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RICHTER OHNE ROBE

2023 Ist Das Jahr Der Sch Ffenwahlen

von Katharina Müller-Tolk

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„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil...“ – ein Satz, der jeden Tag x-fach in deutschen Gerichten ausgesprochen wird. Und um genau diesen Satz mit Leben zu füllen, sitzen in allen Gerichten des Landes Schöff:innen mit auf der Richterbank und üben während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter:innen aus.

Damit erfüllen sie das wohl anspruchs- und verantwortungsvollste Amt, dass der Staat Bürger:innen übertragen kann. Wer kann Schöff:in werden? Welche Voraussetzungen muss man mitbringen? Warum werden sie überhaupt eingesetzt und welche Vorteile bringt ihr Einsatz für die Rechtsprechung? Fragen über Fragen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden können. Wir haben Robert Kriwanek, Richter am Amtsgericht Kempten, sowie Alfons Kuhn, Vorstandsmitglied des bayerischen Landesverbandes der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen e. V. und Schöffe am Landgericht München befragt und spannende Antworten erhalten.

Herr Kriwanek, die Justiz in Deutschland ist auf die Mitarbeit von ehrenamtlichen Richter:innen angewiesen –warum eigentlich?

Robert Kriwanek: Einfach aus dem Umstand, dass die Mitwirkung von Schöffen in der Verfassung vorgesehen ist. Die Partizipation der Zivilgesellschaft über das Schöffenamt ist ein wichtiger Teil der Rechtsprechung. Es geht um Lebenserfahrung und darum, verschiedene Blickwinkel mit in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.

Herr Kuhn, seit wann sind Sie Schöffe und wie sind Sie zu dem Ehrenamt gekommen?

Alfons Kuhn: Ich bin seit 2019 Schöffe am Landgericht München. Ich wurde auf dieses Ehrenamt durch meinen Nachbarn aufmerksam, der selbst Schöffe war. Da ich mich gerne ehrenamtlich engagiere, aber nur unter der Voraussetzung, dass ich dabei etwas bewirken kann, habe ich mich 2018 beworben und wurde auch gewählt. Ich würde mich gerne für eine weitere Amtszeit bewerben, allerdings schlägt hier der Altersparagraf zu - das maximale Alter für Schöffen liegt bei 70 Jahren.

Welche formellen und welche persönlichen Voraussetzungen müssen Bewerber:innen für das Schöffenamt erfüllen?

Alfons Kuhn: Formelle Voraussetzungen für die Bewerbung sind die deutsche Staatsangehörigkeit, ein Alter zwischen 25 und 69 Jahren, die Beherrschung der deutschen Sprache und selbstverständlich Verfassungstreue. Als persönliche Voraussetzungen würde ich vor allem die körperliche und geistige Eignung nennen, da Prozesse langwierig und kompliziert sein kön- nen. Zur geistigen beziehungsweise charakterlichen Eignung gehören neben Lebenserfahrung soziale Kompetenz, Urteilsfähigkeit, Gerechtigkeitsempfinden und der Mut zum Richten –mit ihrer Entscheidung greifen Schöffen in die Grundrechte von Menschen ein und bestimmen Lebensschicksale mit.

Wie werden gewählte Schöff:innen auf das Ehrenamt vorbereitet? Sind juristische Grundkenntnisse notwendig?

Alfons Kuhn: Wir wollen als Schöffen keine Ersatzjuristen sein, juristische Kenntnisse sind deshalb nicht notwendig. Eine gewisse Vorbereitung auf das Amt gibt es nur in der Form, dass Gerichte für neugewählte Schöffinnen und Schöffen eintägige Informationsveranstaltungen anbieten, die allerdings nicht einmal verpflichtend sind. Tiefgreifende Erkenntnisse werden sich hier nicht ergeben, deshalb halten wir es als Verband für dringend notwendig, mehr Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten. Hier sollte es vor allem um Rechte und Pflichten gehen, die viele Schöffen nicht kennen. Daneben gäbe es noch viele Themen, die Schöffen interessieren dürften, wie Strukturen der Gerichte, Verfahrensprozesse, Rollenverteilung und vieles andere mehr.

Herr Kriwanek, die Rechtsprechung wird immer komplexer – selbst Juristen kennen sich meist nur in ihrem Fachgebiet aus. Kann das Amt des Laienrichters von den Ehrenamtlichen tatsächlich so wie es gemeint ist ausgeübt werden?

Robert Kriwanek:Tatsächlich wird häufig von einer immer komplizierter werdenden Rechtsprechung gesprochen. Objektiv betrachtet hat sich im strafrechtlichen Bereich, in dem Schöffen tätig werden, die Rechtslage sowie die Rechtsprechung wohl nicht verkompliziert. Beispielsweise ist die Rechtslage bei Betrugsdelikten die gleiche wie vor vielen Jahrzehnten. Allerdings haben sich die zu beurteilenden Sachverhalte verkompliziert. Vor 30 Jahren gab es kein allgemein zugängliches Internet und somit keinen Onlinehandel. Es ist deshalb im Jahr 2023 bedeutend schwieriger, eine Betrugsstrafbarkeit für einen aus dem Ausland agierenden, im Internet tätigen Betrüger strafrechtlich zu ermitteln und festzustellen, als einen Betrüger, der vor 30 Jahren einen schriftlichen Kundenbeleg in einem Ladengeschäft gefälscht hat. Auf diese Umstände müssen sich neben Berufsrichtern auch die ehrenamtlich tätigen Laienrichter einstellen.

Herr Kuhn, bekommen Schöff:innen Akteneinsicht im Vorfeld der Verhandlung?

Alfons Kuhn: Nein, ein Schöffe bekommt keine Akteneinsicht und geht völlig ‚blank‘ in eine Verhandlung. Eine erste Information gibt es vor Prozessbeginn von dem vorsitzenden Richter. Deshalb ist es so wichtig, dass Schöffen während des Prozesses geistig und körperlich voll präsent sind, da es abgesehen von den Informationen des Richters und dem Fragerecht der Schöffen, keine zusätzlichen Informationsquellen gibt, um sich ein Urteil zu bilden.

Werden Urteile gerechter, wenn diese unter Mitwirkung von Schöffen gefällt werden?

Alfons Kuhn: Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass ich mit den Urteilen, an denen ich beteiligt war, immer zufrieden war und das ist ein gutes Gefühl. Gerechtigkeit ist ein Begriff, der schwierig zu fassen ist, aber ich denke, entscheidend ist, dass durch die Beteiligung von Schöffen hier wirklich Urteile ‚im Namen des Volkes‘ fallen. Es ist auch für die Richter von Vorteil, wenn sie sich Laien gegenüber, die gemeinsam mit ihnen das Urteil fällen, verständlich machen müssen.

Faktisch wiegt die Stimme der Schöff:innen genauso viel, wie die der Berufsrichter:innen. Wie selbstbewusst agieren Ehrenamtliche in der Praxis?

Alfons Kuhn: Auch wenn Schöffen während der Hauptverhandlung oft eher als schweigend wahrgenommen werden, ist dies im Beratungszimmer in der Regel anders. Hier wird offen gesprochen und diskutiert, um zu einer Entscheidung zu kommen. Allerdings gilt dafür die Vertraulichkeit. Es wird also nie sichtbar, wie das Gericht zu einem Urteil gekommen ist, aber die Entscheidungen können natürlich nur unter Einbeziehung der Schöffen fallen.

Herr Kriwanek, wie gut funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Laien- und Berufsrichter:innen?

Robert Kriwanek: In Deutschland sind Urteilsberatungen streng geheim. Bereits aus diesem Grund gibt es keine rege Diskussion über die Beteiligung von Schöffen. Wie bei allen Zusammenkünften von Menschen kann es sein, dass Persönlichkeiten sowohl bei den Schöffen aber auch bei den Berufsrichtern aufeinandertreffen, welche aus verschiedensten Gründen nicht perfekt miteinander harmonieren. Aber auch hier haben alle Beteiligten schon allein wegen der sehr bedeutenden Sache die Verpflichtung, konstruktiv zusammenzuarbeiten.Wie gut die Zusammenarbeit im Einzelfall funktioniert, hängt von einer Vielzahl weiterer Faktoren ab. Beispielsweise gibt es Richterpersönlichkeiten, welche die Entscheidungsfindung lieber in einem Kollegium treffen. Andere hingegen präferieren eine Entscheidungsfindung ohne kollegiale Beratung und Abstimmung. Entscheidend ist die Feststellung, dass die Schöffen nicht nur ein ‚schmückendes‘ Beiwerk aus der Bevölkerung sind. Sie haben vom ersten Moment in der Sitzung an das gleiche Stimmrecht wie die Berufsrichter. Praktisch bedeutet dies, dass sie die Berufsrichter überstimmen können, wenn sie ein Urteil zu milde oder zu streng finden. Beides kommt in der Praxis vor.

Schöff:innen sollen das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz stärken und spielten vor allem in der jungen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle –hat sich die Bedeutung des Schöffenamtes seither verändert?

Robert Kriwanek: Wie die weltweiten Entwicklungen leider immer wieder und aktuell zeigen, ist der Fortbestand einer

Demokratie keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr muss hieran stetig gearbeitet werden. Die unabhängigen Gerichte sind ein wesentlicher Baustein einer funktionierenden Demokratie. Die Ausübung eines Schöffenamtes stellt eine Verwurzelung der Bevölkerung vor Ort mit den Gerichten dar und ist somit gelebte Demokratie im Ehrenamt. Daher ist sie auch heute noch mindestens genauso wichtig wie zu Zeiten des Aufbaus einer neuen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg.

Zum Schluss noch eine Frage an Herrn Kuhn, die für manche Interessent:innen womöglich ausschlaggebend ist: Wie viel Zeit muss für die Ausübung des Schöffenamtes eingeplant werden?

Alfons Kuhn: Der Zeitaufwand ist, je nachdem, ob man als Haupt- oder Ersatzschöffe am Land- oder Amtsgericht tätig ist, variabel und nicht genau vorhersagbar. Ersatzschöffen absolvieren in der Regel zwei bis drei Verhandlungstage pro Jahr – es kann jedoch auch sein, dass sie in einem Jahr gar nicht drankommen. Mit acht bis zehn Verhandlungstagen pro Jahr ist der Hauptschöffe am Landgericht zeitlich am meisten gefordert. Dies ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass hier komplexere Fälle mit höherem Strafmaß verhandelt werden und eine Sitzung mehrere Fortsetzungstermine nach sich ziehen kann. Am Amtsgericht sind Fortsetzungstermine eher die Ausnahme und die Verhandlungen dauern in der Regel kürzer. Eine gewisse zeitliche Flexibilität ist also notwendig. Arbeitgeber sind verpflichtet, berufene Schöffen grundsätzlich für die Verhandlungen freizustellen, Lohnausfälle können nach festgelegten Entschädigungssätzen für die Ausübung des Ehrenamtes geltend gemacht werden.

Ihr wollt selbst Schöff:in werden?

Aktuell werden für die Amtszeit von 2024 bis 2028 in allen Gemeinden Bayerns Vorschlagslisten erarbeitet, aus denen dann durch einen Schöffenwahlausschuss die neuen ehrenamtlichen Richter:innen gewählt werden. Interessierte Kemptener:innen können sich bis spätestens 15. März 2023 beim Amt für BürgerService der Stadt Kempten melden. Hier gibt‘s auch das Bewerbungsformular und weitere Informationen:

Rathausplatz 22

87435 Kempten

Telefon: 0831 115

E-Mail: poststelle@kempten.de

Ihr wollt noch mehr wissen? Alles rund um das Schöffenamt sowie interessante Radio- und Fernsehproduktionen zum Thema findet ihr unter folgenden Links: www.schoeffen-bayern.de www.schoeffenwahl.de/