Der Cambridger Ökonom John Maynard Keynes fand seinen Körper hässlich. Zeit seines Lebens suchte er nach der Grenze der Ökonomie. Er suchte in der Kunst und im Bett mit Männern und Frauen. Er suchte in Theorie und Praxis. Wo hört das Wirtschaften auf und fängt das Leben an? Ich liege im Bett mit Keynes, und heute will ich nicht noch mal rausgehen, denn heute war kein guter Tag. Heute musste ich gezwungenermaßen mal wieder Passbilder von mir machen lassen. Jetzt sitze ich hier, und starre diese Bilder an. Ich fühl mich dabei wie das sprichwörtliche Kaninchen und die Schlange. Ich bin das Kaninchen, das Foto die Schlange. Wo hören die Bilder auf und fangen die Körper an? She catches the fotos like a cat catches a fly / and let ‘em vanish in her deepthroat / they vanished, she said, and the party was high! Es ist spät, sehr spät, und ich gehe mit drei Freunden noch kurz in den Sonic Ballroom, und als wir nach einer guten Stunde die Tür wieder öffnen, ist da draußen der grellhelle gesetzliche Feiertag, der uns mitten in die Gesichter blickt: Denkt nicht, ich hätte euch nicht gesehen … ich sehe euch … ich sehe euch genau!, und vier Erbsünder (die nicht so genau wissen, was sie Böses gemacht haben) ducken sich schnell in ein Taxi, und später beim Bezahlen versucht der junge Fahrer eine Fliege zu kriegen, die ihn schon die ganze Nacht lang genervt hat. Und dann kriegt er sie. Und wir atmen auf. Müssen nicht automatisch einige auf der Stre cke bleiben, wenn hier so viele Interessen und Lebensstile zusam menleben? Wird nicht irgendwer den Stil vor geben wollen?, vielleicht sogar wir? Ja, wir hätten das Zeug dazu: die Hardund Softskills, den intellektuellen Back ground, die richtigen Gebete, Geräte, Grafiken und Zitate. Das führt uns auf einen heiklen Punkt: Die arroganteren unserer eigenen Glaubenssätze sind mitverant wortlich für all die Plätze, an denen es kaum auszuhalten ist. Kulturaktive Städter, die wir sind, wollen wir stets als wir erkennbar und dabei alles andere sein als provinziell, selbst unsern Protest gegen die Verhältnisse performen wir. Plan: unperformatives Unverhalten, uneindeutige Kleidungen, die jedes mögliche Image auf Augenhöhe runterdiffundieren. Alle Kreter lügen, glaubt uns, wir sind selber welche! Ja, ich geb’s zu, ich bin eine Sozial romantikerin, außerdem Städterin aus Leidenschaft und ziemlich gut trainiert
zweige ich nun, o what a move!, behende ab – und bin auch schon in der Hüttenstraße im L und by the way: Wo liegt denn eigentlich heute genau die Linie zwischen bloßer Selbst darstellung und echter Bewegungsfreude?, und im L lerne ich meinen jetzigen Freund kennen. Nach meiner vorläufigen Definition der modernen Verliebtheit handelt es sich um eine Form von Tauschgeschäft, bei dem jede Partei das Interesse hat, von der anderen Partei ständig eindeutige Belege dafür zu erhalten, nicht-aus tausch bar zu sein. Man will jemand für sich allein haben und sich per Treuevertrag einen Großteil von dessen Gefühlen für die Zu kunft sichern. Äußerungen des Vertrags partners, die dem Bildnis des The-oneand-only-forever zuwiderlaufen, werden sanktioniert. Das gilt übrigens auch für die Selbstverliebtheit: Immer bedacht auf
Fast alle meine Freunde wohnen jetzt in Ehrenfeld. Wir sind oft krank. Eloquenz und Stil, verbiete ich mir alles, was mich in den eigenen Augen unbesonders macht. Dabei ist der eigene Stil auch bloß ein Set technischer Tabus, um ihn sich auszutreiben: den täglichen Unter schied zu sich selbst, die Bewegungsfreu de mit durchs Viertel stolpern, stottern und die eigene Sprache nicht verstehen. III. Soft and blue, I’ll kiss you
Ich bin zum dritten Mal in der Piusstraße, ein Dachgeschosszwischen Vogel sanger und Barthelstraße. Fast alle meine Freunde wohnen jetzt in Ehrenfeld. Wir sind oft krank. Bauch, Nase, Lunge, Haut. Apothekensalben sind uns vertraut wie der Zuckerguss auf dem Kuchen. Tab letten und Tropfen nehmen wir zu uns wie Erdnüsse und Cola. Jemand fehlt mir sehr. Der Gedanke, dass obwohl wir so viel teilten, er nie wieder mit mir reden wird, macht mich traurig. Der Freund neigt glücklicherweise nicht zur Eifer sucht. Manchmal ist da aber noch was anderes, ein anderes Fehlen, schwe rer zu beschreiben.
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meine Freunde und auch Deine Freunde wohnen in Ehrenfeld. Seite 76
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