Widerspenstige Drucksachen

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tiven Narben deutlich zur Schau gestellt. Das gleiche Prinzip leitet auch »Dead History«, einen Hybrid aus »Centennial« (Linotype) und »V.A.G. Rounded« (Adobe), den P. Scott Makela 1990 bei Emigre veröffentlicht. Damit stehen »Can You …«, Dead History und Fudoni auch für einen neuen Zugang zu historischem typografischen Material. Während Adobes Schriftgestaltung zu dieser Zeit eine möglichst authentische Überführung historischer Schriftschnitte in die Digitalität anstrebt, stellen die Schriften von Baines und Kisman sowohl ihre transkriptive Eigenleistung wie deren Bezug zu Quellen deutlich heraus. Die Störung in den Glyphen von »Can You …« und Fudoni ist somit Ausgangspunkt einer zweiten Form von Störung, die sich auf die Originale des Samplings bezieht und diese in den Status von Skripten überführt. Wo Schrift bearbeitet wird, berührt das also auch ihre Quellen, die durch die Bezugnahme anders lesbar werden. Die in »Can You …« gestellte Frage nach den minimalen Voraussetzungen endlicher Differenzierbarkeit99 in der Alphabetschrift macht etwa sehr deutlich, wie ausgeprägte Serifen oder Tropfen – die in klassischen Groteskschriften ganz oder teilweise getilgt werden – Aufgaben bei der Buchstabenerkennung übernehmen. Auch wenn damit nichts zur Lesbarkeit von Serifenschriften gesagt ist, liefert Phil Baines doch ein Argument gegen die Identifikation von Serifen mit Ornamenten und den daraus abgeleiteten Schluss, dass die Grotesk das Skelett des Alphabets freilegt. Die Serifenbetonung in Clarendon erscheint durch die transkriptive Bearbeitung von »Can You …« in einem neuen Licht. Die Verfahrenslogik des digitalen Samplings entfacht in der Typografie neue Fragen zu geistigem Eigentum und Schaffenshöhe, in denen sich die paradoxe Lizenzierungssituation von FUSE wiederfindet, die gleichzeitig die Verbreitung einschränken will und Variation als Triebfeder von Innovation unterstützt.100 Hier hallt sehr deutlich ein Diskurs nach, wie er schon früher vor dem Hintergrund der Appropriation Art und vor allen Dingen der sample-basierten Musik geführt wurde. Gerade letztere Verbindung zeigt noch einmal, wie sich Strukturen der Musikbranche in der

Störungen in der digitalen Typografie  —  115

99 Vgl. Nelson Goodman:

Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997, S. 132.

100 Kritische Töne zur Schaf-

fenshöhe von Sampling finden sich etwa in: Smeijers: Type Now, S. 32.


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