Die Beste Zeit Nr. 22 2013

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Große Momente der Bildhauerei William Tucker stellt bei Tony Cragg im Skulpturenpark Waldfrieden bis zum 1. September 2013 aus Für einige Sekunden schienen die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft: Tony Cragg drehte eine Pirouette, legte die Arme seitlich an, machte sich steif, kippte zur Seite und fiel dann einen Schritt nach vorne: Der Dialog mit William Tucker war eröffnet. Es gehört zu den großen Momenten eigener Zeugenschaft im Kunstgeschehen, wenn sich zwischen Koryphäen wie Tony Cragg und William Tucker derart ein Gespräch über Skulptur aufbaut – ein Gespräch, bei dem beide zu Höchstform aufliefen.

William Tucker, Foto: privat

Die Begegnung mit William Tucker war sowieso eine kleine Sensation: Der seit Ende der 1970er-Jahre in der Nähe von New York lebende Tucker hat seit Jahrzehnten keine institutionelle Ausstellung mehr in Deutschland durchgeführt. Natürlich, die Transporte seiner Bronzeplastiken sind aufwändig und er selbst gehört nicht mehr der jüngsten Generation an, die nun mal im Kunstbetrieb gefragt ist. Seine Karriere ereignet sich seit langem fast ausschließlich in den USA. Das aber erstaunt doch: Damals, im London der 1960er- und 1970er-Jahre zählte Tucker zu den wichtigen europäischen Bildhauern der Avantgarde, zu ihren Erneuerern und einflussreichen Vermittlern. William Tucker wurde 1935 als Sohn britischer Eltern in Kairo in Ägypten geboren. Ab 1937 lebt die Familie in England. Wichtig wird für ihn um 1960 das Studium an der St. Martin‘s School of Art in London in der Klasse von Anthony Caro, der selbst sehr bald zu Weltruhm aufsteigt. Caro setzte mit seinen additiv konstruktiven Stahlplastiken die bedeutende britische Tradition der Bildhauerei fort, sozusagen in der Nachfolge von Henry Moore. Tucker und seine Studienkollegen

wie Phillip King und Tim Scott wiederum fügen dem wenige Jahre später ein weiteres, international respektiertes Kapitel zur Skulptur hinzu. Sie erfinden eine plastische Variante des Hard Edge. Die Skulpturen bestehen überwiegend aus planen Kunststoff-Flächen, welche buntfarbig, meist in Signalfarben homogen gesprayt sind. Sie stehen auf dem Boden und sind zu umqueren, ja, sie wirken mit jeder Ansicht anders. Alles Vorhersehbare relativiert sich dabei. Dabei rekurrieren die Kunstwerke auf stereometrische und geometrische Abläufe und Linienverläufe, z.B. im ornamentalen Gleichklang. Sie sind denkbar klar und unterlaufen doch jede Gleichförmigkeit. Und sie sind extrem sachlich – von jedem Gestus, also der künstlerischen Identität befreit – und verfügen häufig doch über subtile Verweise zum Gegenständlichen hin und tragen mitunter expressive Züge; mithin lösen sie Emotionen aus (Tucker) oder tragen erzählerische Züge (King, Scott). Bei aller Anonymität transportieren diese Skulpturen also eine Vertrautheit, sind aus dieser Welt, abstrakt und konkret zugleich. Wenn wir nun weiter auf die damaligen Werke von William Tucker eingehen: Tucker repetiert organische Formteile.

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