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SMARTES GESETZ FÜR FAIRERE HANDYS?

Die zivilrechtlichen Klagsrechte beleben das Smartphonegeschäft.

Der NGO-Dachverband Friends of the Earth und das »Netzwerk Soziale Verantwortung« waren und sind zentrale Unterstützer der Forderung nach einem EU-Lieferkettengesetz. Die NGO Global 2000 ist Teil beider Netzwerke. Auf ihrer Webseite heißt es zu den Motiven »auch Österreich trägt Verantwortung gegenüber Umwelt und Menschen. Deswegen unterstützt GLOBAL 2000 die Mobilisierung für ein europaweites Lieferkettengesetz«. Anna Leitner, Sprecherin von Global 2000 für Ressourcen und Lieferketten, im Gespräch über große Hoffnungen in die Einführung von Klagsrechten, in unternehmerischen Wettbewerb und auf nachhaltigere Smartphones.

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BIORAMA: Was steht gerade mit dem Lieferkettengesetz auf dem Spiel bzw. könnte möglich werden?

ANNA LEITNER: Viele von uns haben schon seit Jahren versucht, nachhaltig zu konsumieren. Wir schauen drauf im Supermarkt, beim Einkaufen. Aber jetzt haben wir eine einmalige Chance, dass auch Konzerne dazu verpflich- tet werden, bei ihrem Einkauf darauf zu achten, dass Menschenrechte gewahrt und Nachhaltigkeit verfolgt wird.

Wo stehen wir in diesem Gesetzgebungsprozess?

Das Lieferkettengesetz ist nach jahrelangem zivilgesellschaftlichen Druck von der EU Kommission im Februar 2022 als Entwurf veröffentlicht worden. Und daraufhin haben die Mitgliedsstaaten – unsere Bundesregierungen – und das EU Parlament – unsere gewählten Abgeordneten – jeweils Positionen festgelegt. In den nächsten Wochen, Monaten verhandeln diese Institutionen, wie das finale Gesetz ausschaut und da steht viel auf dem Spiel. Zum Beispiel haben sie ganz unterschiedliche Auffassungen, ob Klima-Sorgfaltspflichten drin sein sollen, also ob Konzerne auch dafür haften sollen, wenn sie das Klima verschmutzen. Wir sehen unterschiedliche Auffassungen, wer dafür die Beweislast tragen soll. Und unterschiedliche Auffassungen, welche Größe von Unternehmen das Gesetz betreffen soll. In den nächsten Monaten geht es sozusagen um die Wurst.

INTERVIEW

Irina Zelewitz

Anna Leitner ist Sprecherin für Lieferketten & Ressourcen bei GLOBAL 2000 –Friends of the Earth Austria. Sie setzt sich ein »für einen Wandel hin zu einer Wirtschaft, die Wohlergehen aller Menschen innerhalb der planetaren Grenzen ermöglicht«.

Sie sind als Stakeholder an unterschiedlichen Punkten national und auf EU-Ebene in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Möchten Sie Akteure exemplarisch nennen, von denen da jetzt besondere Verwässerungsgefahr ausgeht?

Das Lieferkettengesetz war von Anfang an ein umkämpftes Thema. Und das ist eigentlich ein gutes Zeichen, weil es zeigt, welches Potenzial es hat, unser Wirtschaften zu verändern. Veränderung wird immer von denen bekämpft, die vom Status quo profitieren. Von Anfang an war zu sehen, dass einige Wirtschaftslobbys und Industrievertretungen sehr aktiv sind, den Teufel an die Wand zu malen, behaupten, es würde Unternehmen schaden und Menschen und Umwelt nicht helfen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Das würde gerade in Ländern, wo Rohstoffabbau stattfindet, gerade in Ländern, die jetzt unter der Klimakrise leiden, zu Verbesserungen für Menschen und Umwelt führen. In die Ausarbeitung des EU-Gesetzes ist die österreichische Regierung über Ressorts beider Koalitionspartner eingebunden. Federführend sind gemeinsam das Wirtschaftsministerium und das Justizministerium. Sie haben im letz- ten Jahr schon gemeinsam versucht, die Zivilgesellschaft, andere Stakeholder aus der Wirtschaft und MenschenrechtsexpertInnen einzubinden. Vor allem aber dann Richtung Ende im Rat, Ende November, ist die Einbindung sehr dünn geworden, weil die Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung reibungsvoller waren. Im Endeffekt hat sich der österreichische (Wirtschafts-)Minister Kocher entschieden, sich zu enthalten und damit riskiert, dass das Lieferkettengesetz verzögert wird. Zum Glück haben genügend andere Mitgliedsstaaten im Rat für die eher umfassende Ausrichtung des Gesetzes gestimmt. Jetzt im EU-Parlament haben wir gesehen, dass ganz überraschend, auf den letzten Metern, konservative Abgeordnete, unter anderem auch die österreichische Abgeordnete Angelika Winzig, Änderungen eingebracht haben – zu eigentlich schon mit der Europäischen Volkspartei beschlossenen Kompromissen. Es wurde im letzten Moment versucht, einen Text, der mit einem Kompromiss entstanden ist, noch einmal massiv zu verwässern. Das ist nicht geglückt.

Eine Mehrheit im EU-Parlament hat sich dann doch hinter das gestellt hat, was die Bevölkerung fordert, und was auch schon im Vorhinein verhandelt war.

Der eine angenommene Änderungsantrag stellt also keinen substanziellen Schaden für den Entwurf dar?

Es hätte schlimmer kommen können. Ingesamt entspricht der Text aus dem Parlament noch um einiges realistischer dem, was das Lieferkettengesetz leisten muss. Ich will nicht sagen ambitioniert, denn ambitioniert ist noch was anderes, aber im Vergleich zu dem, was der Rat geliefert hat, ist das auf jeden Fall näher an dem, was notwendig ist.

Wie haben sich die deutschen Pendants im Rat und im Europaparlament verhalten?

In Deutschland war die Situation ähnlich innerhalb der Koalition wie in Österreich. Auch da gab es unterschiedliche Auffassungen zwischen den Ministerien – in diesem Fall waren von allen drei Regierungsparteien geleitete Ministerien eingebunden. Darunter das FDP-geführte Justizministerium, das grüne Wirtschaftsministerium und das SDP-geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Die meisten europäischen Mitgliedsstaaten waren eigentlich gut damit beschäftigt, innerstaatliche ihre Regierungsposition herauszufinden. Der tschechische Ratsvorsitz hat dann sehr schnell Entscheidungen gefordert in den Ratsarbeitsgruppen und die Mitgliedsstaaten waren teilweise überrumpelt – und hatten ihre Regierungspositionen noch nicht definiert. Deutschland hat dann versucht, auf den letzten Metern noch eine Safe-Harbour-Klausel einzubauen. Das heißt: versucht, dafür zu sorgen, dass sich Unternehmen relativ leicht aus der Verantwortung stehlen können, zum Beispiel durch Teilnahme an einer Stakeholderrinitiative. Dieser Versuch von Deutschland ist auch nicht durchgegangen.

Die Safe-Harbour-Klausel – mit dem Beispiel Stakeholderinitiave – würde bedeuten, dass Unternehmen die Verantwortung für ein Problem zu einfach wieder auf ihre Zulieferbetriebe abschieben könnten?

Sie würde Unternehmen aus der Verantwortung nehmen, weil sie dann einfach sagen könnten: Wir sind in einer Initiative und haben damit unser Interesse an der Zusicherung der Einhaltung aller Pflichten zum Ausdruck gebracht und damit wären sie in dieser Frage dann aus der Verantwortung genommen.

Inwiefern wurde für den Entwurf zum EU-Lieferkettengesetz das deutsche als Blueprint genommen?

Das haben wir bei der Definition der Umweltauswirkungen im Gesetz sehr stark gesehen: Das deutsche Lieferkettengesetz definiert, durch eine Liste von Abkommen, um welche Umweltauswirkungen es geht. Während das französische Lieferkettengesetz derzeit als Grundprinzip auf eine breit definierte Liste an Umweltgütern baut. Unsere Forderung war von Anfang an, dass eine kleine Liste an Abkommen nicht genügen kann. Es braucht diese Definition über breite Kategorien, weil es zum Beispiel für Bodenschutz kein internationales Abkommen gibt. Als Ergänzung finden wir es daher wichtig, dass Umweltkategorien festgelegt werden – also zum Beispiel Wasserverschmutzung, Bodenzerstörung oder eben Treibhausgasemissionen und Klimaschäden.

»Umweltgut« ist ein schwer fassbarer Begriff. Umweltgüter heißt Zielkategorien statt klare Normen, Verbote oder

Grenzwerte?

Da geht es tatsächlich nicht darum, wie eng definiert das Ziel ist. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass Unternehmen selbst prüfen müssen, bei welchen Aspekten es in ihren Wertschöpfungsketten Risiken gibt. Das heißt, im Gesetz steht dann zum Beispiel: Biodiversität darf nicht zerstört werden. Es muss Acht genommen werden auf Klimaschutz, auf Bodenschutz, auf Wasserschutz. Das EU-Parlament hat dazu die gerade überarbeiteten OECD-Leitsätze herangezogen. Der Vorteil an diesem Ansatz ist, dass so verschieden die Wertschöpfungsketten, so unterschiedlich müssen auch die Risikoanalysen sein.

Die OECD-Regeln waren ja bisher freiwillig einzuhalten. Am Beispiel Elektronik: Würde denn mit Lieferkettengesetz eine bestimmte Produktionsweise illegal, die jetzt legal ist?

Das Lieferkettengesetz soll insgesamt den Standard heben, auf dem die Unternehmen prüfen müssen, wo gibt es Probleme und die Probleme beenden müssen, weil sonst Konsequenzen drohen – auch in Form von zivilrechtlicher Haftung.. Das heißt aber, es wird nicht automatisch eine Art zu produzieren unmöglich gemacht.

Dass illegale Praktiken unmöglich werden, ist vielleicht viel verlangt. Aber werden sie unwahrscheinlicher?

Es wird nicht ein spezifischer Produktionsprozess illegal gemacht, sondern erschwert. Es wird erschwert, bestehende Gesetze, Rechte und Verpflichtungen zu umgehen, weil es endlich Konsequenzen gibt, die es bisher nicht gibt. Es war ja bisher für Betroffene von Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen schwer, an europäischen Gerichten tatsächlich diejenigen, die Verantwortung tragen, die Konzerne, zu verklagen und Gerechtigkeit zu erfahren. Und das ändert sich.

Es entsteht in der EU dazu allerdings neues Recht. Wie verpflichtet es Unternehmen zum Klimaschutz in ihrer Lieferkette?

Ja, ganz konkret zum Beispiel im Klimaemissionen: Bisher gibt es für Unternehmen keine Verpflichtung, die Emissionen in der Wertschöpfungskette zu reduzieren. Was heißt das? Die Emissionen, die beim Transport der Güter entstehen, die Emissionen, die beim Roh-

Der »OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln« wurde 2023 überarbeitet und dient Unternehmen als freiwillige Richtschnur. mneguidelines.oecd.org stoffabbau entstehen, die Emissionen, die bei der Abfallbehandlung von Abfällen des Unternehmens bestehen – für all diese Emissionen in der Lieferkette gibt es keine Reduktionsverpflichtungen. Und wenn das Lieferkettengesetz so kommt, wie das EU-Parlament es jetzt beschlossen hat, nämlich mit Klimasorgfaltspflicht, dann entsteht neue Rechtsmaterie, weil es für Unternehmen verpflichtend wird, ihrer Klimasorgfaltspflicht nachzukommen. Das heißt: sie müssen dann die Emissionen zu reduzieren, auch in der Wertschöpfungskette. Und damit entsteht eine neue Möglichkeit für Betroffene von Klimaauswirkungen, als Geschädigte rechtlich vorzugehen, wenn ein Konzern beispielsweise seine Emissionen immer weiter erhöht.

Konkret: Ich bin einE VerbraucherIn. Ich möchte ein Handy kaufen. Werden die seltenen Erden, die dazu notwendig sind, zur Produktion, künftig nicht mehr unter Sklaverei-ähnlichen Bedingungen abgebaut?

Bisher war es für Unternehmen, die versuchen, unter besseren Umständen zu einzukaufen, wie zum Beispiel Fairphone, sehr schwierig, weil fast alle anderen Unternehmen die Augen zugemacht haben und nur auf den Preis geachtet haben. Mit dem Lieferkettengesetz wird zum Beispiel für alle Smartphonehersteller – die fallen alle unter das Gesetz, weil sie die sogenannten Schwellenwerte (für die Unternehmensgröße, Anm.) erreichen – verpflichtend, da genau nachzusehen. Und damit wird es insgesamt schwieriger, unter Bedingungen wie Sklavenarbeit abzubauen. Es wird nicht so laufen, dass, sobald das Lieferkettengesetz in Kraft tritt, ich kein Smartphone mehr kaufen kann, in dem Kinderarbeit steckt. So realistisch muss man sein. Wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Globalisierung der Produktion auf Kosten von Menschen im globalen Süden erlebt. Das jetzt ist es eine Chance, diese Abwärtsspirale umzukehren. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Aber es wird in Zukunft auf jeden Fall die Verantwortung dafür nicht mehr nur bei mir als Konsumentin liegen. Ich kann ja auch kein nachhaltigeres Smartphone produzieren.

Was ändert sich neben der arbeitsethischen Dimension – um beim Beispiel Handy zu bleiben?

Am Produkt Handy ändert sich im Kanon mit anderen Gesetzesinitiativen auch, wie lange das haltbar ist. Wenn das Unternehmen –der Smartphonehersteller – nämlich dazu verpflichtet wird, für die gesamte Wertschöpfungskette Sorgfalt zu tragen, dann heißt das in der Konsequenz auch, dass das Handy länger nutzbar bleiben muss. Zum Beispiel, damit der Ressourcenverbrauch sinkt und ein Beitrag zu einer Kreislaufwirtschaft getätigt ist. Das heißt zum Beispiel für das Unternehmen, dass es nachprüfen muss, wie beim Abbau des Rohstoffs Kobalt mit dem Minenabfall umgegangen wird: Verunreinigt der Wasser, Luft und Boden in der Umgebung? Über all diese Prüfungen, die Konzerne jetzt dann anstellen müssen, die eben über den Preis, über die Qualität hinausgehen, verbessert sich – so die Hoffnung – die Situation vor Ort für die Menschen.

Das klingt ja nach einem Wunderwerk.

Der »Politico« (Magazin, Anm.) hat das im Newsletter kürzlich »revolutionär« genannt.

Wie viel hängt davon ab, ob es gelingt, dass die Europäische Union damit international Standards setzt?

Quasi parallel läuft seit Jahren auch schon der Prozess für ein Abkommen der Vereinten Nationen, das die angesprochenen Pflichten von multinationalen Konzernen auf eine globale rechtliche Ebene heben soll. Weil natürlich war die nationale Gesetzgebung nur ein erster Schritt, in den Ländern Frankreich und Deutschland, wo jetzt schon Lieferkettengesetze existieren – und ein nächster Schritt, dass

United Nations Global Compact (UNGC) zehn Prinzipien für die soziale und ökologische Gestaltung der Globalisierung in den Bereichen Arbeitsnormen, Menschenrechte, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung. globalcompact.de globalcompact.at wir das jetzt als EU machen, aber es ist auch ein globales Gesetz notwendig. Damit transnationale Konzerne nicht nur, wenn sie in der EU tätig sind, für ihre Wertschöpfungsketten haften. Diese Verhandlungen für ein solches Abkommen stocken aber – unter anderem deshalb, weil die EU in Verhandlungen immer sagt, sie hat noch kein Verhandlungsmandat und es fehlt ein EU-Lieferketten Gesetz. Also: Erst wenn die EU an Lieferkettengesetz hat, können die Verhandlungen hoffentlich wieder Schwung aufnehmen.

Ihre Hoffnungen sind groß, dass dieses europäische Gesetz vor allem bestehendem internationalem Recht sowohl in Europa, als auch darüber hinaus, auf neue Weise zur Geltung verhilft?

Es geht genau darum. Dieses Lieferkettengesetz ist deshalb so revolutionär, weil es eben diese zivilrechtliche Haftung beinhaltet. Das ist das, was es grundlegend unterscheidet von dem, was es bisher schon gibt an freiwilligen Initiativen, im Klimabereich, im Menschenrechtsbereich (etwa den UN Global Compact) oder den OECD-Leitsätzen, die auch schon darlegen, wie Unternehmen Sorgfaltspflichten wahrnehmen und Sorgfaltsprüfungen durchführen können.

Es gibt in sehr vielen Ländern, auch im globalen Süden, beispielsweise theoretisch gute Bergbaugesetze für den Wasserschutz beim Rohstoffabbau. Aber die Unternehmen, hier sind es transnationale Konzerne, können sich bisher sehr aus der Verantwortung stehlen. Und das EU-Lieferkettengesetz bietet zukünftig genau den Hebel, den es braucht, damit bei Verstößen auch Konsequenzen drohen.