AD 02/2017

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februar 2017 DeutschlanD

8€

DeutschlanD Österreich 13 sfr schweiz

Großes ARCHITECTURAL DIGEST. STIL, DESIGn, KUnST & ARCHITEKTUR

20 Wir feiern Geburtstag! Bilder, Menschen & Rekorde

JubiläumsSpecial

Jahre

Comeback der Birne Die neuen LEDs Zeitgeist Stefan Diez möbliert die Gegenwart

Visionär Vincent Darré richtet die Zukunft ein

Wunderkind Wolfgang Joop blickt zurück – und nach vorn


Inhalt Februar 70 67 Superlative 70 Inspiration 74 Interview Wolfgang Joop 82 Ranking 84 Fokus Vincent Darré 88 Kleine Bildgeschichte

Happy Birthday!

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Architektur 100

Projekt Nicht weit von Lillehammer setzte der Architekt Håkon M. Aasarød ein Haus in die Landschaf, das so diskret ist, dass es zwischen den Bäumen fast verschwindet. 104 Radar

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Kulthaus

Cover: Marco Bertolini/Living Inside; Fotos: Robert G. Bartholot; Gonzalo Mayoral; Porträt: René Fietzek

Chaim Heinz Fenchels Karriere begann beim Film, das spektakulärste Projekt des Architekten und Designers steht aber an der Elfenbeinküste: das „Hotel Ivoire“.

25 Editorial 26 Impressum 31 Edition 32 AD Selects 35 AD stellt vor

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Stil 40 Neuheiten 52 Thema Magritte 54 Talent Max Enrich

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Porträt Vor der großen Werk(stat)schau in Köln: ein Besuch im Studio von Stefan Diez.

60

Studio Acht Jahre nach dem EU-Verbot ist die Glühbirne zurück. Eine Expedition durch die glamouröse Welt der neuen LEDs.

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AD 20 Jahre Wir feiern Geburtstag und schenken Ihnen ein Album mit Bildern, Menschen und Rekorden aus 20 Jahren. Und das: mit den schönsten Designs des Jahres!

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Forever Joop

60 Neues Glühen

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Panorama 112 Reise „Amanera“-Resort 116 Reise Neuheiten

118

Kunst Zeit zum Zeichnen hate er wenig. Gleichwohl war Johann Georg von Dillis einer der begnadetsten Landschafsmaler seiner Zeit. Eine Ausstellung stellt ihn vor. 124 Kunst News 126 Bücher

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Inhalt Februar 129

Leben 130

Art House In seinen Filmen beschwört Luca Guadagnino eine Welt voll dunkler Schönheit. Seine Wohnung in einem Palazzo vor den Toren von Mailand steht der Fiktion in nichts nach.

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Bring’ mich zum Lächeln! Sie ist Krimiautorin, Do-it-yourselfDecorator und seit Neustem Stand-up-Comedienne. Uns erzählt Brenda Cullerton die Geschichte ihres Lofs im East Village – und die Geschichte ihres Lebens.

152

Frische Brise von einst Manche Sammler wundern sich später über ihre allerersten Kunstkäufe. Nicht so Didier Gomez. Der Interiordesigner gestaltet gar sein Pariser Appartement neu. Als lichte Bühne seiner frühen Bilder.

160

Man muss wissen, wann man aufhören sollte! In der Welt der Couture steht Angelo Katsapis für Rafnement und klare Schnite. Jetzt erobert er auch das Interiordesign. Ein Besuch in Mailand.

168

Schwarzmalerei

Alice und die Wunder auf dem Land

Ein düsteres Gemüt kann man Interiordesigner Dominique Tosiani nicht nachsagen – auch wenn er zu Hause in Saint-Malo dunkle Töne liebt.

Einmal vom Sommerhaus zum Kloster und zurück: wie eine junge Familie aus Paris eine alte normannische Villa mit Charme und Lässigkeit verzaubert.

144

Katsapis’ Kosmos

160

176 AD bei … AD Award 178 Update Savoir Beds 180 Update Euroboden 181 Update Highlights, Treca 182 Summaries 184 Apropos 186 Gewinnspiel

130

Fotos: Marco Bertolini/Living Inside; Mikael Olsson

Art House

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AD Editorial

„Das Zuhause ist ein höchst privater Ort. Aber auch eine Geschichte, die über die Gegenwart weit hinausreicht und deren inspiratorischen Appeal wir gern freilegen.“

P

Fotos: René Fietzek

ro captu lectoris habent sua fata libelli, Bücher haben ihre Schicksale. Und zwar ganz in Abhängigkeit derer, die sie lesen. An diesen berühmten Satz des antiken Grammatikers Terentianus Maurus muss ich bei unserer Arbeit oft denken. Seit nunmehr 20 Jahren reisen wir mit der deutschen AD um die Welt und besuchen Menschen in ihren Häusern und Wohnungen. Einerseits ist das Zuhause ein höchst privater Ort, andererseits immer auch das Palimpsest einer weit über das eigene Leben und die konkrete Gegenwart hinausreichenden Geschichte. Diese mit all ihren Schichtungen und Seitenwegen zu erzählen, mit unserem Blick, und zugleich ihren inspiratorischen Appeal freizulegen machen wir uns jeden Monat zur Aufgabe. Die vielleicht lustvollste, unerschrockenste und Sehgewohnheiten sprengendste Geschichte über zwei Jahrzehnte und einige seiner Villen, Apartments und Lebensstationen hinweg war uns der Kosmos von Wolfgang Joop. Bereits 1997, in der allerersten Ausgabe von AD, hat er uns inspiriert. Und das gelingt ihm bis heute. Simone Herrmann und ich haben den wandlungshungrigen Modedesigner in Potsdam besucht und mit ihm diese Geschichte

Revue passieren lassen (S. 74). Wie behänd, wie leichtfüßig der grandiose Eklektizist durch die Zeiten zu springen vermag, mag für viele, die ihn längst abgeschrieben hatten, verblüffend sein. Was wir von ihm gelernt haben, der früh seinen „Playground Sanssouci“ verlor und nun nach einem Leben auf der ganzen Welt an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt, ermessen wir erst jetzt. Und ja, wir folgen ihm wieder, voller neu entfachter Neugier. Wolfgang Joop, dieser begnadete Komponist und Arrangeur seiner wild durcheinanderfliegenden Einfälle, ist tatendurstiger denn je. Und konzentrierter. Er ist im Begriff, Gut Bornstedt, das Haus, in dem alles begann und das er selbst für seine Eltern und seine Tante Ulla um- und ausgebaut hatte, ein weiteres Mal mit neuer Geschichte aufzuladen. Alles ist entkernt, noch sind die Regale (wie man oben sieht) leer. Aber in diesen Tagen wird sein privates Atelier dort einziehen, die Bücher, die Gemälde, Lieblingsmöbel, einst gefunden wie Pilze im Wald. Der Mann ist sprungbereit. Mode, sagt er bei unserem Gespräch, sei für ihn wie ein Ballett. Die armen, geschundenen Füße schmerzen, doch dann kommt er, dieser eine Augenblick: „Wenn du dich da oben bewegst, im Sprung, dann ist es okay. Aber wenn du runterkommst, ist es vorbei.“ Beglückenderweise fliegt Wolfgang Joop wieder, vielleicht mehr als je zuvor. Wir schauen zu. Und erzählen.

Oliver Jahn

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Stil

Neuheiten, Thema, Talent, Porträt, Studio und Special 20 Jahre AD

Freude ist ansteckend

Foto: Fendi

„… if you feel like a room without a roof“, trällert Pharrell Williams in der Gute-Laune-Hymne „Happy“. Visualisiert hat die Zeile nun Cristina Celestino für Fendi. „Te Happy Room“-Kollektion, gerade auf der Design Miami präsentiert, verführt zum Glücklichsein. Mit koketen Polstermöbeln aus Samt in Fifies-Farben und Tischchen, die wie riesige Ohrstecker wirken. Schmuck! AH fendi.com

Redak tion Simone Herrmann und Lilian Ingenkamp

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Stil Porträt

Das DiezPrinzip Tex t Andreas Kühnlein Fotos Conny Mirbach

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„Full House“ im Kölner Museum für Angewandte Kunst: Stefan Diez lädt zu seiner ersten Werk(statt)schau – wir trafen den Designer in seinem Münchner Studio.


Li. Seite: Stefan Diez auf „Kitt“, einem von Thonets fach zerleg­ barem Kafeehaus­ stuhl „Nr. 14“ inspirier­ ten Entwurf für Hay. Für die Ausstellung in Köln und den beglei­ tenden Katalog arbei­ teten der Designer und sein Team 15 Jah­ re höchst produktive Entwurfsarbeit auf.

Parade der Prototy­ pen: Die Tischchen „Bandit“ oben aus perforiertem Stahl­ blech entstanden als Prototypen für e15. Rechts: Eines von un­ zähligen Modellen, aus denen am Ende der Gartenstuhl „Yard“ mit Gurtgefecht für den italienischen Her­ steller Emu wurde.

W ie fühlt sich die erste Retrospektive nach 15 Jahren Arbeit an? Wir haben uns von Anfang an gewehrt, das Ganze als Retrospektive zu sehen. Es wird ziemlich voll, Ruhe kehrt kaum ein, im Gegenteil. Wir haben eher eine – etwas idealisierte – Studiosituation geschaffen, in der man vieles anfassen darf. Ich denke, so versteht man die Logik hinter unserer Arbeit am besten, und ist Begreifen nicht der erste Schritt zum Mögen? Was also wird man in Köln genau sehen? Die Ausstellung ist in eine Vielzahl von Zellen unterteilt, wie die, in der wir gerade sitzen; eigentlich sind das Bürotische, die wir für Hay entwickelt haben, nur mit verlängerten Beinen. Wir stellen quasi unterm Tisch aus. In jeder Zelle beschäftigen wir uns mit dem entscheidenden Schlüsselmoment – jede Entwicklung besteht ja aus einer Menge Ideen, aber irgendwann sind eine, vielleicht zwei dabei, die den Unterschied machen. Die Form selbst ordnet

sich dieser Schlüsselidee unter. Momentaufnahmen aus dem Atelier, das ist die Idee der Ausstellung. In so einem Kontext kann man dann auch Entwürfe zeigen, die nie realisiert wurden … Auch Dinge, die gar nicht zur Umsetzung gedacht waren? Nein, so arbeiten wir nicht. Mal ist eine Firma pleitegegangen, mal waren wir zu kompliziert. Aber ganz ohne einen Partner, der die Parameter mitdefiniert, macht Design keinen Sinn. Und warum nicht? Viele Designer verlegen sich heute komplett auf digitale Entwurfsund auch Produktionsverfahren, vom CNC-Fräsen bis 3D-Druck, und produzieren die Entwürfe selbst. Was auch konsequent und modern scheint; immerhin hat die Digitalisierung diese Art zu arbeiten erst möglich gemacht. Das Problem ist nur: Für solche Produkte ist es völlig egal, ob man zehn davon herstellt oder 10 000. Es wird nicht schneller, es wird nicht billiger, und die Investition in Werkzeuge ist überflüssig. Gerade darin liegt aber doch das Bekenntnis zu einer Idee! Designer brauchen Firmen, die sich auf ein Konzept einlassen. Und die bereit sind, dafür ein Risiko

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Beleuchtung

Die Birne der Pandora Acht Jahre nach dem EU-Verbot ist die Glühbirne zurück – im Interiordesign und endlich auch im Lampenladen. Begleiten Sie uns auf eine Expedition in die überraschend glamouröse Welt der neuen LEDs.

Redak tion Karin Jaeger und Mona Bergers

Roughe Eleganz: Lüster mit GlobeLampen verbinden Industriekultur und Art déco. „Leonard“ aus Messing gehört zur „Tribeca“-Serie von Menu, die asymmetrisch verzweigte Leuchte rechts entwarf Dimore Studio für den zweigeschossigen Salon eines Apartments in Paris.

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Stil Studio

1

2

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1 Sehr hell: 770 Lumen-Birne von Vosla, um 14 Euro, vo s l a - s h o p.c o m 2 Osrams „Vintage 1906“ leuchtet eher gelb- als rotgülden. Um 12 Euro, osram.de 3 Lichttechnisch ist die „Clear Crystal Bulb“ aus Bleikristall nicht das hellste Lämpchen im Kronleuchter – aber beim Glamour-Faktor unschlagbar. 119 Pfund, le ebroom.com 4 „R105 S Golden“ glimmt gemütlich hinter getöntem Glas. Um 33 Euro, über g o o d s hau s .c om, th e rm o lamp.c om

K

Fotos: Menu; Vosla; Ledvance; Lee Broom; Gonzalo Mayoral; Anna Kern/House of Pictures; Tom Fallon/Retrouvius; Mai-Linh

lar oder matt? 40, 60 oder 100 Watt? Mehr Fragen musste in der Regel nicht klären, wer eine Glühbirne kaufen wollte. Dann kam 2009 die „Leuchtmittelverordnung“ der EU, auch bekannt als „Glühbirnenverbot“. Und mit ihr ein Potpourri an neuen Leuchtmitteln, die vor allem eins gemein

haben: Sie sparen Strom. Und sofern es sich um sogenannte Retrofits handelt: Sie lassen sich in gängige E27-Fassungen schrauben, füllen also zumindest oberflächlich die Lücken, die die Verbannung des gemächlich glimmenden Wolframfadens hinterlässt. Da endet die Systematik aber auch schon. „Keiner kann sich da wirklich hineinfinden“, sagt Sebastian Brink, Geschäftsführer des Lichtberaters

Bare bulbs: Zwei karge Birnen akzentuiert das Designteam von Retrouvius im Treppenhaus o. mit Textilkabel in Neonorange. In der schwarz-weißen Küche ganz oben baumeln verschiedene Glühlampen in schlichten Messingfassungen von einer eigens geschmiedeten Eisenstange.

Prediger in Hamburg und Berlin. „Denn das Angebot ist nicht mehr genormt.“ Wer nach Ersatz für das warme, am Feuer orientierte Licht der Glühbirne sucht, muss zunächst grundlegend wählen zwischen Energiesparlampen, LED-Retrofits und Halogen. Nachdem sich Erstere praktisch selbst disqualifiziert haben – fahles, kaltes Licht und ein unerquickliches Quecksilberproblem – und Letztere mittlerweile auch auf der Roten Liste der bedrohten Leuchtmittel stehen (sie werden 2018 wegen zu geringer Energieeffizienz vom Markt genommen), konzentrieren sich

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20 Jahre Wir haben nachgerechnet. Nach zwei Jahrzehnten und endlosen Reisen durch die Welt des Guten und Schönen fanden wir es an der Zeit für ein Resümee in Zahlen. Und stießen dabei auf allerlei Dinge – schöne, schräge, spannende –, die uns selbst erstaunt haben. In unserer kleinen Retrospektive haben wir 20 Fakten aus 20 Jahren gesammelt und erkannt: so viele einzigartige Orte schon besucht, so viele Wunder gesehen, vor allem aber – noch so viele Geschichten zu erzählen! 66

Eine kleine Numerologie des Stils.


AD 20 Jahre

38 206

Seiten haben wir in 176 Ausgaben

bis heute gestaltet, die vorliegende mitgerechnet. Mitlerweile sind wir pro Jahr übrigens bei doppelt so vielen Seiten wie noch in den Anfangszeiten. Genug sind es eigentlich trotzdem nie.

2034 Artikel sind auf ad-magazin.de bis

heute erschienen. Online ist AD nun seit fünf Jahren, (fast) jeden Tag davon mit neuen Beiträgen aus der Welt des Designs.

2 Hasen arrangierte Robert Wilson 2013

auf seiner Festafel für das Sonderhef „Quintessence“. Sein „gedeckter“ Tisch unten blieb unveröfentlicht. Bis heute.

9

Z entimeter misst das kleinste Haus,

das je Gegenstand einer Architekturgeschichte in AD wurde (re. o.). Einzigartig ist auch das Baumaterial: Papier, errichtet auf einem Bierdeckel als Fundament. Die Architekten: Erin Marranca und Stu Hughes vom Mini Paper Pavilion Club in Vancouver. So winzig ihre Entwürfe, so imposant sind die Visionen der beiden Künstler – uns war das 2014 eine (ziemlich große) Geschichte wert.

Miniaturweltausstellung: ADs kleinste „Small Spaces“ stehen in Vancouver.

4 Zehen häte eine Skitour 2009 in die

Hardangervidda unsere Redakteure um ein Haar gekostet; ein eisiges Vergnügen.

45 Grad warm wurde es auf der bislang

heißesten Testfahrt für AD – 2007 in einem Mercedes 500 GL, den wir quer durch die namibische Wüste u. hetzten.

150 Kilogramm wog das schwerste Stück,

Fotos: Thomas Loof; Svea Kemper; Grant Harder; Wolfgang Stahr

das unsere Stle-Redakteure je eigenhändig zum Shooting befördern mussten: eine Soane-Eisenkonsole samt Schieferplate.

Wüstenschife: Menschen und Maschinen im backofenheißen Härtetest, bei 45 Grad.

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Jahre später mutet es beinahe wie

ein politisches Bekenntnis an: „Sagen Sie Donald Trump, dass ich nicht für ihn arbeiten werde – niemals!“, schmeterte uns Frank Gehry im Sommer 2000 entgegen. Und heute? Sind wir gespannt, ob er auch eine Präsidentenoferte ausschlägt.

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AD 20 Jahre

„Ich weiß nur eins: Bis zum Ende will ich nicht wissen, wer ich bin. Ich will immer wieder ein anderer sein.“ Zurzeit ist Wolfgang Joop ein „Heimkehrer ohne Heimat“. Wir trafen ihn kurz vor seinem Umzug nach Gut Bornstedt.

Inter view Oliver Jahn und Simone Herrmann

Produk tion Ralph Stieglitz

Fotos René Fietzek


Was ist modern in der Postmoderne? „Das Mobile vielleicht. Der Mensch jedenfalls nicht“, sagt Wolfgang Joop. Der Mann, der „Joop!“ war und von der Mainstream-Marke zum Wunderkind der deutschen Couture wurde, hat sich immer wieder neu erfnden. Nun kehrt er zurück. Nach Bornstedt, dem Gut seiner Kindheit. Ein inneres Gut, das er all die Jahre von Hamburg nach New York und retour nach Berlin schleppte. Endstation Sehnsucht also? Wolfgang Joop schütelt den Kopf …

kamen Flüchtlinge aus dem Osten, ganze Lastwagen von Leuten, gingen in das große Haus, zu meinem Großvater. Es war eng, aber immer war da diese Nähe, die ich heute so mühsam rekonstruiere. Sehen Sie sich jetzt in der Rolle Ihres Großvaters? Die Wiederholung der Geschichte gefällt mir zwar nicht, aber so ist es. Ich hatte ja das Glück, Vater und Großvater zu werden, was ziemlich selten ist in der Branche, nicht? 2010, nach dem Tod mei­ ner Mutter, glaubte meine Tochter Jette, Bornstedt übernehmen zu können. Aber es fehlte ihr an der nötigen Passion und an der Be­ reitschaft, sich ganz für diesen Ort zu entscheiden.

„Innen werde ich immer frischer, immer moderner, und außen gerät alles aus den Fugen.“ S ie ziehen in das Haus Ihrer Muter, richten sich Gut Born­ stedt als Privathaus ein. Was bedeutet Ihnen diese Rückkehr? Da, wo wir heute auf dem Rasen standen, waren früher Frühbeete mit Gurken, da wurden Radieschen pikiert. Es gibt alte Fotos von Frauen im Unterhemd, mit Turnhosen, Kleider darüber und Wattejacken – eine meiner prägendsten modischen Erinnerungen. Viele von ihnen wurden erschlagen, die Obstbäume gefällt. Die Sowjets wollten eine Kolchose daraus machen. Mein Großvater weigerte sich: „Ick will als freier Bauer sterben!“ Tante Ulla wurde abgeholt, als Zwangsarbeiterin verschleppt. Meine Großmutter hängte sich an sie, schrie: „Ich lass' dich nicht gehen!“ Später bekam Ihre Familie das Land zurück. Ja, als Müllhalde, Glasscherben, kaputte Glühbirnen, ganze Berge davon! Mein Großvater war 75, als er das wieder aufräumte. Aus der Kolchose wurde nichts, die großen Landmaschinen kamen hier nicht durch. Schließlich sind wir nicht in der Ukraine! Sogar in der Nachkriegszeit konnten wir uns selbst versorgen. Wir wa­ ren wer. Die Familie ließ es nicht zu, dass ich Hunger hatte. Es

Tun Sie das denn? Sie pendeln doch auch zwischen Ihrer Stadtwohnung in Berlin, richten sich auf Ibiza gerade ein Haus ein. Und dann ist da noch die Villa Metz am Heiligen See, wo Sie ja bisher künstlerisch tätig waren … Mick Flick hat gesagt, als die Villa gerade eingerichtet war: „Wow, Wolfgang. Ich habe die tollsten Häuser gesehen, aber mit so leich­ ter Hand hat das noch keiner gemacht.“ Meine Hand ist noch ge­ nauso leicht, aber die Gedanken sind schwerer. In der Villa Metz sind mir die Decken zu hoch. Ich glaube, dass ich auf Gut Born­ stedt kreativer sein kann, ich hoffe es. Dabei würde ich lieber ab­ hauen, keine Verantwortung mehr übernehmen – Vagabund sein. Als Kind waren Sie selbst Flüchtling. Als mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft kam, habe ich mei­ nen Playground Sanssouci verloren, landete in einem Braunschwei­ ger Mietshaus. Gegenüber waren Flüchtlingsbaracken – ein ganz schlimmes Wort –, und auch deutsche Flüchtlinge waren etwas ganz Schlimmes! „Na, noch so ein Flüchtling“, sagte eine Nachba­ rin zu mir, da hab’ ich ihr eine geknallt. Meine Mutter darauf: „Wir sind keine Flüchtlinge. Ohne meine Möbel wäre ich nicht gegan­ gen.“ Dafür habe ich sie geliebt, weil sie mir damit zu verstehen gab: Wir sind nicht wegen deinem Vater im Westen.

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Unter Bäumen Nicht weit von Lillehammer duckt sich eine dunkle Gestalt ins Dickicht. Kein Troll, kein Berggeist, aber eine beinahe ebenso mythische Begegnung – und ein Ort für das Ritual des Lebens.

Tex t Andreas Kühnlein

100


Architektur Projekt Teil der Landschaft und doch ein selbst­ bewusster Auftritt: Vardehaugens Cabin Vindheim verbindet die klassische Winter­ hütte, wie man sie überall in Norwegen findet, mit einer ent­ schieden zeitgenössi­ schen Formensprache. Wie die Küche u. ist alles hier einfach, aber auf höchstem Niveau.

lich schält sich eine Gestalt zwischen den Bäumen heraus; dunkle Formen, die hier­ hergehören wie der Wald und der Fels und die Berge. Oder auch nicht. Zu gerade die Kanten, zu eigen die Form. Ein Dreieck, ein zweites, noch eins dahinter, dazwischen eine höhlenartige Öffnung. Ein Hügel viel­ leicht, kein Fremdkörper, und doch ein Ding von eigenartiger Symmetrie. Eine solche Begegnung sei für ihn eine beinahe mythische Erfahrung, sagt Håkon Matre Aasarød, fast wie das Zusammen­ treffen mit einem Troll oder einem anderen Ding aus der an Außerweltlichem nicht eben armen norwegischen Sagenwelt. Tat­ sächlich stehen wir vor einem Haus, kei­ nem großen, eher einer Hütte, ein Wort, das unpassend klingt für das, was der Ar­ chitekt aus Oslo hier mitten in den norwe­ gischen Wald nicht weit von Lillehammer gesetzt hat. Größe ist hier nicht das Argu­ ment; ohnehin liegt falsch, wer glaubt, Lu­ xus lasse sich in Quadratmetern messen. Worauf es ankomme, sagt Aasarød, sei die Raumerfahrung, und die könne auch auf 55 Quadratmetern glücken. Wie gut, dass er

Große Fenster in ver­ schiedenen Höhen holen Licht ins Innere und lenken den Blick auf verschiedene As­ pekte der Umgebung – mal den verschneiten Wald, mal die Baum­ wipfel. Oder aufs Nordlicht, das hier den Fernseher ersetzt.

Fotos: Rasmus Norlander (2); Einar Elton

S tellen wir uns eine winterliche Landschaft vor. Schnee, so weit das Auge reicht; still ist es, nur das Knirschen jedes Schritts fährt leise durch den dämmernden Wald. Bäume neigen sich unter ihrer weißen Last, eingefroren in einem Augenblick aus Eis. Felsen, stumpf vor Kälte, ziehen an uns vorbei, weit weg erheben sich Berge aus dem flachen Hügelland. Längst ist die Stra­ ße zu Ende; wer weiß, wann sie dem schmalen Pfad das Feld überließ, auf dem wir langsam vorwärtsschreiten. Und plötz­

auf die richtigen Kunden stieß. Genau da­ rum nämlich ging es dem Paar, das seit 20 Jahren in einem Haus nicht allzu weit entfernt wohnt. Um die Architektur selbst und ums Zwiegespräch mit der Umgebung. Konkrete Vorstellungen, wie es drinnen auszusehen habe, brachten sie nicht mit. Dafür absolutes Vertrauen in ihren Archi­ tekten. Und wertvolle Ortskenntnis: So weit draußen zu bauen verlangte den Ar­ chitekten einiges an Planungsgeschick ab; auf die riesigen Fenster beispielsweise mussten sie vier Monate warten, weil die Wege unpassierbar waren. Der Entwurf ist ein Balanceakt, zwi­ schen einer traditionellen hytte und einem zeitgenössischen Ansatz, zwischen einer primitiven Erfahrung und dem Luxus des Zu-Ende-Gedachten und Gut-Gemachten. Simple, yet sophisticated – bis hin zur Ener­ gieversorgung. Weil der Bau komplett au­ tark ist, bleibt sein Energiehaushalt auf die Leistung von Solarpaneelen und einer Bat­ terie beschränkt, und Wasser müssen die Bewohner gar selbst mit einem Eimer aus dem nahen Brunnen schöpfen. Das wird


Farbexplosion auf schwar­ zem Grund: Harry Bertoias knallgelber „Bird Chair“ für Knoll, der bei Dominique Tosiani auf einen marok­ kanischen Beni Ourain­Tep­ pich trift. Rechte Seite: Das großformatige Porträt über dem Pool ist von Serge Anton, der für uns Tosianis Wohnhaus fotograferte.


Saint-Malo

Fotos: Serge Anton/Living Inside

Schwarz

Malerei Ein düsteres Gemüt kann man Interiordesigner Dominique Tosiani nicht nachsagen – auch wenn er zu Hause dunkle Töne liebt. Tex t Andreas Kühnlein

Fotos Serge Anton

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