Das Goetheanum – Sonderheft Grundeinkommen

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martin Barkhoff

GÖTTER UND GRUNDEINKOMMEN Probleme außerhalb der Liebe-Intensivierung gibt es nicht.

Dank Götz Werner und vielen anderen ist Grundeinkommen zu einem großen Thema geworden. Eine überschaubare und doch sehr radikale Idee oder auch Praxis, anhand derer man Gesellschaft interessant neu denken und wollen kann. Wären da nur nicht die Übereifrigen, die leider zugleich auch ziemlich bequem sind. Diese sehen schon die Lösung fast aller Probleme und das Paradies gleich um die Ecke. Sie tun so, als brauchte man eigentlich nur noch fordern und insistieren. Na ja, so bequem und nichtunternehmerisch hat sich Götz Werner das wahrscheinlich nicht gedacht. Um mich selbst zu orientieren, habe ich die Götter gefragt, was sie zum Grundeinkommen sagen – nicht alle Götter, nur die beiden, deren Meinung mir am wichtigsten ist, den Gott, den ich für den Christus halte, und jenen, der mir als sein finsterer Bruder erscheint. Und das ist erstaunlich: Man fragt sie und vernimmt tatsächlich so etwas wie Antworten. Ahriman und Christus, beide sind für die Einführung des Grundeinkommens. Wenn beide dafür sind, dann bin ich überzeugt, dass das Grundeinkommen bald zur Zivilisation gehören wird, so wie fließendes Wasser, Straßenreinigung und Abschaffung des Faustrechts. Aber wollen sie das Gleiche? Worin unterscheiden sich Ahriman und Christus? Der eine löst die Fragen des Lebens technisch, das heißt in der Welt außerhalb des Menschen, und der andere lässt die ganze Welt durch das Innerste des Menschen strömen. Der eine lebt in der Stimmung: Wenn ich das Problem technisch gelöst habe, ist das Problem gelöst. Natürlich kommen weitere Probleme, und die werde ich ebenfalls durch äußerliche Maßnahme lösen. Das ist nicht die Stimmung des anderen. Seine ist: Wenn ich ein ‹Problem› technisch gelöst habe, beginnt das Problem. Denn das Problem ist immer weitere Selbstverwandlung des Menschen. Probleme außerhalb der Liebe-Intensivierung gibt es nicht; es gibt keine Probleme, die wirklich gelöst werden könnten, ohne dass die Menschen ihre Liebe intelligenter und stärker entfalten würden. Ahriman bietet den Gedanken an, dass die Probleme der Menschen letztlich auf wirtschaftlichem Wege gelöst werden können. Das Grundgehalt ist ein sachgerechtes Mittel, die Menschen wirtschaftlich zufriedenzustellen. Darauf ist schon Milton Friedman gekommen. Der technische Friedensfürst kann gar nicht dagegen sein. Um nun den Christus zu vernehmen, muss ich mich von einer ahrimanischen Suggestion lösen, die uns allen sehr lieb geworden ist. Mutig denke ich: «Die Umverteilung von materiellen Gütern allein löst keine Menschenprobleme.» Sozialistische Umverteilungseinrichtungen, die im christlichen Europa eine richtige und wohltätige Errungenschaft darstellen, würden in anderen Gesellschaften

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DAS GOETHEANUM 25 | 2011

und Kulturen strukturell und moralisch vernichtend wirken. Sie tun das, wenn sich – anders als in Europa und ähnlichen Gesellschaften – nicht zusätzlich zur Umverteilung ein inneres Wachstum vollzogen hat. Beispiele findet man viele in gut gemeinter Entwicklungshilfe, die in den dortigen Gesellschaften die gewachsenen sozialen Strukturen und Moralkräfte unterspült und an ihrer Stelle zwei hässliche Dinge zurücklässt: eine suchtartige Abhängigkeit von den Gütern der Entwickler und mafiose Strukturen. Die Familie als Not- und Liebesgemeinschaft, als Gemeinschaft, deren Liebe in der Not trägt, das ist die Heimat der Tatmenschen, die das Überleben sicherten. In den weiter zivilisierten Ländern ist an ihre Stelle die Wohlfahrtspflege (oft immer noch staatlich) getreten. Kommt aber das Grundeinkommen, bedeutet dies das endgültige Aus für die alten Kräfte der Weltbewältigung und Weltbewährung. Dann muss der Mensch in seinen Geberkräften viel stärker werden, als er es heute ist. Sonst bekommt er das sinnvolle Arbeiten nicht mehr hin. Absehen von seinen eigenen Ideen, was gut sei, und einfach tun, was andere brauchen oder möchten, damit ist auch der moderne Tatmensch noch überfordert, wenn er nicht wenigstens Geld und Status dafür bekommt. Besser ‹geben› kann er noch nicht. Dazu muss er stärkere neue Liebeskräfte entwickeln. In der Liebe fortzuschreiten von den Blutsverwandten, von denen, die die gleiche Sprache sprechen wie ich, das können wir schon. Schwierig wird es, die zu lieben, die nicht das Gleiche denken wie ich, die nicht zu meiner Denkgemeinschaft gehören. Da knirscht es bereits gewaltig in unserer Zivilisation. Aber wir müssen nicht nur lernen, die Fremd-Denker zu lieben; noch schwieriger ist es, die Fremd-Woller zu lieben, besonders die moralisch Fremden (die Bösen), unsere Feinde. Tja, ‹Arbeitsmotivation aus allgemeiner Menschenliebe› ist keine einfache Sache. Das geht nicht von allein oder durch Zahlung eines Grundgehalts. Viele, die einmal freigestellt waren, um zu machen, was sie wirklich wollten, können ein Lied davon singen, wie schwer es ist, aus sich auszubrechen. Aus dem Scheitern daran wird Depression noch mehr eine Volkskrankheit werden. Der Christus hat deshalb andere Gedanken: Wenn Einzelne kein Brot haben, ist ihnen mit Brot geholfen; wenn eine Gesellschaft kein Brot hat, braucht sie – die ahrimanischen Geister in mir schreien auf! – eine neue Weltanschauung: neue Motive und neue Einsichten. Die alten Motive und die alten Einsichten brechen weg … und ohne neue bleibt nur die Verelendung. In einer gesellschaftlichen Notlage muss im Innersten der Menschen etwas geschehen. Nur dort entstehen neue Liebe und neue Erkenntnis. Wenn das Überleben als Handlungsmotivation für die Menschen


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