BIORAMA #26

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Biorama Nº. 26

Die Welt, die wir uns wünschen

34 Die Natur braucht keine Jäger der europäische gerichtshof verkündete kürzlich in einem mit spannung erwarteten urteil, dass die zwangsmitgliedschaft von grundstücksbesitzern in jagdgenossenschaften gegen die menschenrechte verstösst. — Eigentum verpflichtet, auch zum Töten: nämlich von Tieren, wenn es sich bei dem Besitz um ein ausgewiesenes Eigenjagdrevier handelt. Wer über ein solches Grundstück verfügt, ist laut gültigem Recht verpflichtet, für regelmäßige Jagden darauf zu sorgen. Der Urteilsspruch betraf nun die Beschwerde eines solchen Grundstückseigentümers darüber, dass er die Jagd auf seinem Land dulden muss, ob-

die welt, die wir uns wünschen von Wolfgang Smejkal

wohl er sie aus ethischen Gründen ablehnt. Der Gerichtshof für Menschenrechte befand, dass diese Verpflichtung jenen Grundstücksbesitzern, die die Jagd ablehnen, eine unverhältnismäßige Belastung auferlegt. Somit sind alle im Urteil berücksichtigten Aspekte künftig in die rechtliche Würdigung ähnlicher Beschwerden EU-weit einzubeziehen. Für die deutsche Initiative Zwangsbejagung-ade ist damit nach fünfjähriger Prozessdauer ein wichtiges Etappenziel erreicht und die angestrebte Zerschlagung von Jagdgenossenschaften in greifbare Nähe gerückt. Der von der Vereinigung beauftragte Bürger-Anwalt Dominik Storr ist überzeugt, dass das System der gemeinschaftlichen Jagdreviere nicht mehr länger haltbar ist und rät allen Betroffenen, bei der zuständigen Jagdbehörde die Befreiung vom Zwang der Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft zu beantragen, damit auf ihrem Grundstück nicht mehr gejagt werden darf.

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Glaubt man den eindringlichen Argumenten der Jägerschaft, wäre Österreich ebenso wie Deutschland ohne Jagd dem Untergang geweiht: Jäger retten den Wald vor Rehen und Hirschen. Jäger retten die Landwirtschaft vor der Verwüstung durch Wildschweinhorden. Jäger schützen die Bevölkerung vor Seuchen: vor Fuchsbandwurm, Tollwut, Räude und Staupe. Ohne Jäger würden die Wildtiere überhand nehmen – schließlich gibt es keine großen Raubtiere mehr. Die Mär vom Jäger als Naturschützer ist aber längst widerlegt. Wissenschaftliche Studien belegen die Selbsterhaltungsfähigkeit der Natur, deren Tierbestand sich in unbejagten Gebieten ebenfalls selbst reguliert – und die Jagd somit überflüssig, ja in manchen Fällen sogar kontraproduktiv macht: Obwohl in Deutschland so viele Wildschweine geschossen werden wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen in den 30er Jahren, steigt ihre Anzahl immer weiter. Denn so paradox es klingen mag: Je mehr Jagd auf Wildschweine gemacht wird, umso stärker vermehren sie sich. Eine Langzeitstudie kommt zu dem Ergebnis: Starke Bejagung führt zu einer deutlich höheren Fortpflanzung und stimuliert die Fruchtbarkeit bei Wildschweinen. Jagd provoziert vielfach erst sogenannte Wildschäden und den »Verbiss« im Wald. Rehe sind von ihrer Natur her Bewohner von Wiesen und Waldrand. Die Jagd treibt die Tiere in den Wald hinein, wo sie dann keine für sie lebenswichtigen Gräser und Kräuter finden und ihnen nichts anderes bleibt, als an Knospen zu knabbern. Zudem werden die Tiere durch die Jagd unnötig aufgescheucht, was ihren Nahrungsbedarf und damit die Fraßschäden oft weiter erhöht. Die Jagd auf Füchse versucht die Jägerschaft gegenüber der Öffentlichkeit mit zwei Argumenten zu rechtfertigen: dem Schutz der Bevölkerung vor Tollwut und Fuchsbandwurm. Der Haken daran: Deutschland und Österreich gelten seit 2008 nach den internationalen Kriterien der Weltorganisation für Tiergesundheit als tollwutfrei. Und seit Jahren weisen Forscher darauf hin, dass die Angst vor dem Fuchsbandwurm übertrieben ist. Auch die Erfahrungen in großen europäischen Nationalparks zeigen: Es geht Natur und Tieren ohne Jagd viel besser.

Jagdfrei in den Niederlanden Bereits seit über einem Jahrzehnt können Hollands Wildtiere aufatmen, denn seit 2002 ist die Jagd dort weitgehend abgeschafft. 1998 wurde das »Flora- und Faunawelt-Gesetz« verabschiedet, ein neues Naturschutzgesetz, das die meisten Tierarten ganzjährig unter Schutz stellt. Wildschweine, Füchse, Marder, nahezu alle Vogelarten und auch Rehe und Hirsche dürfen mit dem Inkrafttreten der neuen Gesetzgebung nicht mehr

08.08.13 18:45


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