Widerspenstige Drucksachen

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ein Logo verzichtet und stattdessen den Schriftzug »Ray Gun« auf der Titelseite der typografischen Variation preisgibt. Das beinhaltet neben der Schriftart sowohl die Trennung von »Ray« und »Gun« wie die Groß- bzw. Kleinschreibung. Nr. 1 etwa ist mit »rAY GUn«165 betitelt. Ungewöhnliche Mischungen von Gemeinen und Versalien gehören gerade in Überschriften zum gestalterischen Inventar des Magazins. Die Wahl der Schriften ist dabei wie die Gestaltung selbst sehr heterogen – digitale Interpretationen von Klassikern lassen sich genauso finden wie Schriften von jungen Designern und eigens für Ray Gun angefertigte Fonts. Die Liste der »Font Designers« im Impressum ist deshalb oft genauso lang wie die der Fotografen. Ähnlich wie bei Emigre finden sich sehr schnell Anzeigen im Heft, die eigene Schriften zum Verkauf anbieten. Mit GarageFonts existiert ab 1993 ein eigenes Schriftlabel zu diesem Zweck.166 Trotz der mikrotypografischen Explikation im Impressum erhält diese Dimension der Schrift in Ray Gun aber wesentlich weniger Aufmerksamkeit als in FUSE und Emigre. Das Ziel ist weniger, einzelne Schriften sichtbar zu machen, als sie in eine Kakophonie der schnellen Wechsel und heterogenen Überschneidungen einzureihen. Ruhe kehrt höchstens gegen Ende des Heftes in den Plattenkritiken ein, die über mehrere Seiten ein gestalterisches Kontinuum bilden. Die Gestaltung dieser Seiten liegt in der Regel nicht bei Carson selbst, sondern bei den Mitarbeitern und Praktikanten, mit denen Ray Gun sich einen ständigen Zufluss neuer Ideen von Universitäten wie CalArts sichert.167 Eine auch nur annähernd vollständige Typologie der gestalterischen Mittel in Ray Gun zu erstellen, wäre aufgrund der Heterogenität des Magazins eine enorme Aufgabe – interessanter scheint die Frage, welche Funktion dem offensiven Umgang mit makrotypografischer Störung und der darin angelegten Kritik diagrammatischer Formate zukommt. Einen Anhaltspunkt liefert die Mitte des Magazins. Beach Culture hatte hier einen Raum für die unkommentierte Darstellung bildender Kunst geschaffen. In Ray Gun wird diese Idee unter dem Titel »Sound in Print« fort-

140  —  Störungen in der digitalen Typografie

165 David Carson: »Titelseite«,

in: Ray Gun 1 (1992).

166 Vgl. Heller/Fink: Faces

on the Edge: Type in the Digital Age, S. 115.

167 Vgl. Rick Poynor: »Paganini

Unplugged«, in: Looking Closer 2. Critical Writing on Graphic Design, hrsg. v. Michael Bierut u. a., New York: Allworth Press, 1997, S. 248–254, hier S. 250.


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