Leseprobe Gela Tschkwanawa - Unerledigte Geschichten

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2 Ich denke trotz allem, dass Botscho weder fürs Schmuggelgeschäft noch für den Krieg geeignet ist, obwohl das die beiden Sachen sind, die er am besten kann, noch besser als Autofahren. Vor dem Krieg hat er als Fahrer gearbeitet. In einem schwarzen GAZ-24 mit Gardinen und Antennen chauierte er den Direktor einer Fabrik durch die Gegend. Der Direktor war ein Angeber, jeden Morgen um acht ließ 35


er sich vors Amra fahren, bestellte einen türkischen Kafee und ein Glas Wasser, und das Auto wartete um die Ecke auf ihn, an der Buhne. Der Direktor hatte eine Schwäche für Frauen, besser gesagt, nicht für Frauen, sondern für junge Hühner, und man sah öfter die eine oder andere in seinem Auto. Botscho saß brav am Steuer, und brav lief ihm das Wasser im Mund zusammen, nur manchmal tat er hinter dem Rücken des Chefs das Seine. Der Chef war nicht begeistert, aber, wie Botscho sagte, er solle einen türkischen Kafee trinken und sich wieder einkriegen. Dann hatte Botscho was mit der Schwägerin des Chefs; ja klar, welcher vernünftige Boss hätte seiner Frau erlaubt, von morgens bis spät abends, bis er Feierabend hatte, mit ihrem Schwesterchen das Dienstfahrzeug zu nutzen, wenn am Steuer so jemand saß wie Botscho? Und dann flog die Sache auf, und Botscho machte sich vom Acker und ließ sich bis zum Anfang des Krieges nicht mehr in der Stadt blicken. Und dann, als schon Krieg war, stattete er seinem ehemaligen Boss, der, um Botschos Spur zu inden, des Öfteren Botschos Familie terrorisiert hatte, einen Besuch ab. Mit Kriegsbeginn war sein Boss plötzlich zu einem Wohltäter geworden; er inanzierte eine von unseren eifrigen Einheiten mit einem eifrigen Anführer. Und bevor Botscho seinen ehemaligen Boss besuchte, gingen wir, fast die gesamte Clique, zu diesen Jungs hin, die dem Boss ja zu Dank verplichtet waren, und sprachen mit ihnen; wir sagten, dass Botscho dem Patron eine Tracht Prügel verpassen wollte und sie kurz wegschauen sollten. Irgendwie überzeugte er sie, dass das ihrer Ehre keinen Abbruch 36


tun würde. Am nächsten Tag passte Botscho den Boss ab, wie er sein Auto aus der Garage fuhr, es war ein GAZ-24, genauso einer wie sein damaliger Dienstwagen, schwarz und mit Gardinen, nur ein neueres Modell. »Wir haben was zu erledigen, und da müsstest du uns fahren!«, sagte Botscho seinem ehemaligen Boss. Der Boss lächelte und legte den Schlüssel auf die Haube, »hier ist der Schlüssel, ihr könnt fahren, wohin ihr wollt.« »Ich hätte gern meinen eigenen Fahrer!«, erklärte Botscho und entsicherte sein Gewehr. »Er bringt ihn um!«, sagte Kontschi damals zu mir. »Macht er nicht«, widersprach ich, obwohl ich mir nicht sicher war. Der Boss war ein kleiner Mann, glatt rasiert. Es hieß, dass er eine viel größere, bildhübsche Frau hätte. Über ihre Schönheit weiß ich nichts zu berichten, ich hab sie nie gesehen, und Botscho hab ich nie gefragt. Der Boss bewahrte so ziemlich die Haltung, ich weiß noch, ich hofte sogar kurz, er würde sich nicht ans Steuer setzen, aber er tat es doch, und vielleicht hat er sich in seinem ganzen Leben nie so erniedrigt wie in diesem Moment. Er hatte uns angeschaut und sofort kapiert, dass wir mit den Jungs, auf die er hätte zählen können, bereits gesprochen hatten, und er setzte sich ans Steuer. Wir waren zu viert, Botscho, Kontschi, Zorro und ich. »Wir fahren ins Pitatschok!«, sagte Botscho. Er saß vorne. Im Pitatschok saßen unsere Jungs, es war Korkelias Geburtstag, und sie stießen in Gedenken auf ihn an. Als das Auto anfuhr, schaute ich zu Botscho und begrif, dass ihm sein ehemaliger Boss bereits leidtat. 37


Botscho bemerkte meinen Blick, drehte sich um und sah mir in die Augen. »Halt an!«, wies er den Boss an, und der hielt auch sofort. »Jungs, lasst uns jetzt alleine, ich hab was mit dem Herrn zu besprechen«, wandte sich Botscho an uns. »Nicht dass er ihm das Gehirn wegpustet!«, sagte Kontschi. »Wird er nicht!«, gab ich zurück. Inzwischen war ich mir sicher, dass er ihm nichts antun würde. »Er wird das Auto schon nicht bekleckern!«, meinte Zorro. Botscho und der Boss wechselten ein paar Worte. Was sie besprochen haben, weiß ich nicht, wir haben Botscho nicht gefragt, er konnte überlüssige Fragen nicht leiden. Dann stiegen wir wieder ein, und der Boss fuhr uns ins Pitatschok. Wir stiegen aus, Botscho sagte zum Boss, er sei jetzt frei, und machte die Autotür zu. Der Patron fuhr nicht weg. Er saß mit versteinertem Blick am Steuer. »Sag ihm, er soll gefälligst samt seinem Wagen hier verschwinden, sonst schieße ich … Ich puste ihn mit einer Panzerfaust weg!«, sagte Botscho zu mir. »Behalten wir den Wagen!«, schlug Zorro vor. »Wir schauen jeden Tag dem Tod in die Augen, verdammt noch mal. Diese dicke Ratte braucht doch kein Auto, die Jungs nehmen ihm das sowieso weg!« Botscho warf ihm einen eisigen Blick zu, und er verstummte. Kontschi schickte sich an, zum Boss rüberzugehen. Ich weiß nicht, was er vorhatte zu sagen, vielleicht das, was Botscho mir aufgetragen hatte. In der Zwischenzeit war der Boss aus dem Wagen gestiegen und legte den Autoschlüssel auf die Motorhaube. »Ihr braucht den Wagen eher, Jungs!«, sagte er. 38


Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, verschränkte die Hände hinterm Rücken und ging. »Niemand braucht hier seine Schrottkarre, wir sind keine Penner!«, Botscho rastete aus, aber der Boss drehte sich nicht mehr um, so wie er lief, lief er weiter. Am nächsten Tag verließ Botschos Boss die Stadt und kehrte nie wieder zurück. Er ließ alles stehen und liegen, er haute ab, ohne zurückzuschauen, und auch uns ließ er zurück, Botscho, Kontschi, mich, Zorro, die Jungs, die im leeren Pitatschok auf Korkelia anstießen, er verließ die Stadt, den Krieg, und überließ sowohl die Stadt als auch den Krieg uns. Und wir machten weiter mit dem Krieg, so, wie wir es konnten und wie wir es kannten. Den Wagen haben wir fast bis zum Kriegsende gefahren, immer wenn ich ihn sah, kam mir der Boss in den Sinn, wie er die Hände hinterm Rücken verschränkte und wie sogar sein Gang der eines Bosses gewesen war. Nur Botscho setzte sich ganz selten in den Wagen. Später kamen auch die Jungs, die der Boss unterstützt hatte, bevor er die Stadt verließ, sie wollten wissen, wieso wir ihren netten Geldsack verjagt hätten. Als Entschädigung boten wir ihnen den Wagen an, aber sie hatten Skrupel, ihn anzunehmen. Einer fragte, wieso Botschos Groll erst jetzt, nach so langer Zeit, wieder hochgekommen sei. Da explodierte Botscho, es kam zu einer Auseinandersetzung, danach stießen wir im Pitatschok auf unsere Versöhnung an. Später, als der Krieg zu Ende und auch Botscho mit dem Partisanspielen fertig war, bemerkte er mir gegenüber, dass er damals mit seinem Boss vielleicht nicht im Recht gewesen sei. 39


»Wenn du dieses verdammte Maschinengewehr in der Hand hast, sind alle ofenen Rechnungen, die du im Herzen eingeschlossen hattest, wieder da. Ich habe mich immer für einen vernünftigen Menschen gehalten, aber anscheinend ist dem nicht so … und ich bezweile überhaupt, dass es vernünftige Menschen gibt«, sagte Botscho. »Vernunft dient den Menschen grade mal dazu, ihre Dummheit zu verdecken, zu mehr nicht!« Er schob alles auf das Maschinengewehr, und vielleicht hatte er ja auch recht. Botscho hatte damals auch noch gesagt, man solle wie die Aurora sein: Wenn man schieße, müsse das eine Revolution in Gang setzen, ansonsten lohne sich das Geballer nicht. Als Reso sich heimlich von Lalis Haus nach Sochumi aufmachte, um Zialas Grab zu besuchen, und ich Hals über Kopf zu Botscho nach Sugdidi fuhr, wunderte sich Botscho nicht über die Aktion seines Cousins, er meinte, jetzt habe Resos Aurora eben einen Schuss abgegeben. Als Lali zur Welt kam, war ich gerade neun. Die Nacht verbrachten wir, Reso, Kontschi und ich, im Hof des Krankenhauses in Resos Wagen. Reso bat mich inständig, mich nach Hause bringen zu dürfen, aber ich lehnte ab. Diese Nacht vergesse ich nie. Hinter dem Wagen, jenseits des Gitterzauns des Krankenhauses, loss die Waniutschka, der »Miefbach«, und immerzu war das Gepiepse der Ratten zu hören, von denen es am Bach nur so wimmelte. Es war Sommer. Ich saß im Auto und dachte: Morgen, wenn Mama aus dem Fenster schaut, sieht sie mich und erfährt, dass ich die ganze Nacht da war, und dann freut sie sich. Kontschi hatte mir eine alte Jacke vom Wachmann besorgt. Sie stank 40


fürchterlich. Kontschi war angetrunken, und Reso konnte, wenn er selbst nüchtern war, Betrunkene nicht ausstehen. Er mochte sowieso nicht, wenn Kontschi betrunken war – damals hatte Kontschi gerade die Schule beendet. Reso machte Kontschi die ganze Nacht Vorwürfe und meckerte dazu mit mir, warum ich denn nur die Jacke nicht anziehen wolle, nicht dass ich mich erkälten würde – er suchte einen Vorwand, denn wie hätte ich mich in der warmen Sommernacht erkälten sollen? Ich erklärte, dass ich die Jacke nicht anziehen könne, weil sie müfele. Reso löste den Bezug vom Rücksitz und wickelte mich darin ein. Ich schlief ein, wachte aber immer wieder auf. Reso hatte Mitleid mit mir, und er kündigte an, mich jetzt nach Hause zu bringen. Ich fuhr ihn an, was ihn das überhaupt angehe, ich würde auf meine Mutter warten. Keine Ahnung, wieso ich das gesagt habe. Und da geschah es, dass Reso mich zum ersten Mal anfunkelte, bis dahin war er immer rücksichtsvoll mit mir umgegangen, er wollte mir nicht wehtun. Nun tat sein Blick mir aber weh, und ich hätte heulen können. Dann bin ich fest eingeschlafen. Es war schon hell, als ich aufwachte. Neben mir schnarchte Kontschi, Reso war nirgends zu sehen. Am Auto stand der Wachmann und schaute auf Kontschi. Er wollte eben ans Fenster klopfen, als ich den Kopf hob. Der Wachmann lächelte mir zu und meinte, wir sollten jetzt runter vom Hof. In den Krankenhaushof reinzufahren, war eigentlich streng verboten, aber Reso hatte dem Wachmann was zugesteckt und er hatte uns erlaubt, über Nacht zu bleiben. »Wie geht es meiner Mutter?«, fragte ich ihn. Woher hätte der Wachmann wissen sollen, wie es meiner Mut41


ter ging? Aber ich glaubte irgendwie, dass er es wissen müsste. In dem Moment kam aus dem Eingang des Krankenhauses eine dickliche Krankenschwester, und ich merkte sofort, dass sie uns suchte, und ging zu ihr hin. »Es ist ein Mädchen!«, verkündete sie. Da merkte ich, dass ich mir eigentlich einen Bruder gewünscht hatte. »Ich gehe jetzt Reso holen, und Sie bekommen Ihren Glücksbotenlohn, wie es sich gehört.« »Wer ist denn Reso?« Über meine ernste Art war die Krankenschwester fast bestürzt. »Mein Stiefvater … er gibt Ihnen gleich das Geld … warten Sie einen Augenblick, gehen Sie nicht weg, er muss hier irgendwo sein!«, sprudelte es aus mir heraus, und ich rannte los, um Reso zu inden. Als hätte ich gewusst, dass er unter der staubigen Weinlaube am Ende des Hofes zu inden sein würde. Dort saß er an einen Holzbalken gelehnt auf einer Bank und schlief. Sobald ich mich näherte, wachte er auf. »Es ist ein Mädchen!«, sagte ich. Womöglich nahm er an, noch zu träumen, denn er sah mich lange einfach nur verdutzt an. »Es ist ein Mädchen«, wiederholte ich. »Die Krankenschwester wartet am Eingang.« Endlich wurde Reso wach. »Wie geht es deiner Mutter?«, fragte er und stand auf. Ich schämte mich, dass ich vergessen hatte, die Krankenschwester danach zu fragen, und wurde rot. »Ist schon gut!«, beruhigte mich Reso. Als wir zur Krankenschwester gingen, spürte ich, dass auch Reso sich einen Jungen gewünscht hatte. 42



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