Das Goetheanum – Sonderheft Grundeinkommen

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ueli mäder

SOZIAL STATT MARKTLIBERAL Ein Vorschlag, wie ein Grundeinkommen die soziale Sicherheit gewährleisten könnte: über die Ausweitung der Ergänzungsleistungen

Eine alte Idee lebt neu. Alle Mitglieder einer Gemeinschaft erhalten ein bedingungsloses Grundeinkommen, das die Grundbedürfnisse befriedigen und die gesellschaftliche Teilhabe fördern soll. Das Grundeinkommen ist als individueller Rechtsanspruch konzipiert, ohne Arbeitszwang und Nachweis einer Bedürftigkeit. Ich skizziere hier einen Vorschlag, der auch schweizerische Spezifika berücksichtigt. In der Schweiz haben wir ein relativ gut ausgebautes System der sozialen Sicherheit, das allerdings mit dem Wandel der Lebensformen nicht Schritt hält. Obwohl Alleinlebende, Alleinerziehende und Patchwork-Haushalte zunehmen, richtet sich die soziale Sicherung auf klassische Familien und ‹Normalbiografien› aus. Wir haben zwar eine hohe Erwerbsintegration, aber keine Vollbeschäftigung. Ausgesteuerte Arbeitslose sind auf Sozialhilfe angewiesen, die immer mehr auffangen muss, was wirtschaftliche Unternehmen und soziale Versicherungen vernachlässigen. Ein Systemwechsel drängt sich auf. Zwiespältige Konzepte Stellen Sie sich vor, Sie erhalten ein Grundeinkommen. Was würden Sie damit tun: weniger arbeiten, das Geld auf die hohe Kante legen oder in Lotto investieren? Diese Qual der Wahl nehmen wir gerne auf uns. Egal, ob wir lieber Münzen sammeln, antiquarisch Bücher erwerben oder Ausstellungen besuchen. Eine erste Variante des Grundeinkommens will nun allen Erwachsenen monatlich 1500 Franken bezahlen. Die Reichen benötigen allerdings kein solches Grundeinkommen und den Armen reicht es nicht aus. Menschen mit Behinderungen bräuchten weitere Transferleistungen. Die zusätzlichen Kosten würden die Gefahr erhöhen, soziale Ausgaben auf private Träger abzuwälzen. Ein zweiter Vorschlag kam schon während den 1960er-Jahren in den USA auf. Er postuliert, monetaristisch motiviert, eine negative Einkommenssteuer. Das Prinzip ist einfach: Der Staat garantiert allen Haushalten ein Grundgehalt von 3000 Franken. Hat ein Haushalt kein Einkommen, bekommt er diesen Betrag direkt ausbezahlt. Hat er ein eigenes Einkommen von 2000 Franken, erhält er, je nach Lebenslage, etwa 2000 Franken dazu, damit er über 3000 Franken kommt und ein Anreiz zur Arbeit besteht. Wer mehr als

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6000 Franken verdient, muss hingegen einen Betrag für die negative Einkommenssteuer abgeben, die alle bestehenden Wohlfahrtsleistungen ersetzt. Etliche private Unternehmen befürworten diese Variante. Zum einen aus Kostengründen; zum andern, weil sie so einfacher Arbeitskräfte entlassen können. Das verschärft jedoch die Spaltung der Gesellschaft. Zudem liegt das vorgesehene Grundeinkommen unter dem Existenzminimum. Damit erfordert diese zweite Variante ebenfalls zusätzliche Mittel, von denen unklar ist, ob und wie sie sich auftreiben lassen. Alternative Damit die soziale Sicherheit wirklich gewährleistet ist, schlage ich als dritte Variante ein Grundeinkommen vor, das an die vorhandene soziale Sicherung anknüpft und die Ergänzungsleistungen (EL) ausweitet. Wer bei uns pensioniert ist, bekommt eine Altersrente (AHV). Und wer eine Behinderung hat, erhält eine Invalidenrente (IV). Wenn diese Renten nicht ausreichen, kommen die Ergänzungsleistungen zum Tragen. Sie garantieren, dass eine Einzelperson nach Abzug der Ausgaben für das Wohnen und für die Gesundheit monatlich noch mindestens 1500 Franken zur freien Verfügung hat. Leben mehrere Personen zusammen, dann erhöht sich der Betrag nach den gesamten Lebenskosten. Ich schlage vor, allen Haushalten die Existenzsicherung über diesen Anspruch auf Ergänzungsleistungen zu garantieren. Der Ansatz liegt mindestens 500 Franken über der Sozialhilfe. Die zusätzlichen Kosten kämen für alle Familien mit Kindern auf keine vier Milliarden Franken zu stehen. Dieser Betrag entspricht einem Promille der Vermögen, die Schweizer Banken verwalten. Geld ist also genug vorhanden; wobei der Ausbau der Ergänzungsleistungen auch die Sozialhilfe (SH) entlasten würde. Zudem gäbe das Recht auf Ergänzungsleistungen vielen Menschen mehr Unabhängigkeit und Rückhalt, um Neues auszuprobieren und sich sozial, ökologisch oder kulturell zu engagieren.

Ueli Mäder ist Professor für Soziologie an der Universität Basel und der Hochschule für Soziale Arbeit. Er leitet das Institut für Soziologie und das Nachdiplomstudium in Konfliktanalysen. Sein letztes Buch heisst: ‹Wie Reiche denken und lenken›, Zürich 2010.


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