Widerspenstige Drucksachen

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der Verweis auf das Digitale bleibt trotzdem überdeutlich: »Frontpage« ist in »OCR-A« gesetzt. Auch wenn die Schrift aus dem Jahr 1966 stammt und damit dem Desktop Publishing deutlich vorausgeht, trägt sie ihren elektronischen Verwendungszweck bereits im Namen: »Optical Character Recognition«.183 OCR-A ist ein früher Versuch, eine Schrift zu gestalten, die sowohl für Menschen wie Maschinen erkennbar ist – hier wirkt also ein posthumanistisches Lesbarkeitsideal. Dieses Ideal wird auch im Logo fortgesetzt, das nicht nur den Titel, sondern auch einen stark vergrößerten Strichcode zeigt. Anders als ein regulärer Handelsstrichcode ist dieser nicht von einer dezimalen Übersetzung, sondern von einem achtstelligen Binärcode (»10001101«), also genau einem Byte digitaler Daten, begleitet. Im Innern des Hefts ist der Bezug zur Digitalität etwas subtiler, obwohl Frontpage 1992 vollständig auf dem Macintosh gestaltet wird. Branczyk greift hier zu Beginn auf die Ressourcen von MetaDesign zurück – Erik Spiekermanns Designagentur in Berlin. Hier hat er tagsüber als Mitarbeiter den Kontakt zur neuen digitalen Typografieszene und nachts den Raum, an Techno-Gestaltung zu arbeiten. Prägend für die ersten Ausgaben ist der intensive Einsatz von rechteckigen Rahmen rund um Textkolumnen. Die so gerahmten Kolumnen werden übereinandergeschichtet und stehen in der Regel völlig aufrecht. Der Mayday-Bericht in Abbildung 7.41 zeigt eine der wenigen Ausnahmen – auch hier wird allerdings die Rechtwinkligkeit der Rahmen zueinander erhalten. Branczyk versucht so, die Fenster-Ästhetik des Macintosh in die Gestaltung zu übertragen.184 Gestapelte Kolumnen ersetzen die Mehrspaltigkeit eines klassischen Rasters. Trotz dieser Auflehnung gegen die modernistische Ordnung bleiben die Grundsätze der Spaltendiagrammatik erhalten: Auch wenn die Stapelungshierarchie anders verläuft, folgt die Ordnung in Version 2 von Frontpage der Leserichtung – welches Textfenster entlang der virtuellen dritten Dimension am weitesten vorne liegt, hat also keine diagrammatische Konsequenz. Das gilt auch für die Mayday-Doppelseite, obwohl hier durch die Rotation der

146  —  Störungen in der digitalen Typografie

183 Vgl. Lewis Blackwell:

Twentieth Century Type, München: Bangert, 1992, S. 166.

184 Vgl. Friedrich Friedl:

»Buchstaben in Bewegung. Die Typographie der TechnoGerneration«, in: Form 149 (1995), S. 61–66, hier S. 63.


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