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Jessica Jurassica Kolumne Mood: Beerdigungen Livestreamen

Nach zwei Monaten Buenos Aires zurück in der Schweiz lief alles sehr gut. Ich freute mich, wieder zuhause zu sein, bei meinen Mitbewohnern und Freunden und auf der Nachtarbeit hinter der Bar. Es ging mir gut. Aber nach zwei Wochen Ankunftseuphorie holte mich der Herbst ein. Wie ein Stein lag ich im Bett und ich wusste nicht, ob das jetzt eine Grippe war, die nicht richtig ausbrechen wollte, oder vielleicht war es auch PMS oder sogar eine ernsthafte Depression. Ich war so müde, dass ich am liebsten tot gewesen wäre, damit ich nie wieder aufstehen müsste.Also lag ich in meinem zerwühlten Bett, das bei meiner Ankunft noch so frisch gerochen hatte und jetzt nach Fäulnis und kalter Asche stank. Ich starrte in die Luft oder in das Display hinein und fühlte mich tot. Irgendwann beschloss ich, dass das so nicht weitergeht und versuchte mich zu erinnern, was mir bei sowas hilft, was mir guttut. Das ist nicht ganz einfach, wenn man da mittendrin steckt, weil dann hat man das Gefühl, als wäre es einem nie gut gegangen und als würde es einem nie wieder gut gehen.

Ich versuchte mich also aktiv aus dem Loch zu hieven. Ich versuchte es mit Essen, mit Aufräumen, mit Tee trinken oder Bier, Musik hören und rausgehen. Ich schrieb Hilferufe in Chat-Fenster, bat darum, mir zu sagen, dass das vorbei geht und weinte mich aus. Dann schaute ich den kompletten Livestream einer indonesischen Beerdigung als Watchparty auf Facebook, die ich per Zufall gefunden hatte. Ich schaute zu, wie die Menge den mit Blumen geschmückten Sarg von einem zum anderen Tempel trug, wie der Imam, dessen Mikrophon ständig rückkoppelte, gefühlt Doubletime betete, wie sie den Sarg in die Grube legten und unter Erde begruben, das Ganze am Schluss nochmals mit Blumen bedeckten, während der Imam immer noch betete und hunderte Menschen mit ihm. Das beruhigte mich irgendwie und es ging mir etwas besser.

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Aber das einzige was wirklich hilft, bei diesen akuten Depressionsschüben, die mich manchmal überfahren, im Herbst oder auch im Frühling, ist menschlicher Kontakt. Das Ausheulen im Chat, Nachtessen mit Freunden, Arbeiten an der Bar. Oder kuscheln. Aber den Boy habe ich in Buenos Aires zurückgelassen und in dieser Situation einen Ersatz aufzutreiben gestaltet sich als nicht ganz einfach. Vielleicht sollte ich auch einfach zum Arzt, denn manchmal ist sowas nicht aus eigener Kraft zu bewältigen. Und man kennt sie ja, die gutgemeinten Ratschläge: Mach doch Sport oder Yoga oder Schokolade macht auch glücklich. Sag das mal jemandem, die an Depressionen erkrankt ist. Oder besser: sag es nicht, denn diesen Bullshit will man nicht hören, wenn man ein ernstzunehmendes Problem hat. Dann will man lieber ernstgenommen werden.