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Elternalltag

TEXT Ursel Nendzig

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn.

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IS SO

Der Pragmatismus des kleinen Sohnes bringt mich vom Weinen zum Lachen und wieder zurück. Und das is gut so.

Die Volksschulzeit des kleinen Sohnes ist vorbei. Damit endet auch meine eigene Lebenszeit, die mich mit der Volksschule verbindet, nach vier Jahren als Schülerin und sechs Jahren als Mutter. Zehn Jahre meines Lebens, ein Viertel. Und sollte ich nicht als Lese-Omi zurückkehren, was ich aus heutiger Sicht fix ausschließen kann (Gruppen von mehr als zwei Kindern machen mir Angst! Kindergeburtstage: Horror! Begleitperson bei Ausflügen: Schrecklich! Organisation einer Rätselrallye: Hilfe! Basteln mit Kindern: Ich kündige!), wird es das für mich und die Volksschule gewesen sein.

Ich bin über die Maßen traurig deswegen. Wobei, wer entscheidet schon über das rechte Maß an Traurigkeit, wenn Lebensabschnitte enden? Ich bin jedenfalls sehr, sehr traurig. Das Schlimmste war die Verabschiedung in der Klasse. Alle haben geweint, die Kinder, die Eltern, die Lehrerin, sogar die Frau Direktor hatte Tränen in den Augen. Es war einfach nur schrecklich. Der kleine Sohn konnte der Verabschiedung nicht beiwohnen, er war in Coronaquarantäne und nur per Videokonferenz dem Geschehen zugeschaltet. Hätte ich gewusst, wie sehr wir alle heulen würden, ich hätte auch lieber per Video zugeschaut. Es war so schlimm, dass mir einen halben Tag die Augen brannten, es war der reinste Flashback zum großen Liebeskummer von 1995.

Teils mag es der Videosituation geschuldet sein, teils aber seinem Wesen: Der kleine Sohn verdrückte kein einziges Tränchen. Er nahm es, wie er alles im Leben nimmt, nämlich fest entschlossen und mit der ihm typischen »Is so«-Mentalität.

»Is so« ist im Übrigen gerade die Floskel des Tages. Der kleine Sohn treibt seinen großen Bruder damit in den Wahnsinn. Weise ich beispielsweise darauf hin, dass schon wieder siebenundzwanzig Paar benutzte Socken im ganzen Haus verteilt liegen, rollt der soeben gemaßregelte große Sohn mit den Augen, der kleine springt mir zur Seite und sagt: »Is so!« Er liebt es, wenn er noch eins draufsetzen kann, und biegt sich vor Vergnügen, wenn er merkt, dass der andere deswegen ausrastet. Geschwister halt. Jedenfalls gab es zum Volksschulabschied eine Klassenzeitung, die ich, natür-

»Wer entscheidet schon über das rechte Maß an Traurigkeit, wenn Lebensabschnitte enden?«

lich bewaffnet mit einem Großpack Taschentücher, durchblätterte. Diese Kinder sind einfach so großartig! Für jedes Kind gab es eine Doppelseite, auf der sie eintragen konnten, was ihr Lieblingsessen, ihr liebstes Buch, ihr liebstes Schimpfwort usw. ist. Am meisten brachte mich die Rubrik »in 20 Jahren werde ich …« zum Schniefen. Ihre kühnsten Träume hielten sie dort fest, diese süßen Kinderchen, dass sie glücklich sein würden oder Tierärztin. Beim kleinen Sohn musste ich dann doch lachen, er hatte geschrieben: „… Müllmann sein.« Ich musste laut lachen, auch das schafft er am besten, und zeigte darauf, mit fragendem Blick. »Müllmann, das find ich ja spannend!« Er sagte nur: »Is so.« Ach, Kind, ich möchte mir eine große

Scheibe abschneiden von dir. Is so.