Biorama #13

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Biorama Nº. 13

eLTERNALLTAG / Ursel Nendzig

foto Photos.com

Ist es nicht gerade erst zur Welt gekommen? Wieso entfernt es sich denn schon vom Elternteil? Das Baby wächst einfach zu schnell. Da kommt doch kein Mensch nach mit dem Loslassen.

Vom Loslassen

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»Da wirft sich das Elternteil schon richtig ins Zeug, um das Baby gut ankommen zu lassen.«

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oslassen« sagt die Stimme. Sie gehört der durchtrainierten, fettfreien Frau im hellrosa Jogginganzug und ist ruhig, sanft und alles-wird-gutig. Die Augen des Elternteils sind geschlossen, sie lässt es sich mal so richtig gut gehen, lässt sich in die Stimme fallen, in die Panflöten-Musik im Hintergrund und auf die Yoga-Matte unter ihr. Herrlich. So ein Elternteil-Leben ist wahnsinnig schön und erfüllend. Klar. Trotzdem tun diese winzigen Inseln der Seligkeit so wahnsinnig gut. Weil das Elternteil-Leben eben manchmal ganz schön wahnsinnig und überfüllt ist. Mal allein sein, wie herrlich das ist! Wie unkompliziert alles ist, wie schnell das Elternteil den Weg hierher zurückgelegt hat, trotz Öffis und trotz Rush-Hour. Jetzt ist jedenfalls Loslassen angesagt, von der ruhigen Stimme. Kein Problem für das Elternteil. Sie lässt jetzt so richtig los, alles lässt sie teil mit dem Baby auf dem Weg zur los, und wie sie es loslassen wird. Sie lässt nicht Kinderkrippe. Vorsprechen. Wer nämnur ihre Arme, Beine, den Rücken und was ihr lich arbeitet, muss sich warm anziehen, sonst noch von der Stimme aufgetragen wird nicht nur das Baby. Der muss sein Kind los, sie lässt sie regelrecht fallen, irgendwohin, nämlich loslassen, also wirklich loslassen, ins Nichts. Und als Fleißaufgabe lässt sie auch zumindest halbtags. Aber: so eine (private) ihre Gedanken los, schaltet sie ab. Hier, im Kinderkrippe, die nimmt nicht jedes Baby. Loslass-Land gibt es nämlich nichts, was sie Da muss man schon gut dazu passen, zum sonst immer festhält, kein Babybrei, keine Gesamtkonzept und überhaupt. Ja, wir essen Windel, kein nächtliches Aufstehen, alles zuhause auch nur Bio. Nein, niemals Fastfood. weg, alles losgelassen. Auch alle Gedanken Trinken – nur Wasser, was denn sonst. Da wirft an das Baby lässt das Elternteil los, ja, so sich das Elternteil schon richtig ins Zeug, um einfach ist das. Einfach nicht dran denken, das Baby gut ankommen zu lassen damit es auch was das Baby gerade macht, ob es beim sicher einen Krippenplatz bekommt. anderen Elternteil auch aufgegessen hat. Dabei hat sie das Baby doch gerade erst beKeinen Gedanken daran verschwenden, kommen. Und schon muss sie darüber nachdenob es sich zum Mittagschlaf hinlegen ken, wie sie es wieder los wird. Ist es nicht gerade hat lassen und ob es auch sein Vitamin erst zur Welt gekommen, vom Elternteil getrennt D bekommen hat. Nicht eine Sekunde geworden, war winzig, schrumpelig, hilflos? Hat es denkt das tiefenentspannte, wie ein nicht gerade erst zum ersten Mal gelächelt, nach Einser loslassende Elternteil daran, einem Spielzeug gegriffen, sich umgedreht, gerobbt, ob das Baby auch warm genug angekrabbelt? Vom Elternteil weg gegrabbelt? gezogen wurde. »Loslassen« sagt die Stimme und bahnt sich ihren So wie es neulich diese Frau geWeg zurück, vorbei an der Panflötenmusik. Dabei sagt hat. Ob es auch warm genug macht das Elternteil seit der Geburt nichts anderes. angezogen sei. Da war das Eltern­ Und hofft auf einen Krippenplatz.


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