Widerspenstige Drucksachen

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Die Personalisierung von Schrift ist allerdings nicht nur ein Gegenentwurf zur Immaterialität des Digitalen, sondern auch zu den Regeln des Modernismus, der jegliche Idiosynkrasie untersagt, da sie seinem Konzept von Transparenz in der Schrift entgegensteht. Dass hier gegen den Modernismus argumentiert wird, macht auch die Makrotypografie des Interviews klar, denn der Text ist zentriert und bricht somit mit dem Dogma der Linksbündigkeit, das der Modernismus als Gegenposition zum mittelachsialen Satzschema entwickelt hat. Auch das enorme Spek­trum an Schriftgrößen, das im Laufe des Interviews abgedeckt wird, kann als Bewegung gegen die Reduktion des Minimalismus gesehen werden – gleichzeitig ist es allerdings auch ein Stück Schriftmuster, in dem sich Triplex in verschiedenen Größen präsentieren kann. Zur Auszeichnung im Text wird nicht Triplex Extra Bold, sondern großzügige Sperrung bei nur wenig erhöhtem Wortabstand eingesetzt, was Lickos vielzitierten Satz »You read best what you read most«55 ironischerweise zum unlesbarsten Satz des Interviews macht, da die Differenz zwischen Wort- und Buchstabenabstand nicht mehr verlässlich greift. Hier setzt VanderLans noch einmal auf offensive Störung aus der Typografie und unterstreicht doch gerade ihre Abhängigkeit von den Gewohnheiten des Lesers, aus der sich auch ihre Vergänglichkeit speist. Wofür der Text damit argumentiert und was er dem Leser gleichzeitig grafisch evident macht, ist, dass Idiosynkrasie in der Typografie zwar mit Störung zusammenhängt, aber nicht mit dieser gleichzusetzen ist: Idiosynkrasie ist nicht allein das Produkt von eigenwilligen Formen, sondern kann sich auch durch externe Störungsprozesse in eine Schrift einschreiben. Die Kälte und Unpersönlichkeit, die Helvetica oft vorgeworfen werden, sind also auch das Produkt eines modernistischen Diskurses, der nach Universalität und Transparenz strebt und deshalb genau diese Eigenschaften in den Formen der Schrift hervorhebt. Demgegenüber tritt in den Achtzigern und Neunzigern ein neuer Diskurs über Schrift, der Eigenheiten sichtbar macht und dem Designer so über die Tonalität der Schrift eine Stimme verleiht.

102  —  Störungen in der digitalen Typografie

55 Vgl. VanderLans/Licko:

»Typeface Design: Zuzana Licko«, S. 13.


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