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Was inspiriert Dich eigentlich hier in Ehrenfeld?

Hier sind meine Roots. Ich kenne Ehrenfeld noch, als es das letzte Asi-Viertel war. Heute ist es ein aufstrebendes, super-teures, nicht bezahlbares Agentur-Hip-Viertel. Mir gefallen beide Seiten. Was mir nicht gefällt ist, dass ich nicht mehr in Ehrenfeld wohnen kann, weil ich mir die Mieten hier nicht mehr leisten kann. Deswegen musste ich nach Nippes gehen – aus Kostengründen. Jetzt muss ich zugeben, dass Nippes long, long cooler geworden ist, als Ehrenfeld es jemals sein kann. Da leben auch ganz viele verschiedene Leute. Aber im Gegensatz zu Ehrenfeldern sind die geerdet. Sie wissen, worum es geht und ziehen sich nicht gegenseitig ab. Hier hab ich manchmal das Gefühl, dass das Lebensgefühl anders ist. Inwiefern anders?

Hier ist alles supertrendy-fancy geworden. Die Leute sehen sich gegenseitig als Konkurrenten, haben Berührungsängste.

haben ja dann auch den „Subbelrather Hof“ im Wettbewerb3 bekommen. Die ziehen natürlich ihr Publikum an, aber das ist halt „Immi-Bespaßung“. Das ist in keiner Weise authentisch. Aber das ist auch gut so. Ja? Warum ist das gut so?

Heutzutage ist so etwas auch ein wichtiger Bestandteil der Szene in Köln, aber es ist nicht das, was es ausmacht, in Köln zu leben. Das ist nicht Köln. Ist das Image?

Ja genau, das ist Image. Was treibt denn Dich und Deine eigene Musik an?

Ich muss mit meiner Musik kein Geld verdienen. Ich muss nicht bedienen. Ich kann mich austoben und das macht vielleicht meine Musik aus. Ich probiere Neues und ich bin hemmungslos im Mischen von kulturellen Musikstilen. Im Network eben. Wie hier im Haus?

Nein, das ist „nett Working“. (lacht)

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nen Laden aufzumachen. Im März wird er wohl tatsächlich eröffnet.

Profil Dirk Wilhelm Kels/36/ Ehrenfelder mit italienischen Vorfahren/geb. in Ehrenfeld – geblieben bis zum 29. Lebensjahr/differenzierter Lokalpatriot/gelernter Schauwerbegestalter/ selbsternannter GraffitiKünstler/studierter Designer (Kels-Design), passionierter Musiker und DJ/verheirateter Familienvater, seit 2010 Ex-Ehrenfelder.

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Kostengründe spielen auch in Hamburg eine Rolle, wie wir bei „Not in our Name“ ab Seite 80 erfahren.

Was hat sich denn genau verändert?

Ist das bei allen so?

Nein natürlich nicht bei den Leuten, die man kennt, da ist das anders. Aber ich sag mal, die Hürde, jemanden kennenzulernen, ist größer geworden.

Wie könnte sich Ehrenfeld in Zukunft zum Positiven verändern?

Ja, wenn es hier wieder warmherziger werden soll, dann muss Ehrenfeld etwas tun, was andere Stadtviertel auch geschafft haben: es muss familienfreundlicher werden. Weil all die Leute, die jetzt Veränderungen hervorrufen könnten und die vielleicht den passenden kulturellen Einfluss haben, die langsam anfangen, Kinder zu bekommen... Und dann wird es wie in Berlin am Prenzlauerberg ?

Nein, das sollte es sicher auch nicht werden, aber eine Infrastruktur wie in Nippes wäre hier schon gut. Die Leute sollten sich eben wirklich mischen. Und Grünflächen müsste es endlich geben, hier fehlen einfach Ruhepole. Apropos Ruhepol. Wenn Du die Möglichkeit hättest, städtebaulich mitzuwirken, was würdest Du bauen?

Ich würde die Rheinlandhalle abreißen und dann würde ich einen ins Stadtbild integrierten altbauartigen Bau, ähnlich dem Bürgerzentrum Ehrenfeld, errichten. Auf den oberen Etagen ein Begegnungszentrum, das mit Cafekultur belebt ist. Man sollte Bock drauf haben. Und unten sollte Interkulturelles stattfinden, auch GenreInterkulturelles in den Bereichen Kunst, Musik, Design. Ein Ort, wo man sich treffen kann. Eben eine Mischung aus Veranstaltungs- und Ausstellungsorten sowie Arbeitsräumen. Für Begegnung wird ja einiges in Ehrenfeld getan?

Nicht gerade typisch für Köln.

Nein, das ist überhaupt nicht typisch für Köln oder Ehrenfeld. Aber es gibt hier so viele Leute, die glauben zu wissen, was typisch für Köln ist. Zum Beispiel die Leute, die diese Rhythmusgymnastik-Veranstaltungen machen, das ist ja so ein Ganzjahres-Karneval für Studenten. Und die

Ja, ich weiß .. das beschissene Straßenfest. Welches von den dreien meinst Du denn?

Alle drei. Dirk, wir danken Dir für das Gespräch.

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Heliosturm Und wie kam der Heliosturm tatsächlich nach Ehrenfeld? Seite 35

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Ehrenfeld war früher ein Arbeiterviertel. Die Vulkanhallen, wo jetzt in der Rheinlandhalle diverse Möbelläden und Fitnessläden sind, waren industrialisiert. Da haben Menschen in der Fabrik gearbeitet. Danach lag natürlich viel aufgrund der Pleite gegangenen Firmen brach. Und dann kamen die Immobilienmakler und haben das Potenzial gesehen und alles an fancy Werbeagenturen verkauft. Plötzlich drängen dann angebliche Kreative, die total hip sind, in so ein Viertel, weil die Mieten noch günstig waren. Damit ändert sich dann natürlich auch das Bürgerverhalten. Viele sind davon abgeschreckt, ziehen in andere Gegenden, und die Leute, die in den Agenturen arbeiten, die wollen natürlich in diese Ecke ziehen. Dabei ist die Wärme verloren gegangen. Es herrscht, so empfinde ich das, eine gewisse Arroganz, die dazu führt, dass man sich noch nicht mal mehr grüßt. Ich kenne das halt ein bisschen anders. Ich mag das halt, wenn man eine Anlaufstelle hat, wo man mal kurz einen Schnack halten kann. Hier im Haus, das ist auch so ein Konzentrationspunkt: da begegnet man sich nur mit seiner Coolheit, die aneinander vorbei läuft und – oh Gott – als würde die Welt untergehen, wenn man dem anderen mal Hallo sagt.

Fußnoten 1 Emmi = Emmigrant 2 4711-Haus 3 Gaffel Kölsch hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben: „Szenekneiper gesucht“. Das Team Rhythmusgymnatik hat gewonnen und den Subbelrather Hof als KonzeptKneipe neu eröffnet.

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