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WARUM WACHSEN AM WEIDENBACH KEINE WEIDEN MEHR?

Flüsse und Bachläufe ohne Böschung sind praktisch – aber wider die Natur. Was den Abfluss bei Hochwasser beschleunigen sollte, erhitzt nun Gewässer wie Gemüter.

Während heute vor bundesweiten Wahlen manchmal die im Ausland lebenden StaatsbürgerInnen als mitentscheidendes »zehntes Bundesland« bezeichnet werden, verstand man in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg etwas anderes unter diesem Begriff. Damals bezeichnete das »zehnte Bundesland« ein politisches Ziel: Durch die Trockenlegung von Mooren und die Begradigung von Flüs - sen und weitläufig mäandernden Bächen sollten landwirtschaftliche Flächen in der Größe eines zusätzlichen Bundeslands gewonnen werden, um Österreich ernähren zu können. Die Auswirkungen dieser Doktrin sehen wir heute, wenn sich Bach- und Flussverläufe im typischen Trapezprofil »effizient« durch die Landschaft ziehen.

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»Damals wurde massiv reguliert, auch kleinere Gewässer«, weiß Martin Angelmai -

Huchen

Größte Forellenart, bekannt auch als »Donaulachs«, wird bis zu 1,7 Meter lang und 50 Kilo schwer. Lebt in der Donau und größeren Zuflüssen.

Tulln Grosse Tulln

Amstetten

Ybbs

Vorher reguliert: Uferbewuchs gab es an der Ybbs bei Winklarn auch vor der Renaturierung.

er, der beim Land Niederösterreich die Abteilung Wasserwirtschaft leitet. Viele Fehler der einstigen Regulierungswut wurden in den vergangenen Jahren korrigiert. Doch nicht immer ist das leicht möglich. Denn bei regulierten Gewässern ist teilweise seit damals genau festgeschrieben, wie diese im Querschnitt auszusehen haben. Das gilt – aus Gründen des Hochwasserschutzes – auch für Böschung und Bewuchs. Und oft ist das durchaus gut begründet. »Mehr Gehölz und Sträucher wirken bei Hochwasser bremsend«, sagt Martin Angelmaier, »weshalb es vorkommt, dass Wasser schlechter abfließen kann«. Und weshalb es vorkommt, dass ein Bach als Weidenbach in Karten verzeichnet ist, dass vom ursprünglich namensgebenden natürlichen Bewuchs aber nichts mehr zu sehen ist; und dass, was von Natur aus nachwächst, regelmäßig geschnitten wird.

Vegetation Braucht Platz

Mittlerweile werde fast überall versucht, »mit Augenmaß vorzugehen und möglichst viel Vegetation zu belassen«, sagt Angelmaier. Mehr Vegetation brauche aber mehr Platz, weshalb –meistens als Kompromiss – Gewässerpflegekonzepte erarbeitet werden, die sicherstellen, dass Hochwasser trotz Bewuchs abfließen kann. »Wovon wir jedenfalls wegwollen, ist, dass über einen längeren Abschnitt der gesamte Bewuchs abgeschnitten wird«, sagt der oberste Beamte der Wasserabteilung.

Niederösterreich ist von einem Gewässernetz von insgesamt etwa 25.000 Kilometern durchzogen. Insgesamt ist ein Drittel der Gewässer des Bundeslandes (Seen inklusive) »in einem sehr guten oder guten ökologischen Zustand und damit in dem von der EU-Wasserrahmenrichtlinie geforderten Zielzustand«, sagt Angelmaier. Dass es die restlichen Gewässerabschnitte nicht sind, liegt vor allem an baulichen Eingriffen, die ökologische Defizite verursacht haben: Regulierungen, Staubereiche oder Wehr-Querbauten. Trotz umfangreicher Renaturierungsprojekte – allein von 2018 bis 2022 wurden von Bund und Land insgesamt 63 Millionen Euro in 112 Projekte investiert, bis 2027 sind 54 Millionen Euro für weitere 50 Projekte vorgesehen – gibt es sie also noch, die kahlrasierte Böschung am begradigten Wasserlauf.

Der Bach Als Durchlauferhitzer

Dass ein Bach ohne Bäume keine Augenweide ist, mag ein ästhetisches Problem sein. Spätestens seit der Klimawandel auch in unseren Breiten durchschlägt, wird das Wasser in den Bächen durch die fehlende Beschattung allerdings auch deutlich wärmer – und damit auch zum ökologischen Problem. Denn, so Angelmaier: »Je wärmer, desto weniger Sauerstoff,

Botanik am Bachufer

Ohne Kahlschlag und regelmäßige Mahd tauchen am Bachufer zuerst »Pionierpflanzen« wie Haselnuss, Schneeball, Holunder und Spitz-Ahorn auf. Danach etablieren sich wahrscheinlich Bruch-, Purpur- und Sal-Weide sowie Schwarz-Erle (im Bergland eher die Grau-Erle).

An staunassen Standorten und Auen machen sich auch andere Weidenarten sowie Schwarz- und Silber-Pappel breit. Bei temporärer Überschwemmung in einiger Entfernung zum Fluss bilden Eschen und Stiel-Eichen den Wald (Harte Au).

desto schwieriger für Fische. Ein Tieflandfluss wie die March verträgt insgesamt etwas höhere Temperaturen, aber im Quellbereich der Forellenregion braucht es kaltes, schnell strömendes Wasser, da sind bereits Temperaturen über 20 Grad typisch.« Alles über 28 Grad ist beispielsweise für Forellen lebensbedrohlich. Fehlt der schattenspendende Uferbewuchs über größere Strecken, werden Bäche und Flüsse zu Durchlauferhitzern. Dann sind nicht nur einzelne Arten, dann ist die Flussökologie insgesamt in Gefahr.

ANKAUF VON ACKERLAND

Mancherorts lassen sich Renaturierungen mit gutem Willen und öffentlichen Geldern einfach umsetzen. Findet sich ein Träger (eine Gemeinde oder ein Wasserverband, in dem sich mehrere Gemeinden entlang eines Gewässers zusammengefunden haben), dann übernehmen Bund und Land bis zu 90 Prozent der anfallenden Kosten. Auch Ankäufe von Ackerland, das nötig ist, um einem Gewässer wieder Platz zu lassen und einen einigermaßen natürlichen Verlauf zu finden, werden übernommen. Nicht immer gibt es aber Bereitschaft, ein Stück des urbar gemachten »zehnten Bundeslands« wieder abzugeben.

Als vorbildlich gilt die Wiederherstellung des Lebensraums des Ybbsflusses im Bereich der Stadt Amstetten in den Jahren 2009 bis 2014. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Fluss durch Begradigungen und Ufersicherungen mit Wasserbausteinen weitgehend beschränkt worden. Viele der sonst für diesen Lebensraum typischen Tier- und Pflanzenarten waren verschwunden. In Amstetten selbst, aber auch unweit der Ortschaften Winklarn und Hausmening ließ sich das Bett der Ybbs wieder verbreitern. Sogar Nebenarme und Inseln konnten geschaffen werden, was nachweislich nicht nur gefährdeten Fischarten (wie Huchen und Äsche), sondern auch gefährdeten Vogelarten (wie Flussuferläufer, Flussregenpfeifer und Eisvogel) zugute kam. Durch die Schaffung eines Nebenarms bei Hausmening soll sich das Flussbett in Zukunft wieder eigendynamisch und möglichst eingriffsfrei weiterentwickeln. In den vergangenen Jahren haben Hochwässer vielfältige neue Strukturen und Lebensräume geschaffen: Schotterbänke, Tief- und Flachwasserbereiche und Steilufer.

Nicht überall sind Änderungen in diesem Ausmaß möglich. Mitten in dicht verbautem Ortsgebiet oder direkt neben hochrangigen Straßen kommt niemand auf die Idee, Gewässern völlig freien Lauf zu lassen. Mitunter gehen Gemeinden auch auf Nummer sicher, weil sie nach Klagen in Folge von Hochwasserschäden schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Der Geschundene Fluss

»Die Große Tulln ist ein geschundener Fluss«, sagt Oswald Hicker, »von Neulengbach abwärts fließt sie in einem strengen Trapezprofil«. Hicker, von Beruf Sprecher des niederösterreichischen Gemeindebunds und dementsprechend diplomatisch, engagiert sich als leidenschaftlicher Fischer privat für das Gewässer. Bis 2029 hat er ein 25 Kilometer langes Fischereirevier gepachtet. Das klingt nach idyllischem Wienerwald, doch Hicker relativiert: »eine kitschige Flusslandschaft sieht anders aus«. Ein Großteil der Bäume und Stauden wird regelmäßig aus dem Flussquerschnittsprofil geschnitten. »Somit fehlt die in heißen Sommern wichtige Beschattung, für Forellen wird es da eng«, sagt er. Trotzdem ist bereits viel passiert. 2019 wurden zwei Wehranlagen entfernt. Plötzlich kam eine Vielzahl von Donaufischen in die Große Tulln. Weil über den gesamten Flussverlauf keine Wasserrechte von Mühlen oder Kraftwerksbetrei -