Widerspenstige Drucksachen

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5.2 Störungen Die performative Grundlage von Jägers Transparenz und Heideggers Zuhandenheit bedingt gleichermaßen, dass diesen Zuständen immer die Möglichkeit ihrer Störung bereits eingeschrieben ist – Störung nicht im Sinne eines Unfalls, sondern als Unterbrechung der Transparenz, die ermöglicht, genau das zu thematisieren, was in dieser verborgen bleibt. Störung wird also nicht länger als kommunikativer Defekt, sondern als die Schaffung von für die Kommunikation unabdingbaren »Aushandlungsbühnen« verstanden.15 Um Störung im Kontext der Typografie konkret zu fassen, bietet es sich an, zwei Unterformen getrennt zu betrachten: (1) Die erste Spielart der Störung steht dem Gedanken der Verfremdung, so wie sie Victor Sklovskij definiert, sehr nahe:

[D]as Verfahren der Kunst ist das Verfahren der »Verfremdung« der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form, ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert […].16 Verfremdung ist also eine Form der Störung, die aus der Widerständigkeit des Werks selbst erwächst. Diese Störung erlaubt es, habituell automatisierte Abläufe zu unterbrechen und zu hinterfragen. Sklovskij bemüht hierfür eine temporale Metaphorik der »Verlangsamung«,17 die sich so auch bei Jäger wiederfindet, wenn er von er Störung als »Time-out-Phase«18 spricht. Genau in diesem Zustand vermutet Sklovskij die Grundlage aller Kunst und damit auch den Hebel, Alltagssprache von Lyrik zu unterscheiden. Störung ist also weder der epistemischen Leistung des Mediums noch seiner Ästhetik entgegengesetzt, sondern bedingt diese gerade. Wie eine solche Form von typografischer Widerständigkeit aussehen kann, zeigt Abbildung 5.1 – ein Ausschnitt aus dem Magazin Emigre, der unter dem Titel »Across Illegibility« steht. Über mehrere Seiten werden

42  —  Indexikalität und Störung

15 Vgl. Jäger: »Störung und

Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen«, S. 46.

16 Viktor Sklovskij: »Die Kunst

als Verfahren«, in: Russischer Formalismus, hrsg. v. Jurij Striedter, 4. Aufl., München: UTB, 1994, S. 3–35, hier S. 15.

17 Viktor Sklovskij: »Der

Zusammenhang zwischen den Verfahren der Sujetfügung und den allgemeinen Stilverfahren«, in: Russischer Formalismus, hrsg. v. Jurij Striedter, 4. Aufl., München: UTB, 1994, S. 37–121, hier S. 121. 18 Jäger: »Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen«, S. 46.


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