Schaufenster Kultur.Region 2012-Oktober

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Nachrichten aus der Kultur.Region Niederösterreich . Oktober 2012

schaufenster

Kultur.Region Donau.Visionen Dialog der Stimmen / Chorszene Niederösterreich

P.b.b. · Vertragsnummer 11Z038847 M · Erscheinungsort: 3452 Atzenbrugg · Verlagspostamt: 3451 Michelhausen · DVR: 0933 295

Bauernleben im Wandel / Museumsdorf Niedersulz . Aus gutem Holz / Brandlhof


Tur l u k s olk V d n Mu . u T h c ch au i r e B r r r e Meh iederösT für n

www.noevers.at

Wir schaffen das.

WIEN NORD

. k i s u M . z Tan zMusik. Tan n e f f a h c s r i w . s a d


Editorial / 3

Navigieren zwischen Welten

EINBLICK Stile und Formen.

Musik und Kleidung, darum dreht sich nicht nur in unseren Breiten sehr viel, wenn es darum geht, sich selbst zu definieren. Mit Musik und Kleidung lässt sich plakativ gut darstellen, wie man sich selbst gern sieht und wie man von den anderen gesehen werden möchte, wohin man sich zugehörig fühlt und wovon man sich deutlich abgrenzt. Für Fans gibt es daher auch klare Codes, die den jeweiligen Club einzigartig und unverwechselbar darstellen sollen: von den mit Dress, Schal und Kappe adjustierten Fußballfans bis zu den nadelgestreiften Managern oder vom Selbstgestrickten mancher Bio-Freaks bis zu den Kreationen für diverse Sportarten. Ähnliches mag für Musikfreunde und ihre Vorlieben gelten, ob für Klassik, Jazz oder Pop, für Oper, Operette oder Musical, für alte Volksmusik oder volkstümliche Schlager. Ebenso regelmäßig wird der jeweils aktuelle Mainstream aber auch gebrochen, und zwar durch Gegenentwürfe oder schlichte Verwei-

gerung. Das mag da und dort der Ausgangspunkt für neue Moden oder sogar eine Protestbewegung sein. Nicht selten wird ja von Seiten der Kunstschaffenden kritisiert, dass ausgerechnet deren kreative Leistungen für gänzlich andere Ziele vereinnahmt werden. Über den reinen Konsum hinausgehend stellt sich bei einer intensiveren Betrachtung all dieser Phänomene wohl die Frage, welcher tiefere Sinn und welche Bedeutung hinter dem äußeren Erscheinungsbild von Moden zu finden sind: das bloße Erfüllen von Funktionen, ein politisches Statement, Sicherheit in der Überfülle an Angeboten oder nur pure Freude an Dingen, die einem gefallen, wobei es allerdings zu bedenken gilt, dass solch eine Freude nicht aus dem Nichts entstehen kann.

wer will sich schon gerne Eindimensionales aufs Aug’ drücken lassen. Eine moderne Sicht der Dinge meint sprichwörtlich, alles sei möglich, aber nichts sei fix. Und wer will schon mit einer Alternative leben, wonach alles fix und nichts mehr möglich ist. Spannend macht das Leben doch erst das Navigieren zwischen den verschiedensten Welten. Auf einen gemütlichen Volksmusik-Stammtisch in Tracht und Dirndl kann durchaus ein Konzert oder eine Vernissage in eleganter Abendgarderobe folgen oder aber ein gemütliches Chill-out bei Hits der 70er und 80er in Jeans, während sich die Jüngeren irgendwo stylisch gekleidet mit Freunden treffen.

Dorli Draxler, Edgar Niemeczek

Wir freuen uns jedenfalls über einen offenen Zugang zur Vielfalt an Stilen und Formen. Zwar heißt es in einem primitiven Sager, wer für alles offen ist, sei nicht ganz dicht, doch

MusikSCHUL management KULTUR . REGION NIEDERÖSTERREICH

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Top-Termine / 4

Oktober 2012

TOP-TERMINE

HANDWERKSMARKT AM BRANDLHOF —————————————————— So, 7. 10. 2012, 10.00–18.00 Uhr Radlbrunn —————————————————— Dem Drechsler, dem Wagner, der Keramikmalerin und vielen anderen über die Schulter sehen, Fragen stellen, vielleicht selbst bei dem einen oder anderen Arbeitsschritt Hand anlegen – das zeichnet den Handwerksmarkt im Brandlhof aus. Aber auch das eine oder andere Glas Wein verkosten, sich durch Weinviertler Herbstschmankerl durchprobieren und den Klängen der „5 G’span Musi“ lauschen, einfach die Atmosphäre im Brandlhof genießen. Zu sehen gibt es: Drechsler, Wagner, Laubsägearbeiten, Schnitzer, Fassbodenschnitzen, Fassbinder, Linol- und Holzschnitt, Korbflechten, Tischler, Keramik bemalen, Patchwork – Blaudruck u. v. m. Lesen Sie mehr auf Seite 16. Der Eintritt ist frei! ——————

DAS.TRACHTEN.SCHIFF —————————————————— Sa, 13. 10. 2012, 20.00–24.00 Uhr An Bord der MS Austria, ab/bis Krems —————————————————— Wenn der Herbst die Wachau in prächtigste Farben kleidet, lädt das Team der Brandner Schifffahrt in Kooperation mit der Volkskultur Niederösterreich zu einem Ausflug auf der Donau ein: Mit der Abendfahrt Das.Trachten.Schiff genießt man einen Abend ganz im Zeichen der Tracht auf Donauwellen. Für Musik und beste Stimmung sorgen „Die Tanzgeiger“. —————— Information: Ab/an Krems, Donaustation Nr. 24, MS Austria Einstieg 20.00 Uhr Rückkunft 24.00 Uhr EUR 54,50 pro Person (inkl. Schifffahrt, Heurigenbuffet und Live-Tanzmusik von „Die Tanzgeiger“) Tel. 07433 2590-35 www.brandner.at

Information:

ORF RADIO NÖ FRÜHSCHOPPEN & AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG BAUERNLEBEN IM WANDEL —————————————————— So, 21. 10. 2012 11.00 Uhr: Radiofrühschoppen 14.00 Uhr: Ausstellungseröffnung Museumsdorf Niedersulz —————————————————— ORF Radio NÖ Frühschoppen mit den Stallberg Musikanten und der Ortsmusikkapelle Niedersulz. Gutes, direkt vom Bauernhof, wird präsentiert sowie ein Überblick über die naturnahe Garten- und Feldbewirtschaftung im Museumsdorf gegeben. Bauernleben im Wandel: Eröffnung einer neuen Ausstellung im Wultendorferhof, Museumsdorf Niedersulz. Von der Agrarrevolution im 18. Jahrhundert über die Gründung von Genossenschaften bis zur Agrarpolitik der EU: Die Geschichte zwischen Gestern und Heute wird anhand von Objekten und persönlichen Dokumenten präsentiert. nitiator des Museums ist die Gesellschaft zur Förderung der niederösterreichischen Land- und Forstwirtschaft. Lesen Sie mehr auf Seite 36. —————— Information: Museumsdorf Niedersulz 2224 Niedersulz 250
 Tel. 02534 333

Volkskultur Niederösterreich www.volkskulturnoe.at/brandlhof

www.museumsdorf.at

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Inhalt / 5

Oktober 2012

INHALT Kremser Kamingespräche Donau.Visionen

6 /

Mostviertel Junge Musikanten

23 /

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Volkskultur Rund ums Kind

8 /

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Auslage Bücher, CDs & feine Ware

24 /

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Musikschulen international El Sistema

Industrieviertel In helldunkler Ferne

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Haus der Regionen Klarinette

Volksmusik Nacht der Musik,

10 /

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13 /

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Chorszene Niederösterreich Dialog der Stimmen

14 /

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Brandlhof Aus gutem Holz

16 /

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Haus der Regionen Good Old Europe

18 /

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26 / 29 /

Buch der Lieder

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Forschung Die Stille dröhnt

30 /

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Kultur.Region Fortbildung

32 /

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Museumsdorf Niedersulz Es muss feste Bräuche

Weinviertel Rund und g’sund

19 /

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Mostviertel Orgel trifft Volksmusik

22 /

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34 /

geben

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Museumsdorf Niedersulz Bauern zwischen

36 /

Museumsdorf Niedersulz Mit Taktgefühl

38 /

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Eisenbahnmuseum Schwechat Vom Kochtopf

39 /

zum Schwergewicht ——————

5e-Museum Waidhofen/Ybbs Familienschätze

40 /

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Porträt

42 / Kurt Schaefer,

Modellschiffbauer ——————

Tschechien Tage der offenen

44 /

Ateliers

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Kultur.Region Intern

45 /

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46 / Die letzte Seite

Gestern und Heute ——————

IMPRESSUM Herausgeber: Dr. Edgar Niemeczek, Dorothea Draxler. Chefredakteurin: Mella Waldstein. Redaktionsteam: Karin Graf, Mag. Günter Fuhrmann, Mag. Michaela Hahn, Dr. Lejla Halilovic, Mag. Katharina Heger, Mag. Marion Helmhart, Otto Kurt Knoll, DI Claudia Lueger, Dr. Freya Martin, Dr. Veronika Plöckinger-Walenta, Mag. Ulrike Vitovec, Mag. Michaela Weiss, Mag. Anita Winterer, Mag. Eva Zeindl, Michaela Zettl. MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Franz Kamper, Franz Pötscher, Irene Suchy, Helga Maria Wolf, Eva Zankl. Produktionsleitung, Marketing, Anzeigen und Beilagen: Mag. Marion Helmhart. Eigentümer/Medieninhaber: Volkskultur Niederösterreich GmbH, 3452 Atzenbrugg, Schlossplatz 1, FN 308711m, LG St. Pölten. Tel. 02275 4660, office@volkskulturnoe.at, www.volkskulturnoe.at. Geschäftsführung: Dorothea Draxler, Dr. Edgar Niemeczek. Sekretariat: Petra Hofstätter, Tina Schmid. Grafik/Layout: Atelier Olschinsky Grafik und Design GmbH, 1060 Wien. Druck: good friends Druck- und Werbeagentur GmbH. Verlagspostamt: 3451 Michelhausen. Versandpostamt: Verteilerzentrum BZW 1000. ISSN 1680-3434 Copyrights: Kultur.Region.Niederösterreich GmbH, 3452 Atzenbrugg. Artikelübernahme nur nach Vereinbarung mit dem Herausgeber. Fotos: wenn nicht anders angegeben, Bildarchiv der Volkskultur Niederösterreich GmbH. Ziel der Zeitung: Information und Berichterstattung über Kunst und Kultur und ihre gesellschaftlichen Bedingtheiten mit besonderer Berücksichtigung der Regionalkultur im Bundesland Niederösterreich, Beiträge aus Wissenschaft und Praxis, Ankündigungen und Hinweise. Alle in der Zeitschrift verwendeten Begriffe, Personen- und Funktionsbezeichnungen beziehen sich ungeachtet ihrer grammatikalischen Form selbstverständlich in gleicher Weise auf Frauen und Männer. Cover: xxx

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Kremser Kamingespräche / 6

Donau.Visionen

ALLES FLIESST Neue Staffel zum Thema Donau.Visionen. Hochkarätige Referenten, spannende Themen und ein offenes Gesprächsklima sind die Markenzeichen der Kremser Kamingespräche im Haus der Regionen.

Im Donaudelta.

Inspiriert von der Donau als Strom, der Menschen, Dinge und Ideen in Zeit und Raum in Bewegung setzt, widmen sich die Kremser Kamingespräche im Herbst 2012 dem zweitgrößten Fluss Europas. Die seit 2005 viermal im Semester stattfindenden Diskussionsrunden – unter der Patronanz von Univ.-Prof. Dr. Konrad Köstlin und konzipiert vom Geschäftsführer der Kultur.Region Niederösterreich Dr. Edgar Niemeczek – laden Besucher zum Gedankenaustausch ein und sind nicht zuletzt deshalb zu einem beliebten Treffpunkt des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens in Niederösterreich avanciert.

Donau.Leben „Donau ist eine Metapher für die Komplexität, für die vielschichtige Widersprüchlichkeit der zeitgenössischen Identität […]“, so der Triestiner Schriftsteller Claudio Magris. Er spricht damit unter anderem die Bedeutung der Donau für die Identitätsfindung der Anrainerstaaten an. Wo immer die Donau entlangfließt, beherrscht sie das Landschaftsbild, prägt die Kultur, den Alltag und die Bräuche der Völker. Früher in weiten Bereichen noch ein trennender Grenzfluss, vereint der Strom heute auf einem Einzugsgebiet von 805.000 Quadratkilometern eine Vielzahl unterschiedlicher Völker,

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Religionen und Kulturen. Es erscheint wichtiger denn je, sich über die gemeinsamen Wurzeln unserer europäischen Kultur zu verständigen. Hat sich über die Jahre eine gemeinsame historische Identität der Anrainerstaaten entwickelt? Was verbindet die einzelnen Donauländer miteinander? Wo finden wir das Gemeinsame in der Vielfalt?

Donau.Räume Die Donau verbindet – so lautet die Kernbotschaft der makroregionalen EU-Strategie für den Donauraum (EUSDR), dessen zentrale Themen die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und der territorialen, sozialen und


Kremser Kamingespräche / 7

Elias Canetti in der Stadtbibliothek Ruse, ehemals Rustschuk, Bulgarien.

wirtschaftlichen Kohäsion sind. In einem Raum, der von großer Vielfalt und Heterogenität geprägt ist, sollen Synergiepotenziale genutzt werden. Unterschiedliche Gesetzgebungen, das starke West-Ost-Gefälle der Lebensstandards, die Trennung von Ost- und Westeuropa bis 1989 und die damit verbundenen Probleme erschweren jedoch die territoriale Zusammenarbeit. Ist die Idee eines gemeinsamen Donauraums bereits Realität? Im Kulturbereich wird die Donau bereits seit Jahren als verbindendes Thema inszeniert. Die Zusammenarbeit zwischen Kulturschaffenden im Donauraum führt zu einem Netzwerk von kreativem Potenzial.

Donau.Schätze Schon in der Frühzeit diente die Donau als Transportweg für Handelswaren und verhalf somit Städten entlang ihrer Ufer zu Reichtum. Auf ihr wurden kostbare Pelze, erlesene Weine und Holz aus den Waldbesitzungen der Habsburger transportiert, auch das „weiße Gold“, Salz aus dem Salzkammergut, wurde auf Flößen den Fluss entlang befördert. Nicht nur als Handelsweg spielt die Donau eine große Rolle, sondern auch für zahlreiche andere Wirtschaftsbetriebe, angefangen von den Schifffahrtsunternehmen bis zu Fähren, Stromerzeugern und touristischen Einrichtungen – sie alle leben vom, an und mit dem Strom. Seine einzigartige Naturlandschaft, sein kulturelles Erbe und seine vielfältigen kulinarischen Angebote machen ihn zu einem beliebten Anziehungspunkt. Worin liegt die Faszination Donau begründet? Welche Schätze gibt es entlang ihres Verlaufs zu entdecken und wie kann man diese für künftige Generationen sichern? Wie kann der

Fluss mit seinen Ressourcen nachhaltig genutzt werden und das Spannungsfeld zwischen Großstadtkultur und agrarischer Lebensform vermindert werden? Welches Potenzial birgt der Strom als nachhaltige Energiequelle?

Donau.Mythen Seit Jahrhunderten erliegen Komponisten, Literaten und Maler ihrer Schönheit und landschaftlichen Vielfalt. „Rustschuk an der unteren Donau, wo ich zur Welt kam, war eine wunderbare Stadt für ein Kind, und wenn ich sage, dass sie in Bulgarien liegt, gebe ich eine unzulängliche Vorstellung von ihr, denn es lebten dort Menschen der verschiedensten Herkunft, an einem Tag konnte man sieben oder acht Sprachen hören.“ Der Schriftsteller Elias Canetti beschreibt in seinen Erinnerungen, „Die gerettete Zunge“, eine vergangene Welt, die in höchstem Maße von der Donau geprägt war. Immer noch faszinieren diese Mythen rund um den Fluss mit einer Mischung an realistisch-historischen Bezügen und beabsichtigter oder zufälliger poetischer Verfremdung. Daran hat sich auch in der neueren Donauliteratur nichts geändert. Wird die Donau nicht zu Recht als stumme mitteleuropäische Muse und zugleich Zeitzeugin bezeichnet? Was hätte sie uns wohl zu erzählen? Welche Geschichten werden mit ihr transportiert und worin liegen ihre Symbol- und Anziehungskraft für Künstler begründet? /

In der bulgarischen Stadt Ruse.

KREMSER KAMINGESPRÄCHE

——————————————————— Mi, 10. 10. 2012, 18.00 Uhr Donau.Leben Mag. Elena Shekerletova, Botschafterin der Republik Bulgarien Ernst Trost, Journalist und Autor Mi, 14. 11. 2012, 18.00 Uhr Donau.Räume Mag. Siegfried Ludwig, Landeshauptmann von Niederösterreich a. D. Dr. Elisabeth Vavra, Direktorin des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Krems Mi, 12. 12. 2012, 18.00 Uhr Donau.Schätze Mag. Birgit Brandner-Wallner, Brandner Schifffahrt und Geschäftsführerin der Donau Schiffsstationen GmbH Dr. Stephan Pernkopf, Landesrat für Umwelt, Landwirtschaft und Energie Mi, 9. 1. 2013, 18.00 Uhr Donau.Mythen Dr. Ruth Aspöck, Schriftstellerin und Verlegerin Dimitré Dinev, Schriftsteller, Theaterund Drehbuchautor Eintritt frei, Anmeldung erbeten!

Text: Karin Graf

Haus der Regionen, Festsaal 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 Tel. 02732 85015 3

Fotos: Manfred Horvath

www.volkskultureuropa.org

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Rund ums Kind / 8

Volkskultur

Rund ums Kind „Wenn der Erwachsene seiner Kindheit gedenkt, so erscheint sie ihm als eine glückliche Zeit, in der man sich des Augenblicks freute und wunschlos der Zukunft entgegenging. Und darum beneidet er die Kinder“, schrieb Sigmund Freud (1856–1939).

Die Schultüte war vorerst in den protestantischen Ländern Sachsen, Thüringen und Schlesien verbreitet.

Die „Erfindung“ und Wertschätzung des Kindes beginnt ab dem 16. Jahrhundert, schreibt der französische Historiker Philippe Ariès (1914–1984) in seinem Hauptwerk „Geschichte der Kindheit“. Die vorherige emotionale Gleichgültigkeit gegenüber der Kindheit als einer „schnell vorübergehende[n] Übergangszeit“ führt der Mediävist auf die hohe Kindersterblichkeit zurück. Über die Kleidung der Kinder im Mittelalter schrieb er: „Sobald das Kind den Windeln […] entwuchs, wurde es wie die anderen Männer und Frauen seines Standes gekleidet.“ Später trugen Buben und Mädchen Hemdchen, Buben ab dem achten Lebensjahr Hosen. Anhand von Gemälden konstatierte Ariès

1774 führte die Regentin Maria Theresia die allgemeine sechsjährige Schulpflicht ein.

nicht nur eine zunehmende Trennung von Kinder- und Erwachsenenwelt, sondern auch eine habituelle Differenzierung zwischen den Ständen und Klassen. Im 17. Jahrhundert wollten sich Adelige, im 18. Jahrhundert Bürger sowohl von den Kindern als auch vom „gemeinen Volk“ abgrenzen. Die Bildquellen lassen auch Schlüsse auf das Aufwachsen der Landkinder zu. Während die oberen Stände ihren Nachwuchs durch Gängelband und Fallhut schützten, bestand die Kindheit auf dem Lande im fast unbeachteten Mitleben und Hineinwachsen in die Welt der Großen, durch ständiges Dabeisein. Die deutsche Ethnologin Ingeborg Weber-Kellermann (1918–1993) meinte, dass man kleine Kin-

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der, die noch nicht in Haus und Hof mithelfen konnten, „wie Sachen ohne eigenes Empfinden versorgte […] sie schienen den Eltern nicht so besonders wichtig gewesen zu sein, eine unproduktive Kategorie von Wesen, bis zum siebten Jahr ohne Verstand, Stärke, Geschicklichkeit und Nutzen. Eine Ausnahme war die Geburt des ersten Sohnes“.

Vertrauen auf Bräuche Um Mutter und Kind in der gefährlichen Zeit des Übergangs, der Geburt, zu schützen, pflegte man altbewährte Bräuche. Geburtshilfe leistete die Hebamme, die nicht nur Hausmittel kannte (ebenso bei unerwünsch-


Rund ums Kind / 9

Weinbauernsöhne konnten bis in die 1950er Jahre während der Weinlese vom Unterricht fernbleiben.

ten Schwangerschaften), sondern auch als „Trägerin der Volksüberlieferung“ galt und „mythische Züge“ annehmen konnte, wie das „Wörterbuch der Deutschen Volkskunde“ formuliert. Im Mittelalter mussten Berufsangehörige dem Zauberglauben abschwören. Wöchnerinnen vertrauten einer Reihe von Patroninnen, in erster Linie der Gottesmutter Maria und deren Mutter Anna. Kirchliche Schutzmittel waren Beichte, Kommunion und Wallfahrt, die oft der Vater auszuführen hatte. Er musste das Kind zeremoniell annehmen, etwa vom Fußboden aufheben, auf den es die Hebamme gelegt hatte. In der „Rockenphilosophie“ heißt es 1705, einen Sohn solle man mit den Füßen an des Vaters Brust stoßen, eine Tochter der Mutter auf die Brust setzen. Um das Seelenheil der Neugeborenen zu gewährleisten, mussten sie möglichst bald getauft werden. Oft brachten Eltern tote Babys in einen Wallfahrtsort und legten sie auf einen Altar in der Hoffnung, dass sie ein Lebenszeichen von sich geben („Kinderzeichen“), um sie rasch taufen zu lassen. Viele Pfarrer empfahlen den Namen des Kalenderheiligen am Geburtstag als Taufname. Es war Brauch, nicht „zurückzutaufen“ (Geburtstag nach dem Namenstag), um dem Kind nicht zu schaden. Ein wichtiges Vorbild waren außerdem Herrscherhäuser und Landespatrone (z. B. Leopold). Häufig erhielten Kinder den Vornamen der Eltern, Großeltern oder Paten. Diese sollten sie im (christlichen) Leben begleiten. Pate oder Patin (Gevatter, Göd oder Godl) zu sein, war Ehre und Ver-

Kinderarbeit im Gewerbe wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf über Zehnjährige beschränkt. Maximale Arbeitszeit: zehn Stunden.

pflichtung, um die die Eltern baten. Die Kirche definierte das Patenamt als geistliche Verwandtschaft, die sogar die Blutsverwandtschaft übertraf. Daher bestand bis ins 20. Jahrhundert ein Eheverbot zwischen Patenkindern und Paten. Während des Jahres gab es feststehende Termine zu Besuchen, bei denen man Brauchgebäcke wie Godenkipferl und Patenbrezel zu Ostern verschenkte. In Oberösterreich erhielten Kinder alljährlich zu Allerheiligen einen Striezel, der mit zunehmendem Alter der Beschenkten immer kürzer wurde. Vor ihrem 14. Geburtstag wurden sie mit einem kleinen Striezel und Geschenk „abgefertigt“. Die Göden bekamen als Gegengabe einen Wecken, der beachtliche Größe annehmen konnte.

Der Ernst des Lebens Der Schulbesuch, im Mittelalter eine Voraussetzung zum Priesteramt, blieb lange Zeit Knaben und jungen Männern vorbehalten. 1774 führte Herrscherin Maria Theresia die sechsjährige Unterrichtspflicht für Österreich und die Kronländer ein. Bis zum 19. Jahrhundert war Kinderarbeit in Fabriken und in der Landwirtschaft eine Selbstverständlichkeit. 1859 wurde sie in Gewerbebetrieben für Kinder unter zehn Jahren verboten, für ältere auf zehn Stunden am Tag beschränkt. Sie hätten keine Möglichkeit gehabt, die seit 1868 verordnete, bis zum 14. Lebensjahr vorgesehene Pflichtschule zu besuchen. Daher wurde die Einrichtung von Fabrikschulen vorgeschrieben. 1885 durfte man unter Zwölfjährige nicht mehr beschäftigen. Kindern aus Bau-

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ernfamilien und anderen „unbemittelten Volksklassen“ konnten nach sechs Klassen von der Pflichtschule befreit werden, um der Arbeit nachzugehen. Noch in den 1950er Jahren war es in Niederösterreich üblich, dass Söhne von Weinbauern erst einige Wochen nach dem offiziellen Schulbeginn den Unterricht im Gymnasium besuchten, weil sie bei der Lese mithelfen mussten. Schulanfänger tragen als sichtbares Zeichen ihres neuen Lebensabschnitts „Tüten“, halbmeterhohe bunte Gebinde, die mit Schulsachen und Süßigkeiten gefüllt sind. Sie waren zunächst in den protestantischen Landschaften Thüringens, Sachsens und Schlesiens verbreitet, verschieden groß und hatten unterschiedlichen Inhalt. Das war bereits vor 200 Jahren. Die ersten Nachrichten stammen aus den Jahren 1810 und 1817. 1852 erschien in Dresden ein Bilderbuch mit der Geschichte vom „Zuckertütenbaum“, der im Keller der Schule wächst. Wenn seine Früchte, die Zuckertüten, reif sind, werden die schulreif gewordenen Kinder damit beschenkt. Ein literarisches Zeugnis gibt Erich Kästner (1899–1974) von seinem Schuleintritt in Dresden 1905. In Österreich fand die Schultüte 1938 Eingang, der zweite Schub erfolgte in der Wohlstandswelle der 1960er Jahre. Man kann sie zu den Übergangsbräuchen (Rites de passage) zählen, zu denen auch die Initiationssakramente Erstkommunion, Firmung und Konfirmation gehören. / Text: Helga Maria Wolf Illustrationen: Magdalena Steiner


Musikschulen international / 10

Gustavo Dudamel, international gefragter Dirigent, begann seine Karriere in „El Sistema“. Der Film von Paul Smaczny und Maria Stodtmeier über den Musikunterricht in Venezuela zeigt das „Wunder von Caracas“. Foto: EuroArts

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Musikschulen international / 11

El Sistema

LEBE DIE MUSIK Mit elf Musikern startete die erste Probe des 1975 neugegründeten Jugendorchesters in Caracas, Venezuela, heute profitieren über 350.000 Kinder und Jugendliche in Musikschulen vom „Wunder von Caracas“. „Jedes starke Bild wird Wirklichkeit“, schreibt Antoine de Saint-Exupéry (1900–1944) in seinem Werk „Die Stadt in der Wüste“. Ein wahrhaft starkes Bild hatte José Antonio Abreu, als er vor rund 40 Jahren beschließt, dieses zur Realität zu machen. Sein Traum: aus seiner Heimat Venezuela ein Land zu machen, das sich aus der Musik und durch die Musik verändere. Was als vage Vorstellung beginnt, wächst innerhalb kürzester Zeit zu einem nationalen kultur- und sozialpolitischen Projekt an und geht als das „Wunder von Caracas“ um die Welt. Geboren 1937 in eine musikalische Familie, wächst José Antonio Abreu mit Kunst und Kultur, Literatur und italienischen Opern in Valera, Venezuela, auf. Neben seinen Studien von Klavier, Cembalo, Orgel, Dirigieren und Komposition schließt Abreu innerhalb kürzester Zeit auch das Wirtschaftsstudium ab und erhält eine Anstellung im Außenministerium, später im nationalen Planungsbüro, wodurch er zu einer der einflussreichsten Personen hinter den Kulissen der Politik Venezuelas wird. Mit politischen und ökonomischen Zusammenhängen sowie kulturellen Themen konfrontiert, wird der Wunsch, Veränderungen in der Sozial-, Bildungs- und Kulturarbeit Venezuelas herbeizuführen, immer stärker. Ausgehend vom Elend in den Slums der Hauptstadt Caracas, den sogenannten Barrios, und der Perspektivlosigkeit junger venezolanischer Musiker, die kaum Aussicht auf die berufliche Ausübung ihres erlernten Berufs haben, wird die Idee der Gründung eines Jugendorchesters geboren. Es ist eine Tiefgarage in Caracas, die am 12. Februar 1975 als Probenort erklärt wird. Anfangs mit nur elf Musikern besetzt, wächst

Die Intention des Gründers José Antonio Abreu: Kultur für Arme darf keine arme Kultur sein. Foto: Eva Kinader

das Orquesta Sinfónica Juvenil Juan José Landaeta bis zur dritten Probe auf 70 Mitglieder an. Die Latte legt José Antonio Abreu hoch: Weitere Jugendorchester in ganz Venezuela sowie eine grundlegende Reform des Musikwesens des Landes sollen folgen. Mit der Gründung des Conservatorio de Música Simón Bolívar nimmt der Plan konkrete Formen an. Während die Existenz des Jugendorchesters immer mehr Akzeptanz findet, sind Abreu und seine Helfer bereits mit der Umsetzung der nächsten Aufgabe beschäftigt: Durch die Initiierung eines geeigneten Musikunterrichtsystems und der Gründung von Musikschulen, sogenannten Núcleos, in den Barrios des Landes, sollen Kinder und Jugendliche – als Teil eines Orchesterprojekts – durch die Musik sozialisiert werden. Schlussendlich überzeugt der soziale Aspekt und macht eine teilweise Finanzierung seitens des Staates möglich. Statt Problembewältigung setzt das vom Sozial- und Gesundheitsministerium geförderte System nun auf Prävention.

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Das Konzept Von der Eröffnung der ersten Núcleos 1977 an gilt die volle Aufmerksamkeit dem Aufbau von El Sistema. Aufgenommen werden Kinder ab zwei Jahren. Von Anfang an werden diese in Orchester integriert, um so ein Gefühl für das gemeinsame Musizieren zu bekommen und zu lernen, aufeinander zu hören. Teil des Konzepts ist auch das Voneinander-Lernen: Ältere Kinder geben ihr Wissen an die jüngeren weiter. Dabei geht es nicht in erster Linie um richtige Töne: „Wichtig ist, dass Kinder Musik ausleben, beim Spielen wirklich empfinden. Es geht nicht um Perfektion; wenn sie den Bogen falsch halten – kein Problem! Fühle die Musik und achte darauf, was du tust, und dabei verbesserst du nach und nach die Technik … aber lebe die Musik!“, so Henry Crespo, Leiter einer der Núcleos, im Film „El Sistema“ über die gemeinsame Philosophie. Was zählt, ist die Freude an der Musik. Dennoch wird von den Kindern und Jugendlichen viel gefordert. Wer in das System aufgenommen wird, muss Leistungsbereitschaft und Disziplin zeigen.


Musikschulen international / 12

An sechs Tagen in der Woche wird gemeinsam musiziert, eigenständiges Üben wird erwartet. Doch wirkt all dies nicht abschreckend, zu sehr steht die Vermittlung des Lebensgefühls Musik im Vordergrund: „Wir spielen nicht nur Musik, wir singen sie, wir leben sie, wir drücken uns durch Musik aus. Musik kann man auf so viele Arten genießen“, beschreibt der Musiker Frank di Polo. Einen weiteren Erfolg verzeichnen José Antonio Abreu und sein Team 1978, als die Stiftung Fundación del Estado para el Sistema Nacional de Orquestas Sinfónicas Juveniles, Infantiles y Pre-Infantiles de Venezuela (FESNOJIV) gegründet wird, die alle Aktivitäten des Jugendorchesters, der Núcleos und des Konservatoriums vereint und Jahre später in der Kurzform „El Sistema“ Geschichte schreibt. Denn der Erfolg von Abreus Vision liegt in ebendieser Zusammenführung der Teilbereiche Ausbildung und Ausübung. So einfach der pädagogische Ansatz ist, so sehr steht er im Gegensatz zu westlichen Lehrmodellen.

El Sistema geht um die Welt Mitte der 1980er Jahre erreicht El Sistema bereits eine enorme Menge an Kindern und Jugendlichen in ganz Venezuela. Um auch international auf das System aufmerksam zu machen, bemüht man sich um Zusammenarbeit mit bekannten Dirigenten, die neue Perspektiven eröffnen sollen. In diese Zeit fällt auch der Beginn einer traumhaften Karriere: Gustavo Dudamel, ein Bub aus Barquisimeto, hält erstmals eine Geige in der Hand und beginnt seine Ausbildung in einem Núcleo. Mit zwölf Jahren wird sein außergewöhnliches Talent erkannt, als er für einen Dirigenten einspringt. Neben der üblichen Ausbildung im Núcleo wird er von José Antonio Abreu selbst gefördert und übernimmt 1994 das neu gegründete Simón Bolívar Youth Orchestra „B“. Heute zählt Dudamel zu den gefragtesten Dirigenten der Welt und gibt für viele dem Wunder von Caracas ein Gesicht.

Soziale Vision Das Musikunterrichtsystem José Antonio Abreus ist mittlerweile in der ganzen Welt ein bekanntes Lehrbeispiel, das in vielen Ländern nachgeahmt wird und als Vorbild für diverseste Sozial- und Musikprojekte gilt. Von Anfang an von heftiger Kritik begleitet, sieht sich El Sistema auch heute noch Anfein-

Musikerinnen und Musiker des Jugendsinfonieorchesters Niederösterreich.

dungen und Ablehnung ausgesetzt. Die Zusammenarbeit wird nicht nur aufgrund finanzieller Unsicherheiten seitens der Venezolaner als schwierig beschrieben. Trotz Proklamation der Interkulturalität sei das Programm nur südamerikanisch gefärbt und der Auftritt in bunten Jacken in den Nationalfarben zu sehr auf Venezuela festgelegt. Zudem werden Stimmen wach, die die jungen Musiker als Propagandabilder der venezolanischen Regierung sehen wollen, ist doch El Sistema seit Kurzem direkt dem Büro des Präsidenten unterstellt. Auch die musikalische Qualität gerät in den Brennpunkt der Kritik: Klang, Dynamik und Ausdruck seien zu wenig differenziert, das Motto laute, „je lauter, desto besser“. Trotz aller Kritik bleibt auf José Antonio Abreus sozialen Grundgedanken hinzuweisen, aus dem heraus das System entstanden ist. Klassische Musik verliert hier ihren in Europa so elitären Charakter und wirkt verbindend – sie bietet Kindern und Jugendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen Chancen und neue Perspektiven und erzeugt bei allen Beteiligten eine Begeisterung, die ihresgleichen sucht. José Antonio Abreu hatte eine Vision, die er zur Realität machte. Bei der Verbreitung dachte er wohl nicht an ein unreflektiertes Übernehmen seines Systems. Vielmehr gilt es, sich einzelne Ansätze herauszupicken, diese für das eigene Umfeld zu adaptieren und damit Neues zu schaffen; Visionen haben und neue Wege gehen, denn: „Jedes starke Bild wird Wirklichkeit“. / Text: Katharina Heger

JUGENDSINFONIEORCHESTER NIEDERÖSTERREICH

——————————————————— Das Jugendsinfonieorchester Niederösterreich besteht aus rund 90 herausragenden Talenten zwischen 14 und 22 Jahren, die an niederösterreichischen Musikschulen unterrichtet werden. Das Projekt des Musikschulmanagements Niederösterreich soll jungen Musikern die Möglichkeit bieten, in die Welt der großen sinfonischen Orchesterliteratur einzutauchen. Dabei wird großer Wert auf die pädagogische Qualität gelegt – die Musiker werden von international renommierten Dirigenten geleitet und während der Probenphasen von einem erfahrenen Dozententeam aus den Reihen des Tonkünstlerorchesters Niederösterreich betreut. Seit 2010 hat Prof. Ernst Kovacic die musikalische Leitung des Jugendsinfonieorchesters inne. Auch in der Saison 2011/12 präsentiert er mit dem Orchester ein vielfältiges, anspruchsvolles Programm, das von Haydn über Strawinsky bis hin zu Křenek reicht. Konzerttermine: Sa, 4. 11. 2012, 17.00 Uhr Schloss Weinzierl, 3250 Wieselburg So, 11. 11. 2012, 17.00 Uhr Christkönigskirche, 2640 Gloggnitz Probespiel für die nächste Saison: So, 18. 11. 2012 www.musikschulmanagement.at

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Haus der Regionen / 13

Klarinette

tausendsassa Mit zwei Konzerten setzt das Haus der Regionen im Oktober einen Schwerpunkt auf ein Instrument, das unverwechselbar im Klang und vielfältig im Einsatz ist.

aus, in der gemischten Kammermusik komplettiert sie unter anderem als Soloinstrument das Streichquartett zum Klarinettenquintett. Einsatz findet die Klarinette auch im Jazz. Speziell in der New Orleans, Dixieland und Big-Band-Ära um die 1930er Jahre gedeiht sie zu einem zentralen Instrument. In der jüdischen Klezmer-Musik nimmt die Klarinette einen besonderen Rang ein, wird sie doch in den letzten Jahrzehnten – nicht zuletzt durch Giora Feidman – zum Inbegriff des jüdischen Melodieinstruments. Standardinstrument in der Balkanmusik und genauso charakteristisch für orientalische Musik, findet die Klarinette auch Verwendung in der alpenländischen Volksmusik, wo sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts Einzug hält und oft die Geige ersetzt. Eine spezielle Verwendung findet die G-Klarinette in der Wiener Schrammelmusik, wo sie als „picksiaßes Hölzl“ bezeichnet wird. „Picksiaße Hölzln“ sind auch im Haus der Regionen zu erleben. Zusammen mit der Rot-Weiß-Blau-Musi präsentieren sich die jungen Preisträger des NÖ Volksmusikwettbewerbs 2012 am 28. September in Krems. Am 12. Oktober tut die Goiserer Klarinettenmusi etwas „Für’s Gmüat“. / Text: Katharina Heger

Als Sergei Prokofjew 1936 „Ein sinfonisches Märchen für Kinder“ schrieb, hatte er im Sinn, Kinder mit den Instrumenten eines Sinfonieorchesters, deren Klang und Eigenheiten vertraut zu machen. Nicht wenige Kinder (auch Erwachsene) erfuhren durch die Katze in „Peter und der Wolf “ den unverwechselbaren Klang der Klarinette. Denn nicht nur ihr Tonumfang ist größer als der aller anderen Blasinstrumente. Hinsichtlich Timbre, Dynamik und Technik zeichnet sich die Klarinette durch ihre Vielseitigkeit und Beweglichkeit aus. In den niederösterreichischen Musikschulen zählt die Klarinette zu den gängigsten Instrumenten, scheint sie doch im Musikschulstatut als Grundinstrument im Fächerspiegel auf und ist insbesondere aus der Blasmusik nicht wegzudenken. Aktuell spielen rund 2.000 Kinder und Jugendliche an unseren Musik-

schulen Klarinette, die damit auf dem zehnten Platz, knapp hinter der Trompete, logiert.

Von Klassik bis Volksmusik Geht die Geschichte der Einfachrohrblattinstrumente bis in die Antike zurück, so setzt man die Entwicklung der Klarinette – als Nachfolgerin des einfachen Hirteninstrumentes Chalumeau – um 1700 fest. Der einzigartige Klang der Klarinette hat nicht nur eine Etablierung im Sinfonieorchester ab 1800 zur Folge. Zahlreiche Formationen und Genres bedienen sich heute der Klarinette und machen diese zu einem der vielfältigsten Instrumente. Unabdinglich ist die Klarinette im Blasorchester, in dem eine große Anzahl des Holzblasinstruments die hohen und mittleren Streicher eines symphonischen Orchesters „ersetzt“. In der Kammermusik kommt kaum eine Bläserformation ohne Klarinette

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

DIE KLARINETTE IM HAUS DER REGIONEN

——————————————————— Fr, 28. 9. 2012, 19.30 Uhr Aufgspuit: Rot-Weiß-Blau-Musi & Die Picksiaßn Hözln Fr, 12. 10. 2012, 19.30 Uhr Für’s Gmüat: Goiserer Klarinettenmusi Kombi-Karte für beide Konzerte (VVK): Kat. I: EUR 25,00 / Kat. II: EUR 21,00 Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 www.volkskultureuropa.org Die Klarinette an NÖ Musikschulen: Interaktive Karte: alle Musikschulen, Standorte und Lehrfächer www.musikschulmanagement.at


Chorszene Niederรถsterreich / 14

Klangraum Krems

Dialog der stimmen Einzigartige Hรถrerlebnisse bieten die Konzerte der Chorszene Niederรถsterreich in der Minoritenkirche Krems.

Chorkonzert in der ehemaligen Minoritenkirche in Krems-Stein.

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Chorszene Niederösterreich / 15

… und Junger.Chor.Niederösterreich (Leitung: Oliver Stech).

Mit dabei: Salto Vocale Perchtoldsdorf (Leitung: Johannes Wenk) …

Singen ist beliebt: Mit über 50.000 Chorsängern in rund 1.400 Chören stellt der Chorgesang in Niederösterreich ein flächendeckendes kulturelles und soziales Phänomen dar. Seit bereits über fünf Jahren fördert und koordiniert die Chorszene Niederösterreich erfolgreich Chorinitiativen im Land. „Es ist österreichweit einmalig, dass, wie in Niederösterreich, alle Vokalinitiativen und Chöre eine gemeinsame Plattform bekommen. Durch die effiziente und professionelle Arbeitsweise der Chorszene Niederösterreich wird es möglich, Interessen zu bündeln und die Qualität des Chorwesens in den Vordergrund zu rücken“, so Prof. Erwin Ortner, der Vorsitzende des Chorsenats der Chorszene Niederösterreich.

Frauenstimmen oder von großen und kleinen Ensembles war und ist ein beliebtes kompositorisches Mittel. Der dadurch entstehende Dialog findet häufig gegen Ende des Stückes wieder zu einem gemeinschaftlichen Chorklang, in dem die Stimmen gemeinsam, Hand in Hand zur großen Schlusswirkung kadenzieren.

Mehrchörigkeit

Mit dabei sind diesmal der Junge.Chor. Niederösterreich (Auswahlchor der Niederösterreichischen Jugendsingwoche Großrußbach 2012), die Domkantorei St. Pölten, Vocapella Strasshof, das J. Matthias Hauer Vokalensemble, der Kammerchor Salto Vocale Perchtoldsdorf und der Projektchor.szene Nö. Als Intendant des Abends fungiert auch heuer wieder Gottfried Zawichowski: „Als Koordinatoren der Chorszene Niederösterreich ist es Heinz Ferlesch und mir neben der öffentlichen Aufmerksamkeit vor allem auch das Treffen und Vernetzen der Chöre untereinander bei einer Veranstaltung wie dieser wichtig.“ Das Publikum darf sich auf ein beeindruckendes Ton-Licht-Gesamtkunstwerk freuen.

Das Herbstkonzert der Chorszene Niederösterreich stellt hierbei jährlich einen musikalischen Höhepunkt im Jahresprogramm dar. Werden doch dabei die besten Vokalensembles des Landes eingeladen, ihr Können zu präsentieren. Dieses bereits zur Tradition gewordene Konzert findet heuer am Sonntag, dem 28. Oktober, in der Minoritenkirche Krems-Stein statt. Zu hören ist diesmal mehrchörige Chormusik quer durch die Epochen. Unter Mehrchörigkeit darf man sich eine Musizierpraxis vorstellen, bei der zwei und mehrere Chöre meist räumlich und oft auch nach Stimmen getrennt singen. Dies kann zugleich oder auch abwechselnd geschehen. Durch die räumliche Trennung wird oftmals ein dynamischer Effekt ermöglicht, wie etwa das bewusste Einsetzen des Echos. Aber auch die Gegenüberstellung von Männer- und

Erwarten darf man sich von diesem Konzertabend so einiges: Ausgewählte niederösterreichische Chöre und Ensembles werden die verschiedensten kompositorischen Elemente der Mehrchörigkeit gekonnt hervorstreichen – Mehrchörigkeit aus Vergangenheit und Gegenwart wird an jenem Sonntag im Oktober den Klangraum erfüllen.

Vielstimmig

Reihe „vielstimmig“ präsentiert. Diese exemplarische Tonträgerreihe der Chorszene Niederösterreich hat die Intention, Musik herausragender niederösterreichischer Chöre und Komponisten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Die großartigen Chöre in Niederösterreich sollen stärker von der Bevölkerung wahrgenommen werden – dies war auch einer der Hauptgründe für die Etablierung der Plattform Chorszene Niederösterreich und der CD-Reihe ‚vielstimmig‘“, so Dorli Draxler, die Geschäftsführerin der Chorszene Niederösterreich. / Text: Michaela Zettl Fotos: Gerald Lechner

mehrchörigkeit im klangraum krems

——————————————————— So, 28. 10. 2012, 18.00 Uhr Klangraum Krems / Minoritenkirche Karten: Erwachsene EUR 10,00 Ermäßigt: EUR 7,00 Reservierungen bis Di, 23. 10. 2012 Information / Reservierung Chorszene Niederösterreich 3100 St. Pölten, Neue Herrengasse 10 Tel. 02742 90666 6117 www.chorszenenoe.at

Im Rahmen dieses Abends wird die Aufnahme des Herbstkonzerts 2011 unter dem Motto „Volks.Kunst.Lied“ als achte CD der

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Handwerk / 16

Brandlhof

AUS GUTEM HOLZ Am Handwerksmarkt auf dem Brandlhof zeigen Aussteller Arbeiten aus Holz und lassen sich dabei über die Schulter schauen.

Am Handwerksmarkt am Brandlhof ist die Drechselbank in Betrieb.

In hellen Locken fällt das Holz zu Boden. Die Drechselbank surrt und das Drechseleisen formt das eingespannte Holzstück, als sei es aus Butter. Am Anfang war das Drehen. So könnte die Geschichte der Technik beginnen und somit gehört das Drechseln zu den ältesten Techniken der Menschheit. Als der vorgeschichtliche Mensch seinen Jagdbogen zu Hilfe nahm, indem er die Schnur des Bogens einmal um das sich drehenden Bohrstück

herumschlang und dann am anderen Ende des Bogens wieder befestigte, war der erste mechanische Arbeitsgang erfolgt. Die Drehbewegung macht sich auch der Drechsler zunutze. Obstbaumholz, Ahorn und Esche verarbeitet Harald Fleischmann auf seiner Drechselbank. Besonders lieb sind ihm Goldregen- und Essigbaumhölzer. Der Autodidakt hat schon in der Jugend begonnen, sich für das Handwerk zu interessieren und auf Kursen im In-

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und Ausland das Drechselhandwerk perfektioniert. Schalen und Dosen, Lampenfüße, Tischbeine und Schmuck entstehen in seiner Werkstatt. Durch seine Enkel hat Harald Fleischmann begonnen, mit Kindern zu drechseln. Am Handwerksmarkt haben Kinder die Möglichkeit, auf der Drechselbank kleine Werkstücke herzustellen. Die Laubsäge sägt kein Laub. Laut Wikipedia handelt es sich bei der Laubsäge um eine italienische Erfindung aus dem Jahr 1562, die


Handwerk / 17

Ein Wagenrad entsteht. Foto: Klaus Ableiter

zum Aussägen von Intarsien verwendet wurde. Diese Intarsien waren häufig in Laubform gehalten, wodurch der Name „Laubsäge“ zu erklären ist. Eine andere Erklärung weiß Anton Forster aus Konradsheim bei Waidhofen/Ybbs. Da für die filigranen Arbeiten Brettchen aus Laubholz verwendet werden – z. B. Esche, Nuss, Eiche oder Mahagoni –, wurde die Säge Laubsäge genannt. Die Laubsäge und das Spanholz gehörten zur Grundausstattung der Buben, als diese sich noch nicht elektronischen Spielereien zuwandten. So war es auch bei Anton Forster, der in der Schule mit den Laubsägearbeiten begann. Der pensionierte Eisenbahner konzentriert sich nun ganz auf sein Hobby. Er fertigt Bilderrahmen, Schatullen und auch Hauskapellen an. Dafür verwendet er eigene Entwürfe und alte Vorlagen. „Eigentlich wollte ich nie auf einen Markt fahren“, sagt Forster, „aber dann haben mich Freunde überredet, in Waidhofen auf einem Handwerksmarkt auszustellen. Und so ging es dann weiter.“ Am Brandlhof zeigt er ein weiteres schon fast ausgestorbenes Handwerk – Pergamentpapierarbeiten. Wie viele andere Handwerker arbeitet er auch vor Ort und lässt sich dabei über die Schulter schauen. Seit 1899 ist die Wagnerei in Kaumberg im Besitz der Familie Konrad. Wagnereien stellten Wagen und andere landwirtschaftliche

Geräte her. Die Wagnerei entwickelte sich aus zwei Berufen; der Stellmacher fertigte das Gestell, der Radmacher die Räder. Beim Kutschenbau war der Wagner für die Karosserie zuständig, der Radmacher dagegen fertigte die Räder, deren Herstellung allein vergleichbaren Aufwand und Fachwissen benötigte wie die der Karosserien. Wagnermeister Siegfried Konrad, seit einem Jahr in Pension, hat den Beruf nun zum Hobby gemacht: Er steht in der Werkstatt und fertigt Räder für Kutschen und Scheibtruhen. Er macht Werkzeugstiele jeder Art und Handwagerl, die gerade bei Familien mit kleinen Kindern immer beliebter werden. Am Handwerksmarkt wird er eine Hobelbank aufstellen und vorführen, wie „Speichen geputzt“ werden und aus welchen Teilen sich ein hölzernes Wagenrad zusammensetzt. Franz Höfer, Waldviertler Urgestein in Sachen Initiativen und regionaler Vermarktung, präsentiert am Brandlhof Produkte aus dem Handwerkszentrum Schönbach. Das Korbflechten zählt zu den ältesten nachgewiesenen Handwerken. Die Blütezeit des Korbflechtens war um 1900. Im Waldviertel wurde Korbflechten nie gewerblich betrieben. Jedoch wurde in jedem Haus geflochten. In erster Linie wurden für den Eigenbedarf Schwingen, Erdäpfel- und Wäschekörbe her-

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

Körbe: Handwerksarbeit aus Europa.

gestellt. Die Körbe auf den Märkten kamen großteils aus dem Burgenland. Das Thema Korbflechten nimmt im Handwerkszentrum Schönbach einen breiten Raum ein. Neben Kursen vermitteln Schautafeln und Sammelobjekte viel Fachwissen. Ein Film dokumentiert zusätzlich verschiedene Flechttechniken und die notwendige Wertschätzung gegenüber diesem Handwerk aus österreichischer Sicht. „Das Match bei den Korbflechtern heißt schon lange nicht mehr Österreich gegen Ungarn, sondern Europa gegen China“, so Franz Höfer. Zurzeit entsteht ein einzigartiges Projekt, welches Franz Höfer über ganz Europa spannen will. „faires.handwerk.für. europa“ ist der Projekttitel und hat mit dem Zusammenschluss der Korbflechter inklusive Herkunftszertifizierung für Körbe im August 2011 begonnen. /

HANDWERKSMARKT IM BRANDLHOF

——————————————————— So, 7. 10. 2012, 10.00–18.00 Uhr 3710 Ziersdorf, Radlbrunn 24 Tel. 02956 81222 www.volkskulturnoe.at./brandlhof


Good Old Europe / 18

Haus der Regionen

BRÜCKENSCHLAG Zwei Konzerte im Haus der Regionen zeigen, wie Volksmusik vor dem Begriff Volksmusik geklungen hat, und spüren dem Einfluss der Volksmusik als Inspirationsquelle für Komponisten nach.

Schikaneders Jugend. Foto: Bernhard Trebuch

Emanuel Schikaneder, bekannt als Theaterdirektor und Librettist der „Zauberflöte“, zog in seiner Jugend als Lyrant umher. Mit diesem Begriff bezeichnete man wandernde Musikanten, die sich ihren Lebensunterhalt bei Hochzeiten, Kirtagen und anderen Anlässen verdienten. Die historische Aufführungspraxis hat sich in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich auf die höfische und geistliche Musik konzentriert. Schikanders Jugend erweckt nun auch die Musik der „gemeinen“ Leute dieser Zeit zu neuem Leben. Ausgangspunkte sind einerseits die intensive Beschäftigung mit der traditionellen Musik Europas sowie die historische Volks- und Instrumentenkunde. Es überrascht, wie ungemein kunstvoll, vielseitig, wandelbar und vor allem europaweit verbindend die Volksmusik vor 1800 war. Darin liegt auch das Ziel des Ensembles begründet, festgefahrene Klischees aufzuheben. Der Zauber dieser Musik, die sich zum Teil in frühklassischen Kompositionen

widerspiegelt und auch teilweise an die heutige Volksmusik europäischer Randregionen wie dem Balkan, der Bretagne oder dem Baltikum erinnert, wird wiederbelebt. Ungeachtet der unterschiedlichen musikalischen Herkunft der drei Musiker – von Alter Musik über europäische Volksmusik bis hin zur Weltmusik – war das gemeinsame Interesse an der historischen Musizierweise der Grundstein für die Entstehung von Schikaneders Jugend mit Andreas Helm (Schalmei), Albin Paulus (Bock, Maultrommel, Schäferpfeife) und Simon Wascher (Drehleier).

Wien in einem Projekt aufgegriffen. Ausgangspunkt für das Programm sind von Volksweisen und Volkspoesie angeregte Liedkompositionen von Johannes Brahms, Benjamin Britten, Bohuslav Martinů, Maurice Ravel und Francis Poulenc. „Ravel hat sich von griechischen Melodien inspirieren lassen, Poulenc polnische Volksgedichte vertont“, so Judith Kopecky, „weil einerseits das Interesse da war und andererseits hat z.B. Francis Poulenc oft eine polnische Sängerin begleitet.“ Mit Instrumentalstücken in unterschiedlicher Besetzung wird den musikalischen Traditionen nachgespürt und deren Einfluss auf die Komponisten nachvollziehbar gemacht. Außerdem wird durch diese Konfrontation die kompositorische Verarbeitung von Volksweisen und volksmusikalischen Elementen verdeutlicht. /

good old europe

——————————————————— Fr, 2. 11. 2012, 19.30 Uhr Schikaneders Jugend – Popmusik zu Haydns Zeiten Fr, 16. 11. 2012, 19.30 Uhr Roots – von der Volksweise zum Kunstlied Kat. I: VVK: EUR 14,00, AK: EUR 16,00 Kat. II: VVK: EUR 12,00, AK: EUR 14,00

Musikrundschau

Kombi-Karte für beide Konzerte (VVK): Kat. I: EUR 25,00 / Kat. II: EUR 21,00

Volksmusik als Inspirationsquelle für Komponisten ist in zahlreichen musikalischen Epochen und Stilrichtungen auf vielfältige Art und Weise gegenwärtig. Musiker und Volksmusikforscher Rudi Pietsch und die ausgebildete Sängerin Judith Kopecky haben dieses Thema gemeinsam mit Studenten der Universität für Musik und darstellende Kunst

Tipp: Genießen Sie vor dem Konzert ein dreigängiges Menü im Restaurant LATESTEIN inklusive Konzerteintritt um insgesamt EUR 32,00.

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Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 ticket@volkskultureuropa.org www.volkskultureuropa.org


Weinviertel / 19

Kürbis

RUND UND G’SUND Kürbisse liegen wie freundlich schimmernde Bäuche auf der Erde und überrollen Österreich kulinarisch, dekorativ und in bunter Vielfalt.

Er greift sich gut an: kühl, trocken, glatt, aber nicht ohne Struktur. Der Kürbis ist eine haptische Frucht. Das mag für den Landwirt Günther Trautenberger von Bedeutung gewesen sein, als er vor einigen Jahren den Kürbis entdeckte. So wie er die Erdäpfel mag, die fest und schwer in der Hand liegen, ist auch der Kürbis eine Frucht, an der es sich gut festhalten lässt. Heute beliefert er von Waschbach aus – einem kleinen Dorf an der klimatischen und ideellen Grenze zwischen Wein- und Waldviertel – ganz Österreich mit Speisekürbissen. „Eingeborene verwendeten ausgehöhlte, getrocknete Kürbisse zum Ausschöpfen ihrer gekenterten Einbäume“, so sah Columbus

erstmals einen Kürbis, als er am 13. Oktober 1492 auf der Insel San Salvador landete. Der Kürbis zählte für die Völker Nord- und Südamerikas zu den Grundnahrungsmitteln, lange vor Mais und Bohnen. Die „Drei Schwestern“ werden Kürbis, Mais und Bohnen in manchen Legenden genannt und bieten in ihrer Kombination eine ausgewogene Ernährung und ein Nahrungsmittel, das sich gut und lange lagern lässt. Die „Drei Schwestern“ wuchsen in Mischkulturen: Am Mais rankten die Bohnen und dazwischen schlängelte sich der Kürbis.

Flaschenkürbis, der weniger dem Verzehr dient, sondern ein Allround-Haushaltsgegenstand ist: Karaffe, Kochtopf, Löffel, Musikinstrument, Schwimmflügel und als Boje zum Auslegen von Fischnetzen. Als Kochtopf wurden große Exemplare genommen, erhitzte Steine gemeinsam mit den Zutaten und Wasser in das Gefäß gegeben und so zum Kochen gebracht. Eine mögliche Theorie besagt, dass sich in Afrika die Technik der Keramik erst später entwickelte, da der Flaschenkürbis oder die Kalebasse in vielen Formen zur Verfügung standen.

Schon vor Columbus und der Entdeckung der Neuen Welt war in Europa der Kürbis bekannt. Mit Pilgern kam der afrikanische

Neben dem Nutzwert, den die Kalebasse hatte, wird sie mit Ritzungen zu einem Kunstund Kultgegenstand. So sind etwa auf Kürbis-

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012


Weinviertel / 20

Damen und Herren aus der Gegend um Retz.

Hokkaido – der beliebte Kürbis aus Japan.

sen in Mittelamerika sowie auf Kalebassen aus Nigeria die Schöpfungsmythologien der Menschheit eingeritzt. Auch Landwirt Günther Trautenberger weiß von seiner persönlichen Schöpfungsgeschichte zu erzählen. Zum Plutzer kam er wie die Jungfrau zum Kind. Als Chef der örtlichen Musikkapelle wurde er beauftragt, ein Kürbisfest in der aufstrebenden Kürbis-Region des „Retzer Landes“ zu organisieren. Da begann er, die Landwirte seines Ortes dazu zu überreden, ein paar Kürbisse anzubauen. „Lang hat’s gedauert, bis die Arbeiter so weit waren, den Kürbis wie ein Ei anzufassen“, erzählt Trautenberger. Denn so robust die Frucht aussieht, so zart will sie behandelt werden, wenn sie über Monate halten soll. Vor allem bekommt es ihr nicht gut, sie am Stängel zu nehmen. Reißt dieser aus, verdirbt sie innerhalb weniger Tage.

Sweet Mama & Black Prince In der Lagerhalle stapeln sich Hunderte von Containern mit leuchtend orangen, grün

gesprenkelten, milchig weißen, gelbgestreiften Früchten. Der Spaghettikürbis wird gerade eingeholt, dann folgt die Ernte von Sunburst, Table Ace und Hokkaido. Zum Schluss kommt der Schnitzkürbis, der nächtens in den Vorgärten leuchtet und Halloween nach Europa brachte. Die orange Kugel, die für den Verzehr kaum geeignet ist, hält sich im Gegensatz zu den Speisekürbissen nur wenige Wochen. Trautenberger liefert den Halloweenkürbis gleich mit einer originell gezeichneten Schnitzanleitung und einem Teelicht ins Regal. Den Konsument will er mit dem Kürbis nicht alleine lassen. „Er schaut ihn an, findet ihn schön und weiß nichts damit anzufangen“, hat der Landwirt schnell seine Erfahrung gemacht. Und so kleben auf jedem seiner Speisekürbisse ein Rezeptvorschlag und Nährwertangaben. Seine Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche klimatische Zonen und seine einfachen Züchtungsmodalitäten verhalfen der Kürbisfrucht zu einer unüberblickbaren Vielfalt. 800 Sorten von Speise-, Öl-, Futter- und Zierkürbissen sind bekannt. Aus Russland stammt

Kürbisfest in Retz.

der dunkelgraue Krasnodar, aus Japan der Hokkaido, aus China der Spaghettikürbis, aus Italien die Zucchini – ein Sommerkürbis ebenso wie der UFO-förmige Pattison. Die Gattung der Curcurbitaceae teilt sich in mehrere Arten – den Gartenkürbis (Curcurbita pepo), den Riesenkürbis (Curcurbita maxima), den Moschuskürbis (Curcubita moschata) und in den Feigenblattkürbis (Curcurbita ficifolia). „Türkisch Cucumer“ wird der Kürbis in einem Kräuterbuch aus dem 16. Jahrhundert genannt. Alles was fremd war und aus Übersee kam, wurde als „türkisch“ bezeichnet. In Österreich findet sich im Grazer Landesarchiv ein Speiseplan von der Eggenberger Stiftsschule. Am 16. Januar 1596 gab es „Kabaß“ (Kürbis) mit „Hienner, Vögl, Pasteten, Turten und Ruben“. Wahrscheinlich kein Zufall, dass sich dieses älteste Dokument über den heimischen Kürbisverzehr ausgerechnet in der Steiermark befindet. Die Heimat des schwarzgrünen Kürbiskernöls war lange Zeit die Hochburg der Frucht, bis vor 25 Jahren auch Niederösterreich und allen voran die


Weinviertel / 21

Ordentlich gekämmte Kürbisfelder vor der Ernte.

Erntedankfest in Göllersdorf.

Region um Retz den Kürbis (wieder)entdeckte. „Der Wein wird zum Überleben zu wenig sein“, sagten die Landwirte, und mittlerweile beträgt alleine die jährliche Wertschöpfung des Kürbisfestes im Retzer Land etwa 500.000 Euro bei etwa 20.000 Besuchern. Um Retz werden 1.200 Hektar Kürbis kultiviert, davon sind 25 Prozent biologischer Landbau. Der Großteil sind Ölkürbisse der Züchtung „Retzer Gold“, nur drei Prozent der Anbaufläche gehören dem Speisekürbis.

Wie der Arm eines Riesen Der steirische Ölkürbis wird seit etwa 100 Jahren angebaut, die Ernte erfolgte bis noch vor 30 Jahren händisch, so wie der Plutzer mit dem Messer gespalten und die Kerne zum Trocknen herausgenommen wurde. Erfindungsreichtum und die Zusammenarbeit mit Handwerkern haben Schritt um Schritt Maschinen entwickelt. So fuhr über die Äcker vorerst ein umfunktionierter Schneepflug, der die Kürbisse in eine Reihe brachte, bevor

Alljährlich wird das Kürbisfest ...

... in Zellerndorf gefeiert.

die Pick-up-Maschinen zum Einsatz kamen und es nun möglich ist, einen Hektar pro Tag zu ernten. Der Kürbis als leuchtende Fratze und als dekoratives Stillleben in herbstlichen Arrangements hat es leichter angenommen zu werden als der gesunde Speisekürbis. Vielleicht auch deshalb, weil der Kürbis lange Zeit als Arme-Leute-Essen und als Tiernahrung galt. 1773 gab die Hofkanzlei den Hungerleidenden in der Steiermark Ratschläge über Anbau und Verwendung von Kürbissen sowie Rezepte für Kürbisbrot. Die Vielfalt im Geschmack wird von der Form weit übertroffen. Warzenhäutig, turbanförmig, gerillt und getüpfelt, groß wie der Arm eines Riesen, klein wie die Faust eines Babys, exzentrisch wie ein UFO, grotesk gekrümmt und rund wie ein Bauch – er liegt gut in der Hand und lässt einen nicht mehr los. / Text: Mella Waldstein Fotos: Barbara Krobath

KÜRBISFESTE IM RETZER LAND

——————————————————— Fr, 26.–So, 28. 10. 2012, jeweils ab 11.00 Uhr 2074 Unterretzbach Sa, 27. 10. 2012, ab 11.00 Uhr 2051 Zellerndorf „Kellergasse Maulavern“ Kürbisspezialitäten, Kunsthandwerk, Traubenmostbrunnen, Weinerlebnis; Gaukler und Musikanten ziehen durch die Kellergasse www.kuerbisfest.at


Orgel trifft Volksmusik / 22

Mostviertel

alle register In der Reihe „Hast du Töne“ trifft die Orgel auf Volksmusik: ein besonderes Konzerterlebnis im Schloss Atzenbrugg.

artigen Instrument stark nach, bis es schließlich in der Zeit der Romantik einen dritten Höhepunkt erlebte. Seit 2010 präsentiert die Volkskultur Niederösterreich gemeinsam mit der Marktgemeinde Atzenbrugg ein musikalisch viel versprechendes Konzerterlebnis im Rahmen der Schubertiade in Schloss Atzenbrugg: Orgel trifft Volksmusik in der Reihe „Hast du Töne?“ mit wechselnden Musikern. Elisabeth Deutsch an der Orgel, der Familiendreigesang Knöpfl und die Hinterbrühler Stubenmusi gestalten das Konzert, das einen Querschnitt durch die Schubertzeit und Romantik, verschränkt mit Volksmusik, vermittelt.

Schlosskapelle Atzenbrugg

Elisabeth Deutsch an der Orgel.

Die Orgel der Schlosskapelle in Atzenbrugg.

Die Orgel als Instrument, das alle Register eines Orchesters abdecken kann, wird deshalb auch die Königin der Instrumente genannt. Die Orgel ist Blas- und Tasteninstrument zugleich. Zur Erzeugung eines Tones ist zunächst komprimierte Luft erforderlich, die die Pfeifen zum Klingen bringt. Diese komprimierte Luft wird im Orgelbau als „Wind“ bezeichnet. Während früher dazu die Hilfe von Bälgetretern nötig war, wird der Orgelwind heute durch einen elektrisch betriebenen Windmotor hergestellt. Orgeln sind seit der Antike bekannt und haben sich besonders im Barock und zur Zeit der Romantik zu ihrer heutigen Form entwickelt. Pfeifenorgeln, wie sie fast nur in Kirchen vor-

Familiendreigesang Knöpf l. Foto: z.V.g.

kommen, können auf eine über 1.000 Jahre alte Geschichte zurückblicken und sind wohl die komplexesten, am schwierigsten zu bauenden und auch teuersten Instrumente, die es gibt. Wir finden Orgeln in unterschiedlichen Ausführungen und Größen meist in Kirchen, aber auch in Konzertsälen und Privathäusern (Hausorgel). Die älteste, schriftlich überlieferte Orgelmusik stammt aus der Zeit um 1350. Im 16. Jahrhundert erlebte sie ihre erste Blütezeit, die Epoche des Barock brachte eine Entwicklung vielfältiger und unterschiedlicher Orgelwerke hervor. Mitte des 18. Jahrhunderts ließ das Interesse an diesem groß-

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

Die Barockorgel der Schlosskapelle Atzenbrugg aus der Zeit Franz Schuberts wurde etwa 1820 für die Kapelle im alten AKH Wien gebaut. Es dürfte sich um eine „Deutschmann“Orgel handeln, wie nach Stil und Bauweise angenommen wird. 1971 wurde sie aus Platzmangel im AKH in die Kirche von Wolfsgraben gebracht und neu aufgestellt. Ende 2007 wurde diese Orgel wegen einer Neuanschaffung in Wolfsgraben abgebaut und kam 2008 in die Schlosskapelle Atzenbrugg. Restaurator Franz Hobl aus Neulengbach und Orgelbaumeister Robert Niemeczek haben den Einbau baulich und technisch durchgeführt. Das gesamte Werk inklusive Gehäuse wurde abgebaut, in der Werkstatt komplett zerlegt und gründlich restauriert. Falsche Register wurden entfernt und die Pedalklaviatur nach Deutschmann-Vorlagen rekonstruiert. Die Orgel erstrahlt nun wieder in neuem Glanz. / Text: Claudia Lueger

HAST DU TÖNE? ORGEL TRIFFT VOLKSMUSIK

——————————————————— So, 7. 10. 2012, 16.00 Uhr Schlosskapelle 3452 Atzenbrugg, Schlossplatz 1 Tel. 02275 5234 (Gemeinde Atzenbrugg) gemeinde@atzenbrugg.gv.at www.atzenbrugg.at


Musikschule / 23

Mostviertel

JUNGE MUSIKANTEN In Waidhofen an der Ybbs zeigt Johannes Lagler, wie die Arbeit in Musikschulen zu regionaler Kulturarbeit wird.

Musikschüler mit Johannes Lagler (r.), Musiker und Fachgruppenkoordinator für Volksmusik beim Musikschulmanagement Niederösterreich.

Musikschulen bilden den musikalischen Nachwuchs aus und liefern somit die Grundlage für alles musische Schaffen. Ihre Einbindung in das regionale Kulturnetzwerk bereichert das regionale Kulturleben und erzeugt damit einen Mehrwert für den Ort. Einer, der als Beispiel vorangeht und zum Erhalt einer vielfältigen Kulturlandschaft beiträgt, ist Johannes Lagler. Denn Musikschule bedeutet für ihn nicht nur „sinnvolle Freizeitbeschäftigung“. Die Schüler werden im Unterricht auf die Anforderungen in diversen Musikvereinen, Orchestern oder zum Musizieren in Ensembles vorbereitet. Ziel ist es, Schüler auch außerhalb der Musikschule zum

Musizieren motivieren zu können: Jugendliche werden aktiv in Vereine und Gemeinschaften integriert. Johannes Lagler, selbst aktives Mitglied bei der Trachtenkapelle Windhag und Mitglied im Volkskulturverein Stadt.Land.Leben, wirkt in den verschiedensten Volksmusikensembles wie der NiglHoga Stubnmusi oder dem Ensemble Hausmannskost mit.

Authentisches Umfeld Überregionales Engagement zeigt Johannes Lagler als Fachgruppenkoordinator für Volksmusik beim Musikschulmanagement Niederösterreich. Seit 2010 steht er in dieser

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

Funktion Niederösterreichs Musikschullehrern und -leitern als Ansprechpartner im Bereich Volksmusik zur Verfügung, konzipiert und betreut Fortbildungen und gestaltet landesweite Entwicklungen mit. Als Musiker sowie als Lehrer ist ihm wichtig, die eigene Erfahrung und Freude an der Musik weiterzugeben. Einmal im Monat veranstaltet er aus diesem Grund gemeinsam mit Schülern des Musikschulverbands Waidhofen/Ybbstal einen öffentlichen Sänger- und Musikantenstammtisch im Gasthaus Ybbstalbräu: das lasse die Jugendlichen spontanes Musizieren erleben, Auftrittserfahrung wird gesammelt und der Gemeinschaftssinn innerhalb der Musikschulklasse gestärkt; außerdem könne in einem authentischen Umfeld musiziert werden. Tanzmusik, Volkstanz, Jodeln oder Gstanzlsingen – seine Schüler sollen die Vielfältigkeit der alpenländischen Volksmusik kennenlernen, der Spaß steht dabei im Vordergrund. Das Volksmusikkonzert „Junge Musikanten – spielt’s auf!“ stellt mittlerweile einen fixen Bestandteil im Musikschuljahr dar. Der Volksmusikabend wird gestaltet von Ensembles des Musikschulverbandes und Gastensembles aus anderen Musikschulen und dient vor allem der Vernetzung und dem Sammeln von Bühnenerfahrung. Im Idealfall entstehen durch Initiativen wie diese Volksmusikgruppen, die über die Musikschule hinaus noch weiter musizieren und öffentlich auftreten. In jedem Fall aber sind alle Beteiligten Teil des regionalen Kulturlebens und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt und der Entwicklung der Kulturlandschaft. / Text: Katharina Heger Foto: Bernard Karoh

JUNGE MUSIKANTEN – SPIELT’S AUF

——————————————————— Sa, 10. 11. 2012, 19.00 Uhr Plenkersaal 3340 Waidhofen an der Ybbs, Plenkerstraße 8a Tel. 07442 55455 msv-waidhofen-ybbstal.at


Bücher, CDs & feine Ware / 24

Auslage

heimat trotz alledem

der kamp

—————————————————————— Johann Scheiber: Der Kamp ... eine gemeinsame Reise Verlag Bibliothek der Provinz ISBN 978-3-99028-065-2 www.bibliothekderprovinz.at „Kamb“ ist das keltische Wort für krumm. Krumm sind die Schlingen des jungen Kamps im oberen Waldviertel, wo sich der Fluss seinen Weg zwischen weichen Wiesen und harten Granitblöcken sucht. Im Mittellauf formt er ein charaktervolles Tal, im Unterlauf, satt und breit, treibt das Wasser große Mühlen an. Der Fotograf Johann Scheiber hat den Fluss, der das gesamte Spektrum Waldviertler Landschaften durchfließt, ein Jahr lang begleitet: im Frühjahr vom Ursprung bei Karlstift (auf der oberösterreichischen Seite) bis nach Roiten, im Sommer von Zwettl bis Krumau, im Herbst vom Thurnberger Stausee bis Plank und im Winter von Altenhof bis Altenwörth. Es finden sich Bilder von poetischer Kraft, aber auch komische Momentaufnahmen. Seine Liebe zu Schildern aller Art hätte er ein bisschen hintanhalten können, dafür vermissen wir so manche Bildlegende, die uns zu den schönen Plätzen entlang des Kamps leiten könnte. Der begleitende Text ist der persönliche Reisebericht des Fotografen Johann Schreiber. /

—————————————————————— Johannes Kammerstätter: Unsere jüdischen Landsleute und ihr tragbares Vaterland Band 1–3 papercomm verlag ISBN 978-3-9503322-0-9 www.tragbaresvaterland.at Es begann am jüdischen Friedhof von Göttsbach bei Ybbs. Dr. Johannes Kammerstätter richtete gemeinsam mit den Schülern des Francisco-Josephinum in Wieselburg die umgestürzten Grabsteine auf und setzte den vergessenen Friedhof instand. Aus den in Stein gemeißelten Namen wurden Lebensgeschichten – vom Erlaufufer bis zum Hudson River, von Kilb bis Mauritius, vom Mostviertel in die Welt und wieder retour. Kammerstätter hat in akribischer jahrelanger Recherche die Schicksale jüdischer Familien im Mostviertel erforscht. Drei Bände des „Tragbaren Vaterlandes“ sind das Alterswerk des pensionierten Lehrers. Im ersten Band dokumentiert er die Geschichte des Mostviertels aus Sicht der jüdischen Bevölkerung, im zweiten Band stellt er die Familiengeschichte von Abel aus Münichreith bis Zimmermann aus Ybbs vor. Feuerwehrmänner und Mundartdichter, Mitglieder im Musikverein – das alles dokumentiert die Verwurzelung der jüdischen Bevölkerung in der Region vor dem Nationalsozialismus. Im dritten Band stellt er Texte vor: Mundartgedichte und Fluchtberichte, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen. Fotografien und Faksimiles, Zeitungsausschnitte und Zeichnungen illustrieren das Gesamtwerk mit rund 1.000 Seiten. /

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

umzäunung & Begrenzung

—————————————————————— Wilhelm Berger, Werner Koroschitz, Gerhard Pilgram: Über die Zäune Universitätskulturzentrum UNIKUM ISBN 978-3-85435-648-6 www.unikum.ac.at Das Autorenteam der Wander-Reise-Lesebücher widmet sich diesmal dem scheinbar banalen Thema der Umzäunung und Begrenzung: Während Wilhelm Berger die philosophischen und politischen Aspekte ausleuchtet und Werner Koroschitz die zeitgeschichtlichen sowie alltagskulturellen Dimensionen erörtert, bringt Gerhard Pilgram die Ästhetik des Zaunes mittels Farbfotografien zur Darstellung. Schwerpunkt sind verschiedenste Garten- und Weidezäune im Dreiländereck von Kärnten, Slowenien und Friaul, die sich durch eine besonders reizvolle Mischung der Stile und Materialien auszeichnen. /


Bücher, CDs & feine Ware / 25

Federspiel großgeschrieben. 2005 haben sich sieben junge Musiker zum Ensemble Federspiel zusammengeschlossen. Volksmusik aus Österreich, seinen Nachbarländern und auch darüber hinaus ist der Ausgangspunkt ihrer Musik. Die Melodien werden bearbeitet, dienen als Vorlage zur Improvisation und lassen sie neu erklingen. Humor und Selbstironie kommen dabei nicht zu kurz, wie ihre neue CD „Unerhört BUMM!“ beweist. /

ur-wienerisch

die welt des islams

—————————————————————— Susanne Heine, Rüdiger Lohlker, Richard Potz: Muslime in Österreich Verlag Tyrolia ISBN 978-3-7022-3025-9 www.tyrolia-verlag.at 1912 – also vor 100 Jahren – wurde in Österreich der Islam als Religionsgemeinschaft anerkannt. Anlass dafür war die Annexion Bosnien-Herzegowinas im Jahre 1908. Die Autoren haben dieses Datum zum Anlass genommen, eine Grundlage für den interkulturellen Dialog zu verfassen. Das Buch holt weit aus und beginnt bei den mittelalterlichen Kontakten und Konflikten zwischen Morgenund Abendland. Es beschreibt Kulturtransfer im 17. und 18. Jahrhundert und die Eingliederung Bosniens in den modernen Verwaltungsapparat des k. u. k. Staatswesens. In kurzen und gut lesbaren Kapiteln führen die Autoren durch die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, beschreiben Situationen am Arbeitsplatz, in den Schulen und Familien. Sie nehmen sachlich und unaufgeregt der Kopftuch-Debatte den Wind aus den Segeln, durchleuchten die Schlagwörter Parallelgesellschaft und Islamophobie. Das Buch erklärt das System der Islamic Finance ebenso wie Speisegebote. Die Entstehung des Islams wird in einem etwas kurz geratenen Kapitel vom vorislamischen Arabien bis zu „Identität und Radikalisierung“ abgehandelt. Ein Schwerpunkt des Buches sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der christlichen und der muslimischen Religionen. Insgesamt plädiert das Buch „für eine neue Kultur des genauen Hinsehens“. /

—————————————————————— Andrea Eckert, Bela Koreny u. a.: Hermann Leopoldi – live aus dem Wiener Konzerthaus Erhältlich beim Wiener Volksliedwerk, im ORF-Shop und im guten Fachhandel „Sagen S’ Herr Kohn, wann kommen S’ z’rück?“ Der „Klavierkabarettist“ und Komponist Hermann Leopoldi (1888–1958) war Kosmopolit und zugleich Ur-Wiener. Er parodierte das Genre Wienerlied und schuf doch sentimentale Klassiker wie „In einem kleinen Café in Hernals“ und „I bin a stiller Zecher“. Andrea Eckert, Traude Holzer, Cornelius Obonya und Heinz Zednik, begleitet von Peter Havlicek, Roland Sulzer und Bela Koreny, zeigen in diesem Konzertmitschnitt, wie zeitlos, wie unterhaltsam, wie aktuell die Lieder des Hermann Leopoldi klingen, wenn sie kongenial interpretiert werden. /

Karierter Klassiker

—————————————————————— Galerie der Regionen
 Mo–Mi, Fr, 14.30–18.00 Uhr
 Do, 14.30–19.00 Uhr
 Sa, 10.00–12.00 und 13.00–17.00 Uhr und bei Abendveranstaltungen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 www.volkskultureuropa.org/galerie Ein Klassiker in der Galerie der Regionen ist die rot-, blau-, grün- oder gelbgewürfelte Tischwäsche aus Zwillich. Das für das Mühlviertel (und nicht nur dort) typische Würfelmuster findet sich ursprünglich in blau und rot auf Handtüchern. Die Mühlviertler Weberei Kitzmüller hat das Muster aufgenommen und stellt Tischwäsche, aber auch Meterware, Geschirrtücher, Handtücher und Schürzen her.

mit humor

—————————————————————— Federspiel Unerhört BUMM! Erhältlich bei Feder-Records, Hoanzl www.hoanzl.at Kreativität, Spontaneität und Spielwitz werden von den Mitgliedern des Bläserensembles

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

Der Zwillich-Stoff ist besonders robust, da er mit zweifachen Faden (rot/weiß, grün/ weiß, blau/weiß etc.) gewebt wird. Zwillich ist in Köperbindung gewebt, die eine der drei Grundbindungsarten für gewebte Stoffe ist. Köperbindungen sind am schräg verlaufenden Grat zu erkennen. Das bekannteste Gewebe in Köperbindung ist der Denim, der blauweiße Jeansstoff. / www.kitzmueller.at


Kulturgut / 26

Industrieviertel

in helldunkler ferne Wanderungen allenthalben. Der Herbst ist die groĂ&#x;e Zeit des Wienerwaldes und die Belohnung jeder Wanderung ist ein Ausblick: Die Wienerwald-Warten bieten Fernblicke von den Alpen bis zu den Karpaten.

Die Araburg bei Kaumberg.

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012


Kulturgut / 27

Aussichtswarte Harzberg bei Bad Vöslau

Die Berge wölben sich rund und wohlgeformt, die Buchen lodern gelb und rot. Sonntag ist’s im Wienerwald und hunderte Wirtsfrauen holen duftende Milchrahmstrudel aus dem Backrohr. Oberkellner granteln geschäftstüchtig. Kinder und Großmütter werden ausgelüftet. Zahlreiche Bankerln laden zur Rast, gut gelungenes Gemäuer und pittoreske Ausblicke zur gefälligen Bewunderung. „In helldunkler Ferne“, schrieb der Pädagoge und Wanderer Franz Anton de Paula Gaheis (1763–1809), „über hundert mannigfach beleuchtete Hügel hin sahen wir unter einem Heer leichter Wolken aus Steyermark herüber den bläulichen Schneeberg mit seinen glänzenden Schneemassen.“ Der biedermeierliche Rückzug aus dem öffentlichen und politischen Leben war gleichzeitig eine Hinwendung zur Schönheit der Natur und eine Eroberung der Landschaft. Der Schuldirektor Gaheis war der Erste, der auf den neuen Trend reagierte und um 1800 eine Beschreibung von Ausflügen mit praktischen Hinweisen verfasste.

Keine Eroberung – auch keine friedliche – kommt ohne strategische Plätze aus. Markante Ausblicke waren die Feldherrenhügel des Bürgertums. Die ersten Aussichtswarten waren Holzleitern, die ab den 1880er Jahren durch Steinbauten ersetzt wurden. Zu den ältesten Ausblickshilfen gehört die 27 Meter hohe Habsburgwarte am Hermannskogel (542 m). An der Grenze von Wien zu Niederösterreich gelegen, markiert sie den höchsten Punkt der Hauptstadt. 1888 ließ der Österreichische Touristenklub den neuromanischen Turm errichten, die Warte galt bis 1918 als Fundmentalpunkt der k. k. Monarchie. Ein Fundamentalpunkt ist der Koordinatenursprung für die Landvermessung und somit war die Warte der Ausgangspunkt der österreichisch-ungarischen Landvermessung. Die gesamte Monarchie konnte man von hier aus nicht überblicken, aber der Blick reicht über Wien bis in die Slowakei. Ab 1938 musste der Aussichtsturm auf Hermannskogelwarte unbenannt werden, er hieß so, bis er 1974 wieder offiziell den Namen Habsburgwarte erhielt.

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Über die Linien Dass die ausgedehnten Wälder am Rande der Großstadt erhalten blieben, verdanken sie mehreren glücklichen Umständen. Zum einen der Unwegsamkeit des Geländes. Zum anderen der Jagdleidenschaft der Habsburger, die gerne vor den Toren der Residenz auf Pirsch gingen. Weiters der romantischen Ader unserer Vorfahren, die den Wienerwald zur Sonntagslandschaft formten. Und nicht zuletzt dem Journalisten des „Wiener Tagblatt“: Josef Schöffel. Durch seine dramatischen Berichte entging der Wienerwald im Jahre 1870 dem Schicksal der Privatisierung – denn der Staat wollte durch Abholzungen bequem Schulden zahlen. Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts ging vorerst nur „über die Linien“ nach Döbling, Dornbach oder Hietzing. Eine Fahrt nach Baden dauerte damals gute drei Stunden, für eine Wanderung in die dunklen Wälder rund um Hütteldorf empfahl es sich, einen kundigen Führer mitzunehmen. Eine Besteigung des Anningers glich einer Expedition, die man zum Zwecke naturwissenschaftlicher


Kulturgut / 28

Die Habsburgwarte am Hermannskogel.

Studien, wie dem Fangen von Schmetterlingen, antrat. Auch der Tulbinger Kogel (494 m) wurde mit Hilfe von ortskundigen Holzfällern erwandert. Zu Adalbert Stifters Zeiten (1805–1868) stand am Gipfelplateau eine hölzerne Leiter und der Dichter sah über das Waldgewoge hinweg die Sonne in den Fenstern des Stiftes Göttweig funkeln. Die in Stahlbetonweise gebaute Aussichtswarte am Tulbinger Kogel wurde nach einem Entwurf des Architekten Clemens Holzmeister 1966/67 errichtet. Der Aufstieg über eine Spirale führt auf die offene Plattform. Die Warte ist nach dem ersten Bundeskanzler der Zweiten Republik und niederösterreichischen Landeshauptmann Dr. Leopold Figl benannt, der aus dem sich darunter ausbreitenden Tullnerfeld stammt.

Die Leopold-Figl-Warte am Tublinger Kogel.

Man sieht es ihm gar nicht an: Dieser zahme Bergrücken ist die höchste Erhebung des Wienerwaldes. Am Schöpfl (893 m) steht die Franz-Eduard-Matras-Warte. Naturgemäß hat man vom höchsten Punkt der Umgebung einen guten Rund- und Überblick. An klaren Herbsttagen sieht der Wanderer im Süden bis zu den Kalkalpen, im Westen hin zum Ötscher und dem Toten Gebirge, im Norden reicht die Aussicht übers Donautal bis hinüber ins Wein- und Waldviertel und im Osten bis zu den Kleinen Karpaten.

Von Warte zu Warte Die erste Warte am Schöpfl wurde 1865 vom k. k. Forstärar aufgestellt. Der Österreichische Touristenklub errichtete 1897/98 eine neue Warte in Stahlbauweise.

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Gleich drei Aussichtswarten bietet eine Wanderung auf den Anninger (675 m) bei Gumpoldskirchen: von der Klesheimwarte über die Wilhelmswarte am Gipfel des Anningers bis zur Jubiläumswarte am Eschenkogel. Der Gipfel der Gemütlichkeit liegt weiter unten bei der Veiglhütte, wo der Wanderer, aufs Beste gestärkt, viel Aussicht genießt. / Text: Mella Waldstein Fotos: Manfred Horvath


Volksmusik / 29

St. Pölten

Waldviertel

Lange Nacht der Volksmusik

LIEDER aus dem waldviertel

Am 3. November führt Hannes Wolfsbauer im Funkhaus in St. Pölten durch die Lange Nacht der Volksmusik.

1986 ahnte man nicht, wie erfolgreich diese volkskulturelle Pionierleistung sein würde: Nun ist die dritte Auflage des Liederbuchs erschienen.

Live aus St. Pölten. Foto: ORF NÖ

Musikalische Fundgrube

„Lange Nächte“ sind in den letzten Jahren immer beliebter geworden und aus dem kulturellen Veranstaltungskalender kaum mehr wegzudenken. Das konkrete Interesse für ein bestimmtes Thema wird geweckt und in einem nächtlichen Veranstaltungsreigen dem Interessierten näher gebracht. So lockt die Lange Nacht der Volksmusik – ein großes Sänger- und Musikantentreffen – seit 2010 viele Besucher in das Foyer des Funkhauses des ORF Niederösterreich. Der ORF überträgt live und von Hannes Wolfsbauer moderiert drei Stunden Musik der besten Volksmusikensembles aus Niederösterreich. Unter anderem werden aus allen Vierteln Niederösterreichs Musikanten ihre Stücke und Lieder präsentieren: Stifta Geigenmusi, Wald ¾ Gsang, Haberg Musi, Schlofhaumbuam, Mostviertler Blechmusikanten, D’strohtroga. Auch die Moderatoren der beliebten Sendung aufhOHRchen auf Radio Niederösterreich werden zu Wort kommen: Walter Deutsch, Dorli Draxler, Norbert Hauer, Edgar Niemeczek und Hans Schagerl. Die Sendung „aufhOHRchen“ ist jeden Dienstag von 20.00 bis 21.00 Uhr auf Radio Niederösterreich zu hören. Sie bringt traditionelle Volksmusik wie neue oder schräge Volksmusik, Musik aus Niederösterreich genauso wie Kostproben aus den Bundesländern und verschiedenen europäischen Regionen, sie präsentiert Anleihen aus klassischer Musik oder Jazz genauso wie die Kultur ethnischer Gruppen. /

Die dritte Auflage der „Lieder aus dem Waldviertel“ wurde im Rahmen von „wieder aufhOHRchen“ 2012 in Pöggstall präsentiert. „Dieses Liedangebot ist das Ergebnis des Aufspürens aller verfügbarer Quellen“, schreibt Volksliedforscher und Ehrenpräsident des Österreichischen Volksliedwerks Walter Deutsch im Vorwort. Das Singbuch ist in Heimat- und Liebeslieder, in Standeslieder, Scherz- und Spottlieder, Gstanzln sowie Wallfahrtlieder und Lieder zu den großen christlichen Festen unterteilt.

In keinem anderen Landesteil werden so viele „Hymnen“ auf die Heimat gesungen wie im Waldviertel. Dieses lobende Besingen der eigenen liebenswerten und waldreichen Region hat durch bekannte und unbekannte Dichter und Komponisten ein vielfärbiges Bild erhalten. Es sind Lieder, die vor allem den Wald preisen, gepaart mit einer Selbstdarstellung des Waldviertler Menschen. Bei den Liebesliedern haben die Lieder übers „Fensterln“ einen großen Anteil und beschreiben teils drastisch, teils mit Wortwitz die Schwierigkeiten der Anbahnung. Ein großer Teil des Singens ist dem Glauben gewidmet. Allein die herausragenden Wallfahrtsorte, wie Maria Dreieichen, Maria Laach am Jauerling und Maria Taferl, sind besondere Orte eines reichen Singens von religiösen Liedern. Das Liederbuch ist für gemischte Chöre eingerichtet und eine musikalische Fundgrube aus dem Waldviertel. Auch außerhalb des chorischen Singens ist der Großteil der Lieder nur mit zwei Stimmen ausführbar. Damit soll spontanes Singen wieder geweckt werden. /

LIEDER AUS DEM WALDVIERTEL

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LANGE NACHT DER VOLKSMUSIK

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Ausgewählt und eingerichtet von Walter Deutsch und Elisabeth Meyer. ISBN 3-901820-19-1

Funkhaus St. Pölten 3109 St. Pölten, Radioplatz 1

Erhältlich im Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 Tel. 02732 85015

und live auf Radio Niederösterreich

www.volkskulturnoe.at schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012


Zeitgeschichte / 30

Forschung

DIE STILLE DRÖHNT Der Verein Arbeitsgruppe Strasshof hat die NS-Geschichte des Ortes erforscht. Ihre Arbeit wird bei den Niederösterreichischen Kulturpreisen 2012 mit dem Anerkennungspreis für Erwachsenenbildung prämiert.

Bruno Axmann (2. v. l.), Arbeitsgruppenmitglied, im Gespräch mit den ältesten Erinnerungswilligen in Strasshof. Foto: z. V. g.

Wir sind in Strasshof im Marchfeld. Ein Gebiet mit besonderen Anforderungen: Die Zeit der Bodenschätze, der Rohöl-Funde ist vorbei, die Bemühungen um industrielle Ansiedlung sind schwierig, der Lößboden des Weinviertels endet hier, die Landwirtschaft leidet am Wasser, dem Boden ist viel Gift zugefügt worden. Strasshof platziert sich jetzt als Schulstadt, die Volks- und Europamittelschule und die Musikschule sind Zentren des Aufbruchs. Gemeinsam mit der Pfarrgemeinschaft des Ortes, dem Chor vocapella, zahlreichen ehrenamtlichen Gruppen wie Pfadfinder oder Freiwillige Feuerwehr arbeitete die Arbeitsgruppe zwei Jahre lang an der Geschichte der NS-Zeit Strasshof, einer Geschichte, die sie weder verursacht noch verschuldet haben, aber die auch ihre Geschichte ist. Die Geschichte ihres Ortes.

Nach eineinhalb Jahren des Recherchierens, Befragens, des Wiederentdeckens und des Ringens um gemeinsam erträgliche Worte stand dieser Text fest und ist nun auf einer Marmortafel neben dem siebensäuligen Erinnerungsmal bei der Bahnunterführung Station Helmahofstraße zu lesen. Das Erinnerungsmal stellt das Abwesende, die unterdrückte NS-Geschichte dar. Es symbolisiert mit sieben Säulen die sieben Konzentrationsund Zwangsarbeitslager, zu deren Füßen auf auseinanderlaufenden Schienen eine Mosaikblume erblüht. Der Tafel-Text ist eine Andeutung dessen, was hier geschah: Strasshof war in den Jahren 1941 bis 1945 eine Drehscheibe der europäischen Geschichte – wobei das Wort Drehscheibe die zentrale Rolle der Bahn in dieser

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

Bei den Workshops für die Aufführung der Klangblüten beim Gedenkakt 2011. Foto: z. V. g.

Geschichte andeutet. Wenn bislang die Anzahl der Opfer ungefähr bekannt war, wenn die Ausmaße der Flächen, in denen den Menschen jedwede Freiheit verwehrt wurde, vorlagen, wenn auch die Transport-Aktivitäten aus der riesigen Bahnanlage geschlossen werden können, so hat es doch 70 Jahre gedauert, bis eine konsequente Aufarbeitung möglich war.

Zwangsarbeitermarkt Die Aufarbeitung führte auf die Spur einer immensen historischen Bedeutsamkeit, einem riesigen Zwangsarbeiter-Markt der NSZeit, einem Menschen-Verteilungszentrum, in dem über vier Jahre lang 30.000 Opfer deportiert und von hier aus weitergekarrt wurden. Strasshof war nicht ungenannt, ein


Zeitgeschichte / 31

paar Zeilen in der Ortschronik wiesen auf ein in der Nazi-Zeit sogenanntes Durchgangslager hin; aber keine Rede von sieben Zwangsarbeitslagern, keine Zeile den 30.000 Opfern gewidmet. Brachland, Wiesen, verfallene neugebaute Gebäude – was angeblich nach 1945 sofort verschwunden war, ist überwachsen, überbaut, ungesichert stehen gelassen. Das Ungesehene betrügt. Das Unsichtbare drängt sich auf. Die Stille dröhnt. Anfang 2010, mit der Gründung der Arbeitsgruppe, begannen die Menschen in Strasshof zu sprechen: von der Frau, die Brot ins NS-Lager lieferte, vom Sohn des Leichenträgers, vom kleinen Mädchen, das eine Puppe von einem Lagerinsassen bekam, von einem Knaben, der sich erinnert, dass ein Gefangener zum Wassertrinken in den Garten seiner Eltern kam, von der Besitzerin eines Radiogeschäfts, die einem polnischen Zwangsarbeits-Paar 1943 Arbeit und Unterkunft gewährte. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe entdecken die Gerechten in Strasshof, manche von ihnen warten noch darauf geehrt zu werden. Auch wenn nur einzelne Opfer von einer Gaskammer in Strasshof überzeugt sind, auch wenn dieser Ort kein Vernichtungslager war, 1.700 nachweislich Ermordete klagen an: Sie sind verhungert, im Dreck liegen gelassen, bei einer Geburt gestorben, im Waggon verdurstet, an der Hitze erstickt. Auch wenn Strasshof in den Nürnberger Prozessen am Rande erwähnt wird, auch wenn im Theresienstädter Totenbuch etwa 1.000 Opfer aufgelistet sind, auch wenn die Forschung über die ungarischen Opfer am Bau des Südostwalls viele der Strasshofer Opfer verzeichnet, waren Historiker von den Ausmaßen dieses Zwangsarbeitsmarktes überrascht. Ein Großteil der Toten ist ukrainischer Herkunft, Letztere hatten die perfide Aufgabe einer Bewachung zu erfüllen. Hier wartet weitere Forschung, etwa zwei Drittel der Namen sind noch unbekannt, deren Lebensgeschichten und Leidenswege. Die vereinzelten Opfer, die – nicht auf Besuch, sondern auf der Suche nach ihren Leidensorten – kamen, waren bislang in ihren Fragen ohne Antwort. Jetzt waren sie der Ausgangspunkt der Forschung. Ihre Bereitwilligkeit und beschämende Dankbarkeit machten es den Mitgliedern der Gruppe leichter. Begeg-

Das Denkmal in Strasshof an der Nordbahn. Foto: z. V. g.

nungen wurden mit höchsten politischen Ehren und Darbietungen von zeitgenössischer Musik begangen, Kunst und Gastfreundschaft sollten ein Zeichen sein: Diesmal waren die Menschen Gäste, nicht Untermenschen.

Gesprächsprozess Die Forschung war ein Gesprächsprozess: Die Menschen im Ort machten die NS-Zeit zum Thema, die Jungen fragten die Alten, die Alten erzählten einander, zögerlich, erleichtert kam das lange Zurückgehaltene hervor, nicht alles preisgebend, nicht alles erinnernd. Einzelne hatten schon lange Dokumente gesammelt, Heimatforscher in Strasshof und Deutsch-Wagram hatten die Protokolle der Ortsarchive, Fotos aus Familienarchiven und andere Informationen gesammelt. Was war schwieriger: die Forschung oder das Akzeptieren ihrer Ergebnisse? Was erregt den größeren Widerstand: die Geschichte oder ihre Benennungen? Was mussten die Opfer ertragen? Und in welchem Verhältnis steht deren Leid zur Scham derer, die am Ort der Täter wohnen? Was ist Rücksicht und worauf ist sie zu nehmen? Die Erinnerung, das Nachgehen war heilsam, sagt der Schriftführer des Vereins, Lorenz Steiner, und ergänzt: „Die Erde ist verwundet. Diese For-

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

schung betrifft die Gegenwart im Überwinden der Vergangenheit. Sie erzählt vom Anderen, sagt das Ungesagte, birgt das Verborgene, zweifelt das Gegebene an, sie ist ungehorsam.“ Es gibt Zeichen, dass die Menschen in Strasshof ihre Geschichte annehmen, die Ereignisse in das Leben im Ort integrieren. Das Erinnerungsmal, von einem ehemaligen Strasshofer erdacht und gebaut, wird nicht nur von den Opfern regelmäßig beim Vorbeifahren geschmückt, sondern auch in den Feiern der Strasshofer Pfarre einbezogen. Der Dank gilt allen, die mitgearbeitet haben, und all jenen Fördergebern, die mit Wertschätzung und Großzügigkeit die Arbeit ermöglicht haben. / Text: Irene Suchy

STRASSHOF AN DER NORDBAHN

——————————————————— Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung Irene Suchy Metroverlag, 2012 ISBN 978-3-99300-054-7 www.metroverlag.at


Kultur.Region / 32

Fortbildung WORKSHOP MARKETING – EINEN GELUNGENEN WERBEAUFTRITT GESTALTEN

—————————————————————— Mi, 10. 10. 2012, 9.00–18.00 Uhr Hotel zur Post 3053 Laaben, Nr. 33 Leitung: Dr. Leo Hemetsberger Professionelle Arbeit im Kunst- und Kulturbereich erfordert Fachwissen, Ausdauer, Kreativität und die Fähigkeit, geplante Vorhaben interessierten Menschen nahe zu bringen. Wir erarbeiten dazu praxisnahes Know-how am Beispiel der Projekte der Teilnehmer. Folgende Fachbereiche werden näher behandelt: Konzepterstellung, Organisation und Umsetzung von Marketinginitiativen, Werbung – wie spricht man potenzielles Publikum an, erstellt Präsentationsunterlagen und Werbematerial. Begrenzte Teilnehmerzahl, nur für Mitglieder/ Mitarbeiter Kulturvernetzung NÖ, BHW NÖ und Volkskultur Niederöstererich! Teilnahmegebühr: EUR 50,00 pro Person

schied zwischen Leitung und Moderation wird ebenso herausgearbeitet wie Kriterien der Vorbereitung von Sitzungen und die Wichtigkeit äußerer Arbeits- und Rahmenbedingungen. Lernen Sie verschiedene Methoden zum Einstieg, zur Themenbearbeitung und Auflockerung sowie der Überprüfung von Wirksamkeit und Nachhaltigkeit kennen. Auch die Bedeutung nonverbaler Kommunikation wird im Workshop behandelt. Information & Anmeldung Kulturvernetzung NÖ – Büro Industrieviertel Tel. 02639 2552 (Stephanie Fülöp) seminaranmeldung@kulturvernetzung.at www.kulturvernetzung.at

freiberufliche Kunst- und Kulturvermittlerin in verschiedenen Museen tätig. Information & Anmeldung Museumsmanagement Niederösterreich Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 Tel. 02732 73999, Fax 02732 73999 33 museen@volkskulturnoe.at www.noemuseen.at

THEATERPÄDAGOGIK

—————————————————————— Di, 13., u. Mi, 14. 11. 2012, 9.00–17.00 Uhr Festspielhaus St. Pölten 3100 St. Pölten, Kulturbezirk 2

PROJEKTPRAXIS

—————————————————————— Fr, 9., u. Sa, 10. 11. 2012, 9.00–17.00 Uhr Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56

Foto: z.V.g.

Information & Anmeldung Kulturvernetzung NÖ – Büro Industrieviertel Tel. 02639 2552 (Stephanie Fülöp) seminaranmeldung@kulturvernetzung.at www.kulturvernetzung.at

Referentin: Mag. Elisabeth Krön Foto: Ingo Pertramer

MODERIEREN – ABER WIE? Sitzungen lebendig und kreativ gestalten

—————————————————————— Di, 23. 10. 2012, 18.00–21.00 Uhr BHW NÖ, 3100 St. Pölten, Linzer Straße 7 Referentin: Mag. Andrea Zsutty

Leitung: Dr. Birgitta Hadatsch Dieser Workshop bietet einen Überblick über wichtige Aspekte des Moderierens und verschiedene Moderationstechniken, der Unter-

Durch Gruppendiskussion und praktische Übungen wird im Seminar von Andrea Zsutty ein aktiver Zugang zur Projektarbeit ermöglicht. In Kleingruppen werden „BlitzKonzeptionen“ für Vermittlungsangebote erarbeitet, die anschließend als Grundlage für die Konzepterstellung dienen. Andrea Zsutty ist Leiterin des Zertifikatskurses „Kunst- und Kulturvermittlung“ am Institut für Kulturkonzepte in Wien und war mehrere Jahre als

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

Theaterpädagogik fördert Konzentration, Kommunikation und Kooperation. Sie ist stark persönlichkeitsbildend und für jede Altersgruppe geeignet. Theorie und Praxis der Theaterpädagogik stehen im Zentrum dieses Seminars. Stimm- und Bewegungsübungen, Methoden und Grundlagen des Improvisationstheaters, Spielanleitungen und Improvisationsaufgaben – viel Praxis und ein bisschen Theorie bestimmen dieses Seminar. Information & Anmeldung Museumsmanagement Niederösterreich Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 Tel. 02732 73999, Fax 02732 73999 33 museen@volkskulturnoe.at www.noemuseen.at


Kultur.Region / 33

PROJEKTPLANUNG

KUNSTVERMITTLUNG

Reminder

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Fr, 16., u. Sa 17. 11. 2012, 9.00–17.00 Uhr

Fr, 30. 11., u. Sa, 1. 12. 2012, 9.00–17.00 Uhr

Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56

ESSL MUSEUM – Kunst der Gegenwart 3400 Klosterneuburg, An der Donau-Au 1

Do, 11. 10. 2012, 18.00 Uhr Über die Kunst, Kunst zu vermitteln

Referent: Mag. Christian Henner-Fehr

Referenten: Mag. Andreas Hoffer & Team

Gute Planung ist eine wichtige Grundlage für den Projekterfolg! Jedoch: Was bedeutet Planung und welche Instrumente können dabei zum Einsatz kommen? Verschiedene Planungsphasen eines Projekts – von der Projektidee bis zum Projektbudget – werden anhand von Übungen durchlaufen. Projekt im Kontext, Zielbestimmung, Planung und Budget sind die vier Grundpfeiler des Seminars.

Ein Workshop in der aktuellen Ausstellung „New.New York“ des ESSL MUSEUM, Kennenlernen eines Vermittlungsangebots dieser Schau mit junger zeitgenössischer Kunst sowie eine Einführung zu Methoden in der Kunstvermittlung. Fragen wie „Wo kann man den Besucher abholen?“ oder „Wie positioniere ich mich im Raum?“ werden diskutiert. Und worum es sich bei einem „Hosen-Taschen Museum“ handelt, wird verraten.

Information & Anmeldung Museumsmanagement Niederösterreich Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 Tel. 02732 73999, Fax 02732 73999 33 museen@volkskulturnoe.at www.noemuseen.at

Information & Anmeldung Museumsmanagement Niederösterreich Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 Tel. 02732 73999, Fax 02732 73999 33 museen@volkskulturnoe.at www.noemuseen.at

Öffentlich zugänglicher Vortrag aus der Reihe „Weiterbildung Kulturvermittlung“ Haus der Regionen in Krems-Stein, Festsaal Referent: Mag. Andreas Hoffer (ESSL MUSEUM – Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg) Sa, 20. 10. 2012, 9.00–17.00 Uhr „Hands-on“ selber herstellen Kursort: Haus der Regionen in Krems-Stein Referentin: Wendy Jo Coones, M.Ed. Sa, 24. 11. 2012, 9.00–17.00 Uhr Instandsetzung von beschädigten Büchern Kursort: Brandlhof in Radlbrunn Referentin: Mag. Ilse Mühlbacher

Musik Charles Strouse · Text Martin Charnin · Buch Thomas Meehan · Künstlerische Leitung Luzia Nistler

November 2012 Atrium Tulln 16.*/17./18. November 2012 Stadtsaal Krems 10./11./12.*

MusikSCHUL management KULTUR . REGION NIEDERÖSTERREICH

* Schülervorstellung

TICKETS: www.oeticket.com Information: www.musikschulmanagement.at/wir-sind-buehne Wir sind Bühne. Ein Projekt des Musikschulmanagement Niederösterreich in Kooperation mit der Musikschulregion NÖ Mitte


Herbstliche Bräuche / 34

Museumsdorf Niedersulz

es muss feste bräuche geben Wenn die Tage kürzer werden – herbstliche Bräuche im Oktober.

Federn schleiß’n gehörte zu den geselligen Höhepunkten für Frauen. Hausbrunn, 1964. Foto: Archiv Dr. Richard Edl/Museumsdorf Niedersulz

Wenn im Herbst die Tage langsam kürzer werden, es draußen kälter wird und sich die Natur und die Menschen auf den Winter vorbereiten, sind es vor allem die herbstlichen Bräuche und Riten, die diesen Vorgang des sukzessiven Zurückziehens reflektieren. Insbesondere in den ländlichen Bereichen und ruralen Lebensräumen sind Bräuche, ihre Abläufe und Rituale sehr eng in den Alltag der Menschen eingebunden und involviert. Bräuche gestalten und ordnen den Jahresablauf und geben jeder Jahreszeit oder

jedem Lebensabschnitt seine rituelle Bedeutung und seinen Charakter. Bräuche haben ihren spezifischen Zeitpunkt, ihre Form, ihre Inhaltlichkeit und ihren Anlass. Nach der ethnologischen Definition ist ein Brauch (abgeleitet vom ahd. bruh = Nutzen) eine innerhalb einer festen sozialen Gemeinschaft erwachsene Gewohnheit. Die Kulturund Sozialgeschichte zeigt, dass diese „Gewohnheiten“ oder vielmehr Bräuche, Traditionen und Riten für die Menschheit essenziell sind. Sie wurden im Laufe der Zeiten

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geformt und von Generation zu Generation weitergetragen. „Es muss feste Bräuche geben“, lässt der französische Schriftsteller Antoine de SaintExupéry (1900–1944) seinen Fuchs zum kleinen Prinzen im gleichnamigen Werk sagen. Und weiter fragt der kleine Prinz den Fuchs: „Was heißt fester Brauch“? – „Auch etwas in Vergessenheit Geratenes“, sagte der Fuchs. „Es ist das, was einen Tag vom anderen unterscheidet, eine Stunde von den anderen Stunden.“


Herbstliche Bräuche / 35

Franziska-Monika Jahn und die wissenschaftliche Leiterin des Museumsdorfs, Veronika Plöckinger-Walenta.

Bräuche als Interaktion der Menschen und ihren Traditionen formulieren und zeigen unterschiedliche Motivationen, aus denen heraus sie entstehen bzw. zelebriert werden. Nimmt man eine grobe Klassifizierung vor, so kann man Bräuche in folgende Gruppen unterteilen: Bräuche im jahreszeitlichen Kontext (nach Jahreszeiten und Monaten), religiöse Bräuche, nationale Bräuche, Bräuche im individuellen Lebenslauf sowie Bräuche der Stände und Berufe. Oftmals sind jedoch bestimmte Bräuche und ihre Ausführung inhaltlich doppelt konnotiert – eine Hochzeit ist etwa ein persönlich motiviertes Ereignis, kann aber auch ein religiös definierter Festbrauch sein. Gemeinsam ist dabei allen Bräuchen, dass sie weder willkürlich noch ad hoc ablaufen, sondern im Gegenteil einer geregelten Ordnung, bestimmten Handlungsmustern und meistens einer zyklischen Wiederkehr folgen. Sie helfen den Menschen, bestimmte Tage im Jahr als „besondere“ oder elementare Tage aus dem Alltag herauszulösen und strukturieren den Lebenszyklus – wie auch bereits der Fuchs im „Kleinen Prinzen“ analysierte. Und mehr noch: Vielen Menschen verhelfen Bräuche zu Sicherheit, Identität und Orientierung in der sozialen Interaktion.

Erntedank Das Erntedankfest ist sowohl ein säkular als auch christlich motivierter Brauch. Bereits in vorchristlichen Zeiten gab es vergleichbare Riten in den unterschiedlichsten Kulturen und Religionen. Seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. ist das Erntedankfest auch in der christlichen Religion belegt. Ab der Reformationszeit wurde das Erntedankfest auf den Micha-

Woaz (in diesem Fall Kukuruz, also Mais) zum Ausles’n, hängend in der Trett’n (dem Arkadengang in ostösterreihsichen Bauernhöfen).

elistag, den 29. September, bzw. auf den Sonntag davor oder danach festgelegt. Der Michaelistag, das Fest des heiligen Erzengels Michael, war schon im Mittelalter ein allgemeiner Feiertag und eingebürgerter Stichtag für fällige Zins-, Miet- und Pachtzahlungen. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Erntedankfest auf den ersten Sonntag im Oktober terminisiert. Auch einige der bedeutendsten jüdischen Feste wie beispielsweise das Wochenfest (Schawuot) oder das Laubhüttenfest (Sukkot) können als Erntedankfeste klassifiziert werden. Beim Erntedankfest werden Feldfrüchte, Getreide oder andere Gaben wie Wein oder Honig in die Kirche gebracht. Eine „Erntekrone“ oder ein „Erntekranz“ aus verschiedensten Feld- und Wiesenfrüchten wie Getreide, Blumen und Obst wird in Prozessionen durch die Ortschaften getragen. Symbolisch und rituell dankt man Gott für die Gaben der Ernte und erinnert gleichzeitig an die Arbeit und Mühen der Landwirtschaft.

Die Initiation für einen Brauch respektive die Frage, ab wann ein Ereignis oder eine Gewohnheit zu einem Brauch wird, ist breit gesteckt. In diesem Sinne kann man durchaus traditionelle, aus der Unerlässlichkeit heraus entstandene Herbstarbeiten im bäuerlichen Raum aufgrund ihrer jahreszeitlichen und zyklischen Wiederkehr durchaus als Bräuche qualifizieren. Drischl dresch’n, Woaz ausles’n oder Federn schleiß’n waren als solche typische, herbstliche Arbeiten für die bäuerliche Bevölkerung. Beim Federn schleiß’n wurden von der Bäuerin weibliche Verwandte, Freunde und Nachbarn eingeladen. Man setzte sich abends an einen Tisch, auf dem der Federnhaufen lag, und entfernte die Gänsedaunen von den Kielen. Das Federn schleiß’n war durchaus auch ein gesellschaftliches Ereignis: Denn während der Arbeit wurde gesungen, erzählt und abschließend von der Bäuerin ein ausgiebiges Mahl, der „Federhahn“, aufgetischt … / Text: Freya Martin Fotos: Museumsdorf Niedersulz

Striezel posch’n Weitere typische Schaubräuche im Oktober sind neben den Erntedankfesten unter anderem Jahrmärkte, Kirtage, Kürbisfeste, der österreichische Nationalfeiertag oder in von Wein dominierten Regionen Weinherbstund Sturmfeste, „Hiata“-Feste oder Weinsegnungen. Und am 31. Oktober wird nicht nur der Reformationstag der protestantischen Christen oder das aus dem angloamerikanischen Raum stammende Halloweenfest gefeiert, es ist auch der Tag, an dem im Weinviertel eifrig um die Allerheiligen-Striezel „geposcht“ wird.

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Federn schleiSS’n, Striezel posch’n & Offenes Singen

——————————————————— Fr, 26. 10. 2012, ab 13.00 Uhr Traditionelle Weinviertler Bräuche sowie Herbst- und Winterarbeiten zum Ausklang des Jahreszeitenreigens Museumsdorf Niedersulz 2224 Niedersulz 250 Tel. 02534 333 www.museumsdorf.at


Landwirtschaft / 36

Museumsdorf Niedersulz

BAUER ZWISCHEN GESTERN UND HEUTE Die Geschichte der Landwirtschaft wird im Wultendorferhof im Museumsdorf Niedersulz dokumentiert. Grundlegende Überlegungen zur Gestaltung der Ausstellung.

Der Wultendorferhof ist einer der größten Gebäudekomplexe im Museumsdorf.

„Bauernleben im Wandel“, so lautet der Arbeitstitel der Ausstellung, die am 21. Oktober 2012 im Museumsdorf Niedersulz die Geschichte der niederösterreichischen Landwirtschaft zwischen Grundherrschaft, Stadt und Markt von 1848 bis heute behandelt. Initiator des Museums ist die Gesellschaft zur Förderung der niederösterreichischen Landund Forstwirtschaft. Mag. Josef Redl hat die Inhalte für diese Ausstellung erarbeitet und eine Reihe von neuen Objekten recherchiert. Das didaktische und gestalterische Konzept

wurde in Zusammenarbeit mit dem Museumsmanagement Niederösterreich (Mag. Ulrike Vitovec) und dem Büro für Museumskonzepte und -beratung (Mag. Franz Pötscher) neu entwickelt und für die Ausstellungsräume im Wultendorferhof im Museumsdorf Niedersulz adaptiert. Als Träger der Ausstellung fungiert nun die Weinviertler Museumsdorf Niedersulz Errichtungs- und Betriebs GmbH. Das Projekt wird vom Land Niederösterreich und der Gesellschaft zur Förderung der Landwirtschaft unterstützt.

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Der Wultendorferhof Mit einer Länge von 33 Metern, einer Breite von 30 Metern sowie einer umbauten Fläche von 560 Quadratmetern zählt der Wultendorferhof (ehemals Wultendorf Nr. 57) zu den imposantesten Ensembles des Museumsdorfes. Das Gebäude war bereits mehrere Jahre unbewohnt, als es in den Jahren 2000/01 abgebrochen und in Niedersulz wieder aufgebaut wurde. Die neue Ausstellung ist vom Innenhof aus zugänglich und beginnt mit


Landwirtschaft / 37

terischen Maßnahmen. Jeder Raum vermittelt eine Grundaussage, die in Erinnerung bleibt. Die Räume sind daher entsprechend inszeniert – durch die Farbgebung, durch großflächige Wand- und Bodengestaltungen sowie durch die Hervorhebung jeweils eines Leitobjektes oder -ensembles. Die Grundaussagen sollen auch beim flüchtigen Besuch der Ausstellung leicht erfasst werden können.

Landwirtschaftlich genutztes Land prägt die Umgebung des Museumsdorfs mit seiner Ausstellung „Bauernleben im Wandel“.

einer Einleitungswand im geräumigen Stadel, der zugleich für Veranstaltungen zur Verfügung steht. Aufgrund der früheren Verwendung und der geringen historischen Substanz kann in einem Teil der Räumlichkeiten die Ausstellungsgestaltung relativ frei agieren. In der Außenansicht bleibt der Wultendorferhof – den Prinzipien des Museumsdorfes entsprechend – bis auf einige Erneuerungen unangetastet. Bei den Adaptierungsarbeiten wird darauf geachtet, dass die Ausstellung barrierefrei zugänglich ist. Ein wichtiges Kriterium für die Ausstellungseinbauten ist die leichte Handhabbarkeit im Betrieb. Grundbeleuchtung, Vitrinenbeleuchtung und Medien können von einer Stelle aus in Gang gesetzt werden. So entstand aus funktionellen Überlegungen und Erfordernissen eine „Medienwand“, die zahlreiche Funktionen (Vitrinenpräsentation, Ausstellungsmedien) vereint und hinter der alle Leitungen frei verlegt werden können und die zudem leicht zugänglich und adaptierbar ist. Die Medienwand zieht sich auch gestalterisch als dominierendes Element vom ersten bis zum vorletzten Raum durch die ganze Ausstellung.

Ausstellungskonzeption Die Ausstellung ist in sieben Themenbereiche gegliedert. Den Einstieg bietet das „Bild“ des Bauern von früher und heute, worunter sowohl ideologische Zuschreibungen als auch Selbsteinschätzungen verstanden werden. Dann beginnt eine im Prinzip chronologisch aufgebaute „Geschichte der Landwirtschaft“, wobei in jedem Zeitabschnitt zusätzlich

strukturell relevante Themen behandelt werden. Diese Chronologie beginnt mit der „Agrarrevolution“ des 18. Jahrhunderts mit ihren Innovationen – neue Produkte und Anbaumethoden, Innovationen bei landwirtschaftlichen Geräten, in der Düngung, aktive Agrarpolitik etc. Die Revolution des Jahres 1848 brachte für die Bauern die Grundentlastung („Bauernbefreiung“) und leitete eine mehrere Jahrzehnte dauernde Blütezeit der Landwirtschaft ein, die von der Agrarkrise im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts jäh unterbrochen wurde. In Reaktion darauf entstanden neue Organisationsformen der Bauern: Genossenschaften (Kreditgenossenschaften wie Raiffeisen, Lagerhäuser etc.), Bauernvereine (wie z. B. der NÖ Bauernbund) und schließlich die Landwirtschaftskammer als gewählte Standesvertretung. Die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise führten zu Maßnahmen (z. B. die Marktordnungsgesetze der 1930er Jahre), die in der Substanz bis zum EU-Beitritt Österreichs in Kraft blieben. Nach dem Mangel der ersten Nachkriegsjahre wurden bald wachsende Überschüsse produziert, die mit steigenden Kosten vermarktet werden mussten. In den 1950er Jahren setzte ein massiver Strukturwandel ein, die Landwirtschaft wurde umfassend mechanisiert. Ein letzter radikaler Schnitt war der Beitritt zur EU im Jahr 1995. Mit kurzen Übergangsfristen wurde das Regelwerk der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ (GAP) der EU übernommen. Die Ausstellung soll für ein breites Publikum mit verschiedenen Interessen und unterschiedlichem Vorwissen funktionieren. Dazu dient eine Reihe von didaktischen und gestal-

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Darüber hinaus gibt es einige Vertiefungsebenen: traditionelle Objektpräsentation in Vitrinen und auf Pulten (vergleichsweise wenige, jedoch wesentliche Objekte), Medienstationen mit zahlreichen Bild- und Tondokumenten, Leseecken in jedem Raum („Stammtisch“ – mit Buch- und Zeitungsausschnitten, Repros von Originaldokumenten zum Nachlesen) sowie einen abschließenden Medientisch, über den ergänzende Karten, Statistiken etc. zugänglich sind. Das Symbol „Zeitsprung“ weist auf Querverbindungen zwischen dem Gestern und Heute hin. Neben den „Agrareliten“ – maßgebenden Politikern, Funktionsträgern, Schriftstellern usw. – kommen Bäuerinnen und Bauern ausreichend zu Wort: Eigens für die Ausstellung wird eine Reihe von Videointerviews durchgeführt. Die „Hofebene“ erhält somit in der Ausstellung ein besonderes Gewicht, auch durch die wiederholte Bezugnahme auf den Ausstellungsort selbst: Unter den Interviewten befinden sich frühere Bewohner des Wultendorferhofes und es werden Objekte mit Bezug zu diesem Gehöft präsentiert. Die neue Ausstellung möchte sich so auch inhaltlich als stimmiger Bestandteil in das einzigartige Gesamtensemble des Museumsdorfs Niedersulz einfügen. / Text und Fotos: Franz Pötscher

information

——————————————————— Eröffnung der Ausstellung: So, 21. 10. 2012, 14.00 Uhr Museumsdorf Niedersulz 2224 Niedersulz 250 Tel. 02534 333 www.museumsdorf.at


Drischl dresch’n / 38

Drischl-Sprüche

Museumsdorf Niedersulz

mit taktgefühl Noch vor 100 Jahren war das „Drischl dresch’n“ eine der typischen Herbsttätigkeiten im bäuerlichen Arbeitsalltag.

Drischl dresch’n – die Drescher schlugen im Dreiertakt und die Frauen waren für das Umdrehen der Garben zuständig. Das Stroh wurde zum Binden im Weingarten benötigt. Großkrut um 1930. Foto: Archiv Dr. Richard Edl/Museumsdorf Niedersulz

Kaum jemand erinnert sich noch an das klappernde Geräusch im Herbst und Winter, wenn die Dreschflegel im rhythmischen Takt und Gleichklang auf den Tennenboden schlagen. Das Dreschen, Drischeln oder auch Drischl dresch’n benennt das Herauslösen der Getreidekörner aus den Ähren und gehörte zu den essenziellsten und auch beschwerlichsten Tätigkeiten in der ruralen bäuerlichen Arbeitswelt bis vor 100 Jahren. Gedroschen wurde das getrocknete Getreide auf dem Tennenboden eines Stadels mit dem sogenannten Dreschflegel, wobei sich der Terminus Flegel vom lateinischen „flagellum“ ableiten lässt und eines der ältesten bäuerlichen Werkzeuge der Kulturgeschichte überhaupt darstellt. Bereits in der ägyptischen

Mythologie wird Osiris, der Gott der Unterwelt, Wiedergeburt und Fruchtbarkeit, mit dem Dreschflegel als Insignie und Attribut der Fruchtbarkeit dargestellt. Der Dreschflegel besteht aus drei Teilen: dem hölzernen Stiel, einem flexiblen Bindeglied, meistens aus Ledermaterial und Verbindungsstücke aus Eisen, und dem Flegel per se, einem ca. sechs bis acht Zentimeter dicken, in der Regel gedrechselten Holzknüppel aus Hartholz. Beim Dreschen musste nun der Dreschflegel so geschickt durch die Luft gewirbelt werden, dass er mit voller Wucht und geballter Kraft auf die gestapelten Ähren aufschlug und die Getreidekörner im wahrsten Wortsinn herausgedroschen wurden.

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Die Größe der Gruppe der Drescher (oder auch Drescherpartie genannt) variierte je nach Größe des Hofes. Frauen waren dabei meistens für das Umdrehen der Garben zuständig. Die Drescher standen im Kreis am Tennenboden des Stadels und ließen die Flegel im gleichmäßigen Takt und der Reihe nach niedersausen. Kraft, Präzision und Übung waren dabei Voraussetzungen für die Drescher. Um nicht aus dem Dreschtakt zu kommen, wurden dabei sogenannte DrischlSprüche aufgesagt, um den Rhythmus und den richtigen Einsatz vorzugeben. Während des Dreschens waren die Stadeltore auf beiden Seiten geöffnet, sodass der Wind die leichten Anteile aus dem Dreschvorgang, wie Stroh und Spreu, beim nachfolgenden Aussieben und Worfeln verfegen konnte. Dieser Vorgang des Selektionierens findet sich auch als Spruch und Metapher im MatthäusEvangelium (3,12) wieder. Sinngemäß heißt es hier: „Er wird die Spreu vom Weizen trennen“. Mit der zunehmenden Mechanisierung im landwirtschaftlichen Bereich seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der manuelle Vorgang des Drischl dresch’ns durch Innovationen wie dem Hakenzylinder, Göpel oder Dampfdrescher bzw. Dreschmaschine nach und nach abgelöst und ersetzt. Erst in den 1950er Jahren kamen die ersten selbstfahrenden kombinierten Mähdrescher in Europa auf den Markt. / Text: Freya Martin

DORFHERBST & ERNTEDANK

——————————————————— So, 7. 10. 2012, 10.00–18.00 Uhr Herbstliches Erntedankfest mit „Drischl dresch’n“ und „Woaz ausles’n“; traditionelle Bräuche, altes Handwerk, Musik, herbstlich Kulinarisches und frischer Sturm – in Kooperation mit der Landjugend Zistersdorf Museumsdorf Niedersulz 2224 Niedersulz 250 Tel. 02534 333 www.museumsdorf.at


Eisenbahnmuseum Schwechat / 39

Ausstellung

Kochtopf & diesellok

des Industriellen Reitlinger. Der in der NSZeit „arisierte“ Betrieb stellte Bremsklötze für die Bahn her, später wurde er ein Rüstungsbetrieb für Flugzeugteile und Raketenmotoren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auf Friedensproduktion umgestellt – zuerst wurde Kochgeschirr erzeugt und mit der Reparatur von Eisenbahnwagen begonnen.

Lokomotive selber steuern

Die Ausstellung „Vom Kochtopf zur Diesellok“ zeigt die Geschichte der Jenbacher Werke.

Mancher Besucher wird das Geschirr wiedererkennen. Kein Wunder, entstand doch von 1945 bis 1953 alle sechs Minuten ein Stück. Auf den Töpfen aus der eigenen Kantine steht „Gestohlen in den Jenbacher Werken“. Damit sollte der Schwund minimiert werden. Foto: Eisenbahnmuseum Schwechat

Wurde für den Lkw Steyr 380 das Schlagwort „Auf seiner Ladefläche ist Österreich“ geprägt, könnte die Familie der Jenbacher Ein-Zylinder-Motoren mit „Sie betrieben Österreich“ umschrieben werden. Riesige Stückzahlen belegen eine echte Erfolgsgeschichte. Wie kam nun ausgerechnet das Eisenbahnmuseum Schwechat zu diesem Thema? Von der Dokumentation der österreichischen Lokomotivbaugeschichte kommend, ergab sich eine tiefer gehende Beschäftigung mit den Fabriken und Erzeugnissen rund um den Lokomotivbau. Wie es der Zufall wollte, war eine der ersten Verschublokomotiven des Museums die 50 PS starke Jenbacher Maschine der Petrochemie Schwechat.

Ein weiterer Zufallsfund war ein Aluminiumkochtopf mit JW-Zeichen. Er verweist auf die Vorgeschichte als Rüstungsbetrieb während des Krieges und die anschließende zivile Produktionsumstellung unter Verwendung vorhandener Lagerbestände. Die Jenbacher Werke in Tirol weisen zwar keine lange Firmengeschichte auf, sind aber in einem historischen Produktionskontext zu sehen. 1487 wurde ein Hüttenbetrieb der Fugger gegründet. Der Abbau von Kupfer und Silber war ab der Mitte des 17. Jahrhunderts erschöpft, sodass sich nun der im staatlichen Besitz befindliche Bergbau dem Eisen zuwandte. Ab 1909 versiegten auch die Eisenadern und es blieb eine Gießerei im Besitz

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In den 1950er Jahren begann der Bau des mit dem von Prof. Hans List (AVL Graz) entwickelten 15-PS-Dieselmotors für Lokomotiven, Kompressoren, Stromaggregate, Wasserpumpen und Standmotoren. Die Typenvielfalt der Feldbahnlokomotiven nimmt breiten Raum ein. Es waren mehrere tausend Stück, die von Österreich aus in die ganze Welt geliefert wurden. Auf der Vorführstrecke des Museums besteht die Möglichkeit mitzufahren, aber auch einmal eine Lokomotive aktiv zu steuern. Nicht nur bei jungen Besuchern soll die Möglichkeit des Anfassens und Erlebens das Interesse wecken. Ein echtes 16-Tonnen-Schwergewicht, das Drehgestell einer Prototyplokomotive für die ÖBB, wird erst 2013 zu bewundern sein. Ungünstige Witterung und die Renovierungsarbeiten an der denkmalgeschützten ehemaligen Pressburgerbahn-Lokomotivwerkstatt sorgten für einige Verzögerungen. Großzügige Förderungen für diesen Jugendstilbau, auch vom Land Niederösterreich, räumen diesem Projekt natürlich Vorrangstellung ein. In Konstruktion befindliche „begehbare Vitrinen“ für größere Objekte auf dem Gelände orientieren sich in Richtung eines Freilichtmuseums. / Text: Franz Kamper

VOM KOCHTOPF ZUR DIESELLOK

——————————————————— Öffnungszeiten: bis Fr, 26. 10. 2012, Mi–Sa 14.00–18.00 Uhr, So 10.00–17.00 Uhr Eisenbahnmuseum Schwechat 2320 Schwechat, Hintere Bahngasse 2b Tel. 01 93000 24585 www.eisenbahnmuseum.at


Alltag / 40

Ausstellung

FAMILIENSCHÄTZE Kunst & Krempel im Museum. In Waidhofen an der Ybbs erzählen Schätze aus Wohnzimmern und Dachböden ihre ganz privaten Geschichten.

Siglinde Sterlinger und die Seilmachermaschine.

Die Geschichte einer Stadt wird gewöhnlich nicht nur durch große historische Ereignisse und Beschlüsse definiert, sondern auch durch das Wirken der Menschen, die diese Geschichte in Form von alltäglichen Dingen sammeln und über Generationen weitergeben. Daher wollte der Musealverein 2012 in seiner Sonderausstellung den Familienschätzen der Waidhofner ein Schaufenster widmen. Fast jede Familie hütet in ihrer Wohnzimmervitrine oder auf dem Dachboden lieb gewordene Erinnerungsstücke, die Geschichte und Geschichten erzählen. Es spielt dabei keine Rolle, ob das Exponat ein edles Glanzstück oder ein witziges Urlaubssouvenir ist – wenn die Erinnerung, die damit verbunden

Die Puppenküche der Christine Dörr.

ist, spannend oder berührend ist. Ein altes Kinderspielzeug mag dabei eine genauso interessante Geschichte erzählen wie ein wertvolles Bild aus dem Nachlass von Verwandten oder ein landwirtschaftliches Gerät aus den Höfen der umliegenden Dörfer. Es sind gerade diese Geschichten, die die Ausstellung präsentiert und nicht zuletzt auch die Menschen dahinter vor den Vorhang holen wollte. Sie sind die Essenz der Geschichte einer Stadt und haben in den letzten 40 Jahren aus Stadt und Land eine Großgemeinde mit Vorzeigecharakter gemacht. Das 5e-Museum zeigt ihre Lieblingsstücke und hofft, dass die Besucher hinter dem Exponat den Menschen finden, der diesen Familienschatz hütet.

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Die Seilmachermaschine Siglinde Sterlinger bekam diese Maschine, die früher zur Seilerei gehört hatte, aber weggekommen ist und von Bekannten anlässlich einer Feier zurückgeschenkt wurde. Frau Sterlinger hat das Seilereihandwerk von der Pike auf gelernt. Damals war auch dieser Beruf männlich dominiert. Zur Prüfung sollte sie nun ausgerechnet einen sehr altmodisch eingestellten Prüfer bekommen. Deshalb wurde ihr nahegelegt – trotz eisiger Kälte – einen Rock anzuziehen und keine Hose. Bei der Prüfung war sie, obwohl sie fror, sehr gut. Dem Prüfer war das sichtlich unangenehm: Schon seit langer Zeit hatte kein Prüf-


Alltag / 41

Ingrid Streicher und Waidhofen im Winter.

Reingard Grabner und das Poesiealbum.

Liebling der Kinder – der Kappushund.

ling einen Einser bekommen, nun wäre es endlich so weit. Doch das ging auf keinen Fall, einem Mädchen die beste Note zu geben. Der Kommerzialrat sagte wortwörtlich: „Jetzt haumma scho so laung koan Einser mehr hergeb’n – braucht des Madl aa kaan!“ Deshalb bekam sie trotz sehr guter Leistung dennoch einen Zweier.

te der Leihgeberin Ingrid Streicher. Schuldirektor Leopold Kirchberger (1875–1964), geboren in Perg, heiratete zu Beginn des 20. Jahrhunderts Marie, geb. Haschke (ebenfalls 1875–1964).

Puppenküche

Der Kappushund Dieser hölzerne Hund wachte über Jahrzehnte in der Papierhandlung Kappus als Türstopper am Fußboden und erfreute die kleinen wie großen Kinder als Maskottchen. Dieses „Kuscheltier“ ist das Mitbringsel eines Handwerksburschen aus seiner erweiterten Lehrzeit, genannt „Walz“, in Dänemark um 1862. Der Handwerksbursche Florian Haase (1843–1921) erlernte das Buchbinderhandwerk bei seinem Onkel Georg Helmhart, welcher 1848 eine Buchbinderei und Papierhandlung im Hause Unterer Stadtplatz Nr. 57 eröffnete. Mit der Übersiedlung des Ladens vom Haus Nr. 57 in das schräg gegenüberliegende Gebäude Nr. 6 wurde die Buchbinderei aufgelassen und nur der Papierhandel blieb als Geschäft erhalten. Die Papierhandlung wurde in weiblicher Linie weitergeführt und wechselte deshalb den Inhabernamen von Helmhart über Ellinger und Kappus auf Schöttner. Für die meisten Waidhofer ist dieses liebenswerte Geschäft „der Kappus“ geblieben!

Waidhofen im Winter Dieses wunderschöne Gemälde stammt aus dem Besitz des Großonkels und der Großtan-

Die beiden waren ein richtiges „Künstlerehepaar“, er Komponist und Sänger, sie ausgebildete Kunstmalerin; zu ihnen kamen oft bekannte Künstler, mit denen sie befreundet waren. Darunter war auch R. H. Jack(e)l aus Baden bei Wien, der 1919 dieses Winterbild vom Unteren Stadtplatz mit der alten Post malte.

„Sei wie das Veilchen …“ Die beiden Poesiealben von Reingard Grabner stammen aus der k. u. k. Zeit, als man mit seinen Freundinnen noch per Sie war! Schon die in Samt oder Leder gebundenen Bücher mit kunstvollen Metallapplikationen sind kleine Kunstwerke. Bemerkenswert sind die wunderschönen verschiedenen Schriftarten und Illustrationen. Nette Worte finden wir von der Nichte Gisa an ihre Tante Paula, eine Lehrerin. Diese Gisa ist im Mostviertler Erlauftal aufgewachsen, hat dann nach Mailand geheiratet. Den Sommer hat sie meist in der alten Heimat verbracht. Sie hat eine große Villa besessen und ein gastfreundliches Haus geführt. Für die Reise hat sie alljährlich einen Taxilenker aus der alten Heimat bestellt, sich von ihm aus Mailand abholen lassen und ist im Spätherbst auf dieselbe Weise wieder in den Süden zurückgekehrt.

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Christine Dörrs Vater, ein gelernter Werkzeugmacher, führte im Russlandfeldzug einen Werkstattzug. Während einer längeren Kampfpause wurde ihnen ein Fabrikgelände für ihre Arbeiten zugewiesen. Frau Dörrs Vater wusste, dass er zu Weihnachten nicht nach Hause kommen würde. Um seinen Kindern daheim eine Weihnachtsfreude zu bereiten, baute er die heimatliche Küche im Kleinformat nach. Das Material sind Abfälle aus der Fabrik. Beim Bauen der Küche hat er sicher auch sein Heimweh verarbeitet. Er bat einen Kameraden, der Heimaturlaub bekam, die Puppenküche nach Hause zu nehmen. Der Urlauberzug, mit dem der Kamerad heimwärts fuhr, wurde zweimal von Fliegern angegriffen und bombardiert, trotzdem kam das Geschenk heil an. Die inzwischen ungefähr 70 Jahre alte Puppenküche wird von der Leihgeberin hoch in Ehren gehalten. / Text: Eva Zankl Fotos: Susi Langwieser

KUNST & KREMPEL IM MUSEUM

——————————————————— Sonderausstellung 5e-Museum Öffnungszeiten: bis Fr, 30. 11. 2012, Di–So, 10.00–17.00 Uhr 3340 Waidhofen/Ybbs, Schlossweg 2 Tel. 07442 511-255 www.waidhofen.at


Donau / 42

Porträt

ROSEN FÜR THERESiA Der Modellschiffbauer Prof. DI Dr. Kurt Schaefer feiert seinen 90. Geburtstag. Seine Modelle liegen im Schifffahrtsmuseum Spitz an der Donau vor Anker.

Holztransport Gruber und Menzl, Sarmingstein. Foto: Schifffahrtsmuseum Spitz/Donau

In den Schachteln kleine Ästchen. Man könnte glauben, dass hier jemand Holz zum Unterzünden gesammelt hat. Doch mit diesen kleinen Hölzchen ist die gesamte historische Schifffahrt der Donau rekonstruiert worden. Kurt Schaefer ist Konstrukteur, Zimmermann, Schmied, Seilmacher, Schnitzer, Drechsler, Schopper und Historiker in Person. Der Anker ist gelichtet, um die Steuerruder braust das Donauwasser. Die Schiffsleute packen tüchtig an. Steht da nicht ein Topf mit Sterz auf dem Schiffsherd? Ist die Fracht auch gut vertäut? Sensenblätter und gehämmertes Blech aus den Eisenwurzen, Salz aus Hallein und Wein aus der Wachau sind an Bord. Auch Werkzeug für Ausbesserungsarbeiten und Spielkarten (verbotenerweise, denn

Herrscherin Maria Theresia untersagte das Trinken und Spielen auf Schiffen) für den Abend fehlen nicht. Alles im Maßstab 1:20. Alles hergestellt von Kurt Schaefer, der mit 90 Jahren weiterhin täglich in der Werkstatt arbeitet, sein umfassendes Archiv organisiert, Korrespondenz führt und aktuell mit Archäologen eine Fahrt mit einem nachgebauten Einbaum aus der Hallstattzeit über den Mondsee plant. „Mein Vater war Tierarzt und ein großer Freund von Meerestieren“, so beginnt Kurt Schaefer seine Lebensgeschichte, die beinahe ein Jahrhundert umfasst. Die Familie lebt in Wien-Erdberg und die Sommer werden an der Adria verbracht. Das hat seine Leidenschaft für Schiffe geweckt. Aber bevor er beginnt, sich mit Modellbau zu beschäftigen,

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baut er Unterwasserkameras. Das ist in den 1940er Jahren. Er ist Funker in der Wehrmacht. Nach dem Krieg geht er zu Verwandten nach Gmunden und beginnt in der Bootswerft Frauscher eine Ausbildung als Bootsbauer. Danach Studium an der Technischen Hochschule Wien. Er arbeitet als Architekt. Er gründet eine Familie. Er baut eine zehn Meter lange Segelyacht – im Hof der Wiener Wohnanlage. „Die Familie ist schon zu kurz gekommen“, räsoniert der alte Herr.

Seit Generationen bestaunt Vor beinahe 50 Jahren, bei einer Schiffsmodell-Ausstellung in der Wiener Hofburg, lernt er den Obersekretär der Gemeinde Spitz/ Donau, Otto Meißinger, kennen. Er arbeitet gerade am Aufbau des Schifffahrtsmuseums.


Donau / 43

„Von ihm“, sagt Schaefer, „habe ich das Wissen über die Schifffahrt an der Donau geerbt und erweitert.“ Das ist der Beginn einer Zusammenarbeit, die bis heute besteht. Im Museum nimmt eine ganze Flotte Fahrt auf, die seit Generationen bestaunt und bewundert wird. Das erste Modell, das Kurt Schaefer für Spitz baute, war ein Schiffszug. Schiffe wurden vor der Erfindung der Dampfmaschine mit Pferden flussaufwärts gezogen. Für einen großen Schiffszug mit drei Frachtschiffen und Beibooten, mit Dutzenden Pferden und Schiffsleuten war eine präzise Koordination zwischen Land und Wasser notwendig. Das Klirren der Schellen, das Fluchen der Männer, das Schnauben der Pferde, das Ächzen der Seile, das Rauschen der Donau: Wenn so ein Schiffszug auftauchte, liefen die Menschen am Ufer zusammen. Geblieben sind bis heute die Treidelwege am Ufer, die heute vielfach als Radweg genutzt werden. Es ist eine vergangene Welt im Guckkastenformat: Flöße mit kernigen Burschen, die verwegen das Holz über Stromschwellen manövrieren; das Leibschiff des k. k. Gesandten, auf dem für ein Treffen mit Vertretern des Osmanischen Reiches in Semlin/Zemun 1779 der rote Teppich ausgerollt wird; die Rollfähre Spitz aus den 1960er Jahren mit Sonntagsausflüglern. Und aufs feinste klariert und aufgeriggt ist die k. k. Fregatte, das letzte Kriegssegelschiff auf der Donau – die Theresia.

Schiff ohne Namen Die Geschichte des Kriegssegelschiffs ist eine merkwürdige. Die Fregatte wurde in der Werft Klosterneuburg in Friedenszeiten gebaut – eine unübliche Vorgehensweise, da es keine ständige Kriegsflotte auf der Donau gab – und stammt vom schwedischen Schiffsbaumeister Erik Åhsberg. 1768 wurde das Schiff unter Beisein von Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. vom Stapel gelassen. Vorerst war es noch namenlos. Die Türken witterten Kriegsvorbereitungen. Um die Ängste zu zerstreuen, wurde den Regierungsstellen der Hohen Pforte mitgeteilt, dass „die Fregatte nur zur Belustigung ihro Majestäten gebaut wurde und nicht zu kriegerischen Zwecken“. In Peterwardein wurde das namenlose Schiff in einem Schuppen gelagert und

Der Schiffszug im Museum Spitz.

20 Jahre später bei der Rückeroberung Belgrads verkleinert, umgebaut und auf den Namen „Theresia“ getauft. Es diente als schwimmende Batterie. Dafür hätte es keiner stolzen Fregatte bedurft. Das Original wurde in zwei Jahren gebaut, Kurt Schaefer baute am Modell zwölf Jahre. „Zuerst lehnte ich ab“, schreibt Schaefer in „Die Donau-Fregatte Theresia – Geschichte & Modellbau“. „Das Bauen ist nicht so schwierig, wie es aussieht“, meint der Modellbauer, der in England – dem Mekka der Modellschiffe – Goldmedaillen gewann, „das Schwierige ist dranzubleiben. Man darf die Arbeit nicht weglegen.“ Nach seiner Pensionierung begann er, seine Doktorarbeit über die Holzschiffe an der Donau zu schreiben. Die Begriffe der einzelnen Teile eines Holzschiffes gab es noch, aber vielfach nicht mehr die Zuordnung. Das ist ihm in akribischer Arbeit gelungen. Dafür war er in Archiven, hat die letzten Schiffer befragt, Modelle und Pläne studiert, aber auch „von den Kettenmodellen, die über den Stammtischen der Schiffsleute hingen, habe ich noch wichtige Details erfahren. Ein Eisenwinkel auf einem DDSG-Schiff, auf dem der Anker aufgewunden wird, wird Schlangenkopf genannt. Auf den Holzschiffen war es tatsächlich ein geschnitzter Schlangenkopf, an dem der Anker aufgezogen wurde.“ Die Bezeichnung blieb, die Technik entwickelte sich weiter.

schaufenster / Kultur.Region / Oktober 2012

Kurt Schaefer in seiner Werkstatt in Pressbaum.

Pinzetten und Lupen, kleine Zangen, kleine Hobel, kleine Bohrer, kleine Schraubstöcke, eine kleine Schmiede – das ist die Werkstatt eines Modellbauers. Die Schiffsspanten (das ist das Skelett des Schiffsrumpfes) waren aus dem Stamm und dem Wurzelholz der Bäume gemacht und bilden das Gerüst für Boden und Wände. „Man muss sich vorstellen, wie viele Bäume für ein Schiff ausgegraben wurden!“ Schaefer nimmt dafür die Ästchen aus dem Wienerwald, der hinter seinem Haus in Pressbaum anhebt. Anstatt Eisennägel nimmt er die Dornen der Schlehe. Das Blech für die Beschläge ist aus alten Ofenrohren, Galionsfiguren und Wappen sind aus Buchsholz geschnitzt. Auf dem Tisch im Offizierscasino der Fregatte Theresia steht dann noch ein Rosenstrauß. / Text und Fotos: Mella Waldstein

SCHIFFFAHRTSMUSEUM SPITZ/DONAU

——————————————————— Öffnungszeiten bis Mi, 31. 10. 2012: tägl. 10.00–12.00 u. 14.00–16.00 Uhr
, So/Fei, 10.00–16.00 Uhr 3620 Spitz/Donau, Auf der Wehr 21 Tel. 02713 2246 www.schifffahrtmuseum-spitz.at


Tage der offenen Ateliers / 44

Tschechien

NESED’TE DOMA! Seit fünf Jahren laden die tschechischen Nachbarregionen zu den Tagen der offenen Ateliers.

Tage der offenen Ateliers in der Glashütte Effmert in Hluboká nad Vltavou. Foto: Katka Krejcova

„Neseďte doma! Sitzen Sie nicht zu Hause!“ So werben Künstlerinnen und Künstler der tschechischen Nachbarregionen für ihre Tage der offenen Ateliers. Vom weitläufigen Skulpturenpark über ein romantisch-verrücktes Kunstkaffeehaus am Ufer der Moldau, beeindruckende Kunstschmieden bis hin zum Atelier mit einem Klavier am Dach in einem versteckten Dorf an der Thaya: Die über 200 Ateliers der Kunstschaffenden sind genauso vielfältig wie die böhmisch-mährische Landschaft. Die „Tschechischen Tage der offenen Ateliers“ (TDOA) sind ein Know-how-Transfer der Kulturvernetzung Niederösterreich im Rahmen der grenzüberschreitenden Partnerschaft Porta culturae. In dem aufliegenden und bei der Kulturvernetzung NÖ erhältlichen Folder der TDOA 2012 ist eine Auswahl der tschechischen Ateliers in deutscher Sprache erfasst. Das Angebot ist in die drei

Regionen Südböhmen, Vysočina und Südmähren untergliedert und stellt in wenigen Worten die jeweiligen Künstler vor. Eine Übersichtkarte erleichtert es, eine „Tour de horizon“ ins Nachbarland zusammenzustellen. Bei jeder Atelier-Adresse sind die Sprachen angegeben, in denen sich die Besucher mit den Gastgebern verständigen können. Der Besuch der Ateliers ist nicht nur eine Möglichkeit, Kunst und Kunsthandwerk aus und in Tschechien kennenzulernen, sondern vielmehr auch die Gelegenheit, mit den Nachbarn direkt ins Gespräch zu kommen.

Geführte Touren Leopold Habermann ist Kunstschmied aus einer Kunstschmiededynastie in Jihlava/ Iglau: „Unser Kunsthandwerk wird bereits seit vielen Generationen tradiert. Wir schaf-

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fen aus einer tiefen Hingabe heraus und produzieren für Menschen. Es ist toll, wenn Menschen unsere Kunstschmiede besuchen. Nicht nur um zu kaufen, aber auch um zu reden.“ Die junge Keramikerin Johana Mierva in Jámy macht seit zwei Jahren mit: „Ich freue mich, dass ich das Handwerk zeigen kann. Es kommen Familien mit Kindern, die bei uns mitarbeiten dürfen. Sie probieren es und sehen, dass es eigentlich gar nicht so einfach ist, eine Schale zu drehen, und werden dabei natürlich auch ein wenig schmutzig. Das gefällt den Kindern immer.“ Der Maler Teodor Buzu: „Kollegen aus anderen Regionen sind neidisch auf diese Veranstaltung, in Prag gibt es so etwas nicht.“ Beliebt sind die geführten Touren durch die Ateliers, wie sie am Sonntag, den 7. Oktober in die Vysočina, das böhmisch-mährische Hochland rund um Jihlava/Iglau, angeboten wird. Bei den Tagen der offenen Ateliers sind die Besucher nicht nur zu Gast bei den Künstlerinnen und Künstlern, bei vielen besteht auch die Möglichkeit, sich mit bestimmten künstlerischen Techniken vertraut zu machen. Eine Erlebnis sind die zahlreichen Kunstschmieden in Tschechien, die für ihre hohe Qualität bekannt sind. Auch böhmische Glaswerkstätten sind zu besichtigen sowie eine Wollweberei in Strmilov und viele großformatige Arbeiten tschechischer Bildhauer. Zum Beispiel die von Lubo Kristek. Das Klavier am Dach weist den Weg in sein Atelier in einem versteckten Dorf an der Thaya. Für Technik-affine gibt es zu jeder Adresse die GPS-Koordinaten … / Text: Mella Waldstein

TAGE DER OFFENEN ATELIERS

——————————————————— 22./23. 9. 2012 Südmähren 6./7. 10. 2012 Vysočina 13./14. 10. 2012 Niederösterreich 20./21. 10. 2012 Südböhmen 7. 10. 2012 geführte Exkursion zu den tschechischen Tagen der offenen Ateliers Kulturvernetzung Niederösterreich, ETZ-Projekt „Porta culturae“ 3820 Raabs an der Thaya, Lindenhof Katka.krejcova@kulturvernetzung.at Tel. 0676 672 1500 oder 02846 21300 www.kulturvernetzung.at


Kultur.Region / 45

Aktuelles

Niederösterreichisches Adventsingen

volkskultur INTERN

weihnachtliche klänge

Wir gratulieren

—————————————————————— Ihren besonderen Geburtstag feiern unsere Ehrenmitglieder Hilde Haiden, Hohe Wand-Stollhof, 4. Oktober LR a. D. Traude Votruba, Felixdorf, 10. Oktober Ihren runden Geburtstag feiern unsere Ehrenmitglieder LR a. D. OkR Franz Blochberger (70), Krumbach, 16. Oktober Josef Rottensteiner (70), St. Anton an der Jeßnitz, 23. Oktober Anton Fahrngruber (80), St. Georgen an der Levs, 31. Oktober Ihren runden Geburtstag feiern unsere Mitglieder Reinhard Füllerer (70), Pottenbrunn, 3. Oktober Walter Gutmann (65), Wien, 4. Oktober

unsere neuen mitglieder

Foto: Grafenegg

—————————————————————— Unterstützendes Mitglied: Dr. Thomas Tavernaro, Wien

2. Niederösterreichischer

Trachtenball 25. Jänner 2013, 19.30 Uhr Schloss Grafenegg Ballmusik vom Feinsten mit Franz Posch & seine Innbrüggler, Weinviertler Kirtagsmusik, Duo Gradinger-Koschelu, Big Band der Militärmusik Niederösterreich Kartenvorverkauf ab sofort: Flanierkarten: EUR 35,00 inkl. Aperitif Auditorium Grafenegg: 02735 5500 Tonkünstler-Kartenbüro: 01 586 83 83 Tischplatzkarte: EUR 75,00 inkl. Tischplatz, Gedeck, Aperitif, Vorspeisenpotpourri, Schmankerlreigen und Mitternachtsuppe Reservierung ausschließlich unter tischkarten@volkskulturnoe.at

Weihnachtliche Lieder und Weisen aus den unterschiedlichsten Regionen Niederösterreichs hüllen das Auditorium am 6. und 7. Dezember in vorweihnachtliche Klänge aus bekannten und schon fast vergessen Advent- und Weihnachtsliedern. Für ein besonderes Konzerterlebnis sorgen der Chor Haag, die Mostviertler BlechMusikanten, der Familiendreigesang Knöpfl und die NiglHoga Stubnmusi. Lesung: Adi Hirschal Moderation & Konzeption: Dorli Draxler & Edgar Niemeczek Mit der Konzertkarte erhalten Sie am Konzerttag einmalig freien Eintritt zum Grafenegger Adventmarkt.

NIEDERÖsTERREICHISCHES ADVENTSINGEN 6. und 7. Dezember 2012, 19.00 Uhr Auditorium Schloss Grafenegg Karten: EUR 13,00 bis EUR 24,00 Auditorium Grafenegg: Tel. 02735 5500 Tonkünstler-Kartenbüro: Tel. 01 586 83 83

Informationen: www.wirtragennoe.at · 0664 848 5388

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www.grafenegg.at


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2nd life Die Räder der Autos (selbstverständlich auch von Traktoren) leisten im Ausgedinge noch allerlei Nützliches. Alle Bestandteile können wiederverwertet werden. Da gibt es den Schlauch, sofern er keine Löcher hat, der als Schwimmreifen viel Spaß bereitet. Unlängst sah ich sogar einen „echten“ Schwimmreifen in der Optik eines Autorreifens. Auch die Pneus, egal ob als Winter- oder Sommerreifen, haben ein Leben nach der Mobilität. Sie dienen gerne als Blumenkisterl. Das mag ja vielen nicht gefallen, aber bei Tankstellen ist so eine Kombination schon sehr konsequent. Aufgeschnitten ist

der Reifen auch ein wunderbarer Schaukelsitz anstatt eines -bretts. Überhaupt taucht der Reifen gerne auf Spielplätzen auf und findet als Puffer bei Booten und Schiffen seine Weiterverwendung.

Felgen haben im Garten oder im Schupfen eine gute Möglichkeit, sich nützlich zu machen: als Schlauchtrommel – so wie hier am Bild in der schönen Wachau. /

Landeinwärts

BANKERLSITZEN Dem Sitzen wird ja nicht viel Gutes nachgesagt: Es ist ungesund, manche kleben auf einem Sessel; andere sitzen ein oder einem Betrüger auf. Oder man sitzt zwischen zwei Sesseln. Übrigens – wir sitzen immer seltener auf Sesseln und immer häufiger auf Stühlen. Aber das ist eine andere Geschichte. Wir wollen über die vom Aussterben bedrohte Kultur des Bankerlsitzens berichten. Bankerlsitzen ist romantisch, entspannend und kommunikativ. Man sieht und wird gesehen. Das Bankerl im Dorf ist das, was die Bassena in der Stadt ist (war). Hier gedeiht Tratsch und Klatsch. Es ist auch der Ort grundsätzlicher philosophischer Bemerkungen à la „Alles wird schlechter“. Nicht nur, dass Bankerlsitzer immer seltener zu sehen sind, auch die Bänke verschwinden sukzessive aus dem öffentlichen Raum. Der öffentliche Raum ist

kommerzialisiert – wer sitzen will, soll gefälligst auch konsumieren. Bankerlsitzen ist eine öffentliche Demonstration des Müßiggangs. Und Müßiggang hat in einer Gesellschaft, die sich durch Leistung und Arbeit definiert, ein schlechtes Image. Wenn schon Müßiggang, dann bitte im Wellnesshotel, damit auch die Wirtschaft davon profitiert. Ich grüße, um den Müßiggang wertzuschätzen, prinzipiell alle Bankerlsitzerinnen und Bankerlsitzer. Speziell möchte ich an dieser Stelle der Bankerlrunde aus Irnfritz Hallo sagen. Es gibt verschiedene Plätze, wo Bänke stehen. Die einen stehen im öffentlichen Raum: in einem Park oder auf dem Dorfplatz, am Wiesenrand oder vor einem Teich. Die anderen sind jene vor dem Haus. Sie markieren die Erweiterung des Innen-

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raums nach außen. In Baumgarten im Burgenland wurde das Bankerl zum Projekt. Dabei „wanderte“ eine Sitzbank – und mit ihr ein Kommunikationszentrum – durch das Dorf. In den Baumgartner Nachrichten (Sommer 2010) stand zu lesen: „Das zweite ,Baumgartner Bankerl-Sitzen‘ fand am 17. 6. in der Burggrabengasse, das dritte am 24. 6. beim Waaghäusl statt. Das Baumgartner Zukunftsbankerl und zwei weitere aufgestellte Bänke waren letztlich zu wenig, denn die nach und nach eintreffenden BaumgartnerInnen waren so viele, dass sie kaum mehr Platz zum Sitzen fanden.“ Stellt die Bänke vors Haus. Macht ein Sit-out. / Mella Waldstein


Damit Visionen Wirklichkeit werden, ermöglicht Raiffeisen viele Kulturveranstaltungen durch seine regionalen und lokalen Förderungen. Denn Realisierung und Erfolg von Kulturinitiativen hängen nicht nur von Ideen, sondern auch von finanziellen Mitteln ab. Gemeinsam ist man einfach stärker. www.raiffeisen.at


GALERIE DER REGIONEN Erlesenes Kunsthandwerk und edle Geschenksideen aus Europas Regionen

3504 Krems-Stein · Donaulände 56 T. 02732 85015 · galerie@volkskultureuropa.org · www.volkskultureuropa.org Öffnungszeiten: Mo–Mi, Fr 14.30–18.00 Uhr · Do 14.30–19.00 Uhr Sa 10.00–12.00 Uhr und 13.00–17.00 Uhr


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