Widerspenstige Drucksachen

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6.3 Diagrammatische Ikonizität Diagramme sind Ikone, die – wie bereits erwähnt – nicht auf Übereinstimmungen von Qualitäten sondern von Relationen basieren:

[A] Diagram is an Icon of a set of rationally related objects. By rationally related, I mean that there is between them, not merely one of these relations which we know by experience, but know not how to comprehend, but one of those relations which anybody who reasons at all must have an inward acquaintance with.43 Dass dieses Konzept für chemische Strukturformeln und Landkarten anwendbar ist, liegt nahe – wieweit Diagrammatik auch eine Rolle für die Typografie spielt, soll nun entwickelt werden. Den entscheidenden Anstoß gibt hierbei wiederum Peirce selbst, wenn er den Satz als Ikon identifiziert:

The arrangement of the words in the sentence, for instance, must serve as Icons, in order that the sentence may be understood. The chief need for the Icons is in order to show the Forms of the synthesis of the elements of thought.44 Peirce kann sich an dieser Stelle nicht auf bildliche Ikonizität beziehen, denn die Reihenfolge von Worten ist nur als Folge von Relationen modellierbar – im Modus der ikonischen Erstheit ließe sich eine solche Übereinstimmung nicht fassen. Gleichzeitig spricht Peirce nicht konkret von Schrift, sondern allgemein von Sprache,45 was für sein Konzept des Diagramms keine Widersprüche generiert, denn es umfasst sowohl visuell-räumliche wie auditorisch-zeitliche46 und taktil-räumliche47 Modalitäten. Diese sprachwissenschaftliche Abstraktion begünstigt allerdings eine Verkürzung auf Linearität, die Diagrammatik in der akustischen oder visuellen Reihenfolge der Worte vermutet, ihre zwei- oder

66  —  Ikonizität und Diagrammatik

43 Peirce: »PAP«, S. 316. 44 Peirce: CP, 4.544. 45 Roman Jakobson setzt Peirces

sprachwissenschaftlichen Ansatz an dieser Stelle fort und formuliert die Vermutung, dass nicht nur die syntaktischen Relationen zwischen Wörtern, sondern auch die Verbindungen von Morphemen diagrammatisch organisiert sind: Vgl. Roman Jakobson: »Suche nach dem Wesen der Sprache«, in: Semiotik – Ausgewählte Texte 1919-1982, hrsg. v. Elmar Holenstein, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1992, S. 77–98, hier S. 87; vgl. hierzu auch Friedrich Ungerer: »Diagrammatic Iconicity in Word-Formation«, in: Form miming meaning: iconicity in language and literature, hrsg. v. Max Nänny/Olga Fischer, Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins, 1999, S. 307–324. 46 Peirce: CP, 3.418. 47 Vgl. Peirce: NEM, 3/2:869.


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