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Treapn, Tscholdra, Tschoppale

Drei Frauen stehen im Mi elpunkt von Silvia Pistotnigs starkem Roman „Die Wirtinnen“

Bei Büchern mit mehreren Erzählsträngen passiert es häufig, dass sich einer spannender liest als die anderen. Silvia Pistotnig hat mit „Die Wirtinnen“ einen bemerkenswerten Roman geschrieben, bei dem man jeder Geschichte gleich gerne folgt und keine der Figuren dominiert.

Im Mittelpunkt stehen drei Frauen aus drei Generationen: Großmutter, Mutter und Tochter. Jede von ihnen verfügt über eine besondere Begabung: Bei Johanna ist es die Musik, bei Gertrud das Fußballspielen, und Marianne liegen die Zahlen. Aber keine wird mit ihrem Talent wirklich etwas anfangen können; die Zeit, die Umstände, ihr Geschlecht hindern sie daran.

„Die Wirtinnen“ umfassen einem Zeitraum von insgesamt 86 Jahren, konzentrieren sich aber vor allem auf die 1930er-, 50er- und 90er-Jahre. Wir befinden uns in Kärnten auf dem Land, genau genommen in Erblach. Keine der Frauen arbeitet wirklich gerne im Eckwirt, wo sich die Männer halb zu Tode saufen, aber es sichert ihre Existenz.

Mit Begriffen wie Treapn (dumme Frau), Tschoppale (dümmliches Wesen), Tscholdra (schwerfälliges, weibliches Wesen), Tschoda (Haare) oder Tetschn (Ohrfeige) bleibt Pistotnig, selbst gebürtige Kärntnerin, nah am Idiom ihrer Heimat und sorgt so für einen authentischen Ton.

Johannas Geschichte beginnt im Jahr 1936. Die junge Frau steht im Stall und hält sich mit den Händen die Ohren zu. Die Mutter reißt sie ihr herunter. „Die Schweine schrein so laut“, sagt die Tochter leise. „Eine Sau schreit nicht, du Treapn“, kei die grantige Mutter. Der Ton ist rau und Johannas Ohren hören besonders gut. Das Orgelspiel in der Kirche erfüllt das Mädchen mit Glück, aber die Musik ist nicht für Bauersleut wie sie gemacht. Dennoch bringt der Organist Franz „dem Weibsbild“ mit den schlanken Fingern das Spielen bei.

Auch später, nachdem Johanna von ihrem Schwager vergewaltigt, geschwängert und von der Mutter nach Wien geschickt wurde, um dort als Dienstmädchen zu arbeiten, spielt die Musik eine tragende Rolle. Wenn Johanna Putzdienst hat, setzt sich der Hausherr ans Klavier und spielt: „Dann erkannte sie die Noten. Sie sahen aus wie alte Bekannte, irgendwie war es beruhigend, sie zu betrachten, wie ein vor langer Zeit begangener Weg, den man wiedererkannte. […] Die Noten gaben ihr Selbstvertrauen.“

Zurück in Kärnten heiratet Johanna den Eckwirt. Aus dieser Ehe geht Marianne hervor. „Manche Leute hatten Hobbys. Sie hatte Arbeit“, heißt es über die Wirtstochter, die immerzu zählen muss: die Knöpfe, die Münzen, die Gäste. Ihr Lieblingstag ist der Donnerstag, weil sie da die Buchhaltung fürs Gasthaus macht, das sie als Erwachsene gemeinsam mit ihrer Mutter betreibt.

Mariannes Tochter Gertrud wiederum schämt sich für ihr Zuhause: „Meine Oma ist peinlich und in einem Gasthaus wohnen auch.“ Anstatt beim Servieren auszuhelfen, bearbeitet Trudi bevorzugt den Fußball: „Ich möchte lieber ein Bub sein. Die haben es viel lustiger.“ Auch als Grunge-Fan in der Kärntner Einschicht hat sie, die Geri genannt werden möchte, nicht leicht: Die Ausgehmöglichkeiten sind begrenzt. Vor allem in den Szenen rund um die jüngste Wirtin beweist der Roman Humor, etwa wenn das Scheidungskind Geri mit seinen Freundin- nen eine Grunge-Party im Gwölb des Gasthauses veranstaltet und sich die Oma als coole Alte erweist, die einem übergriffigen Typen eine Kartoffel an den Schädel knallt.

Pistotnig versteht es, politische Ereignisse auf subtile Weise mit den Biografien ihrer Figuren zu verschränken. Als Hitler an die Macht kommt, arbeitet Johanna in Wien, der Geliebte des Hausherrn ist Jude. Das Führerbild im Gasthaus hat einen weißen Fleck an der Wand hinterlassen. Besonders tragisch ist die Geschichte vom „Tschoppale“: Johannas kleiner Bruder, mit Trisomie 21 geboren, überlebt das Euthanasieprogramm der Nazis nicht.

Selbst in dramatischen Momenten erzählt Pistotnig unaufgeregt und klar, jegliches Pathos liegt ihr fern. Manchmal ha et der Erzählung fast etwas Dokumentarisches an, so nahe bleibt sie an ihren Protagonistinnen. Eine weitere große Stärke des Romans besteht darin, dass er seine Protagonistinnen nicht verklärt. Mit „Die Wirtinnen“ ist Pistotning ein glaubha es, vielschichtiges Familienporträt gelungen, das zum Schluss, als die frisch geschiedene Marianne ein „Tschoppale“ auf die Welt bringt, mit einer überraschend optimistischen Note endet.

SARA SCHAUSBERGER

Silvia Pistotnig: Die Wirtinnen. Roman. Elster & Salis, 360 S., € 24,70