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an digitalen Daten werden 2025 pro Jahr anfallen. 2010 waren es noch 2 Zetabytes pro Jahr.

Und eben jetzt, 2023, schlagen wir uns bereits mit den Gefahren der nächsten digitalen Entwicklung herum. Generative KI-Modelle wie ChatGPT oder Midjourney schreiben in Windeseile hübsche Texte und erstellen knallige Bilder. Aber sie drohen auch unsere Wirklichkeit mit künstlichen Inhalten zu fluten, sodass wir die Übersicht komplett verlieren. So gross ist die Angst, dass selbst die grössten Treiber wie Elon Musk, Bill Gates oder Sam Altmann – der CEO von OpenAI, welches ChatGPT entwickelt – vor dem Weltuntergang durch künstliche Intelligenz warnen. Ob sie das aus Eigeninteresse oder aufrichtiger Sorge tun, sei dahingestellt.

Mit Vollgas — oder doch nicht?

Es brennt die Frage auf der Zunge: Ist das jetzt gut oder schlecht? Sollen wir die Digitalisierung verteufeln oder sie wie eine Prophetin begrüssen? «Es kommt halt darauf an, mit welcher Brille wir die Entwicklung anschauen», sagt Pannatier. Das zeige sich in den «iPhone-Momenten» genauso wie im Kleinen: Sie verweist auf die Geschichte des Sans-Papier Ackson, der von der Digitalisierung zugleich ausgeschlossen wird und von ihr profitiert (siehe Surprise 550/23). «Die Digitalisierung hat positive und negative Aspekte. Es gibt Hoffnungen und Chancen der Vernetzung, der Meinungsfreiheit, der Menschenrechte und der Demokratie. Und gleichzeitig wissen wir um die schädlichen Konsequenzen.»

Es wäre einfach, die Digitalisierung rundum zu verdammen: Weil sie andere ausschliesst, weil sie die Welt mit Hass und Unwahrheiten überflutet, weil sie uns zwingt, ständig im digitalen Karussell mitzufahren. Gleichzeitig lässt sie sich nicht aufhalten. Und wer würde schon gerne auf die praktische Fahrplanauskunft in der SBB-App verzichten? Oder auf die Kartendienste, die uns zuverlässig auch in den entlegensten Winkel oder in das beste Kaffee der fremden Stadt lotsen? «Als Gesellschaft ist es unsere Aufgabe, dass wir uns überlegen, wo wir welche Systeme zu welchen Zwecken einsetzen wollen, dass wir die Schäden und Gefahren identifizieren und minimieren und gleichzeitig Alternativen gestalten, von denen alle profitieren», resümiert Pannatier.

Ganz ähnlich sieht es auch Jean-Daniel Strub. Der 48-jährige Ethiker und SP-Politiker befasst sich mit seiner Firma ethix die komplexen Fragen, die sich im Rahmen von Innovation und Digitalisierung stellen. Ich frage ihn, was denn eine faire Digitalisierung bedeuten würde –eine, von der wirklich alle profitieren würden. «Sie beruht auf dem Prinzip der Gerechtigkeit und der Transparenz», sagt er. Gerade wenn es um Fragen der Exklusion gehe –mangels digitaler Teilhabe zum Beispiel –, beinhalte das auch einen Auftrag an den Teil der Gesellschaft, der von den neuen Technologien profitiert. «Aus der Ungleichheit resultieren Ansprüche an die Allgemeinheit», sagt Strub. Das bedeute unter anderem eine ethische Forderung nach einem Ausgleich, wenn manche von uns vom sinnbildlichen Pickup geschleudert werden. Die Gesellschaft sollte ihnen helfen, wieder aufzusteigen, Sicherheitsgurte anbieten und vielleicht einen Gang herunter schalten.

Ist das Internet nicht mehr für alle da? In der ersten Folge der Serie kam der Internetpionier Vint Cerf zu Wort, der dieses Ziel mit all seinen Hürden formulierte (Surprise 548/23). Und wahrscheinlich werden wir auch durch die Digitalisierung keine Gleichheit erreichen, denn auch digitale Tools werden immer in einem Machtkontext geschaffen, finanziert und verbreitet. Erstaunlicherweise schöpft Estelle Pannatier gerade hier auch Hoffnung –Hoffnung, dass unser Kurs nicht bloss von den Konzernen und deren Interessen bestimmt wird. «Es gibt aktuell eine Tendenz, dass Staaten wieder mehr Verantwortung für Technologien und deren Einsatz übernehmen – wie etwa die Digitalpolitik in der EU», sagt sie. «Das bedeutet auch, dass dies der richtige Zeitpunkt für eine Diskussion über Werte ist.» Zumindest im demokratisch regierten Teil der Welt, in dem wir zu unserem Glück leben.

Also sollten wir darüber diskutieren, wie wir dafür sorgen können, dass die digitale Welt wirklich für alle da ist – was auch bedeutet, jenen Gehör zu geben, die noch nicht wie wild nach links und recht «swipen», mit der Virtual-Reality-Brille im Metaverse rumgurken oder an der nächsten revolutionären App basteln. Und wenn wir uns die Unterschiede ehrlich vor Augen führen, schärft sich auch der Blick auf die Gefahr der Normierung: Dass uns die Digitalisierung alle in den gleichen Strom zwängt, statt die Vielfalt der Lebensweisen zu feiern. «Die Fehlannahme, dass Digitalisierung den Pluralismus und die Vielfalt automatisch fördert, ist leider weit verbreitet», sagt Strub. Dabei ist zu oft das Gegenteil der Fall: Nur was normiert ist, was dem Durchschnitt entspricht, lässt sich digital gut verarbeiten. Was hingegen aus der Reihe tanzt, fällt auf und wird ausgemerzt. «Es besteht die Gefahr, dass es weniger Toleranz für Phänomene und Verhaltensweisen gibt, die zwischen Stuhl und Bank fallen.»

Digitalisierung: eine Serie in fünf Teilen

Teil 1: Der digitale Graben, Surprise Nr. 548

Teil 2: Fehlender Zugang, Surprise Nr. 550

Teil 3: Ungleiche Datensammlung, Surprise Nr. 552

Teil 4: Migration und Digitalisierung, Surprise Nr. 553

Teil 5: Blick in die Zukunft, Surprise Nr. 554

Recherchefonds: Dieser Beitrag wurde über den Surprise Recherchefonds finanziert. surprise.ngo/recherchefonds