HEPHAISTOS Ausgabe 9/10 2012 - Aktuelles zur EN1090

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Internationale Zeitschrift f端r Metallgestalter

9/10 2012


INHALT

Titelfoto: Tradition »down under«: der australische Schmied Paul Caciolo, fotografiert von Craig Wetjen

Peter Brunner und Egor Bavykin nach dem gemeinsamen Schmieden auf der Biennale Seite 6 Der in Metall gebannte Dualismus von Himmel und Erde: Sandro Dosts »Heiliger Michael« Seite 52 ZuM eiNStieG

ehrlicher umgang?

eN 1090

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BieNNAle kOlBerMOOr

Top-Referate und -Vorführungen Die erfolgs-Biennale Biennale-impressionen

6 9

GeSchichte

Schweizer Schmiede und Kinderschicksale Die Schwarzen Brüder

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MeiSterStücke

Abschlussarbeiten aus Chemnitz Stücke aus der Meisterschmiede Eine Windfahne erinnert an die »eiserne« Vergangenheit des schwedischen Städtchens Arboga – eine Spurensuche von Josef Moos Seite 54

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WAFFeNSchMieDeN

Workshop: Waffe in Form eines Einhorns Fantasy? Aber richtig!

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GrOSSBritANNieN

»Orbit« prägt das Bild der Hauptstadt Der koloss von london

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WettBeWerB

HEPHAISTOS surft! – Teil 5 tradition verpflichtet

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ÖSterreich

Ferraculum – das österreichische Schmiedefest Mit Musik in den Bach 20

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METALL-ZERT will es ganz einfach machen Zertifizierung für Schmiede ab 1090 euro?22 Zwischenruf zur EN1090 handlauf: Ja! Geländer: Nein?

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Appell von Hermann Gradinger »Weil das niemand mehr bezahlen kann« 26 Tim Mackereth zur EN 1090 »Setzt der sinnlosen Bürokratie ein ende« 27 Aktuell

4. »Forja Viva« in Barcelona Aus liebe zur kunst

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5. Schmiedetreffen in Berlin-Pankow Der Bank-Manager

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Jugendliche schmieden Rosen für Oslo »Die Opfer waren alle in unserem Alter«

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iFGS aktuell

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Claudio Bottero als »Stargast« Gotha glüht in Dur und Moll

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TÜV-Roadshow zur neuen Europanorm eN 1090 per Druckbetankung

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Stahl-Innovationspreis 2012 verliehen Die Vielfalt eines Werkstoffes

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kurz notiert

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Fotos: Sandro Dorst, Reto Zürcher, Josef Moos, Arcelormittal, Craig Wetjen, Ilka Schöning

Workshop »Blankwaffen«: Reto Zürcher fertigte ein Fabelwesen mit bedrohlichem Damasthorn Seite 14

London ist um eine Attraktion reicher: der Stahlkoloss »Arcelormittal Orbit« Seite 16

literAtur

Neuerscheinungen Die Fachbücher für Metallgestalter

SAkrAle MetAllGeStAltuNG

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Skulptur des Heiligen Michael Der engel aus dem Feuer GeSchichte

PArtNer uND ZulieFerer

Wenig Mehraufwand beim Korrosionsschutz Feuerverzinkereien erfüllen eN 1090 38 38

MEBAe-cut 500 Familienzuwachs bei den Bandsägen

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Neue Version von TREPCAD Detailverliebtes treppenbauprogramm

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Zertifikat für Rehm Schweißtechnik Ausgezeichnete Ausbildungsarbeit

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Preis für eine verzinkte Stahlkonstruktion Mit Blaulicht hoch hinaus

41

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Als »Journeyman« in einer Schmiede Wanderschaft nach Mittelerde

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GeSchichte

Rekonstruktion von Holzkohlehochöfen ein archäologisches experiment

7(1$'2l

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GeDeNkStätte

Symbolträchtiges Alemannen-Denkmal ehre zu ehre

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Alte SchMieDeN

SchAuFeNSter

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WerkZeuGSchMieDeN

Interview mit Werkzeughersteller Krumpholz Nur die harten kommen in den Garten 50

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Schmiedekultur in Mittelschweden Der fast vergessene eisenhafen kANADA

Hohlkammerprofildübel für Fenster Gegen Absturz gesichert

Aus Werkstätten der hephaistos-Jünger

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Erinnerung an eine Dorfschmiede in Friesland chronik eines wertvollen handwerks 62 VerANStAltuNGSkAleNDer

termine und Schmiedetreffen

64

Die letZte Seite

impressum

66

0(7$//


EN-1090-FACHGESPRÄCH

Zwischenruf zur in Fachkreisen heftig diskutierten DIN EN 1090

HANDLAUF: JA! GELÄNDER: NEIN? Die Anforderungen der DIN EN 1090 bringt Kleinbetriebe, die primär Werke aus gestaltetem Metall fertigen, in große Bedrängnis. Dies dem federführenden Deutschen Institut für Bautechnik vorzutragen, aber auch dem Bundesverband Metall, ist besonders den im IFGS organisierten Metallgestaltern ein dringendes Anliegen. Doch die Aussichten, den Metallgestaltern die in jeder Norm möglichen Erleichterungen einzuräumen, sind zum aktuellen Zeitpunkt trübe

D

Fotos: HEPHAISTOS-Archiv

Wie soll es gelingen, dieses individuell gestaltete italienische Treppengeländer (oben) nach EN 1090 zu zertifizieren? EN-1090Gegner Uwe Weber, IFGS-Präsident Cornelis Pronk und Bundesfachgruppenleiter Markus Balbach (v. l.) beim Gruppenfoto nach dem Gespräch beim Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt)

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ie Fakten 1.: HEPHAISTOS hat bereits in mehreren Beiträgen Inhalte und Auswirkungen dieser europaweit gültigen Norm dargestellt und auf die gravierenden Auswirkungen speziell für Klein- und Kleinstbetriebe hingewiesen. Diese Norm, sie ersetzt die DIN 18800-7, sollte zum 1. Juli 2012 in Kraft treten, die sogenannte Koexistenzphase ist jetzt um zwei Jahre verlängert worden. Die Norm wird in den nächsten Monaten in Brüssel überarbeitet, doch es ist nicht vorgesehen, die Einordnung der Metallbauarbeiten in die einzelnen Executiveklassen (EXC 1 – EXC 4) zu ändern oder gar weitere Arbeiten aus der Norm herauszunehmen. Die Norm tritt also zum 1. Juli 2014 in Kraft, darauf müssen sich die Metallgestalter einstellen und bis dahin ihre »Zertifizierung« abgeschlossen haben. Der IFGS, die übernationale Interessenvertretung der Metallgestalter, sieht darin eine gravierende Benachteiligung und hat deshalb durch Cees Pronk, Uwe Weber und Josef Moos diese Argumente Dr. Karsten Kathage vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) in Berlin vorgetragen, aber auch dem beigeladenen Bundesverband Metall (BVM), vertreten durch Geschäftsführer Karsten Zimmer und Markus Balbach, den Bundesfachgruppenleiter Metallgestaltung. In dem sehr offenen bis deutlichen Austausch der Argumente konnte der IFGS die für die Inhalte Mitverantwortlichen aber nicht überzeugen. Es sind zwar bereits eine große Zahl von Arbeiten aus EXC 1 herausgenommen, so Zäune, Fenster, Grabzeichen, Ausleger etc., nicht aber Geländer und Treppen im privaten Bereich. Treppen und Geländer im Objektbau, der ja der Bauaufsicht unterliegt, bleiben sogar weiter in EXC 2 eingeordnet.

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Das ist für die Vertreter des IFGS nicht nachvollziehbar, doch leider konnten weder historisch begründete Argumente – so die große Tradition des deutschen Kunstschmiede- und -schlosserhandwerks – noch die bislang übliche und bewährte Fachpraxis der Betriebe das DIBT überzeugen, auch nicht den BVM. Erfolgen in der bevorstehenden Überarbeitung der Norm keine Änderungen, so wird das zu einem Kuriosum führen: Der Meisterbetrieb, der (noch) nicht nach EXC 1 und EXC 2 zertifiziert ist, darf zwar z.B. den Handlauf fertigen, nicht aber das Geländer. Den Metallgestaltern, die als Meisterbetriebe oft schon über mehrere Generationen Geländer fertigen, zu erklären, dass sie sich für diese Arbeiten zukünftig zertifizieren lassen müssen, ist für viele nicht nachvollziehbar. Der von den Vertretern des IFGS vorgetragenen Folgerung, dass damit der Meisterstatus eigentlich entwertet ist, wurde nicht widersprochen.

Für uns geht es um den guten Ruf Die Fakten 2.: Mit der Neuordnung der Berufe in den 1980er-Jahren wurden aus den vormaligen Schlossern und Schmieden Metallbauer mit den Fachrichtungen Konstruktionstechnik und Metallgestaltung, letztere setzen auch in ihrer Berufsbezeichnung die große Tradition der Kunstschmiede und -schlosser fort − und sind als solche auch dem breiten Publikum ein fester Begriff. Ihre Werke, unter anderem Treppen und Geländer in privaten Wohngebäuden wie im Objektbau, erheben und erfüllen den Anspruch der Individualität. Schäden durch mangelhafte Vorbemessung und Ausführung sind nicht bekannt. Die meist überregional renommierten Betriebe würden auch schnell ihren guten Ruf verlieren, lieferten sie Arbeiten mit Mängeln. In der Neufassung der DIN EN 1090 werden diese Betriebe aber genauso behandelt wie die der Konstruktionstechnik. Die Fakten 3.: Die Metallgestalter wollen keine Ausnahmeregelung oder gar eine Befreiung von fachlichen, statischen oder schweißtechnischen Anforderungen bei der Fertigung von Treppen und Geländern. Dafür aber den (Klein-)Betrieb zertifizieren zu müssen, das erscheint ihnen als weit überzogen. Es ist die Frage berechtigt: warum dann eigentlich noch eine Meisterprüfung? Und warum gilt das nicht für Arbeiten, die aus Kupferlegierungen gefertigt sind? Es muss lobend erwähnt werden, dass der BVM alles tut, diese Zertifizierung zu unterstützen, so unter anderem mit Informationsveranstaltungen und einer CD-

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ROM, die die Vorbereitung der Zertifizierung sehr erleichtert. Die von Markus Balbach – sein primär im Nischenbereich Damaszenerstahl tätiger Betrieb ist bereits zertifiziert – genannten Kosten im niedrigen vierstelligen Bereich erscheinen dem IFGS als zu gering angesetzt, denn das Arbeitsgebiet der meisten Metallgestalter ist sehr breit gefächert. Sie stellen natürlich auch Konstruktionen her – diese jedoch durchwegs in überschaubaren Abmessungen, aber mit hohen Ansprüchen an Design und Individualität. Gerade die breite Angebotspalette wird vielen Metallgestaltern große Probleme (und Kosten!) bei der Zertifizierung bringen. Was aber den wenigsten bekannt sein dürfte: Die in der Praxis erworbenen Fertigkeiten im Schweißen reichen nach Einführung der DIN EN 1090 nicht mehr, es müssen zukünftig Schweißprüfungen abgelegt und regelmäßig wiederholt werden. Das führt zu zusätzlichen Kosten, die auf die Kunden abzuwälzen schwierig werden dürfte. Die Fakten 4.: Die Zertifizierung, wie sie in der DIN EN 1090 vorgesehen ist, untersucht und bewertet nicht die Erzeugnisse, sondern überprüft die Aufzeichnungen zu Arbeitsabläufen von der Materialbestellung über Fertigungspläne, Schweißnachweise, zugekaufte Bauteile bis hin zu Montageplänen. Diese Abläufe kann der Betriebsinhaber selbst auf Formblättern beschreiben. Sie werden dann von einer Zertifizierungsgesellschaft überprüft, mit regelmäßigen Wiederholungen. Trotz der oben genannten Hilfen des BVM dürfte das für die Kleinbetriebe, wie sie bei Metallgestaltern typisch sind, weit überzogen sein. Auf diese Zertifizierung zu verzichten, bedeutet aber: keine Aufträge mehr im Objektbau und keine Aufträge mehr über Geländer und Treppen, auch nicht mehr im privaten Wohnungsbau!

Befremden über die Bundesfachgruppe Dass das DIBT diese Probleme bei der Besprechung mit dem IFGS zumindest zur Kenntnis genommen hat, hier aber wenig Möglichkeiten für weitere Ausnahmeregelungen sieht, haben die Vertreter des IFGS zur Kenntnis genommen. Befremdlich war aber die Haltung des Bundesfachgruppenleiters Metallgestaltung – er vertritt die Interessen der Metallgestalter beim Bundesverband, hat sie ja Kraft seines Amtes zu vertreten. Die im IFGS organisierten Metallgestalter sind weder einzelne wenige, noch wollen sie sich ihre in oft langjähriger Praxis erworbenen fachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten in

Ausserhalb jeder Norm und gestalterisch top – dieses Geländer erfüllt seine Funktion trotzdem

Frage stellen lassen. Das vor der Spitze des DIBT vorzutragen, war für die Sache aller Metallgestalter kontraproduktiv. Einen Lichtblick brachte das Gespräch aber doch. Die Sorgen der Metallgestalter zur DIN EN 1090 sind dem DIBT und dem BVM jetzt offiziell bekannt. Der IFGS verfügt über Mitglieder mit dem notwendigen Sachverstand, um in das europäische Gremium, das die DIN EN 1090 überarbeitet, einen Vertreter zu entsenden. Sollte das aber nicht möglich sein, so wird der IFGS Karsten Zimmer mit der Vertretung seiner Interessen beauftragen – das aber verbunden mit dem Anliegen, die Interessen der klein strukturierten Metallgestalterbetriebe nachhaltig im zuständigen europäischen Normenausschuss einzubringen. Karsten Zimmer gehört in seiner Funktion als Geschäftsführer des BVM diesem Gremien bereits an. Die bei den Metallgestaltern herrschende Unruhe und Unzufriedenheit mit den möglichen Auswirkungen der Norm und der daraus resultierende Missmut könnte durch intensive Information und wirksame Interessenvertretung gemildert werden. Wir werden dazu verstärkt nachfragen und die überarbeitete Norm kritisch prüfen. Die organisierten Metallgestalter sind noch zuversichtlich, dass ihre besondere Rolle in der überarbeiteten Norm erweiterte Berücksichtigung findet. Metallgestalter sollen auch weiterhin mit ihrem hohen Sachverstand Treppen und Geländer ohne aufwendige Zertifizierung für EXC 1 und 2 fertigen können und nicht nur den Handlauf aufbringen dürfen! (jm)

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Hermann Gradinger Mahner

EN-1090-DISKUSSION

Noch einmal ein Appell des früheren Bundesfachgruppenleiters im Bundesverband Metall

In den Handwerksverbänden sitzen keine Handwerker mehr. Betriebswirtschaftler und Juristen richten schwere Schäden zulasten der Kleinbetriebe an

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»WEIL DAS NIEMAND

MEHR BEZAHLEN KANN« Jahrelang war Hermann Gradinger das Aushängeschild des Bundesverbandes Metall, wenn es um die Metallgestaltung ging. Heute übt er massiv Kritik am Verhalten der Verbände. Statt Gestaltung, Gefühl und Kultur stehen Paragrafen, Vorschriften und Regelwerke im Vordergrund

W

eil das niemand mehr bezahlen kann: Das ist die Antwort eines Kunden, der mich bei der Montage fotografierte und von Dokumentation sprach. Auf meinen Einwand von immer mehr Normen fiel dieser Satz. Ganze Berufsstände leiden unter der Knute der Dokumentation, Prüfung, Zertifizierung. Alle stöhnen, klagen, keiner wehrt sich. Wo bleiben die Wutbürger bei Pflegeberufen, freien Berufen, im Handwerk? Wo sind profilierte Vertreter dieser Berufe, die sich mit fach- und sachlichen Argumenten zur Wehr setzen? Alle haben Organisationen wie Kammern und Verbände, die eigentlich ihre Interessen vertreten sollen. Geleitet werden sie von Geschäftsführern, die Juristen, Volks- und Betriebswirtschaftler mit anderen Denkweisen sind. Kompetente Fachleute klagen über die Kulturlosigkeit dieser Studiengänge, dem entsprechen die Ergebnisse. »Die BWLer und die Juristen vermehren sich in diesem Land wie die Karnickel, und sie richten inzwischen entsprechende Schäden an« (Volker Pispers, Kabarettist). Diffuse Berater sind überall mit im Spiel, ohne blassen Dunst von der Materie zu haben. In den Verbänden sitzen Ingenieure, die industriell denken, dementsprechend sind die Vorschriften und Normen, die sie sich ausdenken. Auch sie haben keine Ahnung, was z.B. kreatives Handwerk ist, welchen Einsatz und welches Engagement diese Leute einbringen müssen, wie viele Risiken sie eingehen. Mittlerweile haben diese Verordnungen Ausmaße erreicht, die ganze Berufsstände in ihrer Existenz bedrohen. Besonders kleine und individuell arbeitende Werkstätten sind mit den Auflagen der neuen Normen überfordert. Daran ändert alle Schönrederei der Verbandsfunktionäre nichts. Sie nehmen besonders jungen Leuten, die

sich im Handwerk selbstständig machen wollen, jegliche Perspektive. Es gibt Präsidenten, Vorstände und Vollversammlungen der Kammern und Verbände. Wo ist Widerstand? In vielen Fällen unterstützen sie die neuen Verordnungen, ohne ihre Verantwortung für die Mitglieder wahrzunehmen, sie nehmen sie auch nicht mit bei der Vorbereitung, sondern stellen sie vor vollendete Tatsachen. Außerdem sind da noch Verbände wie die Berufsgenossenschaft, die ebenfalls hohe Anforderungen stellen. Ein junger Kollege überlegte bei der Ausbildung zur Sicherheits-Fachkraft ernsthaft, aus dem Betrieb des Vaters auszusteigen. Seit Jahrzehnten ist mir jeden Morgen beim Betreten der Werkstatt bewusst, dass ich mit einem Fuß im Gefängnis stehe. Dazu gibt es noch viele Organisationen, die Einfluss ausüben, bei den Metallern z.B. der Deutsche Verband für Schweißtechnik, der sich oft genug neue Vorschriften ausdenkt, um neue Kurse und Prüfungen zu horrenden Preisen anzubieten. Um heute in diesem Wust von Vorschriften zu bestehen, muss man Verdrängungskünstler sein. Oft habe ich den Eindruck, dass zumindest manchen Verbänden daran gelegen ist, kleine Werkstätten zu eliminieren und als Montagetruppe für vorgefertigte und genormte Teile zu benutzen. »Niemand wird bestreiten, dass eine moderne Gesellschaft darauf angewiesen ist, neues Wissen zu gerieren – und nicht nur altes zu transferieren. Nur dann ist es auch möglich, unterschiedliche Wissensformen zu unterscheiden. Das akademische Wissen unterscheidet sich vom Erfahrungswissen eines klugen Arztes und von der erfahrungspraktischen Expertise eines geübten Handwerkers, in beiden Fällen handelt es sich um kostbares Professionswissen. Es gehört zu den Kehrseiten der steigenden Studentenzahlen, dass andere Wissensformen als die akademischen leichtfertig abgewertet

werden. Die Verachtung des Handwerks geht mit dem Lobpreis des Studierens häufig einher und könnte kaum kurzsichtiger sein. Wohin sollen denn die ganzen Wirtschafts- und Geisteswissenschaftler gehen, wenn gleichzeitig Fachkräfte fehlen, und zwar hochqualifizierte in Industrie und Handwerk? Wissen muss also nicht notwendigerweise wissenschaftliches Wissen sein.« (Dr. Heike Schmoll) Jeder Experte wird, gepaart mit einem guten Allgemeinwissen, reflektiert mit Experten anderer Sparten umgehen können. So wird man merken, dass andere auch nur mit Wasser kochen und somit falsche Ehrfurcht vor deren Kompetenz verlieren. Grundlage dafür ist, dass jeder sein eigenes Fach beherrscht und eigenständiges Denken und Handeln besitzt. Die Strategie der Vernormung großer Teile der Gesellschaft ist nach meiner Meinung nicht zukunftsfähig. Die Formalisierung von Ausbildung und Studium, die Jagd nach Leistungspunkten lenkt vom Grundsätzlichen ab. Wir müssten eigentlich zulassen, dass alle plausiblen Wege erprobt werden, dass Neues weniger am grünen Tisch als in der Praxis entwickelt wird, und dafür Freiräume schaffen. Vielleicht sind viel mehr Meister, Lehrlinge, Professoren und Lehrer bereit zum ernsthaften Erkunden neuer Wege, als wir denken. Ihnen fehlt durch ein einengendes Korsett nur die Motivation. Wir sollten auch bedenken, dass in Europa junge Menschen auf sehr unterschiedliche Weise zu tüchtigen Fachkräften und Handwerkern werden. Erinnern wir uns an die alte Erkenntnis, dass viele Wege nach Rom führen, und bedenken dabei, dass einheitliche Prüfungs-Anforderungen und Arbeitsvorschriften innovative Entwicklungen verhindern. Sie sind gerade kein Mittel, um festzustellen, ob jemand in Rom angekommen, sondern nur, dass er auf einem bestimmten Weg dorthin gelangt ist.

HEPHAISTOS 9/10 2012


Tim Mackereth von der British Artists Blacksmith Association (BABA) zur EN 1090 in Großbritannien

»SETZT DER SINNLOSEN BÜROKRATIE EIN ENDE« In einem Artikel in der britischen Schmiedezeitschrift beschreibt der Sekretär der britischen Schmiedevereinigung BABA, was bisher in seinem Land mit der EN 1090 für Erfahrungen gemacht wurden. HEPHAISTOS druckt hier die Übersetzung dieses Berichtes

Tim Mackereth, Geschäftsführer der BABA, informiert die Mitglieder der Schmiedevereinigung über seine Initiativen zur EN 1090

N

achdem ich den hervorragenden Artikel von Richard Quinnell über dieses Thema in der letzten Ausgabe unserer Zeitschrift gelesen hatte, habe ich mich dazu entschlossen, die Leser zu den Tätigkeiten der britischen Kunstschmiedevereinigung, BABA (British Artist Blacksmith Association) auf den neuesten Stand zu bringen. 2011 hat einer unserer deutschen Kunstschmiedekollegen, Peter Elgaß, die BABA dazu bewogen, sich näher mit diesem Thema zu beschäftigen. Die Europanorm 1090 schreibt vor, dass sämtliche »Bestandteile« und »Strukturen« eine CEZertifizierung erfordern. Dieser Zertifizierungsprozess ist sehr kostspielig und äußerst arbeits- und verwaltungsaufwendig. In Deutschland wird diese Richtlinie als »Killer des Handwerks« bezeichnet. Das übertreibt keineswegs die Situation: Die kleinen Unternehmen, die für unser Handwerk typisch sind, werden einfach nicht die Kosten aufbringen oder sich mit dem notwendigen Ausfüllen und Beibringen von Unterlagen befassen können. 2011 kam ich schwer an Informationen heran und schrieb deswegen meinen Unterhausabgeordneten (Steven Phillips) im Namen der BABA an. Er stellte uns eine Kopie der Richtlinie aus der Bücherei des Unterhauses zur Verfügung und

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reichte meinen Brief an den zuständigen Staatssekretär weiter. Die Umsetzung der EU-Richtlinien fällt in die Zuständigkeit von Andrew Stunnell. Es scheint, als ob die Richtlinie in die britische Gesetzgebung eingebunden worden ist, ohne dass vorher Rücksprache mit dem Gewerbezweig erfolgt ist, der hierdurch möglicherweise ausgelöscht wird. Die EN 1090 tritt bei uns 2013 in Kraft. Bald erhielten wir eine schriftliche Antwort des Unterhausabgeordneten Andrew Stunnell, aber leider waren in diesen Schreiben nicht die Fragen beantwortet, die ich in meinem ursprünglichen Brief gestellt hatte. Er ignorierte auch, dass ich den Brief im Auftrag des Verbandes (BABA) verfasst hatte und nicht einfach als einzelner Kunstschmied.

Abgeordneter ist gegen Bürokratie In der Zwischenzeit hatten unsere deutschen Kollegen gegen die Richtlinie protestiert und haben anscheinend für viele der Produkte, die man als Erzeugnisse von Kunstschmieden bezeichnet, eine Befreiungen von der Richtlinie erwirkt. Dies fiel mit dem Erscheinen einer Kolumne in unserer Lokalzeitung zusammen, die von meinem Unterhausabgeordneten verfasst worden ist und die er mit der Überschrift »Setzt der sinnlosen Verwaltungsbürokratie ein Ende« versehen hat. Das war eine ideale Gelegenheit, ihm erneut eine Antwort auf die Frage zu entlocken, wie sich seine Regierung vorstellt, »ein Großbritannien zu gestalten, das durch die Initiative der Macher getragen wird«, wenn die Macher mit unsinniger Bürokratie belastet werden. Ich schrieb ihm erneut und verabredete mich mit ihm in seinem Wahlkreisbüro. Er konnte meinen Einwand gut verstehen. Ich machte ihm klar, dass zusätzliche Regeln das Letzte sind, was Großbri-

tanniens Hersteller mitten in einer langwierigen Rezessionsphase brauchen. Er hat ebenfalls den Unterhausabgeordneten Andrew Stunnell angeschrieben. Dieses Mal mit der Bitte, die Bedenken der BABA in einem Treffen zu erörtern. An diesem Punkt sollte ich vielleicht erwähnen, dass wir als Kollegium der BABA gar kein Problem mit der Tatsache haben, dass man bei der Herstellung von großen Stahlträger-Bauten und Stahlstützstrukturen für die Bauindustrie zertifizierte Schweißer und Schweißaufsichten anstellen muss. Dies ist heute schon in die britischen Normvorschriften eingebunden. Was uns wirklich stört, sind die zusätzlichen umfassenden Regulierungen, die sich auf »tragende Bauteile« beziehen. Vor allem, weil sie ohne klare Definitionen in der Europa-Norm stehen. Man könnte annehmen, dass sich die Richtlinie im Vereinigten Königreich nur für Universalstahlträger und -stützstrukturen in der Bauindustrie gilt. Das kann uns nicht genügen. Das Präsidium der BABA ist der Auffassung, dass diese Angelegenheit einfach zu wichtig ist, um nicht daran beteiligt zu werden. Es kann zwei bis drei Monate dauern, bis ein Treffen mit dem Unterhausabgeordneten Andrew Stunnell stattfindet. Danach werde ich für den Artist Blacksmith einen Artikel über das Ergebnis der Unterhaltung schreiben. In der Zwischenzeit möchte ich Sie darum bitten, Ihren Unterhausabgeordneten anzuschreiben und die BABA-Vorstandschaft so zu unterstützen. Wenn Sie Kopien der Richtlinie oder frühere Korrespondenz einsehen möchten, so steht alles im pdf-Format zur Verfügung, und ich schicke sie Ihnen gerne per E-Mail zu. Bitte fordern Sie Kopien an, indem Sie mir an folgende E-Mail-Adresse schreiben: babasecretary@baba.org.uk Ganz kurz, bevor dieser Artikel des Artist Blacksmith in Druck ging, erhielt ich

Andrew Stunnell ist der zuständige Staatssekretär für die Europanorm 1090 auf der Insel. Die BABA stellt ihm unangenehme Fragen einen Brief vom Unterhausabgeordneten Andrew Stunnell, des politisch mit der Umsetzung der Richtlinie beauftragten Staatssekretärs. Beim anfänglichen Lesen schien er in der Tat gute Nachrichten zu enthalten. Nachfolgend ein direktes Zitat aus dem Brief: »Ihre Mitglieder könnte möglicherweise Artikel 5 der Richtlinie interessieren, die es einem Hersteller ermöglicht, auf eine Erklärung zur Herstellung eines Produktes zu verzichten, wenn dieses Produkt harmonisierten Standards unterliegt, weil es individuell, vor Ort oder in traditioneller Weise angefertigt worden ist. Da eine Leistungserklärung eine notwendige Voraussetzung für eine CE-Kennzeichnung ist, sind die meisten von Kunstschmieden hergestellten Produkte von der CE-Kennzeichnung befreit.« In diesem Brief werden einige Links vorgeschlagen, die weitere Informationen und eine bessere Verdeutlichung der Situation enthalten sollen. Der Minister hat ebenfalls Kontaktdaten von einem Referenten weitergeleitet, der bei weiteren Nachfragen behilflich sein soll. Ich werde beidem nachgehen und in der Jahreshauptversammlung darüber weiter berichten.

Protestkampagne kann noch warten Die eingeholten Informationen werden ebenfalls im kommenden BABA-Newsletter veröffentlicht werden. Da ich zum jetzigen Zeitpunkt die Kampagne noch nicht lostrete, denke ich, dass es klug wäre, entgegen meinem Vorschlag im obenstehenden Artikel Ihren Unterhausabgeordneten bzw. Abgeordneten des Europaparlamentes noch nicht anzuschreiben!

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