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Elternalltag

CHRISTBAUM

Was freie Religionswahl gebracht hat: AtheistInnen das ganze Jahr, aber Weihnachten feiern.

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TEXT Ursel Nendzig

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn. Die Söhne sind überzeugte Atheisten. Sie gehen durch ihr Leben, ganz ohne Zweifel daran, dass es keinen Gott gibt. Ich bin völlig d’accord mit ihnen, aber doch verwundert, wie sicher sie sich sind.

In meiner Kindheit – süddeutsche, evangelische Dorfkindheit – war das anders. Meine Eltern waren keine großen KirchgängerInnen, aber dass man getauft wurde, war gottgegeben. Auch Konfirmation gab es mit 14 noch, eigentlich ganz eindeutig. Es hat viele Jahre, Begegnungen und Erlebnisse gebraucht, um bei mir überhaupt das Hinterfragen anzuregen. Und es dauerte bis zur ersten Kirchenbeitragsrechnung, die ich aus meinem ersten eigenen Briefkasten fischte, um die Gretchenfrage eindeutig mit »gar nicht« zu beantworten und die logische Konsequenz draus zu ziehen. Das Austreten war reine Bürokratie, es brauchte dazu weder ein Vorsprechen bei der zuständigen Pfarrerin noch eine Abschiedszeremonie, nicht einmal einen Anruf. Man tritt einfach per Formular aus der Kirche aus. (Es geht in vielen Gemeinden sogar online.)

Kirche samt Religion habe ich keinen Tag lang vermisst. Bei den Söhnen war ich aber schon gespannt, wie sich das entwickelt. Sie sind beide ungetauft. Ich habe sie aber in der Volksschule für (evangelischen) Religionsunterricht angemeldet, einfach weil ich meine: interessant, Bereicherung, Allgemeinwissen, Hilftsnix-schadets-nix-Unterricht. Sie waren medium begeistert. »Mama. Wieso muss ich Religion gehen, wenn du nicht an Gott glaubst?« Langatmige Erklärung darüber, dass sie ja eigenständige Menschen sind, die selbst entscheiden sollten, ob sie gläubig sind oder nicht. »Mama. Den Gott haben sich die Menschen nur aus-

gedacht!« Wieder langatmige Erklärung darüber, dass es ja trotzdem spannend ist, zu erfahren, was andere Menschen glauben. »Mama. Aber mich interessiert das nicht.« In beider Söhne Schulklassen gibt es mehr unterschiedliche Glaubensrichtungen als im ganzen schwäbischen Landkreis, in dem ich meine Kindheit verbrachte: ChristInnen, MuslimInnen, ZeugInnen Jehovas. Und, auch spannend: Sie tauschen sich darüber aus, volksschulkinderstyle, aber doch. »Ich hab den H. gefragt, ob er wirklich an Gott glaubt.« H. teilte dem Sohn mit, dass er das durchaus tue,

Es könnte auch die Ankunft des rosa Luftballons gefeiert werden.

und der Sohn tat wiederum kund, dass er nicht gläubig sei. Dann hätten sie weiter gejausnet. Mir geht das Herzerl auf. Alles könnte also ganz einfach sein. Vielleicht auch für mich. Wenn da nicht Weihnachten wäre. Ich feiere es, als wär ich die erste und oberste Christin, ohne

Kirchgang und Gebet, aber doch mit Adventkranz, dem

Schmettern von Weihnachtsliedern und andächtigem

Benehmen an den Feiertagen. Die Söhne machen natürlich mit, wie alle Kinder lieben sie Rituale, es könnte auch die Ankunft des rosa Luftballons gefeiert werden. Doch für mich müssen es Adventkalender und Geschenke unterm Christbaum sein. Für Dezember sind wir Angehörige der großen Gemeinde der Scheinheiligen.