Widerspenstige Drucksachen

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der Lesbarkeit. Doppelseitige Designs wie der Mayday-Bericht bilden bei dieser Werbedichte eher die Ausnahme. Eine zweite Form des Platzmangels ergibt sich digital, denn die frühen Designs von Frontpage müssen zu Transportzwecken auf nur einer 3,5”-Diskette – also in rund 1,44 MB – Platz finden.195 Das Interesse an vektorieller Gestaltung mit Hilfe von digitalen Schriften erklärt sich also auch durch ihre Kompaktheit im Vergleich zu Bitmap-Grafiken. Auch wenn die Fenster-Optik der zweiten Version in späteren Iterationen nicht fortgesetzt wird, bleibt der Anspruch, die eigenen Werkzeuge sichtbar zu machen. Version 4 (1994-1995) macht zu diesem Zweck den Screenshot zu einem festen Element des Editorials.196 Der Vergleich zu April Greimans Arbeit für Design Quarterly (Abb. 7.2 auf Seite 86) liegt nahe und macht gleichzeitig klar, wie anders die technischen Gegebenheiten 1994 sind: Mit QuarkXPress wird in Frontpage bereits die zweite Generation der DTP-Programme gezeigt, die 1994 schon lange kein Randphänomen in der typografischen Praxis darstellt, sondern im Gegenteil zur Norm geworden ist (Abb. 7.43). Abbildung 7.42 zeigt eine Doppelseite aus Version 3.10 (7/94), also kurz vor dem Wechsel zu Version 4. Die Rechtwinkligkeit von Version 2 ist hier sehr deutlich aufgegeben, Kolumnen liegen schräg und sind in nicht-rectilineare Formen gepresst. Die Überschrift »new german UNDER­GROUND��������������������������������������������������� « steht am unteren Ende der Doppelseite und ist wesentlich intensiver von Überschneidungen betroffen als das Beispiel aus Version 2. Während sich »new german« noch weitestgehend problemlos rekonstruieren lässt, operiert »Underground« nahe an der Unlesbarkeit. Die Überschneidung ist dabei schon in den Glyphen selbst angelegt: Die verschiedenen Ebenen von »Underground« sind in »Mittelczyk Duo« gesetzt, einer Schrift, die Gemeine und Versalien glyphenweise überlagert – gut zu erkennen etwa im »O« oder »R« der grauen Ebene.197 Mittelczyk verweist sowohl gestalterisch wie vom Titel auf die DIN-Mittelschrift, die wenig später extrem erfolgreich von Albert-Jan Pool für FontFont

Störungen in der digitalen Typografie  —  151

195 Vgl. Interview Branczyk 196

13.10.2011.

Abbildung 7.43: Ab Version 4 wird zu Beginn jedes Frontpage-Editorials ein Screenshot gezeigt. Die Abbildung zeigt einen stark vergrößerten Ausschnitt von Seite 59 des gleichen Hefts im DTP-Programm QuarkXPress. Spätere Ausgaben der vierten Version zeigen dagegen Teile des Titelblatts im vektororientierten Zeichenprogramm »Freehand«. Anders als QuarkXPress ist Freehand eher für die Gestaltung einseitiger Dokumente geeignet. Im Vergleich zum Original wird in den Freehand-Screenshots Text hinzugefügt, der in Verbindung zum Editorial steht. Aus: Jürgen Laarmann: »Frontpage 4.01: Was passiert ist, was passiert und was passiert«, in: Frontpage 9 (1994), S. 2. 197 Auch hier finden sich amerikanische Parallelen, etwa Stephen Farrells »Entropy«, die 1993 als eine der ersten Schriften beim Schriftlabel »T-26« erscheint. Vgl. Frank Heine: »Change Your Face!«, in: PAGE 12 (1995), S. 70–74, hier S. 72.


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