Widerspenstige Drucksachen

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den Texten in Ray Gun ab.161 Berühmtes Beispiel dieser Spannung ist ein Interview mit Bryan Ferry in Nr. 21 (1994), das komplett in Zapf Dingbats, einer Sammlung nicht-alphabetischer Symbole, gesetzt ist (Abb. 7.37). Die Unlesbarkeit des – in Carsons Augen belanglosen – Interviews wird allerdings am Ende des Hefts aufgelöst – hier findet sich der Klartext (Abb. 7.37 rechts). Trotz dieses Zugeständnisses an die alphabetische Lesbarkeit ist der Artikel ein klarer Beleg für die Bereitschaft, typografische Störung bis an den Rand zu treiben. Dass sich diese Störung primär aus mikrotypografischen Mitteln speist, ist für Carsons Arbeit eher ungewöhnlich. Wer sich trotz der Opazität der Glyphen dem Text nähert, wird allerdings entdecken, dass sich auch hier im Mittelteil der rechten Seite Kolumnen überschneiden. Anders als in Abbildung 7.36 sind die Kolumnen nicht durch verschiedene Schriftgrößen als autonome diagrammatische Elemente getrennt, sondern durch leichte Versetzung der Zeilen in der zweiten Kolumne – ein Verfahren, das in Cranbrook-Publikationen populär gemacht wurde.162 Den allgegenwärtigen Überschneidungen stehen auf der anderen Seite Überspannungen von Abständen gegenüber. Abbildung 7.38 etwa zeigt einen Artikel zur Band »The Wolfgang Press«, dessen Zeilenraster in Sinuswellen zu oszillieren scheint. Durch die Kolumnen changieren die Zeilenabstände zwischen Überschneidung und Überspannung und verdichten so Absätze, die eigentlich nach der Satzlogik keine sein dürfen. Strapaziert werden aber nicht nur Zeilenabstände: Die mittlere Kolumne zeigt klare Zeichen eines erzwungenen Blocksatzes, der Worte auseinanderreißt und so zu der verstörenden Rhythmik des Artikels beiträgt. Reflektiert wird die eigene Methodik in dem Wort »strained«, also »strapaziert«, am unteren Ende der mittleren Kolumne, das gemeinsam mit seinem Satzzeichen extrem gesperrt ist. Die nüchterne Grotesk, die rechtwinkligen Kolumnen und die Regelmäßigkeit des Rasters lassen die Seite trotz der intensiven Erkundung des Zeilenabstands im Kontext des Magazins fast bieder erscheinen. Wo der Abstand zwischen Kolumnen in

138  —  Störungen in der digitalen Typografie

161 Vgl. Poynor: No More

Rules. Graphic Design and Postmodernism, S. 63.

162 Vgl. etwa McCoy/McCoy:

»The New Discourse«, S. 14.


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