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LiebesEinritzungen und AnwesenheitsAufschriften

Der Schri steller, Senner und geländegängige Polyhistor Bodo Hell wird 80 und legt in Text und Ton zwei Neuerscheinungen vor

Begabte Bäume“ von Bodo Hell ist ein hinreißendes Buch. Es erfrischt, als schritte man selbst an Hells Seite Naturund Kulturlandscha en ab. Was er im Buch an einer Stelle über Ernst Bloch sagt, nämlich, dass der uns „spurenlesend auf eine Vielzahl von Fährten“ führt, gilt in gleicher Weise seit jeher für den 1943 in Salzburg geborenen Bodo Hell, der dieser Tage seinen 80. Geburtstag gefeiert hat. Unverwechselbar wie er selbst – in der hageren, käppi-tragenden Erscheinung eines veritablen Karikaturistentraums – sind auch die Texte dieses Enzyklopädisten mit Orgel-, Philosophie-, Germanistik- sowie Film- und Fernsehstudium.

Als Avantgardist in seiner umweltoffensten Form schreibt Bodo Hell hochrhythmische, häufig grafisch gestaltete Texte, die sich vergnügt irgendwo zwischen Prosa und Lyrik ansiedeln, von starker Naturaffinität geprägt sind, und die er selbst, als würdigster Ernst-Jandl-Erbe, am allerbesten vorträgt – mit hochelaborierten Tempowechseln, die den gelernten Musiker ausweisen. Und voller Fakten, die einen akribischen Rechercheur verraten.

„Begabte Bäume“ handelt von ebendiesen titelgebenden Bäumen, von ihrem Leben in der Natur, ihrer Nutzung und dem ganzen assoziativen Klangraum an Fakten, Kuriosa und Beobachtungen, der stets den besonderen Reiz von Hells Schreiben ausgemacht hat – egal ob es sich dabei um Essays handelte, um Filmisches, Hörspiele, Lyrik oder Prosa. Ums Ergehen von Landscha en und Kulturräumen zwischen Salzburgerland, Waldviertel, Südtirol und dem Dachstein, wo Hell seit 1979 auch als ziegenhütender und käseproduzierender Senner tätig ist, geht es in dieser Sammlung von Texten ebenso.

Man lernt jede Menge und staunt immer wieder aufs Neue über die Detailkenntnis, Beschreibungsgenauigkeit, den Humor und die tief im Konkreten wurzelnde Sprachfantasie des Autors.

Vom „bei Berührung blütensternchenregnenden“ Holunder über die Lärche, „deren SamenstaubAusstreu wie Schwefelregen niedergeht“ oder eine baumbestandene Blockheide „mit feuchtelndem RiesenplotschenBewuchs“ bis zur Wand einer Fischerhütte mit ihren „LiebesEinritzungen und AnwesenheitsAufschri en“.

All das hat man schon selbst häufig gesehen, aber noch nie so betörend genaue Worte und Bilder dafür gefunden. Schieflachen könnte man sich über manche Formulierungen, wie die über den baumhöhlenbewohnenden Kauz, wobei „kauzbezüglich“, nämlich für die nächtliche Beobachtung des Vogels, „absolute Bewegungslosigkeit des Lauernden“ geboten ist. „Kauzbezüglich“ –ein herrliches Hell-Wort: „Schutz Schmutz Nichtsnutz Aufputz Trutz Liegestütz pardauz Kauz…“ beginnt der Kauz-Text mit einem reimreichen lexikalischen Spiel.

Ein richtiggehender Flow erfasst einen – um nur ein Beispiel zu nennen – beim Lesen von Texten wie „Schimmelsprung (Waldviertel/Itinerar)“, einer Kamptal-Wanderung, die sprachlich fröhlich dahineilt und -mäandert, gerade so wie es auch die Gedanken beim Gehen tun.

In ihrer Detailverliebt- und versessenheit entwickelt „Schimmelsprung“ Wanderkartenqualitäten, und es drängt sich einem die Frage auf, ob Hell seine ungezählten Wahrnehmungen – „Siamkatze balanciert äugend am Dachfirst gegenüber“ – stets sofort in seinem Notizbuch festhält und also hunderte Male unterwegs stehenbleiben muss (eher nicht, er käme ja aus dem Rhythmus!) oder ob er frohgemut ausschreitet und sich auf ein phänomenales Gedächtnis verlassen kann?

In jedem Fall könnte man selbst, mit seinem Kamptal-Text bewaffnet, sofort umstandslos zum Wanderstock greifen und bestens geführt au rechen.

Man verliert sich bereitwillig in Bodo Hells rhythmischen Erzählungen und Betrachtungen. Verirren allerdings wird man

Bodo Hell: Begabte Bäume. Mit Zeichnungen von Linda Wolfsgruber. Droschl, 216 S., € 25,– sich, von ihnen angeleitet, garantiert nicht. Im Gegenteil: Man sieht mehr, als man sonst wahrgenommen hätte. Dank des Adlerauges des Autors entgehen einem nicht die unscheinbarsten landscha lichen Phänomene, über deren regional-, bau-, kunstund alltagsgeschichtliche Hintergrund man darüber hinaus wertvolle Hinweise erhält. Das Beste aber ist, wie Bodo Hell seiner elementaren Naturverbundenheit, die sich andernorts literarisch viel zu o im Schwärmerisch-Biederen au ält, Bodenha ung gibt. Er tut das, ohne ihr für eine Sekunde Schönheit und Faszination auszutreiben. Nur Naturkitsch ist da weit und breit keiner auszumachen. Vielmehr verhält es sich so, wie es Klaus Nüchtern in einem Geburtstagsgruß zu Hells Siebziger ausgedrückt hat, dass nämlich „eine Kuh ihre alpenpanoramaha e Aura verliert, sobald sie in einem Text von Bodo Hell vorkommt“.

Gleiches gilt natürlich auch für Ziegen, Zaunammern und Zikaden, welche zu den Protagonistinnen einer weiteren Neuerscheinung gehören, die anlässlich des runden Geburtstags des Autors erschienen ist, dem Klangbuch „Natur Aufnahme“ mit CD nämlich, für das Hell mit dem Tonmeister Martin Leitner und dem Musiker Georg Vogel zusammengearbeitet hat – wie er ja ganz generell und seit jeher ein Freund der künstlerischen Kooperation ist.

Martin Leitner, Bodo Hell, Georg Vogel: Natur Aufnahme. Von Ziegen, Zaunammern und Zikaden. Klangbuch mit CD. Mandelbaum, 32 S., € 25,–

Eine Liebesgeschichte von Martin

Suter

Ein Mann verliert seine große Liebe und sucht sie ein Leben lang.

Der Student Tom gewinnt das Vertrauen des inzwischen betagten Liebhabers und versucht sich einen Reim auf Melodys Verschwinden zu machen. Dabei stößt er auf Widersprüche, Geheimnisse und Überraschungen.

Diogenes

Töne, Geräusche und Natur-Gesänge aus verschiedensten Weltecken stehen auf der CD im Mittelpunkt, dazwischen mischt sich Bodo Hell mit „enzyklopädischen Text-Einschüben und assoziativen Unterfütterungen“, was natürlich insgesamt als Konzept kaum mehr zu toppen ist.

Wie gesagt: Die reale Umwelt lacht einen allenthalben aus Hells Literatur an, ob’s –wie in „Begabte Bäume“ – um die „BalzTaubheit“ des Auerhahns, ums HolzknechtWerkzeug Sappel, um die barttragende katholische Heilige Corona oder das richtige Aufschichten eines Holzstoßes geht. JULIA KOSPACH

Martin Suter

Vom Hundertsten ins Tausendste und weiter

Den Abschweifungskünstler Erwin Einzinger zieht es mit einem „Rucksack voller Steigeisen“ ins Gebirge

Erwin Einzinger, der im Mai seinen 70er begeht, ist ein Mann der Peripherie. Das Werk dieses stillen Giganten hält sich ein wenig versteckt vor einer breiteren Leserscha und vom Marktplatz der literarischen Eitelkeiten. Nicht dass der Autor sich bewusst am Rand positionieren würde. Sein Literaturverständnis führt ihn zwangsläufig dorthin.

Der Germanist Wendelin SchmidtDengler hat es einmal so formuliert: „Einzinger nimmt nicht an der Autoren-Rallye teil, die zu allen Punkten gängiger Themen wie Ichverlust, Beziehungsproblematik, Krise des Intellektuellen führt. Er gehört zu jenen, die wissen, dass ernstzunehmende Literatur sich nicht durch den abgehaspelten Katalog der Konversationsthemen ausweist, sondern durch reflektierte Gestaltung.“

Wer eines von Einzingers Büchern aufschlägt, darf keinen linearen Plot erwarten. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Oberöster- reicher schwierige, experimentelle Literatur produzieren würde, vielmehr hat er eine eigene, fragmentha e und doch schillernde Form des Erzählens kultiviert.

Ein Roman ergibt sich aus der Fülle an Bildern, Figuren, Details und o schrägen Fakten nicht. Sei’s drum!

Das Werk dieses Abschweifungskünstlers, der vom Hundertsten ins Tausendste und noch weiter kommt, basiert auf Notizbüchern, in denen er auch, ja gerade die scheinbar nebensächlichsten Beobachtungen festhält.

Es braucht einen bestimmten Impuls, dann durchforstet der Autor die Notizen nach brauchbarem Material zu einem Thema. Daraus entstehen Erzählbruchstücke von meist nicht mehr als einer Seite Umfang.

So war es beim Meisterstück „Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik“ (2005), und so ähnlich dür e es sich auch beim neuen Buch „Ein Rucksack voller Steigeisen“ verhalten haben, in dem es den im Kremstal lebenden Autor und passionierten Waldgänger in die Berge zieht.

Das Wandern und Bergsteigen, Natur, Tier und Mensch sind die losen thematischen Fäden, die die Ab- folge von Kürzestgeschichten miteinander verbinden. Ein Roman ergibt sich aus der Fülle an Bildern, Figuren, Details und o schrägen Fakten nicht. Sei’s drum!

Einzingers langjähriger Verleger Jochen Jung pflegte den Autor immer wieder anzuspornen: „Du musst eine Straße bahnen, die man weitergehen will.“ Darauf dieser: „Das ist das größte Problem bei meinen Schreibabenteuern. O geht der Text den Weg, den man überhaupt nicht erwartet.“

Einzinger hat andere Trümpfe im Ärmel. Seine Texte sind so voller Welt, dass sie den Wunsch nach einer welthaltigen Literatur geradezu übererfüllen. Diesmal beginnt der Streifzug mit einer Beerdigung in heimatlichen Gefilden. Bergkameraden haben sich am Grab eines Lawinenopfers zusammengefunden. „Bayrisches Sauerkrautpathos“ umflort die Worte des Trauerredners. Es sind nicht zuletzt solche Details und Wendungen, die Einzingers Texte auszeichnen.

Danach geht es nach Afrika, die USA und noch weiter. Hin und wieder wendet sich Einzinger mit schalkha en Einwürfen und poetologischen Bemerkungen an die Leser.

Etwa so: „Die wirklich kostbaren Momente drängen sich in Wahrheit nur sehr selten auf. Sie zusätzlich zu polieren, ist in den meisten Fällen gar nicht nötig, denn auch das Ungeschliffene hat seinen Reiz, und manchmal ist sogar das Quietschen eines rostigen Garagentors am Rand von Kennewick ein heimliches Signal.“

Der Sprung von einer allgemeinen Überlegung zu einem konkreten, überraschenden Objekt verleiht dieser Passage eine eigentümliche Poesie. An seinen besten Stellen beginnt der Text zu leuchten oder ein wenig zu schweben. Dann wieder erinnern die zusammengetragenen Begebenheiten, die Berufe der Beteiligten und aufgelesenen Ortsnamen ein wenig an ein Kuriositätenkabinett.

Bei hastigem Genuss kann diese Prosa die Wahrnehmung überreizen. Am besten liest man nicht mehr als drei, vier Seiten auf einmal. Der Autor wird über dieses Lob nicht böse sein: „Ein Rucksack voller Steigeisen“ ist erstklassige Klolektüre.

SEBASTIAN FASTHUBER