Widerspenstige Drucksachen

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den Lesefluss zu stören und mittels Verfremdung auf sich aufmerksam zu machen. Diesen Zweck erreicht aber der vorletzte Satz: Durch den Hinweis auf die konkreten Formen der Schrift wird diese aus dem Aggregatzustand der Transparenz gerissen und in ihrer Gestaltung thematisiert. Im Anschluss an Ludwig Jäger kann man diesen Vorgang als eine Form intramedialer Störung beschreiben27 – also einen Prozess, in dem sich ein Medium selbst aus dem Modus der Transparenz heraus thematisiert und damit in Störung überführt. Das Beispiel zeigt wiederum, dass dieser gestörte Zustand nicht von Dauer ist, sondern der Leseprozess sehr schnell wieder in Transparenz zurückfindet und nicht fortan jede Versalie in ihrem Verhältnis zu den ihr folgenden Gemeinen vermessen wird. Nichtsdestotrotz lässt die Störung einen anderen Text zurück – warum, lässt sich mit dem Zusammenhang von Störung und Transkription erklären: Ludwig Jäger versteht Transkription als »Verfahren wechselseitiger intra- und intermedialer Um-, Ein- und Überschreibungen«.28 Im Kern geht es also um Bezugnahmen in und zwischen Medien,29 etwa die typografische Explikation des letzten Absatzes, das Aufgreifen eines Samples in einem Musikstück oder die Besprechung dieses Musikstücks in einer Zeitschrift. Auch wenn sich das Wort »Oberlängen« als Arrangement von Pixeln auf dem Bildschirm oder Farbe auf dem Papier nicht verändert hat, wird es durch das Transkript des seine Formen explizierenden Satzes in den veränderten Status eines Skripts überführt. Weil Materialität, so wie sie im vorausgegangenen Kapitel entwickelt wurde, nicht nur tote Farbe auf dem Papier, sondern Ergebnis eines performativen Aushandlungsprozesses ist, heißt das auch, dass dieses Skript in seiner Materialität verändert ist. Der erste Typ von Störung zeigt gleichzeitig, dass damit nicht alles über materielle Rekonfiguration durch Störung gesagt ist, denn auch Widerständigkeit, die von der Schrift selbst ausgeht, kann stören. Das Skript unterscheidet sich durch die in der Transkription vollbrachte Rekontextualisierung von seinem untranskribierten Zustand, dem Präskript.30 Dieses Präskript wird metaleptisch hervorgebracht, das

Indexikalität und Störung  —  45

27 Vgl. Ludwig Jäger: »Tran-

skriptive Verhältnisse. Zur Logik intra- und intermedialer Bezugnahmen in ästhetischen Diskursen«, in: Transkription und Fassung in der Musik des 20. Jahrhunderts, hrsg.v. Gabriele Buschmeier/Ulrich Konrad/Albrecht Riethmüller, Mainz: Akademie der Wissenschaften und der Literatur, 2008, S. 103–134, hier S. 108.

28 Ebd., S. 103f. 29 Die Unterscheidung zwischen

inter- und intramedial ist nicht immer so trennscharf wie die zwei Begriffe vielleicht suggerieren: Gerade die Betrachtung von Typografie eignet sich, um herauszustellen, dass Schrift und Bild keineswegs disparate Medien sind, sondern fließend ineinander übergehen (siehe Kapitel 6).

30 Vgl. Jäger: »Transkriptive

Verhältnisse. Zur Logik intra- und intermedialer Bezugnahmen in ästhetischen Diskursen«, S. 110f.


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