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Zwischen Mehlwurm und 24-Stunden-Pflege

Alina Lindermuth erzählt in „Fremde Federn“ von Care-Arbeit und Insekten-Start-ups

«Ein Therapeutikum gegen all jene infamen Verwässerungstendenzen in Ost und West, die Putins Brutalität der Kriegsführung zu relativieren versuchen.»

Wolfgang Paterno, profil

«Erklärt, was für ein Regime das heute in Russland ist.»

Paul Lendvai, ORF zen Abschnitten, die selten länger als eine Seite sind. Es sind bruchstückha e Eindrücke eines auf den ersten Blick wenig spektakulären, von Bauernregeln dominierten Familienlebens am Land.

In zarten, poetischen Bildern und Szenen – wie etwa dem Drachensteigen mit dem Vater oder Beschreibungen von Mutters Kochkünsten („beuschl und erdäpfelschmarrn“) – gelingt Hülmbauer eine kurzweilige literarische Selbstbetrachtung, in der Fragen der Geschlechteridentität und die Mechanismen von Zugehörigkeit und Ausschluss ernstha , aber nicht ohne eine gehörige Portion trockenen Humors verhandelt werden.

Leitmotivisch fährt das Auto durch den Roman. Für die Erzählerin, deren erstes Wort natürlich „auto“ war, wird dieses Gefährt nach der Mopedzeit zu einem Vehikel in die große Freiheit: „wir fuhren zu einem hiphop-konzert“. Schließlich verliert sie langsam das Interesse am Auto, sodass am Ende gar die zeitgemäße Überwindung des Individualverkehrs obsiegt. Das letzte Wort des Romans lautet denn auch: „aufgehört“.

SEBASTIAN GILLI

Nach dem schlampigen Ende einer Beziehung zieht der 30-jährige Tom ins großelterliche Einfamilienhaus im Randbezirk einer nicht konkretisierten Hauptstadt.

Beim Schnitzelessen versucht er seiner Oma Rosmarie, die früher in der Fleischerei gearbeitet hat, die Vorteile des Mehlwurmverzehrs und seines neuen, „superspannenden“ Projekts zu erläutern: In einem Start-up will er Convenience-Produkte aus Insekten zur Marktreife bringen.

In der Freizeit schneidet Tom die alten Obstbäume, pflanzt Radieschen und baut ein Hühnerhaus. Doch das prekäre Idyll der generationenübergreifenden WG währt nicht lange.

Als sich Rosmarie den Oberschenkelhals bricht, tritt ihre mühsam überspielte Demenz zutage. Wegen der krä eraubenden Suche nach einer 24-Stunden-Betreuerin bekommt Tom schnell Probleme in der Arbeit.

Die 1992 in Villach geborene Alina Lindermuth schreibt über die bizarre kognitive Dissonanz, dass wir alle so leben, bauen und wählen, als könnten wir das Thema Pflege nie am eigenen Leib erfahren. „Und warum um alles in der Welt hatte noch niemand Altenbetreuung so benutzerfreundlich gestaltet, wie es sonst bei absolut jedem Lebensbereich der Fall war?“ die Frauen sind, die Rosmarie pflegen und das Mehlwurm-Müsli mischen. Lindermuth, die 2020 ihr Romandebüt „Die Wahrscheinlichkeit des Zufalls“ vorgelegt hat und im Vorjahr Writer in Residence auf Sri Lanka war, verfügt über eine genaue Beobachtungsgabe. In ihrem zweiten Roman hat sie sich eines wichtigen Themas angenommen – womit weniger die Mehlwürmer gemeint sein sollen (das mag Geschmackssache sein) als die „systemrelevante“ Arbeit der Pflegerinnen aus dem Osten.

Die beiden Figuren Josipa und Kata geraten allerdings erst spät in den Fokus. Zwar beginnt jedes Kapitel mit Einträgen aus ihrem Übergabeprotokoll, aber mehr als über ihr Leben erfährt man, wie es in Toms Start-up zugeht.

Dass gehäu BWL-Phrasen vorkommen, mag daran liegen, dass Lindermuth Gründerin eines Unternehmens für wirtscha liches Storytelling ist. Dafür könnte man sich nach ihrer Anleitung im Roman gleichsam selbst mit fremden Federn schmücken und gleich ein Mehlwurmmehl-Unternehmen gründen.

DOMINIKA MEINDL

Cornelia Hülmbauer: o manchmal nie. Roman. Residenz, 192 S., € 24,–

Es ist eine vife Idee, dass Lindermuth die Care-Arbeit einem jüngeren Mann au ürdet, denn träfe es die Tochter der dementen Frau, wär’s trauriger Alltag, nicht der literarischen Rede wert. Die Federn im Titel deuten an, dass es am Ende immer noch

«Giuliano da Empoli hat einen sensationellen Roman geschrieben über den Putinismus und die Dynamik der Macht im Kreml.»

Neue Zürcher Zeitung

«Ein sachlich fundierter und glänzend erzählter Pageturner.»

Ronald Düker, Die ZEIT

«Die Tragödie der Macht besteht darin, dass man sie verliert. Im Roman kann man das nachlesen.» ORF,

Alina Lindermuth: Fremde Federn. Roman. Kremayr & Scheriau, 256 S., € 24,–