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KOMMUNIKATION IST KING

Gemeinsam Durch Schwierige Zeiten

Vanessa Frontzeck arbeitet seit über 15 Jahren mit Kindern und Jugendlichen, ob in Schulen, Jugendzentren oder als Jugend- und Familiencoach. Dadurch erfährt sie tagtäglich von den Sorgen und Ängsten, die junge Menschen beschäftigen. Welche Übungen bei akuten Stresssituationen helfen können, auf welche Warnsignale Eltern bei ihren Kindern achten sollten und welche professionellen Anlaufstellen es für Hilfesuchende gibt – all das hat sie uns im Interview erzählt.

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Vanessa, wie du weißt, haben wir ein Interview mit Simon Schnetzer geführt. Thema: Wie geht es unserer Jugend? Dir vertrauen sich Jugendliche als Jugend- und Familiencoach und langjährige pädagogische Mitarbeiterin noch mal in einem ganz anderen Kontext an. Spiegelt sich deine Erfahrung in den Forschungsergebnissen der Jugendstudie wider?

Ja, auf jeden Fall! Die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, sind häufig sehr unsicher in ihrem Selbstbild. Sie erklären sich selbst zu machtlosen Geschöpfen ohne Handlungsoptionen. Die meisten sind extrem verwirrt von der gesellschaftlichen und politischen Lage, von der permanenten Reizüberflutung, von zu vielen Optionen. Gleichzeitig kann der gestiegene Betreuungsbedarf nicht abgefangen werden: Bei Kinder- und Jugendtherapeuten gibt es Wartezeiten von bis zu einem Jahr, auch in Jugendhilfeeinrichtungen herrscht Personalmangel. An Schulen sieht es kaum besser aus, während die Anzahl an Kindern mit auffälligem Sozialverhalten steigt.

Welche Themen brennen den Jugendlichen aktuell besonders unter den Nägeln?

Sie wissen auf der einen Seite nicht so recht, was sie mit ihrer Freizeit und ihrem Leben anfangen sollen und sind schwer für Neues zu begeistern, sind andererseits jedoch völlig reizüberflutet, vergleichen sich sehr stark und ziehen dabei Rückschlüsse auf ihren eigenen Wert. Das hat mitunter zur Folge, dass viele junge Menschen schildern, sie hätten keinen Zugang zu ihrer Gefühlswelt, fühlten sich leer, hätten Konzentrationsschwierigkeiten und seien unglücklich. Sie trauen sich selbst leider viel zu wenig zu und ziehen sich zurück, schildern Ängste vor dem Kontakt zu Gleichaltrigen und anderen Menschen.

Auf welchem Weg begleitest du junge Menschen durch für sie herausfordernde Zeiten?

Das klingt jetzt erst mal selbstverständlich, ist es aber leider nicht: Die einfachste Methode ist das Zuhören – und zwar auf Augenhöhe. Ich habe viele Jugendliche im Gespräch, die pausenlos von ihren Gedanken, Wünschen und Sorgen erzählen, sobald sie merken, dass ich ihnen interessiert und wertungsfrei zuhöre. Wenn ich mit Jugendlichen zusammenarbeite, habe ich die Möglichkeit, sie für mindestens drei Monate in wöchentlichen Treffen zu begleiten. Das gibt mir die Chance, sie intensiver kennenzulernen, mit ihnen zu beleuchten, wo sie stehen, wo es hingehen darf und welche Blockaden sie bislang davon abgehalten haben. Und sie dürfen erkennen, dass sie so viel mehr können und wissen, als sie von sich selbst denken.

Hast du die ein oder andere Übung für Kids, die sie jederzeit anwenden können, wenn sie sich gerade gestresst oder überfordert fühlen?

Oh ja! Da gibt es natürlich eine Menge. Nicht jede Übung passt zu jedem Charakter und zu jeder Vorliebe. Was aber bei so gut wie jedem funktioniert: Zwinge dich dazu zu lächeln. Du kannst gar nicht wütend sein, während du lächelst. Das nimmt etwas die Spannung. Es gibt zum Beispiel auch eine ganz einfache Atemübung: 4-7-8. Also vier Sekunden tief durch die Nase einatmen, sieben Sekunden halten und acht Sekunden langsam durch den Mund wieder ausatmen. Das Ganze dreimal wiederholen. Das kann in einer akuten Stresssituation Druck herausnehmen und den Fokus verändern.

Wie geht es den Eltern, zu denen du beruflich Kontakt hast?

Eltern fühlen sich häufig ohnmächtig, wenn es um ihre Teenies geht. In der Jugend fängt der junge Mensch an sich abzugrenzen – das kann ohnehin schwierig sein. Hinzu kommt jetzt, dass sich auch Eltern sehr belastet fühlen in der gesamtgesellschaftlichen Lage und ihrer eigenen Gefühlswelt. Da ist die Tatsache, dass man Kinder hat, für die man als Elternteil grundsätzlich das Beste möchte, nicht sonderlich entlastend. Eltern müssen sozusagen ihre eigenen Gefühle und die vermuteten, weil häufig nicht verbalisierten, Gefühle ihrer Kinder auffangen und damit umgehen. Das ist nicht einfach.

Auf welche Warnsignale sollten Eltern bei ihren Kindern achten? Und wie können sie reagieren, wenn solche Signale auftreten?

Ich bin der Meinung, das Allerwichtigste ist Kommunikation. Eltern sollten versuchen, nicht den Draht zu ihrem Kind zu verlieren und sich bewusst Zeit für sie zu nehmen. Es ist wichtig für das Kind, dieses ernst zu nehmen, wenn es über Ängste klagt oder Situationen aus dem Weg gehen möchte. Neben den offensichtlichen Merkmalen wie Rückzug, Wortkargheit oder dem Abfall der schulischen Leistungen gilt es auch genauer hinzusehen, wenn der Jugendliche anfängt ausschließlich weite Klamotten zu tragen, um gegebenenfalls ein sich stark veränderndes Gewicht zu vertuschen oder bevorzugt langärmelige Shirts zu tragen, um eventuelle Selbstverletzungen zu verstecken.

Simon hat erwähnt, dass Lehrkräfte, Ausbilder:innen und Bezugspersonen im Ehrenamt zunehmend in einer coachenden und motivierenden Funktion gefragt sein werden. Denkst du ähnlich darüber? Und vor allem: Wie gelingt es, die angesprochenen Personengruppen entsprechend zu schulen?

Ja, dem kann ich nur zustimmen. Jugendliche brauchen mehr an ambitionierten Lehrkräften, Ausbildern und Ehrenamtlichen, die sich für sie einsetzen. Hier muss dringend etwas an den Strukturen gemacht werden, sei es bei der Bezahlung oder den Ausbildungskonzepten. Allgemein muss ein Bewusstsein für die Thematik in der Öffentlichkeit geschaffen werden, sei es durch Interviews wie dieses hier oder durch die Arbeit von Menschen wie Simon Schnetzer, die das Thema großartig beleuchten und verbreiten.

Welche Kemptener Anlaufstellen gibt es für Kinder, Jugendliche und deren Eltern, die auf der Suche nach professioneller Unterstützung sind?

Der Stadtjugendring leistet hier zum Beispiel sehr tolle Arbeit mit verschiedenen Angeboten, darunter drei Jugendzentren und Ansprechpartnern an den Mittelschulen. Auch das Jugendhaus in der Stadt und das Amt für Jugendarbeit als Dach für Jugendarbeit in Kempten ist eine wunderbare Anlaufstelle mit tollen Pädagogen. Darüberhinaus gibt es an den Schulen erfahrene Ansprechpartner, beispielsweise Jugendsozialarbeiter und Schulpsychologen. Bei akuten Fällen gibt es die Nummer gegen Kummer – 116 111 – die anonym und kostenlos hilft.