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Geld oder Leben?

Das ist heute die Frage bei der Berufswahl. Wenn man sich nicht sicher ist, empfiehlt sich auf alle Fälle, mit außenstehenden Profis Gespräche zu führen

Text: Matthias Trummer

Verdient man gutes Geld, arbeitet man in der Regel auch viel. Hat man viel Freizeit und ein kleineres Arbeitspensum, verdient man im Normalfall wenig. So einfach könnte man argumentieren, klingt doch irgendwie fair. Wer ein hohes Maß seiner Lebenszeit in seinen Beruf steckt, soll dafür auch entsprechend entlohnt werden. Wer weniger investiert, wird mit Lebenszeit belohnt.

So funktioniert das globalisierte, auf Kapitalismus getrimmte Wirtschaftssystem, das sich im vergangenen Jahrhundert weltweit etabliert hat. Fair ist das nicht unbedingt, und aussuchen kann man sich das oft auch nicht. Doch ist es in einer hochtechnologisierten Welt überhaupt noch zeitgemäß, vierzig Wochenstunden oder mehr zu arbeiten? Studien belegen, dass die Arbeitsmoral meist bei höherem Stundenausmaß sinkt. Sie steigt bei niedrigerem Pensum, vor allem wenn man keine ökonomischen Einbußen hinnehmen muss. In Pilotprojekten testen bereits mehrere Unternehmen das Modell einer Viertagewoche oder einer Dreißigstundenwoche bei gleichem Gehalt – die bisherigen Ergebnisse scheinen durchwegs positiv zu sein.

Bei der richtigen Berufswahl spielen oft zwei Faktoren eine entscheidende Rolle. Zum einen stellt sich die Frage nach dem Gehalt: Wie viel kann ich in diesem Beruf verdienen, und welchen Lebensstandard kann ich mir damit leisten. Das kann für viele Menschen den entscheidenden Ausschlag geben, sich für eine bestimmte Ausbildung oder einen Beruf zu entscheiden. Wer gut verdient, hat mehr vom

Leben, könnte man pauschal denken. Wer Geld hat, kann sich bestimmte Dinge leisten, ein vermeintlich sorgenfreies Leben führen, meist auf Kosten der privaten Interessen. Ein gutes Gehalt kann einen großen Anreiz bedeuten, allerdings auch dazu führen, dass man in manchen Situationen dazu neigen könnte, über die Arbeitszeit hinaus zu arbeiten. Viele Unternehmen locken mit großzügigen Gehältern, um ihre Angestellten in sogenannten All-in-Verträgen zu knebeln. Im Klartext heißt das, in meinem Fixum sind Überstunden schon inbegriffen und werden nicht separat vergütet. Der Vorteil daran: Sollten keine Mehrstunden anfallen, bekommt man das vereinbarte Gehalt trotzdem ausbezahlt.

Der zweite wichtige Faktor bei der Berufswahl ist neben der Bezahlung die Zeit. Beides geht unweigerlich meist gemeinsam einher, je mehr Zeit ich meiner Arbeit opfere, desto erfreulicher der Kontostand, sollte man meinen. Je mehr Freizeit, desto geringer der Verdienst in der Regel. Natürlich gibt es Berufsfelder, in denen das nur bedingt zutreffend ist, etwa bei Selbstständigen oder jenen, die sich ihre Jobs und Ausbildungen nicht nach Belieben aussuchen können, weil sie zu marginalisierten Gruppen gehören oder unter Bildungschancenungleichheit leiden. In vielen Bereichen und Branchen scheint die Fünftagebeziehungsweise die Vierzigstundenwoche ein Auslaufmodell zu sein.

Strategien zur Wahl des Berufes sind ebenso vielfältig wie individuell. Wichtig ist, sich eine Grundsatzfrage zu stellen: „Arbeite ich, um zu leben, oder lebe ich, um zu arbeiten?“ Oder anders formuliert, ist es mir wichtiger, durch ausreichende Arbeit mein Leben außerhalb des Beschäftigungsprozesses genießen zu können. Oder sind eben die Beschäftigung und die Aussicht auf eine großzügige Entlohnung mein Motiv, um auf Freizeit zu verzichten. Beides hat seine Berechtigung.

Ratsam wäre es, sich seiner Stärken und Schwächen bewusst zu sein. Darüber hinaus sollte man sich überlegen, welche Ziele man verfolgt bzw. sich setzt, sowohl kurzfristige wie auch langfristige. Zudem ist es sinnvoll abzuwägen, was für mich attraktiv und erstrebenswert ist. Suche ich nach etwas Sicherem und Langfristigem, nur einer Nebenbeschäftigung, einer Lebensaufgabe, oder ist der Gehaltsaspekt entscheidend. All diese Überlegungen schließen weder Freizeit oder Wohlstand aus, noch garantieren sie diese. Dennoch scheint die Frage nach der Berufswahl und zwischen Geld und Lebenszeit eine politische Grundsatzfrage der privilegierten bildungsaffinen Mittel- und Oberschicht zu sein.

Die Frage nach Geld oder Leben liegt wohl zu einem erheblichen Teil auch in der Hand ökonomischer und systematischer Veränderungen und Innovationen des Arbeitsmarktes.