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Weit jenseits des Tellerrandes

Interdisziplinäre Studien wollen Studierende auf die zunehmend komplexer werdende Lebens- und Arbeitswelt vorbereiten

„In kurzer Zeit konnte ich mir viel Wissen aus den unterschiedlichsten Disziplinen aneignen“, sagt Luana Stolz Botello. „Das macht dieses Studium für mich ungemein spannend.“ Sie hat sich nach einem Bachelorabschluss in Kultur- und Sozialanthropologie zum interdisziplinären Bachelorstudium „Biomedical Engineering“ an der FH Technikum Wien entschlossen.

Die positiven Zukunftsaussichten mit diesem Abschluss bewegten Luana dazu, sich an der Schnittstelle von Medizin und Technik zu spezialisieren. Im Moment erlernt sie Grundlagen rund um den menschlichen Körper, über Gesundheit und technologische Skills. Ab dem vierten Semester kann sie sich für verschiedene Vertiefungsrichtungen wie medizinische Bildverarbeitung, Entwicklung medizinischer Geräte oder Rehabilitationstechnik entscheiden.

Momentan möchte Luana in die Rehabilitationstechnik gehen. Das kann sich aber auch noch ändern. Das Bachelorstudium ist breit gefächert, außerdem kommen stets neue Themen hinzu. Anfangs empfand Luana das Hin- und Herspringen zwischen den Disziplinen als Herausforderung und ganz anders, als sie es von der Kultur- und Sozialanthropologie gewohnt war. „Allerdings bauen die Grundlagen in den Naturwissenschaften aufeinander auf. Etwas, das ich in Mathe gelernt habe, kann ich auch in Physik anwenden. Aber klar, je mehr spezielles Wissen dazukommt, umso anspruchsvoller, wird es auch, die Zusammenhänge zu erkennen.“

Gerade weil Mathematik und Naturwissenschaften eine wichtige Basis für Technologien bilden und Elektronik, Informatik und Digitaltechnik in beinahe allen Arbeitsfeldern zum Einsatz kommen, ist Interdisziplinarität in den technischen Studien an der FH Technikum Wien Praxis. „Grundsätzlich sind alle Studiengänge interdisziplinär angelegt. Darüber hinaus durchlaufen die Studierenden neben den fachlichen Disziplinen auch wirtschaftliche und persönlichkeitsbildende Fächer“, erklärt Rektorin Sylvia Geyer. Erfolgreiche Fachexpert:innen müssten immer stärker disziplinübergreifend arbeiten, der Blick über den Tellerrand sei wesentlich.

In Studiengängen wie „Biomedical Engineering“ und „Wirtschaftsinformatik“ geht das interdisziplinäre Studieren noch weiter. „In der Wirtschaftsinformatik arbeiten viele Personen in Schnittstellenfunktionen: Kund:innenanforderungen, betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen und Projektmanagement auf der einen und technische Möglichkeiten auf der anderen Seite.“ Die Vorteile, auch nichttechnische Aspekte einer Arbeit zu kennen und mitzudenken, liegen für die Rektorin auf der Hand.

Auch an der Johannes-Kepler-Universität in Linz hat man das Potenzial von Interdisziplinarität erkannt. „Uber, Airbnb oder Amazon wären nicht so erfolgreich, hätten die Erfinder nicht auf eine Symbiose von technologischer Kompetenz und Erfindungsreichtum bei Geschäftsmodellen gesetzt“, sagt JKU-Rektor Meinhard Lukas. Trotzdem warnt er davor, den Begriff inflationär zu verwenden. Vieles, das als interdisziplinär bezeichnet werde, sei im besten Fall multidisziplinär. „Echte Interdisziplinarität entsteht, wenn ich das Wissen und die Methoden der Disziplinen wirklich integriere.“ Damit stecke man vielerorts noch in den Kinderschuhen. Gleichzeitig stelle sich die Frage, wie viel Erfahrung und Wissen man in einer Disziplin benötigt, um sich in eine andere Disziplin vertiefen zu können. „Wie viel muss ich von meinem eigenen Teller kennen, um über den Tellerrand blicken zu können?“, fragt Lukas. Als Beispiel für ein gelungenes interdisziplinäres Lernen nennt er das seit 1974 etablierte Wirtschaftsinformatikstudium an der JKU Linz. Hier wird der Fokus auf das Erlernen der Grundlagen in Informatik und Wirtschaft gelegt und beides integriert. „Die aus der Interdisziplinarität von Betriebswirtschaftslehre und Informatik gewachsene Wirtschaftsinformatik hat sich zu einer anerkannten eigenen Disziplin entwickelt. Demgemäß verstehen sich die Vertreter:innen dieses Faches weder als Informatiker:innen noch als Wirtschaftswissenschaftler:innen, sondern als genuine Wirt schaftsinformatiker:innen.“

Im Herbst startet an der JKU der neue interdisziplinäre Bachelorstudiengang „Transformation Studies. Art x Science“, den die JKU zusammen mit der Universität für angewandte Kunst entwickelt hat, um in Verbindung von Wissenschaft und Kunst die unterschiedlichen

Erkenntniszugänge zusammenzubringen. Die Lehrveranstaltungen aus den Themenfeldern KI , Medientheorie, Social Entrepreneurships oder Robotics finden an beiden Universitäten statt. Durch die interdisziplinäre Arbeitsweise sollen die Studierenden neue Lösungen für aktuelle Themen wie Digitalisierung und Klimawandel entwickeln.

„Transformation Studies“ reiht sich in die Strategie der „missionsgetriebenen Forschung“ ein, der sich die Angewandte verschrieben hat. „Wenn man an die großen Gesellschaftsfragen herangehen möchte und dabei die nötigen neuen Zugänge finden will, kommt man mit einer rein disziplinären Herangehensweise nicht mehr weiter“, betont Bernhard Kernegger, Vizerektor für Lehre und Entwicklung. 2012 begann das Masterstudium „Social Design – Arts as Urban Innovation“, ein interdisziplinäres Programm an der Schnittstelle von Kunst, Architektur, bildender Kunst, Design und Theorie. In praxisbezogenen Projekten setzen sich Studierende unterschiedlicher

„Nofretete“ von Fouad Samy Ismael/Studio TransArts. Produziert im Robotics Lab der Angewandten in Zusammenarbeit mit der Johannes Kepler Universität Linz

„Uber, Airbnb oder Amazon wären nicht so erfolgreich, hätten die Erfinder nicht auf eine Symbiose von technologischer Kompetenz und Erfindungsreichtum bei Geschäftsmodellen gesetzt.“ Meinhard Lukas, Rektor JKU Linz

Im Intensive Care Unit Labor der FH Technikum Wien beschäftigen sich Biomedical-Engineering-Studierende mit der technischen Seite intensiv-medizinischer Versorgung sentlichen Grundsatzfragen unserer Gesellschaft auseinandersetzen wollen.“ Hier wird weniger Fokus auf einzelne Fächer, sondern mehr auf das dahinterstehende Anliegen gelegt. Es geht um Möglichkeiten für Zusammenarbeit und die Frage, wie man die Unterschiede zwischen den Disziplinen produktiv überbrücken kann. Dies ist für Kernegger der Kern von interdisziplinären Studien.

„In einem interdisziplinär angelegten Studium lernt man, Schnittstellen zu identifizieren, die Komplexität gegenwärtiger Probleme besser zu verstehen und zu aktuellen Fragen eigenständig und kooperativ beizutragen“

Bernhard Kernegger, Vizerektor für Lehre und Entwicklung, Universität für angewandte Kunst fachlicher Herkunft mit Fragen zur Stadtentwicklung oder dem Zusammenleben im urbanen Raum auseinander.

Für Kernegger hat projektbezogenes Arbeiten innerhalb mehrerer Disziplinen besondere Vorteile: „Wir leben in einer zunehmend komplexen Welt, konfrontiert mit kaum überschaubaren Zukunftssorgen – vor allem für die junge Generation. In einem interdisziplinär angelegten Studium lernt man, Schnittstellen zu identifizieren, die Komplexität gegenwärtiger Probleme besser zu verstehen und zu aktuellen Fragen eigenständig und kooperativ beizutragen.“

Wer nicht erst im Master-, sondern schon im Bachelorstudium Interdisziplinarität lernen und sich dabei sein individuelles Arbeitsfeld schaffen möchte, sollte sich das Studium der „Cross-Disciplinary Strategies“ ansehen. „Das richtet sich an Maturant:innen, die sich nicht in einer Disziplin vertiefen, sondern sich mit we-