzucht, er ist zu allem Überfluss auch noch Katholik und eines der bevorzugten Opfer von Mungos älterem Bruder Hamish, einem brutalen und sadistischen Tunichtgut, der mit Suppenwürfeln gestreckte Drogen an ahnungslose Erstsemestrige mit zu viel Taschengeld vercheckt.

Gewalt ist in „Young Mungo“ nicht nur allgegenwärtig, sie ist ein Freizeitvergnügen und für Typen wie Hamish, der von den Chargen der protestantischen Gang, die er befehligt, nur „Ha-Ha“ genannt wird, so ziemlich das einzige. In der streng binären Welt, die er und seinesgleichen aufrechtzuerhalten suchen, gibt es stets nur zwei Optionen: Mann oder Schwuchtel, Protestant oder Katholik, Rangers oder Celtic (kleine konfessionsballesterische Eselsbrücke: Celtic = c atholic).

So ziemlich alles, was schlimm ausgehen kann, geht in „Young Mungo“ auch schlimm aus. Und dennoch wird man in der zeitgenössischen Literatur nicht viele Romane finden, die so subtil und hartnäckig an die Kra von Liebe, Empathie und Solidarität festhalten wie jene von Douglas Stuart –und nicht viele Figuren, die einen so berühren wie Jodie Hamilton. Neben allem anderen ist „Young Mungo“ nämlich auch noch ein großer Schwesternroman.