Die Beste Zeit Nr. 22 2013

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Dominique Mercy. „Plötzlich steht man dann auf der Bühne neben diesen Tänzern, die man als Zuschauer immer bewundert hat. Ich brauchte Zeit, um zu merken, wie liebenswert und loyal die Gruppe war. Zum ersten Mal hatte ich die Chance, reichlich Bühnenerfahrung zu sammeln, denn an gängigen Theatern sind Ballettabende eher selten. Mit dem Tanztheater Pina Bausch sind wir häufig aufgetreten. Dann wird plötzlich die Vorstellung ein Teil von einem selbst, ein Teil des eigenen Lebens, man fühlt sich wohl in der Compagnie und mit Pina.“ Schon immer hat die universelle Sprache des Tanzes dem Austausch von

Fotos: Z. H. Lin „Reflex“

Kulturen gedient. In dieser Tradition kam 1909 Sergei Diaghilev mit seinen „Ballets russes“ nach Paris, um russische Kunst im westlichen Teil von Europa bekannt zu machen. Mit der legendären Uraufführung des „Le Sacre du Printemps“ von Igor Strawinsky hat er vor genau 100 Jahren Ballettgeschichte geschrieben: Diaghilev trat mit seinem Ausdruckstanz dem klassischen Ballett gegenüber und revolutionierte den Tanz nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika. Auch Pina Bausch hat sich mit ihrem Tanztheater der Tradition des kulturellen Austausches verschrieben. 1998, während des ersten internationalen Tanzfestivals von Pina Bausch,

lernte Chrystel Guillebeaud den Tänzer Chun-Hsien Wu aus Taiwan kennen, der am Cloud Gate Dance Theater unter der Leitung von Liu Hwai-Min arbeitete. Nach der Heirat löste sich Chrystel Guillebaud vom festen Engagement am Tanztheater und begann frei zu arbeiten. Mit ihrem Mann gründete sie die „Compagnie double C“. Gemeinsam erarbeiten sie seither jedes Jahr ein Projekt für Wuppertal und eines für Taiwan und pflegen damit die Tradition des kulturellen Austausches. Dafür erhielt das Paar 2005 den Eduard von der HeydtFörderpreis. In der Begründung der Stadt Wuppertal heißt es: „Beide Künstler bringen neben ihren Erfahrungen aus verschiedenen Welten ihre eigene Wahrnehmung dieser Welt (...) in ihre Arbeiten ein. Unbeirrt von anderen künstlerischen Einflüssen zeigen sie in ihren Choreographien eine sehr authentische Handschrift und zugleich neue Möglichkeiten für den Tanz auf. Mir ihren kreativen und sensiblen Bildern berühren sie und wirken längst über die Region des Bergischen Landes hinaus.“ (G. Westerholz) Nach der Geburt des Sohnes gastiert Chrystel Guillebeaud weiterhin im Tanztheater und konzentriert sich auf das, was ihr besonders liegt: die tänzerische Improvisation. „Nach so vielen Jahren wird der Tanz zu einer Art persönlicher Sprache oder Schrift, er ist eine Quelle des Ausdrucks. Tanz ist eine ephemere Kunst, die keine Spuren hinterlässt. Die Improvisation ist besonders zerbrechlich, sie fordert mich heraus, weil sie unwiederholbar ist. Sie bietet den wunderbaren Augenblick der vollkommenen Ehrlichkeit und Präsenz, denn ich kann mich hinter keiner Maske, hinter keiner Choreografie verstecken. Die besten Improvisationen entwickeln sich zwischen Menschen, die schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten. Man trifft nicht einfach aufeinander und macht etwas Tolles. Bei der Improvisation stoße ich immer wieder an bestimmte Grenzen. Man ist immer von neuem damit konfrontiert, sich von bestimmten Mustern zu befreien. Der Körper hat eigene physische Präferenzen, er will sich in diese oder jene Richtung bewegen, ähnlich wie die Emotionen. Man muss immer versuchen, sich in die Gefahr zu bringen, etwas ganz Neues zu finden. Wenn ich eine Soloimprovisation vorbereite, arbeite ich intensiv daran, diese vorgegebenen Muster im Gehirn zu reinigen.“

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