BIORAMA Niederösterreich #5

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Biomilch aus dem Pielachtal wird im großen Stil nach China exportiert. Regionale Produktion als Rendite: In Krems wird eine Regionalwert AG entwickelt. Urlaub ohne NachbarInnen: Der sanfte Tourismus findet in den Wirtschaftswald. Umstrittene Straße: Der Kampf um den Bau der S8 und dessen Effekte dauert an.

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www.facebook.com/biorama

KOSTENLOS — ABER NICHT UMSONST

Die China-Connection

P.b.b. — 11Z038861 M — 1040 Wien

Biorama Niederösterreich ausgabe 5 — Juli 2020. www.biorama.eu

Di e N i e de rös t e r r e ic h a u sg a be #5



Bio r ama N Ö

E d i t o r i al, Im p r e ssu m

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3

Editorial

B

iorama widmet sich Fragen und Themen, die durch globale Seuchenherde und das Wiederkehren oder Aufheben der Maskenpflicht nichts an Relevanz verloren haben. Und Niederösterreich hat alle Themen zu bieten, die uns beschäftigen: Biolebensmittel, Mobilität und Verkehr, Biodiversität und Wildlife. Bereits zum fünften Mal erscheint deshalb unsere Regionalausgabe, die in Niederösterreich und Wien vertrieben wird – ganz bewusst, um zwischen Stadt und Land zu vermitteln. Unsere Zugänge und Fragestellungen sind ebenso urban geprägt wie vom Leben und Alltag abseits der Ballungsräume. Der ländliche Raum, die viel zitierten Regionen, sind Lebensund Wirtschaftsraum.

Gleich zwei Artikel sind diesmal dem Pielachtal gewidmet, von wo aus ein Großteil der dort erzeugten Biomilch nach Asien exportiert und wo eine Form des sanften Waldurlaubs entwickelt wird. Der Wagram ist sogar dreifach vertreten: mit der gerade im Aufbau befindlichen Regionalwert AG, mit dem Wiederbeleben des Prinzips Market Garden und als engagierte Klimamodellregion. Und im Umland der March wird gerade der Radtourismus gefördert – und dagegen gekämpft, dass der Weg dorthin über die geplante S8 führt.

Bilder  Chri st oph Adame k, Michae l Mickl

Spannende Geschichten versprechen wir auch für die nächste Regionalausgabe, die im Oktober erscheint. Bis dahin wünschen wir einen schönen Sommer!

Martin Mühl, Chefredakteur muehl@biorama.eu

Thomas Weber, Herausgeber weber@biorama.eu @th_weber

impressum HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTEUR Martin Mühl AUTORINNEN Martin Mühl, Thomas Weber, Irina Zelewitz GESTALTUNG Selina Alge, Michael Mickl Lektorat Manuel Fronhofer, COVER­BILD Michael Mickl ANZEIGENVERKAUF Thomas Weber, Norbert Windpassinger DRUCK Walstead NP Druck GmbH, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Biorama GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Martin Mühl KONTAKT Biorama GmbH, Wohl­ lebengasse 16 / 6, 1040 Wien; www.biorama.eu, redaktion@biorama.eu BANKVERBINDUNG Biorama GmbH, Bank Austria, IBAN AT44 12000 10005177968, BIC BKAUATWW ABONNEMENT siehe Website: www.biorama.eu ERSCHEINUNGSWEISE 2 Ausgaben pro Jahr ER­ SCHEINUNGSORT Wien. BLATTLINIE biorama ist ein unabhängiges, kritisches Magazin, das sich einem nachhaltigen Lebensstil verschreibt. Die Reportagen, Interviews, Essays und Kolumnen sind in Deutschland, Österreich und der ganzen Welt angesiedelt. Sie zeigen Möglichkeiten für ein Leben mit Qualität für den Menschen und den Planeten Erde. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. biorama erscheint sechs Mal im Jahr.


Au f takt

B io r ama N Ö

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STOCKERAU

T. PÖLTEN

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KLOSTERNEUBURG

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03 Editorial 06 Bild der Ausgabe Mein Klima und ich

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WIEN

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MISTELBACH

08 LeserInnenmeinung 10 Global Village

GÄNSERNDORF

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18 Regionalwert AG Investieren in regionale Produktion

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MÖDLING

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16.000

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12 Biomilch als Exportschlager Milch für das andere Ende der Welt

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MARCHEGG

BREITENFURT BRUCK A.D. LEITHA

Streit um die S8

Die Rückkehr des Steinkauz

Die Argumente der GegnerInnen des Straßenbaus.

Die bedrohte Eulenart weiß Weinberge zu schätzen.

20 Market Gardening Die Rennaissance des Gemüsegärtnerns 22 Klimamodellregionen Wie Regionen dem Klimawandel entgegentreten 24 Streunende Hauskatzen Wie wahrscheinlich ist die Paarung mit Wildkatzen? 26 Rückkehr des Steinkauz Die Rolle biodiverser Weingärten 30 Urlaub ohne NachbarInnen Waldurlaub kann Bäume retten 34 Wasser im Garten Gartengestalterin Paula Polak über Trockenheit 38 Schutzhaus zur Zukunft Haus der Wildnis im Weltnaturerbe 40 Gewitter Siegertext eines Jugendliteraturwettbewerbs 42 Umstrittene Straße Kein Endes des Kampfes um den (Nicht-)Ausbau der S8 in Sicht

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Marktplatz 46 Käsekrainer 48 Rosé mit Ansage

Die China-Connection

Kolumnen

Die Kuhmilch von 62 Biohöfen aus dem Pielachtal wird nach Asien exportiert.

50 Hintaus: Ich war noch niemals

36 Aus dem Verlag

in Würmla

Bilder  istock.co m/G enestro, isto ck. com/MuchMania, i stock.co m/alph a betMN, istock .co m/Ihor-B iliavskyi, istock.com/petekarici,Josef Stefan, Thomas Weber

12.350

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Inhalt


Wir schauen aufs Ganze. Die Biobäuerinnen & Biobauern www.bio-austria.at

Bio. Gut für uns. Gut fürs Klima!


B io r ama a m a NX XÖ

EBirllde nd d e rLoAu r em sgaipbe su m

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Mein Klima und ich

Bild: Daniel Hinterramskogler

30 Kilo pro Person und Tag: Der CO2-Ausstoß ist der maßgebliche Treiber des Klimawandels. Das lässt sich nicht mehr leugnen. Drei Kilo pro Person wären am Tag vertretbar. Allein die weltweite Textilproduktion verursacht jährlich 1,2 Milliarden Tonnen CO2. Wie lässt sich der Kampf gegen den Klimawandel gewinnen? Was hat das alles mit mir, meinem Konsum- und Mobilitätsverhalten oder meinen Ernährungsgepflogenheiten zu tun? Was ändert es, wie ich wohne, womit ich heize und wie kann ich ernsthafte Ansätze zur Kreislaufwirtschaft unterstützen? Antworten auf all diese Fragen gibt die Ausstellung »Klima & Ich« (bis 7. Februar 2021) im Haus für Natur im Museum Niederösterreich. biorama empfiehlt eine öffentliche Anreise mit Zug und Maske: St. Pölten ist perfekt ans öffentliche Verkehrsnetz angebunden und das Museum Niederösterreich gut auf einem Spaziergang durch die barocke Altstadt erreichbar. museumnoe.at Thomas Weber


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B io r ama N Ö

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Le se r i n n e n m ein u n g

Wir müssen reden …

LeserInnen an und über uns. Mails, Tweets und hoffentlich Liebesbriefe an die Redaktion. Betrifft:

Alles, was keine Flügel hat: Grün­brücken für Wildtiere in Niederösterreich

DI E NI ED ÖSTE ERRR AUSG EICH ABE #2

NE

TO

KOSTENLOS — ABER ABONNIERBAR

nto mit hseln.

P.B.B. — 11Z038861 M — 1040 WIEN WWW.FACEBOOK.COM/BIORAMA

BIORAMA SPECIAL — JULI/AUGUST 2018. WWW.BIORAMA.EU

S UG E VIC

BIORAMA NÖ 2, ursprünglich erschienen 2018 und auf biorama.eu (Juli/August 2018)

Wie die Sojabohne nach NÖ kam.

n FinReach einfach mehr Musik, Kultur .raiffeisenbank.at

St.Pölten 2024: Wie soll die Landeshauptstadt europäische Kulturhauptstadt werden? Waldbrände: Was bedeutet der Klimawandel für die Feuerwehr? Green Controlling: Messen Gemeinden ihren ökologischen Fußabdruck?

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02.07.18 15:14 13.06.18 08:16

»Kurzer Hinweis: Nicht alles, was Flügel hat, kreuzt eine Autobahn ohne eine Brücke als Hilfe. Die meisten Fledermäuse orientieren sich bei Flügen über Ultraschall und brauchen also in relativ kurzer Distanz eine feste oder flüssige Oberfläche. Wird diese ständig von Hindernissen (Fahrzeugen) gekreuzt, wird eine Überquerung einer Straße für die Tiere z. B. auf Futtersuche fast unmöglich. Fledermäuse nutzen auch Güterwegbrücken oder Ähnliches für die Querung von Autobahnen, aber bevorzugt werden Grünbrücken genutzt. Ich war vor einigen Jahren an einer Studie zu dem Thema beteiligt, die in einem 117-seitigen Dokument mit diesem Ergebnis geendet hat.«

– Andreas Angerer, via Facebook

Betrifft:

Im Zeitalter des Huhns in biorama 67 (Juni/Juli 2020) »Ein großes Dankeschön der biorama-Redaktion für den inhaltlichen Schwerpunkt zum Huhn! Jüngste Statistiken zeigen, dass leider der Konsum von Geflügelfleisch weltweit bereits stärker wächst als jener von

Schweinefleisch. Dabei ist es das Huhn durchaus wert, sich mit ihm intensiv zu befassen, ist es doch ein faszinierendes Tier mit einer ausgeprägten Persönlichkeit. Wer weiß schon, dass Hühner gesellig, gesprächig und außerordentlich intelligent sind? Was das Huhn als sogenanntes »Nutztier« betrifft, ist gerade aus Tierschutzsicht die verpflichtende Kennzeichnung des Eis tatsächlich ein wunderbares Beispiel dafür, wie Tierwohl mit wirtschaftlichen Interessen und Verbraucherschutz zusammenwirken kann. In diesem Jahr feiern wir außerdem das Ende der grausamen Käfighaltung von Legehennen in Österreich. Als erstes Land der Europäischen Union hat Österreich diesen wichtigen Schritt für den Tierschutz auf den Weg gebracht. Zu verdanken ist er einer bislang beispiellosen Zusammenarbeit von ngos mit Landwirtschaft und Einzelhandel. Die übersichtlichen biorama-Grafiken über die Situation europa- und weltweit machen deutlich, dass wir hierzulande tatsächlich eine Vorreiterrolle haben. Ich stimme Redakteurin Helena Zottmann zu, wenn sie schreibt: »Kein Lebensmittel hat das VerbraucherInnenbewusstsein für Tierhaltung so stark geprägt wie das Ei. Davon könnten sich Joghurt und Schnitzel einiges abschauen.« Denn so gut wie bei den Hühnern sieht es leider bei der Haltung anderer Nutztiere in Österreich lange noch nicht aus, im Gegenteil. Deshalb brauchen wir unbedingt eine verpflichtende Herkunfts- und Haltungskennzeichnung für alle tierischen Produkte. KonsumentInnen und fortschrittliche österreichische LandwirtInnen fordern sie ebenso seit Jahren. Die Erfolgsgeschichte beim Ei lässt keine Ausreden mehr zu, daher: Schluss mit dem ewigen Mauern von Ministerium und Gastronomie!« – Eva Rosenberg, Director Austria Vier Pfoten, via E-Mail


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Wien ohne Konzerte, Theater, Lesungen, Kabarett, Performance und Tanz – was vor wenigen Monaten undenkbar schien, das hat die Corona-Pandemie der Stadt aufgenötigt. Aber: Wien ohne Kultur ist nicht komplett, gerade bei der gesellschaftlichen und sozialen Bewältigung von herausfordernden Zeiten. Also dreht Wien wieder auf! Am 9. Juli startet der „Kultursommer 2020“, in dessen Rahmen von Donnerstag bis Sonntag rund 25 Bühnen in der ganzen Stadt bespielt werden – selbstverständlich im Einklang mit den Corona-bedingten Sicherheitsvorkehrungen. Mit dem Kultursommer Wien 2020 wird die gesamte Bandbreite der Kulturlandschaft ausgespielt. Musik von Pop bis Klassik, Tanz und Performance, Theater, Lesungen, Kleinkunst, neuer Zirkus, Figuren- und Objekttheater, Worldmusic, Kinder- und Jugendtheater – das alles und mehr wird auf den Bühnen in der ganzen Stadt Raum finden. Seien Sie dabei beim Kultursommer 2020 – und bitte: Halten Sie Abstand, aber nicht zu Kunst und Kultur! Tagesaktuelle Infos zum Programm ab 7. Juli auf kultursommerwien.at bzw. unter 01 34 35 814

E n t g E lt l i c h E E i n s c h a lt u n g

Foto: Mostviertel Tourismus, weinfranz.at

Landschaften voller Leben


B io r ama N Ö

S pl i t t er

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Kulturgeschichte:

Wildbret:

Eine kleine Kulturgeschichte der »Löwenbaby«-Fotografie, inspiriert von einem spät aufgearbeiteten Kindheitsbesuch im Safaripark Gänserndorf.

»Wildes Österreich«, die App der Landesjagdverbände, schließt Gourmets mit JägerInnen kurz – in jedem der neun Bundesländer.

Ein Foto mit Löwenbaby kommt in den besten Familien vor. Auch die Historikerin Christina Wessely ist auf einem abgelichtet. Als die Wohnung der Großeltern geräumt wird, in deren Wohnzimmer es jahrzehntelang stand, fällt es ihr erstmals auf. »Mein Vater, ich und ein kleiner Löwe sitzen vor einer Fototapete im Safaripark Gänserndorf bei Wien, wir schreiben das Jahr 1982, ein Mann in khakigrüner Fantasieuniform steht uns gegenüber und drückt ab, er ist der als Ranger verkleidete Fotograf.« Wessely, ursprünglich aus Wien, heute Professorin für Kulturgeschichte des Wissens an der Leuphana Universität Lüneburg, beginnt zu recherchieren und analysieren. Das Ergebnis ist als 90-seitiges Bändchen eine Kulturgeschichte der »Löwenbaby«-Fotografie, die das ausbeuterische Nischengeschäft ohne jenen Voyeurismus beschreibt, welcher zuletzt Netflix’ WhiteTrash-Dokuserie »Tiger King« zum Erfolg verhalf. Sie beschreibt die Löwenbabyfotos als konstruierte Ereignisfotografie. Heute wird auf dem Gelände des ehemaligen Safariparks ein Erlebnispark betrieben (mit Pfeil-undBogen-Parcours und Gummistiefelgolfanlage). Sonst erinnert in Gänserndorf einzig die Tigergasse an die einstige Anwesenheit der Großkätzchen. Thomas Weber

Wer beim Essen auch auf Nachhaltigkeit achtet und Fleisch nicht aus prinzipiellen Gründen vom Speiseplan gestrichen hat, wird früher oder später beim Wildbret landen. Bislang scheitert es trotzdem oft an der Verfügbarkeit. »Gerade in der Stadt wurden wir oft angesprochen, warum wir Werbung für Wildbret machen, wenn es das doch ohnehin nirgendwo zu kaufen gäbe«, sagt Klaus Schachenhofer, Geschäftsführer von Jagd Österreich, dem Dachverband der neun Landesjagdverbände. Genau hier setzen die Plattform »Wildes Österreich« und ihre gleichnamige App an: Sie bringen Gourmets mit DirektvermarkterInnen, Wildmanufakturen und WirtInnen zusammen. Haben in der App favorisierte Betriebe frisches Fleisch abzugeben, gibt diese per Push-Nachricht Bescheid. Alle AnbieterInnen haben sich verpflichtet, ausschließlich heimisches Wild zu verkaufen. Einige Vermarktungs­ betriebe gehen noch einen Schritt weiter: Venatio aus dem Weinviertel etwa war einer der ersten überhaupt, der sich für seine Wilddelikatessen biozertifizieren ließ. Zwar kann das Fleisch von freilebenden Wildtieren nicht bio­zertifiziert werden, für die restlichen verarbeiteten Zutaten ist das aber sehr wohl möglich. Thomas Weber

Christina Wessely: »Löwenbaby«, erschienen im Verlag Matthes & Seitz (Berlin, 2019)

wildes-niederoesterreich.at

Frisches Fleisch in der Push-Nachricht

Bilder Thomas W eber, Ve natio Wildprodukte

GroSSkatze mit Kindchenschema


Menschen Schätze & Kulturen Vom Schwarzen Meer zur Schallaburg

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Mi l c h exp o r t

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Die ChinaConnection

Die Kuhmilch von 62 Biohöfen – künftig die ganze Milch aus dem Pielachtal – wird als H-Milch nach China exportiert. »Ist das noch bio?«, fragt man sich auf den exportierenden Biohöfen selbstkritisch. Über die Wiener Sängerknaben als Werbeträger freut man sich aber.


Text und bild Thomas Weber

»

Denen fehlt da nix«, sagt Thomas Fugger als wir über den Elektrozaun steigen. 15 Kühe liegen auf der Weide gleich hinterm Hof. Eine Kuh erhebt sich gemächlich, als seine Frau Simone hinein in die Herde geht, nähert sich langsam. Die anderen blicken neugierig zu uns herüber, lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sie kann unglaublich gut mit den Viechern«, sagt er stolz. Sie spricht leise mit den Tieren, krault ihnen das Fell. Drinnen im Stall – der ganze Stolz der Fuggers: ein luftiger, neugebauter Laufstall mit Fußbodenheizung im Melkstand und einem »Cowmaster«, der jedem Tier über Ohrchip die optimale Mineralfuttermenge zuweist – hängen die Abzeichen für herausragende Milchqualität. Seit Anfang der 90er-Jahre wird hier biologisch gewirtschaftet. Fast jedes Jahr seit 1991 gab es eine Auszeichnung für Milch höchster Güte, seit 14 Jahren sogar ohne Unterbrechung. Der Fuggerhof ist ein Biohof wie aus dem Bilderbuch. Als wir vor dem Haus im Schatten Platz nehmen, bringt Simones Mutter, die zu jung aussieht für eine Altbäuerin, selbst gemachten Weichselkuchen. Zum Kaffee gibt es gewärmte Rohmilch. Die Kühe, von denen Thomas und Simone Fugger sprechen, kennt teilweise schon der dreijährige Tobias beim Namen: Uschi und Mariandl, Sissi und Romy, Hanni und Heidi. »Die Milch von fünf unserer 15 Kühe geht in den Export nach China«, sagt Thomas Fugger. Man meint, ein sachtes Seufzen aus diesem Satz zu hören. Weniger, weil eigentlich die Milch der gesamten Herde exportiert werden sollte, der Markt durch die Coronakrise aber eingebrochen ist. Eher weil es an einem ehernen Prinzip rührt, wenn man selbst – wie das Paar wiederholt betont – beim Essen nicht nur auf Bio, sondern ganz besonders auch auf Regionalität achtet, und dann das eigene Erzeugnis um die halbe Welt verfrachtet wird. »Ein bissl absurd ist das alles, das muss man zugeben«, sagt der Biobauer.

Der Bauer als Geschäftsmann Doch Thomas Fugger ist viel herumgekommen. Um die Tiere kümmert sich die Frau, er selbst ist gelernter Tischler und arbeitet 40 volle Stunden bei einer großen Zimmerei, spezialisiert auf Holzkonstruktionen, landwirtschaftli-

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che Gebäude und Stallbau. So konnte man sich nicht nur die 400.000-Euro-Investition in den neuen Stall leisten. Bis vor ein paar Jahren war er für seinen Arbeitgeber auch auf Montage im Ausland – wo er noch viel größere Absurditäten miterlebte. Etwa als er am Bau eines Flughafens auf den Philippinen beteiligt war. »Wir haben dafür damals 7.000 Kubikmeter Leimbinder nach Asien gebracht«, schüttelt er den Kopf. Das habe einiges relativiert und seither sehe er das mit dem Transport ein wenig anders. Und pragmatisch: »Als Bauer bist du letztlich Geschäftsmann – und wenn du dein Produkt regional nicht anbringst, musst du dir etwas überlegen.«

Täglich geben acht Betriebe auf Viele lassen es gleich ganz bleiben. Allein von 2018 bis 2019 sank die Zahl der Milchbetriebe laut Statistik Austria von 29.963 auf 26.926. Das sind 3037 Betriebe weniger binnen eines Jahres. Womit jeden Tag – Sonntag inklusive – acht Betriebe wie jener der Fuggers ihre Stalltüren für immer schließen. Denn gerade der globale Milchmarkt ist besonders unter Druck. Das günstigste Produkt lässt sich in einem Land wie Österreich und abseits sogenannter »Gunstlagen« nicht produzieren. Um hier mithalten zu können, braucht es deshalb beste Qualität, effiziente Betriebsführung, modernste Technik. Viele Familienbetriebe können oder wollen sich dafür nötige Investitionen nicht aufbürden. Teure Gebäude, Hard- und Software lassen sich oft nicht binnen eines Arbeitslebens abbezahlen. Viele verkaufen jedes Jahr ein paar Felder und Wiesen, um sich irgendwann in den Ruhestand retten zu können. Oder sie arbeiten wie Thomas Fugger »nebenbei«, um die Investitionen in die Landwirtschaft von einem zwei-

Pielachtal Die 70 Kilometer lange Pielach fließt Richtung Norden in die Donau und gilt als einer der saubersten Flüsse Österreichs. Das Pielachtal ist eines der prägenden Flusstäler des Mostviertels und wird touristisch als »Dirndltal« vermarktet (benannt nach der für die Landschaft typi­ schen Kornelkirsche). Mit seinen vielen Wiesen und Weiden gilt das Pielachtal traditionell als Milchhochburg mit be­ sonderer Milchqualität.

»Natürlich wäre es uns lieber, wenn die Biomilch regional vermarktet würde oder wenigstens innerhalb Europas. Andererseits freut uns sehr, dass ein Premiumprodukt weltweit gefragt ist.« — Otto Gasselich, Bio Austria Niederösterreich


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Mi l c h exp o r t

14 ten Standbein aus querfinanzieren zu können; in eine Milchwirtschaft, die auch von Kirchberg an der Pielach aus am Weltmarkt bestehen kann. Online-handel

Trinkmilch wird in China zu 75 Prozent online und in 12er-Packs des 1-LiterTetrapaks verkauft. Bis zu vier Euro kostet ein Liter Biomilch, den wohlhabende ChinesInnen gern als Gast­ geschenk mitbringen.

Buchtipp:

» SchwarzweiSSbuch Milch« Verfasst von Thomas Stollenwerk, dem ehema­ ligen Chefredakteur von BIORAMA, widmet sich das Buch der Neuerfindung eines Naturprodukts – zwischen Mythos und Wahrheit. (Residenz Verlag, 2019)

Ein Liter, vier Euro Eineinhalb Jahre Vorbereitung brauchte es vom ersten Kontakt mit dem Importeur Pingxing bis zum Verladen der ersten Container. »Wir haben uns mit den ChinesInnen darauf geeinigt, dass wir ein komplettes Sammelgebiet von uns für sie auditieren«, erzählt Erik Hofstädter, der bei der niederösterreichischen Molkerei nöm AG die Bereiche Marketing, Innovation und Strategie leitet. Das Pielachtal, eine traditionelle Milchhochburg, südlich von St. Pölten im Mostviertel gelegen, ist das Sammelgebiet, das für den Export ausgewählt wurde. 62 Betriebe wie jener der Fuggers können in Zukunft bis zu 5.500.000 Kilogramm Biomilch jährlich über die China-Connection absetzen – immerhin mehr als ein Zehntel der von der Molkerei vermarkteten Biomilch und von allen 15 Kühen am Hof der Fuggers. Anfang 2020 erreichten die ersten Container mit Tetrapaks voller H-Milch den chinesischen Hafen. Die zwei bis zweieinhalb Millionen Kilogramm, die für 2020 im Plan gewesen wären, wird man durch die Coronakrise allerdings klar verfehlen. Denn Milch ist in China nicht nur etwas für Gourmets, sondern auch ein Statussymbol der wachsenden Mittelschicht – und ein beliebtes Mitbringsel als Gastgeschenk. Auf Partys oder zum Abendessen wird gerne eine Packung Premiummilch mitgebracht, »so wie bei uns eine Flasche Wein« (Hofstädter). Die Milch aus Niederösterreich – angepriesen als »From Austrian Dairy Giant« – ist vor allem für Shanghai und Peking bestimmt. Wo sie letztlich landet, ist aber offen. Denn Trinkmilch wird in China zu 75 Prozent online und in 12er-Packs verkauft, also zu zwölf Litern am Stück. Bis zu vier Euro kostet ein Liter Biomilch. Für die Bäuerinnen und Bauern in Niederösterreich macht es unterm Strich keinen Unterschied, ob ihre Milch in Mistelbach oder in einer chinesischen Metropole getrunken wird. Der Transport, der Importeur und nicht zuletzt der Onlinehändler JD (ein chinesischer Gegenspieler zu Alibaba) verlangen ihren Tribut. Thomas und Simone Fugger wissen sofort, was sie für einen Liter Milch bekommen haben.

Ein Blick in die App genügt und sie haben alle Daten tagesaktuell vor sich: 8610 Kilogramm haben sie im Mai an die Molkerei geliefert, 47 Cent für jedes Kilo bekommen. Um 1 Cent weniger als im Winter, weil der Fettanteil in der Weidesaison etwas geringer ausfällt. Ob die Fuggers stört, dass andere ein Vielfaches mit ihrer Milch verdienen? Man denkt kurz nach. »Immerhin«, sagt Thomas Fugger dann, »bleibt durch solche Programme der Preis für Biomilch stabil.« Und beim Gedanken an das Qualitätsbewusstsein der chinesischen Behörden, die im Sommer 2019 alle 62 Höfe besucht und Betrieb für Betrieb überprüft haben, beginnt er zu schwärmen: Wie eine zusätzliche Biokontrolle sei das gewesen, fast noch strenger, aber »insgesamt eine nette Begegnung«. Der Auditor hätte kaum glauben können, dass in Österreich jeder Bauer seinen eigenen Grund bewirtschaftet und wie gut die Wasserqualität ist. »Offenbar ist das in China doch sehr anders.«

Chinas strenge Kontrollen »14. Mai, dichter Schneefall, die Kühe auf der Weide und der Auditor aus China steht vor der Tür«, erinnert sich Michael Enne. Er weiß das ganz genau, weil der Besuch rund um den Hochzeitstag der Eltern stattfand, von denen er den Hof vor vier Jahren – damals im jugendli-

»Die Milch von fünf unserer 15 Kühe geht in den Export nach China«, wissen Simone (29) und Thomas Fugger (37).


Šwellenklaenge Lunz am See

Erfrischend anregend.

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www.kultursommer-noe.at


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Mi l c h exp o r t

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Michael Enne (27) und Christina Fellner (22) waren beeindruckt von den strengen Kontrollen des chinesischen Auditors.

» Milchkrieg in Dalsmynni« Spielfilm von Regisseur Grímur Hákonarson über den wirtschaftlichen Über­ lebenskampf der verwitweten Milchbäuerin Inga. Bitter, aber wahrhaftig und aus der Gülle des Lebens geschöpft. Ausführliche Rezension auf biorama.eu

»Vom Ökologischen her is das leider ein Wahnsinn. Aber die Welt wachst halt zam.« — Josef Enne, Altbauer in Kirchberg men, dass Lebensmittel um die Welt transportiert werden?«, fragt er sich, »da rennt einiges schief. Aber wir produzieren halt mehr als vor Ort konsumiert wird.« »Der weite Transportweg stört uns schon«, wirft seine Freundin Christina »Noch-nichtEnne« Fellner ein. Sie ist 22, hilft seit Jahren am Hof ihres zukünftigen Ehemanns und engagiert sich »unten in Kirchberg« als eine der Geschäftsführerinnen im örtlichen Bauernladen. Wie viele andere Betroffene habe man sich schon gefragt, »ob das noch Bio ist, wenn es um die halbe Welt geschifft wird«, sagt sie, als sie den Kaffee bringt. »Aber die ChinesInnen exportieren so viel zu uns, da sind das von uns doch nur halbleere Retourfuhren«, tröstet sie sich. »Es is mir ned guad gangen«, sagt Michaels Vater Josef (66) in breitem Dialekt, der plötzlich, ein paar Bretter

Bild  Alamo de Fi lm

Filmtipp:

chen Alter von 23 Jahren – übernommen hat: ein Auditor, ein Dolmetscher und ein Mitarbeiter der Molkerei standen plötzlich im Hof. »Die wollten wirklich alles wissen«, lacht er – wie eine Biokontrolle, vielleicht sogar noch genauer. »Alles hat sie interessiert: Welche Wiesen Dauergrünland sind; wo wir ackern; ob wir unsere Tiere selber züchten oder zukaufen. Alles haben sie kontrolliert – auch die Tiere selbst – und fotografiert. Wir haben Wiesen von unserem Nachbarn gepachtet, da wollten sie ganz genau wissen, wie die Flächen davor bewirtschaftet wurden.« Natürlich habe man all diese Fragen beantworten können und die nötigen Belege herausgesucht, doch die Intensität des mehrere Stunden dauernden Audits habe ihn schon beeindruckt. »Bei einigen Bauern sind da die Wogen ordentlich hochgegangen, weil die Chinesen sogar die Grundbesitzbögen einsehen wollten«, weiß Enne. Er ist ein inoffizieller Sprecher der Biobetriebe im Tal und vertritt sie auch gegenüber der Molkereigenossenschaft – wohl auch, weil er sich kein Blatt vor den Mund nimmt, aber doch bei allem, was er sagt, besonnen bleibt und abwägend. »Wir importieren Butter aus Irland und exportieren selbst. Wenn du es genau analysierst, ist das schwerst primitiv«, sagt er. »Wieso ist es überhaupt soweit gekom-


in der Hand, zur Runde stößt. »Vom Ökologischen her is das leider ein Wahnsinn. Aber die Welt wachst halt zam.« Zwölf Mutterschafe, 17 prächtige Kühe und noch einmal so viele Jungrinder und Ochsen gibt es am Enne-Hof, der 1321 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Seit 270 Jahren ist er in Familienbesitz. So alt sind auch die ältesten Dirndlbäume oben am Hang, wo die Kühe weiden. Und auch die Direktvermarktung hat bei den Ennes Tradition. Schnäpse, Liköre, Säfte, Marmeladen – vor allem Dirndlprodukte – sowie Rind- und Lammfleisch verkauft man, ebenso wie Brennholz, Hackschnitzel und Schnittholz aus dem eigenen Sägewerk. »Wir wirtschaften sehr extensiv«, sagt Michael Enne selbstbewusst, »in puncto Flächenproduktivität steht im Lehrbuch etwas anderes.« Theoretisch wisse man auch, dass in Österreich zu viel Rindfleisch, aber zu wenig Geflügel produziert wird; dass das ausgeglichen gehört. Aber hier im Pielachtal könne man nicht einfach auf Geflügel umsteigen. Dazu bräuchte es Ackerbau fürs Hühnerfutter. Und für die extensiven Flächen und steinigen Wiesen wären die Rindviecher nun mal ideal geeignet, um karges Grasland zu Milch und Fleisch zu veredeln. Nachhaltiger, sind sich Michael Enne und Christina Fellner sicher, könne man Landwirtschaft hier kaum betreiben. Milch bleibt deshalb die wichtigste Einnahmequelle am Hof – und Enne selbst bleibt realistisch: »Wir haben uns schon sehr gefreut, dass die nöm den Eintritt auf den chinesischen Markt für uns zustande gebracht hat. Das muss man, weil doch viele über die Molkereien schimpfen, schon einmal sagen. Die haben sich wirklich sehr für uns Biobauern eingesetzt.« Auch dass die Biomilch aus dem Pielachtal in China in Zukunft von den Wiener Sängerknaben als Werbeträger vermarktet werden soll, beschwichtigt Michael Ennes Hin- und Hergerissenheit. Die Sponsoringverträge mit den Sängerknaben werden gerade vorbereitet. Erste Werbesujets mit strahlenden Kinderaugen, saftigen Wiesen, weidenden Kühen und durch die Luft schwirrenden Notenschlüsseln kursieren bereits in der Messenger-Gruppe der MilchgenossenschafterInnen. Ein wenig hat man sich am Enne-Hof und am Hof der Fuggers auch schon an den Gedan-

Milchexport – bio und konventionell Grenzüberschreitend gehandelte Produkte werden von der Außenhandelsstatistik nach dem weltweit gängigen System des Gemeinsamen Zolltarifs in 99 Kapitel gegliedert. Die Kapitel 1 bis 24 repräsentieren den Agrarsektor. Ob Produkte biozertifiziert sind oder z. B. gentechnisch verändert, wird dabei nicht erfasst. »Eine exakte Quantifizierung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs mit Biolebensmitteln, die methodisch belastbar wäre, ist nicht möglich«, erklärt Michael Blass, Geschäftsführer der Agrarmarkt Austria (AMA). Auf Basis von Handelsangaben, Marktbeobachtungen, Messungen und Umfragen kommt die AMA aber »zu der substanziierten These, dass Pi mal Daumen die Exportanteile biologischer Lebensmittel an den Gesamtexporten mit den Anteilen an der Erzeugung korrelieren«, so Blass. Die Interessensvertretung Bio Austria schätzt, dass 50 Prozent der österreichischen Biomilch in den Export gehen. Generell steigt der Exportanteil von Milch und Molkereiprodukten seit Jahren, am stärksten bei Käse. Wichtigste Märkte sind Deutschland, Italien und China. 2019 wurden insgesamt 657 Millionen Kilogramm Milch und Rahm (im Wert von 303 Millionen Euro) exportiert.

ken gewöhnt, dass die Milch vom eigenen Hof auch am anderen Ende der Welt getrunken wird. Immerhin hat man den Gästen am Hof ja auch kein Glas Milch angeboten, sondern sie gefragt, ob sie in ihren Kaffee »eh auch einen Schluck Milch hinein« wollen. Der Kaffee ist auch nicht aus der Gegend. Und Kokosbusserl hat man am Hof auch schon einmal gegessen.

Die Milch der Pielachtaler Kühe wird in China in Zukunft von den Wiener Sängerknaben beworben.

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B io r ama N Ö

Regionale Produktion als Rendite Nach dem Vorbild der in Freiburg und Hamburg bestehenden Regionalwert AGs soll nun auch Österreich eine bekommen. Die GründerInnen Andrea Heistinger und Alfred Schwendinger im Interview.

Interview Irina Zelewitz

A

ndrea Heistinger und Alfred Schwendinger sind zwei der InitiatorInnen der Regionalwert AG Krems, der ersten ihrer Art in Österreich. Sie suchen Bürger­ Innen, die in den Ausbau nachhaltiger Wertschöpfungsketten zur Produktion regionaler Biolebensmittel investieren.

BIORAMA: Warum gründet ihr eine Regionalwert AG? Andrea Heistinger: Meine Motivation ist das Wissen, dass die regionale Produktion gesunder Biolebensmittel nur durch das Investment von VerbraucherInnen gesichert werden kann. Unternehmerisches Handeln ist in diesem Sektor nur durch das Investment von sehr viel Geld möglich. Um einen Arbeitsplatz in der Landwirtschaft zu schaffen, muss ich – damit wird gerechnet – rund 400.000 Euro investieren. Viele Menschen wollen sich hier engagieren, haben dafür aber das Kapital nicht. Andererseits haben Menschen Kapital und wissen nicht, wohin am besten damit.

Andrea Heistinger Die Agrarwissenschaftlerin ist Organisationsberaterin und Biogartenbuchautorin – unter anderem durch ihre Bücher vermittelt sie einem breiten Publikum die Relevanz von Biogartenbau und Sortenvielfalt.

Wer steht dahinter? Andrea Heistinger: Eine Gruppe von über 50 Menschen. Frauen und Männer, junge Menschen, die gerade mit ihrer Ausbildung fertig sind, mitten im Arbeitsleben stehen oder gerade in Pension gegangen sind. Und: Einige BiopionierInnen. Darunter Reinhild FrechEmmelmann für den Bereich Gemüse­züchtung, Ernst Gugler für den Bereich nachhaltige

Druckverfahren, Alfred Schwendiger für die Naturkostläden oder Alfred Grand für regionalen Kompost. Woran beteiligt sich die Regionalwert AG? Nur an ProduzentInnen und VerarbeiterInnen von Lebensmitteln? Alfred Schwendinger: Wir konzentrieren uns auf die Biolebensmittelwertschöpfungskette vom Saatgut bis zum Teller, inklusive Einzelhandel und Gastronomie – in der Region. Also vor allem Produktion, Verarbeitung und Handel von Lebensmitteln, aber da kann prinzi­piell auch eine Abfüllanlage oder eine Steuerberatungskanzlei dabei sein. Wo endet die Region? Alfred Schwendinger: Mit den Grenzen Nieder­österreichs. Es gibt bereits Beteiligungsgesellschaften. Was ist Rechtsform und Alleinstellungsmerkmal dieser Regionalwert AG? Andrea Heistinger: Das Grundkonzept ist, dass Menschen aus einer Region sozial und ökologisch verantwortungsvolle Wertschöpfungskreisläufe aufbauen. Die Kriterien für die Investments wird der Aufsichtsrat in den nächsten Monaten ausarbeiten. Und wir haben einen Beratervertrag mit Christian Hiss (Entwickler des Konzepts der Regionalwert AGs in Deutschland). Aber wir machen hier keine Kopie der Regionalwert AG in Freiburg, wir

Bild Istock.c om/Orie tta Ga spari , Rupert Pe ss l

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Inve st ier e n


setzen unsere Schwerpunkte selbst. Wir sind eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Diese gibt vinkulierte Namensaktien aus. Das heißt, es ist uns bekannt, wem die Aktien gehören, und diese dürfen nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates der Regionalwert AG gehandelt werden. Was ist eine »Bürgeraktie« und wie viele darf einE BürgerIn halten? Alfred Schwendinger: Die Bürgeraktie kann nur eine Person – auch eine juristische Person – lösen. Wir zielen darauf ab, dass viele Bürger­ Innen jeweils wenige solcher Namensaktien halten und nicht nur zwei, drei wesentliche EigentümerInnen. Eine Beschränkung diesbezüglich wird in der Satzung festgelegt werden. Ein Vorbild könnte Deutschland sein, da liegt sie bei 20 Prozent. Mit welcher Reaktion der Finanzmarktaufsicht wird gerechnet? Andrea Heistinger: Das Konzept Regionalwert AG ist in Deutschland in Abstimmung mit der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht entstanden und ich gehe davon aus, dass auch die österreichische Finanzmarktaufsicht grünes Licht geben wird. Wir legen Wert darauf, dass die Betriebe, in die investiert wird, betriebswirtschaftlich eigenständig agieren können – mit Kapital der Regionalwert AG. Wir sind keine Bank. Die Eigenkapitalquoten, die bei einem Betrieb für ein Investment durch die Regionalwert AG Voraussetzung sind, müssen erst festgelegt werden. Wann gibt es Aktien? Alfred Schwendinger: Wir streben an, Anfang September zu gründen und Anfang 2021 die ersten Aktien auszugeben. Eine Aktie wird 500 Euro plus Agio kosten. Was sind die Parallelen und Unterschiede, die sich zum deutschen Vorbild abzeichnen? Alfred Schwendinger: Ein Unterschied zur ersten Regionalwert AG, die vor 15 Jahren in Freiburg gegründet wurde, ist die große Anzahl unserer GründerInnen: fast 50. Bei der Grundstruktur der AG und den Kriterien für die Betriebe werden wir uns sehr an die deutschen Vorbilder anlehnen. Für mich ist es natürlich ein Ziel, mehr Einnahmen zu lukrieren – ob uns

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das gelingt, bleibt spannend. Was wir aber vermeiden wollen: dass vom Anlagekapital relativ viel für die laufenden Kosten – etwa die Personalkosten der Regionalwert AG – verwendet wird, statt als Investmentkapital. Ich persönlich habe auch bei der Gemeinwohlgenossenschaft (Projekt »Bank für Gemeinwohl«, Anm. d. Red.) eingelegt – Das war eine wertvolle Erfahrung, aber die Einlage von 1000 Euro war dann nach ein paar Jahren nicht einmal mehr 500 Euro wert. Das kann uns auch passieren, das muss allen klar sein. Ich hoffe aber, dass unser Aufsichtsrat hier Grenzen einziehen wird, also dass zum Beispiel maximal 10 Prozent der Einlagen für den laufenden Betrieb aufgewendet werden dürfen. Woran erkennen die Aktionäre, dass sinnvoll investiert wird? Andrea Heistinger: Es gibt eine ausführliche Berichtspflicht, durch die ökologische und soziale Kriterien über von Christian Hiss entwickelte Kennzahlen Eingang in die Buchhaltung findet. Das heißt, wir schielen nicht nur auf die Rendite. Durch ein Schielen auf die Rendite kann man die Welt nicht ändern. Und: Eine Geldanlage in Form von Aktien einer Regionalwert AG ist keine Geldanlageform für den Notgroschen, in den ersten Jahren ist nicht mit einer monetären Rendite zu rechnen. Schnelle Effekte gibt es an anderer Stelle,nämlich durch den Zuwachs an regionaler Versorgungssicherheit mit wertvollen Lebensmitteln aus artgerechter Tierhaltung und gesunden Böden durch die Schaffung von neuen Betrieben in der Biolebensmittelwirtschaft. Wie werben Sie für Investments? Alfred Schwendinger: Viele fragen: Ist das eine Spende oder ein Investment. Ich antworte: Es ist ein Investment, dass dazu dienen soll, mehr regionale, biologische Produkte in der Region auf den Teller zu kriegen. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern man muss an diese Produkte auch praktisch und unkompliziert herankommen. Die Aktionäre werden in ein Miteinander mit den Unternehmen treten, mit dem Ziel, sukzessive zu einer Kostenwahrheit zu kommen: Es sollen die Kosten, die in einem Betrieb anfallen, um verantwortungsvoll zu wirtschaften, von den KonsumentInnen getragen werden. Regionalwert AGs sollten Übergangslösungen sein.

Alfred Schwendinger Der Getreide- und Erdäpfelbauer in Maria Laach am Jauerling ist Biobauer seit 1984 und Betreiber vom EVI – Bioladen und Biorestaurant in Krems.

Mehr Information: regionalwert-ag.at

Das komplette Interview: Biorama.eu/ Regionalwert-AG-krems


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Mar k e t Ga r de n in g

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Less of the same Gemüsebäuerinnen und Gemüsebauern beleben ein altes Konzept wieder: das Konzept des Market Gardens, der die Region mit Gemüsevielfalt versorgt. Bis 2030 soll es in jedem größeren Ort Europas einen Market Garden geben.

Text Irina Zelewitz

Unter Flächeninanspruch­ nahme wird der dauerhafte Verlust biologisch produk­ tiven Bodens durch Verbau­ ung für Siedlungs- und Ver­ kehrsfläche verstanden.

J

unge Leute ohne familiären landwirtschaftlichen Hintergrund können sich, sofern sie nicht mit größeren Mengen Kapital ausgestattet sind, den Berufswunsch LandwirtIn eher abschminken, ein Trend geht Richtung Großbetrieb. Gleichzeitig wird landwirtschaftliche Nutzfläche durch den laufenden Flächenverlust einerseits, durch den Kauf von Land andererseits sukzessive knapper. Österreich liegt in Sachen Flächenversiegelungsgeschwindigkeit im europäischen Spitzenfeld. Ein Ansatz sind Hofübergabebörsen, auf denen LandwirtInnen ohne familieninterne Nachfolge, externe NachfolgerInnen finden. Ein anderer, spezifisch für den Bereich Obst und Gemüse, ist das Konzept des Market Gardens. Auf Deutsch: Vielfaltsgärtnerei. Hier wird eine relativ kleine Fläche – etwa ein Hektar, statt 100 Hektar – sehr intensiv bewirtschaftet. Aber biologisch und für die Direktvermarktung. »Ich produziere nicht auf zehn Hektar Karotten, weil da bräuchte ich halb Österreich als KundInnen – sondern ich produziere nur in zwei oder drei Beeten Karotten und beliefere damit 150–250 Haushalte«, sagt der Absdorfer Market Gardener Alfred Grand. So kann ein lokaler Markt mit Gemüsevielfalt versorgt werden – in Direktvermarktung. Grand macht das durch das System Gemüsekisterl – er beliefert einen Umkreis von zehn Kilometern und möchte zeigen, dass nicht nur in den Städten, sondern auch in ländlichen Gegenden der Markt für Gemüse-Abos durchaus vorhanden ist.

Spezialisierung engt ein Die Kleinheit bedingt die Direktvermarktung. Und wer groß ist und sich auf wenige Kulturen spezialisiert, muss den Handel beliefern und zu dessen Konditionen produzieren – und auch Handelsmargen miteinberechnen. »Wenn ich sieben Äpfelbäume habe, kann der Handel damit nichts anfangen, aber ich kann in jedes Biokisterl drei Äpfel geben. Und wenn die Äpfel nix werden, dann hab ich niemandem Äpfel versprochen«, erklärt Grand. Was für die einen ein Nachteil ist – sich nicht aussuchen zu können, welches Gemüse man bekommt – ist für die anderen ein Vorteil – eine Entscheidung weniger treffen und Anregung zu bekommen, auch Gemüse und Obst zu verarbeiten, das man ansonsten vielleicht gar nicht erst kauft. Vor allem Familien könnten sich laut Grand für das System begeistern, weil das Kisterl Kindern Überraschungen biete und durch die mitgelieferten Rezepte anrege, Neues zu probieren. »Nicht jeder mag das. Aber manche Leute wissen die Zwangsbeglückung zu schätzen. Sie bekommen ein paar Tage vor der Lieferung Informationen über die Gemüsesorten, die sich im Kisterl befinden werden, per Mail.« Einige der Market Gardener sind gut vernetzt und verfolgen ambitionierte Ziele. Grand ist einer von ihnen und erklärt: »Wir sind eine Initiative von Market Gardeners und das Ziel für Europa lautet: In jedem größeren Ort soll bis 2035 ein Market Garden stehen.« Mit den größeren Orten sind Orte wie Absdorf mit sei-


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Während die eine Kultur gerade reif wird, werden bereits Jungpflanzen, die für denselben Standort bestimmt sind, herangezogen – um auf kleiner Fläche hohe Erträge zu erzielen.

nen 2.000 EinwohnerInnen gemeint. Das soll nicht nur die Lebensmittelproduktion als Betätigungsfeld wieder zugänglicher machen, sondern durch den geringen Flächenverbrauch auch eine ganzjährige dezentrale Lebensmittelversorgung in Bioqualität ermöglichen.

Bild  Grand Garten, MichÈle PAuty

Was ist drin, im Kisterl? Ein großes Biokistl kostet beim Team vom Grand Garten 20 Euro die Woche, das kleine 15 Euro. Im Schnitt bringt ein Kisterl also rund 1.000 Euro Umsatz im Jahr, seine 150 KundInnen erwerben bei ihm so Gemüse um 150.000 Euro. Dafür wird derzeit gut ein halber Hek­ tar bewirtschaftet. »Als Startkapital für die Bewirtschaftung eines Hektars inklusive Pacht brauche ich in Österreich rund 50.000 Euro«, erklärt Grand. »Wenn man zu zweit ist und im ersten Jahr nichts für die eigene Arbeit entnimmt.« Es ist das erste Jahr des Bestehens des Market Gardens in Absdorf. Im Juni 2019 erfolgte die Vermessung der auch zuvor schon landwirtschaftlich genutzten, gut einen Hektar großen Fläche, das Einzäunen gegen Gemüseraub durch Hasen und das Anlegen der Beete. Der Rest der Fläche soll folgen.

Beetbreite von 0,75 Metern und die -länge von rund 30 Metern sind beispielsweise auf das Konzept der Handarbeit mit Lowtech-Geräten abgestimmt. Welche Fruchtfolge optimal ist usw., das gehört erst systematisch erforscht. Derzeit braucht es in diesem Market Garden vier bis fünf Vollzeitarbeitskräfte, Forschung und Erfahrung sollen schnelle Effizienzsteigerungen bringen – damit dieselbe Produktionsmenge von zwei bis drei Menschen erwirtschaftet werden kann.

Der »Market Garden« be­ zeichnet traditionell jenen Bereich der Gemüseanbau­ flächen, der zum Verkauf bewirtschaftet wurde. Denn was mit dem Pflug bearbeitet wurde, war die Farm, alles was hingegen mit der Hacke bearbeitet wurde, war der Garten.

Forschung im Garten Der Absdorfer Market Garden unterscheidet sich von anderen, weil er ein Forschungsgarten ist. Hier sollen Erkenntnisse generiert werden, die zur Verbreitung der Idee beitragen. Die

Alfred Grand ist Landwirt im niederösterreichischen Absdorf. »Nebenbei« beschäftigt er sich seit 20 Jahren mit Regenwürmern. Sein Forschungs- und Demonstrationsbauernhof hat drei Schwerpunkte: Bodengesundheit, Agroforst und Market Gardening.


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Mo d e l lr eg io n e n

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Klare Ziele Modellregionen des Klima- und Energiefonds wie Wagram entwickeln konkrete Projekte, um dem Klimawandel und seinen Folgen entgegenzuwirken.

Klima- und Energiefonds Mit seinen Förderungen und Initiativen unterstützt der Klima- und Energiefonds die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer Klima- und Energieziele. Das Ziel ist die Entwicklung einer CO2-freien Wirtschaft und Gesell­ schaft, die Stärkung der Innovationskraft heimischer Unternehmen und die nach­ haltige Nutzung regionaler Ressourcen.

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ie Ziele sind eindeutig abgesteckt: Zum einen geht es um den kompletten Ausstieg aus fossiler Energie und damit auch um mehr regionale Unabhängigkeit. Zum anderen darum, Regionen dabei zu unterstützen, sich mittels Anpassungen vor den negativen Effekten des Klimawandels zu schützen und sich daraus ergebende Chancen – auch wirtschaftlich – zu nutzen. Die beiden Ziele werden jeweils von einem Programm des Klima- und Energiefonds gemeinsam mit dem bmk unterstützt. Seit 2009 gibt es insgesamt 96 Klimaund Energiemodellregionen (kems) und seit 2016 sind bereits 39 Klimawandel-Anpassungsmodellregionen (klar!) teil des Programms. Die niederösterreichische Region Wagram mit den Gemeinden Absdorf, Fels am Wagram, Grafenwörth, Großriedenthal, Großweikersdorf, Kirchberg am Wagram, Königsbrunn am Wagram, Stetteldorf am Wagram und Tulln an der Donau ist Teil beider Programme. Die großen Themen in Wagram benennt Modellregionen-Manager Stefan Czamutzian: Das sind im Bereich klar! erstens Trockenheit und Hitze, zweitens die verlängerte Vegetationszeit und drittens der Niederschlag, der intensiver ausfällt und zu für die Landwirtschaft ungünstigen Zeiten. Als Energiemodellregion arbeitet man in den Bereichen Landwirtschaft und Humusaufbau, Mobilität und Energie. Die von der Region in konkreten Projekten umzusetzenden

Arbeitsfelder sind damit zusammenhängend Gestaltung und Grünraum, Landwirtschaft und Weinbau, sowie Leben und Wohnen. Als kem beziehungsweise klar! gilt es dabei einen vom Klima- und Energiefonds vorgegeben Phasenplan von der Identifikation der Projekte über deren Umsetzung bis zur Evaluierung, Weiterführung und Kommunikation darüber (Disseminierung) zu durchlaufen.

Bewusstseinsschaffung Als kem hat Wagram Projekte in der Landwirtschaft für sich definiert – wie etwa Landwirschaft 2.0 mit alternativen Ackerbaumethoden, Gärtnereien als grüne Kompetenzzentren, einen Fokus auf regionale Produkte oder mehrere Aspekte nachhaltiger Energiewirtschaft und erneuerbarer Energie. Als klar! geht es ganz praktisch unter anderem um die Gestaltung von öffentlichen Plätzen, um die Überprüfung, inwieweit Grünflächen klimarelevanten Zielen entsprechen, um Begrünungsmanagement im Weinbau, klimafittes Bauen und Wohnen, aber auch um klimaverträglichen Genuss. Teil der Projekte ist dabei die Bewusstseinsschaffung in der Bevölkerung vor Ort, die näherbringt und verständlicher macht, wie Wagram vom Klimawandel bereits direkt betroffen ist. Zumindest die Auftaktveranstaltung mit Marcus Wadsak als Gastredner wurde schon einmal gut angebommen.

Bild  We instraSSe Wagram/Herbe rt Lehmann

Text Martin Mühl


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Masse ntig e r h a ltu n g

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Ruf der Wildnis Kater Einstein ist eine von acht Hauskatzen, die Biologin Wimmer-Schmidt mit Sendern ausschickte.

Text Thomas Weber

Massentigerhaltung Ein ausführlicher Schwer­ punkt auf biorama.eu widmet sich den ökologi­ schen Auswirkungen der 600 Millionen Hauskatzen auf die Biodiversität.

E

instein, ein ortsbekannter Streuner – immer wieder fiel sein Name, als Stefanie Wimmer-Schmidt durch Mallersbach spazierte, um in der Bevölkerung nach Katzen zu fragen, die sie für ihre Diplomarbeit mit einem gps-Sender versehen könnte. »Einstein ist immer unterwegs«, hörte die Wildbiologin häufig. Der auffällige rot-weiße Kater sei allgegenwärtig. Vorschriftsgemäß kastriert zwar, doch mit seinen sechs Jahren weder Kätzchen, noch träge gewordener alter Kater. Damit stellt Einstein das ideale Versuchsobjekt für ihr Forschungsprojekt dar, das war der 30-Jährigen gleich klar. Als eine von acht Freigängerkatzen streifte Einstein mehrere Monate mit einem Sender am Halsband durch die Gegend. Vier der besenderten Tiere sind es gewohnt, durch eine Katzenklappe, wann immer sie wollen ins Freie zu gelangen. Sechs davon sind kastriert. Die Biologin möchte herausfinden, wohin es die Hauskatze (Felis catus) zieht, wenn sie ihr angestammtes Haus verlässt, und ob sich die Radien von kastrierten und unkastrierten Tieren unterscheiden.

Hybridkatzen durch GenflusS Aus Sicht der Diplomandin ist Mallersbach keine x-beliebige Ortschaft. Es ist nicht nur die

Heimat von Einstein, sondern auch das Hoheitsgebiet der Wildkatze. Lange galt die Wildkatze auch hier als ausgestorben. Doch seit 2007 weiß man, dass es im Gebiet des grenzüberschreitenden Nationalparks Thayatal-Podyjí wieder – oder noch – einzelne Tiere gibt. Sogar eine kleine Population des scheuen Wildtiers wird vermutet – ganz in der Nähe, wo Einstein und Elliot, Koda und Felix, die Kater Carlos und Flauschi, Jack und die Katze Ricky umherstreifen. Mit seinem Bestand aus mächtigen Buchen, Eichen und Hainbuchen, naturnahen Wiesen und schneearmen Wintern scheint das Grenzgebiet ideal für die störungsempfindliche Wildkatze. Von der Nationalparkverwaltung wurden zu ihrem Schutz Ruhezonen ausgewiesen. Solch ein Betretungsverbot ist Einstein und den anderen Hauskatzen naturgemäß einerlei. Erst recht wenn die Hormone in die Wildnis locken. Denn Haus- und Wildkatze unterscheiden sich zwar genetisch voneinander. Kreuzungen sind aber möglich – aus Sicht des Artenschutzes allerdings unerwünscht. »Die räumliche Überlappung von Haus- und Wildkatzen (Felis silvestris) und die dadurch bestehenden Gefahren für die Wildkatze im Nationalpark Thayatal« lautet der Titel von

Bilder  Privat, Nat ionalpark Thayata l, Ul me r verlag

Streunende Hauskatzen paaren sich auch mit der Europäischen Wildkatze. Das droht deren robusten Genpool zu verwässern.


25 beispielsweise das besonders dichte Fell, das größere Gehirn und die effizientere Verdauung der Wildkatze verloren. Und irgendwann ist die Wildkatze dann genetisch ganz ausgestorben.

Prävention durch Kastration

Fotofallen und DNA-Tests des Nationalparks Thayatal zeigen, dass immer wieder Hauskatzen ins Wildkatzenrevier vordringen.

Wimmer-Schmidts Masterarbeit an der Universität für Bodenkultur. Von Anfang Dezember bis Ende April 2020 hat sie das Bewegungsverhalten der acht Hauskatzen über gps mitverfolgt. Bewusst im Winter, zur Paarungszeit der Wildkatzen. Als ÜberträgerInnen von Krankheiten sind Hauskatzen zwar das ganze Jahr über eine Bedrohung. Die vermutlich größte Gefahr für die Europäische Wildkatze ist aber genetischer Natur: die Kreuzung mit der Hauskatze. Die Forschung spricht von einer Hybridisierung und befürchtet, dass die erst von PhönizierInnen und RömerInnen nach Europa gebrachte Hauskatze das seit 300.000 Jahren hier lebende Wildtier genetisch verdrängt. Internationale Untersuchungen haben gezeigt, »dass der Genfluss primär von Haus- auf Wildkatzen läuft«. Soll heißen: Unkastrierte Hauskater bedrohen den Genpool der ohnehin bereits stark gefährdeten Wildkatze. Mischlingstieren geht

Für heuer ist die Ranzzeit der Wildkatzen vorüber, die Hauskatzen sind ihre Halsbänder wieder los und im besten Fall gibt es irgendwo im Dickicht ein, zwei Würfe junger wilder Kätzchen – ohne dass ein Hauskater mit im Spiel war. Stefanie Wimmer-Schmidt wird über den Sommer die Daten interpretieren. Einstein hat alle in ihn gesetzten Erwartungen gleichermaßen erfüllt und enttäuscht: Wie ganz Mallersbach vorhergesagt hatte, war der Kater ständig unterwegs. Doch die gps-Pins auf Google Earth zeigen, dass er dabei das Ortsgebiet nicht wirklich hinter sich ließ. Unwahrscheinlich, dass Einstein jemals wirklich mit einer Wildkatze in Kontakt war. Große Überraschung ist, wie sehr sich Verhalten und Streifgebiete der beiden unkastrierten Kater unterscheiden: Während es Koda oft tagelang weit hinaus auf die Felder zog, genügte Flauschi der zum Haus gehörende Garten. Dass sich Haus- und Wildkatze prinzipiell begegnen können, sieht die Biologin mit ihrer Arbeit bereits bestätigt. Offensichtlich auch, »dass einige Katzen dann am weitesten weg und am meisten unterwegs sind, wenn ihre BesitzerInnen selbst nicht zu Hause sind«. Stellt sich als nächste Forschungsfrage, wie nah sich Wildkatzen ans Siedlungsgebiet heranwagen.

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Bi o d i ver sität

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Rückkehr zu den Reben Unverkennbar: der Steinkauz mit seinen großen gelben Augen und dem weißen Überaugenstreifen. Im Weingarten macht er sich nützlich und Jagd auf Mäuse, er frisst aber auch Insekten.

Wie der bedrohte Steinkauz zuerst in den Weingärten und dann auf den Weinetiketten des Wagrams auftauchen soll. Text Thomas Weber Bild Josef Stefan

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elbst gesehen hat Andy Ulzer den Steinkauz noch nicht. Auch das markante »Gjuuuuut« des Vogels ist ihm noch nicht untergekommen. Die Begeisterung des Winzers ist allerdings unüberhörbar, wenn er von den Eulen spricht – seinen Eulen –, die sich draußen in den Weingärten niedergelassen haben. Auch dass es gleich im ersten Jahr Nachwuchs gibt, hat er mit Freude vernommen. Das haben ihm die ForscherInnen erzählt, »die von der Vogeluni«, als sie vom Bruterfolg berichteten. »Ich bin leider gar nicht so oft draußen«, sagt der 33-Jährige. »Die Tiere haben die meiste Zeit einfach ihre Ruhe.«

Die zwei Faust große Eule ist zwar nicht scheu und lebt teilweise tagaktiv. Theoretisch lässt sie sich leicht auch aus der Nähe beobachten, wenn sie exponiert über Reben und Obstbäumen Ausschau hält. Doch sie ist sehr selten geworden, auch hier am Wagram, wo sie früher überall anzutreffen war. Es fehlen alte Stadeln, hohe Bäume und Streuobstwiesen, Steinhaufen und Gstätten, in denen sie sich wohlfühlt. Im Weinbau sorgte außerdem eine vielerorts immer noch übliche Praxis für allumfassende Artenödnis: dass die Reihen zwischen den Rebstöcken durch regelmäßiges Ackern und Eggen frei von Bewuchs gehalten werden. Davon kom-


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men allerdings immer mehr WinzerInnen wieder ab. Denn wenn im Weingarten nichts außer Wein wächst, bleibt zwar alles Wasser für die Reben. Doch ohne Wurzelwerk und Pflanzendecke erodiert der Boden, und auch das Bodenleben verkümmert und wird abgeschwemmt. Deshalb lassen Weinbaubetriebe – sowohl biologisch zertifizierte, als auch konventionell wirtschaftende – die Fläche zwischen ihren Zeilen inzwischen wieder häufiger dauerhaft begrünt und durchgehend bewachsen. Damit wird diese auch für den Steinkauz als Lebensraum – wieder – attraktiv. Denn er bevorzugt und braucht eher niedrig gehaltene Vegetation, um erfolgreich Mäuse jagen zu können. »Die kurzrasigen Flächen sind eine Ersatzlandschaft für Flächen, die früher beweidet wurden. Sie sind für den Steinkauz, die Heidelerche und Turmdohlen ideal«, weiß Richard Zink, Forscher an der von der Vetmeduni ­Vienna betriebenen Außenstelle der Österreichischen Vogelwarte in Seebarn am Wagram. Ihn und seine KollegInnen meint Winzer ­Ulzer, wenn er von »denen von der Vogeluni« spricht. Als Fürsprecher von Steinkauz und Heidel­erche haben sie »Rettet den Steinkauz«, eine ursprünglich von ehrenamtlichen Bird­ watcherInnen betriebene Initiative, auch auf ein akademisches Fundament gestellt; professionelles Monitoring und Vogelberingung inklusive. Wie selten der Steinkauz geworden ist, gilt es erst herauszufinden. Vielleicht 120, höchstens 150 Brutpaare leben noch in Österreich, schätzt Richard Zink. Ziel ist es, diese Zahl in den nächsten 20 Jahren zu verdoppeln. Dafür braucht es zusammenhängende Flächen. Der Forscher betont deshalb, bewusst auch konventionelle Betriebe für Kooperationen gewinnen zu wollen.

leicht 80 Jahre alter Bretterverschlag inmitten von Grünem Veltliner und Riesling. Die Hütte mag alt und für die Brüder ohne Funktion sein. Gebraucht wird sie dennoch, und zwar vom Steinkauz. Er brütet zwar in Baumhöhlen, aber auch in offenen Bauwerken. Deshalb haben die Leute von der Vogeluni einen Nistkasten in der Hütte der Ulzers aufgehängt. Und dass es darin gleich im ersten Jahr Steinkauzküken gab, bestätigt ihre Arbeit. An die 100 Menschen wie die Ulzers unterstützen diese hier am Wagram: BesitzerInnen von Pferdeställen, HalterInnen von Schafen, SelbstversorgerInnen und WinzerInnen, die den Weinberg als artenvielfältigen Lebensraum verstehen. »Unser Ziel ist es, weder die Bewirtschaftung einzuschränken noch soll es Belastungen für die Bewirtschaftenden geben«, sagt Projekt­leiter Zink. »Neben dem Ziel, Trauben zu ernten, gibt es Biodiversität gewissermaßen als Neben­produkt.« Die Ulzer-Brüder denken darüber nach, sich intensiver zu engagieren. Weitere Nistkästen, Stein- und Holzhaufen als Ruheplätze. »Wir haben auch schon mal angedacht, Schafe zur Beweidung einzusetzen. Nur ist uns noch nicht klar, was die Schafe für die Trauben bedeuten würden«, gesteht Andy Ulzer.

Wagram Mächtige Gelände­­stufe nördlich der Donau. Be­ zeichnet seit 2007 auch ein 2.720 Hektar umfas­ sendes Weinbaugebiet (vormals als »Donauland« vermarktet), das auch die südlich gelegenen Wein­ orte des Tullnerfelds und Klosterneuburg umfasst. Gehalt­volle, aromatische­ ­Weine, geprägt von Löss und Flussschotter.

Verbündet gegen die Mäuseplage Die Zwillingsbrüder Andy und Mike Ulzer betonen zwar, auf Insektizide und Herbizide zu verzichten und »sehr naturnah« zu arbeiten, bio sind sie allerdings nicht. »Wir haben seit vielen Jahren keinen offenen Boden. Wir setzen auf Bodenbegrünung, düngen mit Pferdemist und haben eine der wenigen verbliebenen Weingartenhütten der Gegend«, erzählt Andy Ulzer. 3 mal 3 Meter Grundfläche, ein 70, viel-

Wenn es im Winter keine Insekten gibt, sucht der Steinkauz die Nähe des Menschen. Erwischt er auf Höfen oder in Siedlungsnähe vergiftete Mäuse und Ratten, wird er kränklich oder unfruchtbar.


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Bi o d i ver sität

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Wagram pur Vogelschutzverein, der sich am Wagram und im Schmida­tal um das Wohlergehen von Wiedehopf und Steinkauz kümmert, z. B. durch das Anbringen von Nistkästen. Dokumen­ tiert wird die Arbeit von Josef Stefan, 2004 als »BBC Wildlife Photographer of the Year« ausgezeichnet. wagrampur.at

Das Revier eines Kauzpärchen hat nur die Größe eines Fußballfeldes. Um langfristig zu überleben, braucht der Steinkauz aber größere zusammenhängende Flächen, weil die Jungvögel nicht weit abwandern.

Extensive Beweidung wäre aus Sicht der Artenvielfalt ideal. Sie steht für eine urtümliche Wirtschaftsweise, die in Kreisläufen denkt, und die ursprüngliche Vielfalt der Kulturlandschaft auch am Wagram erst ermöglicht hat. Gleichzeitig würden Schafe den Brüdern jede Menge Arbeit abnehmen. Denn das Grün zwischen den Rebzeilen muss alle fünf bis sechs Wochen gemäht werden. Auch der Steinkauz selbst könnte sich nicht nur beim Mäusefangen als nützlich erweisen.

»Es wäre uns ein Anliegen, wenn es der Steinkauz auch auf die Emblems der Weinflaschen schafft. Vielleicht zahlt dann der eine oder die andere auch einen Euro mehr für den Artenschutz.«

Eine genügsame Art schützen

— Richard Zink, Österreichische Vogelwarte / Vetmeduni Vienna

Andy Ulzer denkt für seinen Veltliner und den Riesling bereits über »eine Sonderlinie mit der Eule am Etikett der Flaschen« nach. Für die Menschen von der Vogeluni wäre es der Ideal­ fall, würde die bedrohte Art solcherart sichtbar gemacht werden. Dann ließe sich in angenehmer Atmosphäre beim Trinken Bewusstsein für Biodiversität schaffen. »Vielleicht«, sinniert Richard Zink, »zahlt dann der eine oder die andere auch einen Euro mehr für den Artenschutz.« Garant dafür ist freilich auch

eine Eule am Etikett keiner. Wirkliche Vielfalt braucht der Steinkauz nicht. Dem Kauz reicht kurzes Gras, weiß der Forscher: »Im Grunde genügen ihm schon zwei verschiedene Grasarten.« Wirkliche Vielfalt sieht man im Weingarten jedenfalls auf den ersten Blick. Am Etikett ist sie durch eine Bio- oder besser noch durch eine Demeter-Zertifizierung markiert.


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S anf t e r To u r ism u s

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Urlaub ohne Nachbarinnen Im Urlaub einen Baum retten: Sanfter Tourismus kann WaldbesitzerInnen ermöglichen, die Baumentnahme zu reduzieren.


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Bild  Fri edrich Harde gg

Gelebter Umweltschutz«, so sieht Friedrich Hardegg sein Wald­urlaub-angebot. Und er meint das ganz konkret: »Wir wollen langfristig die forstwirtschaftliche Nutzung reduzieren und dabei hilft uns der sanfte Tourismus. Für jeden Gast, der bei uns bucht, müssen wir einen Baum weniger umschneiden, um unsere Fixkosten abzudecken.« Soweit die Motivation hinter dem Konzept, das sanften Tourismus mit »Rewilding«, also dem Wiederherstellen naturüberlassener Gebiete verbinden soll. Den Zugang seiner Gäste zur Natur kann er nur vermuten. Da diese in erster Linie wegen der Abgeschiedenheit und Ruhe in seinen Wald kommen, will er sie auch nicht mit Fragen belästigen. Er hat bisher aber die Erfahrung gemacht, dass sie sehr rücksichtsvoll mit der Natur umgehen: »Wir versprechen unseren WaldurlauberInnen völlige Ruhe vor der Zivilisation. Durch einen Mindestabstand von zwei bis drei Kilometern zwischen jedem Waldcamp kommt es kaum zu einer Beeinträchtigung der Natur und seltener Tierarten. Es gibt nur drei Zelt-Waldcamps und zwei Hütten. Darüber hinaus gibt es Ruhezonen in den felsigen Höhenlagen, die unsere Gäste auch nicht alleine betreten sollten. Dies wird respektiert«, so Hardegg. Angrenzend an den Naturpark Ötscher-Tormäuer liegt sein Isbary Bioland Naturresort nördlich von Mariazell im Pielachtal. Mit 2.500 Hektar ist es eines der größten Öko-Resorts Österreichs. In den letzten Jahren hat Hardegg neben der Bewirtschaftung der Wälder und seiner Tätigkeit im Immobilienbereich begonnen den Wald für UrlauberInnen zu öffnen. Die Idee dazu hat er sich von Angeboten in Großbritannien abgeschaut und importiert. Und während der Urlaub in aller Abgeschiedenheit im Wald für manche geradezu naheliegend ist, brauchen andere eine schrittweise Annäherung an diese Form der Erholung und Auszeit. So kommt es, dass Friedrich Hardegg gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Reini Rossmann verschiedene Stufen der Naturnähe anbietet.

der Natur mit möglichst wenig Ausrüstung und Gerätschaft. Bushcraft ist die etwas bequemere Variante: Hier geht es darum, »Kochen, Trinkwasseraufbereitung oder auch den Bau von Unterkünften« in der Natur und aus der Natur unter der Verwendung spezieller Ausrüstung zu bestreiten. Kaffee mit einem Gaskocher zu kochen, ist damit nicht gemeint. Zumindest im Survival steckt mehr als nur sprachlich der Aspekt, dass die Natur feindlich gesinnt und letztlich – und sei es durch Kälte – tödlich sein kann. Er ist aber überzeugt, dass die Zeit, die in der Natur verbracht wird, zu mehr Nähe und Rücksicht führt. Wer mehr über die Natur und das, was sie bereithält, weiß, gibt auf sie acht. Wobei Bushcraft für ihn nur ein möglicher Zugang ist und er etwa eine Verwandtschaft zu Kräuterwanderungen und anderen Angeboten sieht, die ebenfalls Wissen über Reichtum und Nutzbarkeit der Natur vermitteln. Die TeilnehmerInnen an seinen Survirvalund Bushcraftkursen sind zu rund 70 Prozent Männer sowie Männer mit ihren – teilweise auch noch recht kleinen – Kindern. In seiner Erzählung gibt es die aktuelle Erweiterung in Richtung Waldurlaub, der auch in Häusern und Hütten verbracht werden kann, um vermehrt Frauen und ganze Familien anzusprechen. Diese Hütten sind bei Friedrich Hardegg keine Neubauten, sondern renovierter Bestand, wie die rund 200 Jahre alte Melkstatt Hütte. Anfängliche Befürchtungen die temporären Gäs-

Text Martin Mühl

Reichtum und Nutzbarkeit der Natur Rossman ist unter anderem Bushcraft- und Survival-Trainer, der es mit seinen Videos auf Youtube zu einer beachtlichen Fanschar gebracht hat. Unter Survival versteht er das Überleben in

Survival- und Bushcrafttrainer Reini Rossmann heizt die Kochstelle an.


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S anf t e r To u r ism u s

Waldurlaub kann man nun auch in der 200 Jahre alten Holzhütte machen.

te würden zu wenig Rücksicht nehmen, haben sich nicht bewahrheitet: Der Müll wird wieder mitgenommen, Feuer nur an passenden Plätzen gemacht und Wildschutzgebiete werden berücksichtigt. Außerhalb der Kurse sind die UrlauberInnen hier auf sich allein gestellt – bisher gab es wenig Grund, sie dabei zu kontrollieren.

Neigung zur Selbstversorgung

Alle Infos zu den verschie­ denen Angeboten des Isbary Bioland auf waldurlaub.at. Eine Übersicht über die Kur­ se von Reini Rossmann gibt es auf ueberlebenskunst.at.

Rein rechtlich ist es in Österreich übrigens so, dass Wildcampen oder das freie Stehen mit einem Wohnmobil grundsätzlich nicht erlaubt sind, auch wenn einzelne Regionen hier dezidiert Ausnahmen schaffen. Noch weniger ist es natürlich gestattet, in einem Wald – der sich oft im Privatbesitz befindet – einfach Bäume umzuschneiden oder ein Lager zu bauen. Im Bioland von Friedrich Hardegg ist dies dezidiert erlaubt und erwünscht. Die Kurse von Reini Rossmann lehren das nötige Wissen darüber, wie man die Natur achtet. Das Gebiet ist attraktiv gelegen: abseits, in größtmöglicher Ruhe; wobei es – zumindest mit dem Auto – gut erreichbar ist. Es gibt Wald und Lichtungen, Hänge und Bäche mit frischem Wasser zur Wasserversorgung oder auch zur Abkühlung und als Spielplatz im Sommer. BushcrafterInnen und WaldurlauberInnen neigen naheliegenderweise zur Selbstversorgung. Es gibt auf dem Ge-

lände aber auch einen Shop – in erster Linie mit Biolebensmitteln – und eine Almhütte mit gastronomischem Angebot. Das Isbary Bioland ist als eine von vier österreichischen Ländereien Mitglied der privaten Wildlife Estates, die es sich zum Ziel gesetzt haben, ihre Tätigkeit in Einklang mit den Biodiversitätszielen der EU zu bringen. »Die Idee zu dem Ganzen hatte ich nach dem Besuch des englischen Knepp Estates. Auf diesem Gut, 70 Kilometer von London entfernt, gibt es ein beeindruckendes Rewilding-Projekt. Das Buch dazu, ›Wilding: The Return of Nature to a British Farm‹ (Picador, 2018), geschrieben von Eigentümerin Isabella Tree, kann ich nur empfehlen. Bei uns in Österreich gibt es kaum Vergleichbares, dadurch ist unser Konzept auch so ein großer Erfolg. Es lässt sich nicht immer alles, was man woanders sieht, genau so umsetzen, außerdem sind oft Grundvoraussetzungen, Gesetze, Finanzierungsmöglichkeiten und vieles mehr unterschiedlich. Jedoch kann die Rewilding-Idee, wie ich meine, sofern die Entscheidung darüber den EigentümerInnen vorbehalten bleibt, für manchen Forst­betrieb auch in Österreich durchaus inter­essant sein.« Aktuell kann im Aufbau des Waldurlaub-Angebots durchaus eine Idylle gesehen werden, die für alle funktioniert. Friedrich Hardegg weiß aber schon heute, dass Wachstum hier nur bis zu schnell erreichten Grenzen möglich ist, um der Natur und dem Grundgedanken seines Angebots nicht zu schaden. Und auch für Reini Rossmann ist eine Skalierung nicht das Ziel. Für ihn sind »Landwirtschaft, Freizeitbeschäftigungen im Wald, Fischen oder auch Jagen alles Beschäftigungen auf Basis einer Nutzung der Natur. Und so müssen alle bedenken, welche Auswirkungen ihr Handeln auf andere NutzerInnen und die Natur selbst hat.«

Bild  Fri edrich Harde gg

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in Kooperation mit

www.museumnoe.at

Klima

& Ich Ausstellung bis  7.3.2021

Das Internet ist nur ein Hype. Bill Gates

Für Bill Gates war das World Wide Web anfangs „nur ein Hype“ – dass er damit falsch lag, ist heute klar. Speziell im Internet lesen wird immer beliebter, egal ob Zeitung, Magazin oder Buch – e-Medien stehen hoch im Kurs. Und Lesen ist auch eine der liebsten Beschäftigungen der Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher. Das Land Niederösterreich hat auf diesen Trend bereits im Jahr 2013 reagiert und die Online-Bibliothek www.noe-book.at gegründet, als zusätzlichen Service für die blau-gelben öffentlichen Büchereien. Aktuell bietet das Land Niederösterreich hier rund 17.000 e-Medien an. In der bunten Palette der Online-Bibliothek findet man alles – von Krimis über Romane bis hin zu Online-Sprachkursen, Magazine und vieles mehr. Das Angebot steht allen Niederösterreicherinnen und Niederösterreichern über die öffentlichen Bibliotheken und die NÖ Landesbibliothek zur Verfügung – alles was man für einen Zugang tun muss, ist:

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1. Eine öffentliche Bibliothek

oder die NÖ Landesbibliothek besuchen.

2. Als NutzerIn registrieren. 3. Los lesen! Weitere Informationen und alle teilnehmenden Bibliotheken findet man unter

www.loslesen.at oder www.noe-book.at.


B io r ama n ö

Wasse r im Ga r ten

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»So selten wie möglich gieSSen!« Lassen sich Pflanzen mit Gartenschlauch und Gießkanne »erziehen«? Wie lässt sich Regenwasser sammeln, ohne darin Gelsen zu züchten? Gartengestalterin Paula Polak über Trockenheit und Starkregen. Interview Thomas Weber

biorama: Kein Garten gleicht dem anderen, und was das Mikroklima angeht, sind der Wienerwald oder das nördliche Waldviertel nicht mit dem Weinviertel oder der Buckligen Welt vergleichbar. Wie muss ich denn da wie dort mit dem Wasser haushalten? Paula Polak: Grundsätzlich sollten wir überall mit dem Wasser haushalten. Durch den Klimawandel ändert sich das Wasserregime dahingehend, dass es längere Trockenphasen ohne einen Tropfen Regen gibt, dann wieder Starkregen mit schon mal 20 Litern pro Quadratmeter in einer Stunde. Der trockene Boden kann die Regenmengen dann nicht aufnehmen, es kommt zu Überschwemmungen. Trocken­phasen treffen natürlich an sich trockene Landstriche wie das Weinviertel härter, trotzdem lassen auch Pflanzen im Wienerwald

schon ­öfter die Blätter mangels Regen hängen. Besonders betroffen sind da Gehölze, die eigentlich auf feuchtere Standorte in höheren Lagen gehören. Die Fichte, ein Flachwurzler, ist eigentlich in der montanen Höhenstufe ab ca. 800 Metern beheimatet, wurde aber auch gerne in Flach- und Hügelwäldern gesetzt, wo es ihr zu warm und zu trocken ist. Sie ist geschwächt, und so ein leichtes Borkenkäferopfer. Fichten wurden auch oft in Privatgärten gesetzt, sind jetzt 20 Meter hoch und könnten aufgrund der Trockenheit umfallen. Wie gut lässt sich Wasser überhaupt managen? Lagerhäuser und Baumärkte bieten auch Zisternen an. Ab welcher Gartengröße ist es sinnvoll, Regenwasser in unterirdischen Becken zu sammeln? Jede kleine Sammelstelle ist sinnvoll, auch


Ein Naturgarten mit Regentonnen und Sickerflächen bietet einen Puffer für hohe Niederschläge – und schafft ein angenehmes Mikroklima.

B ild  Paula Polak

ein altes Regenfass für das Wasser, das vom Garagen­dach kommt. Die Größe des Sammelbehälters hängt von der Größe des Daches ab, auf das das Regenwasser trifft, und von der örtlichen Nieder­schlagsmenge. Zisternen sind mühsam einzugraben, oft ist ein Teich die bessere Lösung. Hält man bei einem 50-Quadratmeter-Teich den Normalwasserspiegel 20 Zenti­meter unter der Oberkante, bietet er Platz für 10 Kubikmeter zusätzliches Regenwasser. Das Teichwasser kann dann zum Gießen verwendet werden. Und was kann ich am Balkon tun? Auch hier kann man diverse Sammelgefäße aufstellen. Dabei muss nur die Statik bedacht werden, und wo überschüssiges Wasser dann überlaufen kann. Bitte in die Dachrinne, nicht zu den NachbarInnen darunter!

Wie wichtig ist die Wahl der richtigen Pflanzen? Sehr wichtig, dabei haben standortheimische Wildpflanzen den Vorteil, dass sie sich über lange Zeit an die örtlichen Gegebenheiten anpassen konnten. Sie sind insgesamt robuster und im Freiland gezogen – daher auch nicht verwöhnt. Wildpflanzen bekommt man auch schon in Bioqualität. Nicht nur die Phasen der Trockenheit nehmen zu, sondern auch das andere Extrem, die sogenannten Starkregen. Wie lässt sich der Garten darauf am besten vorbereiten? Am besten, man kombiniert einige Maßnahmen, um sich auf längere Trockenphasen wie auf Starkregen vorzubereiten. Unter den Pflanzen wählen wir solche, die Trockenheit ertragen. Darunter sind vor allem heimische Wildpflanzen, aber auch mache mediterrane Arten sind geeignet. Sinnvoll ist es auch, Pflanzen durch richtiges Gießen zu »erziehen«. Das heißt: sie so selten wie möglich zu gießen, dann aber durchdringend, damit sich die Wurzeln immer tiefer in den Boden hinein entwickeln. Und zeitig in der Früh direkt zu den Wurzeln gießen, nicht zu Mittag auf die Blätter. Außerdem leiten wir Dachwasser nicht in den Kanal, sondern speichern es – und führen überschüssiges Wasser durch Sickermulden und sickerfähige Flächen wieder unseren Grundwasserspeichern zu.

Pflanzen für den Garten

Was sind die häufigsten Fehler, die Ihnen im Umgang mit Wasser im Garten unterkommen? Es gibt bautechnische Fehler, dass zum Beispiel eine Kunststofftonne oder Zisterne nicht schön eben auf gut verdichtetem Untergrund steht. So kann es zu Spannungen im Kunststoff kommen und er kriegt einen Sprung, der nur mehr teuer von Fachfirmen repariert werden kann. Das lohnt sich nicht – und es gibt wieder ein Stück Plastikmüll mehr. Überdies gibt es biologische Fehler: Zum Beispiel muss eine Regentonne entweder so dicht sein, dass Gelsen nicht zur Eiablage hinein kommen, oder sie muss bepflanzt sein, sodass sich in der Tonne die Lebenswelt eines Teichs entwickelt – mit Fressfeinden der Gelsenlarven. Sonst züchte ich dort Gelsen.

Das »Handbuch Wasser im Garten« (Löwenzahn ­Verlag, 2018) von Paula Polak sam­ melt Wissenswertes zum Thema Wassersparen, zur nachhaltigen Nutzung sowie zum Anlegen und Planen von Teichen und Biotopen. Berücksichtigt werden alle Gartengrößen und Balkone. 590 üppige Seiten.

Das Rewisa-Netzwerk stellt Pflanzenlisten und Bezugs­ quellen für heimische Wild- und Gartenpflanzen sowie Saatgut aus regionaler Bioproduktion zur Verfügung. rewisa.at

Buchtipp


B io r ama N Ö

Au s d e m Ve r l ag

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Rauf und raus ins Waldviertel Künftige Lieblingsplätze und Ausflugswege für Tage, Wochenenden oder ganze Wochen zum tief Durchatmen – biorama erkundet in entgeltlicher Kooperation mit dem Waldviertel Tourismus die besonderen Orte des Waldviertels. Darunter Orte zum Wald- und Wildbaden, zum Gustieren oder Schmankerl-Einsammeln. Oft an der Seite von bekennenden Waldviertelfans – HeimkehrerInnen, Hiergebliebenen oder solchen, die den Nordwesten Niederösterreichs besser spät als nie für sich entdeckt haben.

Bilder woo m/Ralph L emoch-Zizka, Michè le Pau ty

Dem magischen Moment des ersten Mal Radfahrens widmet sich »Wie Oskar zum Pedalritter wurde«. Das von Biorama für den/die Klosterneuburger FahrradherstellerIn Woom konzipierte und getextete Minibuch (12 × 12 cm) ist als Auftakt der Pedalritter-Reihe gedacht. Fantasievoll illustriert wurde es vom japanischen Studio Takeuma. Abgesehen vom beigehefteten Stickerbogen ist das Büchlein Cradle-to-cradle-zertifiziert. Erhältlich unter woombikes.com


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B io r ama N Ö

Ur wal d

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Schutzhaus zur Zukunft Das Kernstück des Wildnisgebiets Dürrenstein, der Rothwald, ist seit der Würm-Kaltzeit Urwald.

Österreichs erstes von der unesco anerkanntes Weltnaturerbe, das Wildnisgebiet Dürrenstein, bekommt ein »Haus der Wildnis«. Warum braucht Wildnis ein Haus? Text Thomas Weber

Wildnisgebiet Dürrenstein Die 3.500 Hektar des Wildnisgebiets Dürrenstein gehören zu zwei Dritteln den Bundesforsten. Die ehemaligen RothschildLändereien sind seit 2019 im Besitz der Prinzhorn-Gruppe (Forstverwaltung Neuhaus Langau). Die öffentliche Hand entschädigt Nutzungseinschränkungen wie Jagd und Fischerei. Seit 2017 ist es UNESCOWeltnaturerbe (wie sonst z. B. das Great Barrier Reef oder der YellowstoneNationalpark). wildnisgebiet.at

A

m Ende könnte es wieder einmal arschknapp geworden sein, wenn Alexander Van der Bellen, so der Wunsch von Christoph Leditznig, im Frühjahr 2021 das Haus der Wildnis eröffnet. Der Bau des Wissenszentrums war öffentlichkeitswirksam als Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und privaten SponsorInnen aufgesetzt gewesen. Noch ist alles im Plan, der Bau der Außenhülle abgeschlossen, Ende 2020 soll auch die Ausstellung fertig sein. Corona hat die Bauarbeiten nur für ein paar Tage unterbrochen. Die vom Virus ausgelöste Krise betrifft das Projekt aber trotzdem: »Ziel ist es immer noch, 50 Prozent der Kosten für das Haus durch öffentliche Gelder abzudecken und die andere Hälfte durch Sponsoring hereinzubringen«, sagt Leditznig, der das Projekt vorantreibt und das Wildnisgebiet im Auftrag des Landes verwaltet. »Vor allem Firmen haben gespendet. Die haben durch Corona jetzt aber andere Sorgen.« Vom Ziel, zwischen 2 und 2,5 Millionen Euro an privaten Spenden einzunehmen, möchte er nicht abrücken. Weitergebaut wird jedenfalls. »Not-

falls werden wir eine Lösung finden«, meint man auch im Büro des zuständigen Landesrats Stephan Pernkopf. Die Öffentlichkeit für das Projekt zu gewinnen, halten alle Beteiligten für besonders wichtig – nicht nur, weil privates Engagement der Allgemeinheit Geld spart. Vielmehr sei bei den meisten Landsleuten noch nicht angekommen, welchen Schatz sie mit dem Wildnisgebiet Dürrenstein unmittelbar vor der Haustür haben. »Unser Wildnisgebiet Dürrenstein beheimatet den größten und mächtigsten Urwald des gesamten Alpenbogens: den Rothwald, den noch nie eine Axt oder Motorsäge berührt hat. Er ist ein einzigartiger Naturschatz, den wir auch für weitere Tausende Jahre bewahren und schützen wollen«, erläutert Stephan Pernkopf. Erst 2017 wurde das Wildnisgebiet zum ersten österreichischen unesco-Weltnaturerbe ernannt. Damit steht es nun mit dem Great Barrier Reef, dem Yellowstone-Nationalpark und den Südtiroler Dolomiten in einer Reihe. Der bereits 1875 vom Banker Albert Rothschild als Urwald erkannte und vor forstwirt-


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»Den Rothwald hat noch nie eine Axt oder Motorsäge berührt. Er ist ein einzigartiger Naturschatz, den wir auch für weitere Tausende Jahre bewahren und schützen wollen.« — Stephan Pernkopf, Stellvertreter der Landeshauptfrau

schaftlichem Zugriff geschützte Rothwald bildet mit seinen 400 Hektar heute die Kernzone des Wildnisgebiets, das mittlerweile auf 3.500 Hektar erweitert wurde. Zwar gibt es ein BesucherInnenprogramm, doch nur wenigen Menschen ist es jedes Jahr gestattet, ihn direkt zu betreten. Zutritt gibt es ausschließlich im Rahmen geführter Wanderungen. Deshalb brauche es ein Haus der Wildnis, »denn nur, was man kennt, kann man auch gut schützen und bewahren«, so Pernkopf. »Das Haus der Wildnis soll Verständnis und Interesse für die Natur wecken und gleichzeitig neuer Tourismus-Hot­ spot für die gesamte Region sein.«

Christoph Leditznig, der in früheren Funktionen auch an der Entwicklung der beiden Nationalparks Donau-Auen und Thayatal beteiligt war, führt das auf dessen Entstehungsgeschichte zurück: »Während die meisten anderen Naturschutzgebiete historisch Verhinderungsprojekte waren, ging das Engagement fürs Wildnisgebiet von den EigentümerInnen aus.« Dass der Bundespräsident zur Eröffnung ins Haus kommt, davon kann Christoph Leditznig deshalb ausgehen. Und auch dass das Staatsoberhaupt ein offenes Ohr für einen anderen Wunsch hat – und Stimmung dafür macht: dass das Wildnisgebiet größer wird, »damit die ökologischen Prozesse rund und natürlich laufen«. Einen ersten Versuch dafür hatte es bereits 2017 gegeben. Die Verhandlungen scheiterten damals nur knapp. Arschknapp, würde Alexander Van der Bellen sagen.

Haus der Wildnis Für die Fertigstellung des Wissenszentrums in Lunz am See sucht man weiterhin Unterstützung – von Privatpersonen, KMU und Industriebetrieben als SponsorInnen. haus-der-wildnis.at

Bilder H G lader, Jürge n Ma ier

Aug(mented) in Aug mit dem virtuellen Luchs Mit 35.000 jährlichen Gästen rechnet Wildnisverwalter Leditznig. Vor allem Familien, Schulklassen und Jugendliche möchte er ansprechen: »Wenn wir die zum Nachdenken bringen, dann haben wir was erreicht.« Neben Aquarien, Terrarien und einem Kinofilm, der die Schönheit der Wildnis zeigt, möchte man im Haus der Wildnis vor allem mit Technik emotionalisieren, etwa mit einer interaktiven Augmented-Reality-Installation. »Darin sehe ich mich selbst, und wie Tiere auf mich reagieren.« Gewissermaßen ein Was-wäre-wenn: Was würde draußen passieren, wenn ich den Urwald betrete? »So sehe ich, wie sich ein Luchs oder ein Hirsch verhält – je nachdem, wie ich mich verhalte.« Trotz des strengen Betretungsverbots sei die Zustimmung für das heutige Weltnaturerbe in der Region »überdurchschnittlich groß«.

Modernes Wissenszentrum, um Wertschätzung für Schützenswertes zu schaffen: das Haus der Wildnis, gebaut aus Holz und Stein, möchte mit Augmented Reality emotionalisieren.


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Pr o sa

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Gew tter E Text Amelie Ignatoff

rstmals fand im Frühjahr der Jugendschreibwettbewerb des Energiereferats der Stadt Baden statt. Das Motto lautete »Unser Leben – Unsere Zukunft«. Bis zu acht SchülerInnen jeder städtischen Schule konnten vom Lehrpersonal nominiert werden. Was als Schreibwerkstatt geplant war, wur-

de Corona-bedingt zur Heimarbeit. Wie geplant, wenn auch aus der Ferne, unterstützten die Biologin Daniela Meisel und die Autorin Sophie Reyer die TeilnehmerInnen beim Schreiben. biorama druckt als Medienpartner einen der vier von der Jury ausgezeichneten Texte ab.

Ich schaue aus dem Fenster, der Himmel hat sich zu grauen, dichten Wolken zusammengezogen. Einige der Menschen auf der Straße flüchten in ihre Autos, andere klappen ihre Regenschirme auf, um sich verzweifelt vor den kalten, nassen Tropfen zu schützen. Wenige Sekunden später ist das Gewitter in vollem Gange. Wut. Ich sitze hier am Fenster, starre auf den mittlerweile schwarzen Himmel und sehe Wut. Tatsächlich, es sieht fast so aus, als würde die Welt auf irgendetwas wütend sein. Jetzt fragst du dich, wieso ist die Welt wütend? Zufällig kenne ich die Antwort. Die Antwort, die jeder Mensch versteckt im Unterbewusstsein, verborgen zwischen all dem Leichtsinn und der Selbstsucht, in sich trägt. Schlechtes Gewissen. Angst. Die Antwort ist das, was kein Mensch wahrhaben will, was kein Mensch verstehen will, und kein Mensch ist bereit etwas zu verändern. Vielleicht kannst du schon ahnen, was es ist, vielleicht auch nicht. Die Welt ist wütend, wütend, weil die Menschen mit ihr machen, was sie wollen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Hauptsache schnell, Hauptsache einfach. Immer noch in Gedanken, drehe ich mein Gesicht erneut zum Fenster. Der Himmel immer noch in ein tiefes Schwarz getaucht. Dunkelheit, die so real ist, dass ich den Blick schnell wieder abwende. Irgendwann wird diese Dunkelheit den gesamten Raum fül-

len. Den Raum, den die Welt uns gegeben hat, um zu leben, den wir beschützen sollten. Doch der Menschheit ist es die Zeit und den Aufwand nicht wert. Sie hat Wichtigeres zu tun. Aber wer entscheidet, was wichtig und was unwichtig ist? Wir sind verantwortlich für die Dunkelheit, die irgendwann den Raum füllen wird. Ich frage mich, was die Menschen machen werden, wenn alles so dunkel ist, dass niemand mehr etwas sehen kann. Zwar ist der Raum jetzt noch hell, den Willen, etwas sehen zu wollen, haben wir uns aber bereits selbst genommen. Ist die Menschheit wirklich schon so blind? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist etwas komplizierter, denn niemand ist sich bewusst, dass die Menschheit selbst für ihre Blindheit verantwortlich ist. Sie will nicht sehen, was in der Zukunft passiert, sie will nicht sehen, was mit der Welt passiert. Sie schaltet ihren Verstand aus. Doch wenn der Verstand ausgeschaltet wird, werden wir von Dingen dominiert, die uns davon abhalten zu realisieren, dass wir unseren Verstand verloren haben. Wir verlieren das Urteil über richtig und falsch. Langsam wird es wieder hell vor meinen Augen. Das Donnern und Blitzen hat bereits vor wenigen Minuten aufgehört und die Wolken lösen sich nach und nach auf. Die Menschen steigen aus ihren Autos oder klap-

Bilder Istock.co m/mystice ne rgy, Stadt Bade n/S. Pohl

»Unser Leben – Unsere Zukunft« lautete das Motto des Jugendschreibwettbewerbs der Stadt Baden. biorama druckt einen der Siegertexte ab, verfasst von Amelie Ignatoff, Schülerin der 6df am bg/brg Biondekgasse in Baden.


NORMAL IST G E FÄ H R L I C H MAL GARNIX pen ihre Regenschirme zusammen. Als hätte es nie ein Gewitter gegeben. Jetzt fragst du dich, was mit der Welt ist? Die Welt ist wütend, immer noch wütend. Die Menschen können ihr nur nicht mehr dabei zusehen, und was sie nicht mehr sehen wollen, gibt es nicht mehr. Denn der Menschheit ist es die Zeit und den Aufwand nicht wert. Sie hat Wichtigeres zu tun. Aber wer entscheidet, was wichtig und was unwichtig ist?

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Siegerin Amelie Ignatoff (Mitte), flankiert von (v. l. n. r.) Gerfried Koch, dem Leiter des Energiereferats, Bürgermeister Stefan Szirucsek, Andreas Sattra vom Cinema Paradiso Baden, Isak Beiglböck von der Buchhandlung Zweymüller und Vizebürgermeisterin Helga Krismer.

Die New Design Universit y ist die Privatuniversität der Wir tschaf tskammer NÖ und ihres WIFI


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V e r k e h r sp l a n u n g

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17.960

2008–2010 2016

klosterneuburg

Stockerau

st. pölten

Öffentlicher Verkehr

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2016

Motorisierter Individualverkehr

43.650

2008–2010

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5.815

9.100

6.745

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12.350 6.045

13.520

17.500

Die Veränderung der Verkehrsnutzung stadteinwärts wochentags (Di. bis Do.) 05:00 bis 09:00 Uhr nach Wien in den letzten Jahren.

7.900

breitenfurt

8.350

2.050

6.450 1.800

6.100

18.450

17.550 1.000

850

4.000

mödling

3.650

20.000

16.000

wien

Marchegg

Bruck a. d. leitha

Quelle: Rittler ­Christian: »Verkehrsdaten­harmonisierung ­Ostregion«, im Auftrag der NÖ Landes­regierung Abt. RU7 Raum­ordnung und Gesamt­verkehrsangelegenheiten, 2016.


Umstrittene StraSSe Der Kampf um den Ausbau der S8 in den Osten Niederösterreichs bietet alte Gräben und laufend neue Wendungen – eine Bestandsaufnahme.

W

4.250

4.250

8.300

5.550

6.150

10.300

8.475

5.050

ird in Ostösterreich in den letzten Jahren über Umweltschutz und Verkehr gesprochen, sind es wiederholt drei Projekte, die exemplarisch genannt werden: die dritte Piste am Flughafen Schwechat, der Lobautunnel und der (Aus-)Bau der S8. Wobei mindestens die letzten beiden auch zusammenhänMistelbach gen. Die aktuelle B8 ist Wiens Verbindungsstraße in den Osten und führt aus der Stadt über Gänserndorf bis nach Angern an der March, nahe der slowakischen Grenze. Die S8 würde südlich davon in einem ersten Gänserndorf Abschnitt, »S8 West« genannt, bis zur Anschlussstelle Gänserndorf-Obersiebenbrunn verlaufen und anschließend nach Marchegg und zur Staatsgrenze weitergeführt werden. Der Plan des Landes Niederösterreich und der Asfinag lässt sie bei Wien an der ebenfalls nicht finalisierten S1, der Wiener Außenring-Schnellstraße, enden. Der Ausbau der S1, um die 19 Kilometer zwischen Schwechat und Süßenbrunn zu schließen, würde den 8,2 Kilometer langen Lobautunnel benötigen – und offiziell 1,9 Milliarden Euro kosten. KritikerInnen schätzen diese Zahl als zu niedrig ein. Und ohne Ausbau der S1 wäre der Bau der S8 sinnlos.

Unattraktiver Zubringerverkehr Wolfgang Rehm von Virus – Verein Projektwerkstatt für Umwelt und Soziales ist einer der UmweltschützerInnen, die gegen den Ausbau auftreten. Gemeinsam ist den GegnerInnen neben einer kritischen Hinterfragung der Argumente, die für den Ausbau angeführt

werden, eine allgemeine Einschätzung: Ist es 2020 wirklich noch wünschenswert, den Autoverkehr durch den Ausbau von Schnellstraßen zu stärken, statt umweltfreundlichere Alternativen anzubieten? Das Marchfeld, um das es hier in erster Linie geht, hat grundsätzlich attraktive Zug- und S-Bahnverbindungen entlang der Hauptrouten. Das Problem ist unter anderem der Zubringerverkehr, der mit einem wenig ausgebauten Busnetz und dessen unattraktiven Fahr- und Intervallzeiten bestritten wird. Gegen den Ausbau der S8 spricht allen voran die solide These, dass ein Ausbau des Straßennetzes grundsätzlich mehr Verkehr auf die Straße bringt statt weniger. Eine solche Entwicklung würde weiter dazu führen, dass das vorhandene öffentliche Verkehrsnetz weniger genutzt und deswegen dann noch weniger gepflegt oder ausgebaut wird. Darüber hinaus gibt es im Marchfeld weitere konkrete Gründe, die gegen den Bau der S8 sprechen, wie das Vogelschutzgebiet für den vom Aussterben bedrohten Triel. »Die S8 steht im Konflikt zum vorwiegend für die Vogelart Triel eingerichteten Europaschutzgebiet. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach negativer Begutachtung als weiteren Meilenstein den Fachbereich Naturschutz für entscheidungsreif erklärt und das Ermittlungsverfahren geschlossen. Aus jetziger Sicht ist das Einreichprojekt dem Untergang geweiht«, konnte Rehm im Februar 2020 verlautbaren. Mittlerweile ist bekannt, dass das Land Niederösterreich, um diesem Urteil zu begegnen, das Vogelschutzgebiet kurzerhand vergrößert hat, um die S8 eventuell doch bauen zu können. Ein weiteres Naturschutzgebiet ist das wwf-Auenreservat Marchegg, das heuer sein 50-Jahr-Jubiläum feiert und neben vielen anderen Pflanzen- und Tierarten Europas größte auf Bäumen nistende Storchenkolonie beheimatet. Die angedachte

Text Martin Mühl

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V e r k e h r sp l a n u n g

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erklärt er diesen Effekt. Der Ausbau der Westbahn habe dazu geführt, dass mehr Studierende nicht nach Wien zogen oder auch aus Wien nach St. Pölten und dann pendelten – Verkehr, den es vor dem Ausbau nicht gab. Andere Beispiele sind der Wohnbau im Tullnerfeld (»In zwölf Minuten mit der Bahn ins Zentrum«) oder auch die Verbesserung der Bahnverbindung zwischen Wien und Linz, die zu mehr PendlerInnen und mehr Verkehr führten und führen. Allgemein kommt es zu einem Mehr an Verkehr. Der Ausbau von öffentlichem Verkehr oder Straßen kann aber entscheidend dafür sein, wie umweltschädlich dieser ist. Rittler erwartet in den nächste zehn Jahren durch den geplanten Ausbau des Öffentlichen Verkehrs in Nord- und Ost-Niederösterreich eine (Rück-) Verlagerung hin zu diesem.

Verlängerung der S8 in die Slowakei würde nach derzeitigen Plänen nicht direkt durch das Reservat gehen, die Marchauen – in ihrer Gesamtheit ein Europaschutzgebiet – aber wohl beeinflussen.

Weniger Verkehr offenbar keine Option Europaschutzgebiet Rechtliche Grundlage für dieses europaweite Schutz­ gebietsnetz bilden zwei EU-Richtlinien: die Vogel­ schutzrichtlinie und die Fau­ na-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie). Zentrales Anliegen der beiden Richt­ linien ist die Sicherung der biologischen Vielfalt durch Erhaltung der natürlichen Lebensräume und wildle­ benden Tiere und Pflanzen.

Erhoben werden Zahlen für Untersuchungen zu Verkehr und Pendlerinnen unter anderem von Christian Rittler und seinem Ingenieurbüro für Verkehrswesen. Er sieht viele Aussagen zum Verkehr differenziert, kann der These, dass mehr Straßen zu mehr Autoverkehr führen, aber etwas abgewinnen: »Bei einem Ausbau gibt es die gewünschte Verlagerung von niederrangigen zu höherrangigen Verkehrswegen und eine Entlastung der Ortschaften durch weniger Durchzugsverkehr. Die neuen Straßen werden angenommen und der Bedarf an und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs könnte sich verlangsamen.« Zu Neuverkehr kommt es seiner Ansicht nach in erster Linie durch die Ansiedelung von Unternehmen oder auch das Wachstum von Ortschaften. Dass der Ausbau bestimmter Verkehrswege auch bei der Bahn zu mehr Verkehr führt, habe man beim Schnellzug tgv zwischen Paris und Lyon gesehen: »Ein Ausbau hochrangiger Verkehrssysteme in und aus Zentren führt zu einer Stärkung der größeren Zentren und damit zu mehr Verkehr in diese«,

Umstrittene Verkehrsverlagerung Geplant ist der Ausbau der S8 konkret seit 2007, den Anstoß dazu gab für Wolfgang Rehm eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2002, die Bundesstraßen in die Verwaltung der Länder übergab. Damit muss für die B8 das Land Niederösterreich aufkommen, für die S8 müsste dies der Bund. Rehm unterstützt mit seinem Verein Virus mehrere Bürgerinitiativen, die sich gegen den Ausbau engagieren. Eine davon, die von Rehm selbst mitgegründete Bürgerinitiative Marchfeld hat bereits 2005 viele und massive Mängel am Konzept zum Ausbau der S8 und dessen Überprüfung nicht nur unter Umweltschutzgesichtspunkten festgestellt und eingebracht. Darin geht es unter anderem um das Argument der BaubefürworterInnen, dass die S8 den Verkehr, der nun durch viele Ortschaften direkt geht, verringern und diese Ortschaften entlasten würde. Eine Grafik des wwf auf Basis von Daten der Asfinag zeigt, dass diese Verringerung nur für sechs Orte entlang der jetzigen B8 zu erwarten wäre, während der Autoverkehr in quasi allen umliegenden Ortschaften steigen würde. Rehm: »Untersuchungen des Landes Niederösterreich haben weiters ergeben, dass Umfahrungen zu stärkeren Entlastungen führen würden als der Bau der S8.«

Eine Alternative: Fahrräder und E-Bikes Auch Jurrien Westerhof, wwf-Programmbereichsleiter March-Thaya-Auen, spricht sich in erster Linie aus allgemeinen Umwelt- und Vogelschutzgründen gegen den Ausbau der S8 aus

B ilder Vorderseit e  istock.c om/Genestro, isto ck. com/MuchMania, istock .co m/alphabetMN, istock.com/Ihor-Biliavskyi, istock.com/petekarici

Das Vogelschutzgebiet soll den bedrohten Triel schützen.


B ilder  G. Pa ldan 4natu re , W WF/G erhard Egger

– konkret betroffen ist der wwf durch sein Naturschutzgebiet. »Ich selbst weiß, wie schwer es derzeit oft ist, öffentlich nach Marchegg zu kommen«, berichtet er. »Die Bahnverbindung zum Bahnhof ist gut, aber danach gibt es zu vielen Uhrzeiten keine oder unattraktive Busverbindungen, die extrem viel Zeit kosten. Wer etwa um 11 Uhr vormittags in Marchegg einen Termin hat und öffentlich anreisen will, muss vier Stunden vorher in Wien aufbrechen.« Als gebürtiger Niederländer bringt er lächelnd das Fahrrad ins Spiel. Die Lösung sieht er unter anderem in der Förderung und dem Ausbau eines Radwegnetzes für Fahrräder und E-Bikes – das einen Bruchteil einer Schnellstraße kostet. Er kalkuliert mit rund 100.000 Euro pro Kilometer beim Radweg, gegenüber mehr als 310 Millionen Euro, die die Asfinag allein für die ersten 14,4 Kilometer der S8 veranschlagt – 21,5 Millionen Euro pro Kilometer und »genug für 3.000 Kilometer Radwege«, so Westerhof. Das Radfahren ist aktuell in NÖ auch deswegen unattraktiv, weil es gefährlich ist, auf den Landes- und Bundesstraßen zu fahren. Ideal wäre für ihn das Marchfeld in dieser Hinsicht aber auch deswegen, »weil es völlig flach ist«. Das Land Niederösterreich plakatiert sich aktuell an Bahnhöfen als Radland (radland.at) und hat mehr als 30 Rad-Servicestellen eingerichtet. Anfang Juli veröffentlichten Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko und Tourismuslandesrat Jochen Danninger eine Meldung, in der sie die Stärkung des Radtourismus durch neue Angebote im öffentlichen Verkehr ankündigen. Eine willkommene Entwicklung, die den sanften Tourismus fördern kann. Dass Radfahren eine Möglichkeit wäre, alltägliche Wege zurückzulegen, scheint in dem Bundesland in dem selbst Wege, die in Städten zu Fuß gegangen werden, mit dem Auto gefahren werden, keine Option zu sein. Als unerwünschtes Szenario bringt Jurrien Westerhof außerdem ins Gespräch, dass ein Ausbau der S8 letztlich eine neue Transitroute bedeuten könnte und mehr lkw aus dem Norden Europas künftig auf dem Weg in den Süden diese ausgebauten Wege nehmen könnten, wenn sie eine entsprechende Zeitersparnis bringen. Auch Rehm sieht diese Möglichkeit, allerdings fehlen dazu, wie er sagt, sowohl auf der slowakischen Seite, die mögliche Verlängerung der S8, als auch nördlich der A5 in Tschechien die entsprechenden konkreten Bauvor-

haben. Und er attestiert dem Land Niederösterreich hier wenig Willen zu Austausch und Abstimmung mit etwaigen PartnerInnen, weswegen dieses Bild aktuell eher eine theoretische Möglichkeit ist, als ein Plan, der bald umgesetzt werden könnte.

Wildwuchs beim Wachstum Ein Hauptproblem ganz allgemein sieht Rehm auch nicht nur in Verkehrswegeentscheidungen, sondern in der fehlenden Planung und Steuerung des Wachstums von Orten wie Gänserndorf oder Deutsch-Wagram. Dieses Wachstum ohne entsprechende Raumplanung und ein umweltfreundliches Verkehrskonzept führt automatisch zu mehr Verkehr. Es steckt die klassische Frage dahinter, ob das Rausziehen aus der Stadt umweltpolitisch erwünscht sein kann. Erst im April hat das Land Niederösterreich eine Studie in Auftrag gegeben, welche Auswirkungen Corona und die Gewöhnung an eine Arbeit im Homeoffice auf den PendlerInnenverkehr haben kann. Ergebnisse sind noch keine bekannt. Wie groß der persönliche Vorteil einer Schnellstraße ist, auf der im Gegensatz zur B8 weniger PolitikerInnen plakatiert sind und Udo Landbauer sein Comeback ankündigt, sei dahingestellt. Schon lange warten BaubefürworterInnen und -gegnerInnen auf ein Ende des Konflikts und hoffen auf eine finale Entscheidung – bisher vergeblich.

Das WWF Marchauen Reservat feiert heuer 50-Jahr-Jubiläum.

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B io r ama N Ö

Mar k t p l atz f o o d

Text Martin Mühl

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Käsekrainer-Variationen Dreimal Biokäsekrainer aus Niederösterreich, die auf Unterschiede und eigenen Charakter setzen.

1 Wiesmayer Wildkäsekrainer

Johannes Wiesmayer ist Biobauer, bekannt unter anderem für seinen Topinambur. Auch das bei ihm erhältliche Damwild ist biozertifiziert. Neben diversen Fleischteilen gibt es dieses auch in verarbeiteter Form, etwa als Gulasch, Sugo oder als Brüh- und Bratwürste. Letztere hergestellt von der Fleischerei Hödl im 23. Bezirk in Wien. Die Käsekrainer sind überdurchschnittlich groß und, wie oft bei Wild, etwas dünkler. Ihre Masse ist gröber, aber weniger fett als im Durchschnitt, der Käse klassisch. Die eher festen Würste sind angenehm intensiv und würzig, ohne es damit zu übertreiben. wiesmayer-wild.at

Was ihre Größe betrifft, fallen die Käsekrainer vom Annahof vergleichsweise klein aus, in Konsistenz und Geschmack ähneln die vorranging aus Schweinefleisch bestehenden Würste am ehesten dem, was man sich unter klassischen Käsekrainern vorstellt. Die Masse ist sehr fein, der Käse nicht zu intensiv. Wer will, findet hier Parallelen zum Käsleberkäse. Die Tiere am Annahof werden am Hof selbst geschlachtet und verarbeitet. Die Erzeugnisse daraus sind im hofeigenen Bioladen erhältlich, der außerdem Obst, Säfte und viele andere Produkte anbietet und sich, auf einem Hügel gelegen, auch als kleines Ausflugsziel eignet, an dem sich etwa Radler eine Erfrischung gönnen können. Ist der Bioladen geschlossen, steht ein Automat mit einer kleinen Produktauswahl zur Verfügung. annahof-laab.at

Wagyu-Rind ist jene japanische Rinderrasse, die, wenn sie dort aufgezogen und geschlachtet wird, nach der Region Kobe benannt werden darf. Josef Buder setzt auf dem Reingruber Hof in St. Georgen am Reith auf das fein und gleichmäßig von Fett durchzogene Biowagyu. Neben Fleisch, Rillettes (mit Bier oder auch Whiskey) und Terrine wird das Fleisch auch zu Käsekrainern verarbeitet. Diese sind knapp größer als der Durchschnitt und gefallen dank einer durchaus eigenen Konsistenz: Sie sind fleischtypisch weich, aber nie letschert. Der Käse ist hier nicht im gleichen Ausmaß wie bei anderen eingearbeitet, der Geschmack betont – naheliegend – die Qualität des Ursprungsfleisches, dem Schweinefleisch und Speck beigemengt sind. wagyu-fleisch.at

Bilder  Martin Mü hl , Istock.c om/Mrs Wilkins

Käsekrainer Annahof 2 vom 3 Bio-Wagyu-Käsekrainer


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B io r ama N Ö

Mar k t p l atz f o o d

Text Martin Mühl

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Rosé mit Ansage

Seit einigen Jahren ist Rosé nicht mehr in erster Linie lieblicher Wein zum Nebenbei-Trinken, sondern Experimentierfeld für WinzerInnen und ein willkommener Sommerwein.

Spring Break – Herbert Zillinger

Christoph Hoch ist bekannt für seine Pet Nats, mit denen er den aktuell anhaltenden Trend mitbestimmt und diesem die Richtung durchaus vorgegeben hat. Es zahlt sich aus seine Weine, die mindestens genauso begeistern, nicht zu übersehen. Den Rosé dominiert eine Balance aus Mineralik, kräftiger Frucht und gleichzeitiger Leichtigkeit. Im Gegensatz zu seinen Weißweinen gibt es hier deutlich weniger bis keine mostige Note. Hoch, der biodynamisch arbeitet, lässt den Wein ohne Zusätze spontan vergären und bringt den kalkreichen Boden und das kühle Klima in Hollenburg in die Flasche. christoph-hoch.at

Vivo Rosé 2019 – Mehofer Neudeggerhof Den Neudeggerhof gibt es seit 1709 und der Weinbetrieb hat bereits 1992 auf Bio umgestellt. Zu den Spezialitäten des auf Biodiversität setzenden Weinguts zählt unter anderem der Rote Veltliner, der in mehren Lagen wachsend in verschiedenen Ausbaustufen angeboten wird. Auch dieser Rosé vom Wagram wächst in eher kühlem Klima auf Lössboden und setzt auf eine Balance aus Frucht und Säure – und damit auf gute Trinkbarkeit bei warmen Temperaturen. Neben klassischen Beeren, gibt es hier frische Noten von Zitrusfrucht und grünem Apfel sowie eine abrundende Cremigkeit. mehofer.at

Bilder  Chri st oph Ho ch, He rbert Z illinger , Me hof er Neu degg erho f

Rosé N.V. – Christoph Hoch

Respekt-Winzer Herbert Zillinger, der sein Weingut in Ebendorf im Waldviertel gemeinsam mit seiner Frau Carmen biodynamisch betreibt, pflegt seinen kompromisslosen Zugang, der seine Weine nicht auf einfache Trinkbarkeit oder gar sortentypischen Geschmack hintrimmt. Spring Break ist sein Rosé aus Zweigelttrauben, den eine intensive Beerennote ziemlich reifer Früchte in Geruch und Geschmack dominiert. Dabei ist der Wein gleichzeitig absolut trocken und hat in der Nase mineralische Noten – was ihm seine Frische gibt. Der leicht orange Farbton, die kurze Maischestandzeit und die Betonung der Traubennote runden das Weinlebnis ab. Dieser Wein ist gleichzeitig anspruchsvoll und absolut süffig. zillingerwein.at


Gewächshaus in den

Niederlanden

2,62

kg CO2-Äquivalente pro kg tomaten

2,40 kg CO2-Äquivalente pro kg tomaten

Gewächshaus

regional

Die Tomate aus dem spanischen Folientunnel hat eine geringere co2-bilanz als die durchschnittlich regional produzierte im hiesigen supermarkt. > Mehr auf biorama.eu/regionalitaet

Folientunnel in

Spanien

0,93

kg CO2-Äquivalente pro kg tomaten

0,6

kg CO2Äquivalente

Folientunnel

regional

DatenQuelle: IFeu Heidelberg 2019.

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B io r ama N Ö

Hi ntau s

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Ich war noch niemals in Würmla Street-Art auf alte Stadel gesprayt, ein Triptychon auf Silotürmen: Lagerhaus und Angewandte, kann das gut gehen?

Thomas Weber, Herausgeber weber@biorama.eu

W

ar ich jemals in Würmla? Ich weiß es nicht, wüsste aber auch nicht, warum ich dort gewesen sein sollte. Würmla steht stellvertretend für viele Orte, überall auf der Welt: Ohne Verwandtschaft zieht einen nichts dorthin. Auch was die Website der Gemeinde unter »Sehenswertes« listet, ist mehr Pflichterfüllung als Attraktion: eine Kirche, ein paar Ortskapellen. Nichts Nennenswertes gibt es überall. Die Website ist allerdings nicht ganz aktuell. Das bestätigt auch der Bürgermeister, zu dem man gleich durchgestellt wird, wenn man sich am Amt nach »Würmlas Wände« erkundigt. »Die Resonanz auf das Kunstprojekt hat unsere Erwartungen übertroffen«, sagt Johannes Diemt. Zumindest das mediale Interesse ist groß seitdem sen und Feldern erwarten einen auf Würmlas die Künstlerin Katharina C. Herzog für ihre Wänden Geschichten der Gegend: KapitalisAbschlussarbeit an der Universität für angemuskritik auf der Brückenwaage oder das fewandte Kunst den Künstler David Leitner ministische Triptychon auf Silospeichern der davon überzeugte, gemeinsam die Mittel der 30-jährigen Bäuerin Viktoria Eichinger (»Frauurbanen Kunst in den ländlichen Raum zu en waren und sind seit über 100 Jahren auf unübersetzen. Herzog stammt selbst aus dem serem Hof eine treibende Kraft.«). Das alles wird Vier-Häuser-Dorf Jetzing, einer der 14 Kaunterstützt vom Lagerhaus Tulln-Neulengbach. tastralgemeinden Würmlas. In zehn davon Beim Erstellen der Wanderroute sei bewusst darhaben Herzog und Leitner alte Stadel, Kelauf geachtet worden, dass der Weg weitgehend auler und Silos bemalt und besprüht, eben: tofrei und mit dem Kinderwagen zu bewältigen ist, »Würmlas Wände«. Alles im Einverneherklärt der Bürgermeister. Und, natürlich, dass das men mit den EigentümerInnen, versteht Kaffeehaus und der Heurige passiert werden. »Gesich. Die 13 Motive erzählen deren perwisse Einkehrmöglichkeiten werden gerade geschafsönliche Geschichten, Wünsche, Sorgen, fen«, sagt er. »Alles ist auf Ehrlichkeit aufgebaut«, vom Alltag auf dem Land. Gerade entetwa ein Kühlschrank mit Kassa, aus dem Speisen einsteht ein Buch, das noch weiter hinter fach entnommen werden. Wer etwas nimmt, gibt etwas, die Fassaden blicken möchte. Wichti»und wenn’s nicht funktioniert, dann wurde nicht allzu ger aber ist wohl der Wanderweg, den viel investiert.« die beiden AbsolventInnen der AnEin längst fälliger Versuch jedenfalls. Insgesamt. gewandten gemeinsam mit der GeUnd zumindest eine Kandidatin für seine allererste meinde gestaltet haben. »Es ist gut, Ehrenbürgerin hat Würmla jetzt. Wieder was für die wenn Leute ein Ziel haben, wähGemeindewebsite. rend sie durch die schöne Landschaft wandern«, sagt Herzog. Über Hügel und entlang von Wiewürmlaswände.at

Bilder He rzog Davi d Le itner, Mi cha el Mickl

Kolumne Thomas Weber


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