BIORAMA 84 – Deutschlandausgabe

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SCHAU, DASS DU RAUSKOMMST!

Draußen ist es wie für dich gemacht.

Mind the Pig: Vorbereitung auf eine Begegnung mit einem wild gebliebenen Schwein. —

Rebootcamp: Die Coworkingcommunity kommt jetzt auf den Campingplätzen an. —

Mixed Reality: Alles, was du für einen Longdrink mit nachhaltiger Wirkung brauchst. —

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AUSGABE 84 — APRIL / MAI 2023. WWW.BIORAMA.EU — DEUTSCHLANDAUSGABE P.B.B. — 11Z038861 M — 1060 WIEN KOSTENLOS — ABER ABONNIERBAR
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SEEHÄUSER DOBRA

NACHHALTIG ABSCHALTEN.

Wenn der Blick über die stillen Weiten des Stausees schweift und die immergrünen Waldviertler Wälder nach Freiheit riechen, dann kommt man an. In den Seehäusern Dobra. Und vor allem bei sich selbst.

Die neun stylish-natürlichen Seehäuser für vier bis sechs Personen sind ca. 50 m 2 groß und mit kleiner Küche, zwei Schlafzimmern, Terrasse und Grillplatz ausgestattet. Ihre idyllische Lage inmitten der biologischen Forst- und Seenlandschaft lädt zum Entdecken, Angeln und Faulenzen ein.

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Die dargestellte Collage ist eine künstlerische Interpretation der Seehäuser.

WAS LIEGT IN UNSERER NATUR?

Stimmungsaufhellend, stressreduzierend, angstlösend, konzentrationsfördernd kann Zeit in der Natur wirken. Alle möglichen Benefits, die nicht allein durch die Bewegung des Körpers erklärt werden, die es haben kann, sich in der Natur aufzuhalten, werden laufend robuster wissenschaftlich untermauert. Schon allein der Wahrnehmung der Farbe Grün konnten heilungsfördernde und blutdrucksenkende Wirkung und eine Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit nachgewiesen werden.

Ja, wir sollten … uns täglich an der frischen Luft bewegen, Zeit in der Natur einplanen, regelmäßig rauskommen und auch dadurch öfter gar nicht erst runterkommen müssen. Manche schieben es lästig vor sich her wie eine Pflicht, andere können es nach wenigen Stunden indoor schon kaum erwarten, wieder auszureißen. Sogar »Angst vor Langeweile in der Natur« kennt ein Onlineratgeber, der Menschen zu einem selbstbestimmteren Umgang und konkret zu einem Weg nach draußen verhelfen will. Doch fast alle tragen wir gehörig dazu bei, dass die Möglichkeit schwindet, uns in einer Natur aufzuhalten, die unsere Gesundheit fördert und nicht zerstört.

Natur beschreibt landläufig alles, was wir Menschen nicht »gemacht« und nicht oder zumindest scheinbar wenig verändert haben. Der Schein kann trügerisch sein – denn wir finden laufend Neues darüber heraus, wie stark wir in die Natur bereits eingegriffen haben und eingreifen. Plastikpartikel im Trinkwasser, durch Überdüngung kippende Gewässer, Pestizidabdrift von Äckern auf umliegenden biologisch bewirtschaftete Landwirtschaftsflächen sind bekannte Phänomene. Dass Wind und Wetter Pestizide aber etwa vom Einsatz auf Südtiroler Apfelplantagen kilometerweit bis auf die Spielplätze tragen, war lange nicht bekannt – es hatte bis vor Kurzem niemand beforscht. Mut zur Vorsicht beim Hantieren mit nachweislich giftigen Stoffen wäre natürlich. Wer sich raustraut, wird mutiger.

Gute Lektüre!

IMPRESSUM

HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTEURIN Irina Zelewitz AUTORINNEN Dirk Engelhardt, Gunnar Landsgesell, Martin Mühl, Ursel Nendzig, Katharina Pichler, Jürgen Schmücking, Thomas Weber GESTALTUNG Flö Rastbichler LEKTORAT Barbara Ottawa COVERBILD istock.com/luza studios ANZEIGENVERKAUF Herwig Bauer, Tanja Grossauer-Ristl, Thomas Weber DRUCK Walstead NP Druck GmbH, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Biorama GmbH, Windmühlgasse 9/14, 1060 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Martin Mühl

KONTAKT Biorama GmbH, Windmühlgasse 9/14, 1060 Wien; www.biorama.eu, redaktion@biorama.eu BANKVERBINDUNG Biorama GmbH, Bank Austria, IBAN AT44 12000 10005177968, BIC BKAUATWW ABONNEMENT biorama.eu/abo ERSCHEINUNGSWEISE BIORAMA 6 Ausgaben pro Jahr ERSCHEINUNGSORT Wien.

BLATTLINIE BIORAMA ist ein unabhängiges, kritisches Magazin, das sich einem nachhaltigen Lebensstil verschreibt. Die Reportagen, Interviews, Essays und Kolumnen sind in Deutschland, Österreich und der ganzen Welt angesiedelt. Sie zeigen Möglichkeiten für ein Leben mit Qualität für den Menschen und den Planeten Erde. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. BIORAMA erscheint sechs Mal im Jahr. Zusätzlich erscheinen wechselnde BIORAMA-Line-Extentions.

BILD BIORAMA/MICHAEL MICKL
BIORAMA 84 EDITORIAL, IMPRESSUM

84 INHALT

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PRAKTISCHERWIESE

Englischer Rasen ist nicht nur unökologisch, sondern auch empfindlich mühsam zu pflegen.

Wie sieht die ideale Wiese aus, zum Beispiel zum Spielen?

16 Anleitung zum Draußensein Eine Rausführung.

21 Respekt und Abstand Wildschweine begegnen uns beim Wandern, dringen aber auch in Großstädte vor. Was tun bei Begegnungen?

24 Cowork-Camp Campingplätze, die digitales Arbeiten ermöglichen.

31 Marathongehen Wandern bis zum Umfallen. Route und Realität einer Tagesetappe durch die Normandie.

35 Ohne Schaum vorm Mund Mit seinen Zahnputztabletten möchte Unternehmer Axel Kaiser unsere Alltagsroutinen ändern.

42 Uni

In Japan weiß man die köstlichen Stacheln als Delikatesse zu schätzen.

49 Die Alge und der Igel Eine Geschäftsidee zur Rettung der Tangwälder.

51 Algenverkostung Der Acker im Meer.

54 Mixbuchempfehlung

Longdrinkrezepte für alle Gelegenheiten.

61 Rezensionen

MARKTPLATZ

40 Marktplatz Kosmetik

58 Marktplatz Drinks

KOLUMNEN

64 Aus dem Verlag

66 Elternalltag

Editorial
Bild der Ausgabe
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Street Talk
Global Village
Betreten erbeten!
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BILDER ISTOCK.COM/JEJA/ANDREW STOWE, NIVA, STEFAN MAYER/BRANDSTÄTTER VERLAG, WORTBILDBIO 4 BIORAMA 84 AUFTAKT

COWORKATION CAMPS

Ruhe in Gesellschaft – Die New-Work-Community zieht es gemeinsam ins Grüne.

STACHELFISCHER

Nicht mehr nur in Japan heiß begehrt: Uni in vielen Formen und Farben.

TAUCHSTATION

Auf dem Meeresacker geht das Rennen zwischen Alge und Igel in die nächste Runde.

MOCKTAIL REZEPTE

Moderater Konsum dieser Getränke kann sich positiv auf deine Gesundheit auswirken.

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UNTERWANDERTE NATUR

Eine nepalesische Mülldeponie, zu der LWK-Kolonnen von Raupenfahrzeugen verschlammte Bergstraßen hinaufgeschoben werden, nur um den geladenen Müll auf eine Deponie ohne Fundament zu kippen. Ob sie irgendwann von außen dem Hügel links im Bild ähneln wird, wenn die Deponie mit Erde zugeschüttet wird und dann unsichtbar die Umgebung vergiftet?

Nikolaus Geyrhalter dokumentiert Facetten internationaler Sisyphosarbeit – und macht durch Schauplatzwechsel deutlich, wie sich die Aufbereitung und der Umgang mit Müll mancherorts inzwischen gewandelt hat, während er woanders nach wie vor einfach nur aus den Augen geschafft wird.

Dass etwa der im steigenden Meeresspiegel untergehende Inselstaat Malediven seinen, wie den angeschwemmten Müll von den weißen

BILD: NIKOLAUS GEYRHALTER FILM
6 BIORAMA 84 BILD DER AUSGABE

Traumständen sammelt und mit viel Aufwand auf einer seiner Inseln deponiert, ist so logisch wie absurdes Sinnbild der Kurzsichtigkeit, mit der vor allem in den vergangenen 100 Jahre Konsumgüter produziert und in die Umwelt displaced wurden.

Der Film verdeutlicht das Ausmaß eines grundsätzlich bekannten Problems, liefert kaum Erklärungen oder gar Antworten, macht aber glasklar: So lange sich an der Verschmutzung nicht grundlegend etwas ändert, haben alle, die hier oder anderswo Müll aus der Landschaft entfernen, ohnehin keine echte Chance.

Eindrucksvolle Bilder, die nicht zuletzt durch die Dauer der Einstellungen weh tun (sollen), wie man es vom Regisseur nicht anders gewohnt ist. »Matter out of Place« von Nikolaus Geyrhalter ist jetzt im Kino. geyrhalterfilm.com

IRINA ZELEWITZ
BILD NGF 7
»MATTER OUT OF PLACE« (Österreich 2022, 106 Min.) von Nikolaus Geyrhalter.

WOHIN GEHST DU, WENN DU RAUS WILLST?

EVA

65, Pensionistin

Ich lebe in Baden, Niederösterreich. Wenn’s schön und warm ist, steig’ ich in den Zug und geh’ wandern. Wenn es nicht sonnig ist, habe ich weniger Lust auf die Natur. Und: Ich gehe lieber raus, wenn außer mir nicht so viele andere Leute unterwegs sind.

HEIDI

37, Angestellte

Draußen bedeutet für mich Wald und Wiese und Natur. Ich schaffe das zu selten, würde es am liebsten alle paar Tage machen, meistens geht’s leider nur am Wochenende.

HUBERT

67, Pensionist

Rausgehen bedeutet für mich in der Stadt herumzugehen. Ich muss nicht unbedingt in die Natur – bin ein leidenschaftlicher Stadtbewohner. Heute bin ich gerade auf dem Weg zu einem Freund, der in einem anderen Bezirk wohnt, da gehe ich auch zu Fuß.

FARIBA

58, Buchhalterin

Ich wohne im 22. Wiener Gemeindebezirk und bin in der Natur, sobald ich vor die Türe gehe. Für mich gehört auch Wasser zum Draußen. Wenn ich Lust darauf habe, fahre ich zur Alten Donau.

INTERVIEW IRINA ZELEWITZ BILD FLÖ RASTBICHLER STREET TALK WIR FRAGEN, 6 LUFTIGE ANTWORTEN. 8 BIORAMA 84 STREET TALK

PETRA

52, Lehrerin

Ich bin vom Land. Wenn ich raus will, geh’ ich in den Garten und bearbeite den ein bisschen. Drei Mal in der Woche gehe ich in den Wald zum Walken, das ist besonders schön in meiner Umgebung Neulengbach, weil dort ein Renaturierungsprojekt durchgeführt wurde.

SIMON

59, Tutor (engl.)

Ich lebe in Großbritannien am Land, also gehe ich einfach vor die Tür. Eine hügelige Landschaft wäre mir noch lieber, aber wo ich lebe, ist es flach. Der Vorteil daran ist, ich kann dort wunderbar Radfahren. Wenn ich in London bin, steige ich aus dem Zug und gehe von dort überallhin zu Fuß.

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RECYCLING: WENIGER STÖRSTOFFE FÜRS FEUER

»Als wir vom sich-selbst-trennenden Karton-Kunststoff-Becher gehört haben, waren wir gleich Feuer und Flamme«, sagt Josef Braunshofer, Geschäftsführer von Berglandmilch. Dabei ist es genau das, was die Entwicklung vermeiden soll: dass mit Karton ummantelte Kunststoffbecher, die nach dem Löffeln von Joghurt ungetrennt im Kunststoffmüll landen, gemeinsam verbrannt werden müssen. Zwar gelten dünnwandige, von Karton umwickelte Plastikbecher als besonders nachhaltige Verpackungsform – weil sich Karton und unbedruckter Kunststoff gut recyclen lassen. Zumindest in Österreich funktioniert das aber nur, wenn beide Verpackungsteile getrennt von einander gesammelt werden. Gemeinsam in der gelben Tonne oder im gelben Sack vereint, mustert sie die Sortieranlage als Störstoff zum Verbrennen aus. In Deutschland ermöglichen es anders organisierte Recyclingströme, beide Bestandteile auch zu trennen, wenn sie gemeinsam im Plastikmüll landen. Der neue K3-r100-Becher vom Kunststoffhersteller Greiner Packaging – für den die österreichische Molkerei als erste Feuer und Flamme war – löst das Problem dadurch, dass sich die Karton-Kunststoff-Kombination (K3) im Sammelprozess selbst trennt. Bald würden Becher als selbsttrennend ausgewiesen, meint Charlotte Enzelsberger von Greiner Packaging. Um Verwechslungen zu vermeiden, empfiehlt sie trotzdem, »im Idealfall den Kartonwickel vom Kunststoffbecher zu trennen«. THOMAS WEBER

BILD GREINER PACKAGING
BIORAMA 84 GLOBAL VILLAGE
Wie ein selbsttrennender Joghurtbecher die Recyclingquote bei Kunststoff und Kartonage erhöhen soll. ideegrafik.de
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LOGISTIK:

MIT GITTERTÜR UND KLETTVERSCHLUSS

Wie der Handel versucht, beim Transport von Ware in Rollcontainern Wickelplastik zu vermeiden.

Wird Ware von A nach B transportiert, passiert das meist mit dem Lkw. Das ist bei Bananen, die im Bioladen landen, nicht anders als bei für den Discounter gedachten Avocados. Verladen wird beides in wendigen Rollcontainern, gemeinhin Rolli genannt. Um die Ware darauf zu schützen, kommt Plastik zum Einsatz – in Form von Wickelfolie. Selbst beim Transport von Ware, die im Laden lose verkauft wird, fällt unterwegs also Einwegmüll an. Einige Unternehmen versuchen, das zu ändern. Der süddeutsche Großhändler Ökoring beispielsweise experimentiert seit 2017 mit mehrteiligen Planen mit Klettverschluss als Alternative und konnte durch den Einsatz engmaschiger Rollis den Folienverbrauch um 45 Prozent reduzieren. Ganz vermeiden kann Ökoring Wickelfolie bislang nicht, bietet ihr Einsatz doch viele Vorteile: Sie ist durchsichtig, dehnbar, schützt hygienisch, hält die Temperatur, stabilisiert die Ware und ist sortenrein gut recyclebar. Dennoch experimentiert Ökoring nun auch mit nachträglich an den Rollis verschraubten Gittertüren. »Sie würden unseren Folienverbauch um 90 Prozent reduzieren«, sagt Sprecherin Anna Prade. Auf der jährlich in Nürnberg stattfindenden Branchenmesse »Biofach« präsentierte auch das Allgäuer Unternehmen Rollicoat eine Problemlösung: Mehrwegmäntel mit Klettverschluss. Laut Hersteller lassen sich damit pro Transport und Rolli 10 Meter Folie einsparen.

Es geht auch anders!

Landwirtschaft und Naturerlebnis: ein Widerspruch?

Wenn die Felder endlich wieder frei von Pestiziden und dem ganzen Chemieschas sind, dann dienen uns die Wege, die an ihnen vorbeiführen, auch wieder als Naturerlebnis und Erholungsgebiet. Dann summt und brummt es wieder und das Leben kehrt zurück in die Wiesen und Felder und in den »Roa« – also den schmalen Grenzstreifen zum Nachbarn, entlang der Felder. Ein Mehr an Leben bei den Nützlingen, bringt auch ein Mehr an Vielfalt in der Pflanzenwelt. Es ist nun mal alles ein Kreislauf und den sollten wir fördern und wertschätzen. Auch im Kleinen –zum Beispiel zu Hause, in unseren Gärten: Lassts das Chemie-Klumpert auch dort weg, probierts stattdessen selbst gemachte Kräuterdünger!

Schließlich liegt es an uns, das Erlebnis Natur für die nächsten Generationen zu erhalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass die biologische Landwirtschaft eine wichtige Grundlage für dieses Ziel ist. Meine Vision sind 100 Prozent Bio-Anbau in Österreich. Das ist schaffbar! Warum ich mir so sicher bin? Komm, begleite mich auf meiner Suche nach der Nachhaltigkeit.

QR-Code scannen und Video starten!

www.sonnentor.com/esgehtauchanders

BILD NINA RÜHR
THOMAS WEBER
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG VON SONNENTOR
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Johannes Gutmann, SONNENTOR Gründer

BETRETEN ERBETEN

Eintönig grüne Rasenwüsten sind schlecht, das hat sich herumgesprochen. Doch wie sieht die ideale Wiese aus, zum Beispiel zum Spielen?

Eine Wiese wie aus dem Bilderbuch: üppig blühende Wildblumen, Schmetterlinge, Hummeln und Wildbienen. Das haben viele vor Augen, wenn sie an eine Alternative zum artenarmen, tiefgrün gedüngten

und kurz getrimmten Rasen denken. Mit dem Wunsch, darauf auch Federball zu spielen, barfuß im Gras zu liegen oder den Kleinen eine Spielwiese zu bieten, lässt sich dieses Idyll aber leider nicht vereinen; zumindest nicht flächen-

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deckend. Denn eine Wildblumenwiese ist zwar wunderschön und aus Sicht der Biodiversität auch optimal. Doch unpraktischerweise ist sie nicht trittfest.

TRITTFEST UND NATÜRLICH: DER BLUMENKRÄUTERRASEN

Es gibt allerdings Kompromisse: schön anzusehen, artenreich und problemlos zu betreten. Am praktikabelsten ist das Anlegen eines Blumenkräuterrasens. »Der entspricht traditionellen alten Parkrasenflächen«, erklärt Maria Stark, Naturgartenplanerin und Landschaftsökologin aus dem Allgäu. Theoretisch würde sich dieser im Lauf der Jahre irgendwann von selbst einstellen. Im Garten lässt sich mit der richtigen Saatgutmischung allerdings nachhelfen, ohne jahrelang auf den Anflug der Samen warten zu müssen. »Wichtig ist es, bei der Saatgutmischung darauf zu achten, dass ausschließlich regionale, heimische Arten enthalten sind«, sagt die Naturgartenplanerin. Das sind in weiten Teilen Mitteleuropas neben Gräsern und Gänseblümchen beispielsweise Duftveilchen, die gemeine Braunelle, gelb blühender Hornklee oder der besondere Herbstlöwenzahn. Diese Arten bieten Insekten Pollen und Nektar. Maria Stark rät, darauf zu achten, »niemals im Baumarkt oder konventionellen Gärtnereien auf die bunten Samentütchen oder Gebrauchsrasenmischungen reinzufallen«. Denn wer wirklich gebietsheimische Wildblumen, Gräser und Kräuter aussäen möchte (die für spezialisierte, teils stark bedrohte Insekten von besonderer Bedeutung sind), kauft Saatgut, dessen Herkunft auch regional ausgewiesen ist. Nur dann passt es wirklich in den Naturraum, in dem es sich auch zu bewähren hat. »Im trockenen Weinviertel braucht man eine andere Mischung als im Voralpenland oder im Allgäu«, sagt Maria Stark. Sie weiß: »In Billigsaatgutmischungen aus dem Baumarkt sind meist auch filzbildende Samen des Zuchtgrases Festuca rubra rubra enthalten. Es sorgt dafür, dass es keine kahlen Stellen gibt, stirbt aber in trockenen Phasen ab, vermoost darunter und ist hässlich anzusehen. Aus Sicht der Baumärkte ist das durchaus sinnvoll, weil die Leute dann Kunstdünger und Vertikutierer

WIE WIRD SAATGUT VON

WILDPFLANZEN GESAMMELT?

Wer das Saatgut wilder Pflanzen sammeln möchte, braucht dafür eine Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde (auf Landkreis-Ebene). Dafür muss angemeldet werden, was wo gesammelt werden soll. Manche Behörden erteilen Genehmigungen für ein oder drei Jahre, manche für einzelne Arten. Die natürliche Fortpflanzungsfähigkeit eines Bestands muss gewährleistet bleiben. Für das Saatgut der Rieger-Hofmann GmbH sammelt ein deutschlandweites Netzwerk an Partnerbetrieben. Die Vermehrung des gesammelten Saatguts erfolgt ungebeizt – teilweise auf Biobetrieben und teilweise konventionell. Unbehandeltes Saatgutgut darf auch im Biolandbau verwendet werden.

kaufen. Möchte man das Zuchtgras wieder loswerden, gelingt das nur durch einen vollständigen Bodenaustausch.«

Die Witterung am Standort entscheidet darüber, wie häufig ein Blumenkräuterrasen gemäht werden muss. In feuchten Senken im Allgäu oder in alpinen Höhenlagen mit viel Tau kann das bis zu zehn Mal im Jahr sein, in trockenen Gegenden reicht fünf bis sechs Mal.

HART, ABER BESPIELBAR: DER BLUMENSCHOTTERRASEN Auch der sogenannte Blumenschotterrasen ist gut bespielbar. Dafür werden auf Schotter Wildblumen mit einem deutlich geringeren Gräseranteil ausgesät. »Blumenschotterrasen blüht ganz intensiv, ist noch etwas trittfester und sogar für Parkplätze nutzbar«, sagt Maria Stark. »Wo er am meisten befahren wird, gibt es kaum Bewuchs, der Rest ist intensiv bewachsen und blüht bunt, teilweise mit einem Blumenanteil von bis zu 100 Prozent.« Der Nachteil: »Wenn ein Kind auf Schotter stürzt, ist das natürlich etwas unangenehmer als bei normalem Rasen. Manchen ist der Blumenschotterrasen im Garten als Untergrund deshalb zu hart. Aber zum Boccia-Spielen beispielsweise ist er sehr gut geeignet.«

Durch beide Wiesentypen lässt sich der Wasserverbrauch im Garten wesentlich reduzieren. Egal ob man sich für einen Blumenkräuterrasen, einen Blumenschotterrasen oder auch ein-

Wildsaatgut

Saatgutmischungen heimischer Wildpflanzen, speziell auch für Blumenkräuterund Blumenschotterrasen bieten ausgewählte Gärtnereien an. Die folgenden sind biozertifiziert:

Deutschland syringa-pflanzen.de rieger-hofmann.de hof-berggarten.de gaertnerei-strickler.de Österreich wildeblumen.at Schweiz ufarevue.ch

BILD MARIA STARK
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REWISA-NETZWERK

Regionale Wildpflanzen Samen bezeichnet ein österreichisches Herkunftszertifikat für Regionalität von Pflanzen und Samen. Es ist staatlich kontrolliert und garantiert, dass diese bis zu einer ökologisch wertvollen Herkunftsfläche zurückverfolgt werden können. Es möchte Biodiversität durch regional angepasste Arten erhalten und fördern. Dafür wurde Österreich in zehn naturräumliche, »biogeografische« Regionen eingeteilt.

Umfasst 20 Gärtnereien und Baumschulen, nicht alle biozertifiziert.

rewisa-netzwerk.at

Artenreiche Wiesen sind schön anzusehen und bieten Insekten Pollen und Nektar. Hier nascht ein Bläuling am Hornklee eines Blumenkräuterrasens.

fach dafür entscheidet, den bislang monotonen Stoppelrasen langsam der Natur zu überlassen. »Auf üppigen, bislang überdüngten Böden empfiehlt es sich, den Boden abzumagern. Dazu wird einfach Quarzsand eingearbeitet«, sagt Luzia Marchsteiner vom Kompetenzzentrum »Natur im Garten« des Landes Niederösterreich. Auch sie empfiehlt, auf die Beschaffenheit des Saatguts und dessen regionale Herkunft zu achten – und deshalb bei Betrieben zu kaufen, die in der jeweiligen Region behutsam Wildpflanzen sammeln und vermehren. »Denn auch bei Wildpflanzen zählt nicht nur die Vielfalt der Arten, sondern auch die Vielfalt des genetischen Pools innerhalb einer Art.« In Österreich empfiehlt sie »Natur im Garten«-Betriebe, die mit unter dem staatlich kontrollierten Rewisa-Zertifikat für naturnahes Gärtnern arbeiten – darunter finden sich einige, die auch biozertifiziert arbeiten. So auch unter den Partnerbetrieben des Unternehmens Rieger-Hofmann aus Baden-Württemberg, das sich in Deutschland als Drehscheibe für die Vermittlung und Vermehrung »gebietseigener Wildpflanzen« etabliert hat. Es hat 90 Partnerbetriebe in ganz Deutschland – darunter jenen von Naturgartenplanerin Maria Stark –, die auf 2200 Vermehrungsflächen und 900 Hektar dafür sorgen, dass es für jede Region des Landes geeignetes Saatgut und heimische Pflanzen gibt.

RICHTIG MÄHEN

Aus den Beratungsgesprächen am Gartentelefon von »Natur im Garten« weiß Luzia Marchsteiner, dass sich die Anforderungen an eine Wiese oft im Lauf der Jahre ändert. Meist hat das damit zu tun, ob es im Haus kleine Kinder gibt. Ist ein Garten groß genug oder auch einfach nur gut strukturiert, ist Vielfalt auch punkto Rasentypen möglich: »Dann kann ein Teil als Kräuterrasen häufiger gemäht werden und zwischendurch bleiben höhere Wieseninseln mit Wildblumen stehen.« Dabei gilt: Mindestens zwei Mal im Jahr muss jede Wiese gemäht werden, einmal im späten Frühjahr und einmal im Herbst.

BILD LUZIA MARCHSTEINER
14 BIORAMA 84 WIESE
#PLASTICISFANTASTIC Ich zeige
warum! @philipp_lehner Folge mir auf ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG VON ALPLA
dir

ANLEITUNG ZUM DRAUSSENSEIN

Eine Rausführung.

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Wer zum ersten Mal oder zum ersten Mal seit Langem Zeit in der Natur verbringen will – so richtig, nicht nur für einen Spaziergang – will vorbereitet sein. Fürchten würden sich bestimmt die meisten von uns nicht, allerhöchstens gruseln, und vielleicht ein bisschen nervös werden oder langweilen ganz allein mit den eigenen Gedanken und der Natur und sich durch Fehleinschätzung des Wetters einen Schnupfen holen oder so.

Aber je weiter und länger man sich rauswagt in Wildnis, Stille und nachts auch Dunkelheit und insofern auch auf das meiste Gepäck verzichtet, desto praxisrelevan -

ter werden Markus Torgebys Gedanken und Hinweise. Der beruhigende Effekt von Kälte auf seinen durch einen Lausbubenstreich rasenden Puls hat ihn als Kind dazu gebracht, bei offenem Fenster zu schlafen. Und das war der erste Schritt nach Draußen. Mehrere Monate lang hat er wiederholt in den Wäldern Schwedens verbracht, im Buch werden seine Tipps zum »Leben in der Natur« von seiner Frau Frida fotografisch illustriert. Das Buch »Unter freiem Himmel« kann als kleiner Schubser nach draußen, aber auch als Anleitung dienen. Zweckdienlich für unterschiedliche Verwilderungsprojekte sind jedenfalls trockene Füße:

BILD HEYNE HARDCORE, ISTOCK.COM/SOLOVYOVA
Irina Zelewitz
16 BIORAMA 84 RAUSGEHEN

»Im Freien

von Bäumen, Dunkelheit und angenehmer Kälte. Dabei hoch zu den Sternen blicken und sehen, wie sich die Atemluft wie eine feine Wolke vor den Augen kräuselt. Vielleicht verpassen wir ja etwas, wenn wir immer nur in temperierten Räumen mit vier Wänden und einer Decke liegen.«

dagegen unternimmst, werden deine Socken, Klamotten und Schuhe früher oder später nass.

Passiert dies im wärmeren Teil des Jahres, mag es sich nur ein wenig unangenehm anfühlen, im Winter aber kann nasse Kleidung den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Es mag dramatisch klingen, aber denke daran: Bei hundert Grad heißer Luft kannst du problemlos saunieren. Wenn du in ebenso heißes Wasser eintauchst, stirbst du. Da Wasser genauso gut kühlt, wird es umso wichtiger, trocken zu bleiben, je kälter es ist.

Es gibt verschiedene Techniken, um deine Sachen zu trocknen, wenn du draußen lebst. Ich habe die meisten ausprobiert und hier folgt, zu welchen Ergebnissen ich gekommen bin.

Anleitung aus:

»UNTER FREIEM HIMMEL – Eine Anleitung für ein Leben in der Natur« Markus Torgeby, Heyne Hardcore, 2021.

KLEIDER TROCKNEN

Wenn du draußen im Wald oder einfach im Freien bist –und es ist nicht Sommer und klares Wetter –, wird alles feucht, was du an deinem Körper hast. Wenn du nichts

In erster Linie: Es gibt einen Unterschied zwischen feucht und nass. Werde niemals nass, zumindest nicht unnötig.

Denk mit. Egal, ob du wanderst, Ski fährst oder Holz hackst – du erzeugst Feuchtigkeit. Aber im Gegensatz zu Regen, Schnee und Nebel kannst du die Feuchtigkeit regulieren, die von innen kommt. Wenn es kalt ist und du aktiv sein willst, trage so wenig Kleidung am Körper wie möglich.

Wenn ich auf Skiern mit meinem Transportschlitten unterwegs bin und es windstill ist, ziehe ich normalerweise nur zwei dünne Wollpullover sowie eine Mütze und Fäustlinge an.

Wenn der Wind weht, ziehe ich einen der beiden Wollpullover aus und schlüpfe stattdessen in eine Baumwoll-

schlafen, umgeben
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Gegrillt – Kleidung über dem Feuer trocknen

Der Cowboy-Stil ist eine schlechte Lösung fürs Trocknen. Lieber die Socken über die Hände streifen und sich ans Feuer setzen. Dann werden sie sowohl von innen als auch von außen gewärmt – und verbrennen nicht.

jacke. Wenn mir zu kalt wird, ziehe ich mir noch etwas an, fange ich an zu schwitzen, nehme ich die Mütze ab – ich reguliere ständig meine Körpertemperatur, indem ich die Kleidung an den Grad der Anstrengung anpasse. Unter einem Rucksack wird der Rücken immer ein wenig nass, und wenn ich stehen bleibe, um eine Pause zu machen, schwitze ich noch eine Weile weiter. Dann ziehe ich sofort den Pullover oder die Jacke aus und stelle mich mit bloßem Oberkörper hin, bis der Schweiß verdunstet ist. Bevor ich mich wieder anziehe, schüttle ich die Kla-

motten aus, um die verbliebene Feuchtigkeit zu entfernen und mich so trocken wie möglich zu halten. Wenn es regnet, genügt mir eine lange Regenjacke. Wenn du den gesamten Körper in wasserdichte Kleidung einwickelst, wird dir schnell zu warm, und dann wirst du von innen nass. Bei einer Regenjacke, die bis über die Knie reicht, kann Luft darunter gelangen, und so kann die Feuchtigkeit entweichen.

Wenn ich unterwegs bin – egal, zu welcher Jahreszeit –, habe ich immer eine wasserdichte Tüte mit trockener Wechselkleidung im Rucksack: Unterwäsche, einen dicken Pullover und ein Paar Socken. Diese Tüte ist heilig und darf nicht geöffnet werden, bevor das Zelt oder der Windschutz aufgestellt sind. Erst wenn ich weiß, dass ich vor Niederschlägen geschützt bin und keinen Schweiß mehr produzieren werde, ziehe ich meine trockene Kleidung an. Dann ist es auch Zeit, die nassen Sachen zu trocknen. Socken zu trocknen ist ganz einfach – und macht Spaß. Ziehe sie über deine Hände und halte sie an den Spirituskocher oder an das Feuer, wenn du dein Essen zubereitest – so spürst du, wenn du sie zu stark erhitzt, und machst die Socken nicht kaputt. Das ist schnell passiert, wenn du sie über einen Ast ziehst oder über dem Feuer an einer Schnur aufhängst.

Meine Lieblingsmethode ist es, eine hitzebeständige Wasserflasche zu verwenden, die ich mit kochendem Wasser fülle. Dann stülpe ich die nassen Socken darüber. Je kälter es ist, desto schneller trocknen sie, es dauert maximal fünf Minuten. Wenn die Socken trocken sind, mache ich Tee mit dem Wasser oder nutze die Flasche, um mir im Schlafsack die Füße zu wärmen.

Die restliche Kleidung braucht länger zum Trocknen. Der beste Weg ist, ein Feuer anzuzünden und sich mit der nassen Kleidung am Körper nahe an die Flammen zu setzen. Die Wärme des Feuers und des Körpers prallen aufeinander, und die Feuchtigkeit verschwindet, man spürt auch, wenn es zu heiß wird. Wenn du deine Kleidung jedoch an einer Leine in der Nähe des Feuers aufhängst, musst du ständig wachsam sein, damit sie nicht beschädigt wird.

Am nächsten Morgen steckst du deine Wechselsachen wieder in den Rucksack. Es spielt keine Rolle, ob du es geschafft hast, die anderen Sachen vollständig trocken zu kriegen – du musst sie trotzdem anziehen. Die heilige Tüte ist deine Absicherung: Was auch immer passiert, du wirst trockene Kleidung haben, wenn der Abend kommt. Vorausschauend denken – das ist, unabhängig von der Jahreszeit, das Grundrezept.

BILD FRIDA TORGEBY
18 BIORAMA 84 RAUSGEHEN

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RESPEKT UND ABSTAND

Wildschweine begegnen uns beim Wandern, dringen aber auch in Großstädte vor.

Was tun, wenn einem ein Muttertier mit Frischlingen begegnet?

Wie das Wildschwein zu seinem Ruf kam, besonders gefährlich zu sein, ist Anneli Noack immer noch ein Rätsel. Eine Erklärung dafür hat die Forstingenieurin trotzdem: »Es ist ein beeindruckendes Muskelpaket.« Noack ist Betriebsleiterin des »Wildwald Vosswinkel«, dem frei zugänglichen Teil eines historischen Jagdgatters im Sauerland. Dort lebt eine Vielzahl von Wildtieren, doch das Schwarzwild – wie die Wildbiologie die wilden Vorfahren der Hausschweine nennt – hält sie für »die faszinierendste, intelligenteste Art, die wir in Europa überhaupt haben«. Und Anneli Noack weiß wie wenige sonst, wovon sie spricht: 2011 zog sie drei verwaiste Frischlin-

ge auf, wilderte die Tiere später aus und begleitete sie sechs Jahre hautnah als Teil einer zwanzig Sauen zählenden Rotte. »Von sich aus sind Wildschweine überhaupt nicht angriffslustig und wenn sie wo gelernt haben, dass vom Menschen keine Gefahr ausgeht, dann flüchten sie auch nicht«, sagt Noack. Vorsicht ist trotzdem angebracht. Denn als Profiteur des Klimawandels mit seinen milden Wintern vermehrt sich Schwarzwild stark – und mittlerweile ganzjährig. Und dank einer jährlichen Reproduktionsrate von 330 Prozent dringt es mittlerweile sogar in Vorstädte vor. Gerade wenn die Bachen kleine Frischlinge führen, kennen die Muttertiere keinen Spaß. Sehen sie ihren

TEXT Thomas Weber
BILD DANIELA FETT
21 BIORAMA 84 DRAUSSEN

Buchtipp

Nachwuchs in Gefahr, sind sie überaus wehrhaft. »Egal, wo es uns begegnet: Schwarzwild lassen wir immer Vorfahrt. Auf keinen Fall gehen wir darauf zu oder werfen ihm gar Brot hin.« Am sichersten ist ein Rückzug oder das großräumige Umgehen der Rotte.

»Kommen Frischlinge neugierig auf uns zu, ist auf jeden Fall ein Rückzug angesagt, sonst geht die Bache dazwischen«, rät Noack. Das schlimmste Fehlverhalten ist es, ein Jungtier hochzuheben: »Das ist komplett wider die Natur eines Frischlings. Er fängt fürchterlich zu quieken an und dieser Angstschrei bringt die Mutter auf den Plan. Dann wird es wirklich gefährlich.« Ein Angriff sehe immer gleich aus: »Erst überrennt einen die Bache mit ihren 70, 80 Kilo Körpergewicht, dann dreht sie sich blitzschnell um und rammt einem ihre spitzen Zähne in die Schenkel.« Zu gebührendem Respektabstand rät auch Egbert Gleich, Wildbio-

loge und Wildschweinexperte bei der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft: »Distanz ist auch beim Fotografieren oder Filmen geboten. Ein gesundes Tier verfügt zwar über einen natürlichen Feindvermeidungsreflex. Man weiß aber nie, ob es sich nicht vielleicht um ein von einem Verkehrsunfall oder Schuss verletztes Tier handelt, das anders reagiert.«

Beide ExpertInnen raten, besser auf frequentierten Wegen zu bleiben. »Wirklich gefährlich sind Bachen nach der Geburt«, weiß Anneli Noack, »dafür suchen sie sich aber einen ruhigen Ort. Wenn ich unbedarft einem Wildwechsel ins Dickicht hinterhertripple und ein, zwei Meter an ihrem Wurfkessel vorbeikomme, womöglich noch mit Hund, dann nimmt eine Bache, die vielleicht noch Schmerzen von der Geburt hat, keinerlei Rücksicht, zeigt kein Warnverhalten und greift an.«

BILD DANIELA FETT, ULMER VERLAG
Weit verbreitet, aber mit Vorsicht zu beobachten: Wildschweine. Gerade Frischlinge führende Bachen sind nötigenfalls wehrhaft. Unmissverständliche Drohgebärden: aufgestellte Ohren und Schwanz sowie hochgestellte Nackenborsten. »UNTER WILDSCHWEINEN. Meine Jahre als Frischlingsmutter im Schwarzwildrevier«, Ulmer Verlag, 2018.
»Wie auch immer ein Wildschwein reagiert, es ist überlegen. Es mag plump erscheinen, ist aber unglaublich wendig und schnell.«
22 BIORAMA 84 DRAUSSEN
Anneli Noack, Forstingenieurin im Wildwald Vosswinkel

Marchfelder Genusstour: 20. Mai

Marchfelder Betriebe gewähren einen Blick hinter die Kulissen. Betriebsführungen & Verkostungen erwarten dich!

Das Marchfeld – die Korn- & Gemüsekammer Österreichs – beheimatet eine Vielzahl an ProduzentInnen und VeredlerInnen. Neben dem berühmten Marchfelder Spargel hat die Region zwischen den beiden Metropolen Wien und Bratislava teils auch überraschende Produkte zu bieten, wie etwa den Marchfelder Bio-Sanddorn.

ZEHN BETRIEBE LADEN EIN

Eine perfekte Gelegenheit für tiefere Einblicke in die Produktvielfalt des Marchfeldes bietet die Marchfelder Genusstour am 20. Mai. Zehn

ausgewählte Betriebe – ADAMAH Biohof (Glinzendorf), Biohof Harbich (Aderklaa), Biospargel Brandenstein (Schönfeld im Marchfeld), Marchfelder Storchenbräu (Untersiebenbrunn), Bäckerei Müller&Gartner (Groß-Enzersdorf), Biohof Bubenicek Meiberger (Zwerndorf), Bauernspeis Unger (Wagram an der Donau), Biohof Hubicek (Breitensee), Marchfelder Bio-Sanddorn (Engelhartstetten) &

Biohof Hansi (Oberweiden) – bieten von 10 bis 17 Uhr im 2-Stunden-Takt Betriebsführungen oder Workshops an. Den gesamten Tag über sind Verkostungen und der Einkauf der Produkte möglich. Der Großteil der Betriebe hat sich der biologischen Landwirtschaft verschrieben. Im Einklang mit der Natur werden Produkte höchster Qualität erzeugt. Tauche in die alltäglichen Prozesse der Betriebe ein! Erlebe im Rahmen der Marchfelder Genusstour alles rund um die Spargelproduktion, die Schweine- & Rinderhaltung oder die Verarbeitung von frischem Gemüse zu eingelegter Ware.

Details & Informationen: www.weinviertel.at/genusstour

BILD WEINVIERTEL TOURISMUS/WWW.POV.AT, WEINVIERTEL TOURISMUS/MICHAEL LIEBERT ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DES WEINVIERTEL TOURISMUS
Erlebe die tägliche Arbeit der ProduzentInnen im Rahmen der Marchfelder Genusstour hautnah!

COWORKCAMP

Campingplätze, die digitales Arbeiten ermöglichen –ein Konzept für alle Altersgruppen?

In der Alten Schule im Dorf Letschin im Oderbruch, einer abgelegenen Gegend, wurde früher gelernt. Heute stehen auf den Holztischen Macbooks und Kaffeebecher, denn hier tippen digitale ArbeiterInnen fleißig in ihre Tastaturen. Ringsum viel Natur, menschenleere Landschaft und ein breiter Strom, die Oder. Ist es Urlaub, oder Arbeit? Manche nennen es Workation und drücken damit aus, es ist ein bisschen was von beidem. Und damit mutmaßlich womöglich auch keines von beiden. Aber längst nicht nur eingefleischte Digital Nomads und Eltern von Kindern mit wochenlangen Schulferien kommen auf die Idee, kürze Ausflüge oder auch den ganzen Sommerurlaub mit Arbeit verbinden zu wollen. Wer’s ausprobiert hat, weiß: Damit das klappt, braucht es basale Infrastruktur – ganz vorne in der Liste: eine stabile Internetverbindung und einen halbwegs ruhigen Arbeitsplatz.

In den ehemaligen Letschiner Schulhof kann man sein Wohnmobil stellen, auch einen Grillplatz gibt es, die Wurst kann man beim Dorfmetzger nebenan erstehen, der allerdings nicht auf Biofleisch spezialisiert ist. Zum Arbeiten geht man in die Schule. Diese Urlaubs- oder eben Arbeitsform hat sich hier anscheinend noch nicht herumgesprochen, meist ist es in der Alten Schule noch sehr leer. Auch Plattfor-

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24 BIORAMA 84 WORKATION

men wie camp-work.de zeigen noch nicht viele Orte für Workation dieser Art. Einer ist der Stover Strand, ein 5-Sterne-Campingplatz am Ufer der Elbe bei Hamburg. Der Coworking-Bereich ist hier gerade im Aufbau. Im Odenwald River Camp in Neckargerach gibt es auch Tipis zum Übernachten. Man sei mehr als ein Campingplatz, eher ein Basislager für Ausflüge, heisst es auf der Webseite. Auch hier ist der Coworking-Bereich noch im Aufbau.

Laut Bundesverband Coworking Spaces e.V. (BVCS) kam es allein im Jahr 2020 zu einer Vervierfachung der Coworking-Spaces und auch wenn es nicht mehr in diesem Tempo weitergeht, die Alternative zum Office und Home-Office scheint mehr als ein kurzlebiger Trend.

Einen Vorteil, den Coworking fast immer hat: die Netzwerke, die sich an diesen Orten bilden. Sei es beim gemeinsamen Essen, beim Plausch in der Kaffeeküche, oder bei der After-Work-Party, den viele Coworking-Spaces anbieten. Und es sind nicht nur 22-jährige Start-up-GründerInnen, die hier am Laptop sitzen. Auch ein freier Architekt in seinen 50ern oder ein Forstarbeiter kommen bisweilen in die Gemeinschaftsbüros, um in Gesellschaft zu arbeiten. Und wenn man schon die Vorteile der Gemeinschaft sucht, warum dann nicht auch unterwegs und im Urlaub?

LUXUS-CAMPINGURLAUB MIT SAUNA UND ARBEITSPLATZ IN RADDISTANZ

Eine Workation in einem romantischen Tal in Österreich? Das ist möglich im Almtal Camping Pettenbach. Der Campingplatz ist außergewöhnlich gut ausgestattet mit Wellnesswelt mit Saunen, beheiztem Schwimmbad, Wifi. Wer darauf verzichten kann findet ein paar Kilometer weiter, in Viechtwang bei Scharnstein, auf dem direkt an der Bahnstrecke und am Fluss Alm gelegenen, den familiär geführten Campingplatz »Schatzlmühle« mit einen erschlossenen Bereich und einen »wilden«, in dem nur Zelte aufgestellt werden dürfen, keine Camper. Biogastronomie gibt’s auf der anderen Seite der Alm im Biobistro der Grüne-Erde-Welt 10 Kilometer talaufwärts, in Grünau, befindet sich das Coworking Almtal, das gerade frisch

aus der Taufe gehoben wurde. Dort gibt es fixe und flexible Arbeitsplätze auf 150 Quadratmetern, zwei Seminarräume, einen Parkplatz mit E-Ladestation, und Bus und Bahn sind nur 400 Meter entfernt.

Auch Brandenburg hat liebreizende Weiler für Urlaub und Arbeit, zum Beispiel Klein Glien mit weniger als 100 Einwohnern nahe des Kurortes Bad Belzig und seinen Gutshof, der das gar nicht so kleine Workation-Retreat »Coconat« beherbergt. Dazu buchbar ist Verpflegung mit leichtem Jugendherbergscharakter: Für Frühstück, Mittagessen und Abendessen wird für alle das Gleiche gekocht, und alles ist vegetarisch, aber nicht bio. Die Zielgruppe des Gutshofes sind »Kreativmenschen« – etwa SchriftstellerInnen, FotografInnen oder BloggerInnen – die die natürliche Atmosphäre der Umgebung schätzen und sich für ihre Arbeit inspirieren lassen wollen. Das Publikum ist international, rund 50% der Gäste reisen aus dem Ausland an, meist hört man im Haus Englisch. Verschiedene Arbeitsräume wie ein Skype-Zimmer oder Coworking-Räume sind vorhanden. Für die

Workation Retreat

Ruhe zum Arbeiten und Ruhe zur Erholung – aber Menschen, wenn man Gesellschaft sucht, lautet hier das Konzept.

BILD COCONAT ROOMS, TILMAN VOGLER
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Im Coconat versucht man gerade, den Bezug von Lebensmitteln bei einer regionalen Genossenschaft auf- und auszubauen.

Mehr Info zu den Campingplätzen und Coworkingspaces auf

hof-viehbrook.de schnitzmuehle.de glaeserner-bauernhof.de wilde-heimat.de coworking-oderland.de coworking-almtal.at almtal-camp.at coconat-space.com

Möglichkeit des Coworking verlangt Coconat eine Tagespauschale von 11,90 Euro.

Für kalte Winterabende gibt es ein auf dem Anwesen ein Kaminzimmer mit offenem Kamin, auf dem Gutsgelände befinden sich eine Picknickwiese, ein Gemüsegarten, eine Spielwiese, mehrere Hängematten, eine Fasssauna und eine Feuerstelle. Alles ist darauf abgestellt, Besuchern Erholung und die Möglichkeit zum Netzwerken zu bieten. Auch die Möglichkeit zum Zelten gibt es – auf der Zeltwiese haben zehn Zelte Platz, dabei wird pro Person eine Gebühr von 10 Euro erhoben. Wohnmobile und Caravans sind willkommen, für sie werden 20 Euro pro Nacht berechnet. Neu sind die hochwertig ausgestatteten Glamping-Zelte wie auch die Hängezelte im Garten.

GEKÜHLTE AFTERWORK-DRINKS OHNE KÜHLSCHRANK?

In Letschin in Brandenburg kann man mit einem Tagesticket um 12 Euro dank schnellen

Wlans an Tischen und Sofas bequem digital arbeiten. Oder man mietet sich im Garten hinter der Schule um 35 Euro pro Nacht in den vorhandenen Wohnwagen ein. Man kann natürlich auch mit dem eigenen Caravan kom -

men, dann kostet die Nacht 25 Euro. Auf dem Gelände des Campingplatzes Wilde Heimat war einmal eine Fabrik. Die Fabrikanlagen sind weitgehend verschwunden, übrig ist noch ein Bahngleis, das quer durch das Gelände führt. Einfallsreichtum besaßen die MacherInnen beim Kühlen von verderblichen Lebensmitteln: weil Camper, die mit dem Zelt kommen, gewöhnlich keinen Kühlschrank dabei haben, wurde ein Eiskeller ausgehoben, in dem es immer kühl ist und den alle kostenlos nutzen dürfen.

Genial ist auch der Verleih für Fischräucherofen, Angeln, Pfeil und Bogen und Gitarre (!) auf dem Platz. Auch eine Sharing-Box für Essen ist vorhanden. Für Coworker gibt es einen extra Bauwagen samt schnellem Internet. Der gläserne Bauernhof im Vogtland ist zwar kein Bauernhof mehr, der wurde stillgelegt. Statt Ställen gibt’s jetzt Stellplätze und wer keinen eigenen Wohnwagen hat, kann sich einen mieten, voll ausgerüstet und mit Nasszelle, Toilette und Heizung. Alternativ steht auch noch ein Scheunendorf bereit – dass die kleinen Blockhütten wenig mit Scheunen gemein haben, tut der Sache keinen Abbruch. Coworking ist möglich im Haupthaus, hier gibt es schnelles Wlan, ein (nicht biozertifiziertes) Café, das auch kleine Speisen serviert, sowie einen Hofladen mit regio -

Rush Hour in der Wilden Heimat: Hier könnte auch gearbeitet werden. Muss aber nicht.
26 BIORAMA 84 WORKATION

nalen Produkten (hoher Bioanteil und Wildbret), der Handwerksprodukte aus Sachsen führt.

GLAMPING MIT FAXANSCHLUSS

Ein Ort für richtig coole Camper (aber auch für alle, die keine Lust auf Camping haben, gibt es schöne Zimmer) ist die Schnitzmühle im Bayerischen Wald. Denn hier entscheidet man sich auf der Startseite online als Erstes, ob man campen oder »wohnen« – oder einfach nur zum vegetarischen Essen (nicht biozertifiziert) vorbeikommen möchte. Grillplätze, Bongo Bar, Flussbaden und Highspeedinternet warten hier. Wer nicht im Fluss baden will, kann das stilvoll gestaltete Spa besuchen. Der Nassbereich verfügt über eine Trockensauna und, weil Sauna und Schwimmbecken zu langweilig klingt, auch noch eine »Golden Heat Sauna« – eigentlich eine ganz gewöhnliche Sauna –, ein Bubble Basin – ein Whirlpool –, und die Flying Garden Lounge –ein Gärtchen mit Liegestühlen zum Ausruhen. Wlan gibts überall, explizit zum Arbeiten ist allerdings das Future Labor: ein »architektonisch ausgeklügelter Meta-Raum für neue Klarheiten und Intelligenzen«, der einem Konferenzraum mit Couchecke ähnelt. Technisch ist dieser auch für die Übertragung von Bild und Ton von Videokonferenzen und grundausgestattet.

Wer allerdings einen Faxanschluss sucht, findet diesen – und vieles mehr – zum Beispiel nahe Neumünster. Dort liegt der Hof Viehbrook , ein typisch niedersächsischer Bauernhof in Ziegelsteinbauweise auf dem platten Land. Wer möchte, kann hier auch richtig anpacken: Der Biobauernhof wird bewirtschaftet, das touristische Angebot ist hier nur eine zusätzliche Einnahmequelle. Seit 2020 verfügt der Hof über einen Coworking-Space, ausgestattet mit einer Teeküche und nicht nur Wlan, Beamer und Drucker/Scanner, sondern auch Fax- und Telefonapparat. Wer eine Workation ohne Notebook machen kann und sich traut, das Handy zuhause zu lassen, kann also hier auch nach Hause telefonieren wie früher. Von Mai bis Oktober kann man hinter dem Bauernhof auch campen. Dafür stehen 15 Luxuszelte bereit, die hoch genug sind, um auch darin zu stehen.

Zwischen den Mahlzeiten der thailändisch-bayerischen Küche kann man in der Schnitzmühle auf voll ausgestattete Meetingräume zurückgreifen.
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BILD DIRK
ENGELHARDT, HEIKO LANDKAMMER

Ja! Natürlich geht’s den Tieren gut!

Der Biopionier steht für höchstes Tierwohl, für Verantwortung gegenüber Mensch, Umwelt und Nutztier.

»Tierschutz und Tierwohl ist in jeder Hinsicht eine Frage der Haltung. Für uns hat Tierwohl seit jeher einen enormen Stellenwert und wir werden unseren Weg konsequent weiter fortsetzen«, erklärt Klaudia Atzmüller, Geschäftsführerin von Ja! Natürlich. Der heimische Biopionier ist in Sachen Tierwohl Vorreiter und setzt seit bald 30 Jahren höchste Standards in den Bereichen Freilauf, Futter, Medikamente, Transport und Kontrollen: Bei der artgemäßen Haltung ist bei Ja! Natürlich immer das natürliche Verhalten der jeweiligen Tierart entscheidend. So wird streng berücksichtigt, wie sich jedes Tier ernährt, reinigt, ausruht und bewegt und welchen Kontakt es zu seinen Artgenossen braucht. Als einzige Biomarke des Landes garantiert Ja! Natürlich seit Langem ganzjährig und rund um die Uhr Freilauf für alle Tiere durch ein

Seit dem Jahr 2000 vorbildlich und einzigartig: das Ja! Natürlich Tierwohl-Projekt »Waldviertler Bio-Freilandschweine«.

striktes Anbindeverbot. Ein Beispiel, welches die Pionierarbeit von Ja! Natürlich besonders gut demonstriert, ist das ehrgeizige Ja! Natürlich Tierwohl-Programm »Waldviertler Bio-Freilandschweine« welches schon im Jahr 2000 mit engagierten Biobäuerinnen und Biobauern im Waldviertel gestartet wurde. Dafür sind mehrere Biobetriebe das Wagnis einer ganzjährigen Schweine-Freilandhaltung eingegangen. Die Freilandschweine leben ihr gesamtes Leben komplett im Freien, wühlen, graben und können bei Bedarf in ihre Ruhehütte als Rückzugsort und haben mobile Beschattungselemente zur Verfügung. Neben Rindern und Schweinen genießen auch die Hühner immer freie Bewegung. Selbst im derzeitigen Vogelgrippe-Lockdown haben sie immer Zugang zu einem Wintergarten oder Außenscharrraum. janatuerlich.at

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DAS BIO, AN DEM SO VIEL MEHR TIERWOHL DRANHÄNGT

Wenn es den Tieren gut geht, schmeckt die Milch* am Besten! Darum sind höchste Tierwohlstandards bei unserer Bio-Heublumenmilch selbstverständlich. Unsere Kühe können sich das ganze Jahr, rund um die Uhr frei bewegen, sie fressen Bio-Gras, Kräuter, Heu und Bio-Getreide, und die Milch wird täglich frisch abgeholt, streng kontrolliert und schonend verarbeitet. Auch das kurze Mindesthaltbarkeitsdatum ist ein Zeichen für höchste Frische & Qualität – denn eine muss ja die Beste sein!

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MARATHONGEHEN

Wandern bis zum Umfallen. Route und Realität einer Tagesetappe durch die Normandie.

35 Kilometer wären es laut Wanderroute von Lillebonne nach Gonfreville-l’Orcher in der Normandie. Eine ambitionierte Tagesetappe am französischen Weitwanderweg »GR 2« – die zweite von 369 Grandes Randonées, die – das französische »Nationalkomitee für Fernwanderungen« definiert hat. Vier Wanderinnen haben die Distanz im August 2022 in 42 Kilometern überwunden. Ein Wandertag von früh bis spät.

ABMARSCH 6 UHR. ES IST KALT.

Vier Wanderinnen freuen sich über die bereits geöffnete Bäckerei in Lillebonne und kaufen frische Baguettes für den Tag. Drei Liter Wasser und Jause wurden bereits am Vortag im Supermarkt besorgt. Die weiß-rote Wegmarkierung des GR 2 entdecken sie auf einer Hausmauer, ein paar Meter von der Bäckerei entfernt.

An diesem Tag liegt kein weiteres Restaurant oder Supermarkt am Weg. Daher wurden Müsliriegel, Nüsse und auch Bananen gekauft. Hochkalorische Lebensmittel, die schnell Energie liefern. Das Ziel heute ist der Ort Gonfreville-l’Orcher. Laut Route und dem

Plan, dieser zu folgen, sind dorthin 35 km und gut 750 Höhenmeter zu überwinden.

9 UHR. DIE ERSTE PAUSE. ES IST WARM. Nach drei Stunden erreichen die Wanderinnen das kleine Dorf Tancarville, in dem sitzend im Gras gefrühstückt wird. Nach 45 Minuten geht es weiter. Über zehn Kilometer sind schon geschafft. Die Wälder und Wiesen sind im Sommer 2022 nicht grün, sondern gelb-braun. Die Einheimischen berichten über extreme Dürre und ausbleibenden Regen. Das Reizvolle am Weitwandern ist, abseits vom Gehen, die Möglichkeit auch Gespräche mit den Menschen vor Ort zu führen und somit eine Region besser kennen zu lernen.

12.30. DIE GROSSE PAUSE. ES IST HEISS.

WEITWANDERN

300 Kilometer. Das sind 430 000 Durchschnitts-Schritte. Es klingt nach viel und das ist es auch.

4 Wanderinnen gehen in 12 Tagen von Duclair nach le Havre (entlang des GR2) und von dort (entlang des GR21) nach SaintValery-sur-Somme. Die Strecke zwischen Lillebonne nach Gonfreville-l’Orcher wurde an Tag 3 bestritten.

Im Schatten liegend wird am Rande des Weges gegessen und getrunken. Der Rucksack verliert an Gewicht. Nach einer guten Stunde geht es weiter. 15 Kilometer lie-

31 BIORAMA 84 WANDERN
An den ersten Tagen der Weitwanderung prägen schier endlose Feldwege das Bild. So auch noch an Tag 3.

Weitwandern dauert mehr als drei Tage oder umfasst mehr als 100 Kilometer. Ein Muss für jede Weitwanderung: mindestens drei Liter Wasser für 30 Kilometer, wenn es keine Auffüllstellen gibt.

Osmand

Die App zeigt Wasserquellen entlang einer Route – vom Friedhof mit öffentlichem Zugang zu einer Trinkwasserleitung bis zu Flüssen und Informationen zu deren Wasserqualität.

WANDERROUTE GR 21

Von Le Havre nach Le Tréport:

Distanz: 194 km

gen noch vor den Wanderinnen. Je weiter der Tag voranschreitet, desto mühsamer geht es sich. Bei über 30 Grad gehen sie meist auf Feldwegen in der Nähe eines Seitenkanals der Seine, dem Canal de Tancarville, und der französischen Gemeinde Saint-Vincent-Cramesnil voran. Schritt für Schritt. Kilometer für Kilometer.

14.30. DIE UNGEPLANTE PAUSE. IMMER NOCH HEISS.

Die Sonne fordert ihren Tribut. Die durchschnittliche Gehgeschwindigkeit sinkt. Noch zehn Kilometer. Irgendwo im Nirgendwo der Normandie.

Die App Komoot führt zusätzlich zu der offiziellen Markierung des GR 2 die vier Wande-

rinnen Tag für Tag ans Ziel. Zudem beschreibt sie die Beschaffenheit des Weges. Wie viele Kilometer sind Wanderwege, wie viele müssen auf Asphalt gegangen werden?

Allerdings gibt es manchmal Abweichungen zum GR 2. Die App will den möglichst besten Weg. Und der beste Weg führt über Stock und Stein. Nicht über Asphalt. Grundsätzlich eine gute Sache, aber bei einer 35 Kilometer Wanderung, bei der dann jeder Meter zählt, wäre ein kurzes Stück auf der Straße die bessere Option gewesen. Denn so wurde aus den geplanten 35 Kilometern eine Marathondistanz. Aus der geplanten Ankunft um 16 nichts und aus 750 Höhenmeter fast 1000. Fast 300 Höhenmeter schafft eine durchschnittliche Bergsteige-

Gonfreville-l’Orcher Tancarville Lillebonne Le Havre Seine Geplante Etappe für Tag 3 Die Alabasterküste von Dieppe nach Le Tréport – die Route für Tag 11. Die Wegbegleitung: Riesige Kreidefelsen, weite Wiesen und Kieselstrände.
32 BIORAMA 84 WANDERN

rin in der Stunde. Durchschnittlich flott unterwegs ist man bei über 30 Grad und nach über 30 Kilometern al lerdings nicht mehr. Ab jetzt wissen die Wanderinnen, dass es sich lohnt, bei Weggabelungen fünf Minuten in Recherche zu den Möglichkeiten zu investieren. währt hat sich hingegen, sein Ziel für den Abend immer im Vorhinein zu kennen, so vermeiden Gruppen Streit unterwegs – denn wenn Route und Ziel unklar sind und körperliche Verfassung und Stimmung schwan ken, kann es schnell zu grundlegenden Diskussionen kommen. Die Energie ist besser ins Wandern investiert, daher wurden alle Unterkünfte im Vorfeld reserviert.

19 UHR. DIE ANKUNFT

Nach dem Check-in in einer Jugendherberge am Stadt rand von Gonfreville-l’Orcher len Vorort von Le Havre, steht Waschen auf dem Pro gramm. Sich selbst und auch die Kleidung. Danach ge hen die Wanderinnen in den Supermarkt, um für das Abendessen einzukaufen. Apropos einkaufen: Gut 2700 Kalorien, inklusive Grundumsatz, hat eine 60-Kilogramm-Person bei gut 10 Stunden Gehen, laut Smartwatch, verbraucht. Ein paar Gläser Rotwein, Kartenspielen und quatschen, früh heißt es dann Gute Nacht für die Wanderinnen. Der nächste Morgen naht, denn täglich grüßt die weite Welt.

WANDERROUTE GR 2

Von Dijon nach Le Havre: Distanz: 858 km

Als Faustregeln zur Berechnung des Gewichts des Rucksacks (inklusive Verpflegung) bei einer Weitwanderung dienen uns: 1. So leicht wie möglich. 2. Maximum ist das eigene Körpergewicht geteilt durch 4, wenn man sehr fit ist – durch 5 bei mittelmäßig trainierten HobbysportlerInnen.

Die 12 Kilogramm, die so als Maximalgewicht für eine 60 Kilogramm schwere Person berechnet werden, hat die Autorin aber als zu viel empfunden und ist auch 12 Tage mit 7 Kilogramm Gepäck ausgekommen.

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– was ist das

OHNE SCHAUM VORM MUND

Mit seinen Zahnputztabletten möchte der Unternehmer Axel Kaiser unsere Alltagsroutinen ändern, Zahnpastatuben aus den Regalen fegen und somit Politik machen.

Wie viel er und sein Bruder bereits in die Idee investiert haben, weiß Axel Kaiser nicht. »Wir haben nie Buch geführt, das gibt dir nur ein schlechtes Gefühl«, sagt der 60-Jährige. »Vielleicht zehn Millionen Euro? Die ersten 15 Jahre waren jedenfalls komplett defizitär.« Anfangs war es überhaupt nur ein Scherz gewesen. Damals widmete sich ein befreundeter Zahnarzt in seiner Doktorarbeit gerade der »Entwicklung eines wasserfreien Zahnputzmittels«. Der gelernte Kfz-Mechaniker Axel Kaiser unterstützte ihn dabei und man entwickelte erst ein Granulat und daraus später eine erste Zahnputztablette.

ENTSCHEIDEND: WAS NICHT DRIN IST

Damit ließen sich für für den Körper potenziell kritische, für die Herstellung und Halt-

barkeit wasserhaltiger Zahncremes allerdings notwendige Inhaltsstoffe einfach weglassen: Stabilisatoren, Konsistenzkleber, Schaumbildner oder Keimhemmer, die dafür sorgen, das Wasser zur Paste wird oder verhindern, dass der Tubeninhalt zu schimmeln beginnt, wenn er mit einer verkeimten Zahnbürste in Berührung kommt. Das war um die Jahrtausendwende und passierte eher nebenbei. In der Hauptsache betrieben die Brüder in Berlin seit 1992 ein Dentallabor, spezialisiert auf den Vertrieb von Zahnersatz. Kaiser erinnert sich an goldene Jahre: »Nach der Wende wollten plötzlich 16 Millionen Deutsche neue Zähne.« Ihre Alternative zur Zahnpasta verloren die Brüder trotzdem nie aus den Augen. 2003 schließlich hatte man die Tablette fertig entwickelt. Nun schien der verspürte Auftrag eigentlich erledigt. Mit der Überzeugung, die Industrie schnell von

Axel Kaiser (60) gründete Denttabs. Mit seinen zehn MitarbeiterInnen möchte er von Berlin-Wedding aus die allmorgendund abendlichen Routinen ändern

TEXT
Thomas Weber
BILD DENTTABS
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ihrem perfekten Produkt – leistbare Naturkosmetik mit deutlich weniger Verpackungsmüll –überzeugt zu haben, bot man dieses an. Mehr als ein mildes Lächeln gab es dafür allerdings nicht. Irritiert und von so viel Ignoranz vor den Kopf gestoßen, beschloss man, die Sache selbst anzugehen.

RÜCKSCHLÄGE UND RÜCKHALT

DURCH DIE CROWD

Anfangs lief das Geschäft schleppend als Projekt des Dentallabors. Erst 2009 gründete man für die »Denttabs« ein eigenes Unternehmen – durchaus mit der Absicht, dafür auch InvestorInnen zu begeistern. Auch daraus wurde nichts. Zwar sammelte man im Sommer 2021 in einem Crowdinvestment binnen einer Woche eine Million Euro. Doch auch 2023 gehört das Unternehmen ausschließlich den beiden Brüdern. Im Jahr 2022 verkauften sie 75 Millionen Denttabs (was der Füllung von 1,2 Millionen Zahnpastatuben entspricht). Die Tabletten sind

PUTZEN MIT ZAHNPUTZTABLETTEN –SO GEHT’S

Tablette im Mund zerkauen und mit einer befeuchteten Zahnbürste putzen. Nicht wundern: schäumt nicht wie von der Zahnpasta gewohnt, reinigt aber gleich gründlich.

als zertifizierte Naturkosmetik mittlerweile bei Dm, Rossmann und auch Dennree, Bio Company und Alnatura erhältlich.

Trotzdem lief das Geschäft vor der Pandemie besser. Damals machte man mit dem Tablettenverkauf 3,2 Millionen Euro Umsatz. Derzeit liege man etwa bei der Hälfte. Für den Einbruch sieht Kaiser viele Gründe: »In den Lockdowns waren viele Einkaufszentren geschlossen. Das Interesse an Zahnpflege war während der Pandemie insgesamt nicht besonders groß. Es gab einige Pleiten und die Unverpacktläden kämpfen fast alle ums Überleben. Insgesamt haben wir immer noch ein exotisches Produkt ohne

BILD DENTTABS
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Aus der Diplomarbeit eines Bekannten zur »Entwicklung eines wasserfreien Zahnputzmittels« wurden 2003 die weltweit ersten Zahnputztabletten.

gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit.«

Dass es mittlerweile eine Vielzahl anderer AnbieterInnen von Zahnputztabletten gibt, erachtet der Gründer als Bestätigung und Belebung des Markts. Der Mitbewerb sei »eine großartige Entwicklung, weil es den Blick auf ›unsere‹ Kategorie lenkt.«

DENTTABS IN HOTELS UND FLUGZEUGEN

Einiges deutet gerade darauf hin, dass der Markt für Zahnputztabletten in absehbarer Zeit deutlich wachsen wird. Zum einen gebe es bei Denttabs gerade eine sehr konkrete Eigenmarkenanfrage eines großen Filialisten. »Es wird einiges an Lärm auslösen, wenn in mehreren Ländern Zahnputztabletten einer großen Naturkosmetikeigenmarke erhältlich sind und beworben werden«, ist sich Kaiser sicher. Zum anderen hätten zuletzt auch die Anfragen nach »Amenity Kits« stark zugenommen – also für die Hygieneartikel-Basisausstattung, die Hotels und Fluglinien ihren Gästen und PassagierInnen zur Verfügung stellen. »Damit lässt sich zwar weniger verdienen als gedacht, aber es schafft Bewusstsein für Zahnputztabletten, wenn die in Flugzeugen oder beim Einchecken zur Verfügung gestellt werden.«

Die Hoffnung des Denttabs-Gründers: Wer die Tablette einmal für ein paar Tage ausprobiert hat, findet mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht allein Gefallen an der Verwendung eines umweltverträglichen Hygieneprodukts, das mit wenig Gewicht und Verpackung auskommt, sondern auch am veränderten Mundgefühl. Denn der größte Gegner der Idee hinter den Zahnputztabletten sind Alltagsroutinen. Denn dass die große Mehrheit ihr Zahnputzmittel aus der Tube drückt, entspricht zwar einem Industriestandard, aber keinem Naturgesetz. Technisch gesehen putzt man seine Zähne nicht mit den im Mund zerkauten Denttabs, sondern poliert sie glatt. Ein wesentlicher Bestandteil der Denttabs ist Zellulose. Das unterscheidet Denttabs auch vom Mitbewerb – sowohl in Tabletten-, vor allem aber in Pastaform. Ein hoher Zelluloseanteil ist in Pasta nicht möglich. Zellulose fungiert aber als Poliermittel. »Belege, also die Grundlage für

— Axel Kaiser, Gründer von Denttabs

Karies, haben damit kaum eine Entstehungschance«, sagt Kaiser. Der eigentliche Ansatz, die Vermeidung systemisch potenziell problematischer Inhaltsstoffe (beispielsweise das Tensid Natriumlaurylsulfat), zeige immer wieder bereits in der Mundhöhle Wirkung: »Zahnfleischbluten, Entzündungen und sogar Parodontitis nehmen laut AnwenderInnen deutlich ab« – oder würden ganz verschwinden, beruft sich Kaiser auf Rückmeldungen seiner KundInnen. Diese Anwendungsberichte werden auch mittlerweile in einigen klinischen Studien und Tests unabhängiger europäischer VerbraucherInnenorganisationen bestätigt. 2021 urteilte beispielsweise die Union fédérale des consommateurs, die größte französische VerbraucherInnenschutzorganisation: »Denttabs überzeugt mit idealem Fluoridgehalt, minimaler Abrasivität (Schmirgelwirkung, Anm.) und höchster Umweltverträglichkeit.«

BEDENKENLOS AUSSPUCKEN

Wissen allein, das weiß Axel Kaiser mittlerweile, reicht aber selten aus, um Gewohnheiten wirklich zu ändern. »Erst vor Kurzem hat eine Lehrerin angerufen, die mit einer Gruppe von Kindern im Sommer zum Zelten gehen möchte«, sagt Kaiser. Die Pädagogin und Mutter wollte wissen, ob es – anders als bei den allermeisten Zahnpastas – auch wirklich unbedenklich sei, Denttabs nach dem Putzen einfach in den Wald zu spucken. »Da wusste ich gar nicht, was ich sagen soll. Ich hab sie gefragt: ›Sie wissen, dass Sie das, was Sie im Mund haben, nicht in der Natur ausspucken sollen, aber Sie nehmen es zwei Mal täglich in den Mund ohne drüber nachzudenken?‹«

Kernidee der Naturkosmetik-zertifizierten Zahnputztabletten: die potenziell problematischen Inhaltsstoffe, die in herkömmlichen Zahnputzmitteln Wasser zur Pasta machen, komplett vermeiden.

»Wir waren mit unseren Denttabs
2003 weltweit die ersten am Markt. Mittlerweile gibt es hundert andere Zahnputztabletten. Eine großartige Entwicklung, sie lenkt den Blick auf ›unsere‹ Kategorie.«
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AUSGEZEICHNET –

MIT DEM NEPTUN STAATSPREIS

Mit dem Neptun Staatspreis für Wasser werden Österreichs

nachhaltigste Wasserprojekte ausgezeichnet. 2023 ging der Hauptpreis an den Wasser.Wander.Wunder-Weg in der Steiermark.

Der Umwelt- und Innovationspreis für nachhaltige Wasserprojekte wurde am 15. März 2023 in den fünf Kategorien WasserGEMEINDE, WasserWIEN, WasserFORSCHT, WasserBILDUNG, WasserKREATIV verliehen – außerdem der Hauptpreis. Mit dem Neptun Staatspreis werden herausragende Projekte rund ums Wasser prämiert. Unterstrichen werden damit die hohe Bedeutung der Ressource Wasser sowie herausragende Forschungsprojekte, das große Engagement der Gemeinden sowie Wasserbildungsprojekte und Kunstwerke. Getragen wird der Neptun Staatspreis für Wasser vom BML, der Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW), dem Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverband (ÖWAV), der Kommunalcredit Public Consulting,

»An des Wassers Scheide — Lichtzeichnung der europäischen Wasserscheide« von Regina Hügli. In St. Michael im Lungau wurde ein Murabschnitt renaturiert – die Gemeinde holte sich den Bundessieg.
BILD LAND SALZBURG/ABTEILUNG WASSER,
MARTIN HUBER, REGINA HÜGLI, ZWHS

Stadt Wien – Wiener Wasser, Privatbrauerei Zwettl, VERBUND sowie den teilnehmenden Bundesländern.

Wasser.Wander.Wunder-Weg

560 Einreichungen gab es 2023, durchsetzen konnte sich der Wasser.Wander.Wunder-Weg: Das Projekt erhielt den mit 3.000 Euro dotierten Hauptpreis. Seit 30 Jahren stellt die Zentral-Wasserversorgung Hochschwab Süd Trinkwasser in bester Qualität bereit. Der Wasser.Wander. Wunder-Weg vermittelt auf spielerische Weise Informationen zum Trinkwasser und schärft das Bewusstsein für den Umgang damit.

Werke aus den Sparten Architektur, Bildende und Darstellende Kunst, Literatur und Medienkunst gesucht. Hier ging der erste Platz an Regina Hügli für ihre Fotos des Projekts »Auf des Wassers Scheide – Lichtzeichnungen der europäischen Hauptwasserscheide«.

In der Kategorie WasserBILDUNG ging die steirische Marktgemeinde Öblarn mit ihrem Projekt »Wassererlebnis Öblarn« – ein beeindruckendes Beispiel für die Vermittlung von Naturgefahren –als Sieger hervor. Ob Hochwasser, Muren oder Verklausung: Das Demonstrationsmodell zeigt die Folgen der Klimakrise für österreichische Regionen und schafft eine spielerische Wissensvermittlung für alle Altersgruppen.

Auf dem Wasser.Wander.Wunder-Weg lässt sich Wissenswertes zum Thema Trinkwasser auf spielerische Weise erleben.

Forschung, Kunst und Bildung

In der Sparte WasserFORSCHT wurde das Interreg-Projekt »Malšemuschel« als Siegerprojekt ausgezeichnet. Im Auftrag des Landes Oberösterreich führte dieses Fragestellungen zu Erosion, menschlich erhöhten Feinsedimentund Sandeinträgen, Gewässerökologie, Fischereiwirtschaft sowie Hochwasserschutz, Gewässermanagement und Klimawandelanpassung zusammen.

In der Kategorie WasserKREATIV wurden künstlerische

TRINKPASS

Der Schulwettbewerb »Trinkpass« erfreut sich großer Beliebtheit in Schulklassen quer durch Österreich. Mit einer Wassertrinktabelle können Schüler*innen eine Woche eintragen, wie viel Wasser sie trinken – das schärft das Bewusstsein zum eigenen Trinkverhalten. Der Trinkpass 2023 enthält auch hilfreiche Tipps –jede*r kann einen Beitrag zum verantwortungsvollen Wassergebrauch leisten. Außerdem ist die Kreativität gefordert: Schüler*innen sollen sich Maßnahmen überlegen, mit denen sie Wasser schützen oder sparen würden. Einsendeschluss ist der 5. Juni 2023 . Alle Infos unter: trinkpass.org und generationblue.at.

Das »Wassererlebnis Öblarn« vermittelt eindrucksvoll Naturgefahren.

Gemeinden und Wien

In der Kategorie WasserGEMEINDE konnte die Jury aus Projekten zu Wasserversorgung, Gewässerökologie und touristischen Erlebnismöglichkeiten auswählen. Der Bundessieg ging an die Gemeinde St. Michael im Lungau mit der Renaturierungen der Mur.

In der Sparte WasserWIEN wurden Fotos und Videos zum Motto »150 Jahre Wiener Wasser« gesucht. Anlass dafür war das diesjährige Jubiläum der Eröffnung der I. Wiener Hochquellenleitung im Jahr 1873. Der erste Preis ging an Lukas Ortner-Bast mit der Aufnahme »Trinkbrunnen im Augarten«.

DANUBE DAY

Am 29. Juni wird jährlich der Danube Day im gesamten Donauraum gefeiert. Die Donau fließt von ihrer Quelle im Schwarzwald bis zur Mündung im Schwarzen Meer über eine Strecke von fast 3000 Kilometern durch zehn Länder. Das Einzugsgebiet der Donau erstreckt sich auf 19 Länder. Diese Gebiete sind Lebensraum für zahlreiche seltenen Tier- und Pflanzenarten und über 80 Millionen Menschen

THEMA WASSER WWW.WASSERAKTIV.AT
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DES BML

NICHT NUR SAUBER, SONDERN FEIN.

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UNI

Die köstlichen Stacheln ernähren sich von Algen, in Japan weiß man sie als Delikatesse zu schätzen.

Seeigel sind eine besondere Delikatesse und tief in der kulinarischen DNA Japans verankert. In den meisten Sushi-Bars in Kyoto oder Tokio werden sie als Höhepunkt eines mehrgängigen Menüs präsentiert. Das liegt daran, dass die Intensität von Geschmack und Aroma kaum zu überbieten ist. Seeigel am Teller bedeuten stets konzentrierte Meeresfrische am Gaumen. Natürlich ergeben sich dabei auch verschiedene Fragen.

Schmecken Seeigel aus verschiedenen Meeren

oder gar von verschiedenen Küstenabschnitten unterschiedlich? Falls ja, warum ist das so? Sind die Bestände intakt und die Populationen gesund? Kann man Seeigel züchten? Und gibt es Seeigel in Bioqualität. Eine Suche nach Antworten auf dem Fischmarkt in Tokio und an den Küsten Hokkaidos, dem Kernland der Seeigelkultur.

Halb sechs Uhr morgens, am Tsukiji, dem alten Fischmarkt in Tokio. Vor einiger Zeit übersiedelte der gewerbliche Teil des Marktes an

TEXT Jürgen Schmücking
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einen anderen Standort. Mit ihm die spektakulären Thunfischauktionen und die Sushi-Bars, in denen man um vier Uhr morgens so frische Sushi bekam, dass sich eine halbe Stunde später vor den Lokalen bereits eine Warteschlange von 20 bis 25 Menschen gebildet hat, die auf einen freien Platz an der Theke warten. Was blieb ist der kleinere und ältere Teil des Marktes. Darin befinden sich kleine Fischhändler, Messerschmieden und jede Menge Leute, die auf kleinen Gasgrillern Street- und Finger-

food anbieten. Und dann gibt es, in einem unscheinbaren Hinterhof, noch die Bar Uni-Tora Kurau Naka-Doriten. Ein Restaurant, das sich auf Uni, also auf Seeigel, spezialisiert hat. Yuna-san, der Chef hinter der Bar, freut sich über die üppige Bestellung. Aber immerhin geht es darum, die Frage zu klären, ob es bei Seeigeln so etwas wie Terroir, also eine sensorisch klar erkenn- und zuordenbare Herkunft gibt. Yuna-san hat sich die Frage drei Mal übersetzen lassen. Dabei war das Prob -

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Ein

lem kein sprachliches. Es war eher so, als stellte der Autor die Frage, ob man einen Unterschied zwischen Äpfeln und Bananen schmecken kann. Die Kurzfassung: Die fünf Seeigel kamen alle von den Küsten Hokkaidos und unterschieden sich in Farbe, Textur, Konsistenz, in der Oberfläche, in der Intensität des Aromas und im Geschmack. Also in so gut wie allen kulinarischen Aspekten. Das Exemplar aus Nemuro, vom östlichsten Punkt der Insel, war füllig, weich, fast grell gelblich, überraschend zart im Geschmack und auch subtil im Aroma. Der Hamanaka-Seeigel, nur 40 Kilometer südlich war im Aroma deutlich prägnanter und ausgeprägter, dafür aber noch weicher in der Textur. Spannend war, dass das Exemplar von Cape Ochiishi, das genau zwischen Nemuro und Hamanaka liegt, geschmacklich und auch farblich zwischen Proben von diesen beiden Orten liegt. Die beiden Sorten, die am Schluss verkostet wurden, kamen von den kleinen Inseln Rebun und Rishiri. Praktisch die nördlichsten Inseln Japans und dem russischen Kamtschatka viel näher als Tokio. Diese Exemplare waren die intensivsten, das Aro -

ma am stärksten ausgeprägt und wuchtig nach Jod und Meersalz schmeckend. Die ›cool climate‹-Igel, wenn man so will.

DER APPETIT AUF ALGEN

Es gibt etwa 900 Arten. Die wenigsten davon sind kulinarisch von Bedeutung. In Japan ist es gar nur eine Handvoll. Die häufigsten sind Ezobafun-Uni und Murasaki-Uni (oft auch Kitamurasaki-Uni). Der Unterschied zwischen beiden ist augenscheinlich. Ezo steht in der Sprache Japans für den Norden, für Hokkaido. Bafun für Pferdemist. Ezobafun-Uni sind also autochthone Seeigel Hokkaidos mit eher kurzen Stacheln, die dadurch eher pummelig wirken. Sie schmecken aber hervorragend. Das, was von Kitamurasaki-Uni auf dem Teller landet, also die Geschlechtsdrüsen, ist deutlich heller als die ihrer Ezobafun-Verwandten. Sie werden in Japan oft auch als »weißer Seeigel« bezeichnet. Der Geschmack ist leichter, feingliedriger und eleganter als beim Bafun. Ein weiterer Unterschied im Geschmack ergibt sich durch die Nahrung. Seeigel, egal welcher Sorte, ernähren sich von Algen. Diese Vorlie-

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Oft sieht man auf den ersten Blick nicht, ob es Austernzuchtung, Algenfarmen oder Seeigelgründe sind. Bis ein Taucher mit einer großen Schüssel auftaucht. Seeigel hat 5 Geschlechtsdrüsen, die etwa 2/3 seines Körpergewichts ausmachen. 15 bis 20 Tiere sind erforderlich, um eine Verkaufsbox mit 100 g zu füllen.
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Rund um Hokkaido gibt es 9 registrierte Fanggebiete mit genau geregelten Schonzeiten.

be für Algen ist Fluch und Segen gleichermaßen. Segen, weil sich an den Küsten Hokkaidos die besten Algenernteriffs Japans befinden. Das bedeutet, dass sich die Seeigel an den Kombu-Algen zu schaffen machen, die das Fundament der japanischen Küche ausmachen. Kombu sind Makroalgen, die vor den Küsten Hokkaidos ganze Algenwälder bilden. Da der Hauptbestandteil ihrer Nahrung aus Meeresalgen besteht, ist es naheliegend, dass intensiv schmeckende Seeigel vor allem in Regionen zu finden sind, die für ihre Meeresalgenqualität bekannt sind. Der daraus resultierende Widerspruch auf den Punkt gebracht: Seeigel von der nördlichsten Insel Japans sind deshalb so wertvoll, weil sie sich von den besten Algen ernähren, die man bekommen kann. Ein Dilemma, weil die JapanerInnen die Algen als Umami-Lieferanten für Dashi, die Suppe, die das Rückgrat der japanischen Küche bildet, brauchen. Der Kampf zwischen Algen und Igeln ist ein epischer. Ganze Armeen von Seeigeln fallen über Algenwälder her, wachsen dabei in unglaublicher Geschwindigkeit und fressen alles an Algen, was auf ihrer Route liegt. Der Gegenschlag, den die Alge entwickelt hat, ist perfide. Sie hat sich eine Waffe zugelegt, die sich die Landwirtschaft später zum Vorbild für die Schädlingsbekämpfung mit Pheromonfallen gemacht hat. Sie produziert ein Pro-

GRUNDHALTUNG STURER OPTIMISMUS

»Hartnäckig bis stur musst’ scho’ sein, wennst an Weg einschlägst, den die meisten noch nicht seh’n«, sagt Alfred K. In den 90ern hat Alfred Österreichs ersten bürgerfinanzierten Windpark mit-initiiert. Vor vier Jahren war er Mitgründer der OurPower-Energiegenossenschaft, um endlich den eigenen Strom auch selbst zu kaufen: »Unverzagt das Ziel nicht aus den Augen lassen, dann kommen schon die andern mit.« Diese gut gelaunte Tatkraft ist nicht nur menschlich ansteckend und macht einfach Spaß, sie ist tragendes Erfolgsrezept für den nachhaltigen Umbau unserer Wirtschaft.

Denn wir BürgerInnen sind’s, die mit genau dieser positiven, unnachgiebigen Grundhaltung jetzt die neue Energiewirtschaft erfinden, neu konzipieren und quasi experimentell Schritt für Schritt um- und durchsetzen. Dezentrale Energie und digitale Technik ermöglichen heute, dass jede und jeder Energie erzeugt und teilt und tauscht.

Die Regeln und Gesetze für diese neue Technik und den neuen Markt, die müssen kreativ »errungen« werden. Gesetze für den Markt »where citizens take ownership of the energy transition«, wie es – tatsächlich! – die EU-Strommarkt-Richtlinie vorschreibt, werden nicht am Schreibtisch entstehen.

Der Name »OurPower« steht für das Bewusstsein, dass wir den Weg des »taking ownership« gemeinsam, genossenschaftlich schaffen, Wege gehen, die andere noch nicht sehen (wollen). Auf ourpower.coop kaufen und verkaufen wir Strom von privat an privat. Schau Dir’s an, liebe/r LeserIn, und werde Mitglied bei OurPower!

Ulfert Höhne, Mitgründer und Vorstand der OurPower Energiegenossenschaft SCE mbH

Info: www.ourpower.coop

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG VON OURPOWER

Seeigel-Gonaden

Die Geschlechtsteile der Seeigel haben auch einen gesundheitlichen Wert. Sie sind reich an ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Zink.

Rishiri, eine kleine Insel nahe des nördlichsten Punktes in Japan, gilt als Herkunft für den hochwertigsten am Markt verfügbaren Seeigel: Gokujo (Grade AAA)

tein, das weibliche Seeigel glauben lässt, ihre Eier wären befruchtet. Damit hören die Seeigel zwar nicht zu fressen auf, aber der Wunsch, Nachwuchs zu produzieren, ist erst einmal vom Tisch. Die Algen haben dadurch das Populationswachstum dieser Fressfeinde verzögert und sich Zeit verschafft.

DER MENSCH HAT DIE FINGER IM SPIEL

Bis ins 17. Jahrhundert kämpften Menschen an der Seite der Algen. Taucher sprangen ins Wasser und holten tonnenweise Seeigel von den Algenblättern. Dann entdeckten Fischer aus der Region Hokuriku im Norden der Hauptinsel Honshu¯, dass man die Seeigel auch essen kann, und dass sie eigentlich ziemlich gut schmecken. Der erste Schritt – oder besser der erste Bissen –auf dem Weg zum Weltmarkt war getan. In anderen maritimen Regionen konnte kein Gleichgewicht entstehen, die Zusammenhänge sind andere und die Folgen verheerender. Überfischung führt dazu, dass den Seeigeln die Fressfeinde ausgehen. Die dadurch rasch wachsende Population (auch nicht essbarer Seeigel) führt zu einer massiven Gefährdung der Riffe und Korallen etwa im Indischen Ozean.

Zurück nach Japan. Hier ist noch beides intakt: Die Seeigel-Population ebenso wie die Bestände an Algen. Die beste Jahreszeit für Seeigel ist stark abhängig von der Art und der Region. Alle in Japan bevorzugt befischten Arten variieren über das Jahr so sehr, dass ganzjährig Uni in guter Qualität gegessen werden kann. So ist beispielsweise die Saison von Ezobafun-Uni vom Frühling bis zum Herbst und die Saison von Kitamurasaki-Uni dagegen im Winter. Seeigel gefangen an den Küsten Europas, der Vereinigten Staaten und Kanada sind besonders intensiv während der Wintermonate. In Hokkaido werden sogar Fangzeiten fest-

Manche Restaurants und Bars in Hafen- oder Marktnähe bieten Degustationsgerichte zum Vergleich verschiedener Seeigelsorten.
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»いらっしゃいませ! 世界一のウニ料理店で«
»Willkommen im besten Seeigelrestaurant der Welt.«
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— Yuna-san, Restaurantbesitzer am Fischmarkt in Tokio.

gelegt. In Hakodate im Süden der Insel wird nur von September bis November geerntet, die Bafun-Ernte um Rishiri und Rabun im Norden geht dagegen von Juni bis August über die Bühne. Seeigel, die außerhalb der Saison gefischt wurden schmecken unappetitlich und bitter. Das liegt daran, dass diese Monate Paarungs- und Brutzeiten sind, in denen die Geschlechtsorgane (und das sind schließlich die einzigen essbaren Teile der Seeigel) übermäßig stark beansprucht werden.

Um 2003 wurden die ersten Versuche gestartet, Seeigel in Aquakulturen zu züchten. Verantwortlich waren vor allem zwei Gründe. Erstens der Schutz der Algen, zweitens die Möglichkeit, Einfluss auf die Qualität (und Sauberkeit) der delikaten Gonaden zu nehmen. Beides hat zwar funktioniert, durchgesetzt hat sich die Idee aber noch nicht ganz.

ANGEBOT UND NACHFRAGE

Betrachtet man den Markt etwas genauer, erkennt man, dass die weltweite Fangmenge bis in die 70er-Jahre von Japan dominiert wurde. 80 Prozent der weltweit gefangenen Seeigel wurden von japanischen FischerInnen aus dem Meer gefischt. Dann explodierte die Fangmenge, stieg Mitte der 90er-Jahre auf 100.000 Tonnen. Allerdings blieb die Quote in Japan recht konstant bei 20–30.000 Tonnen. Mittlerweile hat sich die globale Fangmenge bei etwa 60.000 Tonnen eingependelt. Der Anteil Japans daran beträgt etwa 15 Prozent. Ungefähr gleich hoch ist auch der Anteil an Seeigeln, die in Aquakulturen gezüchtet werden. Also ungefähr 10.000 Tonnen. Was nicht konstant blieb, war der Appetit der JapanerInnen nach Uni. Der Großteil der Weltproduktion fand seinen Weg nach Japan. Da allerdings die Verarbeitung von Seeigeln ein traditionelles und uraltes Handwerk ist, wurden Seeigel im Ganzen nach Japan geliefert,

Drei Ernten, ein Schiff. Oft werden Algen, Austern und Seeigel am selben Kutter an Land gebracht.
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dann nach Hokkaido gebracht wo die Gonaden herausfiletiert und in präsentable Holzboxen verpackt wurden. Dann gingen die Kisterln zurück an den Fischmarkt Tsukiji, wo sie zu horrenden Preisen an Restaurants und Einzelhändler verkauft wurden. Die Herkunft der Seeigel: Australien, Neuseeland, Kalifornien. Die Preise waren nicht zuletzt dadurch so hoch, dass die Wertschöpfungskette aufgeteilt und die Logistik so komplex war. Das änderte sich, als ein amerikanischer Unternehmer die Seeigel aus Südkalifornien und Maine nicht mehr im Ganzen nach Japan schickte, sondern zwei Dutzend kambodschanische ImmigrantInnen darin ausbildete zu tun, was bisher nur die FischerInnen in Hokkaido taten: aufbrechen, filetieren, reinigen und fein säuberlich in Holzkistchen schlichten. Und diese Boxen wurden dann nach Japan exportiert. Seeigel werden im Übrigen lebend gefangen, beim Transport zur Verarbeitung am Leben gehalten und Sterben beim Aufbrechen, beziehungsweise durch das Herausschneiden der Geschlechtsdrüsen. Das klingt martialisch und brutal, es gilt aber als gewiss, dass die Tiere dabei keinen Schmerz spüren. Es sind Stachelhäuter, bei denen in ihrer Physiognomie nichts vorhanden ist, das eine Empfindungsfähigkeit ermöglicht.

Und Ezobafun und Murasaki? Die schaffen es kaum aus Japan raus. Ein guter Teil der von FischerInnen der Insel gefangenen Seeigel landet in noblen oder auf Uni spezialisierten Restaurants in Tokio. Ein anderer (ebenfalls nicht geringer) Teil schafft es nicht einmal aufs Festland. Hin und wieder tauchen Uni-Boxen in den Instagram-Kanälen europäischer Top-Restaurants auf. Das ist auch nicht verwunderlich. Nicht nur die Seeigel von den Küsten Japans sind beliebt in den Küchen. Auch in anderen Ländern an anderen Meeren gilt Seeigel als Delikatesse

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Die Ostküste Hokkaidos gilt als herausragender Fanggrund für Seeigel.

EIN ESSEN FÜR DEN WALDFRIEDEN

Große Meeresfrüchtemastbetriebe wollen Tangwäldern eine Atempause zur Erholung verschaffen.

Aufforstung ist zentral, um dem Klimawandel zu begegnen und um Sauerstoff für unsere Atemluft zu produzieren. Ein Teil dieser Wälder befindet sich allerdings unter der Wasseroberfläche, vor allem in den Küstengebieten der Meere. Und somit befindet sich dort auch einer der zentralen Kohlenstoffspeicher des Ökosystems Meer, das ingesamt mehr CO2 bindet als die Atmosphäre und die Biosphäre an Land.

Ein zentraler Bestandteil des maritimen Ökosystems und seiner Kohlenstoffspeicherkapazität sind Tangwälder. Geschätzte 3,4 Mio. Quadratkilometer Tangwälder begrünen den Flachwasserbereich von Felsküsten und sind Lebensraum und Kinderstube vieler Arten, mehr als die neunfache Fläche Deutschlands. 40–60 % der Tangwälder aus vorindustrieller Zeit sind allerdings schrumpfend oder schon verschwunden. Aufforstungsprojekte gestalten sich hier nicht nur aus technischen Gründen oft komplex. Wie auch an Land setzten steigende Temperaturen den Wald unter Druck und seine Fressfeinde haben zu wenige Gegenspieler. Verwüstung, also das Verschwinden dieser Vegetation, unter Wasser gefährdet das Leben im Meer und an Land. Über den Zustand der Tangwälder wissen wir wenig, in vielen Küstenstaaten gibt es noch kaum Interesse an genaueren Erhebungen zum Algenbewuchs des Meeresbodens.

Der Hauptfeind der Tangwälder ist der Seeigel, bestätigt Brian Tsuyoshi Takeda, der für die Suche nach den Igeln in seiner ersten großen Investitionsrunde gleich erfolgreich Kapital von

Japans Energieanbieter Eneos und über die Investmentplattform Builders Vision (gegründet vom Walmart-Erben Lukas Walton) aufnehmen konnte. »Überall, wo industrielle Überfischung stattfindet, hat man eine sehr gute Chance, Seeigel und daher auch Wüstenzonen zu finden«, erklärt Takeda, der sich aber nicht mit dem Finden und Sammeln von Igeln begnügt, sondern nur tätig wird, wenn die ökologischen Gesamtbedingungen stimmen. 2017 hat er das Unternehmen Urchinomics mit Hauptsitz in den Niederlanden gegründet, das inzwischen in Japan, Kanada, den USA und Norwegen tätig ist. Der in Japan geborene selbsterklärte Weltbürger Takeda war ein Jahr zuvor von Kanada nach Norwegen gezogen, als der Tsunami im Jahr 2011 Japan und das Ökosystem vor seiner Küste erschütterte. Die Raubtierpopulationen wurden vom Tsunami stark dezimiert, den Seeigeln hingegen konnte die Flutwelle wenig anhaben. Sie machten sich ohne nennenswerte natürliche Feinde über den Algenwald her, vermehrten sich explosionsartig und sorgten für Meereswüsten.

Der Umstand, dass Seeigel, sobald sie keine Nahrung mehr finden, zwar die Reproduktion einstellen, aber Jahrzehnte weiterleben können, gibt ihnen einen entscheidenden Vorteil. Sie werden für Ihre Feinde – tierische Räuber wie Menschen ohne ihren Rogen unattraktiv als Beute –und schlummern, bis es wieder Nahrung gibt.

Die Idee, aus der Lösung dieses Problems ein Geschäftsmodell zu entwickeln und ins Aquakulturbusiness einzusteigen, um die Seeigel loszuwerden, hatte der Firmengründer (mit be-

Sea Urchin

Seeigel gehören zu den Stachelhäutern – wie auch Seegurken und Seesterne, darunter auch die wichtigsten Fressfeinde der Seeigel. Das Vorkommen von Seeigeln ist daher nicht nur stark von der Algenentwicklung und somit Wassertemperatur und -qualität abhängig, sondern auch von Beständen der Seesterne.

Versauerung betrifft zunächst kalkskelettbildende Lebewesen, deren Fähigkeit, Exo- bzw. Endoskelette zu bilden, bei sinkendem pHWert nachlässt.

Seeigel bevölkern weltweit die Meere, rund 950 Seeigelarten sind bekannt. Bereits 2013 hat eine Studie nachgewiesen, dass die Versauerung der Ozeane nicht nur ihre Skelette beeinträchtigt, sondern ihren gesamten Stoffwechsel.

BILD CHRIS NELSON
TEXT Irina Zelewitz
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Unterwasserwälder wachsen lassen

CO₂-Kompensationsprogramme zur Finanzierung von Waldschutzinitiativen gibt es seit den 1990er-Jahren. Die Aufnahme von Meeres-Aufforstungsprojekten oder Meeresschutzprojekten in diese Programme hat erst 20 Jahre später begonnen.

triebswirtschaftlichem, aber ohne naturwissenschaftlichem Hintergrund) angeblich eher zufällig, weil ihn die in Norwegen hoch entwickelte Aquakultur faszinierte, wie er erzählt. Es sollte sich für Takeda schnell herausstellen, dass das Problem ein weit globaleres war, als er angenommen hatte und die Gründe dafür, dass Seeigel Meeresgegenden verwüsten können, in einem komplexen System zu finden sind, das ihren natürlichen Feinden zusetzt. In Kalifornien etwa hatte die Forschung bereits Ende der 1950er-Jahre nicht nur versucht die Gründe für Schwankungen im Zustand der Kelpwälder zu identifizieren, sondern auch schon über gezielte Eingriffe in die Population der Seeigel nachgedacht. In den 2010er-Jahren wurden – vermutlich unterstützt durch einige Jahre extremer El-Niño-Strömungen und insofern wärmerer Wasser – große Teile der kalifornischen Kelpwälder zu Wüstenzonen gefressen. Begonnen hat das Ungleichgewicht hier aber spätestens mit dem massenhaften Töten von Fischottern Ende des 19. Jahrhunderts durch Pelzjäger – die Otter waren wichtige Seeigelfresser.

Dass Seeigel in vielen Weltgegenden zu wenige natürliche Feinde haben, ist häufig auf menschliches Verhalten zurückzuführen. Takeda will nun mit seinem Unternehmen dafür sorgen, dass der Mensch im großen Stil als Fressfeind der Seeigel einspringt.

HANDGESAMMELT FÜR DIE IGELRANCH

Er holt im Gegensatz zu den Fischern der Wildfang-Seeigel die schlummernden »leeren« Seeigel aus dem Meer, mästet sie zehn Wochen lang (ohne tierische Proteine) und verkauft sie um 400-500 US-Dollar pro Kilogramm. Seine erste für den kommerziellen Zweck installierte Ranch in Nagato, in der westjapanischen Präfektur Yamaguchi, soll so 34 Tonnen Seeigelgonaden jährlich produzieren. Die Entfernung

von 1400–1500 Kilogramm ermöglicht das Wiederentstehen von 1 Hektar Tangwald. 24 Hektar Tangwald rechnet sich Urchinomics daher aus mit einer Farm an einem der sorgfältig ausgewählten Standorte pro Jahr restaurieren zu können. Dieses von den Vereinten Nationen im Rahmen ihrer Ozeandekade (2021–2030) unterstützte Vorhaben hat auch das weltweit erste »Voluntary Blue Carbon«-Zertifikat zur Restaurierung von Tangwäldern erhalten. Wobei freiwillig hier ausdrückt, dass die Zertifikate nicht zum Offsetting von CO2-Emissionen gehandelt werden können – sprich um Zertifikate zuzukaufen, weil gesetzlich vorgeschriebene CO2-Emissionsmengen überschritten werden –sondern nur für freiwillige CO2-Kompensation, etwa von Unternehmen, die zu ihrer »Klimaneutralität« beitragen und dies bewerben möchten. Nicht überall stehen die Chancen für eine Regeneration des Unterwasserwaldes noch gut – Anfragen aus Griechenland etwa habe man bisher zurückgereiht. Es wird hart nach Erfolgsperspektive entschieden – aber nach ökologischer. Der ökonomische Erfolg ist ohnehin garantiert, glaubt man dem Firmengründer: Die Nachfrage sei in verrückte Höhen geschnellt und die Preise würden seit zwölf Jahren jährlich zweistellig steigen. Das Angebot an »wilden« Seeigeln sinkt gleichzeitig, weil viele Gegenden schon verwüstet sind und häufig nur mehr »leere« Seeigel im Schlummermodus zu finden sind. »Meistens verursacht Produktion negative Auswirkungen für die Natur. Je mehr wir produzieren und verkaufen, desto besser geht es der Umwelt«, schwärmt Takeda. »Plötzlich wollen alle die leeren Seeigel für uns aus dem Meer holen und an uns verkaufen. Wir verwandeln Abfall in Gold. Ich glaube daran, dass Kapitalismus, wenn wir es richtig machen, ein starker Antrieb für Veränderung zum Bessern sein kann.« Sobald die Algenwälder zurückkommen, kommen auch die Fische zurück, essen die Larven der Seeigel und es entsteht ein Gleichgewicht, das sich wieder selbst regulieren kann, so der Grundgedanke. Klar ist aber: Ohne ein Ende der Überfischung der Meere wird die Wiederherstellung nicht gelingen. Wer seinen Hunger auf den Geschmack des Meeres statt durch Fisch auch durch Seeigel zu stillen versuchen möchte, findet Uni der Preiseinstiegsklasse von den europäischen Küsten.

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»Ich glaube daran, dass Kapitalismus, wenn wir es richtig machen, ein starker Antrieb für Veränderung zum Bessern sein kann.«
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Brian Tsuyoshi Takeda, Unternehmer

DIE ZEIT DER ALGE

Nutztierhaltung und Fleischproduktion setzen das Land unter Druck. Nicht ein bestimmtes Land, Land im Sinne von Landnutzung. Wird Fleisch durch – zum Beispiel – Soja ersetzt, wird Druck vom Land genommen, das passiert allerdings bisher nicht ausreichend. Zur Ernährung von über 8 Milliarden Menschen ist die Fläche knapp. Außer, wir denken die globalen Wasserflächen mit und betrachten die Meere als Ackerfläche. Das Potenzial der Algen als nachhaltige Nahrungsquelle ist enorm, ihre Funktion im Ökosystem Meer zentral, ihre Integration in den europäischen Speiseplan erfolgt allerdings zögerlich. Noch ist mit ihnen also nicht das große Geschäft zu machen. Auf den Weltmärkten, den Warenbörsen und in den Containerschiffen dominieren immer noch Mais und Weizen. Aber die Algen stehen bereit. Grund genug, die Wasserpflanzen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ganz grundsätzlich. Bei den Algen gibt es eine derart umfassende, unfassbare Vielfalt, sodass wir mit den Nori-Blättern, dem Wakame-Salat und dem Spirulina-Pulver gerade einmal an der Oberfläche kratzen. Entspre-

chend ausufernd sind auch die Definitionsversuche, was alles Alge genannt werden kann: »Der Begriff Algen umfasst eine heterogene Organismen-Gruppe, deren Gemeinsamkeit es ist, dass sie Photosynthese betreiben und oft etwas mit dem Medium Wasser zu tun haben«, lautet etwa der Versuch von Josef Reichholf in seinem Grundsatz-Aufsatz zum Thema Algen im Journal Culinaire (Nr. 33/2021). Es gibt eine internationale Datenbank, in der 33.248 gelistet sind. In Wirklichkeit könnten es mehr als doppelt so viel sein.

Von diesen vielen Arten haben es noch nicht allzu viele in die Küchen der Welt geschafft. Die bekannten Speisealgen haben ihre kulinarischen Wurzeln in der asiatischen Küche. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Länder wie China, Indonesien, Japan oder Südkorea in Sachen Algenzucht die längste Tradition und mittlerweile auch die Nase vorn haben.

WHO’S WHO

Beginnen wir mit dem, was wir alle kennen: Nori. Das sind die dunklen, trockenen Algenblätter, die durch das Aufkommen der ersten

Algen sind in unterschiedlicher Form auch in Bioqualität verfügbar. Dabei handelt es sich immer um Kulturen. Mineralstoffe, die für die Zucht herangezogen werden müssen natürlichen Ursprungs sein. Etwa Gesteinsmehle.

BILD ISTOCK.COM/DEBORAH MAXEMOW
Der Acker im Meer. Rotalge. Zu dieser Familie gehört die Dulse. Die übrigens so heisst, weil sie süßlich (also dolce) schmeckt.
TEXT Jürgen Schmücking
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Der Musiker und Schauspieler Friedrich Liechtenstein erreichte durch den »Supergeil«-Werbespot 2013 einige Berühmtheit und hat kurz darauf begonnen, in TedTalks das Zeitalter der Alge auszurufen.

Sushi-Bars bei uns bekannt wurden. Die Algenblätter sind hauchdünn, zart, knackig und haben – vermutlich ihr Erfolgsrezept – einen dezenten Krustentier-Ton. Klassischerweise werden sie für Maki Sushi verwendet. Wobei Nori keine Sortenbezeichnung ist. Vielmehr steht der Begriff für etwa 25 bis 30 verschiedene Grün- und Rotalgen. Dementsprechend variiert auch die Farbe von graugrün bis violett schimmernd. Die Krabbennote hat auch zur Folge, dass Nori – gerieben – gerne als Gewürz für Fischgerichte oder Pasta verwendet wird.

SALATALGE

Wir gehen bei den Algen weiter, bleiben aber in Japan und der japanischen Küche. Kombu, die jodige Braunalge, die im Norden des Landes kultiviert und geerntet wird, ist die Grundlage für Dashi, und Dashi ist das Alpha und das Omega der Küche Japans. Ein Sud aus Kombu, Katsuobushi (getrockneter und gehachelter Bonito), der die Basis vieler Gerichte ist. Kombu schmeckt nussig und immer leicht geräuchert. Kombu ist eine Glutamatbombe. Will man jemanden erklären, was ›umami‹ ist und wie das schmeckt, macht man einen Sud aus der Alge und stellt die Schüssel hin. Da sind keine weiteren Worte notwendig. Außerdem, und das ist der gesundheitliche Aspekt, gibt es keine Alge mit einem höheren Anteil an Vitaminen und Mineralstoffen. Leider ist auch

der Jodgehalt recht hoch. Also für ein »All you can eat«-Buffet nicht wirklich geeignet. Wakame ist die vegetarische Alternative zur Auster. Oder zum Seeigel. Der grüne Algensalat ist Materie gewordene Meeresfrische. Dazu mit spannender, knackiger Textur. Verwendet wird Wakame entweder frisch, als grüner Algensalat. Macht aber auch als Suppeneinlage, als Beilage zu Fisch oder – getrocknet – als Gewürz was her. Die Herkunft ist übrigens wieder südostasiatisch: China, Japan. Südkorea.

NUDELPARTY

Frankreich- oder EnglandurlauberInnen sind möglicherweise schon einmal mit einem Gericht namens Meeresspaghetti überrascht worden. Die entsprechende Alge heisst auch ›Riementang‹, hat einen deutlich geringeren Jodgehalt (man kann also so richtig reinhauen!) und ist in allen kalten Meeren Europas daheim. Im Nordost-Atlantik, in der Ost- und der Nordsee. Geerntet werden die langen Riemen, die bis zu vier Meter lang werden können, bei Ebbe. Am Teller schmecken sie nach Mungobohnen, Meer und Muscheln. Perfekte Garnitur.

Letztlich noch ein Tipp für ambitionierte KöchInnen. Knorpeltang (bekannt auch als Irish Moss) ist eine Rotalge, die erstens über eine extrem ausgeprägte Krustentiernote und zweitens über unglaubliche Bindungseigenschaften verfügt. DIE Alge also, wenn es um Saucen, cremige Suppen oder Desserts geht. Man kann in der Küche damit sogar Gelatine oder Agar-Agar ersetzen.

»Die Zeit der Eiche ist vorbei, jetzt ist die Zeit der Alge.«
— Friedrich Liechtenstein, Musiker und Schauspieler
BILD ISTOCK.COM/SERGEY NAZAROV 52 BIORAMA 84 RUMKOSTEN
Fettuccine di mare. Das ist zwar nicht der wissenschaftliche Name der Riemenalge. Man könnte sie trotzdem so nennen.

Tierwelt Herberstein

VIELFALT DES LEBENS

29. Apr. bis 5. Nov. 2O23

BILD STEFAN MAYER/BRANDSTÄTTER VERLAG 54 BIORAMA 84 MIXED REALITY

DR NKS

Longdrinkrezepte für alle Gelegenheiten.

Komplizierter geht immer, was sich hier findet ist aber die alltagstaugliche Variante von Mocktailgenuss. Unbedingt Botanicals wild harvesten und Sirupe aromatisieren, Loorbeerbäume und Rosmarinsträucher pflanzen und die Zweige über Buchenholz -

Wacholder-Fizz

ZUTATEN FÜR CA. 1 LITER

• 100 ml WacholderZitronen-Ingwer-Sirup

• 20 ml Zitronensaft

ZUBEREITUNG

• 880 ml prickelndes Mineralwasser, gekühlt

• Biozitronenscheiben

chips räuchern. Aber bis das Früchte trägt, findet man schnelle Rezepte für alkoholfreie Drinks im Büchlein von Eva Derndorfer und Elisabeth Fischer. Samt DIY-Anleitungen in sehr überschaubarer Komplexität. Hier zwei Longdrinkrezepte mit kurzer Einkaufsliste.

Unmittelbar vor dem Servieren Wacholder-ZitronenIngwer-Sirup, Zitronensaft und Mineralwasser vermischen. In jedes Glas 1 Zitronenscheibe geben.

Schmeckt zu: Crostini mit Wildpastete, Sauerkrautsalat mit Apfel, Schillerlocken, Kürbis-Quiche.

Ingwersirup

ZUTATEN

• 100 g Ingwer

• 100 g brauner

ZUBEREITUNG

Wacholder Zitronen-Ingwer-Sirup

ZUTATEN

• 10 g getrocknete Wacholderbeeren

• 250 ml Wasser

ZUBEREITUNG

• 1 Biozitrone

• 5 g frischer Ingwer, fein gehackt

• 125 g Zucker

»ALKOHOLFREIE DRINKS« von Eva Derndorfer und Elisabeth Fischer, 2022, Brandstätter.

Rohrzucker

• 150 ml Wasser

Ingwer schälen, das geht am leichtesten, wenn man die Haut mit einem Teelöffel abkratzt. Ingwer fein reiben. In einem kleinen Topf Ingwer, braunen Zucker und Wasser vermischen, zum Kochen bringen und kurz köcheln, bis sich der Zucker aufgelöst hat. Abkühlen lassen, die Flüssigkeit durch ein feines Sieb streichen. Im Kühlschrank hält sich der Sirup 1 Woche.

Wacholderbeeren mit 100 ml kochendem Wasser übergießen, 10 Minuten ziehen lassen. Wacholderbeeren in ein Sieb abgießen, Flüssigkeit auffangen. Wacholderbeeren im Mörser leicht zerstoßen oder grob hacken. Schale der Zitrone sehr dünn abschneiden und in feine Streifen schneiden. Wacholderbeeren, Ingwer, Zitronenschalen, Zucker, Garflüssigkeit der Wacholderbeeren und 150 ml Wasser zum Kochen bringen. Sirup 5 Minuten zugedeckt köcheln, vom Herd nehmen, 1 Stunde ziehen lassen, durch ein Sieb gießen und abkühlen lassen.

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TEXT Irina Zelewitz
Rezepte aus:
BILD STEFAN MAYER/BRANDSTÄTTER VERLAG BIORAMA 84 MIXED REALITY 56

Wermut-Tonic

ZUTATEN FÜR 1 GLAS

• 50 ml kalter Wermut-Tee (siehe unten)

• 3 Eiswürfel

ZUBEREITUNG

• 200 ml Tonic

• 1 Orangenscheibe

100 % Cocktail -Genuss, 0 % Alkohol!

Du willst Cocktail-Genuss ganz ohne Hochprozentiges?

Mit diesem würzigen Walcholdersirup bekommst du das ganz einfach Gin!

Wermut-Tee in ein Longdrinkglas gießen. Eiswürfel daraufgeben, mit Tonic aufgießen. Orangenscheibe ins Glas geben. Serviert im Longdrinkglas

Wermut-Tee

ZUTATEN FÜR 300 ML

• 2 TL getrocknete Wermutblätter

ZUBEREITUNG

• 300 ml kochendes Wasser

Wermut-Tee mit kochendem Wasser übergießen, 5 Minuten ziehen lassen. Tee abgießen und abkühlen lassen, kalt stellen.

Tipp: Sehr praktisch ist, gleich eine größere Menge Wermuttee zuzubereiten. Er hält 2 Tage im Kühlschrank und man hat jederzeit die entscheidende Zutat für das Wermut-Tonic zur Hand – oder besser, im Glas.

MICH SÜSST NUR DER APFEL

Tipp:

Noch mehr spritzige Ideen findest du unter:

GINGER-MOCKTAILS

Keinen Alkohol, aber viele Kräuter oder Ingwer bieten diese MocktailZutaten. Für London Mule und andere Mischgetränke.

Jeder berühmte Cocktail hat auch eine Geschichte zu seiner Entstehung, oder mehrere. Deren Wahrheitsgehalt ist meist schwer ermittelbar, das stört allerdings weder Mythenbildung noch Genuss. Gin und andere Spirituosen werden zum Beispiel gemeinsam mit Ginger Ale seit über hundert Jahren zu Cocktails gemischt. Das geht allerdings natürlich auch ganz ohne Alkohol. Nur Gin darf das dann nicht genannt werden. MARTIN MÜHL

1Boar Zero, Dieses alkoholfreie Biodestillat aus dem Schwarzwald verbindet den würzigen Wacholder mit Thymian-, Lavendel-, aber auch Zitrus- und Koriandernoten. Insgesamt 19 Biokräuter und Wasser aus der eigenen Schwarzwaldquelle werden dafür sanft destilliert. 24,95 Euro boargin.de

2

Lungaus Gentle Giant

Botanical Water, Trausners produziert in Mauterndorf im Lungau Biomarmelade, Sirup, »Enzo«-Limonade oder auch Spirituosen. Und mit den »Gentle Giant Botanical Water« eine alkoholfreie Gin-Alternative mit 16 wasserdampfdestillierten Biogewürzen und Quellwasser aus dem Biosphärenpark. Das Ergebnis: edel mit kräftigen Kräutern und einer frischen Note nahe Zitrusfrüchten. 28,60 Euro trausners.at

3

Rick Free, In Wien Wieden werden »Rick Spirits« produziert – mit einer Schlagseite Richtung Gin. Manche davon bio. So auch der »Rick Free«, eine alkoholfreie Ginalternative mit unter anderem Wacholder, Süßholzwurzel (Lakritz) und Orange. Geschmacklich schon ziemlich nah an Gin. 32,90 Euro rick-spirit.com

4 Limestone Ginger Beer, Aus Südtirol kommen unter dem Namen Limestone eine ganze Reihe von Biodrinks wie Tonics, Bitter und Fruchtlimonaden. So auch dieses eher intensive Ginger Beer, das weder an Schärfe, noch an Süße spart. 1,95 Euro limestone-drinks.com

5

Doc’s Ginger, Zwei Leidenschaften, die zur Zahnmedizin und die zum Ingwer, haben Doc’s Ginger dazu bewegt, zuckerarme Getränke mit möglichst geschmacksintensiven Biozutaten herzustellen. Neben Tonic Water und Bitter Lemon auch dieses Ginger Beer. 2,49 Euro docsginger.de

BILD BOAR,
58 BIORAMA 84 MARKTPLATZ DRINKS
TRAUSNER, DRINKFABRIK, RICK, DOCS GINGER, SONNENTOR, GIMBER, VOELKEL

6

Tschinn Tschinn Sirup, Sonnentor liefert mit dem Sirup aus Apfelsaftkonzentrat und Wacholderbeerauszug einen feinen Beitrag zur Ergänzung der meist recht fruchtbetonten Biosiruppalette. Mit Soda, Gurkenscheiben und etwas schwarzem Pfeffer kommt noch mehr Cocktail-Feeling im Glas auf. 9,99 Euro sonnentor.at

Barkeeper‘s Selection

7

Gimber, Das intensive Ingwer-Konzentrat mit etwas Zitrone und Kräutern und der Besonderheit, dass es dem Ingwer die würzige Schärfe lässt und schon in der Standardvariante (vergleichsweise) wenig süß ist. Mittlerweile gibt es auch zuckerreduzierte und tropische Geschmacksvarianten. 29,95 Euro gimber.com

8

Voelkel Ingwer

Sirup, Voelkel mixt seinem Ingwer-Sirup eine ordentliche Portion Zitrone sowie Wacholder, Thymian und Hopfen bei. Weniger scharf und intensiv, daher auch vielseitig kombinierbar und sommers auf Eis wie winters heiß genießbar. 6,49 Euro voelkeljuice.de

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NEU ODER NOCH GUT

Empfehlungen, Warnungen, warnende Empfehlungen. Von Neuentdeckungen und alten Perlen. Auf dass uns Weghören und -sehen vergeht.

SCOTT WEIDENSAUL / »AUF SCHWINGEN

UM DIE WELT« / Hanserblau im Carl Hanser Verlag, 2022.

king dort mit einem Federstrich riesige Salzpfannen unter Schutz stellt. Es gäbe also noch Hoffnung – zumal mit der Technik leichtgewichtiger Geolokatoren einen Quantensprung in der Vogelforschung. GUNNAR LANDSGESELL

DAVE GOULSON / »STUMME ERDE. WARUM WIR DIE INSEKTEN RETTEN MÜSSEN« / CARL HANSER VERLAG, 2022.

Gelesen für alle, die von Scott Weidensaul lesen möchten, was uns Vögel über den Zustand des Planeten erzählen können.

Nicht jeder Wissenschaftler hat das Talent, wie Scott Weidensaul, im Stil des »Nature writing« zu erzählen und dabei seine Reise- und Forschungsberichte mühelos mit Fakten anzureichern. Der renommierte US-amerikanische Ornithologe, Autor dutzender Bücher, lebt für die Vogelbeobachtung – und davon lebt dieses Buch. Wie prekär der globale Vogelzug über viele Tausend Kilometer ist, und welche technischen und physischen Höchstleistungen Vögel dabei vollbringen, wird einem mit dieser Lektüre ein Stück weit klarer. Ein Vogel, der 10.000 Kilometer nonstop fliegt, der sein Körpergewicht für diese Strapazen verdoppelt (was den Menschen in ernste Schwierigkeiten bringen würde), der ist am Ende seiner Reise dringend auf Futter und intakte Habitate angewiesen. Weil diese zunehmend verschwinden, handelt leider auch dieses Buch zwangsläufig von der Krise der Zugvögel. Allerdings: Weidensaul erzählt nicht nur von großflächigen Zerstörungen am Gelben Meer, wo Millionen Vögel rasten, sondern auch davon, wie Pe-

Gelesen für alle, die Insekten als Systemerhalter neu entdecken möchten.

Nein, man kommt auch als Wissenschaftler nicht dem Hinweis aus, welche Dienste Insekten indirekt für uns Menschen verrichten. Wespen, lästige Aasfresser (das bringt sie in Konkurrenz zum Menschen) vertilgen etwa jede Menge Schädlinge von unserem Gemüse. Ameisen lockern den Boden, und Käfer verarbeiten Berge von Kuhkacke. Soweit der Nützlichkeitsdiskurs, womit Insekten sich ihre Daseinsberechtigung also verdient haben sollten. Aber im Ernst: Die Zeiten, als EntomologInnen als etwas sonderlich belächelt wurden, sind längst vorbei. Das erkennt man nach wenigen Zeilen Lektüre in diesem Buch. Goulson gelingt es erneut, sein Publikum in die Pers-

BILD HANSERBLAU, ULLSTEIN
BIORAMA 84 REZENSIONEN
61

pektive von Ökosystemen zu bringen und damit den wichtigen Blick auf größere Zusammenhänge zu schaffen. Die Ursachen des dramatischen Insektensterbens nehmen dementsprechend viel Platz ein. Goulson vergisst aber auch nicht zu erzählen, mit welch vergleichsweise geringen Mitteln eine Trendwende noch möglich wäre. Dass es daran scheitert, ein paar Brachen bestehen zu lassen und die Landwirtschaft wieder zum Diversitätsmotor zu machen, wirkt schon fast wie Zynismus. Insofern ist auch Goulsons Titel gut gewählt, der auf Rachel Carsons Öko-Klassiker »Der stumme Frühling« vor 60 (!) Jahren verweist.

ANTON KARLE / »ELEKTROMOBILITÄT –

GRUNDLAGEN UND PRAXIS« / Hanser, 2022.

und auf die rasche Vermittlung von Informationen und Fakten ausgerichtet. Auf der anderen Seite ist es für jene, die sich dem Buch nicht ganz so zielgerichtet widmen, auch etwas nüchtern, spröde und reich an technischen Details. »Elektromobilität – Grundlagen und Praxis« erfüllt aber den Zweck, den es erfüllen will, ziemlich gut und doch kompakt.

NED BEAUMAN / »DER GEMEINE LUMPFISCH« / Liebeskind, 2023.

Vorgelesen für alle, die einen eher technischen Zugang zum Thema Elektromobilität in Inhalt und Stil suchen. Ein Lehrbuch.

Auf knapp über 250 Seiten fasst Anton Karle den aktuellen Stand zum Thema Elektromobilität leicht verständlich und akkurat zusammen. Sein Standardwerk erschien hier bereits in der 6. Auflage und wurde dabei inhaltlich wieder aktualisiert, um auf dem neuesten Stand zu sein und formuliert bemüht neutral und sachlich. Wer sich schon mit dem Thema beschäftigt hat, wird vieles, das hier zusammengetragen wurde, bereits kennen. Das Buch ist als leicht zugängliches Lehrbuch konzipiert, das auch für verschiedene Unterrichtszwecke und zur Prüfungsvorbereitung eingesetzt werden kann (und vielleicht auch wird). Insofern ist es leicht verständlich

Gelesen für alle, die über ein fiktives Artensterben lachen und weinen wollen.

Beim Lesen dieses Romans reibt man sich immer wieder die Tränen aus den Augen. Wobei nicht immer klar ist, ob einen die Tragik dieser Dark Comedy zu Tränen rührt; oder ob diese doch vom Lachen herrühren und vom Heidenspaß, den die Lektüre bereitet. Manchmal ist beides der Fall. Denn dieses Buch ist absolut irre, absolut plausibel und im allerbesten Sinne ver-rückt. Es spielt in naher Zukunft, gefühlt übermorgen. Die Klimakatastrophe und das Artensterben sind zum Geschäftsmodell geworden. Nach dem Aussterben des »Großen Pandas« kaufen Konzerne Auslöschzertifikate, wenn durch ihre Tätigkeit die letzten einer Art ausgelöscht werden. Besonders teuer wird das, wenn es sich um eine intelligente Spezies handelt, wie beispielsweise den Gemeinen Lumpfisch (»Venomous Lumpsucker«, so auch der Buchtitel im britischen Original). Womöglich – lange wissen wir es beim Lesen nicht – haben die vollautomatisierten Abbaudrohnen der Brahmasamudram Mining Company, für welche die Prota-

BILD HANSER, LIEBESKIND VERLAG, MAGELLAN
BIORAMA 84 REZENSIONEN
GUNNAR LANDSGESELL
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MARTIN MÜHL

gonistInnen arbeiten, am Meeresboden durch ein Versehen die allerletzten Lumpfische ausgerottet. Die hyperrealistische Wucht, die inhaltliche Breite und die gedankliche Tiefe dieses von Marion Hertle für das Münchner Verlagshaus Liebeskind ins Deutsche übersetzte Buch überwältigt. Fast schämt man sich für die Freude, mit der man dieses große zynische Buch liest. Und spekuliert wenn schon nicht mit Auslöschzertifikaten dann doch darauf, dass einem Werk und Name Ned Beauman (Jahrgang 1985) wieder begegnen wird.

Angeschaut für Kinder, die sich gerne in verträumten Bilderbuchseiten verlieren.

So manche Strophe, die Mutter Erde höchstpersönlich an Lesende und die Zuhörerschaft richtet (»Mein liebes Kind, dein junges Leben, grad beginnt«), zwingt einen schon zum Versuch, sich in eine Vorstellung der englischen Originalfassung zu flüchten. Die recht affirmative »lyrische Liebeserklärung an unsere Flora und Fauna« funktioniert allerdings ohnehin vor allem durch die Zeichnungen von Melissa Castrillon, die fast jede Seite dieser Reise über Stock und Stein zu einer Einladung machen loszuziehen und sich rosarote Naturwelten zu erschließen. Ein Bilderbuch, mit dem man Kind und nicht angeleinten Fantasie-Begleithund getrost ohne Vorlesespur allein auf eine Fantasiereise ziehen lassen kann. Der Umwelt-Buchtipp der deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V. für das Jahr 2023.

IRINA ZELEWITZ
NINA LADEN, MELISSA CASTRILLON / »EIN ORT VOLLER WUNDER« / Magellan, 2023.
THOMAS WEBER Copyright:Hans-JürgenSessner Die beste Mama der Welt unterstützt den Schutz der Insekten, eine Landwirtschaftbienenfreundliche und die Reduzierung von Pestiziden mit einer Geschenk- Patenschaft für Bienen Radolfzell, 16.11.2022 Copyright: Die beste Mama der Welt unterstützt den Schutz der Insekten, eine Landwirtschaftbienenfreundliche und die Reduzierung von Pestiziden mit einer Geschenk- Patenschaft für Bienen Radolfzell, 16.11.2022 © Lars Baier Schnell und praktisch: Sie verschenken eine Spende und drucken die Urkunde selbst aus! Wir kämpfen gegen Chemie auf dem Acker. Deutsche Umwelthilfe e.V. | Tel. 07732 9995-0 | Fax: -77 Fritz-Reichle-Ring 4 | 78315 Radolfzell | info@duh.de www.duh.de Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft Köln IBAN: DE45 3702 0500 0008 1900 02 BIC: BFSWDE33XXX Blüten für die Wildbienen! www.duh.de/spenden/geschenk umwelthilfe

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Wer Weizen sät, wird Pizza backen

Wir erinnern uns: Think global, act local. Das gilt mehr denn je in Ernährungsfragen. BIORAMA begleitet deshalb die Erntesaison des Wiener Welttellerfelds für das Projekt »Pizza Glokale«. Nach der Aussaat von Weizen und dem Anbau von Gemüse Ende April ist für 22. September die gemeinsame Ernte angesetzt, samt Mehlmahlen und Pizzamachen direkt im Ofen. »Wir wollen unseren TeilnehmerInnen die Möglichkeit geben, am interaktiven Welttellerfeld die komplexen Zusammenhänge des globalen Ernährungssystems auf einer konkreten Fläche zu erleben«, sagt Organisatorin Kornelia Zipper.

biorama.eu/pizza-glokale-wien

25,–+

OUT SOON!

Die BIORAMA-Niederösterreich-Regionalausgabe

Niederösterreich umgibt die österreichische Bundeshauptstadt Wien, da liegt es uns besonders nahe, schwerpunktmäßig darüber zu berichten, was dort nachhaltig bewegt. In der nächsten Regionalausgabe dreht sich wieder vieles um Nahrung und ihre Grundlagen. Einerseits um nachhaltige, bleibende Werte für Lebensmittelproduktion, Kulinarik, Wirtshauskultur. Andererseits um die Lebensadern, die Land und Äcker fruchtbar machen, um das Leben im Fluss.

BILD BIORAMA, KORNELIA ZIPPER
BIORAMA 84 AUS DEM VERLAG
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ABO

Uswatta

DE-ÖKO-006 Wir machen Bio aus Liebe. Mehr Infos: Jedes Produkt spendet 1 Cent für öko-soziale Projekte. Das ergibt über 750.000 € pro Jahr. Jetzt zugreifen und die Welt verbessern: „Wir
machen bio aus liebe Für eine bessere welt.“
Patabadige
Bio-Kokosbauer, HAND IN HAND-Partner
Sri Lanka
Upali
aus

TEXT

Ursel Nendzig

FAMILIENFREUNDLICH

Es ist nicht einfach, die ganze Familie glücklich zu machen. Beim Thema Wandern verhärten sich die brüderlichen Fronten.

Ich habe Wandern immer schon geliebt. Ich war stolz auf meine ersten Wanderschuhe, marschierte ohne Jammern jede noch so lange Strecke, sang Wanderlieder, setzte mir dazu ein Hütchen auf oder flocht mir zwei Zöpfe; wenn man mich hätte lassen, ich hätte ein Dirndl angezogen und durchgehend Hopserlauf gemacht. Ich hatte sogar ein Tourenbuch im Edelweiß-Design, in das ich alle unternommenen Wanderungen notierte und stolz diese Stempel hineindrückte, die es auf Berghütten oder Aussichtspunkten gibt. Ich liebte Wandern, obwohl mein Papa (ein passionierter Hochalpinist) bei der Wahl der Routen nicht zimperlich war. So etwas wie »familienfreundliche« Wege waren uns zu minder.

»Familienfreundlich« ist überhaupt ein spannender Begriff, wenn wir von Wandern und generell Aktivitäten in der Natur meiner Familie sprechen. Denn die beiden Söhne reagieren unterschiedlich freundlich aufs Wandern.

Der große Sohn verkündet vom Zeitpunkt der Ankündigung, dass am Wochenende raus in die Natur gegangen wird, bis zu mehreren Tagen nach der Rückkehr von ebendiesem Ausflug, wie sehr er Wandern liebe. Er ist dabei, ganz, wie es seinem Naturell entspricht, emotional und mitteilungsbedürftig. Während einer Wanderung betont er also permanent, wie glücklich er sei, wie schön es sei, wie grün alles sei, wie beeindruckt er sei, wie perfekt seine Wanderschuhe seien, wie gut das Wasser schmecke und wie er überhaupt nicht verstehen könne, dass man Wandern nicht als das einmalig Tolle erkennen könne, das es sei.

Der kleine Sohn verkündet beim »W« von Wandern, bis zu mehreren Tagen nach der Rückkehr, wie sehr er es hasse, sinnlos durch die

Natur zu latschen. Er ist dabei, wie es seinem Naturell entspricht, mit seinem gesamten Körper grantig. Von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln ein einziger Grant. In diesen Grant steckt er all seine Energie, die ihm dann zum Wandern zu fehlen scheint. Mühsam schleppt er sich bergauf, jeder Schritt die reinste Pein. Die Jause schmeckt ihm nicht, die Farbe Grün stört, das Blätterrascheln nervt ihn. Die übertrieben gute Laune des großen Bruders macht alles noch schlimmer. Der kleine Sohn hinterfragt den Sinn des Ausflugs, des Lebens, der Natur an sich.

Er hält den Grant lange durch. Er ist auch dann noch grantig, wenn am Wegesrand Stöcke gefunden werden, die wie Macheten aussehen und mit denen man herrlich auf Altholz he-

rumschlagen kann. Und wenn man einen rätselhaften Kackhaufen findet, dessen Verursacher man dann auf die Spur geht, durchs Unterholz streifend, auf der Suche nach einer Fährte. Auch beim Erklimmen des Aussichtsturmes, selbstverständlich im Wer-ist-alserster-oben-Modus. Auch beim Wett-Weitsprung, beim Umlegen von halb umgefallenen Bäumen, beim Wiese hinunterrollen, beim Laut lachend blöde Witze erzählen, beim Bockerl-Weitwerfen (Kiefernzapfen), beim Äste-, die wie Pistolen aussehen, Finden oder beim So-hoch-hinauf-Klettern, wie man sich traut.

Bei all dem ist der kleine Sohn saugrantig und tut nur so, als hätte es ihm Spaß gemacht. Das hat es natürlich, wie immer, überhaupt kein Bisschen.

ILLUSTRATION NANA MANDL
»So etwas wie »familienfreundliche« Wege waren uns zu minder.«
Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn.
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Fotos: Tobias Köhler, Emi Massmer, Theiner’s
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