Magazin «umwelt» 2/2015 - Leben mit Naturgefahren

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inspektorat (ESTI) 2012 eine neue Richtlinie zur Erd­ bebensicherheit der elektrischen Stromversorgung, um einem nationalen Blackout vorzubeugen. Die Richtlinie definiert Anforderungen an die relevanten Elemente der Stromversorgung, wie zum Beispiel die Verankerung der Transformatoren. Ausserdem legt sie den minimalen Losebedarf der Leiterseile fest. Damit ist gemeint, dass Leiterverbindungen genügend locker hängen müssen, um sich bei abrupten Bewegungen des Untergrunds nicht plötzlich zu straffen und so die Apparate zu beschädigen. Die Bestimmungen sind nach Erdbebenzone und Stromspannung abgestuft und berücksichtigen auch die lokale Bodenbeschaf­ fenheit. Verletzbarkeitsanalysen decken im Weiteren auf, wo Vorkehrungen den grössten Nutzen bringen. Bei den Unterwerken – also den Komponenten im Stromnetz, die unterschiedliche Spannungsebenen miteinander verbinden – sind Transformatoren und Schaltanlagen die Schlüsselelemente. «Eine einfache Massnahme besteht darin zu verhindern, dass die Steuerschränke kippen», erklärt Sven Heunert. Dazu genügt es in vielen Fällen, sie mit Stahlwinkeln an der Wand zu fixieren. Viel bringt es zudem, für ausreichende Standfestigkeit der Transformatoren zu sorgen. «Wenn ein grosser Trafo umstürzt und Schaden nimmt, dauert es Monate, bis Ersatz geliefert werden kann», erläutert der BAFU-Fachmann.

«Niemand fühlt sich so richtig zuständig für Elemente wie eine nicht tragende Wand oder einen Trafo.» Sven Heunert, BAFU Dass ergänzend auch unkonventionelle Massnahmen zum Ziel führen können, zeigt die Walliser Kantons­ polizei: Sie hat ihre wichtigsten Computer speziell gesichert – mit starken Klettbändern. Damit folgt sie dem Gedankengang, der aus Sicht von Sven Heunert stets wegleitend sein sollte: «Jeder muss sich Gedanken um die Sicherheit der Tragstruktur machen und sich zudem fragen: Was könnte kippen, was ist gefährdet und was könnte gefährlich sein?» Wer baut, ist gefordert Generell bedauert Sven Heunert, dass nicht alle Ausbildungsgänge für Planungs- und Baufachleute der Erdbebensicherheit die gebührende Bedeutung beimessen. Insbesondere die sekundären Bauteile wie Installationen fänden vielfach kaum Beachtung. «Nie­ mand fühlt sich so richtig zuständig für Elemente wie eine nicht tragende Wand oder einen Trafo.» Dabei

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müssten häufig genau diese Elemente auf die Belas­ tungen ausgerichtet werden, die mit einem Erdbeben einhergehen. Grosse Herausforderungen stellt die Erdbeben­ sicherheit an die Bahn. Wegen der Verschiedenartigkeit ihrer Komponenten ist ihr Netz an Vielschichtigkeit kaum zu überbieten. «Neben komplexen Tragwerken wie Bahnhöfen mit hohen Personenbelegungen oder Brücken besitzen die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) auch ein eigenes Stromnetz sowie ein komplettes Kommunikationsnetz für dessen Steuerung», führt der BAFU-Experte aus. Damit eignet sich die Bahn­ infrastruktur auch gut, um viele Planer für den Erd­ bebenschutz zu sensibilisieren: «Die Bahn beauftragt zahlreiche Ingenieurbüros, die sich somit ebenfalls mit der Erdbebensicherheit befassen müssen.» Komplexe Bauwerke haben grosses Schadenpotenzial Bei den Strassen sind es die Brücken, die durch Erd­ beben besonders gefährdet werden. So untersucht das Bundesamt für Strassen (ASTRA) seit 2005 die Erdbebensicherheit der insgesamt etwa 4000 Natio­ nalstrassenbrücken in einem zweistufigen Verfahren. Bisher traten nur an wenigen Bauwerken Schwächen zutage, die sofort behoben werden mussten. Eine dieser Brücken ist das Viadukt von Chillon (VD), ein Teilstück der A9 am Genfersee. Zu Spitzenzeiten wird es von stündlich bis zu 7300 Fahrzeugen befah­ ren. Angesichts dieser intensiven Nutzung war es klar, dass im Rahmen der generellen Erhaltungsplanung auch Erdbebensicherheitsmassnahmen umgesetzt wurden. Zahlreiche Betongelenke der Talbrücke wurden durch spezielle Erdbebenisolatoren ersetzt. Diese wirken als Verformungslager, absorbieren die Bewegungsenergie der Erdstösse und trennen damit das Bauwerk von den Bewegungen des Untergrunds. Die eindrückliche Konstruktion am Genferseeufer steht für einen generellen Trend der Entwicklung von Infrastrukturanlagen und Siedlungen: Komplexe und teure Bauwerke haben das Schadenpotenzial stark in die Höhe getrieben. Würde heute in der Nähe einer Grossstadt die Erde so stark beben wie 1946 im Wallis, wären Schäden in der Höhe von 2 bis 5 Milliarden Franken die Folge. Weiterführende Links zum Artikel: www.bafu.admin.ch/magazin2015-2-06 KONTAKT Sven Heunert Sektion Störfall- und Erdbebenvorsorge BAFU 058 462 11 49 sven.heunert@bafu.admin.ch


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