Widerspenstige Drucksachen

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kann, dass dort, wo Lesbarkeit drastisch abnimmt, Störung einsetzt, aber gleichzeitig jeder Text, der sich irgendeine Form von Lesbarkeit erhält, auch Momente der Transparenz kennen muss. Lesbarkeits-Studien über das Für und Wider von Serifen sind deshalb für Fragen der Störung eher nebensächlich, da es hier in der Regel um Lesbarkeitsunterschiede hart an der Grenze der Signifikanz geht.22 Interessant wird (Un-)Lesbarkeit dann, wenn sie schroff mit Konventionen bricht und damit tatsächlich das Werk für einen Moment fremd macht, da es sich den habituellen Rezeptionsprozessen widersetzt. Dabei ist wichtig anzumerken, dass es nicht nur den einen typografischen Mainstream gibt, mit dessen Konventionen gebrochen werden kann: Zu jedem Zeitpunkt in der typografischen Geschichte existierten zahlreiche verschiedene Textsorten, die auch gestalterisch als typografische Dispositive23 gewisse Erwartungshorizonte mit sich bringen. Jeder dieser Erwartungshorizonte beinhaltet die Möglichkeit seiner Störung. Abbildung 5.1 ist auch deshalb so verstörend, weil gerade der Dramensatz als typografisches Dispositiv viele Regelungen mit sich bringt,24 die hier völlig ignoriert werden. So zeigt das Beispiel nicht nur eine schwer zugängliche Schrift, sondern unternimmt keinen Versuch, den Sprecher – »King« – durch typografische Mittel vom Gesprochenen zu trennen. Der Text ist damit als Vorlage für eine Theateraufführung gleich doppelt gestört. (2) Die zweite Form der Störung geht nicht von der unmittelbaren Widerständigkeit der Drucksache aus, sondern setzt an anderer Stelle an. Um diese Form der Störung zu exemplifizieren, bietet es sich an, ein paar Worte über die Schrift zu verlieren, die Sie als Leser oder Leserin durch diesen Text begleitet: Sie trägt den Namen »Apollo« und wurde von Adrian Frutiger für den Fotosatz entwickelt.25 Apollo zeichnet sich durch eher ungewöhnliche Proportionen aus, so überragen die Oberlängen26 der Gemeinen die eher unscheinbaren Versalien – gut zu erkennen etwa im Wort »Oberlängen«. Diese Eigenschaften sind sicherlich nicht ausreichend, um

44  —  Indexikalität und Störung

22 Dirk Wendt etwa konnte

keinen signifikanten Lesbarkeits-Unterschied zwischen »Futura« und »Bodoni« messen. Vgl. »Lesbarkeit von Druckschriften«, S. 44. Frühere Studien zeigen dagegen teilweise einen Vorsprung von Antiquas gegenüber Grotesk-Schriften. Vgl. ebd., S. 44f. Diese Ergebnisse – Wendts eingeschlossen – sind allerdings nicht unproblematisch, da hier stets Schriften verglichen werden, die sich durch wesentlich mehr als nur die Serifenbehaftetheit unterscheiden. Erst die Studien von Arditi beheben diesen Mangel durch den Vergleich von mehreren Schriftvarianten, die sich ausschließlich durch die Ausprägung der Serifen unterscheiden. Das Experiment zeigt hierbei keine Zunahme in der Lesegeschwindigkeit durch den Einsatz von Serifen. Vgl. Aries Arditi/Jianna Cho: »Serifs and Font Legibility«, in: Vision Research 45.23 (2005), S. 2926–2933, hier S. 2931. 23 Vgl. Wehde: Typographische Kultur, S. 120. 24 Vgl. ebd., S. 123f. 25 Vgl. De Jong/De Jong: Schriftwechsel. Schrift sehen, verstehen, wählen und vermitteln, S. 144. 26 Oberlängen sind alle Teile von Gemeinen, die über die x-Höhe hinausragen. Beispielsweise bei »k«, »d« oder »h«. Vgl. Kupferschmid: Buchstaben kommen selten allein, S. 20.


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