Fight Back 02 - Antifa-Recherche Berlin - 2003

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FIGHT BACK MAI/03

INTERVIEW

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Inwieweit reichen die Bestrebungen auch in die Bewegung der GlobalisierungkritikerInnen hinein? Habt ihr Beobachtungen zu diesem Phänomen? Können oder könnten die Neonazis hier Fuß fassen? AIM: Sicher gibt es von Faschisten vielfältige Bemühungen, sich in soziale Bewegungen einzureihen. Gelingen tut ihnen das meist solange nicht, wie größere Teile dieser Bewegungen sich als links definieren und es schaffen, die Inhalte so zu bestimmen, dass sie nicht von Nazis adaptiert werden können. Die Gefahr besteht, dass Nazis und Konservative vermeintlich linke Begriffe, mit denen diese Bewegungen, z.B die GlobalisierungskritikerInnen, arbeiten, für ihr Anliegen umcodieren und so die Bewegungen als Resonanzkörper benutzen können. Von der Globalisierung der Ausbeutung ist es dann über die „Ostküste der USA” zur jüdischen Weltverschwörung nicht mehr weit. Wenn dies möglich ist, muss der linke Teil seine Kapitalismuskritik schleunigst überprüfen. Das dies nicht geschieht, ist mehr als fahrlässig. Dies einzufordern und eine solidarische Diskussion zu organisieren, ist eine wichtige Aufgabe der Antifa. [AANO]: Diese spezifische Problematik beschäftigt unsere Gruppe auch sehr häufig. Gerade bei den Aktivitäten der [AANO] im Bezug auf die EU-Gipfel ist dieser Themenkomplex immer wieder aufgetaucht. Unser Standpunkt zu diesem Thema ist klar: Wir sehen die Anknüpfungspunkte der extremen Rechten an die globalisierungskritische Bewegung sehr deutlich. Wir halten es auch als keine Unterwanderung, wenn extreme Rechte verbal oder praktisch versuchen, an Aktivitäten des Anti-GlobalisierungsSpektrum zu partizipieren. Deshalb halten wir es für unerläßlich, innerhalb der Bewegung antifaschistische und antirassistische Standards einzufordern und noch weiter für antinationale und linksradikale Positionen zu kämpfen. Zum Teil stellt sich dabei aber auch die radikale Linke als ein Problem dar. Dies ist vor allem auf den EU-Gipfel im Dezember 2002 in Kopenhagen zu münzen. Dort wurde der antizionistische und antisemitische Grundgehalt der Parole „Boykottiert Israel“ von der Linken weder erkannt, noch nach einigen Diskussionen eingesehen. Dieses Problem des linken Flügels innerhalb der Bewegung halten wir auch für sehr schwerwiegend.

Quitzowstraße in Moabit

Auf den Demonstrationen der Friedensbewegung und der globalisierungkritischen Bewegung sind oft extreme Rechte unterschiedlichster Gruppierungen am Start. Was macht ihr dagegen? Gibt es da eine Sensibilität von Seiten der VeranstalterInnen? T.A.G.: Wie überall versuchen wir linksradikale, emanzipative und fortschrittliche Strömungen und Bewegungen zu unterstützen. So auch in der Friedensbewegung und bei Protesten gegen die kapitalistische Globalisierung. Völkische, nationalistische, reaktionäre und antisemitische Positionen müssen überall bekämpft werden, natürlich auch in der Friedens- und Antiglobalisierungsbewegung. [AANO]: Oh, Friedensdemonstrationen. Na ja, wenn wir die Lust dazu verspüren, schlendern wir auf solchen Demonstrationen mit. Doch nicht, weil wir das Anliegen unterstützen, sondern um zu sehen, wie treu doof doch ein Teil des pazifistischen Milieus sein Anliegen vorträgt. Doch meistens bleiben wir solchen Veranstaltungen fern. Bei der globalisierungskritischen Bewegung sind wir uns immer noch unschlüssig. Da ist noch viel Diskussionsbedarf, doch allgemein halten wir das Potential innerhalb dieser Bewegung für fortschrittlicher als in der Friedensbewegung. AIM: Große diffuse Bündnisse, wie es die Friedensbewegung und noch mehr die TeilnehmerInnen ihrer Demonstrationen, z.B. in Berlin, sind, beruhen ja nicht auf einer gemeinsamen Diskussion, sondern auf der gemeinsamen Ablehnung eines bestimmten Punktes, wie kürzlich der Ablehnung des Irakkrieges. Da ist es für die Nazis natürlich einfach mit zu laufen. In kleineren Städten gelang es ihnen dabei mehrfach gleichberechtigt und mit eigenen Transparenten an Friedensdemonstrationen teilzunehmen. Die VeranstalterInnen positionierten oder distanzierten sich nicht, als störend wurden höchstens protestierende AntifaschistInnen empfunden, die dann schnell in die Rolle des hilflosen Beobachters verbannt waren. Auch in Berlin hätte es peinlich werden können, wenn wirklich viele Nazis aufgetaucht wären. Die Antifa sollte vielleicht auch bei solchen Demonstrationen wieder verstärkt mit eigenen Positionen, aber auch Personen vertreten sein. Vielleicht hätte es in mancher Kleinstadt geholfen, öffentlich die Frage zu stellen, was denn die Fans der Wehrmacht dazu bringt, gegen Krieg zu sein. Auch eigene explizit antimilitaristische, antistaatliche und antikapitalistische Beiträge hätten dazu beitragen können, in der Debatte zu polarisieren und dem Kadaver-Gehorsam der hinter Gerhard Schröder herlaufenden Friedensfreunde entgegenzuwirken.

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