Die Beste Zeit Nr. 22 2013

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musst kämpfen, du musst mehr verlangen. Sei nicht so bescheiden! Hier ist die Liste mit deinen Prioritäten. Ganz oben stehen: Eine Zusatzversicherung für uns beide und ein Skiurlaub, offiziell nur für dich...‘ Marie war es peinlich, mit ihrem Vater ständig über Geld zu reden. Ihre Rivalin Lena hatte aber keine Skrupel und ließ sich gerne beschenken. „Mein Papi in Köln, mein Daddy in Wuppertal. Papi... Daddy...“ Lena flatterte und zwitscherte durchs Wohnzimmer, während sie von ihrem Wunschzettel ablas: Abendrobe, Pumps, Schmuck. Nur schön gestylt konnte sie mit ihren Kölner Eltern über den roten Teppich flanieren. Marie beobachtete diese Szene aus dem Esszimmer und fühlte sich fremd im Haus ihres Vaters wie nie zuvor. Die Stieftochter umarmte Adam und klickte die Homepage einer Designermarke an, um ihm das erträumte Outfit zu zeigen. Adam zögerte nicht, ihr seine Kreditkarte zur Verfügung zu stellen. Seine modebewusste Tochter durfte bestellen, was sie sich wünschte. „Danke, Daddy, danke! Du bist mein Retter!“ Mit ihrem Handy machte Marie mehrere Aufnahmen ihrer Umarmung. Sie war fest entschlossen, schon an diesem Abend ihren Vater zur Rede zu stellen. Dazu schrieb sie alle Geschenke auf, die Lena von ihm in letzter Zeit bekommen hatte. Wut und Hass kochten in ihr auf. ,Meine Zahnspange war ihm zu teuer. Für sie aber gibt er ein Vermögen aus. Sie hat kein Recht, mir meinen Vater wegzunehmen!‘ „Magdalena, sei bitte nicht albern. Mein Kind, warum lässt du dich von diesem Schein verblenden?“, mischte sich Dagmar auf dem Weg zur Küche ein, wo sie fürs Abendessen einen Auflauf zubereiten wollte. ,In der Nacht werde ich ihr die Mähne abrasieren‘, dachte Marie bebend vor Wut. ,Tief aufatmen, in jeder Situation cool bleiben‘, erinnerte sie sich an die Tipps ihres besten Freundes Lorenz. ,Greif sie nie offen an! Warte auf deine Chance, heimlich zurückzuzahlen.‘ Lorenz konnte sie vertrauen, weil er wusste, wovon er redete. Seit einigen Jahren wohnte er mit einer chaotischen Stiefmutter und ihren zwei „Tussi-Töchtern“ unter einem Dach. ,Ich muss ihn fragen, wie ich mich heimlich rächen kann‘, dachte sie.

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Auf ihrem Handy fand sie eine SMS ihrer Mutter, gelandet vor einer Stunde: ,Hast du schon etwas erreicht? Mach endlich deinen Mund auf, sonst nehmen sie uns alles weg. LG von meinen Bridge-Freundinnen.‘ Dagmar bat Marie, ihr in der Küche zu helfen. Wieder wollte sie ein drei GängeMenü auftischen. Sie hatte noch ihren Bruder zum Abendessen eingeladen. Marie kochte manchmal mit, weil sie das Hantieren mit Zutaten und Küchenzeug interessant fand. Während sie mit ihrer Stiefmutter die Kochtöpfe vorbereitete, pendelte Lena zwischen der Küche und dem Wohnzimmer hin und her und übte das Flanieren über den roten Teppich, wobei sie ihre Stiefmutter Ezra nachahmte. Die Schauspielerin wurde in diesem Jahr ausgezeichnet, und zwar für die Rolle einer emanzipierten Deutsch-Türkin in einer TV-Produktion. Promi-Mama hatte vor, sich mit ,ihrer großen Tochter‘ bei der Preisverleihung in Szene zu setzen. „Noch ein PR-Hirngespinst ihrer Agentin: Mamas mit Kids, egal ob groß oder klein, ziehen Kameras der Paparazzi an. Ezra hat aber panische Angst vor einer Schwangerschaft, weil sie ihren Alabasterkörper ruinieren könnte. Lieber schmückt sie sich mit fremden Federn. Ich muss dieser Diva klar machen: Finger weg von meiner Tochter.“ Die sonst so ruhige Dagmar tobte. „Musst du mir alles kaputt machen“, schimpfte Lena im Wohnzimmer. „Marie, glaub mir, all das ist nur eine Scheinwelt ihres realitätsfremden Vaters. Ihre Fummel können sie sich nicht einmal leisten. Immer noch sitze ich auf einem Schuldenberg seines Luftschlosses. Zwei gefloppte Filme, das ist alles, was er bis jetzt produziert hat.“ „Mama, kannst du nicht endlich eine andere CD auflegen?“ „Dagmar, Schluss damit! Lass unsere Tochter auf diesem roten Teppich glänzen. Ich habe dafür bezahlt,“ Adam war Großzügigkeit in Person. Marie schaute ihren Vater an und schrie: „Aber Papa, ich bin deine Tochter, nicht dieses Luder.“ „Ja, Marie, du bist auch unsere Tochter. Warte, bitte...“ Dagmar bat sie zu bleiben. Vergeblich. Sie fuhr zurück ins leere Haus ihrer Mut-

ter, die an diesem Wochenende an einem Bridge-Turnier teilnahm. Ihrem besten Freund Lorenz schickte sie eine SMS: ,Sie hat mir alles weggenommen. Ich will mich rächen. Kannst du mir bitte helfen?‘ Schon am Montag traf sie Lorenz in einem Café, in dem sie sonst ihren Frust über das Leben in einer Patchworkfamilie austauschten. Er war gut gelaunt, weil seine stille Rache am Wochenende so gut funktioniert hatte. Die Partnerin seines Vaters und ihre Töchter hatten am Samstag wieder eine Kaufsuchtattacke gehabt. Drei volle Tüten: Kosmetik, Parfüms und Klamotten, schleppten sie nachhause mit. Während sie durch Telefonate abgelenkt waren, versteckte er ihre Sachen. „Zuhause tobt jetzt eine Suchaktion. Sie wissen, dass das Verschwinden ihrer Beute etwas mit mir zu tun hat, aber sie dürfen mich nicht direkt anschuldigen. Dann bekommen sie Ärger mit meinem Vater.“ „Du machst das wunderbar! Lorenz, ich will auch dieser Diebin wehtun. Hilf mir bitte. Sie hat mir meinen Vater weggenommen“, vertraute sie sich ihrem Freund an und schilderte, was sie am Wochenende erlebt hatte. Als Beweis für Lenas Hinterlist zeigte sie ihm die Aufnahmen auf ihrem Handy. Eine Weile betrachtete er die Fotos und lächelte süffisant, wie immer, wenn er etwas im Schilde führte. „Damit kannst du deine Feindin platt machen.“ „Das will ich auch. Sie hat das verdient!“ „Dann gut. Nie wieder wird sie sich an diesen alten Sack heranmachen.“ „Das ist kein alter Sack, das ist mein Vater und ich möchte ihn zurück haben.“ „Und du willst nicht, dass sie deine Kohle abkassiert, nicht wahr?“ „Ich will nicht, dass sie meinen Vater ausraubt,“ flüsterte Marie verzweifelt. Einige Tage später bekam sie eine SMS von Dagmar. Die Stiefmutter lud sie zu einem Ausflug ein, am nächsten Wochenende, wenn Lena bei den Promis in Köln sein würde. Marie ignorierte ihre Einladung. Kurz danach erhielt sie Lorenzs Meisterwerk. Zuerst konnte sie den eigenen Augen nicht glauben. Ihre harmlosen Fotos hatte er in mehrere echte Knaller verwandelt. Im Halbdunkel eines Erotik-Clubs waren


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