Widerspenstige Drucksachen

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Das Ende des Jahres 1995 markiert für viele der hier vorgestellten Magazine einen signifikanten Wechsel im Umgang mit Störung: Emigre – bereits seit Anfang 1995 im kleineren Format – fragt mit Ausgabe 39 (1996) nach »Graphic Design and the Next Big Thing« und greift dabei sichtlich auf die Formensprache des Modernismus zurück.1 Zuzana Licko veröffentlicht mit »Mrs Eaves« und »Filosofia« ihre ersten Neuinterpretationen klassischer Vorlagen – Mrs Eaves bezieht sich auf die Gestaltung von Baskerville, während Filosofia Bodoni interpretiert. Störung lässt sich dabei nur noch im Titel von Mrs Eaves ausmachen, der nicht auf John Baskerville, sondern seine langjährige Geliebte und spätere Frau Sarah Eaves verweist, die nach seinem Tod sein typografisches Werk vervollständigt.2 FUSE erscheint auch nach 1995 mit ähnlichem Innovations-Anspruch, aber gleichzeitig drastisch reduziertem Publikationsrhythmus – von 1996 bis zum Jahr 2000 erscheinen nur noch zwei weitere Ausgaben. Ray Gun bleibt bis Ende 1999 bestehen, wenn auch ohne David Carson, der Ende 1995 Platz für den Einzug der grafischen »new simplicity«3 macht. Frontpage erscheint bis 1997 monatlich und wird trotz der Einführung eines Verkaufspreises von 5 DM durch den Konkurs des Herausgebers Technomedia eingestellt – aus den Trümmern des Magazins entsteht später das Magazin »De:Bug«, das Frontpage eine betont nüchterne Gestaltung und Berichterstattung entgegenstellt.4 Nach der Trennung von Cyan 1995 pendelt sich Form+Zweck vorerst auf einen etwa jährlichen Erscheinungsrhythmus ein. Trotz Jörg Petruschats Kritik an typografischen Experimenten, wie sie in Ray Gun stattfanden, erhält sich das Magazin lange seinen experimentellen Zugang zur eigenen Materialität. Der Bruch in der Inszenierung von Widerständigkeit bei Magazinen wie Emigre oder Ray Gun zeigt, wie sich aus der Mikro-Oszillation von Störung und Transparenz größere kulturelle Bewegungen ergeben. Die Störungsmittel der Magazine erschöpfen sich durch ihre Iteration und lassen doch in ihrer Transparenz neue kulturelle Semantik zurück, die im Aufblitzen der Störung verhandelt wurde. Gleichzeitig wäre es falsch,

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1 Vgl. Jenny Wohlfarth: A

Behind-the-Scenes Interview with Emigre, 2008, www. howdesign.com/design-creativity/projects-profiles/emigre/ (eingesehen am 9. Juli 2011).

2 Vgl. Simon Loxley:

Type: The Secret History of Letters, London: I.B. Tauris, 2004, S. 46.

3 Vgl. Poynor: »Paganini

Unplugged«, S. 253.

4 Vgl. Meyer: Die Techno-Szene.

Ein jugendkulturelles Phänomen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, S. 113f.


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