BIORAMA 77 Deutschlandausgabe

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AUSGABE 77 — FEBRUAR / MÄRZ 2022. WWW.BIORAMA.EU — DEUTSCHLANDAUSGABE

KOSTENLOS — ABER ABONNIERBAR

P.B.B. — 11Z038861 M — 1060 WIEN

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REGIONALE EXOTIK

Wer braucht Neues in und aus der hiesigen Kulturenlandschaft? Prinzessin unter den Erbsen: Nussgenuss aus europäischer Erde. Harter Stoff: Die Brennnessel ist robuster und weicher, als man meint. Eisige Wärme: So herzerfrischend und wohlig ist der Schwumm im kalten Wasser.

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E D I T O R I A L , IM P R E SSU M

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REGIONALITÄT HAT SAISON

I CO VER ISTOCK.CO M/MATTHEWLE ES DIXON, SE RGE -KAZ AKO V, YU RIY _KULI K, KAN NI KA 20 13, N IK ITJE , CA MPTOLOMA, DIGIMANN, OKANMETIN, FEDERICO CARDAIO, DENIRA777, BILD BIORAMA/MICHAEL MICKL

n einer romantischen Vorstellung sorgt der Klimawandel dafür, dass wir ein bisschen südliches Flair nach Mitteleuropa bekommen. Endlich Palmen, Urlaubsfeeling zuhause quasi. Und auch für die Landwirtschaft bietet das Chancen. Wir vergessen kurz, dass die Gefahren der Klimaerwärmung auch hier leider die Chancen überwiegen, und fragen uns daher: Ist es denn sinnvoll, Lebensmittel zu importieren, die inzwischen auch regional produziert werden können?

Zur Veranschaulichung gibt es auch Zahlen, mit denen wir auf den folgenden Seiten nicht sparen, und Geschichten, die diese greifbar machen sollen. Eine Zahl, die wir allerdings kaum je erwähnen, sind die Importkilometer eines Lebensmittels. Darüber haben uns noch keine Beschwerden erreicht. Denn euch, liebe LeserInnen, ist klar: So einfach ist das Ganze nicht, wenn man grob einschätzen will, welches Lebensmittel zu konsumieren einem nachhaltigen Lebensstil entspricht. Nützlicher sind da schon CO2-Fußabdrücke. Die schlechte Nachricht: Auch sie dienen in erster Linie dem Vergleich und nicht der Absolution. Die gute: Es beschäftigen sich laufend mehr Menschen damit, transparent zu machen, wie auch die Erfüllung anderer Nachhaltigkeitskriterien nachvollziehbar wird. Als Gesellschaft sind wir dabei, zu lernen, was es wie sehr zu berücksichtigen gilt, wenn wir unsere Lebensgrundlage bewahren wollen. Regionalität ist dabei ein zentrales Kriterium – im Kontext mit Saisonalität und umfassender Ressourcenschonung. Es ist in vielen Fällen sinnvoll, Lebensmittel regional zu produzieren, die bisher meist importiert wurden – und in manchen wäre es dringend nötig, den Anbau endlich sein zu lassen. Wegen des Klimawandels und auch gegen diesen. Regionalität als Fetisch ist – ökologisch – wertlos. Wir haben uns angesehen, was Menschen machen, die das Thema differenziert betrachten – und muten euch wieder einmal auf den ersten Blick Widersprüchliches zu. Wir wünschen gute Lektüre!

Irina Zelewitz, Chefredakteurin zelewitz@biorama.eu

Thomas Weber, Herausgeber weber@biorama.eu @th_weber

IMPRESSUM HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTEURIN Irina Zelewitz AUTORINNEN Annalena Eisfeld, Andrea Heistinger, Florian Jauk, Ursel Nendzig, Jürgen Schmücking, Thomas Weber GESTALTUNG Selina Schobel, Stefan Staller LEKTORAT Mattias Feldner COVER­BILD ­Selina Schobel ANZEIGENVERKAUF Herwig Bauer, Tanja Grossauer-Ristl, Thomas Weber DRUCK Walstead NP Druck GmbH, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Biorama GmbH, Windmühlgasse 9 / 14, 1060 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Martin Mühl KONTAKT Biorama GmbH, Windmühlgasse 9/14, 1060 Wien; www.biorama.eu, redaktion@biorama.eu BANKVERBINDUNG Biorama GmbH, Bank Austria, IBAN AT44 12000 10005177968, BIC BKAUATWW ABONNEMENT www.biorama.eu ERSCHEINUNGSWEISE BIORAMA 6 Ausgaben pro Jahr ERSCHEINUNGSORT Wien. BLATTLINIE BIORAMA ist ein unabhängiges, kritisches Magazin, das sich einem nachhaltigen Lebensstil verschreibt. Die Reportagen, Interviews, Essays und Kolumnen sind in Deutschland, Österreich und der ganzen Welt angesiedelt. Sie zeigen Möglichkeiten für ein Leben mit Qualität für den Menschen und den Planeten Erde. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. BIORAMA erscheint sechs Mal im Jahr. Zusätzlich erscheinen wechselnde BIORAMA-Line-Extentions.


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AU F TAK T

77 INHALT

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Editorial

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Street Talk Global Village Newcomer der Ausgabe Regionstropisch

08 10 11

Südfrüchte kommen in den Norden. 18

Peanuts Die Erdnuss bahnt sich ihren Weg auf europäische Äcker.

22

Die Neo-Nischenbeere Zwei Landwirtschaftsbetriebe versuchen ihr Gojiglück.

26

Schöne neue Gemeinsame Agrarpolitik Brigitte Reisenberger im Interview.

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Mischkultur Exotische Geschmäcker aus dem eigenen Garten.

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Heilkräuter für die Kleinsten? Die Kräuterapotheke kann Linderung verschaffen.

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Die weiche Seite der Brennnessel Das Kraut ist nicht nur Heilpflanze des Jahres 2022, sondern auch robuster Rohstoff.

40 Solarkreislauf Wie entsorgt man Solaranlagen und welche Teile können weiterverwendet werden? 46

Herzerfrischung Manche gehen statt kalt duschen lieber in eisigen Gewässern baden.

50

Süßer die Flocken Das ist aus dem typischen Bioprodukt geworden.

Waste-Dünger Nährstoffschub aus Bananenschale – ohne Kompost oder Wurmkiste.

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22 DIE BEERE, DIE AUS DEM OSTEN KAM

Diversifizierung: Zwei Landwirtschaftsbetriebe versuchen ihr Gojiglück.

Kochbuchempfehlung Convenience-Bites.

60

Rezensionen Empfehlungen, Warnungen.

MARKTPLATZ 62

Marktplatz Food Ins Glas geschaut.

KOLUMNEN 64 66

Aus dem Verlag Elternalltag

BILDER ISTOCK.CO M/S AS HA SHUKIN, BIOHOF VON MENTZ ING EN, ZAG LER

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Kochen leicht gemacht

NESSELZART

Die Brennnessel hat auch außerhalb der Kräuterküche beachtliche Kräfte. Ihr Erfolg als Textilrohstoff wird aber stark von der Konkurrenz, der Baumwolle, abhängen.

50 ÖKO-URSPRUNGSPRODUKT

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ST R E E T TA L K

STREET TALK WIR FRAGEN, 11 VIELFÄLTIGE ANTWORTEN

» WIE HÄLTST DU ES MIT IMPORTFRÜCHTEN?« INTERVIEW UND BILD FLORIAN JAUK UND ANNALENA EISFELD

HENRIQUE

24, Maschinenbauer »Ich lebe in Portugal. Dort versuchen wir sehr stark, auf lokale Produkte aus der Umgebung zu setzen, aber es gibt auch Dinge, die dort nicht wachsen, wie beispielsweise Mangos, die ich selten, aber doch kaufe.«

KIRILL

30, Global Change and Sustainability Student »Ich versuche, keine importierten Früchte zu kaufen, weil ich denke, dass wir für eine nachhaltige Zukunft lokale Produkte auf lokalen Märkten kaufen müssen. Das ist mein Hauptargument. Wenn ich aber doch einmal importierte Früchte kaufe, sind es Mandarinen, aber meistens esse ich im Winter Äpfel.«

CLARA

21, Lehramtsstudentin in Deutsch und Sport »Ich versuche darauf zu achten, einheimische Früchte zu kaufen. Vor allem zu Jahreszeiten, zu denen es sowieso genug davon in Österreich gibt. Bananen kann man nur importieren, die kaufe ich ab und zu. Eine Avocado oder eine Mango, wenn sie im Angebot ist. Ich suche den Mittelweg und versuche deswegen maximal zwei bis drei Mal im Monat Importfrüchte zu kaufen.«

SIMONE

45, Angestellte »Ich kaufe grundsätzlich schon Importfrüchte, weil ich beispielsweise gerne Bananen esse, sie sind eine besonders gute, süße Abwechslung im Winter, wenn es keine Beeren oder Kirschen gibt. Es ist mir ganz besonders wichtig, Früchte, die auch saisonal bei uns wachsen, nicht außerhalb der Saison zu importieren. Das heißt, keine Erdbeeren und Tomaten im Winter. Erdäpfel aus Chile kommen für mich nicht infrage.«

KLAUS

67, pensionierter Selbstständiger »Ich kaufe ab und an importierte Südfrüchte wie Orangen und Zitronen im Winter, wenn sie in ihrem Anbaugebiet Saison haben. Im Sommer kaufe ich von dort, wo sie wachsen, gerne Tomaten.«


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GISELA

59, Wissenschaftlerin »Ich versuche, Importfrüchte zu meiden, und habe mir deren Kauf fast komplett abgewöhnt und kaufe mittlerweile fast nur noch österreichisches Obst und Gemüse. Ganz selten kaufe ich noch Bananen und Physalis, einfach weil sie mir schmecken.«

ANDREA STEFI

22, Architekturstudentin »In meiner Heimat Rumänien schmeckt das Obst und Gemüse besser als hier, würde ich sagen. Ich versuche, auch im Winter lokales Obst und Gemüse zu kaufen, aber ab und zu kaufe ich importierte Mangos, Erdbeeren und Heidelbeeren.«

YEN-HUEI

ALEXANDER

31, Parkaufseher »Ich kaufe das ganze Jahr über rein österreichisches Obst und Gemüse, wenn ich Tomaten esse, baue ich die selbst an und friere sie für den Winter ein. Das funktioniert wunderbar! Das tue ich einerseits, um Kosten zu sparen, und andererseits für die Umwelt. Außerdem schmeckt das selbst angebaute Obst und Gemüse auch viel besser.«

65, pensionierte Physikerin »Ich muss gestehen, ich kaufe importierte Früchte, und das vor allem im Winter. Orangen zum Beispiel oder Tomaten. Ansonsten setze ich auf regionales Obst und Gemüse. Exotische Früchte wie Mangos und Avocados schmecken mir gar nicht.«

BERND

52, Gärtner »Ich kaufe Importfrüchte. Ich schaue schon, woher mein Obst und Gemüse kommt, kaufe aber trotzdem ab und an eine Avocado oder Früchte, die bei uns im Winter nicht wachsen. Ich kaufe aber keine Bananen, dafür Physalis und Maracujas und österreichische Äpfel und achte dabei auch auf Biosiegel. Das ist mir den Preis schon wert.«

56, Klavierlehrerin »Als ich vor 30 Jahren von Taiwan nach Wien gekommen bin, war es ein Schock für mich, im Winter nur Äpfel und Birnen zu sehen. Jetzt bin ich sehr froh, dass es Importfrüchte gibt und ich damit mehr Auswahl habe.«


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Ein »Easy-Cheesy-Buchstabenspiel« – und damit schnellen Spaß – verspricht die Verpackung. Und es stimmt: »P wie Pizza« ist alles andere als kompliziert. Offiziell ist es für 2 bis 4 SpielerInnen ab 8 Jahren gedacht; es funktioniert aber auch zu fünft problemlos. Ziel ist es, übergeordneten Kategorien konkrete Begriffe mit passenden Buchstaben zuzuordnen. Gerät beispielsweise die Kärtchenseite mit dem Buchstaben S an das Kärtchen mit der Kategorie Eissorte, dann gewinnt, wer am schnellsten Schokolade, Sauerkirsche oder Stracciatella ruft. Über Salbei, Süßkartoffel oder andere Geschmacksverwirrungen lässt sich diskutieren … Wer sich durchsetzt, erhält das Kärtchen und muss aus mehreren davon als ersteR eine größere Pizzaschnitte legen. Ein großer Wortschatz, Kreativität und eine schnelle Auffassungsgabe sind dabei von Vorteil. Wegweisend: Big Potato Games verzichtet mittlerweile bei der Mehrzahl seiner Spiele auf Plastik, lässt für jeden Verkauf einen Baum in Madagaskars Mangrovenwäldern pflanzen und lädt SpielerInnen ein, per Mail weitere Verbesserungen vorzuschlagen. Deshalb: Wie wäre es mit Kärtchen und einer Schachtel aus FSC-zertifiziertem Karton? THOMAS WEBER bigpotato.com

BILD ISTOCK.CO M/SERG EY DEME NTY EV, BIG POTATO GAME S

Wer schnell kreativ kombiniert, gewinnt bei »P wie Pizza« – und spielt komplett plastikfrei auf Karton.


RZ_Recycling-Anzeige-GS-Lemon-79x228.qxp 17.01.22 14:48 Seite

Die ersten Sonett Recycling-Flaschen Leichte Schlieren und kleine Verfärbungen sind ein Qualitätsmerkmal der neuen Sonett Recycling-Flaschen.

LAND UND LIEBE

(MIT) JEMANDEM DEN HOF MACHEN Eine handkuratierte Datingplattform für LandwirtInnen will dem Hofsterben entgegenwirken. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich und Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten massiv gesunken und sinkt weiter. Gab es laut Statistik Austria 1999 noch 217.000 Betriebe österreichweit, waren es 2020 nur noch 155.000. Auch in Deutschland schrumpfte die Zahl der Betriebe von 472.000 auf 262.000. Alleinstehenden LandwirtInnen und HoferbInnen setzt der ökonomische Druck oft besonders zu, denn eine Landwirtschaft lässt sich nach wie vor oft kaum ohne familiäre Unterstützung führen. Spezifische PartnerInnenvermittlungen sollen eine Möglichkeit für Single-LandwirtInnen bieten, Menschen kennenzulernen, die sich für ein Leben und Arbeiten auf einem Landwirtschaftsbetrieb interessieren. In Österreich gibt es seit 2021 eine PartnerInnenbörse, die dabei helfen soll, »natur- und tierliebende Menschen« im Alter zwischen 20 und 45 zusammenzubringen. Um sich kostenlos zu registrieren, muss man auf der Website Alter, Beruf und Hobbys sowie Wünsche an sein Gegenüber angeben und ein Foto hochladen. Erstellt wurde die Seite von der Flachgauer Bäuerin Eva Greisberger, die dann persönlich versucht, zu »matchen«, und verkuppelt: Den NutzerInnen werden auf Basis der eingegebenen Informationen von Greisberger Menschen vorgeschlagen, erst dann werden die Daten zur Kontaktaufnahme weitergegeben. FLORIAN JAUK landwirtschaftliche-partnervermittlung.at

Sonett recycelt selbst! Weil wir nur dann wissen, was in den Flaschen drin war Weil Recycling-PE aus dem gelben Sack immer Rückstände von synthetischen Duftstoffen, Schwermetallen, Pestiziden etc. enthalten kann Weil PE-Recyclat deshalb für Lebensmittel nicht zugelassen ist Weil Recycling-PE ein wertvoller Rohstoff ist, der nahezu unbegrenzt im Kreislauf geführt werden kann Sonett – so gut. | www.sonett.eu

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G L O BAL VIL L AG E

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NEOZOEN UND NEOPHYTEN:

NEWCOMER DER AUSGABE Die Grüne Reiswanze überdauert immer öfter auch die milden Winter Mitteleuropas. Mit Vorliebe saugt sie an Sojabohnen. erhebliche landwirtschaftliche Schäden. Dabei ist das robuste Insekt nicht wählerisch, was seine Wirtspflanzen angeht. Auch am Balkon kann es die Tomatenernte zunichtemachen. Doch auf Hülsenfrüchten fühlt es sich besonders wohl. Es saugt Hülsen an und beeinträchtigt Geschmack, Aussehen und Lagerfähigkeit der Bohnen. Selbst Insektizide richten gegen das meist grüne und etwa 16 Millimeter lange Tier bislang wenig aus. In Übersee setzt man deshalb auf Gentechnik. Das ist in Mitteleuropa undenkbar, besonders im Biolandbau. Deshalb will die ages herausfinden, ob auch der natürliche Gegenspieler der Reiswanze – eine parasitäre Schlupfwespe – bereits dabei ist, sich bei uns breitzumachen. THOMAS WEBER

BILD JOHANN VO LLMANN

Je wärmer der Jänner, desto wahrscheinlicher, dass die ­Grüne Reiswanze die Kälteperiode unbeschadet übersteht. »Die Sterberate im Winter hat bislang ein dauerhaftes Bestehen der Wanzenpopulation verhindert«, weiß Anna Moyses von der Abteilung für Nachhaltigen Ackerbau der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (ages). Doch durch den Klimawandel ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich dauerhaft in Österreich und Deutschland etabliert. »In unseren Breiten ist das Viech den meisten noch nicht aufgefallen«, sagt Pflanzenzüchter Johann Vollmann von der Universität für Bodenkultur Wien. In Südeuropa, vor allem aber in Brasilien und den usa verursacht die ursprünglich aus Ostafrika stammende Baumwanze bereits


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NE U T R AL I TÄT

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DAS TREIBHAUS UND SEIN EFFEKT In europäischen Glashäusern werden inzwischen immer häufiger exotische Früchte und Gemüse gezogen. Rechnet sich das?

BILD KLEIN-EDEN

K

leintettau ist nur der Anfang. Zumindest, wenn es nach dem wissenschaftlichen Leiter des Projekts »Klein-Eden«, Ralf Schmitt, geht: Auf 3500 Quadratmetern wachsen hier in Bayern Kakaofrucht, Maracuja, Mango, Papaya, Guave, Sternfrucht und sogar Jackfruit im Glashaus – gefördert vom Staat Bayern und der Europäischen Union und inzwischen auch begleitet von einiger medialer Aufmerksamkeit. 2013 wurde begonnen, mit knapp 200 tropischen Früchten und Gemüse zu experimentieren. Seither hat Gärtnermeister Schmitt in Kooperationen mit Forschungseinrichtungen Kulturen und Anbauweisen adaptiert, das meiste verworfen und weitergetüftelt. Manch exotische Fantasie muss also gleich vorweg enttäuscht werden: »Mango, Banane und Co. brauchen spezielle Standorte oder werden Riesenbäume. Wir verfolgen nur mehr Sachen, bei denen wir einen hohen Ertrag auf kleiner Fläche erzielen.« Dieser Kalkulation ist inzwischen auch einer der Tausendsassa unter den regionalen Exoten in spe zum Opfer gefallen: Der beliebte Flei-

schersatz Jackfruit braucht zu viel Platz, Pflege und Zeit, um in Klein-Eden irgendwann absehbar gewinnbringend kultiviert zu werden: »Wir haben Jackfruit schon auch noch stehen – geschmacklich funktioniert ihr Anbau optimal. Aber den Aufwand zahlt uns keineR.« Generell hätten sich verholzende Kulturen aus den genannten Gründen als schwierig herausgestellt, man konzentriert sich derzeit auf Papaya, Sternfrucht und Guave.

BIOTOPFPAPAYA NACH PROTOKOLL Seit 2017 sind allerdings die Früchte aus dem Tropenhaus biozertifiziert und werden unverarbeitet und auch zu Fruchtmus verarbeitet – dann aber ohne Biozertifikat – gehandelt. »Die Spritzmittel, die für solche Kulturen weltweit eingesetzt werden, sind in Deutschland gar nicht zugelassen. Für uns war daher klar, dass wir von Anfang an biologisch wirtschaften wollen, statt erst nach ein paar Jahren auf Bio umzustellen. Der Prozess war unkompliziert, weil wir die Kriterien wunderbar einhalten können«, verneint Schmitt die Frage, ob der Preis

TEXT Irina Zelewitz


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NE U T R AL I TÄT

BILD KLEIN-EDEN

13 des Experimentierens aufwendige Zertifizierungsprozesse bedeutet. Immerhin wird hier abseits der für Deutschland und Europa gängigen Standardprozedere kultiviert und gedüngt und nicht nur im beheizten Glashaus, sondern auch in einem Mix aus Erdkultur und Topfkultur produziert. »Für die Biozertifizierung bei den Topfkulturen gibt’s die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen, ähnlich wie bei Heidelbeeren«, erklärt Schmitt. Biozertifiziert, aber freilich beheizt – spätestens da wird das nachhaltigkeitssensibilisierte Ohr hellhörig. Allerdings mit der Abwärme einer 500 Meter entfernten Glashütte. Die zuvor ungenützte Abwärme wird einfach durch eine Leitung ins Gewächshaus geblasen. Schmitt rechnet vor: »Würden wir mit Öl heizen, hätten wir einen Verbrauch von 120.000–140.000 Litern. Wir heizen klimaneutral.« Strom wird noch zugekauft, insgesamt schätzt Klein-Eden seine Klimabilanz aber auf null, denn der Glashausdschungel bindet ja auch CO2. Den Begriff »klimaneutral« hört wiederum Guido Reinhardt grundsätzlich gar nicht gern. Der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Energie- und Umweltforschung (IFEU) in Heidelberg setzt sich seit Jahren mit dem ökologischen Fußabdruck von Lebensmitteln und dessen Berechnungsmöglichkeiten auseinander. Er ist deutlich: »Klimaneutralität ist Augenauswischerei. Denn Anbau, Dünger, Traktortreibstoffe und Kühlungsenergie vom Landwirtschaftsbetrieb bis zum Handel können nicht kein CO2 emittieren. Das ist in den meisten Fällen völliger Unfug.« Vor allem aufgrund der enormen Lachgasmengen, die beim konventionellen wie auch beim biologischen Anbau von Landwirtschaftsprodukten freigesetzt werden. Wenn bei Lebensmitteln Klimaneutralität als Werbeslogan eingesetzt wird, ist das also Anlass zur Skepsis. Bei Landwirtschaftsprodukten ist dem Naturwissenschafter zufolge das Ziel, möglichst wenig CO2 zu produzieren. »Mit Klimaneutralität und ›CO2-frei‹ meint man CO2-Äquivalent-frei und das ist technisch nicht möglich.« Wo von Klimaneutralität die Rede ist, wird sie durch Kompensationshandlungen und -käufe erreicht. CO2-Kompensationen vergleicht Reinhardt mit »Ablasshandel«: »Man bezahlt für seine Emissionen und hat nachher ein ruhiges Gewissen«.

Die Jackfruit ist zu aufwendig, um rentabel im Tropenhaus produziert werden zu können.

ONE WORLD Es sei eine nachvollziehbare Perspektive von ProduzentInnen, »über ein Projekt eine Glocke zu legen«, doch für eine sinnvolle Beurteilung müsse man eine ganze Region oder im Idealfall die ganze Welt unter dieser einen Glocke betrachten. Denn die vorhandenen Produktionsmittel würden eben so und nicht anders genützt. »Ökobilanzierer sagen auch bei Düngemitteln: Wenn jemand organischen Dünger im Biolandbau einsetzt, kann jemand anderer

Um den Klimafußabdruck eines Lebensmittels zu berechnen, werden alle Emissionen – etwa Lachgas, Methan und CO₂ – entlang des Wegs eines Produktes zu CO₂-Äquivalenten zusammengerechnet.

»Die KonsumentInnen müssen damit klarkommen, dass sie dann plötzlich wissen, wo Lebensmittel herkommen und wie es den Leuten geht, die in der Ernte beschäftigt waren.« —  Ralf Schmitt sie nicht einsetzen. Ihr Verbrauch verursacht also an anderer Stelle CO2-Emissionen. Fast alles, was ich verbrauche, könnte ich immer auch woanders einsetzen.« In Klein-Eden tüftelt man allerdings umfassend daran, den Ressourcenverbrauch gering zu halten, zum Beispiel, indem der Fokus auf kompakte Pflanzen in Topfkultur gelegt wird, die mit Regenwasser versorgt werden. Gleichzeitig versucht man gezielt, Ressourcen einzusetzen, die anders kaum genützt werden können. Düngung durch Aquaponik, bei der die Barsche mit Pflanzenresten gefüttert und an die regionale Gastronomie verkauft werden. Und die Abwärme, könnte man die denn nicht auch anders nützen?

Ralf Schmitt Der Gärtnermeister ist wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer des Landwirtschafts- und Forschungsbetriebs Tropenhaus Klein-Eden.


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pfeift allerdings auf die Ökobilanz, nicht auf die (Betriebs-) Wirtschaftlichkeit. Am anderen Ende des Spektrums, in KleinEden, braucht es öffentliche Zuschüsse und versteht man sich einerseits zum Teil auch als Forschungsprojekt, das die Möglichkeiten auslotet, ökologisch verantwortungsvolle Produktion mit Wirtschaftlichkeit zu verbinden: In den Forschungskooperationen wurde zuerst mit der Universität Bayreuth und derzeit wird mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf kooperiert. Die größeren Projekte Klein-Eden von draußen – Oberfranken ist auch als »Sibirien Bayerns« bekannt. sind immer mit Doktorarbeiten verbunden und diese gefördert. »Das wissen»Nein«, sagt Schmitt, »weil wir haben keine schaftliche Personal ist bei solchen Projekten Vorlauftemperaturen von über 50 Grad. Damit der größte Punkt, dann folgen die Laborkosten fällt die Idee einer Beheizung von Wohnungen für unsere Analysen. Letztere liegen bei 35.000 flach.« Dazu müssten außerdem mehr Leute Euro für die Laufzeit des derzeitigen Versuchs im Industriegebiet wohnen, über Distanzen von 2021–2024.« Andererseits ist man von Rentabilität nicht mehr ganz so weit weg, weil man diversifizierte »Mit Klimaneutralität und ›CO2-frei‹ Vermarktungsideen und einen Markt gefunden meint man CO2-Äquivalent-frei und hat. Und gerade mit dieser Erfahrung betont das ist technisch bei Lebensmitteln Schmitt: »Ein reiner Produktionsbetrieb wird sich mit diesen exotischen Früchten aus dem nicht möglich« Glashaus über den Lebensmitteleinzelhandel — Guido Reinhardt, IFEU nicht rechnen.« Für all jene aber, die kaum anders nützbare Abwärme haben und noch nicht so recht wissen, was sie damit anfangen sollen, will KleinWohnhäuser zu versorgen sei in diesem NieEden Beratungsleistungen anbieten. Im Modertemperaturbereich nicht sinnvoll möglich. ment passiert das nur vereinzelt, auf AnfraDieser spezielle Umstand macht die Sache ge. »Aus Österreich und der Schweiz melden auch für Guido Reinhardt vertretbar. »In Westsich mitunter Betriebe, aber bisher nur einer europa gibt es Bereiche, in denen die Abwärme aus Deutschland. Wir sind zwar mit EU-Mitnicht richtig genutzt werden kann. Projekte zu teln entstanden, aber es gab bisher kein darderen Nutzung sind sinnvoll.« Klein-Eden mitGuido Reinhardt über hinausgehendes Interesse der EU-Instigemeint – Reinhardt kennt das Projekt selbstDer Naturwissentutionen.« Das geringe Interesse erklärt sich redend, bremst allerdings die Hoffnungen, dass schaftler ist wissenSchmitt mit dem hohen Koordinationsaufdie Abwärme-Glashäuser im ganz großen Stil schaftlicher Leiter des Instituts für Enerwand und der absehbar aufwändigen VermarkSchule machen werden. »Hier wird man keine gie- und Umweltfortung: »Es ist schwierig. Du musst Industrie und Blaupause für Tausende von Fällen finden, aber schung Heidelberg Landwirtschaft zusammenbekommen. Die InInsellösungen, die nachhaltig und sinnvoll sind, und forscht zu den dustrie will sich eigentlich nicht mit Landwirtgibt es immer wieder. Wenn sich das dann wirtSchwerpunkten Bioschaft beschäftigen und die Landwirtschaft hat schaftlich trägt, ist es okay.« masse und Ernährung. Angst vor der Industrie. Und die KonsumentInJa, wenn. Ein Großteil jener Unternehmen, nen müssen sich dran gewöhnen, ein bissl mehr die – übrigens meist in Südeuropa – durch Befür ein Produkt zu zahlen. Und damit klarkomheizung Tropenfrüchte und Co. produzieren,

BILD KLEIN-EDEN, IFEU

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men, dass sie dann plötzlich wissen, wo Lebensmittel herkommen und wie es den Leuten geht, die in der Ernte beschäftigt waren.« Vor allem den geschützten Anbau auf Dachflächen, in Städten wie auch in der Peripherie, stellt sich Schmitt hier konkret vor: »Wir haben Schwerindustrieregionen, mit Abwärme und Brachfläche.« Hier, so lautet die Vision, könnte insgesamt ressourcenschonender Anbau stattfinden – der nicht zuletzt auch weniger abhängig von Importen mache: »Corona hat ja gezeigt, sobald die Kühlcontainer knapp waren, gab’s kaum mehr Exoten in Europa. Wie in Deutschland gegen die LandwirtInnen gewettert wird im Namen des Klimawandels, wird in erster Linie bedeuten, dass wir zukaufen.«

CO₂ IST NICHT ALLES Ob und warum er Lebensmittelimporten grundsätzlich skeptisch gegenübersteht, beantwortet Schmitt mit einem Fokus auf einen der größten Exporteure von Obst und Gemüse in die Europäische Union: »Ich möchte kein Lebensmittel aus China kaufen, ich vertraue europäischen Kontrollorganen mehr, vor allem den Verbandszertifikaten, mehr als Importen.« Auch Reinhardt sieht Vorteile einer Produktion in Westeuropa aufgrund damit verbundener Standards – Umwelt- wie Arbeitsstandards. Zieht daraus allerdings andere Schlüsse: Er möchte deswegen den Import biofairer Produkte empfehlen, »damit wir Menschen in den produzierenden Ländern nicht in dem Maß ausbeuten, in dem wir das jetzt tun«. Und er ist kategorischer Befürworter von Importen all dessen, was in einer Region nicht aufwandsarm produziert werden kann. »Es ist definitiv das Nachhaltigste, wenn auf jeder Fläche das produziert wird, was mit möglichst wenig Ressourcenaufwand dort produziert werden kann.« Reinhardt erinnert daran, dass die Möglichkeiten und Kapazitäten technischer Lösungen begrenzt sind. In Klein-Eden, wo diese Grenzen ausgelotet werden, weiß man: »Was wir versuchen, geht nicht mit jeder Kultur. Zum Beispiel Ananas, Bananen und auch Mangos wirst du nie effizient bei uns anbauen können.« Und überall dort soll Schmitt zufolge guten Gewissens importiert und ein fairer Preis für ökologischere Produktion bezahlt werden: »Es könnte doch auch eine Banane – von der sollte man eh nicht mehr als eine täglich essen – dann 1–2 Euro kosten.«

LOCKVOGELBILANZ Auf dem Weg zu einer solchen Veränderung von Angebot und Nachfrage gibt es unterschiedliche Hürden. Schmitt beschreibt eine psychologische. Denn die vollen Regale, die sich KonsumentInnen erwarten, stünden als Prinzip auch hinter einem weiteren Phänomen: So manch tropische Frucht würde nur angeboten, um üppige Auswahl zu suggerieren, aber kaum je gekauft. »Die Sternfrüchte, die bei uns im Handel angeboten werden, schmecken nach gar nichts.


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16 fizienter, wenn es gut läuft, werden es eher zwei Tonnen. Bayern hat 2018 1500 Tonnen Papayas importiert. Davon könnte ich 15 % bei uns decken, wenn wir zehn Hektar unter Glas hätten.«

Blüte und Frucht der Guave in Klein-Eden – wird vor allem von der Gastronomie und als Fruchtmark abgenommen.

Tiervideos Auf dem Youtube-Kanal »Tropenhaus Klein Eden« wird regelmäßig nicht nur übertragen, was im Glashaus wächst, sondern auch, was dort kreucht und fleucht.

Die werden allenfalls als Deko gekauft. Der Handel gibt dem KonsumentInnendruck nach, das anzubieten, aber das braucht doch keine und das kauft doch auch keiner.« Ähnlich würde es den Papayas ergehen: »Bei Aldi und Hofer steht immer eine Kiste Papayas. Die hat da, wenn sie in Salzburg oder Nürnberg rumsteht, 9 kg CO2 pro Kilogramm Flugtransport auf dem Buckel.« Würden auf jede gekaufte Papaya noch weitere im Handel weggeworfene einkalkuliert, ergäbe das einen nochmals anderen ökologischen Fußabdruck einer gekauften Papaya. »Die Menge, die tatsächlich verbraucht wird, kann bei uns klimafreundlicher angebaut werden« und würde auch besser schmecken, da sie reif geerntet werden kann und nicht erst auf dem langen Transportweg reift. Sein Papaya-Versuch läuft derzeit auf 300 Quadratmetern Erdkultur und 300 Quadratmetern Topfkultur. In beiden Kulturen zeichne sich für das laufende Erntejahr über eine Tonne Ertrag ab. »Topfkultur ist wesentlich ef-

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FLUGMANGO INKOGNITO Mehr regional und saisonal zu konsumieren und weniger zu importieren ist jedenfalls auch Reinhardt zufolge die einzige vernünftige Lösung. Produkte, die saisonal nicht verfügbar sind, sollten nicht zu sehr nach der Transportdistanz bewertet werden: »Den relevanten Unterschied macht der Anbau. Der Transport spielt ganz grob gesagt nicht die große Rolle, außer wenn mit dem Flugzeug transportiert wird.« Die Klassiker seien hier Ananas, Mango, Papaya. Ihr CO2-Abdruck ist eingeflogen 10 bis 15 Mal höher als der Transport über die Weltmeere. »Fluggemüse und Flugobst sind komplett abzulehnen«, betont Reinhardt – und ergänzt: »Laut Statistik gibt es allerdings kaum Flugmango in Deutschland«. Die in Deutschland erhältlichen Mangos kommen zu rund 80 % aus den Niederlanden, auch die dorthin eingeflogenen. Nach Deutschland würden allerdings die Mangos vom Hafen genau wie die Mangos vom Flughafen mit dem LKW transportiert. Aus Umweltsicht können und sollten wir Reinhardt zufolge auch klar sagen: »Wann immer ihr es euch leisten könnt, kauft Bio und Fair. Wenn’s Biofair nicht gibt, dann Bio. Das ist im Regelfall auch keine Flugware, weil Handel und VerbraucherInnen hier sensibilisiert sind.« Lebensmittel verbrauchen enorme Mengen Phosphatdünger, Fläche oder auch Wasser. Die Avocado etwa ist zum Symbol für den in Monokulturen gestillten großen Durst geworden. Wer ökologisch nachhaltige Avocados kaufen will, sollte laut Reinhardt die aus der Dominikanischen Republik denen aus Südamerika oder Israel vorziehen, weil letztere mit hoher Wahrscheinlichkeit bewässert werden müssen. Ein nachhaltiger Anbau sei, sagt der Ökobilanzierer, nicht in erster Linie CO2-ärmer, aber auf jeden Fall insgesamt ökologischer: »Das kann ich für unterschiedliche Bereiche mit Zahlen belegen. Aber die Daten dazu, wie ArbeiterInnen auf einer Plantage im Krankheitsfall eine Lohnfortzahlung bekommen und nicht einfach rausgeworfen werden, die lassen sich nicht in Kilogramm CO2 ausdrücken. Muss man auch nicht.«


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brandnamic.com | Fotos: Theiner’s Garten (Tobias Köhler)

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MEHR ALS PEANUTS Klimatische Veränderungen bedeuten auch Chancen für andere Kulturpflanzen. Eine davon ist die Erdnuss, die sich ihren Weg auf europäische Äcker bahnt.

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ie Erdnuss zählt zu den beliebtesten Nüssen Deutschlands – der Pro-Kopf-Verbrauch lag laut der Deutschen Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung 2020 bei 1,4 Kilogramm. Dabei ist die Erdnuss gar keine Nuss, sondern eine Hülsenfrucht, worauf auch die Übersetzung des englischen Wortes Peanut, also Erbsennuss, schließen lässt. Entscheidend für den Erdnussanbau sind allerdings, recht anders als bei unserer ordinären Erbse, relativ hohe Wärmesummen, die aus dem Durchschnitt des Temperaturhöchst- und -tiefstwerts eines Zeitraums berechnet werden. Steigen diese Summen in Europa, könnte die Erdnuss sich als neue Kulturpflanze etablieren. Sie hat schon begonnen, sich ihren Weg durch die Böden Österreichs und Deutschlands zu bahnen.

IMPORTSCHLAGER ERDNUSS Grundsätzlich mag es die Erdnuss eher warm und trocken, Hauptanbaugebiete sind daher Westafrika, Indien, Nord- und Südamerika und – der weltweit größte Erdnussproduzent – China, das allerdings aufgrund hohen Eigenbedarfs weniger Erdnüsse als die usa exportiert. Ein landwirtschaftlicher Vorteil der Pflanze ist ihre gute Stickstofffixierung, womit man beim Erdnussanbau auf externe Stickstoffzufuhr verzichten und sich damit begnügen kann, die Überreste der Pflanze als Stickstoffdünger in den Boden einzuarbeiten. Das wiederum kommt der Bodenstruktur entgegen. Nachteile hat die Erdnuss allerdings schon auch: Da sind die nicht selten vorkommenden Blattkrankheiten einerseits, und andererseits der hohe Unkrautdruck

BILD LUCI A HOLMER, I STO CK/ SOFIRINAJA

TEXT Florian Jauk


nach der Aussaat, die bei guten Bedingungen ab Mai bei einer Bodentemperatur von mindestens 20 Grad stattfindet. Wenn die Erdnuss diesen Widrigkeiten trotzt, läuft das nach der Aussaat folgendermaßen ab: Nach wenigen Tagen beginnen die Erdnusskerne zu keimen und mit der Zeit entsteht aus den Keimlingen ein 30 bis 60 cm hoher Busch, der mit kantigen Stängeln und gefiederten Blättern heranwächst und entlang der Blattachseln blüht. Die Erdnusspflanze, die zu den Leguminosen zählt und sich selbst befruchtet, bildet nach der Befruchtung Fruchtstiele, die unter die Erde wachsen, wo die Erdnuss zwischen 90 und 150 Tage lang reift. Danach werden die Erdnüsse geerntet, gereinigt, getrocknet, verpackt und rund um den Globus verschickt. Mittelfristig werden diese Transportaufwände vielleicht überflüssig.

ERFOLGREICHER ANBAU AUCH IN DEUTSCHLAND Seit 2021 werden an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (Lfl) versuchsweise Bioerdnüsse angebaut. Lfl-Mitarbeiter Klaus Fleißner untersucht, wie gut fremde Kulturpflanzen in Deutschland gedeihen, und startete dazu auch einen Versuch mit der Erdnuss, deren Anbau er aus Forschungsprojekten in Namibia kannte. Die Frage, die er sich dabei stellte, war, ob die Erdnüsse auch mit den geringeren Wärmesummen und den längeren Regenphasen in Deutschland zurechtkommen und im Vegetationsfenster Juni bis September bis zur Samenbildung kommen. Nach den heißen und trockenen Sommern 2018 und 2019 startete Fleißner 2021 seinen ersten Erdnussanbauversuch. Im Juni vergangenen Jahres säte er mit seinen KollegInnen Erdnüsse auf drei Versuchsparzellen in Ruhstorf (Niederbayern), Manching (Oberbayern) und Schwarzenau (Unterfranken) mit einer Gesamtfläche von 100 Quadratmetern. Die verwendete Sorte stammte aus Usbekistan und damit aus einem ähnlichen Breitengrad wie Bayern, denn ähnliche Tageslängen seien entscheidend für einen erfolgreichen Anbau fremder Kulturpflanzen, so Fleißner. Die Bodentemperatur war bei der Aussaat mit 18 Grad knapp unter der empfohlenen Mindesttemperatur von 20 Grad, trotzdem fingen die Samen an zu keimen und die Erdnüsse konnten nach knapp vier Monaten geerntet werden. Obwohl die Ernte per Hand und Spaten mit einem Quadratmeter-

»Pflanzen sind immer bestrebt, Nachkommen zu produzieren, und so kämpfen sie sich auch bei widrigen Verhältnissen durch.« — Klaus Fleißner Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft

ertrag von rund 40 Gramm gering ist, zeigt sich der Forscher mit dem ersten Versuch zufrieden. Vor allem, dass die Erdnuss 2021 trotz des vielen Regens und des kühlen Sommers gut gedieh, stimmt ihn zuversichtlich. »Pflanzen sind immer bestrebt, Nachkommen zu produzieren, und so kämpfen sie sich auch bei widrigen Verhältnissen durch.«

WIRD DIE ERDNUSS ZUR HEIMISCHEN KULTURPFLANZE? Derzeit rentiere es sich wirtschaftlich noch nicht, Erdnüsse in Deutschland anzubauen, sagt Klaus Fleißner. Für die Zukunft bräuchte es nicht nur eine höhere Bodentemperatur bei der Aussaat, die man durch einen Anbau auf Dämmen oder eine Mulchfolienabdeckung des Bodens erreichen könnte, sondern auch standortangepasste Erdnusssorten, die trotz der geringeren Wärmesummen in Mitteleuropa gut wachsen und wirtschaftlich sinnvolle Erträge liefern. Zu diesem Zweck hat der Forscher schon sieben verschiedene Sorten aus aller Welt bekommen, außerdem steht eine Kooperation mit einem großen indischen Forschungsinstitut an, das ihm noch 20 Erdnusssorten mit kurzer Vegetationszeit für seine nächsten Versuche zugesagt hat, mit denen ein Anbau in Deutschland während der Sommermonate besser möglich sein soll. Geht der Plan auf, können die besten Sorten vermehrt und erneut eingesetzt werden und die Erträge mit der Zeit auf ein wirtschaftliches Niveau für BiolandwirtInnen steigen. Ein bisschen weiter südlich ist man über die ersten Versuche bereits hinaus: Dass ein kommerziell erfolgreicher Erdnussanbau in Österreich möglich ist, beweist die Familie Romstorfer aus dem Weinviertel. Seit 2018 wachsen auf dem Feld der Biobauern Roman, Stefan und ihres Vaters Franz Erdnusspflanzen. Die Idee für

Klaus Fleißner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung bei der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Dort beschäftigt er sich mit Kulturpflanzenvielfalt. lfl.de

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E R BSNU SS

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neuland.bio

Im Wirtschaftsjahr 2020/21 wurden in Deutschland insgesamt 401.600 Tonnen Schalenfrüchte verzehrt. Am beliebtesten dabei war die Erdnuss, gefolgt von der Mandel und der Haselnuss. ble.de

für den Erdnussanbau gebe und man sich daher »um vieles selbst kümmern« müsse.

NEULAND BETRETEN Doch der ganze Aufwand lohnt sich aus Sicht der Biobauern aus dem Weinviertel. Sind die Erdnüsse nach etwa vier Monaten reif, werden sie mithilfe einer Maschine, die die Pflanzen ausgräbt, die Erdnüsse von den Stielen rebelt und das gehäckselte Pflanzenmaterial am Acker hinterlässt, geerntet. Damit die Erdnüsse nicht zu schimmeln beginnen, werden sie direkt am selben Tag gewaschen und in einem Lüfter bei 30 bis 35 Grad getrocknet. Einige Tage später werden sie sortiert und in sogenannten Bigbags, großen Schüttgutbehältern mit einem Fassungsvermögen von einer Tonne, verpackt und in die Schweiz verschickt, denn dort befindet sich einer der wenigen Erdnussröster Europas, der auch das Verpacken der Erdnüsse übernehmen kann. Fertig geröstet und ungeschält verpackt findet man die beiden Sorten ab Ende November im österreichischen Einzelhandel in einer 150-Gramm-Packung um rund 3 Euro und im Onlineshop der österreichischen Bioerdnusspioniere als 200-Gramm-Packung um 2,30 Euro zuzüglich der Versandkosten. Seit 2021 produzieren die Romstorfers außerdem Bioerdnussbutter, für die sie ihre Erdnüsse schon selbst rösten.

BILD NEULAND BIO

Die österreichischen Bioerdnüsse, die daraus entstandene Erdnussbutter und ein dazu passendes Traubengelee der Familie Romstorfer können entweder online oder ab Hof gekauft werden.

den österreichischen Bioerdnussanbau kam einerseits durch die Überlegung, etwas Einzigartiges machen zu wollen, andererseits erschien sie den beiden Brüdern als Antwort auf die klimatischen Veränderungen logisch, erzählt Stefan Romstorfer. Zu Beginn war es nur ein Hektar, auf dem jährlich mehrere Hundert Kilo Bioerdnüsse gedeihen, mittlerweile sind es schon 22 Hektar, die die Romstorfers gemeinsam mit PartnerlandwirtInnen bewirtschaften. Ausgesät werden Anfang Juni die Sorten »Runner« und »Spanish Valencia«. Verglichen mit den Ernten in anderen Ländern seien die österreichischen Bioerdnüsse zwar etwas kleiner, der Geschmack sei allerdings für viele besser und natürlicher als der der prallen amerikanischen oder ägyptischen Erdnüsse, erzählt Stefan Romstorfer stolz. Die größten Schwierigkeiten beim Anbau der fremden Kulturpflanze in Österreich sind für die Romstorfers einerseits Feuchtigkeit, die in der Keimzeit die gesamte Ernte zerstören kann, und andererseits das Unkraut, weil es eine Konkurrenz für die Erdnuss in Sachen Nährstoffversorgung darstellt. Dessen Entfernung heißt im Bioerdnusslandbau vor allem Handarbeit. Bis zu 200 Stunden brauchen die Bioerdnussbauern aus dem Weinviertel, um einen Hektar des Erdnussackers vom Unkraut zu befreien. Stefan Romstorfer betont außerdem, dass es in Österreich verglichen mit etablierten Kulturarten außerdem keinerlei Infrastruktur und Wissen



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GOJ I BE E R E N

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DIE NEONISCHENBEERE Die Gojibeeren sind klassische Importfrüchte aus Fernost. Die Pflanze fühlt sich auch bei uns wie zuhause – wenn man mit ihr umgehen und sie zu vermarkten weiß. TEXT Annalena Eisfeld

In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird die Gojibeere zur Stärkung des Immunsystems und zur Stärkung der Sehkraft eingesetzt.

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ie von Mentzingens sind allein. Zumindest mit ihrer Idee, Bio-Gojibeeren anzubauen und als Dörrware zu verkaufen. Die Landwirtschaft liegt der Familie im Blut, bereits 16 Generationen haben den Hof in der Nähe von Heilbronn, auf dem unter anderem konventionell Spargel und Himbeeren kultiviert werden, bereits weitergegeben. Als Katja und Nikolaus von Mentzingen aber im Jahr 2016 die Chance hatten, einen seit den 80er-Jahren bestehenden Demeter-Hof im Dorf zu pachten, wollten sie mit ihrer ersten Fläche, die sie nach Verordnungen der biologischen Landwirtschaft betreiben, auch noch etwas Neues beginnen: den Anbau einer Frucht, die sonst fast ausschließlich aus Fernost importiert wird. Bislang sind sie damit die Einzigen in Deutschland, die die außergewöhnliche Beere

in größerem Umfang anbauen und durch schonende Trocknung für den ganzjährigen Verkauf haltbar machen.

NINGXIA IN NEUENSTADT Das ursprüngliche Areal des Gemeinen Bocksdorns (Lycium barbarum), der Wildform der Gojibeere, liegt vermutlich in China, wo sich in der Provinz Ningxia auch das Hauptanbaugebiet der Beere befindet. Für Deutschland ist bekannt, dass der Strauch schon im 18. Jahrhundert – vermutlich erstmals – eingebracht wurde. Heute ist er großräumig auch in anderen mittel- und südeuropäischen Ländern verbreitet. Dennoch betreibt kaum jemand außerhalb Zentralasiens großflächigen Anbau. Von genau dieser Tatsache motiviert, fiel für Katja und Nikolaus vor rund fünf Jahren die Entscheidung,


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»So etwas gab’s einfach noch nicht. Und solche Nischen braucht man nun mal.« —  Katja von Mentzingen, Demeter-Landwirtin der Gojibeere konnten die Landwirte hier ganze 20.000 Sträucher anbauen. Die passenden Jungpflanzen konnten sie quasi aus der Nachbarschaft beziehen.

BILD BIOHOF VON MENTZINGE N

MEISTER GOJI

das oft als »Superfood« gepriesene Lebensmittel nach den EU-Standards der biologischen Landwirtschaft im baden-württembergischen Neuenstadt anzubauen. Katja von Mentzingen erinnert sich: »2016 habe ich auf einem Fachseminar einen Vortrag über eine spezielle Züchtung der Gojibeere besucht. Sie sollte besonders süß sein, wenig Bitterstoffe enthalten und auch in Europa gut wachsen. Gleichzeitig hat hier bei uns am Dorf ein Demeter-Bauer einen Nachfolger für seinen Hof gesucht.« Die Tatsache, dass der Anbau der Beere in Deutschland noch kaum verbreitet war, bestärkte Katja in ihrem Vorhaben: »So etwas gab’s einfach noch nicht. Und solche Nischen braucht man nun mal.« Da der Hof außerdem nur gut vier Hektar misst, bedurfte es einer speziellen Kultur, damit sich die Bewirtschaftung lohnt – von

Klaus Umbach ist Gärtnermeister und darf dabei als Pionier bezeichnet werden. 2010 hat er begonnen, verschiedene Sorten der Gojibeere zu selektieren, und entwickelte über die Jahre eine nach EU-Richtlinien biozertifizierte Jungpflanze, der es auch in Deutschland ziemlich gut gefällt. Die »Turgidus« ist im Gegensatz zu ihren Verwandten aus China orange, nicht rot, dabei süßer, winterhart bis minus 27 Grad Celsius, mehltaufrei und bis zu 40 Jahre ertragreich. Wie es der Zufall will, befindet sich die Biogärtnerei fast um die Ecke von Familie von Mentzingen in Heilbronn und so verkaufte Umbach dem Paar zunächst seine Jungpflanzen und wurde später selbst zum treuen Kunden. Mit der Beschaffung der Jungpflanzen und dem Erwerb des biodynamischen Guts waren die ersten Schritte getan. Hinsichtlich der Frage, wie man das Nachtschattengewächs am effektivsten kultiviert, war das Paar jedoch auf sich allein gestellt.

»ES MACHT HALT JEDER ANDERS« »Der Gemeine Bocksdorn kann ja wild neben der Autobahn wachsen. Aber wie man ihn so kultiviert, dass er langfristig ertragreich ist, das mussten wir selbst herausfinden«, erinnern sich Katja und Nikolaus. Bei einem Besuch in Südtirol haben sie sich verschiedene Gojikulturen der Sorte Turgidus angesehen und stellten fest, dass es keinen allgemeinen Erfahrungsschatz gibt, auf den sie hätten bauen können: »Der eine hat’s so gemacht, der an-

Klaus Umbach baut gemeinsam mit der Uni Hohenheim im Rahmen eines Forschungsprojekts auch Chiasamen an, um eine Sorte für den erfolgreichen Anbau in Deutschland zu selektieren. Chia wird derzeit vorwiegend aus Südamerika importiert.


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GOJ I BE E R E N

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»Insbesondere die frischen Beeren schmecken schon etwas gewöhnungsbedürftig, ziemlich herb-bitter.« —  Johannes Hummel, Biolandwirt

ganzen Sommer alle vier Tage einzeln von Hand gepflückt werden müssen, wodurch die Lohnkosten die Rechnung normalerweise aus einem betriebswirtschaftlich sinnvollen Rahmen treiben würden. Die Familie von Mentzingen hatte hier den Vorteil, ihre ­SaisonarbeiterInnen des Spargelbetriebs auch auf der Gojiplantage einsetzen zu können: »Ein Betrieb, der diese Infrastruktur nicht bereits hat, kann sich das nicht leisten.« Vor dem Problem, dass die Beere insbesondere als Frischobst noch keinen sehr hodere so und der Dritte wieder ganz anders.« hen Bekanntheitsgrad hat, standen die beiden Schließlich nutzten sie die Technik und ihr bedennoch. » Wir mussten 2018 erleben, dass sie reits vorhandenes Know-how zum Anbau von einfach kein Mensch kennt. Die Beeren lagen Himbeeren und passten es auf die Bedürfnisse also im Supermarkt, wurden nicht verkauft der Gojibeere an. Die Dauerkultur akklimatiund waren dann, weil sie so schnell wie Erdsierte sich erstaunlich schnell in den hiesigen oder Himbeeren verschimmeln, nach 5 Tagen Bodengegebenheiten, trug zahlreiche Früchte auch nicht mehr verkäuflich. Also haben wir und entwickelte sich in den Sommermonaten uns Trocknungshilfen angeschafft, sodass wir zum regelrechten Magneten für Bienen und sie haltbar machen und so das ganze Jahr über Hummeln. »Dadurch, dass der Gojistrauch verkaufen konnten.« Heute vertreiben Katja eine remontierende Pflanze ist, blüht er auch und Nikolaus außer den Trockenfrüchten auch dann, wenn im August und September eigentSaft und Balsamessig aus Gojibeeren über ihre lich nichts mehr blüht, und lockt somit allerlei Website, im lokalen Einzelhandel und durch Insekten und Vögel auf unsere Anlage.« OnlineversandpartnerInnen. WIE VERKAUFT MAN AUF EINEM MARKT, Ebenfalls getrieben von der Suche nach NeuDEN ES NICHT GIBT? em baut im Nachbarland Johannes Hummel die rote Beere bereits seit 2005 an. Auch er beDie getrockneten Gojis aus Baden-Württemtrieb damit Pionierarbeit: In Österreich gibt es berg sind bisher deutschlandweit die einzigen bis heute niemand anderen, der die Gojibeere ihrer Art. Ein Grund dafür ist, dass sie über den biologisch kultiviert. Direkt ab Hof, der sich im niederösterreichischen Bezirk Mistelbach befindet, verkauft er zwischen August und November auch frische Beeren. Er sieht den Geschmack der Beere als Herausforderung für ein lukratives Gojibeeren-Business: »Insbesondere die frischen Beeren schmecken schon etwas gewöhnungsbedürftig, ziemlich herb-bitter.« Dass Goji-Beeren verlieren durch den Trocknungsprozess rund zwei Drittel ihres Gewichts.


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er es dennoch schafft, das Obst auch in seiner frischen Form erfolgreich zu vermarkten, verdanke er sowohl dem regionalen Direktverkauf vom Hof als auch dem medialen Hype um das »Superfood«: »Viele unserer KundInnen sind sehr gesundheitsbewusst, die wissen bereits von den guten Inhaltsstoffen. Sie kennen das getrocknete Produkt meist schon aus dem Supermarkt und freuen sich dann, dass sie es nun frisch und aus dem Weinviertel statt nur getrocknet und aus China kaufen können.«

BILD BIOHOF VON MENTZINGE N, NE TZWE RK KULIKARIK / POV.AT

EXOTEN IN DER HEIMAT Trotz dieser Erfolgsgeschichten stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Beere hierzulande anzubauen. Eine Studie der NGO Global 2000 und der niederösterreichischen Arbeiterkammer untersuchte 2017 verschiedene als »Superfoods« vermarktete Lebensmittel unter anderem hinsichtlich ihres CO2-Fußabdrucks. Es zeigte sich wenig überraschend, dass der Transport chinesischer Gojibeeren bei einem Kauf in Österreich das Klima 75 Mal stärker mit CO2 belastet als der Kauf eines »vergleichbaren« österreichischen Produkts. Als vergleichbar wurden dabei Beeren wie etwa Heidelbeeren gewertet. Nun werden Gojibeeren allerdings großteils getrocknet importiert, sind daher vergleichsweise emissionsarm zu transportieren und werden von den meisten KonsumentInnen wohl nicht in rauen Mengen verzehrt – doch Dagmar Gordon, die das »Pestizidreduktionsprogramm« bei Global 2000 leitet, betont: »Gojibeeren sind klein und ihr Import wirkt harmlos. Doch sie sind ein gutes Beispiel für Lebensmittel, die um die Welt reisen, obwohl das nicht nötig ist. Das können wir nicht wollen.« Und sie setzt nach: »Im Übrigen machen wir es mit Tomaten genauso – auch die werden aus China importiert und in Europa als Dosentomaten verkauft.« Wer an die Kraft des Superfoods glaubt, wird außerdem nicht gerne lesen, dass in vielen der untersuchten Gojibeeren erhebliche Rückstände von Pestiziden nachgewiesen wurden. Das sei bei landwirtschaftlichen Produkten aus Asien leider generell häufig der Fall, so Gordon: »Darunter sind leider auch Pestizide, die bei uns mit gutem Grund generell verboten sind.« Vor allem in der konventionellen

Katja und Nikolas von Mentzingen auf ihrer Gojiplantage.

Landwirtschaft habe das besorgniserregende Ausmaße angenommen, doch auch bei Bioprodukten komme das leider aufgrund insgesamt schwächer ausgeprägter Umweltschutzregime mitunter vor. »Einerseits, weil zum Teil die Böden und das Wasser in schlechterem Zustand sind. Andererseits ist der Schutz vor Pestizidabdrift nicht so gut gegeben.« Sprich das Risiko, vor allem durch Wind Pestizide auf die eigenen Flächen getragen zu bekommen, ist überall dort, wo am Nachbarfeld konventionell gearbeitet wird, höher als in Europa. Und zwar Gordon zufolge auch deswegen, weil Bauern und Bäuerinnen einen schlechteren Zugang zu Informationen haben, als das in Europa insgesamt der Fall ist. Die orangene Beere, sei sie aus Neuenstadt oder Mistelbach, scheint also in mehrerlei Hinsicht gut anzukommen. Sie ist außergewöhnlich im Geschmack und bisweilen aus deutscher oder österreichischer Bioproduktion noch ein echtes Nischenprodukt auf dem Markt. »Außerdem gibt es ja hierzulande im Gegensatz zu anderen exotischen Kulturen keinen Mehraufwand in der Pflanzung und Kultivierung. Die Sorte, die wir verwenden, ist speziell aus verschiedenen Gojibeeren aus aller Welt gezüchtet, damit es ihr hier so gut geht. Das ist eine ganz normale Freilandkultur, ohne Plastiktunnel oder Regenkappe. Und obendrein schmeckt sie süßer«, sagt Nikolaus.

Der »Superfood-Test« (2017) von Global 2000, Südwind und der AK Niederösterreich, der sogenannte Superfoods auf Rückstände von Schwermetallen und Pestiziden untersucht hat, steht zum Download unter global2000.at


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L AND W I RTSCH A F T

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DER ÖSTERREICHISCHE WEG IST GESICHERT

INTERVIEW Irina Zelewitz

387 Milliarden Euro werden für die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) von 2023 bis 2027 zur Verfügung stehen.

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er größte Bereich im Budget der Europäischen Union wird alle 7 Jahre neu verhandelt – und doch kommt am Ende meist etwas dem Vorgängerprogramm allzu Ähnliches dabei heraus. Im Kern handelt es sich bei der Ende 2021 nun vom Europäischen Parlament beschlossenen Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (gap) um ein großes Landwirtschaftsförderungsprogramm, das auf Basis gemeinsamer europäischer Zielsetzungen durch Umsetzungspläne der Mitgliedsstaaten seine Wirkungen entfalten soll. Zum Ziel hat man sich diesmal gesetzt, die gap »fairer, grüner und stärker leistungsorientiert« zu gestalten. Das ist nicht selbstverständlich, in früheren Entwürfen war beispielsweise geplant, sie erstens grüner, erst zweitens fairer und drittens stärker leistungsorientiert zu machen. Details, von deren Ausgestaltung allerdings maßgeblich abhängt, in welchem Ausmaß die Landwirtschaft zum Schutz von Klima und Biodiversität oder zur weiteren Verschärfung beider Krisen beiträgt. Dabei ist die erste Variante eigentlich schon fix eingeplant: Eine ambitionierte Ökologisierung des Agrarsektors ist notwendig, um den bereits 2020

beschlossenen European Green Deal (für eine »moderne, klimaneutrale, ressourceneffiziente, nachhaltige und wettbewerbsfähige Wirtschaft«) einhalten zu können, und ist in diesem auch schon vorgesehen. Denn geschätzt zehn Prozent der in der EU freigesetzten Treibhausgase gehen von der Landwirtschaft aus. Wenn der Plan für die Agrarpolitik bis 2027 nicht für eine relevante Reduktion dieser Treibhausgasemissionen sorgt, wurde der zumindest finanziell stärkste Hebel der EU zur Erreichung der Klimaziele nicht genutzt. Bis zum Ende des Jahres 2021 mussten nationale Strategiepläne – unter Inkludierung von »Stakeholdern« wie Interessensvertretungen der LandwirtInnen, aber auch ngos – ausgearbeitet und bei der Kommission eingereicht werden. Nach etwaigen Nachbesserungen müssen sie bis Ende 2022 von ihr genehmigt werden, bis sie dann mit 1. 1. 2023 in Kraft treten und nur mehr wirken müssen. Gerade Umweltschutz-ngos warnen allerdings vehement davor, dass die angekündigte Agrarwende sich hier nicht abzeichnet. Das österreichische Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus hat im

B ILD ISTOCK.CO M/PRZ EMYSŁAW ICIAK

Brigitte Reisenberger, Landwirtschaftssprecherin der ngo Global 2000, im Gespräch über Regionalität, Diversität und Glyphosat.


Juni 2021 auf seiner Website die Verhandlungsergebnisse auf europäischer Ebene für Österreich zusammengefasst: »Der österreichische Weg ist gesichert.« Brigitte Reisenberger, Landwirtschaftssprecherin der ngo Global 2000, im Gespräch zu Zielsetzungen, die zuerst verwässert und dann höchstwahrscheinlich verfehlt werden. BIORAMA: Handelt es sich bei der nächsten gap um den großen Paradigmenwechsel, der angekündigt wurde? BRIGITTE REISENBERGER: Die Ambitionen waren wohl relativ hoch, de facto wurde das Ganze ziemlich verwaschen.

Woher kamen denn im EU-Gefüge die Ambitionen, und wer bremst? Europäische Kommission und das Parlament waren hier ambitionierter als die Mitgliedsstaaten: Die wollten und konnten ihre eigenen Interessen und die der Agrarkonzerne durchsetzen. Was waren und sind die Strategien der Mitgliedsstaaten Deutschland und Österreich, die den hehren angekündigten Zielen entgegenstehen? An der deutschen Linie hat sich nun (durch den Regierungswechsel, Anm.) einiges geändert, Julia Klöckner (cdu) war hier in erster Linie eine Interessensvertreterin der Agrarindustrie. Deutschland hat den nationalen Plan (Stand Redaktionsschluss, Anm.) noch gar nicht eingereicht. Hier will man sich wohl noch Möglichkeiten offenhalten. Das österreichische Landwirtschaftsministerium kommuniziert in Österreich regelmäßig anderes, als es in Brüssel vertritt. Das war auch in der Trilogphase so. Klar ist: Österreich ist da vorgeprescht, was genau allerdings im Rahmen des Trilogs verhandelt wurde, wissen wir nicht, denn das ist ja nicht öffentlich. Die österreichische Regierung hat versucht, sicherzustellen, dass die Biolandwirtschaft weitermachen kann wie bisher und die konventionelle auch. Das Motto war, Stillstand zu bewahren. Weder konventionelle noch Biolandwirtschaft haben also in Österreich höhere Anforderungen für dieselben Fördergelder zu erfüllen? Es hat sich nicht rasend viel verändert. Allerdings wird die Biolandwirtschaft in Zukunft

»Die Biolandwirtschaft wird in Zukunft auch Biodiversitätsflächen anlegen müssen – ohne das finanziell abgegolten zu bekommen.« —  Brigitte Reisenberger, Global 2000

auch Biodiversitätsflächen anlegen müssen – ohne das finanziell abgegolten zu bekommen. Bei einem Blick auf die Aussendungen und Statements der großen Interessensvertretungen der LandwirtInnen (etwa der österreichischen Landwirtschaftskammer) der letzten Monate wird deutlich, dass speziell das Pestizidreduktionsziel in deren Augen das Ende von allem ist. Das war in den meisten Mitgliedsstaaten so. Stattdessen steht Regionalität an höchster Stelle. Doch Regionalität allein greift viel zu kurz. Sie ersetzt keine Tierschutzstandards, keine Ökologisierung, keine Reduktion des Fleischkonsums und klärt auch nicht, welche Futtermittel eingesetzt werden. Manchmal hat man im Diskurs das Gefühl: Hauptsache, es wird in Österreich produziert. Ist es als Ziel des gap-Regelwerks und hier der ersten – voll EU-finanzierten – Säule erkennbar, neue Ökologisierungsschritte zu belohnen? Grundsätzlich wurde ein Regelwerk präsentiert, das in diese Richtung steuern kann. Österreich hat sich außergewöhnlich viele Ausnahmeregelungen rausgehandelt – die Gegenrechnung der Maßnahmen im Agrar- und Umweltprogramm (öpul) zum Beispiel: damit möglichst viel dessen, was schon im Rahmen des öpul gefördert wird, mit den Öko-Regelungen der EU gegengerechnet werden kann. Die Kommission – und das betone ich so, weil wir ngos immer wieder gefragt werden, warum wir das so nennen – bezeichnet das als »Rabattsystem« der Gegenanrechnung. Solche Detailverhandlungen ziehen einem Regelwerk die Zähne. Bürokratisch aufwendiger wird es dadurch für die, die Förderungen bekommen wollen, auch.

Aus den Ausgangsvorschlägen der Europäischen Kommission ist im Trilog mit Mitgliedsstaaten und Parlament die neue GAP entwickelt worden.

Das Österreichische Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft (ÖPUL) wird etwa zur Hälfte aus europäischen Mitteln finanziert. Die andere Hälfte tragen wiederum zu rund 60% der Bund und zu 40% die Bundesländer. In der ÖPUL-Periode 2015– 2020, die in die derzeitige Übergangszeit bis zum neuen ÖPUL verlängert wurde, waren jährlich rund 434 Millionen Euro budgetiert, 112 Millionen davon für die »Maßnahme Biologische Wirtschaftsweise« – die größte mehrerer, kombinierbarer Förderungsgrundlagen.


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Brigitte Reisenberger Brigitte Reisenberger ist Landwirtschaftssprecherin der NGO Global 2000. Die nächste GAP ist dort einer ihrer zentralen Arbeitsbereiche.

Förderobergrenze bei Direktzahlungen In den europäischen Rahmen hat es die Obergrenze für Direktzahlungen von 100.000 Euro nur als »Option« geschafft – in Österreich hat sie aber trotzdem den Weg in den nationalen Strategieplan gefunden.

Davon profitiert vor allem Österreich und hier jene, die auch zuvor profitiert haben? Davon profitieren viele, auch Deutschland, aber Österreich profitiert mehr. Fairerweise muss man dazusagen, dass wir besonders profitieren, weil wir ein sehr großes Agrarumweltmaßnahmen-Programm haben. Das europäische System bringt also in Mitgliedsstaaten wie Österreich keine Anreize für eine andere Landwirtschaftsweise? Kaum. Vieles, das bereits im öpul gefördert wird, kann sich Österreich schon anrechnen lassen. Beim öpul wiederum wird in erster Linie immer wieder hervorgehoben, wie viele Bauern und Bäuerinnen hier irgendwie mitmachen. Es wird immer nur gesagt: »Über 80 Prozent der LandwirtInnen machen mit!« Nicht so sehr, ob die Teilnahme am Programm Veränderung bewirkt? Mit messbaren Erfolgen konnte das öpul bislang nicht alle überzeugen. Auch der österreichische Rechnungshof kritisiert wiederholt, dass das öpul teuer ist, aber sehr geringe Auswirkungen auf Klima und Umwelt hat. Im Green Deal hat sich die Europäische Union dazu entschieden, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Gleichzeitig wird mit dem öpul ein Förderprogramm weitergeführt, das Glyphosateinsatz ermöglicht. Die gap ist ein Rahmenprogramm, das unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure entstehen muss. Wie funktionierte der Konsultationsprozess? 2019 war der Kick-off für den Beteiligungsprozess. Der Nationale Strategieplan wird parallel zum europäischen Gesetzgebungsprozess, dem Trilog, gestartet – andernfalls wäre

die Zeit zu knapp – und wenn sich die Entwürfe auf europäischer Ebene ändern, dann ändert das auch die Voraussetzungen für die nationalen Pläne. Wie sind NGOs auf europäischer und auf nationaler Ebene eingebunden? Es gibt einerseits schon Kontakt zur Kommission, der ist aber sehr überschaubar und findet vor allem über die europäischen Dachorganisationen der ngos statt – in unserem Fall also über Friends of the Earth Europe. Wir sind auf nationaler Ebene eingebunden, indem wir, wenn Teildokumente veröffentlicht werden, Stellungnahmen einschicken können. Zusätzlich gibt es Webinare, in denen Inhalte präsentiert werden, bei denen man Fragen stellen kann, und vereinzelt auch Arbeitsgruppen, in die auch ngo-VertreterInnen geladen werden. Was wird aus dem Nationalen Strategieplan veröffentlicht und wie läuft der Dialog ab? Es werden alle paar Monate schrittweise Dokumente veröffentlicht, mitunter sind sie Hunderte Seiten lang, und dann gibt es die Möglichkeit für zivilgesellschaftliche Akteure, Stellungnahmen abzugeben. Was wir aber oft nicht wissen, ist, was mit unseren Stellungnahmen passiert. Der Beteiligungsprozess ist EU-Vorgabe. Für mich hat das insgesamt einen Informations- und keinen Dialogcharakter. Für uns ist es daher schon ein Erfolg, dass jemand drüber spricht. Wir haben etwa lange zum öpul-Programm nur Dokumente ohne die Fördersummen bekommen für den Konsultationsprozess. Es hängt aber der Effekt des ganzen Programms davon ab, ob eher die »harmlosen« – wir nennen sie hellgrünen – Maßnahmen mit hohen Prämien versehen werden oder eher die besonders ökologisch wirksamen, dunkelgrünen. Das blieb aber leider eines der bestgehüteten Geheimnisse bis zur Fertigstellung des Nationalen Strategieplans. Im neu entstandenen Bereich »Konditionalität« soll sichergestellt werden, dass nur gefördert wird, was Umwelt-, Klima- und Tierwohlauflagen erfüllt. Sind es höhere Standards geworden?

B ILD EVE LYN KNOLL

»Speziell das Pestizidreduktionsziel ist in den Augen der Interessensvertretungen der LandwirtInnen das Ende von allem.« —  Brigitte Reisenberger, Global 2000


Bei Weitem nicht ausreichend, da sind sich eigentlich alle europäischen Umweltorganisationen einig, dass sich außer dem Namen nichts ändert und dass von der Zielsetzung der Kommission, die gap mehr auf die Green-Deal-Zielen auszurichten, kaum etwas übriggeblieben ist. Es wurde von den Mitgliedsstaaten vor allem daran gearbeitet, die Green-Deal-Ziele schlechtzureden. Und die Ziele zu beschädigen. Da gab es erstaunlich viele Studien, die sich damit auseinandergesetzt haben, welche negativen Auswirkungen die Pestizidreduktion auf die landwirtschaftliche Produktivität in Europa haben werde. Es müsste dann alles importiert werden, denn man würde in Europa nichts mehr produzieren können. Wer das aller mitträgt, wundert einen schon, denn es werden neben ökologischen auch soziale Ziele verfolgt, um Bauern und Bäuerinnen eine bessere Wirtschaftsgrundlage zu bieten. Sie werden nämlich die Ersten sein, die von Überschwemmungen, aber auch von Trockenheit massiv betroffen sein werden. Eigentlich sollte die gap die europäische Landwirtschaft so umbauen, dass LandwirtInnen nicht Opfer des Klimawandels werden und aber auch ihre VerursacherInnenrolle verkleinert wird.

Warum benötigen LandwirtInnen dazu Anreize – wäre das nicht im ökonomischen Eigeninteresse? Mit der Förderung hat man Lenkungseffekte, die scheint es zu brauchen. Betriebe zwischen 10 und 30 Hektar Ackerfläche müssen mindestens zwei Kulturen anbauen, Betriebe mit mehr als 30 Hektar mindestens drei Kulturen. Die Hauptkultur darf einen Anteil von 75 Prozent nicht überschreiten. Wird das die Landschaft maßgeblich verändern? Nein, wir werden weiterhin Maiswüsten haben. Wie da »Fruchtfolge« niederverhandelt wurde, macht diese Vorgaben wenig wirksam. Dabei wäre eine wirklich diverse Fruchtfolge mit stickstoffbindenden Pflanzen unumgänglich, um Nährstoffverlusten vorzubeugen und chemischsynthetische Düngemittel zu ersetzen.

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Diversifizierung der angebauten Feldfrüchte wird als zentrale Maßnahme angeführt und der Erhalt einer Prämie ist daran gebunden. Ist das das zentrale Instrument zur Förderung von Biodiversität oder von Klimawandelanpassungsmaßnahmen? Die Diversifizierung von Fruchtfolge und Anbau wäre ein extrem wichtiger Hebel, weil nur eine vielfältige Landwirtschaft sich auf Wetterwechsel und Extremwetter einstellen kann. Sich nur auf einige wenige Feldfrüchte zu verlassen ist eine sehr riskante Strategie. Die Diversifizierung ist einfach eine Risikostreuung für ProduzentInnen.

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MISCHKULTUR

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Wie exotische Geschmäcker im eigenen Garten wachsen können.

Exotisch« heißt in seiner engeren Bedeutung: »aus fernen Ländern« kommend. Doch ebenso ausgefallen und ungewöhnlich. Und was solchermaßen als exotisch gilt, ist eine Frage der Perspektive. So galten im Barock die aus Süd- und Mittelamerika stammenden Kartoffeln und Tomaten als exotisch. Lange wurden sie nur in herrschaftlichen Gärten und allein zur Zierde angebaut. Erst im 18. Jahrhundert wurde ihr Anbau in Europa so richtig populär und heute zählt die Tomate hierzulande zum meistgegessenen Gemüse. Niemand käme mehr auf die Idee, sie als exotisch zu bezeichnen. Da sich die Kulturpflanzenausstattung unserer Gärten und Äcker immer wieder verändert hat, können wir davon ausgehen, dass in einhundert oder zweihundert Jahren Pflanzen in unseren Gärten gedeihen werden, die wir heute noch kaum kennen. Wenn wir einen Blick in die Obstregale der Supermärkte werfen, fallen uns einige Früchte ins Auge – und in den dann nicht so ökologischen Einkaufskorb –, die wir auch in unseren Breiten wunderbar anbau-

en und uns so jetzt mitten im Winter mit frischen Früchten versorgen können. Allen voran ­möchte ich hier ein Plädoyer für die Kiwi halten, deren selbst geerntete Früchte seit Wochen meinen Frühstücksbrei verfeinern. Alles, was Kiwis brauchen: ein Rankgerüst, einen richtig gut gedüngten Boden und viel Wasser. Die großen Kiwis reifen im September und Oktober, und zwar folgeartig. In den meisten Lagen werden sie unreif geerntet und reifen dann im Lager nach – denn so können sie 8–12 Wochen gelagert werden (trocken und kühl, zum Beispiel in einer frostfreien Garage). Sobald die Früchte weich werden, können sie gegessen werden. Zu Weihnachten habe ich heuer einen großen Korb voll halbreifer Kakis verschenkt, die ich am Bauernmarkt in St. Pölten erstanden habe. Seit einigen Jahren gibt es frosttolerante Auslesen, die auch in unseren Gärten gedeihen. Wer sich in die Kultur dieser neuen, himmlisch aromatischen Frucht einlesen will (und erfahren will, wo man Bäumchen bekommt), dem sei Sigi Tatschls wunderbares Buch »555 Obstsorten für den Permakulturgarten« empfohlen. Und wer im Gemüsegarten selbst anbauen will, was im Supermarktregal meist von weit hergereist ist, dem sei die köstlich süß-säuerliche Andenbeere empfohlen. Die Pflanze wächst bis in den Spätsommer hinein üppig, ihre Früchte reifen bis zu den ersten Frösten im Herbst und sind dann auch einige Wochen lagerbar. Und noch eine gute Nachricht zum Schluss: Exoten brauchen keine besonders exotische Pflege. Sie gedeihen mit den im Biogarten bewährten guten Biodüngern – wie eigener Kompost oder Wurmhumus – und sind auch sonst nicht besonders anspruchsvoll.

TEXT Andrea Heistinger

Agrarwissenschafterin und Gartenbuchautorin Andrea Heistinger weiß, welche ungewöhnlichen Geschmäcker im Garten geerntet werden können. andrea-heistinger.at


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HEILKRÄUTER FÜR DIE KLEINSTEN? TEXT Annalena Eisfeld

Mit Vorsicht zu genießen! Babys und Kleinkinder unter zwei Jahren sollten keinen Pfefferminztee verabreicht bekommen!

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uch wenn gegen viele Wehwehchen ein Kraut gewachsen ist: Wo ärztliche Konsultation angezeigt ist, können Laiendiagnose und Selbsttherapie keine Alternative darstellen. Bei Kindern ist allerdings darüber hinaus selbst dort, wo Heilkräuter bei Erwachsenen gern gegen harmlose Beschwerden eingesetzt werden, mitunter Vorsicht geboten. Man sollte sich stets dessen bewusst sein, dass Kräuter, auch wenn sie noch so harmlos klingen, grundsätzlich sowohl Wirkungen als auch unerwünschte Nebenwirkungen haben können. Grundsätzlich wird die Verwendung von industriell hergestellten pflanzlichen Arzneimitteln, sogenannten Phytopharmaka, empfohlen, deren Qualität und therapeutischer Effekt er-

wiesen und deren Unbedenklichkeit belegt sind. Ein generelles Problem stellen die großteils fehlenden klinischen Pfefferminze Studien an Kindern dar. Daher »empfiehlt die Europäische Arzneimittelagentur ema mit wenigen Ausnahmen keine Anwendung pflanzlicher Arzneimittel bei Kindern unter vier Jahren«, erklärt Hermann Stuppner, Leiter der Abteilung für Pharmakognosie an der Universität Innsbruck. Pflanzliche Arzneimittel seien aber wegen ihrer guten Verträglichkeit und des geringen

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Krampflösend, entzündungshemmend und reizlindernd – die Kräuterapotheke kann Linderung verschaffen.


Risikos für Nebenwirkungen aus der Kinderheilkunde nicht wegzudenken und würden daher von Ärztinnen und Ärzten im sogenannten Off-Label-Use – das heißt sinngemäß im »nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch« – zur Behandlung einer Vielzahl von Krankheitsbildern eingesetzt. Dabei stützen sich die ÄrztInnen auf Ergebnisse von Anwendungsbeobachtungen und eigene Erfahrungen. Auch Wolfgang Kubelka, emeritierter Professor für Pharmakognosie der Uni Wien, betont, dass Phytopharmaka in der Praxis von Pädiatrie bis Geriatrie, also in jedem Lebensalter, eingesetzt werden. Die Hauptindikationen für den Einsatz der pflanzlichen Stoffe seien »sicher Atemwegserkrankungen und Magen-Darm-Beschwerden, doch auch bei Stoffwechsel-, Harntrakt- oder Hauterkrankungen können sie Erleichterung bringen«, sagt Kubelka. Eine ganze Reihe von Kräutern kann Linderung bei klassischen kindlichen Beschwerden verschaffen. Sehr häufig werden sie als Tee verabreicht. Auf diese Weise können etwa Melisse und Lavendel beruhigend auf das Nervensystem wirken – das ist nie verkehrt, wenn’s irgendwo zwickt.

WENN DER HALS SCHMERZT Wenn die Nase rinnt und sich ein Infekt anbahnt, können die Blüten des Holunders wärmen und zum Schwitzen anregen. Als Begleiter eignet sich der Thymian, dessen sämtliche Bestandteile abgesehen von der Wurzel als Arznei dienen. Das in Thymian enthaltene ätherische Öl weist unter anderem die wirksamen Substanzen Thymol und Carvacrol auf. Diese tragen dazu bei, dass Thymian »antibakteriell und schleimlösend« wirkt, sagt Kubelka und bezeichnet den Thymian deswegen als »das Hustenmittel schlechthin«. Als Sirup, Tee oder als Bad entfaltet das Küchenkraut gerade bei

Es geht auch anders! Johannes Gutmann, SONNENTOR Gründer

Bio braucht mehr Förderung Eine Landwirtschaft ohne chemisch-synthetische Pestizide und mit mehr Achtsamkeit für die Umwelt – das wird von immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten eingefordert. Um der stetig steigenden Nachfrage nachzukommen, müssen genug Bio-Rohwaren verfügbar sein. Doch genau hier liegt der Knackpunkt, denn nach wie vor wird Bio nicht ausreichend unterstützt. In den von der Regierung präsentierten Plänen zur Umsetzung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP), ist von einer notwendigen Stärkung von Bio wenig zu erkennen. Und das, obwohl doch gerade die biologische Wirtschaftsweise wegen ihrer ökologischen Nachhaltigkeit stärker belohnt werden sollte. Stattdessen wird die Basisprämie für Bio-Landwirtschaft gekürzt. Ein herber Rückschlag für die Existenzsicherheit vieler Bio-Bäuerinnen und -Bauern. Die ökologische Wirtschaftsweise ist der einzige zukunftsweisende Weg, um auch nachhaltig unsere Ernährung sicherzustellen. Das braucht den entsprechenden Anschub. Deshalb muss hier jedenfalls mehr als derzeit vorgesehen investiert werden, damit Bio weiter wachsen kann. Wir werden uns weiterhin für die Wertschätzung von Bio und damit auch für eine enkeltaugliche Landwirtschaft einsetzen. www.sonnentor.com/esgehtauchanders

Thymian

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG VON SONNENTOR

»Pflanzliche Arzneimittel werden bei Kindern wegen ihrer guten Wirkung und Verträglichkeit sehr gerne eingesetzt. Aber Vorsicht: Nicht alle sind auch für Babies und Kleinkinder geeignet!« —  Wolfgang Kubelka, Uni Wien


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Kamille

Thymian Für eine wohltuende Wanne 100 Gramm Thymiankraut mit kochendem Wasser übergießen, 20 Minuten ziehen lassen und anschließend abseihen. Diese Flüssigkeit nun dem Badewasser zusetzen und das Kind eine Viertelstunde baden lassen. Zur Teezubereitung einen Teelöffel Thymian mit einem Viertelliter kochendem Wasser übergießen, 5 Minuten bedeckt stehen lassen und abseihen. Über den Tag verteilt können Kinder drei mäßig warme Tassen trinken.

Anis

Keuch- und Krampfhusten seine Wirkung. Die Eibischwurzel und Isländisches Moos gehören zu den sogenannten Schleimdrogen, welche Polysaccharide enthalten, die Reizhusten mindern können. Dennoch sind manche Kräuter mit Vorsicht zu genießen. Kubelka erwähnt etwa, dass »viele den Huflattich noch als hustenstillendes Kraut kennen«. Heutzutage werde Huflattich aber aufgrund enthaltener toxischer Stoffe nicht mehr als Heilkraut empfohlen. »Auch mit Pfefferminzöl und mentholhaltigen Salben muss man aufpassen. Sie dürfen bei Kleinkindern auf keinen Fall im Bereich der Nase angewendet werden, da das zu massiven Atembeschwerden führen kann.«

KÜMMEL- UND KAMILLENKRAFT Durch ihre krampflösende und entzündungshemmende Wirkung sind Kamillen- und Pfefferminztees altbewährte Hausmittel zur Beruhigung von Magenbeschwerden, die schnell zu Besserung führen können. Fenchel kann hingegen insbesondere dann hilfreich sein, wenn Blähungen mit Stuhlverstopfungen einhergehen, und ist als Arznei-Honig aus der Apotheke oder als schwach Fenchel dosierter Tee

einsetzbar. Auch Kümmel und Anis sind in diesem Anwendungsgebiet Klassiker, aber bei Säuglingen und Kleinkindern aufgrund des intensiven Aromas oft eher unbeliebt. Auch gegen Durchfälle können die in der Kamillenblüte enthaltenen entzündungshemmenden Stoffe als Tee zubereitet helfen. Und auch ein wenig abseits der Kräutersammlung findet sich ein natürlicher Helfer: »Heidelbeeren sind zwar keine Kräuter, doch als Teedroge können sie sanft stopfend wirken«, erklärt Kubelka. Dazu wird ein gehäufter Esslöffel der getrockneten Beeren zehn Minuten lang in Wasser gekocht und die Mischung anschließend abgeseiht. Für Kinder sind drei bis fünf Mal täglich einige Esslöffel des ungesüßten Tees ausreichend.

KEIMTÖTER Einen Blick in den Gewürzschrank werfen kann, wer sich die Wirkung der Nelke zunutze machen will. Das in ihr enthaltene ätherische Öl kann KinderzahnschmerKümmel zen lindern. Dazu kann eine einzelne Gewürznelke nahe der schmerzenden Stelle gekaut oder neben den betroffenen Zahn gelegt werden. Leidet ein Baby unter Schmerzen beim Zahndurchbruch oder ist Kauen nicht möglich, empfiehlt es sich, das Zahnfleisch mit Nelkenöl zu massieren. Auch wenn die Zähne dann da sind, kann das Kauen oder Lutschen einer Gewürznelke die Zeit bis zum Arzttermin erträglicher machen.

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»Thymian wirkt antibakteriell und schleimlösend und kann deswegen als das Hustenmittel schlechthin bezeichnet werden.« —  Wolfgang Kubelka, Uni Wien


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DIE WEICHE SEITE DER BRENNNESSEL

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Die Brennnessel ist nicht nur die Heilpflanze des Jahres 2022, sondern auch robuster Rohstoff.

ie Brennnessel ist eine recht anspruchslose Pflanze und benötigt neben Regenwasser zur Zeit der Massebildung im Juni und Juli fast nur einen stickstoffreichen Boden. Bei geringem Niederschlag holt sich die Nessel bei guter Zugänglichkeit zu den unteren Bodenschichten Wasser über ihre Wurzeln. Der kommerzielle Anbau der Brennnessel beginnt meist mit Stecklingen, die als Dauerkultur bis zu zehn Jahre lang auf den Feldern wachsen und ein Mal im Jahr geerntet und fast vollkommen verarbeitet werden. Die Wurzel der Pflanze bleibt nach dem Ernten der Pflanze in der Erde und kann nach Nutzung der Dauerkultur für pharmazeutische Zwecke verwendet werden, aus den Blättern der Brennnessel werden Tees oder Suppen hergestellt und die ebenfalls zum Verzehr geeigneten Samen sind echte Eiweißbomben. Außerdem können aus dem Holz der Brennnesselstängel Pellets gepresst werden. Im Garten ist die Brennnessel Botin eines nährstoffreichen Bodens und um-

gekehrt ist Brennnesseljauche ein nährstoffreicher Dünger. Mithilfe der in den Nesselzellen enthaltenen Ameisensäure lässt sich ein effektives Pflanzenschutzmittel herstellen. Brennnesseln wachsen wild, können aber auch ressourcenschonend angebaut werden. Der größte Teil im kommerziellen Brennnesselanbau in Europa findet für die Teeproduktion, wofür die Nesselpflanze von einzelnen kleinen BiolandwirtInnen kultiviert wird und die Blätter getrocknet und zerkleinert werden, statt. Brennnesseln sind aber nicht nur der Ausgangsstoff für wohltuende Heißgetränke, sondern auch für eine vielseitig einsetzbare Faser, die schon in der Vergangenheit immer wieder als Ersatzstoff für Baumwolle eingesetzt wurde, wenn diese knapp war. In den vergangenen Jahren wurde wieder begonnen, mit der Faser zu experimentieren. Verschiedene Brennnesselgewächse weisen unterschiedliche Faseranteile auf. Um möglichst viele Brennnesselfasern zu gewinnen,

TEXT Florian Jauk

Die Produktion synthetischer Fasern steigt laut dem europäischen Chemiefaserverband (Cirfs) seit 1965 weltweit enorm, der Anbau von Naturfasern – mit Ausnahme von Baumwolle – stagniert. cirfs.org


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Ein Viertel des weltweiten Insektizid- und ein Zehntel des Pestizidumschlags kommen im Baumwollanbau zum Einsatz. Zudem braucht die Baumwollpflanze 3600–26.900 m³ Wasser pro Tonne Wolle. Infos unter umweltbundesamt.de

Synthetische Fasern wie Polyester bestehen aus Kunststoff, der aus fossilen Energieträgern unter hohem Energieaufwand gewonnen wird, und setzen beim Waschen Mikroplastik frei, das schlussendlich im Meer landet.

BIORAMA.EU/ MIKROPLASTIK

den können, außerdem variieren die einzelnen Fasern in ihrer Länge und Breite. Der Faserteil der Brennnessel wird zunächst durch mechanische Siebe und Schüttler vom Holzteil des Stängels getrennt, die gewonnenen Brennnesselfasern anschließend mit Ultraschall- und/oder Dampfdruckaufschlussverfahren schonend gereinigt. Damit nicht genug: Die Fasergewinnung ist nicht nur aufwändig, sondern auch nicht sonderlich ertragreich, da der Faseranteil meistens Die bis zu drei Meter groß werdende Fasernessel hat einen erhöhten Faseranteil und eignet sich somit sehr gut für die Produktion von Textilien. unter 20 Prozent der Pflanze liegt. Am Ende der Aufbereitung bleiben diese als Faserflocken übrig, die in Ballen gewird in Europa die Fasernessel angebaut, sie presst und in die Spinnerei gebracht werden. ist eine Züchtung der »Großen Brennnessel«. Hier entsteht mithilfe maschineller WeiterverIn Asien, wo auch einiger Brennnesselanbau arbeitung ein Vorgarn, das nach einem weitestattfindet, setzt man auf das Brennnesselgeren Spinnverfahren, bei dem die Fasern mithilwächs Ramie. Die Fasernessel zählt wie Flachs fe einer rotierenden Trommel verdreht werden, und Hanf zu den Bastfasern und hat aufgrund am Ende ein cremeweißes Garn ergibt. Da die ihrer Züchtung einen bis zu vier Mal höheren Brennnesselfaser im Vergleich zu anderen NaFaseranteil als ihre Stammform. Zudem hat die turfasern aufgrund ihres Mangels an Spinnspobis zu drei Meter hohe Fasernessel deutlich weren glatter und dadurch schwieriger zum Spinniger Nesselzellen als andere Brennnesselgenen ist, wird es meist als Mischgarn mit Viskose wächse, die für das brennende Gefühl bei Hautfür Textilien verwendet. Trotz ihres Produktikontakt mit der Pflanze verantwortlich sind. onsaufwands haben Nesselgarne allerdings beVIEL AUFWAND, WENIG ERTRAG stechende Vorteile. Ein Stoff aus Nesselgarn kann sehr gut Feuchtigkeit aufnehmen, hat eiBrennnesselfasern sind ein nachwachsennen seidenartigen Glanz und empfiehlt sich aufder Rohstoff, der aufgrund seiner Fasereigengrund seiner guten Isolierung sowohl für Somschaften wie beispielsweise der guten Isoliermer- als auch Winterkleidung. Zudem gelten fähigkeit großes Potenzial für die TextilindusGewebe und Gestricke aus Nesselgarn als lang trie hat. Brennnesselfasern sind im wahrsten haltend und schmutzresistent und finden daher Sinne des Wortes Naturfasern, da die Pflanze auch in Heimtextilien und Bezugsstoffen für Inkeine künstliche Bewässerung benötigt, die Fanenverkleidungen von Autos Verwendung. sern nach dem Anbau nicht mit Pestiziden behandelt werden müssen und im Gegensatz zu BRENNNESSELAUTOS Baumwollfasern vor dem Färben nicht mit Laugen und Wasser gespült und gebleicht werden, Aber nicht nur bei Innenverkleidungen, sondern da sie von Natur aus weiß sind. auch bei Außenverkleidungen von Autos könAnders als bei den Baumwollalternativen nen Brennnesseln eingesetzt werden. Als KomFlachs und Hanf liegen bei der Brennnessel ponente in Faserverbundwerkstoffen könnte die jüngeren Fasern ganz im Inneren des Ständie Pflanze eine tragende Rolle bei Fahrzeugkagels, der zur Fasergewinnung nach einer Trockrosserien einnehmen. Faserverbundwerkstofnungsphase gebrochen werden muss. Dies gefe sind Werkstoffe aus einer Faser sowie einem schieht in Handarbeit oder mechanisch. Die Füllstoff, die zusammengeführt werden, sich mit zum Vorschein kommenden Fasergruppen ihren unterschiedlichen Eigenschaften gut ersind mit 15 bis 30 Zentimetern viel kürzer als gänzen und aufgrund ihres geringen Gewichts jene von Hanf, die bis zu zwei Meter lang werbeim Leichtbau in der Verkehrsindustrie ein-

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37 gesetzt werden. Ein Beispiel hierfür ist das Modell i3 des Autoherstellers bmw, dessen Karosserie komplett aus Faserverbundwerkstoffen besteht. So wie auch bei diesem Modell bestehen die Verbindungen allerdings meistens aus synthetischen Fasern wie Carbon, die Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen steigt. Diese Nachfrage erkannte auch das Vorarlberger Unternehmen Vtrion, das sich auf Smart Textiles spezialisiert hat, mit Faserverbundwerkstoffen forscht und bei der Brennnesselfaser aufgrund seiner Zugfestigkeit großes Potenzial als Ersatz für synthetische Fasern sieht.

STARKE FASER Aber nicht nur im Fahrzeugbau, sondern auch im Bauwesen wird an erneuerbaren Rohstoffen geforscht. Ein Beispiel hierfür ist Textilbeton, bei dessen Herstellung dem Beton technische Textilien beigemischt werden, womit der Baustoff nicht nur belastbar, sondern auch korrosionsfrei ist. Auch hierzu experimentierte ­Vtrion mit der Brennnesselfaser als Ersatz für die Carbonfaser. Carbonfasern sind industriell gefertigte Fasern aus kohlenstoffhaltigen Materialien, die nahezu nur aus Kohlenstoff bestehen, vor allem aufgrund ihrer Festigkeit, Steifigkeit und ihres geringen Gewichts begehrt sind, synthetisch hergestellt werden und daher zunehmend von organischen Materialien ersetzt werden sollen. Das Ergebnis der Forschungen mit der Brennnesselfaser als Faserverbundwerkstoff: Trotz der hohen Zugfestigkeit und der Möglichkeit, die Brennnessel lokal anzubauen, sah man in der Praxis Probleme, da die meisten Fasern mit einer Länge unter 30 Zentimetern als Faserverbundwerkstoffe unbrauchbar sind, denn kürzere Fasern bedeuten auch eine geringere Zugfestigkeit. So gefragt organische Rohstoffe wie die Brennnesselfaser für die Autoindustrie und das Bauwesen auch sind, solange man den Anteil an Langfasern nicht erhöhen und die Massenproduktion erleichtern kann, bleiben Brennnesselautos und Brennnesselbrücken Zukunftsvisionen.

»Solange sich der Preis für Materialien wie Baumwolle nicht ändert, wird es die Brennnessel trotz ihrer zahlreichen Vorteile sehr schwer haben.« — Werner Moser, Projektleiter bei Mattes & Amman terhin stark ansteigen. Doch aufgrund ihrer schlechten Ökobilanz werden Alternativstoffe gesucht, deren Anbau ressourcenschonend möglich ist. Die Brennnessel ermöglicht zwar einen ressourcenschonenden Anbau, doch die aufwändige Fasergewinnung hat ihren Preis. Einen Preis, den viele in der Modeindustrie nicht zahlen wollen. Versuche, die Brennnessel großflächig für die Textilindustrie anzubauen, um zu einer regionalen Alternative zur Baumwolle zu werden, scheitern daher oftmals am Geld. So auch jener eines großen Textilunternehmens aus einem kleinen Ort in Baden-Württemberg. Der Meterwarenhersteller Mattes & Ammann erkannte das Potenzial der Pflanze und setzte 2012 auf einem Feld in der Nähe des Firmensitzes 40.000 Nesselpflanzen ein. Und

Das Unternehmen Vtrion gehört zur Grabher Group, die 1999 in Lustenau gegründet wurde und sich seitdem auf die Entwicklung von technischen Textilien konzentriert. grabher-group.company

DIE ZUKUNFT HÄNGT AM SEIDENEN FADEN Auch in der Kleidungsindustrie haben Kunstfasern einen hohen Stellenwert und sind neben der Baumwolle nicht mehr wegzudenken, weswegen die Anbaumengen beider Stoffe wein-

Der schwierigste und aufwendigste Prozess bei der Brennnesselfaserproduktion ist das Trennen von Holz- und Faserteil der Pflanze.


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mattesammann.de

GANZ SCHÖN WEICHE BRENNNESSELN

Die Mühlviertler Biobäuerin Christiane Seufferlein bietet online und in Präsenz Spinn- und Färbekurse mit Naturpflanzen an. faserundfarbe.at

Gemeinsam mit Mattes & Ammann kreierte die Düsseldorfer Modedesignerin Gesine Jost eine Kollektion mit 40 Kleidungsstücken, bestehend aus Brennnesselgarn, das mit Bambusviskose gemischt und zu einem weichen, seidig-glänzenden Gestrick weiterverarbeitet wurde, aus dem T-Shirts, Kleider und Pullover genäht wurden. Die limitierte Kollektion aus den Fasern von »Marlene« ist bereits vergriffen, dennoch verkauft Jost in ihrem Onlineshop weiterhin Kleidungsstücke aus Brennnesselstoffen wie der Ramie. Währenddessen wird im Mühlviertel Brennnesselgarn produziert, jedoch nur in sehr kleinen Mengen. Christiane Seufferlein bietet Kurse an, in denen man altes Handwerk neu erlernt. Dazu zählen neben dem Spinnen und Weben mit Flachs sowie dem Färben mit heimischen Wildpflanzen auch die händische Gewinnung der Brennnesselfasern und deren Weiterverarbeitung zu Brennnesselgarn mit der Handspindel. Zu diesem Zweck plant die Biobäuerin, im kommenden Jahr auf ihrem Hof selbst Fasernesseln anzupflanzen, um ihren KursteilnehmerInnen die Brennnessel näherbringen zu können. Trotz des erfolgreichen Pilotprojekts von Mattes & Ammann sind zehn Jahre nach dem

Auch weil das Brennnesselgarn von Natur aus cremeweiß ist und daher vor dem Färben nicht gebleicht werden muss, kann die Produktion von Textilien insgesamt ressourcenschonender erfolgen als bei manch anderen Stoffen.

Einsetzen der ersten Fasernesselstecklinge die Felder in Ungarn Geschichte, die Pflanzen in Baden-Württemberg wachsen zwar noch, finden aber in der Textilindustrie kaum Verwendung. Die Hauptprobleme: der Preis, der pro Kilo reinem Brennnesselgarn im Vergleich zu dem von Baumwolle schätzungsweise um das 10- bis 15-Fache höher ist, und die großen Investitionen, die nötig wären, um eine industrielle Produktion möglich zu machen. Außerdem sei es schwierig, LandwirtInnen zu überzeugen, ihre gewohnten Kulturpflanzen vom Acker zu nehmen, um großflächig Brennnesseln anzubauen, so Werner Moser. Man habe zwar gezeigt, wie gut Brennnesselgarn gewonnen und eingesetzt werden könne, dennoch sei die Nachfrage nach Meterware zu gering und die Produktion damit nicht rentabel. Solange sich der Preis für Materialien wie Baumwolle nicht ändere, werde es die Brennnessel trotz ihrer zahlreichen Vorteile sehr schwer haben, so Moser. Trotzdem will man beim Textilunternehmen weiterhin Überzeugungsarbeit leisten und den Traum von Brennnesseltextilien im großen Stil noch nicht aufgeben. »Ich glaube, was wir tun, ist richtig. Und das wird kommen und das muss kommen«, sagt Werner Moser. Er ist sich sicher, dass Baumwolle in den nächsten Jahren teurer wird und damit Alternativstoffe gefragter werden. Bis dahin schlummert das Potenzial des Multitalents Brennnessel noch weitestgehend ungenützt vor sich hin.

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Der Maschenstoffhersteller Mattes & Ammann ist ein Familienbetrieb, der 1951 von Albrecht Ammann und Christoph Mattes gegründet wurde. Derzeit beschäftigt das Unternehmen in Meßstetten-Tieringen 250 MitarbeiterInnen, die mithilfe von über 500 Maschinen jährlich zirka 50–60 Millionen Quadratmeter Stoff herstellen.

zwar nicht irgendeine Nessel: Gepflanzt wurden Stecklinge der »Große Brennnessel« mit einem Faseranteil von 15 Prozent, die von Mattes & Ammann auf den Namen »Marlene« getauft wurden. 2013 wurden noch einmal 110.000 Pflanzen in der Ungarischen Tiefebene auf einer Fläche von zehn Hektar eingesetzt, für das Fasergewinnungsverfahren wurde außerdem ein Patent angemeldet, das durch mechanische Trennung von Faser und Holz den Prozess hin zu Brennnesselfasern erleichtern soll. Da man beim Produktionsverfahren von Nesselgarn auf Pestizide und chemische Dünger verzichten kann, wäre auch eine Biozertifizierung kein Problem, sagt Werner Moser, der Projektleiter von »Marlene«. Doch so weit kam es nicht. Da die Nachfrage zu gering ist, wird das Garn aus den Fasern der Brennnessel nicht in Masse produziert, das Ergebnis nach der Verarbeitung der Pflanzen kann sich aber in Einzelstücken sehen und spüren lassen.



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SOLARKREISLAUF TEXT Florian Jauk

Die Neufassung des deutschen Elektrogesetzes (ElektroG2) ist seit 2015 in Kraft. Seitdem sind die Rücknahme, Entsorgung und Recycling von PV-Modulen in Deutschland gesetzlich geregelt. Infos auf elektrogesetz.de

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aut dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesystem (ise) deckten 2020 rund zwei Millionen in Gebrauch befindliche Photovoltaikanlagen in Deutschland ungefähr neun Prozent des Brutto-Stromverbrauchs ab. In Österreich liegen die Werte weit darunter. 2020 wurden laut einem Bericht des Klimaschutzministeriums rund 0,5 % Prozent des Brutto-Stromverbrauchs durch heimische Photovoltaik erzeugt. Solaranlagen werden eine durchschnittliche Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren zugeschrieben. Besonders durch den Photovoltaik-Boom Ende der 90er-Jahre in Deutschland fallen immer weiter wachsende Mengen an ausgedienten Solaranlagen an, die in Zukunft weiter steigen werden.

antwortlich für die Stromgewinnung und Netzeinspeisung, jedoch gelten sie als Verschleißteile der Anlage. Beim Leistungsverlust von Photovoltaikmodulen spricht man von Degradation. Richtwert für diese Degradation ist laut einer Studie des ise ein durchschnittlicher jährlicher Leistungsverlust von 0,15 Prozent. Die Leistungsgarantien von HerstellerInnen für PV-Module von 25 bis 30 Jahren können somit gut eingehalten werden, denn diese garantieren einen maximalen linearen Leistungsabfall der Module von 20 Prozent. Auch Wechselrichter gelten aufgrund der starken elektrischen Beanspruchung als Verschleißteil einer Photovoltaikanlage.

WANN SOLARANLAGEN DEN GEIST AUFGEBEN

Zwischen den PV-Modulen und dem Wechselrichter ist die Anlage verkabelt, ein Heimspeicher fungiert als Batterie. Um die Leistungsfähigkeit einer Solaranlage zu Hause

Eine Solaranlage besteht aus mehreren Komponenten, unter anderem aus Solarmodulen und einem Wechselrichter. Sie sind hauptver-

GRÜNDE FÜR DEN LEISTUNGSABFALL

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Wie entsorgt man Solaranlagen und welche Teile können weiterverwendet oder recycelt werden?


zu überprüfen, sollte nicht nur zu Jahresende, sondern auch regelmäßig zwischendurch ein Blick auf den Stromertrag geworfen werden, sagt Jürgen Beckmann, Umweltschutzingenieur am Bayerischen Landesamt für Umwelt. Wichtig sei es außerdem, sicherzustellen, dass die PV-Module weder verschmutzt noch verschattet sind, denn das hat große Auswirkungen auf die Leistung der gesamten Anlage.

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Einzelne PV-Module können zwar repariert werden, wenn das jedoch nicht möglich ist, können sie genau wie leistungsschwache Wechselrichter durch baugleiche Modelle getauscht werden. ­Dabei kann man entweder auf Neuware oder auf gebrauchte Teile von Zweitmarktplattformen setzen, welche sich zu einem eigenen Marktsegment entwickelt haben. Auf verschiedenen Plattformen können NutzerInnnen ihre ausgedienten Solaranlagen inserieren und Ausschau nach gebrauchten Einzelteilen halten. Der Markt hat sich rasant vergrößert, mittlerweile bieten in Deutschland viele Plattform den An- und Verkauf gebrauchter Komponenten einer Photovoltaikanlage an. Ein besonderes Service bietet das Hamburger Unternehmen 2ndlifesolar: Es holt deutschlandweit alte oder defekte Photovoltaikmodule direkt bei den KundInnen ab und überprüft sie auf deren Funktionalität. Sind die Module noch intakt, können sie nach intensiver Prüfung auf der Zweitmarktplattform verkauft werden. Auch Wechselrichter können durch ein baugleiches Modell ausgetauscht werden. Hierbei ist unbedingt darauf zu achten, dass die Stromkennwerte des neuen Wechselrichters zur bestehenden Anlage passen, sagt Beckmann. Verfügt man nicht über das nötige Fachwissen einzelne Teile korrekt auszutauschen, sollten dies von einem Solarteur, der die Anlage installiert hat, durchgeführt werden. Jürgen Beckmann gefällt die Idee der Secondhand-Solaranlagen, auch er würde beim Tausch von Solarmodulen auf Zweitware setzen.

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Seit 2014 sind PV-Module Teil der österreichischen Elektroaltgeräteverordnung. Sie regelt Rücknahme, Entsorgung und Verwertung von PV-Modulen.

Sind in Österreich PV-Module bereits vor dem 1. Juli 2014 verbaut worden und die EndverbraucherInnen entscheiden sich für einen Tausch der PV-Module, sind die neuen Module zwar kostenpflichtig, Tausch und Entsorgung der alten PV-Module sind aber nicht von den EndverbraucherInnen zu tragen. Werden die alten Module nicht durch neue ausgewechselt bleibt die Verpflichtung für die fachgerechte Demontage und Entsorgung der alten Module bei den EndverbraucherInnen. Infos auf eak-austria.at

Ist ein PV-Modul kaputt und kann nicht als gebrauchte Komponente weiterverwendet werden, muss es entsorgt werden. Hierzu gilt in der EU die weee-Richtlinie. Sie dient der Vermeidung von Abfällen von Elektro- und Elektronikgeräten durch Wiederverwendung und Recycling und regelt Rücknahme, Entsorgung und Verwertung von Elektro- und Elektronikgeräten, wozu auch Photovoltaikmodule zählen. Wie die EU-Richtlinie national umgesetzt wird, obliegt den einzelnen EU-Staaten. In Deutschland wird die weee-Richtlinie durch das Elektrogesetz (ElektroG) umgesetzt. Photovoltaikmodule können von Privaten in haushaltsüblichen Mengen kostenlos zu kommunalen Sammelstellen gebracht werden. Im Regelfall übernimmt den Transport der Module das Unternehmen, das die Solaranlage verbaut hat. Die Bestätigung über die ordnungsgemäße Entsorgung gibt es obendrauf. Beckmann erklärt außerdem, dass in Deutschland Erstinverkehrbringer von PV-Modulen, also HerstellerInnen und VertreiberInnen, diese bei der Stiftung Elektro-Altgeräte Register (ear) registrieren müssen. Die HerstellerInnen von PV-Modulen mit dem höchsten Marktanteil und damit auch der höchste Rücknahmeverpflichtung werden, wenn eine der 1700 deutschen Sammelstellen voll ist, kontaktiert und sind dazu verpflichtet den vollen Container an PV-Modulen innerhalb von 48 Stunden abzuholen, so Beckmann. Sie können sich dann eine zertifizierte Erstbehandlungsstelle suchen, wo die PV-Module entweder entsorgt oder recycelt werden.

KEINE KOMMUNALEN SAMMELSTELLEN IN ÖSTERREICH In Österreich wird die weee-Richtlinie durch die Elektroaltgeräteverordnung (eag-vo) umgesetzt. HerstellerInnen, ImporteurInnen und HändlerInnen von PV-Modulen sind demnach verpflichtet, Module, die sie nach 30. Juni 2014

in Verkehr gebracht haben, unentgeltlich von den EndverbraucherInnen zurücknehmen und sie ordnungsgemäß zu entsorgen. Kommunale Sammelstellen wie in Deutschland gibt es nicht, EndverbraucherInnen sollten sich direkt an das Unternehmen, das die Anlage verbaut hat, wenden. Österreichische HerstellerInnen, H ­ ändlerInnen und ImporteurInnen können dann beispielsweise bei dem Unternehmen ufh anfragen, das die rechtskonforme Entsorgung und das Recycling der ausgedienten Photovoltaikanlage sicherstellt. Auch wenn in Zukunft mit großen Rückgabemengen von Solaranlagen in der Zukunft gerechnet wird, sind diese Zahlen derzeit noch gering, sagt Brigitte Reich, Mitarbeiterin bei ufh. Die meisten Rückläufe würden derzeit aufgrund von Witterungsschäden und nicht aufgrund des Leistungsverlusts entstehen. Der ufh hat nach Auskunft Reichs 2020 rund 9,5 Tonnen an PV-Komponenten gesammelt.

RECYCLING VON SOLARANLAGEN Verwertet werden können viele Teile einer PV-Anlage: Die Module haben je nach Typ einen Alurahmen oder sie sind aus Glas. Die Gestelle aus Aluminium oder Eisen. Diese Teile können ebenso wie Solarstecker und Solarkabel recycelt werden, sagt Jürgen Beckmann. Für ihn ist das deutsche Entsorgung- und Recyclingmodell für Solaranlagen ein funktionierendes System, Verbesserungspotential gebe es aber sowohl auf Seiten der EndverbraucherInnen als auch bei der Recyclinginfrastruktur. Beide Bereiche seien stark voneinander abhängig. »Das ist ein System, das insgesamt wachsen muss und wenn es irgendwo einen Flaschenhals gibt, dann geht’s an der Stelle nicht weiter«, sagt Beckmann. Damit in Zukunft der Müllberg an Solaranlagen nicht zu groß wird sollte beim Kauf der Solaranlage jedenfalls auf Qualität geachtet werden. Nicht alle Photovoltaikanlagen funktionieren gleich lange gleich gut. Kauft man zu billig ein, zahlt man häufig später drauf.

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ENTSORGUNG VON SOLARANLAGEN IN DEUTSCHLAND


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MOORE FÜR HEUTE UND MORGEN SCHÜTZEN Moore sind für unsere Umwelt nützlich und müssen besser bewahrt werden – zu diesem Zweck wurde die Strategie zum Moorschutz in Österreich entwickelt.

Moore erbringen viele Leistungen für die Natur, den Menschen und den Klimaschutz: Unter anderem speichern sie Wasser wie ein Schwamm und sorgen so dafür, dass mehr Wasser in der Fläche bleibt. Sie filtern Wasser und haben so eine positive Wirkung auf Gewässer und auf das Trinkwasser. Dies ist gerade in Zeiten von Wetterextremen wie etwa Starkregenereignissen, Trockenheit und Dürre besonders wichtig. Moore leisten einen Beitrag zum Schutz der Gewässer und zum Management von Hochwasser. Außerdem speichern Moore Kohlenstoff und sie sind Lebensraum für viele – mitunter stark gefährdete – Tiere und Pflanzen. Und selbstverständlich dienen Moore als Erholungsgebiet und Ausflugsziel. Durch Entwässerungen und andere Bedrohungen sind diese jedoch zunehmend gefährdet.

Jedes Jahr wird am 2. Februar der Weltfeuchtgebietstag begangen, um auf die Relevanz von Feuchtgebieten aufmerksam zu machen und diese künftig besser zu schützen. Im Zuge des Weltfeuchtgebietstags 2022 hat das BMLRT die Moorstrategie Österreich 2030+ präsentiert und darin folgende Ziele festgeschrieben: • Erhaltung der naturnahen Moore und ihrer Ökosystemleistungen. • Wiederherstellung von geschädigten Mooren. • Förderung der nachhaltigen Nutzung von Torfböden als ehemalige Moore, um die Treibhausgasemissionen zu vermindern und den Wasserrückhalt zu erhöhen. • Die Bedeutung der Moore und Torfböden in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. • Gemeinsames Handeln forcieren. Nähere Informationen zur Moorstrategie Österreich 2030+ gibt es unter www.bmlrt.gv.at/wasser

ZAHLEN UND FAKTEN MINDESTENS

21.000 HEKTAR MOOR BEFINDEN SICH IN ÖSTERREICH IN ÖSTERREICH GIBT ES KNAPP

40 TORFMOOSARTEN INTAKTER HOCHMOORTORF BESTEHT ÜBER

90% AUS WASSER CA. 5% DER TREIBHAUSGAS-EMISSIONEN WELTWEIT STAMMEN AUS ENTWÄSSERTEN MOOREN BZW. TORFBÖDEN

B ILD JULIA L ORENZ, CHRISTIA N S CHRI CK

In Österreich gibt es eine Vielzahl an Feuchtgebieten wie Flüsse, Bäche, Auen, Seen und auch Moore. Sie alle eint das Element Wasser und sie haben eine hohe Relevanz für den Wasserkreislauf. Österreich möchte die Bedeutung der Feuchtgebiete stärken und für deren Erhalt und Nutzung einstehen, unter anderem durch die vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT), den Bundesländern und weiteren AkteurInnen entwickelte Moorstrategie Österreich 2030+.


Der Weltwassertag findet seit 1993 jedes Jahr am 22. März statt und wird seit 2003 von UN-Water organisiert. Ziel ist es, dem Thema Wasser Aufmerksamkeit zu widmen. Jährlich wird Wissenswertes und Interessantes zu Wasserthemen angeboten oder zu Veranstaltungen eingeladen. Heuer steht er unter dem Motto »Groundwater: Making the Invisible Visible«, es geht also um Grundwasser. Mehr dazu auf wasseraktiv.at und generationblue.at

MOORSTRATEGIE – INTERVIEW JULIA LORENZ Nach ihrem Studium an der Universität für Bodenkultur und einer beruflichen Zeit im Ausland ist Julia Lorenz nun im BMLRT unter anderem für die Agenden des Feuchtgebietsschutzes zuständig. Als eine Vertreterin des Bundes im nationalen Ramsar-Komitee betreute sie federführend die Erstellung der Moorstrategie für Österreich. Warum sind Moore so besonders und welche Gefahren drohen, wenn sie nicht geschützt werden? Moore sind einzigartige Ökosysteme und Lebensraum spezialisierter Tier- und Pflanzenarten. Die Speicherung von Kohlenstoff und Wasser ist nur eine der wichtigen Leistungen, die Moore für uns und unsere Umwelt erbringen. Allerdings sind Moore auch sehr sensibel. Wenn Moore geschädigt oder zerstört werden, können sie ihren Funktionen nicht mehr nachkommen. Zudem sind Moore über sehr lange Zeiträume entstanden – für einen Meter Torf benötigt es rund 1000 Jahre – und man kann sie somit nicht kurzfristig wiederherstellen. Wodurch sind Moore aktuell in erster Linie bedroht? Eine der größten Gefahren für Moore ist ihre Entwässerung, da dem Moor dadurch seine Lebensgrundlage – das Wasser –

entzogen wird. Aber auch Überbauung, eine nicht moorgerechte Bewirtschaftung sowie der Klimawandel schädigen Moore und haben zu einem starken Rückgang geführt. Was kann man als BürgerIn und Zivilperson tun, um Moore zu schützen? Ein erster, einfacher Schritt wäre, sich die Bedeutung dieser besonderen Ökosysteme bewusstzumachen. Beim nächsten Ausflug in ein Moor nach Informationstafeln Ausschau halten, an einer geführten Wanderung durch ein Moor teilnehmen oder sich als helfende Hand bei Pflegeeinsätzen anschließen. HobbygärtnerInnen können zu torfreduzierter oder, am besten, torffreier Gartenerde greifen, um den Torfimport und damit den Torfabbau und die Schädigung der Moore im Ausland nicht zu unterstützen. Die »Moorstrategie Österreich 2030+« ist als Leitlinie konzipiert, welche Maßnahmen stehen hier im Fokus? In erster Linie geht es um den Erhalt naturnaher Moore und die Verbesserung geschädigter Moore, um diese Flächen und ihre Leistungen auch für künftige Generationen zu sichern. Allerdings können bei Moorprojekten viele Personen und unterschiedliche Fachbereiche angesprochen sein. Daher ist der Dialog und die Zusammenarbeit mit allen Betroffenen ausschlaggebend für den Erfolg des Moorschutzes in Österreich.

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DES BMLRT

WELTWASSERTAG 2022


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TEXT Annalena Eisfeld und Irina Zelewitz

HERZERFRISCHUNG

Manche gehen statt kalt duschen lieber in eisigen Gewässern baden.

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ei Minusgraden in eiskaltem Wasser zu schwimmen war die längste Zeit G eheimagentInnen, Elitetruppen, Ext­ remsportlerInnen und allenfalls SkandinavierInnen vorbehalten. Inzwischen, so scheint es, kann das fast jederR. Zumindest sieht man heute auch in den Wintermonaten immer mehr Unverfrorene zwischen Eisschollen in Seen mit schneebedeckten Ufern und sensationellen Ins-

tagram-Kanälen schwimmen. Wenige von ihnen folgen dabei allerdings ihrer Intuition, eher im Gegenteil. Medizinisch betrachtet löst Kälteeinwirkung im menschlichen Körper innerhalb weniger Sekunden Alarmbereitschaft aus und versetzt ihn in einen Überlebensmodus. Dadurch bedient sich der Organismus sofort eines ganzen Repertoires an Schutzfunktionen, vor allem solcher gegen den


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Wärmeverlust: Die Blutgefäße verengen sich, die Muskeln fangen an zu zittern, um Wärme zu erzeugen, und zahlreiche Botenstoffe werden ausgeschüttet. Robert Fritz, medizinischer Leiter eines Gesundheitszentrums mit Fokus Sportmedizin in Wien, erklärt das Phänomen folgendermaßen: »Im Prinzip versucht unser Körper immer, die Körperkerntemperatur stabil zu halten. Er mag also weder besonders viel Hitze im Zentrum des Körpers noch übermäßige Kälte.« Reguliert wird das über die Haut, in der sich feine Gefäße befinden, die sich über eine Muskelstruktur verengen oder ausdehnen. Wenn nun plötzlich Kälte auf der Haut spürbar ist, »dann zieht der Körper diese Gefäße zusammen und versucht, die Durchblutung extrem einzuschränken, damit das Blut keinesfalls auskühlt und dann in die Körpermitte kommt«, erklärt Fritz. Genügt jedoch die Verengung der Gefäße nicht mehr, beginnt der Körper durch Kontraktion der Skelettmuskulatur Wärme zu erzeugen und eine drohende Unterkühlung abzuwenden. Das Gefühl, wenn sich bei Kontakt mit kaltem Wasser der ganze Körper zusammenzuziehen scheint, das die meisten Menschen wohl in erster Linie als Kälte beschreiben würden, bezeichnet Josef Köberl als »Signal, das unser Hirn aufnimmt«, und die Reaktion auf dieses Signal biete eine »Möglichkeit, sich selbst kennenzulernen. Zu lernen, wie kann mein Körper mit Schmerz umgehen und was fange ich mit den Emotionen an, die er auslöst – ich spüre dann einfach, wie mein Körper funktioniert.«

BILD BARBARA A NDERL

SOMMERFRISCHE IN DEN ALPEN Köberl ist Präsident der Ice Swimming Association Austria sowie Eisschwimmtrainer, und zwar einer, der es wissen will: In seinem Trainingsangebot finden sich auch Schwimmausflüge in den Hintertuxer Gletscher, dort ist auch das Wasser kälter. Tatsächlich hat das Gletscherwasser eine Temperatur leicht unter 0 Grad Celsius und außerdem eine geringere Tragfähigkeit als gewöhnliches Süßwasser. Man muss sich also auch etwas mehr bewegen, um nicht im Gletscher unterzugehen. Auch internationales Publikum wird von dieser Selbsterfahrungsmöglichkeit mit Alpenpa-

»Die einen probieren es, weil es in Mode ist, andere, weil sie eine Wette verloren haben.« — Josef Köberl, Eisliebhaber norama angezogen. Köberl schmeißt sich und begleitet Lernwillige aber auch in gewöhnliche Flachlandgewässer, Hauptsache, sie haben unter 5 Grad Celsius, denn nur dann handelt es sich streng genommen um Eisbaden. Alles andere ist eigentlich nur Baden.

PROBIER’S MIT GEMÜTLICHKEIT Wobei Köberl betont, dass man die Sache langsam angehen muss: »Ich beobachte das immer wieder – ob Leute nun einen Trainer dabeihaben oder nicht: Die Leute gehen viel zu schnell ins Wasser. Wenn das Erlebnis zu extrem ist, ist die Verarbeitung schwierig. Mir haben Leute von Nächten voller Albträume und Schweißausbrüchen berichtet. Alles, was zu schnell geht, geht in Richtung Schock.« Sein Tipp: sich richtig Zeit zu lassen. Nein, das führe nicht dazu, dass die Leute eher wieder umdrehen würden, sagt der Trainer, der laut eigenen Angaben inzwischen rund 4200 Lernwillige ins eisige Wasser – und bisher auch alle wieder lebend raus – begleitet hat. Er geht bei seinen Kursen vor den TeilnehmerInnen ins Wasser und wartet dort auf sie. »Weil es beim Reingehen immer diesen ganz kurzen Moment gibt, wo man umdrehen möchte. Und wenn man da auf die Person zugeht, Vertrauen gibt, kann sie diesen Punkt leichter überwinden. Und dann wird es wohlig und dann beginnt das eigentliche Eisschwimmen. Das ist dann ein positives Erlebnis.« Dass auch das Hormonsystem durch Kälteeinwirkung beeinflusst wird, bestätigt Fritz: »Das ist auch einer der Gründe dafür, warum das manche Menschen so gern machen.« Der Körper befindet sich in einer Extremsituation und schüttet Hormone, unter anderem Adrenalin, aus, »um weiter zu funktionieren, und das kann sich wie ein richtiger Kick anfühlen«, sagt Fritz. Viele erhoffen sich neben dem Adrenalinrausch auch, weniger anfällig für Erkältungen


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48 und Infekte zu sein. Obwohl es Untersuchungen gibt, die einen Zusammenhang zwischen der Kälteexposition und einem starken Immunsystem nahelegen, betont Fritz: »Die Studienlage ist sehr dünn und nicht wirklich aussagekräftig. Es gibt einige finnische Studien, die das Saunieren und den anschließenden Gang ins kalte Wasser untersucht haben. Von denen weiß man, dass regelmäßige kalte Bäder – und da geht es wirklich ganz besonders um die Regelmäßigkeit – das Immunsystem stärken können.« Wer hingegen nur ab und zu eisschwimmen geht, der riskiere eher eine Überlastung des Körpers, als von den langfristigen Effekten zu profitieren.

EINE HERZENSANGELEGENHEIT

Wiener Wasser ist besonders kalt. Laut den Wasserwerken kommt es hier mit maximal 10 Grad aus dem Hahn – in London oder Paris können es hingegen in den Sommermonaten auch mal laue 20 Grad sein.

Trotz der Vorteile, die der kontrollierte Aufenthalt in kalten Gewässern mit sich bringen kann, weisen WissenschaftlerInnen deutlich auf potenzielle Gefahren hin. Sportmediziner Fritz erklärt, dass es durch die extreme Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems zu einer Belastung des Herzmuskels kommt. Für gesunde Menschen sei das kein Problem, leide man jedoch unter hohem Blutdruck, könne das Blutdruckspitzen auslösen und lebensgefährlich sein. Wer sich hier nicht ganz sicher ist, sollte sich vor dem Ersteinstieg ins Eisbadewasser Fritz zufolge jedenfalls ärztlich untersuchen lassen. Generell gelte: »Gesunden Menschen unter 35, die wissen, dass ihr Blutdruck in Ordnung ist, denen wird nichts passieren.« Wirklich vorsichtig sollten aber auch diese in strömenden

Gewässern sein. »Es kann einem beim Eisbaden schnell schwummrig werden, der Kreislauf wegkippen und plötzlich ist man in der Mitte eines eiskalten Flusses.« Daher sei es so wichtig, dass man sich sowohl dem Eisbaden als auch den kalten Duschen stets kontrolliert und schrittweise annähere und dabei weder allein in der Wohnung oder am Flussufer sei noch unter Einfluss von Alkohol oder Drogen stehe, welche die körperlichen Schutzfunktionen unterbinden können.

WIE KALT IST KALT GENUG? An mangelnder Insta-Kompatibilität allein wird es nicht liegen, dass dem Wechselduschen zumindest in jüngster Zeit weit nicht so viel (sozial)mediale Aufmerksamkeit zuteilwird wie dem Eisbaden. Dem für Extremkälte-Aktionen und die dafür selbstentwickelte Atemtechnik bekannten »Iceman« Wim Hof folgen immerhin 2,4 Millionen Menschen auf Instagram. Unter dem Hashtag #eisbaden finden sich über 22.000 Beiträge, und der äquivalente englische Tag #iceswimming bringt es sogar auf 90.000 Fotos. Das kalte Wasser, das aus unseren Duschhähnen fließt, hat übrigens meist eher 10 Grad, ist also deutlich wärmer als ein kleiner See in der Winterlandschaft. Ob man sich der Kälte nun aber nur unter der Dusche aussetzt oder im eisigen Badesee plantscht, ändert laut Sportmediziner Fritz nichts am positiven körperlichen Effekt: »Das macht keinen Unterschied, weil


B ILD BARBARA ANDERL

Josef Köberl beim Baden auf dem Hintertuxer Gletscher. Dort will er seine WorkshopteilnehmerInnen für das Gletscherschmelzen sensibilisieren. Im Alltag ist Köberl Aviation Security Auditor im Bereich Luftfahrtinfrastruktur des österreichischen Klimaschutzministeriums.

beides deutlich unter der Körperkerntemperatur liegt und dadurch einen intensiven Reiz erzeugt. Also wenn wir ganz ehrlich sind, ist das kalte Duschen genauso sinnvoll.« Fritz betont allerdings, dass sich die im Leistungssport geltende Devise »was dem Kopf guttut, das tut dem Körper auch gut« ebenfalls auf bewusste Kälteexposition anwenden ließe: »Wer sich beim Eisbaden gut fühlt, soll das gerne machen. Aber wer nur widerwillig in das Eisbecken steigt und wem es beim dritten Mal immer noch nicht taugt, die oder der kann es auch einfach lassen. Wunder braucht man sich davon eh nicht erwarten.« Von Wundern spricht auch der Weltrekordhalter im Gletscherwasserschwimmen nicht, sondern von Grenzerfahrungen: »Ich war 38 Minuten drin und bin eine Strecke von 1511 Metern geschwommen«, beschreibt Köberl eine seiner inzwischen vielen eisbezogenen Rekordleistungen beiläufig. »Mich interessiert halt das Grenzgehen, ich bin immer neugierig, was dann mit mir passiert und was ich mir dann denke. Die einen probieren es, weil es in Mode ist, andere, weil sie eine Wette verloren haben. Auf manche wirkt es befreiend.« Ob das Eisbaden schon manche seiner KursteilnehmerInnen komplett kaltgelassen hat, kann Köberl nicht beantworten, denn er fragt nicht lang nach: »Manche sind nach außen cool und vielleicht nur innerlich bewegt. Für mich ist es nicht wichtig, zu wissen, was sie sich denken, sondern dazu beizutragen, dass sie möglichst ein gutes Gefühl dabei haben.« Das erreiche man, wenn man die Leute auf die Erfahrung vorbereite und weder mental noch physisch überfordere. »Nicht Härte schmilzt das Eis, sondern Liebe. Liebe zur Kälte«, lautet Köberls gern wiederholter Leitspruch, denn: »Die Wilden würden es viel länger aushalten als ich, wenn es anders wär.«


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SÜSSER DIE FLOCKEN Müslis wurden im Lauf der Jahre immer süßer: Der Zagler Müslibär süßt seine Honigmüslis ausschließlich mit Biohonig.

Flocken, Früchte, ein paar Nüsse, mehr brauchte ein Müsli früher nicht. Dann brachten Porridge, Crunchy und süße Riegel Wachstum, Vielfalt und Individualität. Über ein Lifestyle- und vielleicht das typische Bioprodukt. TEXT Thomas Weber

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ie Geschichte des Müslis beginnt mit einem Gesundheitsversprechen. Bereits um 1900 empfahl der Schweizer Arzt Maximilian Bircher-Benner seinen PatientInnen einen Haferbrei mit Äpfeln und Nüssen als ideale Diätspeise. Er hatte sich bereits früh mit bekömmlicher Ernährung befasst und gilt bis heute als Pionier der Vollwerternährung. Das typische »Bircher-Müsli« löffeln viele noch heute für einen ausgewogenen Start in den Tag. »Das Originalrezept besteht aus sehr wenigen Zutaten: Haferflocken, Kondensmilch, Zitronensaft, geriebener Apfel und Nüsse«,

weiß die Ernährungswissenschafterin Katharina Bruner vom Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs. Dass Bircher-Benners Erfindung anfangs als leichtes, schonendes Abendessen gedacht war, geriet irgendwann in Vergessenheit. An den gesundheitlichen Vorzügen ändert es aber ohnehin nichts, wann im Tagesverlauf ein Müsli gegessen wird. Der wichtigste Bestandteil – Getreideflocken – ist immer Vollkorn, weil für die Flocken ganze Körner gedämpft, gepresst und getrocknet werden. Das durchschnittliche Müsli enthält deshalb reichlich Vitamine, Mineral- und Ballast-


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stoffe. Eine Obergrenze, wie viel Müsli gesund ist, gibt es nicht. »Eine Portion täglich mit einem Milchprodukt oder einer Milchalternative und ergänzt mit frischem Obst, Nüssen oder Saaten. Perfekt!«, schwärmt die in der Erwachsenenbildung tätige Ernährungswissenschafterin Andrea Fičala. Bei Fertigmischungen sollte aber die Nährwerttabelle geprüft werden. Denn mittlerweile kommen selbst eher klassische Fertigmüslis kaum ohne Zuckerzusatz aus. Besonders Gesundheitsbewusste kaufen ihre bevorzugten Müslibestandteile deshalb auch heute noch einzeln und mischen sie je nach Gusto. »Die Zielgruppe derer, die ihre Rohzutaten selbst mischen, wächst wieder«, berichtet Saskia Lackner von der Bohlsener Mühle. Über alle Moden hinweg hat das Ökopionierunternehmen sein Sortiment an »Monoflocken« nicht nur am Markt behalten, sondern zuletzt sogar ausgebaut. Hafer verarbeitet man in Bohlsen beispielsweise zu Groß-, Klein- und Zartblattflocken. Seit einiger Zeit gibt es auch Quinoaflocken, regionale Quinoaflocken. Für Letztere motivierte das norddeutsche Mühlenunternehmen vor ein paar Jahren experimentierfreudige Bioland-Betriebe, es auf ihren Feldern einmal mit Quinoa zu versuchen.

BILD ZAGLE R, BOHLSE NER MÜHLE

DER URSPRUNG ALLER ÖKOKLISCHEES Müslis gab es nie ausschließlich in Bioqualität. Was allein schon daran liegt, dass es zu Bircher-Benners Zeiten keine Biozertifizierung gab. Und mittlerweile führen auch konventionelle Diskonter Müslimischungen. Dennoch wird Müsli auch heute noch untrennbar mit der Biobewegung assoziiert. Für viele ist Müsli sogar das typische Bioprodukt. Das hat vor allem einen Grund: Im Vergleich zu anderen Rohstoffen war Getreide recht früh in Bioqualität verfügbar. Produkte, die aus purem Korn hergestellt werden können, schafften in der Biobranche deshalb früh Wertschöpfung durch Veredelung und Kreativität. Das galt einerseits für Brot – und andererseits für Müsli. Lange bevor es Bio auch in Supermärkten gab, hatte jeder kleine Bioladen deshalb seine eigene charakteristische Hausmischung. Weil Brot aber in jedem Haushalt gegessen wurde, zu Müslimischungen aber auffällig oft die alternativ anmutenden Ökos griffen, taugte das Müsli eher

zum Differenzierungsmerkmal als etwa Vollkornbrot. Das Müsli geriet so zum Symbol für ein alternatives Lebensmittel und für manche auch für ein anderes Wirtschaftskonzept. Das Müsliklischee der lustfeindlichen Selbstkasteiung »körnerfressender« Ökos war allerdings spätestens dann überholt, als in den 80er-Jahren gehäuft Müsliriegel angeboten wurden. Die Idee für die Riegel stammte – wie anfangs auch die aufwändig herzustellende Ware selbst – aus Kanada. Erst im Laufe der Jahre gelangte auch das Know-how nach Europa. Gedacht als praktischer Snack für unterwegs fungierte der Zuckersirup im Müsliriegel vor allem als Kleber, um die restlichen Zutaten in Form zu bringen. Bald wurde der Zuckerkick mit Ballaststofffüllung (und manchmal auch Schokohülle) aber zum Selbstzweck. Das Gesundheitsversprechen des Ausgangsprodukts war gebrochen. »Jede Rezeptur ist einzeln zu bewerten«, relativiert zwar Ernährungswissenschafterin Bruner. Doch: »Viele der Riegel, wie wir sie kaufen können, sind teilweise richtige Kalorienfallen mit wenig Nährstoffen. Sie enthalten viel Zucker oder Fett und sind daher auch eher den Süßigkeiten zuzurechnen als einer gesunden Zwischenmahlzeit.« Anders als früher ist ein Müsli auch längst nicht mehr automatisch gesund; und bei den Zutaten alles möglich. Marlies Gruber vom »Forum Ernährung Heute« sieht »einen hohen Grad an Diversifikation, wodurch das Angebot breiter wird«. Das wäre prinzipiell eindeutig zu begrüßen, »denn Vielfalt fördert Abwechslung, kann individuelle Vorlieben bedienen und ermöglicht, neue Zielgruppen anzusprechen«, betont die Geschäftsführerin des Forums, das von Lebensmittelherstellern gegründet wurde und sich als »österreichisches Kompetenzzentrum für Ernährung, Gesundheit und Lebensstil« versteht. Viele Mischungen sind deshalb stark gezuckert, Schokonibs enthalten vielfach Zucker, Kokosraspeln naturgemäß Fett. Dem gegenüber steht Müsli als

Maximilian Bircher-Benner (1867–1939) engagierte sich als Arzt in der Ernährungsreform, prägte den Begriff Vollwertkost und entwickelte in der Schweiz das »Bircher-Müsli«. Ziemlich zeitgleich erfand in den USA der Mediziner John Harvey Kellogg (1852–1943) Cornflakes (und übrigens auch die Erdnussbutter).


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Das Know-how zur Herstellung von Müsliriegeln kam ursprünglich aus Kanada. Mittlerweile sind sie auch in Mitteleuropa beliebte Snacks und Energiespender.

»Müsli ist ein Sinnbild für einen ökologischen und gesundheitsbewussten Lebensstil, hat etwas Puristisches und ist dennoch mit Genuss und Selbstfürsorge verbunden.« —  Marlies Gruber, Forum Ernährung Heute

Produktsegmenten geworden: Crunchy beziehungsweise Knuspermüsli auf der einen Seite. Und Porridge auf der anderen.

PORRIDGE – DER SCHLEIM, DER ENTSPANNT Porridge wurde früher auch einfach warmer Haferbrei oder Haferschleim genannt. Auswärts am Frühstücksbuffet taucht er manchmal auch unter der Bezeichnung »Oat Meal« auf; oder als »Overnight Oats«, über Nacht eingeweichte und in der Früh gekochte Haferflocken oder Hafermehl. Porridge gilt als besonders bekömmlich. Das liegt an den besonderen Ballaststoffen des Hafers (aber auch der Gerste) – den Beta-Glucanen –, die beim Erhitzen schleimig werden und sich besonders gut verdauen lassen. »Viele kennen das noch aus ihrer Kindheit, als sie bei Magen-Darm-Problemen eine Hafer- oder Gerstenschleimsuppe bekommen haben«, erklärt Andrea Fičala. »Porridge ist auch für empfindliche Mägen gut geeignet. Die Beta-Glucane helfen außerdem, den Cholesterinspiegel im Blut normal zu halten, und lassen den Blutzucker nur langsam ansteigen.« Ob Porridge warm oder abgekühlt gegessen wird, ändert nichts an seiner Wirkung. Er beruhigt den Magen. Der entstandene Schleim bildet eine Schutzschicht für die Magenschleimhaut vor reizenden Stoffen wie Säuren, Koffein und Nikotin oder scharfen Gewürzen. Das besondere Wohlbefinden, das viele beim Essen

BILD RIEG ELFABRIK, WI LKE

angereichertes Functional Food für LeistungssportlerInnen und der vor der Yogasession instagramgerecht zum Quellen eingeweichten Flockenmischung für die inszenierte Achtsamkeit. Das Müsli-Spektrum ist bunt und breit. Oder, wie Marlies Gruber sagt: »Müsli ist ein Sinnbild für einen ökologischen und gesundheitsbewussten Lebensstil, hat etwas Puristisches und ist dennoch mit Genuss und Selbstfürsorge verbunden.« Zwei Trends sind in den Müsliregalen zuletzt zu großen, auch wirtschaftlich bedeutenden


Egal welches Wetter, wir lassen die Kühe auf die Weide. Zumal die Bio-Verordnung regelmäßige Auslaufmöglichkeit vorschreibt. Von schlechtem Wetter steht da nichts. Aber, dass die Kühe raus müssen. Das ist Bio. Kontrollierte Qualität. Garantiert durch das EU-Biologo und das AMA-Biosiegel.

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»In meiner Beobachtung spielen Müslis und Porridge vor allem bei vegan, vegetarisch oder bewusst flexitarisch lebenden Menschen eine Rolle.« —  Katharina Bruner, veö

Nährwert von A bis E Seit November 2020 gibt es in Deutschland den »Nutri Score«, eine visuell leicht fassbare Lebensmittelampel zur freiwilligen Kennzeichnung des Nährwerts von Lebensmitteln. A ist zu bevorzugen, E zu vermeiden. Obst, Nüsse und Ballaststoffe verbessern den algorithmisch ermittelten »Nutri Score«, Zucker und Fettbeigaben verschlechtern ihn. In Österreich fordert u. a. die NGO Food Watch die Einführung dieses Systems.

von warmem Porridge empfinden, rührt aber vermutlich nicht allein von der Temperatur her, sondern ergibt sich auch durch die dafür erforderliche Zeit. Stichwort: Selfcare. »Ein warmes Frühstück ist schon einmal eine gute Selbstversorgung, bevor der Alltagsstress losgeht«, sagt Fičala. Dass das hilft, den körpereigenen Akku aufzuladen, werde niemand anzweifeln. Wie hoch die messbare Energiedichte ist, hängt allerdings von den Zutaten ab: von Früchten, Nüssen, Zucker – und ob die Haferflocken mit Wasser, Milch oder Obers (Sahne) aufgekocht werden.

CRUNCHY – KNUSPRIGE FLOCKENBÄLLCHEN Der Boom an sogenannten Crunchy-Müslis steht definitiv im Widerspruch zum Ge-

sundheitsversprechen, für das Müsli einmal stand. »Crunchy« ist zwar eigentlich englisch für knusprig, bedeutet in der Praxis aber gebacken. »Damit das Müsli den extra Biss bekommt, braucht es neben Getreideflocken Fett und Zucker. Gemeinsam geschmolzen und gebacken, ballen sich die Flocken zu den crispy Stückchen zusammen«, erklärt Ernährungswissenschafterin Katharina Bruner. »Wir legen großen Wert auf schöne Krunchy-Cluster, wie wir die zusammengebackenen, knusprigen Bällchen nennen«, sagt Andreas Bentlage, Produktmanager beim Naturproduktehersteller Barnhouse. »Mit schönen Clustern ist so ein Crunchy gleich viel appetitlicher und verlockender – das Auge isst ja mit!« Wichtig sei neben dem Anblick aber auch der Biss. Weder zu fest noch zu weich und »kauig« dürfen die Bällchen sein. Dass sich Crunchy-Müslis großer Beliebtheit erfreuen, zeigt allein schon die Riesenauswahl in Bioläden oder im Supermarkt. Laut »Lebensmittelzeitung« betrug der Anteil von Knuspermüslis in Deutschland 2018 sogar 38 Prozent. Wobei Knuspermüsli alles, was irgendwie knuspert, umfasst; also weit über Crunchy-Müslis hinausgeht. Das Marktforschungsunternehmen Biovista kommt im Juli 2021 im deutschen Biofachhandel auf einen Crunchy-Anteil von

Vom Müsli zum Riegel: »Bis er die Produktion verlässt, haben wir jeden Müsliriegel vier bis fünf Mal in unseren Händen«, sagt Tina Dobetsberger von der True-Love-Riegelfabrik.


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16 Prozent in der Kategorie »Frühstückscerealien«, die aber alles von Flocken über Toppings bis Porridge umfasst. Marlies Gruber vom Forum Ernährung Heute betont, dass durch das Rösten zwar mehr Fett verwendet werde als in reinen Flockenmischungen, »ob das der Gesundheit weniger zuträglich ist, hängt aber mit der Portionsgröße, individuellen Essmustern und dem persönlichen Bewegungspensum zusammen«. Die ernährungsphysiologischen Vorteile von Haferflocken gingen durch das Rösten jedenfalls nicht verloren. Was durch die starke Nachfrage nach crunchy gebackenen Flocken zumindest etwas zurückging, ist das Angebot an Müsliriegeln. Einige traditionelle Müslihersteller haben sich deshalb ganz aus dem Riegelsegment verabschiedet und sich auf die mit weniger Aufwand herzustellenden Knuspermüslis konzentriert. »Unsere Krunchy-Riegel waren ein großer Erfolg und sehr beliebt, aber sehr aufwändig in der Herstellung«, erinnert sich Andreas Bentlage von Barnhouse. »Nachdem unsere Produktionsanlagen durch die steigende Krunchy-Nachfrage immer stärker an ihre Kapazitätsgrenzen stießen, mussten wir unsere fünf Riegel schweren Herzens sukzessive aus dem Sortiment nehmen.« Immer sei aber klar gewesen, dass sie nur vorübergehend verschwinden sollten. Im Moment ist man in Mühldorf am Inn dabei, eine eigene Riegel-Backstraße fertigzustellen. Unzufrieden mit dem bestehenden Angebot an Riegeln war Tina Dobetsberger, Geschäftsführerin des Unternehmens Riegelfabrik. Alles, was die Mutter im Supermarkt an handelsüblichen Müsliriegeln fand, erschien ihr zu ungesund und aus zu vielen Zutaten unklarer Herkunft zu bestehen, als dass sie es ihren Kindern als Schuljause hätte mitgeben wollen. Das Angebot war groß. Doch: »Immer wieder standen wir vor den Produkten mit erhöhtem Zuckeranteil, Palmöl und Geschmacksverstärkern und mussten den Kids erklären, dass die nicht gesund sind.« Deshalb stellte sich die Oberösterreicherin in die Küche, um selbst gesunde Snacks herzustellen. Daraus wurde vor fünf Jahren eine Riegelfabrik, die mittlerweile von Kremsmünster aus Schulbuffets und Kantinen beliefert und Automaten mit ihren »True Love«-Biomüsliriegeln bestückt. Auch der Biogroßhandel gehört bereits zu Dobetsbergers Abnehmern. Der Auftritt in der Fernseh-Start-up-Show »2 Minuten 2 Millionen« brachte zwar nicht das erhoffte Investment. Dafür ist es der Riegelfabrik dadurch gelungen, ihre handwerklichen Müsliriegel zum überwiegenden Teil übers Internet zu vertreiben – an KundInnen, die sich durch Biozutaten und den völligen Verzicht auf Zuckerzusätze und Geschmacksverstärker beides versprechen: Genuss und Gesundheit.


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NO MONKEY BUSINESS Bananenschalen als Zimmerpflanzendünger.

TEXT Annalena Eisfeld

Wer im eigenen Urban Jungle die Chemiekeule schwingt, sollte nur einsetzen, was auch bedenkenlos über die Raumluft eingeatmet werden kann.

»

Es wird eine Zeit kommen, wo man den Acker, wo man jede Pflanze, die man darauf erzielen will, mit dem ihr zukommenden Dünger versieht, den man in chemischen Fabriken bereitet« – so der Chemiker Justus von Liebig schon 1840. Seine Prophezeiung hat sich spätestens im 20. Jahrhundert erfüllt. Den Zukauf von Dünger kann man sich aber auch ohne Kompostieranlage kategorisch sparen – und sich Dünger ganz ohne Kobashi und Wurmkiste auch in der noch so kleinen Wohnung selbst zubereiten. Zum Beispiel aus Bananenschalen. Denn wie in den Schalen vieler anderer Obst- und Gemüsesorten auch stecken in der Bananenschale einige Nährstoffe, die wichtig für die Bodengesundheit und das Pflanzenwachstum sind. Wer einen Garten hat, kann die Schale zerkleinert als Mulch einsetzen. Doch auch organischer Flüssigdünger für Zimmerpflanzen lässt sich mühe- und geruchslos zuhause herstellen.

ZUBEREITUNG FÜR 4–8 PFLANZEN

Mehr zum Düngen mit Kaffeesatz auf

BIORAMA.EU/ MISCHKULTURDUENGEN

Dazu schneidet man pro Pflanze rund 100 Gramm Bananenschalen – das sind in etwa die Schalen von zwei Früchten – klein und kocht sie anschließend mit einem Liter Wasser auf. Diese Mischung lässt man über Nacht stehen und filtert dann die Schalenstücke heraus, bevor der fertige Bananensud im Verhältnis eins zu fünf zum Gießwasser hinzugefügt wird. Für die Schnellversion kann man auch einfach frische Schalen in kleine Stücke zerteilen, sie in einem offenen (denn sonst besteht hohe Schimmelgefahr!) Gefäß an einem luftigen Ort stehen lassen und trocknen lassen. Die getrockneten Schalenteile können in einem Mixer weiter zerkleinert und in die Erde gemischt werden und sorgen so für eine noch bessere Nährstoffdurchmischung.

Grundsätzlich sollte man innerhalb der Vegetationsperiode zu Düngemitteln greifen – sprich bei den meisten Pflanzen in der ersten Jahreshälfte – und diese eher sparsam und öfter als seltener und in großen Mengen einsetzen. Die gute Nachricht: Da die Bananenschale wenig Stickstoff enthält, ist ein Überdüngen mit dem organischen Sud fast unmöglich. Die zweite gute Nachricht: Den fehlenden Stickstoff kann man seinen Pflanzen zum Beispiel durch Einarbeiten von Kaffeesatz in die Blumenerde liefern. Und jene Bananenschalen, die man nicht als Dünger einsetzt, kann man hervorragend zur Blattpflege von großen Blättern einsetzen, indem man diese mit dem Inneren der Schale abwischt und die Pflanzen so in einem reinigt und pflegt. Durch die Verarbeitung zum Dünger können zahlreiche Nährstoffe, die sich in der Schale der Banane befinden, in die Erde aufgenommen werden, wodurch sich die Anzahl der Mikroorganismen erhöht, welche wiederum für effektiveren Stoffumsatz und verbesserte Wasserspeicherung sorgen. Bananenschalen enthalten beispielsweise viel Kalium, das eine wichtige Rolle in der Regulierung des Wasserhaushalts von Pflanzen spielt und für Widerstandskraft gegen Schädlinge und Krankheiten sorgt. Auch besitzen die Schalen Magnesium, was als zentraler Baustein des Chlorophylls essenziell für den Prozess der Photosynthese ist und außerdem das Wurzelwachstum fördert. Egal, für welche Zubereitungsvariante man sich entscheidet, als Ausgangsmaterial empfehlen sich Biobananen. Während Pestizide konservierend auf die Schale wirken, zersetzt sich die organische Variante schneller und man bringt nicht die künstlichen Pflanzenschutzmittel, die man ursprünglich vermeiden wollte, in die Erde und die Raumluft.

BILD ISTOCK.CO M/AHEKATRJYAN, UNSPLAH/ RAKQAMR JO VK

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KO C H BU CH EM P F E H L U N G

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SCHÖN SÜSS R

TEXT Irina Zelewitz

REZEPTE AUS:

oh sind die Ergebnisse der verlockend einfachen Rezepte in »Raw Bites« von Anna Schneider & Deniz Retzer nicht mehr alle. Es sind wenige Zutaten, aus denen mit möglichst wenig Zutun dann doch köstliche vegane Süßigkeiten entstehen – »naturbelassen« lautet das Motto. Das heißt auch, dass statt »Industriezucker« Ahornsirup oder Dattelsüße (Rezept inklusive) eingesetzt werden. Und zwar für ein durchaus breites Geschmacksspektrum – Fans nussiger Körnerriegel finden variantenreiche Anleitungen dafür, diese genauso

wie auch »Energy Balls« (ähnliche Zutaten, in kleineren Portionen, zu Kugeln gerollt) zuhause zu produzieren, und auch die Granolafraktion, die grundsätzlich längst weiß, wie schnell das Knusperzeug im Haushaltsbackofen selbst gemacht ist, findet neue Inspirationen zum Experimentieren. Aber auch eher klassisch orientierten Keks- und SchokoladenliebhaberInnen wird hier so elegant wie selten auf die vegane Spur geholfen. Einkaufsempfehlungen für die Zutaten und Ideen, wie das süße Zeug verschenkbar verpackt werden kann, gibt’s auch.

PEANUT CUPS

ZUBEREITUNG:

ERGIBT CA. 12 STÜCK

» RAW BITES« von Anna Schneider und Deniz Retzer, Ventil Verlag, 2021.

ZUTATEN

FÜR DIE GLASUR:

• 200 g Haferflocken • 2 EL Dattelsüße • 1 Prise Fleur de Sel • 3 EL Peanutbutter • 2–3 EL Kokosöl

• 100 g dunkle Schokolade • 2 EL Kokosöl • 1 EL gehackte Erdnüsse zum Dekorieren

Haferflocken sehr fein im Mixer zu Mehl mahlen. Dattelsüße, Salz, Peanutbutter und Kokosöl dazugeben und zu einer schön klebrigen Masse verarbeiten. Im Zweifel noch ein bisschen mehr Peanutbutter dazugeben. Die Konsistenz sollte ziemlich fest sein. Auf Backpapier ca. 1 cm dick ausrollen und kalt stellen. Die Schokolade mit dem Kokosöl im Wasserbad schmelzen und anschließend auf die erkaltete Peanutmasse geben. Nochmals kühlen und in Quadrate schneiden oder Kreise ausstechen und mit ein paar gehackten Erdnüssen bestreuen.

B ILD ANNA SCHNEIDE R

Convenience-Bites.


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RIEGEL MIT X … ERGIBT CA. 10 STÜCK ZUTATEN FÜR DEN TEIG

ZUTATEN FÜR DAS KARAMELL

• 100 g Haferflocken • 60 g Mandeln • 2–3 Datteln • 2–3 EL Kokosöl • 1 Prise Fleur de Sel

• 200 g Datteln • 4–5 EL Wasser • knapp 1 TL Fleur de Sel

ZUTATEN FÜR DIE GLASUR • 150 g Kuvertüre • 1 EL Kokosöl

ZUBEREITUNG: Für den Teig Haferflocken, Mandeln, Datteln, Kokosöl und Salz im Mixer zu einer feinen Masse verarbeiten. Auf einem Blech ca. 1,5 cm dick ausrollen und in den Kühlschrank stellen. Für das Karamell die Datteln mit dem Wasser und der Prise Salz im Mixer sehr gut durchmixen. Die Datteln sollten vollständig zerkleinert sein und eine cremige Konsistenz haben. Bei Bedarf noch ein bisschen Wasser zugeben. Den Teig aus der Kühlung nehmen und großzügig mit dem Karamell bestreichen. Wieder ca. 1 Stunde kühlen. Für die Glasur die Kuvertüre mit dem Kokosöl im Wasserbad schmelzen und leicht abkühlen lassen. Teig-Karamell-Schicht aus der Kühlung nehmen, in ca. 8 cm lange, daumendicke Riegel schneiden und mit der Glasur ummanteln.

TIPP: Dies ist Lolas liebstes Rezept. Die Riegel sind etwas aufwendiger, aber es lohnt sich, denn sie schmecken besser als das „Original“. Auch toll: etwas Fleur de Sel auf die Riegel streuen!


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NEU ODER NOCH GUT

Empfehlungen, Warnungen, warnende Empfehlungen. Von Neuentdeckungen und alten Perlen. Auf dass uns Weghören und -sehen vergeht.

BIKELINE / »RADREGION. RUND UM GRAZ« / Esterbauer, 2022.

1980er-Jahre aus einer Fahrradinitiative der Radlobby Argus entstand und sich seither in der Serie der /Bikeline Radtourenbücher/ auf Radkarten und Radtourenführer in Deutschland und Österreich konzentriert. FLORIAN JAUK

MARIE AMIGUET / »DER SCHNEELEOPARD« / MFA Film/ Polyfilm. Vorgelesen für AusflugsradlerInnen, die auch an den Sehenswürdigkeiten entlang der Route interessiert sind. Das handliche Büchlein beschreibt auf 216 Seiten mithilfe von 103 Karten 16 Radtouren zur Erkundung der Umgebung der steirischen Landeshauptstadt in allen Schwierigkeitsgraden, manche davon führen bis in die West- und/ oder Südsteiermark. Die längste Route ist mit 50 Kilometern die »Wasser- und Quellentour«, bei der man 644 Höhenmeter erklimmt. Wer es etwas gemütlicher angehen möchte oder mit Kindern unterwegs ist, findet dafür ausgewiesene Routen weitestgehend ohne Steigungen und motorisierten Verkehr. Der Guide bietet auch Rahmenprogramm und beschreibt Unterkunftsmöglichkeiten und Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Region. Die »I’ll be back«-Tour führt etwa am Geburtshaus von Arnold Schwarzenegger in Thal bei Graz vorbei. Neben Länge und Steigung der Touren findet man Informationen zu Straßenverhältnissen, Verkehr, Fahrradwerkstätten und E-Bike-Ladestationen am Weg. Auch Anschlussrouten zu den jeweiligen Touren sind vermerkt, sollte man am Ziel noch nicht genug haben. Außerdem gibt’s kostenlos GPS-Tracks auf der Website, mit denen die Routen auf GPS-Geräten und unterstützten Smartphone-Apps wie »Osmand« angezeigt werden können. Wer nach Erkunden des Grazer Umlands Lust hat, weitere steirische Regionen zu beradeln, muss sich nicht weit umschauen. 2021 erschien im selben Verlag ein Radtourenbuch zur West- und Oststeiermark. Erschienen im Esterbauer Verlag, der mit Redaktionssitz in Berlin Mitte der

Vorab gestreamt für alle, die sich auf der Suche nach dem »Geist der Felsen« ins Hochland von Tibet mit hinaufwagen. Alles beginnt auf Campingklappsesseln als allerletzte Außenposten der Zivilisation. Zwei länger nicht rasierte Männer mittleren Alters – der eine Bestsellerautor, der andere vielfach ausgezeichneter Wildlife-Fotograf – blicken hinauf ins Gebirge. Nie im Bild: Regisseurin und Biologin Marie Amiguet. Sie begleitet Sylvain Tesson und Vincent Munier am Himalaya auf deren Suche nach dem Schneeleoparden, einem der seltensten und bedrohtesten Tiere der Welt, dem »Geist der Felsen«. Sie wissen, die Raubkatze ist irgendwo da oben, folgen ihren Spuren, lesen die Landschaft und deuten die Zeichen – etwa die Schreie der Raben, die auf die Anwesenheit eines Raubtiers in der Gegend hinweisen. Selbiges ist Leitmotiv, aber keinesfalls Hauptdarsteller dieses gewaltigen Films. Ist es zynisch, die heimliche Raubkatze als getupfte Projektionsfläche zweier Zivilisationsmüder zu betrachten? »Der Schneeleopard« jedenfalls ist keine Doku wie man sie aus dem Hauptabendprogramm kennt und ideal für die Kinoleinwand: Hauptdarsteller ist

BILD ESTE RBAU ER VE RLAG , MU NI ER, U NI ONSVE RLAG

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R E ZE NSIO N EN


61 die staubige, karge Landschaft, die mit ihren überzeitlich anmutenden Wesen verschmilzt – etwa mächtigen Yaks im Nebel oder Wildeseln, die wir nur als Silhouetten sehen. Andererseits ist es der Dialog im Flüsterton, das laute Sinnieren zweier dick eingepackter, schnaufender Männer mit Fernglas und schwerem Gepäck, die sich auf 5000 Metern Höhe anpirschen. Es sind ehrfürchtige Annäherungsversuche, denen wir staunend beiwohnen wie einem Kammerspiel in weiter, urtümlicher Landschaft. Zwischendurch platzierte Fotos – etwa von verfolgten Beutetieren – halten die flüchtige Eleganz aller Existenz in Momentaufnahmen fest, die wir im Fluss der Bilder sonst übersehen. Auch groß: der Soundtrack von Warren Ellis mit unter anderem Nick Cave (»We Are Not Alone«) und Agnes Obel. Ab März 2022 in ausgewählten Kinos (Deutschland ab 10. März, Österreich ab 16. März) THOMAS WEBER

DJAIMILIA PEREIRA DE ALMEIDA / »IM AUGE DER PFLANZEN« / UNIONSVERLAG, 2022.

Vorgelesen für alle, die Piratengeschichten und Gartenarbeit, kurze Romane und blumige Vergleiche mögen. Es ist große Kunst, mit welcher Zärtlichkeit Djaimilia Pereira de Almeida ihren Helden, den alten Celestino, zeichnet. Und dass der greise Piratenkapitän – Obacht, Spoiler! – am Ende auch noch seelenruhig sterben darf, ist eigentlich unerhört. Davor ist er gegen Ende seiner Tage wieder im leer stehenden Haus seiner Mutter gestrandet, wo er sich »mit freundlichen Gärtnerhänden« des verwilderten Gartens annimmt. Die Grenzen zwischen dem Alten und seiner Umwelt verschwimmen dabei zusehends, er wird selbst zum Gewächs, die Pflanzen erfassen sein Wesen. Nach und nach erfahren wir beim Jäten und Anlegen von Bewässerungsgräben, dass die Geschichten, die im Dorf

über Celestinos grausame Vergangenheit erzählt werden, nicht völlig erfunden sind. Als Kapitän eines SklavInnenschiffs hat er Leichen über Bord geworfen, Dutzende Menschen getötet. Zwei von ihnen hat er nicht vergessen. Nun, da seine Sinne trüber werden, leisten sie ihm Gesellschaft. Die kräftige, bildreiche Sprache der 1982 in Angola geborenen, in Portugal aufgewachsenen, in Lissabon lebenden Autorin erfordert Konzentration. Wer diese aufzubringen bereit ist, den belohnen Djaimilia Pereira de Almeida und ihre deutsche Übersetzerin Barbara Mesquita mit einem dichten, fantasievollen Roman und fiebrigen Bildern, die kein Film je bieten könnte. Besonders eindrucksvoll: die Schilderung des Tanzes einer über die Rüben wachenden Vogelscheuche, die der Wind in der Abenddämmerung zum Walzer auffordert. Ein Roman, den man schwer vergessen wird. THOMAS WEBER

ANDREAS KOOP / »DER HUMMELFREUND« / 2022.

Vorgelesen für SympathisantInnen des Sympathieträgers unter den Fluginsekten. Die Allgäuer Designgruppe Koop hat sich – angetrieben von persönlicher Hummel- und Bienenliebe von Andreas Koop und dem befreundeten Demeter-Imker Christian Sedlmair – in Kooperation mit dem Naturmuseum Thurgau in einem kleinen Büchlein dem dicken Brummer gewidmet. Es informiert über die Hummel im Allgemeinen, darüber, dass sie ihren friedliebenden Ruf grundsätzlich verdient hat, und hilft auch bei Bestimmung einzelner Exemplare. Und weil es zwar in Europa 49 Hummelarten gibt, viele davon aber selten und bedroht sind, werden diese nach Sichtungswahrscheinlichkeit gereiht vorgestellt. Wie im Untertitel »Hummeln verstehen und besser bestimmen« versprochen, wird erklärt, was die Hummel nicht mag, warum es sie vermehrt in Städte zieht und dass sie, wie auch ihre Verwandte, die Biene, stets dem Staat und der Königin dient. IRINA ZELEWITZ


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MAR K T P L ATZ F O O D

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INS GLAS GESCHAUT Bewährtes und Neues, aber Innovatives in Gläser gefüllt

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Retronovativ« ist eine eigenwillige Wortschöpfung. Erfunden hat sie eine Runde Tiroler Gastgeber im Karwendel. Genauer gesagt jene Gastgeber, die im Vorstand des dortigen Tourismusverbands hocken und darüber nachdenken, wie der Fremdenverkehr anzukurbeln ist. Und nachdem »retro« grade recht modern ist und man gleichzeitig auch zeitgeistig und hip, sprich »innovativ«, erschei-

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DAS OLGA-ABO, BIO-HOF KUMER

Die Vertriebsidee von Olga und Markus Voglauer ist ungewöhnlich, Biojoghurt im Abo, im Glas per Post zugestellt. Von den Bio-Jersey-Heumilchfruchtjoghurts ist eines besser als das andere. Bruchsicher und kühlstabil mit kleinen Strohmatten verpackt. Die Idee ist, die Produkte als monatliches Abonnement zu verkaufen und dabei flexibel in der Zusammenstellung zu bleiben. Topfen, Butter und Naturjoghurt sind dabei! kumr.at

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nen will – voilà: retronovativ. Das klingt zwar beim ersten Hinhören wie ein Alzheimermedikament, das Wort fällt dem Autor aber seither immer wieder genau dann ein, wenn HerstellerInnen von Produkten mit Tradition einen neuen, spannenden (also innovativen) Zugang finden. Innovativ können nämlich nicht nur Produkte selbst sein. Innovativ kann auch der Vertrieb, die Produktion oder das soziale Umfeld derselben sein.

BITTER FOG, WONDERFUL DRINKS

Hinter Bitter Fog stehen Anna Abermann und ihr wunderbares Team, das wiederum auch für Pona, Bitterschön und »ICH BIN WAS?ER« steht. Mit Bitter Fog ist ihnen aber ein absoluter Coup gelungen (was der Autor aus einer Perspektive sagt, für die er sich die ewig nicht getragene Kappe des diplomierten Barkeepers aufsetzt). Die Suche nach einem biozertifizierten Tonic ohne künstliche Zusatzstoffe und Aromen und ohne zugesetzten Zucker war eine lange.

Während das Angebot an Bio-Gins förmlich explodierte, wurden sie im Gin & Tonic stets mit einem konventionellen Filler kontaminiert. Das ist vorbei. Bitter Fog ist zwar nicht kristallklar, dafür aber um Klassen besser als viele Tonic-Konsorten. fromaustria.com

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SAMBAL OELEK, DAZU MANUFAKTUR

Hier hat der Zufall Regie geführt – besser gesagt Biowinzer Franz Weninger aus Horitschon. Er hat gemeinsam mit Annemarie und Georg Rohrauer den Bio-Innovationspreis des Landes Burgenland bekommen: für das Projekt »Honigbienen im Weingarten«. Die Rohrauers wiederum machen aber auch Sambal Oelek, den hat Weninger eine Zeit lang mit seinen Weinlieferungen zum Kosten ausgeschickt. Sambal ist übrigens eine Gewürzpaste, die ihren Ursprung in Indonesien hat und die es in unzähligen Varianten von sehr mild (padang) bis extrem scharf (setan) gibt. Oelek ist eine eher scharfe Variante mit rohen Chilischoten. Die von »dazu« gibt’s in zwei Varianten – eine mit gelben und eine mit roten Chilis – beide köstlich und teuflisch nah am Original. shop.dazu.at

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es »Bio Balkan« immer wieder gelingt, spannende Kooperativen und Projekte in das Konzept einzubauen. Beim Ajvar war es ein Projekt, das zum Ziel hatte, benachteiligte Frauen in einer benachteiligten Region zu fördern, bei den Steinpilzen gelang es, eine Biozertifizierung für ein Waldstück zu erlangen, und für die »Krem« (eine grandiose Biohaselnusscrème mit zarten Röstaromen, dezenter Süße und einer Textur, die zwischen butterweich und crispy tänzelt) fanden sie einen Familienbetrieb am Ohridsee in Nordmazedonien. In einer der schönsten, gleichzeitig aber auch ärmsten Gegenden Europas. biobalkan.info/shop

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KREM MIT HONIG, BIO BALKAN

Hansjörg Hummer und sein Team bringen den Balkan ins Glas. Ausschließlich Produkte mit uralter Tradition. Von Ajvar angefangen (im doppelten Sinn des Wortes, weil Ajvar das Produkt war, mit dem das Start-up an den Start ging) bis Šipurak (Hagebutten). Das Innovative daran ist, dass

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PILZSPECK, PILZGARTEN SCHERAG

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SAUVIGNON BLOW, COLLAGE WELT

Entdeckt haben wir den »Pilzspeck« in einem Regal bei Sanjay Bösch vulgo Bacteriosapiens in Lustenau. Sanjay fermentiert, was ihm in die Finger kommt, und das mit enorm viel Wissen und Talent. Mit dem »Pilzspeck« hat er nur am Rande zu tun. Er liefert, was Ingo Scherag später als »Gewürze« in der Zutatenliste stehen haben wird. Miso, Shoyu, fermentierten Pfeffer. Für den Pilzspeck werden Pilze (Austernseitlinge) gegart, gewürzt und danach luftgetrocknet. Sieht ein wenig aus wie Speck, schmeckt ähnlich und kann demnach beim Kochen auch wie Speck verwendet werden. Bereits probiert und für gut befunden: Speckknödel, Bacon & Eggs und als Snack beim Tatort. pilzgarten-scherag.com

Dass Katharina Tinnacher und Christoph Neumeister – jedeR für sich – großartige Weine machen, ist weithin bekannt. Seit 2013, dem Jahr, in dem beide ihre Weingüter auf biologische Bewirtschaftung umstellten, machen sie aber auch gemeinsame Weine. Das Projekt nannten sie »Collage«, und die Weine sind alles außer gewöhnlich. Sie heißen Persiflage, Camouflage oder Sabotage. Der Sauvignon Blow ist – ohne Blamage – der Wein, der in diese Welt einführt. Halb Vulkanland, halb Südsteiermark, spät gelesen und doch von markanter Säure geprägt, im Keller kaum berührt, ein Jahr lang mit der Hefe allein gelassen. Erst voll, dann fein. Ein hefig-frischer, straighter und mineralischer Sauvignon, wie wir ihn von früher, von Anfang der 80er, kennen. Trinkspaßfaktor ohne Ende. sauvignonblow.com

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UND SONST SO, IM BIORAMAUNIVERSUM ...

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WUNSCHAUSGABE

Ausgabe verpasst? BIORAMA-Einzelexemplar direkt in deinen Briefkasten!

5,50

Du weißt genau, was du willst, und das ist eine bestimmte Ausgabe unseres Magazins? Wir bieten – mit begrenzter Verfügbarkeit – auch Einzelexemplare an. Solange der Vorrat reicht, schicken wir dir gerne deine Wunschausgabe – druckfrisch oder aus unserem Archiv ab dem Jahr 2015 – zum Pauschalpreis zu dir nachhause oder in dein Büro oder an deine FreundInnen in der Europäischen Union.

IMMER WIEDER NÖ!

Im Juni erscheint zum neunten Mal eine BIORAMARegionalausgabe für Niederösterreich. Niederösterreich und die inmitten liegende Bundeshauptstadt Wien sind kommunizierende Gefäße – und untrennbar miteinander verbunden. Das zeigen PendlerInnenbewegungen, das Verkehrsaufkommen, die Versorgung usw. Dennoch feiern die beiden Bundesländer 2022 ihre Trennung als Verwaltungseinheit im Jahre 1922. Niederösterreich feiert seine Unabhängigkeit vielleicht ein bisschen mehr. Und weil man die Feste feiern soll, wie sie fallen, feiern wir in unserer Regionalausgabe mit. Außerdem sehen wir uns darin zum Beispiel an, was von der einst so reichen Textiltradition im Norden des Landes geblieben ist.

biorama.eu/abo TEAM

JETZT NEU

Einstweilen zum Nachlesen: BIORAMA Niederösterreich #8 biorama.eu/noe8

Annalena & Stefan

ich denke, dass die Menschheit in Sachen Weltretten unglaubliches Potenzial hat, das wir aber nur entfalten können, wenn wir konstruktiv miteinander reden und uns vor allem aufrichtig zuhören. ich bin eine, die dauernd »Hummeln im Hintern« hat und nur schwer zur Ruhe kommt. Ich mag es aber, so viel Energie zu haben, die ich in verschiedenste Projekte und Ideen stecken kann. – Annalena Eisfeld, Redaktion

ich denke, nachhaltig zu handeln und biologisch zu konsumieren ist gerade heute so relevant wie wahrscheinlich noch nie. ich bin Ganzjahres-Radfahrer, Hobby-Bioimker und ab jetzt Handwerker im Grafikteam bei Biorama – Yeah. – Stefan Staller, Grafik

BILD JONAT HA N VAU GHAN, STEFAN STALL ER

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AU S D E M VER L AG


S o uP BOW L

Die neuen BioGemüsesuppen mit Getreide im Fertiggerichte Regal!

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HAUPTSTADTAUSGABE #2

Bereits zum zweiten Mal erschienen: unsere BIORAMAHauptstadtausgabe für Wien und Berlin Der schlummernde Fuchs am Titelblatt bedeutet nicht etwa, dass wir unsere Hauptstädte für verschlafen halten. Eher im Gegenteil: In beiden Städten blüht das Leben. Was es im Urbanen an Wildlife gibt, wie sich die Stadtverwaltung, stadtnahe Unternehmen und engagierte BürgerInnen für den Erhalt der Biodiversität einsetzen, das ist im Blattinneren unter anderem Thema. Ebenso: Wie die Branche der FahrradbotInnen versucht, sich arbeitsrechtlich zu organisieren; wie die Städte durch ihre Einkaufspolitik für öffentliche Kantinen das Stadtleben ökologisieren (und damit auch die Landwirtschaft rundum); oder wie es zu einem Comeback des Sensenmähens kommen konnte. Und, ja: AbonnentInnen von BIORAMA erhalten unsere Hauptstadtausgaben auch dann, wenn sie außerhalb Berlins oder Wiens wohnen. biorama.eu/wien-berlin-2

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E LT E R NA L LTAG

GESCHMACKSVERBÜNDETE

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Grüppchenbildung ist etwas völlig Normales, inklusive Abspaltungen, Splittergrüppchen und Verbündeter.

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn.

M

eine Familie, wie jedes Grüppchen, teilt sich immer wieder in die unterschiedlichsten Untergrüppchen, es ist wie bei diesem (ich muss zugeben, eigentlich ganz netten) Kennenlernspiel, das und sich mit theatralischer Geste auf großen Festen (Ihr erinnert euch? Das war schön.) zu einem Zweiergrüppchen zu vergespielt wurde. Einer sagt: »Ist schon einmal wo einbinden. Beispiel: die Farbe des Toastgebrochen«, und alle, die schon einmal wo eingebrobrots. »Gell, Mama, wir sind die, die chen sind, stellen sich zusammen, und alle lachen. Ich den Toast so richtig schön dunkel bin übrigens schon einmal wo eingebrochen, endlich mögen.« kann ich es einmal sagen: in einem Freibad, nachts Der große Sohn hat sich mir schon als und ohne Badegewand. So eine bin ich nämlich. sehr kleiner Bub zur Exotische-FrüchDie Grüppchen in meiner Familie jedenfalls te-Fraktion angeschlossen. Seine erste sind entweder plump, wie: eine, die wo eingebrogroße Liebe waren nicht wie bei der anchen ist, und drei, die (noch) nicht; drei männderen Zweierfraktion Bananen (die zählen liche und eine weibliche Person; zwei mit lanja vom Gefühl her schon fast als heimisch, gen Haaren, zwei mit kurzen. Oder etwas suboder?), sondern Granatapfel und Kiwi. Er tiler, wie: zwei, die Rechtschreibung verstehen, war direkt süchtig danach. Dann kam seizwei, die es nicht tun. Zwei, die einen guten ne erste Mango, er drehte völlig durch. VielMusikgeschmack haben, zwei nicht. Und so leicht, weil es die nur sehr selten gibt. Aber weiter. Die Grüppchenbildung beim Essen ist erklär einmal einem Vierjährigen was von auch lustig, da verhält es sich meistens drei CO2-Fußabdruck und allen möglichen andezu eins. Bei Käse zum Beispiel. Ich mag keinen Käse, mochte ihn noch nie und werde ren Gründen, lieber Äpfel zu kaufen. Seine ihn leider auch niemals mögen und habe Besessenheit hat das nur verstärkt, sodass es sodeshalb meinen Kindern niemals Käse gar zur Bildung einer Ein-Kind-Abspaltung kam, verfüttert, weshalb sie auch keinen Käse der Ananas-aus-der-Dose-Splittergruppe. Er mögen. Sorry, das geht auf meine Kappe, liebt Ananas aus der Dose. Ananas aus der Dose es ist auch kaum Käse im Haus, denn es ist seiner Meinung nach auch die bessere Ananas ist nun einmal so, dass, wenn der Mann als die frische Ananas und er sagt auch immer ih(das Ein-Personen-Käseliebhaberunren vollständigen Namen: Ananas aus der Dose, datergrüppchen) einen Camembert in nach trinkt er den Saft aus derselbigen. Wenn ich den Kühlschrank stellt, ich beim Öffim Supermarkt sage, er darf sich etwas aussuchen, nen der Eingangstür einen Würgereiz läuft er und holt sich Ananas aus der Dose. Ich habe erleide. Beteuerungen, der Käse sei immer eine Ananas aus der Dose auf Vorrat, falls er halt einfach herrlich »reif«, bringen traurig/müde/kränklich/mit einem Vierer auf die mich nur noch mehr zum Würgen. Deutschschularbeit heimgekommen/hangry ist. Zu meiEntschuldigung, Camembert. nem Glück ist Ananas aus der Dose völlig geruchsneutral, Die Söhne lieben es, für einen man stelle sich vor, er hätte sich der Camembert-Gruppe uns Elternteile Partei zu ergreifen angeschlossen.

ILLUSTRAT ION NANA MANDL

TEXT Ursel Nendzig


UNSERE HOFGUT EICHIGT MILCH NEU BEIM BIOMARKT

Höchstes Tierwohl, höchste Qualität



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