schaufenster KULTUR.REGION

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Nachrichten aus der Kultur.Region Niederösterreich . Februar 2015

schaufenster

KULTUR.REGION Winterfreuden Schwerpunkt / Schreiben . Schmelztiegel Wien / aufhOHRchen im Festspielhaus

P.b.b. · Vertragsnummer 10Z038552S · Erscheinungsort: 3452 Atzenbrugg · Verlagspostamt: 3451 Michelhausen · DVR: 0933 295

Faschingsbräuche / Gebotener Exzess


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EinBlick / 3

Regionale Kulturarbeit

ZIELFÜHRENDE WEGE

Von den Mühen der Ebene bis hinauf zu den höchsten Sphären verlaufen die Wege ambitionierter Kulturarbeit und niveauvoller Kunstvermittlung. Worauf es ankommt, ist solche Wege zu bereiten und zu beschreiten.

Der österreichische Stardirigent Nikolaus Harnoncourt meinte in einem Interview der Tageszeitung „Die Welt“ anlässlich seines 85. Geburtstags im vergangenen Dezember auf die Frage, wieso er sich so sehr auf die Arbeit mit seinem Concentus Musicus konzentrierte: „Ich wollte nicht immer wieder von vorne anfangen müssen. Jedes Mal musste weniger erklärt werden.“ Der Weg allein war demnach nicht das sprichwörtliche Ziel. Ziel ist die Vollkommenheit eines Werks, und der Weg dorthin führt über seine Notwendigkeiten. Die Kulturarbeit der Kultur.Region.Niederösterreich und ihrer Betriebe setzt meist am Anfang dieses Wegs ein, nämlich dort, wo Kunst und ihre Ausbildung beginnen. Dabei geht es im Wesentlichen darum, diese Kulturarbeit als Gegenstand und Mittel ästhetischer Bildung zu verstehen, und zwar in ihrer gesamten Bandbreite. Es geht also um die Ausbildung von Kompetenzen im Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken, Bewegen, Artikulieren, Verstehen, Denken und vieles mehr. So gesehen bildet die Kultur.Region.Niederösterreich eine wesentliche Klammer über all ihre Kulturvermittlungsangebote, ob das Spiel eines Instruments erlernt, die eigene Stimme ausgebildet oder Werkkenntnis angeeignet wird, ob die Fähigkeit zum Lesen, Schreiben, Sprechen, Malen, Tanzen, Handarbeiten oder Fotografieren weiterentwickelt wird, ob besondere Talente entdeckt und gefördert werden, ob die Einrichtung einer Ausstellung fachlich fundiert ist und entsprechende Präsentationstechniken beinhaltet oder ob

jungen Menschen die Möglichkeit geboten wird, sich mit den verschiedensten Kulturtechniken und Kunstformen vertraut zu machen. Dazu kommt die Gestaltung von Lebensräumen und der Umwelt, handelt es sich nun um die Einrichtung von Wohn- und Arbeitsräumen, die Architektur bei Neu- oder Umbauten, die Anlage und Pflege von Gärten oder aber um die tagtägliche Begegnung mit anderen Menschen, wenn also so etwas wie gegenseitiger Respekt und gutes Benehmen gefragt sind. Alles in allem könnte das Programm der Kultur.Region.Niederösterreich also folgender Intention dienen: dem Durchfluten der Gesellschaft mit Kultur hoher Güte und Qualität! Träumen wird man ja wohl noch dürfen. Holzwege sind bekannterweise solche, die irgendwo mitten im Dickicht des Waldes enden, ohne zum eigentlichen Ziel geführt zu haben. Dem gegenüber hoffen wir, dass die der Kulturarbeit offen stehenden Wege all jene, die darauf schreiten, letztendlich zum angepeilten Ziel führen. Dorli Draxler, Edgar Niemeczek

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Top-Termine / 4

Februar/März 2015

Foto: M. Winkelmann

TOP-TERMINE

NEUE CHANCEN – KREMSER KAMINGESPRÄCHE ON TOUR —————————————————— Mi, 11. 2. 2015, 18.00 Uhr Bockkeller des Wiener Volksliedwerkes 1160 Wien, Gallitzinstraße 1 —————————————————— Wer träumt nicht davon, einmal ganz von vorne beginnen zu können, die Vergangenheit zurück zu lassen und neue Chancen zu erhalten. „Neue Chancen“: So lautet der Titel der mittlerweile 18. Reihe der Kremser Kamingespräche, die zum Auftakt am 11. Februar 2015 um 18.00 Uhr erstmals ON TOUR – und zwar in den Bockkeller des Wiener Volksliedwerkes – geht.

PRIMA LA MUSICA 2015 —————————————————— Mo, 23. 2.–So, 1. 3. 2015 Do, 5. 3.–So, 8. 3. 2015 Festspielhaus St. Pölten 3109 St. Pölten, Kulturbezirk 2 ——————————————————

SCHMELZTIEGEL WIEN – aufhOHRchen IM FESTSPIELHAUS ST. PÖLTEN —————————————————— Sa, 14. 3. 2015, 19.30 Uhr Festspielhaus St. Pölten 3109 St. Pölten, Kulturbezirk 2 ——————————————————

„Stunde.Null“ heißt das erste Kamingespräch der kommenden Staffel, zu dem Herbert Zotti, Vorsitzender des Wiener Volksliedwerkes, und Ulrich Morgenstern, Professor für Volksmusik an der Musikuniversität Wien, über Geschichte und Gegenwart der Volkskultur diskutieren. Die weiteren Kremser Kamingespräche der Staffel „Neue Chancen“ werden wie gewohnt im Haus der Regionen in KremsStein stattfinden.

Ende Februar wird das Festspielhaus St. Pölten wieder Schauplatz von Niederösterreichs größtem Musikwettbewerb: prima la musica wird zum 21. Mal auf Landesebene ausgetragen und versammelt die talentiertesten Musikschüler zum musikalischen Kräftemessen und Austausch. Rund 1.000 junge Musiker bereiten sich seit Monaten auf den großen Moment vor, in dem sie vor der Jury ihr Programm präsentieren. Wer sich selbst vom Talent der Nachwuchsmusiker überzeugen möchte, hat Ende Februar bzw. Anfang März die Gelegenheit dazu: Der Wettbewerb ist für Publikum geöffnet.

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Information Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 Tel. 02732 8501522 www.volkskultureuropa.org

Information Musikschulmanagement Niederösterreich Tel. 02742 9005 16890 julia.pfeiffer@musikschulmanagement.at www.musikschulmanagement.at

Information Festspielhaus St. Pölten 3100 St. Pölten, Kulturbezirk 2 Ticket-Tel. 02742 908080600 www.festspielhaus.at

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Über die Jahrhunderte hinweg wird über Wien als eine Stadt berichtet, in der die Ethnien aufeinandertreffen. Im Wien von heute sind etwa 30 Prozent der Wiener im Ausland geboren, berücksichtigt man den Migrationshintergrund, so ist knapp die Hälfte der Wiener Bevölkerung selbst bzw. mindestens ein Elternteil zugewandert – Schmelztiegel Wien. Unter diesem Motto spannt das aufhOHRchen-Konzert im Festspielhaus St. Pölten den musikalischen Bogen von den Philharmonia Schrammeln mit Birgid Steinberger über den Jüdischen Chor Wien bis zur Tschuschenkapelle.


Inhalt / 5

Februar 2015

INHALT Winter Skifahren

Zeitzeugnis Die 5er Jahre:

6 /

22 /

abseits der Alpen

—————— Kremser Kamingespräche

9 /

24 /

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Schwerpunkt Schreiben

26 / Papiermühle im Waldviertel

11 / Programmvorschau

—————— Schwerpunkt Schreiben

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28 / Tattoo –

Bräuche Fasching

12 /

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aufhOHRchen im Festspielhaus Schmelztiegel Wien

Die Stunde Null – Interview Herbert Zotti

—————— Haus der Regionen

1815/1945/1955/1995

Beschreiben der Haut

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Schwerpunkt Schreiben Stiftsbibliotheken

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Auslage Bücher & CDs

14 /

30 /

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Schwerpunkt Schreiben Schreiben über Musik

Werkstattbericht Textilrestaurierung

17 /

32 /

—————— Musikschulen

18 / Talenteförderung

20 /

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—————— Seitenstetten

34 / Niederösterreichischer

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Kreativakademie Schreibakademie

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Museumstag ——————

Schwerpunkt Schreiben

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36 / Edition Thurnhof

Schwerpunkt Schreiben

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38 / Der Umgang mit Büchern Forschung Museumsdepots

40 /

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Auslage

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43 / Galerie der Regionen Museumsdorf Niedersulz Schlitten

44 /

—————— Kultur.Region

47 / Fortbildung

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Kultur.Region

48 / Sendetermine &

Zwischen Himmel und Erde

—————— Kultur.Region

49 / Nachschau &

Intern

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50 / Die letzte Seite

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IMPRESSUM Herausgeber: Prof. Dr. Edgar Niemeczek, Dorothea Draxler. Chefredakteurin: Mella Waldstein. Redaktionsteam: Mag. Michaela Hahn, Mag. Katharina Heger, Mag. Marion Helmhart, Markus Kiesenhofer, MA, DI Claudia Lueger, Dr. Freya Martin, Mag. Dr. Jürgen Nemec, Dr. Veronika Plöckinger-Walenta, Mag. Andreas Teufl, Mag. Ulrike Vitovec, Mag. Eva Zeindl, Mag. Doris Zizala. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Ausgabe: Mag. Doris Buchmann, Mag. Dr. Martina Griesser-Stermscheg, Mag. Nicole Malina-Urbanz, MMag. Ilse Mühlbacher, Prof. Dr. Franz Oswald, Prof. Dr. Helga Maria Wolf. Produktionsleitung, Marketing, Anzeigen und Beilagen: Mag. Marion Helmhart. Eigentümer/Medieninhaber: Volkskultur Niederösterreich GmbH, 3452 Atzenbrugg, Schlossplatz 1, FN 308711m, LG St. Pölten. Tel. 02275 4660, office@volkskulturnoe.at, www.volkskulturnoe.at. Geschäftsführung: Dorothea Draxler, Mag. Dr. Harald Froschauer. Sekretariat: Tina Schmid, Carina Stadler. Grafik/Layout: Atelier Olschinsky Grafik und Design GmbH, 1060 Wien. Druck: good friends Druck- und Werbeagentur GmbH. Verlagspostamt: 3451 Michelhausen. Versandpostamt: Postamt 3112 St. Pölten. ISSN 1680-3434. Copyrights: Kultur.Region.Niederösterreich GmbH, 3452 Atzenbrugg. Artikelübernahme nur nach Vereinbarung mit dem Herausgeber. Fotos: Wenn nicht anders angegeben, Bildarchiv der Volkskultur Niederösterreich GmbH. Ziel der Zeitung: Information und Berichterstattung über Kunst und Kultur und ihre gesellschaftlichen Bedingtheiten mit besonderer Berücksichtigung der Regionalkultur im Bundesland Niederösterreich, Beiträge aus Wissenschaft und Praxis, Ankündigungen und Hinweise. Alle in der Zeitschrift verwendeten Begriffe, Personen- und Funktionsbezeichnungen beziehen sich ungeachtet ihrer grammatikalischen Form selbstverständlich in gleicher Weise auf Frauen und Männer. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers und der Redaktion widerspiegeln. Cover: Manfred Horvath

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Winter / 6

Skifahren

WINTERFREUDEN

Foto: Manfred Horvath

Skifahren abseits der Alpen. Kleine Skigebiete sind die Nahversorger unserer Winterfreuden.

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Winter / 7

Eiskletterturm in Kirchbach. Foto: FVV Kirchbach

Hier rutscht alles, was der Schwerkraft folgt, talwärts: Holzrodel trifft Snowboard, Bob liefert den Skiern ein Rennen – und es gewinnt ein mit Stroh ausgestopfter Plastiksack, der wie aus dem Nichts auftaucht und in der Zielgeraden gewaltig an Fahrt aufnimmt. Am Pistenrand wird ein Kinderwagen geschoben. Hunde genießen ihren eigenen Winterspaß und graben Löcher in den Schnee. Der kleine Waldviertler Lift ist der Gegenentwurf zu Skischaukeln, Funparks, Tiefschnee und Après-Ski. Das Allerbeste daran ist: Man muss nicht schick sein. Keine durchgestylte Snowboardmode, keine nagelneuen Slalomcarver, der Parallelschwung ist auch weit abseits von gekonnt. Hier zählt: Dabei sein ist alles. Doch wenn es am allerschönsten ist – endlich liegt genug Schnee, die Semesterferien sind angebrochen, die Sonne scheint und es fühlt sich an wie Lech am Arlberg –, dann steht am Liftwarthäuschen: Mittagspause! So viel Geduld muss der Wintersportler schon aufbringen. So kehrt er unverzüglich in die „Mittelstation“ ein. Sie liegt zwischen Babylift und Schlepper, von hier überschaut man den gesamten Hang. Dampfender Tee, das Rumpeln der Skischuhe über den nassen Boden, die Handschuhe auf den Heizköpern und rote Wangen lassen Hüttenstimmung aufkommen.

Winterfreuden im Waldviertel: Skidorf Kirchbach. FVV Kirchbach

180 Pistenkilometer Bis zu 700.000 „Skier Days“ (das sind die Ersteintritte in die Skigebiete) verzeichnet Niederösterreichs Tourismuswirtschaft in einer Wintersaison. Mit einem Bündel zusätzlicher attraktiver Angebote soll diese Zahl in der aktuellen Saison gesteigert werden. In Niederösterreich gibt es derzeit 20 Skigebiete mit rund 180 Pistenkilometern, 75 Aufstiegshilfen und 20 Skischulen. Sie alle punkten durch eine überschaubare Größe, die vor allem Familien mit kleinen Kindern entgegenkommt. Die jungen Sportler können die „Snow Fun Academy“ in den Skigebieten Annaberg, Hochkar, Lackenhof am Ötscher, Mönichkirchen-Mariensee, Semmering, St. Corona am Wechsel und Puchberg am Schneeberg besuchen und testen.

Skipioniere Wie schon das eingangs beschriebene Wintersportzentrum Frauenstaffel bei Waidhofen an der Thaya hat das Waldviertler Hochland noch einige andere Skilifte zu bieten. Ein 50-jähriges Jubiläum kann heuer der Skiclub Nordwald feiern, der 1965/66 den ersten Lift auf der Friedhofswiese in Karlstift installierte: einen sogenannten Rucksacklift. Dieser schnell auf- und wieder abbaubare Lift wurde mit einem Dieselmotor betrieben. Der Lift hat seinen Namen von der Form der Anklemmvorrichtung, die der

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Skifahrer mitbringen oder gegen ein Entgelt vom Skigebietsbetreiber mieten muss und mit der er sich an einem einfachen, schnell laufenden Stahlseil selbst anklemmt. Die Klemmvorrichtung ist über ein kurzes Seilstück mit einem Gurt um die Hüfte des Liftbenutzers verbunden.

Skifahren im Weinviertel „Ein Lift wäre schön!“, dachte man auch im Weinviertel. Ein schneereicher Winter anfangs der 1960er Jahre kam den Pionieren des Skiclubs Hollabrunn entgegen. Sie fanden geeignete Verhältnisse am Fahndorfer Berg. Aus der Vereinsgeschichte auf der Homepage der Hollabrunner Alpinskiläufer ist zu lesen: „Durch Mundpropaganda wurden es immer mehr Skibegeisterte, darunter auch honorige Hollabrunner (Bezirkshauptmann, Rechtsanwälte, Kaufleute), die diesen größeren Hügel bei ausreichender Schneelage befuhren. Es gab nur ein Problem: Der ,Berg‘ musste nach jeder Abfahrt bestiegen werden. Sportartikelhändler Karl Buchta brachte an einem Wochenende im Jahre 1968 einen Rucksacklift mit.“ Am Fahndorfer Berg bei Niederfellabrunn sind zwei Schleppanlagen in Betrieb. Diese müssen wie alle „großen“ Beförderungsanlagen technische Überprüfungen und Sicherheitsnormen aufweisen, und diejenigen, die den Lift betreiben, haben Schulungen absolviert. Dazu kommen viele Stunden ehren-


Winter / 8

Anmarsch zur Piste in Lilienfeld – dort, wo der Skiboom seinen Ausgang nahm.

amtlicher Arbeit der Vereinsmitglieder über Generationen hinweg. Sie haben an den Anlagen gebaut, Hütten errichtet und in Beschneiungsanlagen investiert. Und dann kann es passieren, dass der Winter gar nicht kommt. „Der Schnee reicht manchmal nur zum Rodeln“, weiß auch Karl Hauser, Obmann der Naturfreunde Mannersdorf am Leithagebirge. Auch an der Grenze zu Pannonien frönt man dem alpinen Sport. Schon im Jahre 1950 wird durch die Gemeinde eine Rodungsbewilligung für einen Hang am Scheiterberg gegeben. Die offizielle Eröffnung des Skiliftbetriebes erfolgte 1972, eine ehemalige Unterstandshütte aus dem Kalksteinbruch wurde zu einer bewirtschafteten Schutzhütte.

Skidorf Kirchbach Von einer Schleppliftanlage zu einem Skidorf entwickelte sich das Waldviertler Kirchbach bei Rapottenstein. Auch hier sind die Mitglieder des Femdverkehrsvereins rund um Rudolf Damberger unermüdlich im Einsatz. Beschaulich war gestern, seit über zehn Jahren setzt man hier auf Erlebnis. Ein Teich für die Produktion von Schnee wurde ausgehoben, eine Flutlichtanlage errichtet, die mehrmals wöchentlich das Skifahren und Snowboarden bis 21.00 Uhr ermöglicht. Da ist es dann zum Après-Ski nicht weit. Rudolf Damberger: „Publikumsmagnet ist der Kirchbochstadl, in welchem sich nicht nur Skifahrer und Snowboarder während oder nach der Ausübung ihres Lieblingssportes aufhalten, sondern sich auch die regionale

Der erste Skikurs am Semmering, 1904. Fotos: Anonym/ Imagno Austrian Archives

Bevölkerung einfindet und sogar so manche Städter aus dem nahen Zwettl oder aus Großgerungs vorbeischauen.“ Kursprogramme sind selbstverständlich. Als Attraktion von Kirchbach gilt der Eiskletterturm, der Big Horse Tower, der an kalten Tagen oftmals bestiegen wird. Ausrüstungen kann man sich gegen Leihgebühr ausborgen. Ideal, so Damberger, sei auch das Kleinklima: „Das Gelände des Skidorfes liegt am Nordhang des Kirchbachs, dort, wo es eben noch ein bisschen kälter ist. Darum kann eine Saison durchaus bis Mitte März hinein andauern. In vergangenen Jahren wurden auch schon mehr als 80 Betriebstage erreicht.“ Auf Snowboard und junges Image setzt auch der Jauerling im südlichen Waldviertel. Hier – leider immer wieder durch den Klimawandel vereitelt – waren Snowboardmeisterschaften geplant. Aber wenn’s mit dem Wetter nicht immer passt, kann man in der Hütte, ein zeitgemäßer Baukörper des Architektenteams ertl und henzl, in die Landschaft schauen. Einstweilen sind die Schatten länger geworden. Am Skihang Frauenstaffel wird zur letzten Bergfahrt gerufen. Die Punktekarte – wird hier noch gezwickt! – ist schon voll. „Macht nix“, heißt es freundlich, „ein Mal geht immer noch.“ / Text: Mella Waldstein

ABSEITS DER ALPEN

——————————————————— Skidorf Kirchbach 3911 Rappottenstein Tel. 02828 8366 www.kirchbach.net Arralifte Harmannschlag 3971 St. Martin Tel. 0664 5233485 www.arralifte.at Aichelberglifte 3973 Karlstift Schnee-Tel. 02816 231 www.karlstift.info Frauenstaffel bei Ulrichschlag 3830 Waidhofen a. d. Thaya Tel. 02842 50354 (Stadtgemeinde) www.waidhofen-thaya-stadt.at Skipark Jauerling Schnee-Tel. 02713 2874 Sa, 8. 2. 2015: Sunrise Ski – Lifte ab 7.00 Uhr geöffnet www.jauerling.at Weinviertel – Fahndorfer Berg Das Skigebiet „Goaß“ liegt im DreiGemeinden-Eck Oberfellabrunn/Fahndorf/Kiblitz www.skiclubhollabrunn.at Skiwiese Scheiterberg Tel. 0664 73043747 (Karl Hauser) 3452 Mannersdorf im Leithagebirge www.schiwiese.at _

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Kremser Kamingespräche / 9

Interview

ES GIBT KEINE „STUNDE NULL“ Prof. Ing. Herbert Zotti, Vorsitzender des Wiener Volksliedwerkes, über Tradition und Innovation in der Volkskultur, den Begriff der „Stunde Null“ und über Gefahren der Musealisierung und neue Chancen für die Volksmusik. Dennoch konnte er ab 1954 wieder an der Universität lehren, wurde Professor und erhielt hohe Auszeichnungen. Seine Weltanschauung änderte er nicht, hier gab es keine „Stunde Null“. Ist eine „Stunde Null“ dem Wortsinn nach, als voraussetzungsloses, unmittelbares Anfangen von Null weg, ausgehend von einer durchgängigen Bruchstelle mit dem Gewesenen überhaupt möglich?

Herbert Zotti: „Die in der Volkskultur beliebten Zuschreibungen des ‚Echten‘ und ,Alten‘ werden oft sehr missverständlich verwendet. Gibt es denn ein ,unechtes‘ Lied im Gegensatz zu einem ,echten‘?“

Kennt die Volkskultur, kennt das Volkslied eine „Stunde Null“? Zotti: Der Begriff der „Stunde Null“ bezieht sich primär auf die politische Situation in Deutschland unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und damit auf die Frage nach den Brüchen und Kontinuitäten zum NS-Regime. In Österreich kann man von einer „Stunde Null“ noch am ehesten mit Blick auf den November 1918, also auf die Umbrüche nach dem Ende der Habsburgermonarchie, sprechen. Was die österreichische Volkskultur betrifft, so stellt das Jahr 1945 keinen wirklichen Bruch mit den tra-

dierten Kontinuitäten dar. Auch die weitgehende personelle Kontinuität vieler bekannter, einflussreicher Protagonisten in der Volkskultur ist erstaunlich. So wurde etwa der Wiener Richard Wolfram, eine der zentralen Gestalten der damaligen österreichischen Volkskunde, zugleich ein einflussreicher und überzeugter Nationalsozialist, nach 1945 zwar für einige wenige Jahre mit einem Unterrichtsverbot belegt. Wolfram, der bereits 1932 der österreichischen NSDAP beitrat und vor dem sogenannten „Anschluss“ explizit nazistische Ideologien in seinen Publikationen vertrat, hatte leitende Funktionen in der NS-Kulturpolitik.

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Zotti: Von einer „Stunde Null“ kann man aus phänomenologischen Gründen – auch und gerade in der Volkskultur – eigentlich nicht sprechen. Bei gesellschaftlichen Phänomenen gibt es grundsätzlich keine wirkliche „Stunde Null“. Denn auch wenn sich starke Einbrüche und Absätze, eindeutige Diskontinuitäten und Zäsuren ereignen, ja selbst wenn alles Gewesene in Trümmern liegt: Es gibt immer Voraussetzungen, Anknüpfungs- und Vermittlungspunkte. In der Volkskultur kommt hinzu, dass sie teils einfach passiert, also nicht ausschließlich intentional gemacht wird. Ist die Entwicklung der österreichischen Volkskultur somit von weitgehender Kontinuität gekennzeichnet? Zotti: Nicht nur. Der Volkstanz etwa ist ein weitgehend städtisch-bürgerliches Phänomen des 19. Jahrhunderts, das dann aufs Land hinausgetragen wurde. Das vermeintlich „Alte“ und „tief Verwurzelte“ reicht hier also weniger weit zurück, als in manchen Klischees darzustellen versucht wird. Auf die Entwicklung der Volkskultur in Österreich


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hat. Generell bin ich heute viel optimistischer als wie noch vor 20 Jahren, denn viele erkennen mittlerweile, dass Kultur nichts Abgeschlossenes, Statisches und starr Fixiertes ist, sondern nur im dynamisch-kreativen Fluss lebendig bleibt. Macht es dann Sinn, von „echter“ Volkskultur zu sprechen?

„Neue Chancen“ lautet der Titel der aktuellen Staffel der Kremser Kamingespräche. Foto: shutterstock

hatte die Jugendbewegung ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert einen prägenden Einfluss, also die Wandervogel-Ära genauso wie etwa die Pfadfinder. Nach dem Ersten Weltkrieg kam die „Bündische Jugend“ hinzu, die Jugendbewegung wurde zu bestimmten Formen der Gemeinschaftsbildung, vor allem für Ideologien der Volksgemeinschaft, instrumentalisiert. Das heißt, der Verweis auf das große gemeinsame Ganze, dem sich der Einzelne nach einem hierarchischen, autoritären Führerprinzip unterzuordnen hatte, zog sich damals durch viele dieser Strömungen, die zu vereinnahmen der Nationalsozialismus letztlich ein leichtes Spiel hatte. Zudem waren Antisemitismus und Deutschnationalismus in dieser Phase durchaus weit verbreitet. Wann begann sich die Volkskultur in Österreich zu emanzipieren und offen kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen? Zotti: Bis in die 1970er Jahre hinein dominierten einzelne charismatische Führungspersönlichkeiten die Volkskulturszene, sodass eine wirkliche kritische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit nicht stattfand. Man folgte anerkannten Autoritäten, was für eine eigenständige Reflexion wenig förderlich war. Der Volkstanz jener Zeit ist durchaus paradigmatisch für diese Grundhaltung. In den 1970er Jahren ging ein Ruck durch die Gesellschaft, ebenso durch die Volkskultur und die universitäre Volkskunde. Volkskundler begannen, sich mit Alltagsphänomenen auseinanderzusetzen, der Nimbus und Mythos von ver-

meintlich unantastbaren Ursprüngen volkskultureller Formen wurde kritisch hinterfragt, der Zugang demokratisiert und breiter. Das Bemühen um eine fruchtbringende kritische Auseinandersetzung ist freilich immer auch ein schmerzhafter Prozess, der dann auf Widerstände stößt, wenn Tradition als bloße Weitergabe von vermeintlich Unveränderbarem, in Stein Gemeißeltem gesehen wird. In welchem Bezug stehen in der Volkskultur Tradition und Innovation zueinander, also die Anknüpfung an das Überlieferte, an das Gewesene einerseits und das Streben nach Originalität, nach Neuem andererseits? Liegt hier ein Spannungsbezug vor? Oder ergänzen einander das Alte und das Neue – oder besteht gar ein Gegensatz zwischen beiden? Zotti: Eine gute Frage, die differenziert beantwortet werden muss. Auf der einen Seite besteht freilich die Gefahr einer Musealisierung und damit eines Hochhaltens von Traditionen ohne Reflexion auf das, was überhaupt tradiert wird. Eine solche Denkweise umnebelt zum Beispiel Volkstänze als vermeintlich uralte Ausdrucksformen, an denen jede Veränderung eine große Katastrophe wäre. Dadurch wird nicht nur verkannt, dass viele Volkstänze einfach Modetänze aus dem 19. Jahrhundert waren. Es wird vor allem übersehen, dass Tanz immer Choreographie, also ein von Menschen Gemachtes ist. Es gibt aber in der Volkskultur auch die andere Seite, die einen spielerischen, kreativen und freieren Umgang mit Traditionen

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Zotti: Die in der Volkskultur beliebten Zuschreibungen des „Echten“ und „Alten“ werden oft sehr missverständlich verwendet. Gibt es denn ein „unechtes“ Lied im Gegensatz zu einem „echten“? Oft werden mit der Gegenüberstellung von echt und unecht Bedeutungen wie Altbewährtes einerseits und Kommerzialisiertes andererseits assoziiert. Aber wo genau liegt die Grenze? Das Prädikat der Echtheit bringt meines Erachtens wenig Klarheit und viel Nebuloses in den Diskurs. Wäre die Kommerzialisierung ein Ausschlusskriterium für eine „echte“, authentische Volkskultur? Zotti: Auch hier ist es unmöglich, eine klare und stringente Grenze zwischen einem kommerziellen und nicht kommerziellen Charakter im Kulturschaffen zu ziehen. Musikanten haben immer auch für Geld gespielt. Über die Jugendbewegung etablierte sich zwar der Gedanke des Ehrenamts, des kostenlosen Musizierens in der Volkskulturszene. Und dennoch hat die Musik immer auch mit Geld zu tun, gute Musiker erhalten – völlig zu Recht – Geld für ihre Leistungen. Macht ein Karl Hodina, einer der bedeutendsten Künstler des neuen Wienerlieds, Kommerzmusik, nur weil er Geld mit seiner Kunst verdient? Der Spruch „Ohne Geld ka Musi“ hat schon seine Berechtigung. Um noch ein wenig beim Wiener Volkslied zu bleiben: Lassen sich besonders markante Innovationsschübe im Zeitfluss des Wienerlieds verorten, die zwar keine „Stunde Null“, wohl aber Aufbrüche in ein Neues zeitigten? Zotti: Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Wienerlied etwas beinahe Komisches an sich, gespielt wurden Lieder, die niemanden weh tun wollten, mit einem starken RetroAnstrich, einer historisierenden Einfärbung und einem Dahinplätschern im Harmlosen.


Haus der Regionen / 11

Das änderte sich deutlich Mitte der 1960er Jahre und von da an kann man sehr wohl von Innovationsschüben sprechen. Der bereits erwähnte Karl Hodina galt damals als Schrecken der Szene und wird heute als Doyen des Wienerlieds verehrt. Hodina und ab den 1970er Jahren Roland Neuwirth haben maßgeblichen Anteil an einem erfrischenden Aufbrechen verkrusteter Strukturen, an einer seither hereinströmenden Originalität, weit weg von jeglichem Kitsch und der Glorifizierung des Gestrigen. Auch das WienermusikFestival „wean hean“ hat viel Schwung gebracht, fernab eines „Pensionistengejammers“, um ein Bonmot von Roland Neuwirth zu gebrauchen. Heute ist die Volksmusik viel bunter, spielerischer und origineller und damit auch wieder attraktiver für junge Menschen. /

Vorschau

ES WIRD BUNT

Interview: Jürgen Nemec

Do, 5. 3. 2015, 18.00 Uhr FILM / Reiseckers Reisen

KREMSER KAMINGESPRÄCHE NEUE CHANCEN

——————————————————— „Kremser Kamingespräche on Tour“ im Bockkeller des Wiener Volksliedwerkes: Mi, 11. 2. 2015, 18.00 Uhr Stunde.Null

Prof. Ing. Herbert Zotti, Geschäftsführender Vorsitzender des Wiener Volksliedwerkes

Der aus Oberösterreich stammende Dokumentarfilmer Michael Reisecker begibt sich auf eine Reise kreuz und quer durch Österreich. Der Film ist eine Mischung aus Dokumentation und Roadmovie, mit Drang zum Ungewöhnlichen und erfrischendem Kontakt zu Land und Leuten. Der Film wird von Michael Reisecker persönlich präsentiert. Freie Platzwahl. VVK: EUR 10,00; AK: EUR 12,00 _

Univ.-Prof. Dr. Ulrich Morgenstern, Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie in Wien Bockkeller 1160 Wien, Gallitzinstraße 1 www.wvlw.at _ Die Kremser Kamingespräche im Haus der Regionen:

Sa, 14. 3. 2015, 19.30 Uhr Antiche Ferrovie Calabro-Lucane Mit dem Ensemble Antiche Ferrovie Calabro-Lucane geht die Reise in die Tiefe des italienischen Südens: ein ländliches Italien, geprägt von mediterranen Wäldern, Seen und Bergen. Die Gruppe bereist ihrem Namen entsprechend (übersetzt: alte Eisenbahnlinie Calabro-Lucane) und musikalisch die zwei süditalienischen, bäuerlich geprägten Regionen Kalabrien und Lucania. Kat. I: VVK: EUR 18,00; AK: EUR 20,00 Kat. II: VVK: EUR 16,00; AK: EUR 18,00

Fr, 6. 3. 2015, 19.30 Uhr KABARETT / Günter Mokesch – Danke!

Tipp: Genießen Sie vor dem Konzert ein dreigängiges Menü im Restaurant BLAUENSTEIN inklusive Konzerteintritt um insgesamt EUR 36,00. _

Information und Kartenbestellung

Mi, 13. 5. 2015, 18.00 Uhr: Partner.Glück

Der Hauptdarsteller zahlreicher Musicals sowie Produzent und Interpret einiger Pophits präsentiert als Musikkabarettist in seinem aktuellen Programm das Beste aus knapp 20 Jahren und drei MusikComedyshows. Launige Plauderei unter „animationsterroristischer“ Einbeziehung des Publikums.

Mi, 10. 6. 2015, 18.00 Uhr: Kunst.Quelle _

Kat. I: VVK: EUR 18,00; AK: EUR 20,00 Kat. II: VVK: EUR 16,00; AK: EUR 18,00 _

www.volkskultureuropa.org _

Mi, 11. 3. 2015, 18.00 Uhr: Unternehmer.Geist Mi, 8. 4. 2015, 18.00 Uhr: Heimat.Suche

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Haus der Regionen 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 Tel. 02732 85015 ticket@volkskultureuropa.org


Fasching / 12

Bräuche

GEBOTENER EXZESS Es scheint ein Grundbedürfnis zu sein, dass Menschen von Zeit zu Zeit ihren Alltag verlassen, um symbolisch in eine andere Haut zu schlüpfen.

Fasching ist eine Zeit der verkehrten Welt.

Frederico Fellinis Film „Casanova“ förderte die Wiederbelebung des Karnevals von Venedig.

Vor einem Jahrhundert schrieb der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud (1856–1939) in seiner Abhandlung „Totem und Tabu“: „Ein Fest ist ein gestatteter, vielmehr ein gebotener Exzess, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes. Nicht weil die Menschen infolge irgend einer Vorschrift froh gestimmt sind, begehen sie Ausschreitungen, sondern der Exzess liegt im Wesen des Festes; die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des sonst Verbotenen erzeugt.“

Verkehrte Welt Im Fasching ist alles erlaubt, was sonst verboten ist, wie Geschlechterwechsel, Freizügigkeit, derbe Scherze, Protest und Parodie. Es ist eine Zeit der verkehrten Welt, wie man sie bei verschiedenen Festen findet, bei den antiken Saturnalien, wo die Herren die Sklaven bedienten, oder bei den mittelalterlichen Messparodien der Asianaria Festa. Dennoch hat der Fasching nicht mir „uralten Vegetationsriten“ zu tun, wie man in den 1930er und 1940er Jahren glaubte. Die

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Heringsschmaus – mittelalterlicher Zunftbrauch.

Ableitung von „Fasnacht“ aus „vaseln“ („fruchtbar sein“) ist nicht aufrechtzuerhalten. Die Spuren führen ins Mittelalter, als die katholische Kirche den größten Einfluss auf das Fest- und Alltagsleben ausübte. Im 13. Jahrhundert taucht das Wort „Vaschanc“ oder „Vastschang“ auf. Es bezeichnet das Ausschenken des Fastentrunks an der Wende von der Narrenzeit zur Fastenzeit vor Ostern. Auf das höchste kirchliche Fest sollte man sich mit einer 40-tägigen Bußzeit


Fasching / 13

vorbereiten. Die „Quadragesima“ bedeutete einen grundlegenden Einschnitt in die Ernährungsgewohnheiten, da zeitweise alle aus der Vieh- und Geflügelhaltung gewonnenen Lebensmittel unter die Fastengebote fielen. Diese betrafen außer Fleisch auch Fett und Eier, die in den letzten Tagen davor umso üppiger konsumiert wurden. Man musste nicht nur beim Essen auf vieles verzichten, sondern vor allem auf Vergnügungen. Den Ausgleich bildeten die Wochen davor, meist nach dem Dreikönigstag. Die Dauer des Faschings hängt vom Osterdatum (zwischen 22. März und 25. April) ab, der Aschermittwoch fällt daher zwischen 4. Februar und 10. März. Der Heringsschmaus war ein mittelalterlicher Zunftbrauch. Die öffentliche Fischmahlzeit sollte die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der (nun büßenden) Christen bekunden. Der Aschermittwoch folgt auf den Faschingsdienstag, der den Höhepunkt und das Ende der närrischen drei Tage markiert. Theologen deuteten die verkehrte Welt des Faschings als eine unheilvolle. Sie erinnerten an das Zweistaatenmodell des hl. Augustinus (354–430) das aus Teufelsstaat (civitas diaboli) und Gottesstaat (civitas Dei) bestehe. Der Fasching – mit der Symbolgestalt des Narren – sollte die Notwendigkeit der Umkehr vom Falschen zum Richtigen und Guten vor Augen führen.

Fetter Donnerstag Seit dem Mittelalter gingen die Bewohner der europäischen Städte vom fetten Donnerstag bis Faschingsdienstag auf die Straße feiern. Besonders populär war (und ist wieder) der Karneval in Venedig, mit seinen Schauspielen, Feuerwerken, Umzügen und Masken, die im 13. Jahrhundert erwähnt werden. Die Blütezeit des Karnevals in Venedig endete, als die Markusrepublik 1797 ihre Selbständigkeit verlor. Die Venezianer begingen ihren Karneval nun vor allem als privates Fest. Nach der Vereinigung mit Italien feierten sie ihn 1867 zehn Tage lang. Ein Bürgerkomitee organisierte die Festlichkeiten. Erklärtes Ziel war es, „Fremde anzuziehen, die Geld bringen“. Dies gelang aber erst mehr als ein Jahrhundert später, als Federico Fellinis Film „Casanova“ mehrere Künstler inspirierte, zur Biennale 1979 ein Karnevalsfest zu inszenieren.

„Ich hab zu Fastnacht euch hierher geladen, dass ihr euch Krapfen holt und Fladen“, reimte der Meistersinger Hans Sachs.

In Wien fanden vom 15. bis ins 18. Jahrhundert Maskenumzüge statt, an denen die Obrigkeit Anstoß nahm. Niemand sollte in Bauernkleidern oder sonst vermummt durch die Stadt gehen, hieß es 1465. Zur Zeit Maria Theresias wiederholten sich die Verbote alljährlich, bis sich das Faschingstreiben schließlich in die Ballsäle zurückzog. Im 19. Jahrhundert, als in den Vorstädten immer prächtigere Lokalitäten gebaut wurden, entstanden der berühmte Wiener Walzer und die spezielle Ballkultur. Die traditionellen Bälle und Redouten – bei denen die Damen bis Mitternacht die obere Hälfte des Gesichts mit einer Halbmaske verdecken – zeichnen sich durch ein feststehendes Protokoll aus. Dazu zählen etwa Eröffnung, Mitternachtseinlage und die Kleidervorschriften. Die berühmteste Veranstaltung Österreichs ist der seit 1935 so genannte Opernball am letzten Donnerstag im Fasching. Die typische Speise des Faschings sind die Krapfen. „Ich hab zu Fastnacht euch hierher geladen, dass ihr euch Krapfen holt und Fladen“, reimte der Meistersinger Hans Sachs vor mehr als 500 Jahren. Faschingskrapfen gab es nur zwischen Silvester und Aschermittwoch. An diesem Tag durften sie in Niederösterreich die Lehrlinge zum ersten Mal allein herstellen, die Krapfen wurden der Belegschaft und den Familien angeboten. Die „Original Faschingskrapfen“ haben Weinbrand im Teig und sind mit Marillenmarmelade gefüllt. Ein Alt-Wiener Brauch war, auf einen Faschingskrapfen einzuladen. Das zeremonielle Teilen eines Krapfens

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konnte einer Verlobung gleichkommen. Zur Zeit Kaiser Karls VI. (1685–1740) gab es bei Hof ein „Krapfenschießen“. In josephinischer Zeit, Ende des 18. Jahrhunderts, hatte die „Wiener Zeitung“ eine eigene Anzeigenrubrik für die Krapfenbäckerinnen. Wirte lockten mit Gratiskrapfen, umso mehr, als in einzelnen Exemplaren Geldstücke eingebacken waren.

Fleisch, lebe wohl! Das Wort „Karneval“ ist lateinischer Herkunft. Das Kirchenlatein nannte den Eintritt in die Fastenzeit „Carnislevamen“ – Fleischwegnahme – kürzer: „Carnevale“, das sich scherzhaft als „Fleisch, lebe wohl!“ deuten ließ. In Deutschland ist der Begriff Karneval seit 1699 bezeugt. Vorläufer des rheinischen Karnevals gehen ebenfalls bis ins Mittelalter zurück. Die heute bekannte Form ist relativ jung: 1823 organisierten die Kölner erstmals ihren Karneval mit Sitzungen, Regenten und Rosenmontagszug. Für sie beginnt der Karneval am 11. 11. Elf gilt als Narrenzahl und bezeichnete im Mittelalter das Überschreiten der zehn Gebote. Hierzulande haben sich die Vereine – von Salzburg und Oberösterreich ausgehend – 1962 zum „Bund Österreichischer Faschingsgilden, Vereinigung für Fasching-, Fasnacht- und Carnevals-Brauchtum in Österreich“ zusammengeschlossen. Von den rund 130 Mitgliedern ist etwa ein Viertel in Niederösterreich beheimatet. / Text: Helga Maria Wolf Illustrationen: Magdalena Steiner


Schwerpunkt Schreiben / 14

Stiftsbibliotheken

WISSENSSPEICHER Wissensspeicher, Kulturgut und Kunsthandwerk – die Stiftbibliotheken als Gesamtkunstwerk.

Bibliothek Stift Seitenstetten.

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Schwerpunkt Schreiben / 15

Handschrift aus dem Stift Klosterneuburg.

Stille liegt wie Patina über den geschnitzten Aufsätzen der Regale. Stille strömt aus den Intarsien der Lesepulte. Stille riecht nach Papier und Leder. Stille, die über Jahrhunderte und Generationen gewachsen und mit Wissen und Erkenntnis durchdrungen ist.

Innerer Kern Am Anfang war die Bibel. Die Bibliothek galt im 4. Jahrhundert bis ins frühe Mittelalter hinein als der Ort, an der die Heilige Schrift in vielen Bänden bewahrt und gelesen wurde. Hieronymus (347–419 n. Chr.), maßgeblicher Übersetzter der Bibel, schrieb: „Ich verfüge über viele Bände der heiligen Bibliothek.“ Neben dem inneren Kern der Bibliothek – der Bibel und dem geistlichen Schrifttum – gewannen die Bücher der Naturwissenschaften, der Rhetorik und Dialektik, der Philosophie und Musik ab dem 10. Jahrhundert immer größere Bedeutung. Das Kloster wurde zum Ort des Diskurses, zum Labor, zum Hospital, zum Observatorium und zur Bühne für die Kunst. Die Bibliotheken sind das Gehirn des Klosters. Und wer es zerstört, vernichtet des Wissen. So grenzte es oft an ein Wunder, dass sich Handschriften und Inkunabeln (Buchdruck bis 1500) über die Zeiten erhalten haben. Diese Kostbarkeiten werden in vielen Klöstern ausgestellt, etwa in Melk, Lilienfeld oder Herzogenburg.

Aus der Bibliothek des Stiftes Geras.

Im Stift Zwettl bestand bereits seit dem 12. Jahrhundert ein Scriptorium, in dem Mönche Handschriften für den liturgischen Gebrauch, Annalen (denkwürdige Ereignisse aus Kloster und Welt) und Urbare zur Erfassung von Besitz und Einkünften anfertigten. Zum Buchbestand der Bibliothek, die ca. 75.000 Bände umfasst, gehören 425 Manuskripte und 377 Inkunabeln. Aus diesem Bestand werden zu speziellen Themen einzelne Zimelien in Vitrinen ausgestellt. Das berühmteste Werk ist die „Bärenhaut“ und entstand um 1310 auf der Haut eines Saubären, die umgangssprachliche Bezeichnung eines Ebers. Die „Bärenhaut“ zeigt in Wort und Bild die Gründungsgeschichte des Stiftes, sowie die Geschichte der Stifterfamilie Kuenring. Grund für das Verfassen der „Bärenhaut“ war einerseits der Verlust von wichtigen Urkunden und anderseits die Darstellung des Klosters in Verbindung zum bedeutendsten Waldviertler Geschlecht der damaligen Zeit.

durch das Nussbaumholz der Bücherschränke. Die Ausgestaltung des 48 Meter langen Saales ist das vielleicht schönste Werk des Malers Paul Troger und des Barockbaumeisters Josef Munggenast. Die Weisheit ist ihr Thema: Zwei Kuppeln zeigen Darstellungen der vier klassischen Studienrichtungen: Theologie, Jus, Philosophie und Medizin.

Barocke Pracht

Die Schönheit des Saales zeugt von der Wertschätzung der Mönche für ihre Bibliothek. Die Stiftsbibliothek Melk zählt zu den harmonischsten barocken Bibliotheksräumen und hinterlässt aufgrund ihrer Architektur und tausender identisch gebundener Bücher einen unvergesslichen Eindruck. Der Bestand umfasst 100.000 Bände, davon 1.880 Handschriften und 750 Inkunabeln. Da der Hauptraum dunkel gehalten ist, können in den Regalen verborgene Türen geöff-

Mit dem Neubau von Klöstern nach Kriegen und der Gegenreformation entfalten die Bibliotheken ihre barocke Pracht. Auf einem Felssporn erbaut, schiebt sich die Bibliothek des Stiftes Altenburg in die Waldlandschaft. Mit diesem architektonischen Signal verbindet sich die Kraft der Natur mit der Klarheit des Geistes. Die Bibliothek leuchtet durch ihre frohen Farben und erhält ihre Struktur

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Beim Betreten der Bibliothek des Stiftes Seitenstetten entschlüpft ein „Ahh“ den Lippen: 17.000 Bücher aus fünf Jahrhunderten sind in weißen Ledereinbänden gebunden. Dazu die edlen Bücherkästen und die Galerie aus dunklem Nussholz. Sie wurden vom Wiener Tischler Jakob Gabruckhner geschaffen. Auch hier stammen die Pläne vom Stiftsbaumeister Josef Munggenast. Er sah im barocken Neubau das erste und zweite Stockwerk im Südtrakt vor, da dieser Raum trocken, hell und warm war und man aus Sicherheitsgründen auf die Installierung von Heizung und Beleuchtung verzichtet hatte.


Schwerpunkt Schreiben / 16

Geprägter Ledereinband aus dem Stift Klosterneuburg.

Augustiner Chorherren des Stiftes Klosterneuburg.

net werden, um dem Studierenden die Möglichkeit zu geben, ans Licht zu treten. Im kleinen Bibliotheksraum stellt das Fresko von Paul Troger eine Allegorie auf die Wissenschaft dar. Da nach der Kirche die Bibliothek in der Rangfolge der Räume eines Benediktinerklosters der zweitwichtigste Raum ist, führt von ihr eine Wendeltreppe mit Rokokogitter zur Stiftskirche.

Künstlerische Handschrift Das Besondere an der um 1700 eingerichteten Bibliothek des Zisterzienserstiftes Lilienfeld ist die künstlerische Handschrift der geistlichen Herren: Fratres und Laienbrüder schufen Malerei, Intarsien und Schnitzwerk. Die Fresken zeigen Heilige und Gelehrte des Zisterzienserordens. Im mittelalterlichen Skriptorium wurde die Concordantiae Caritatis von Ulrich von Lilienfeld (14. Jahrhundert) angefertigt. Diese Handschrift beinhaltet eine Predigtsammlung für einfache Dorfpfarrer und einen Bildkatechismus. Die Schreibstube befand sich in Lilienfeld – wie in anderen Zisterzienserklöstern – neben der Wärmestube. Naturgeschichtliches Anschauungsmaterial in Lilienfeld sind 130

Abt Michael Proházka in der Bibliothek des Prämonstratenserklosters Geras.

Holzbücher. Die Xylothek wurde Ende des 18. Jahrhunderts von dem aus Bayern stammenden Mönch Candid Huber angefertigt. Die Buchdeckel sind aus dem Holz der jeweiligen Baumart gefertigt, die Rückseiten aus der Borke. Im Inneren sind Samen, Früchte, Blätter, Blüten und Harz aufbewahrt.

Vernetzt In den Klosterbibliotheken des Mittelalters wurde der Grundstock der vernetzten Welt gebildet. Klosterbibliotheken sind am neuesten Stand der Technik. Das Projekt monasterium.net bietet allen Interessierten die Möglichkeit, die für sie relevanten Informationen aus der unübersehbaren Materialmenge herauszufiltern. Durch die digitale Vernetzung der Urkunden in Wort und Bild werden sich zudem für die verschiedensten Zweige der historischen Forschung völlig neue, bisher ungeahnte Möglichkeiten ergeben: 100.000 Urkunden online aus ganz Europa, darunter besonders viele aus Niederösterreichs Klöstern von Altenburg bis Zwettl.

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In einem längere Zeit andauernden Projekt wurden die illuminierten Handschriften der Stiftsbibliothek Herzogenburg genauestens dokumentiert, katalogisiert und fotografiert. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes sind online abrufbar (http://www.univie.ac. at/paecht-archiv-alt/ki/herzogenburg.html). Kataloge der Handschriften aus den Klosterbibliotheken sind größtenteils online einsehbar (manuscripta.at). / Text: Mella Waldstein Fotos: Barbara Krobath

BIBLIOTHEKEN ONLINE

——————————————————— monasterium.net manuscripta.at www.univie.ac.at/paecht-archiv-alt/ki/ herzogenburg.html


Schwerpunkt Schreiben / 17

Musik

ÜBER MUSIK SCHREIBEN Stets stellt sich die Frage: Kann Musik überhaupt sprachlich vermittelt werden?

Begeisterung mit der Feder ausdrücken: Karikatur auf die Johann-Strauß-Euphorie. Farblithographie v. A. Zampis um 1830. Foto: Imagno/Austrian Archives

Über Musik zu reden ist wie über Architektur zu tanzen. Was einst Frank Zappa verkündet haben soll, verdeutlicht die kritische Haltung vieler Musiker und Musikschaffender gegenüber jeglicher Art von Musikjournalismus. Musik werde geschaffen, gemacht und gehört. Über sie zu schreiben sei abstrus. Indem man über Musik schreibe oder spreche, ginge der wesentliche Charakter verloren, könne das Wesen der Musik nicht erfasst werden. Denn stets stellt sich die Frage: Kann Musik überhaupt sprachlich vermittelt werden? Das Schreiben über Musik hat viele Formen. Werkbeschreibungen und -erklärungen sowie auch Werkeinführungen, die heute dem großen Begriff der Vermittlung zuge-

schrieben werden. Auch die Analyse ist eine Form schriftlicher Auseinandersetzung mit einem Werk. Eine zentrale, wenn auch stets umstrittene Form des Schreibens über Musik ist die Musikkritik. Dabei spielt nicht nur die Tatsache der Beurteilung, sondern vor allem die subjektive Haltung des Schreibers eine Rolle. Mal wird dem Journalisten mangelnde Kompetenz unterstellt, dann wirft man ihm versteckte Werbung vor. Die Anfänge der Musikkritiken sind im 18. Jahrhundert zu finden und gehen Hand in Hand mit der Emanzipierung der Musik. Zunehmend setzte sich die Aufführungsform des Konzerts durch, die Musik wandte sich vermehrt an das Bürgertum. Nach den ersten Fachzeitschriften waren Musikkritiken bald auch in Tageszeitungen zu finden. Während

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die ersten Kritiken die Komposition an sich betrachteten, schieden sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Wege der Musikkritik. So wie in den Konzertsälen statt Zeitgenossen wieder die Musik älterer Meister aufgeführt wurde, so warfen auch die Kritiken vermehrt ihren Blick auf die Interpreten und deren Deutungen der Werke. Die Verfasser der Texte waren in vielen Fällen Musiker und Komponisten, bekannte Beispiele sind Robert Schumann oder Claude Debussy, der für seine Kritiken den fiktiven Gesprächspartner Monsieur Croche kreierte. Oftmals aber auch Nichtmusiker wie zum Beispiel Heinrich Heine oder der Wiener Jurist Eduard Hanslick. Heute ist die Musikkritik eine Gattung, von der viele behaupten, dass sie längst tot sei – oder zumindest nicht mehr zeitgemäß. Nicht nur die musikalische Praxis und die Rezeption von Musik, sondern auch die mediale Landschaft ist in einem ständigen Wandel. Doch die schnelle Verfügbarkeit und die mediale Informationsflut eröffnen auch zahlreiche neue Möglichkeiten. Und wie Patrick Hahn, Musikjournalist, in einem Interview der nmz bemerkt: Eduard Hanslick wäre heute wohl Blogger. Das Schreiben über Musik hat viele Formen und Funktionen. Ob es die Rezension eines Konzerts oder die Analyse einer Komposition, eine Werkerläuterung des Komponisten selbst oder ein Kommentar auf einer Plattform ist. Letztendlich auch der vorliegende Text – mit dem Ziel, Zugänge zur Musik zu schaffen. / Text: Katharina Heger


Musikschulen / 18

Talenteförderung

DAS TALENT, TALENTE ZU PFLEGEN Um junge musikalische Talente verstärkt zu fördern sowie die individuelle Entwicklung der jungen Musiker zu unterstützen, läuft im Land Niederösterreich seit einem Jahr ein neues Talenteförderprogramm.

Das Talenteförderprogramm bietet jungen Musikern praxisnahe Workshops und Möglichkeiten zu gemeinsamen künstlerischen Aktivitäten.

Am 23. Februar ist es wieder soweit: Das Festspielhaus St. Pölten öffnet seine Türen für Niederösterreichs musikalischen Nachwuchs. Monatelange Vorbereitungen, tägliches Üben, zahlreiche Probeauftritte haben rund 1.000 Teilnehmer gemeinsam mit ihren Lehrern aus den niederösterreichischen Musikschulen bereits hinter sich, wenn sie im Februar und März vor eine Jury treten, um ihr einstudiertes Programm zu

präsentieren: „prima la musica“ nennt sich Österreichs größter Jugendmusikwettbewerb, der auf niederösterreichischer Landesebene heuer zum 21. Mal ausgetragen wird.

Talenteförderung findet an Musikschulen statt Die Wettbewerbserfolge der niederösterreichischen Musikschüler können sich sehen

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lassen. Die Talenteförderung selbst beginnt jedoch viel früher und findet tagtäglich an den Musikschulen statt. Hier finden Musikschüler das geeignete Umfeld und die Rahmenbedingungen, um ihr Potenzial entfalten zu können. Denn neben der Eigeninitiative der Schüler nehmen die Lehrer, die Musizierpartner und das Umfeld vor Ort eine wichtige Rolle in der Entwicklung der jungen Musiker ein.


Musikschulen / 19

Neben fachspezifischen werden auch allgemeine Workshops angeboten.

Um junge musikalische Talente verstärkt zu fördern sowie die individuelle Entwicklung der jungen Musiker zu unterstützen, startete das Land Niederösterreich mit dem Schuljahr 2013/14 ein neues Talenteförderprogramm. Ausgangspunkt für die Aufnahme in das Programm ist der Landeswettbewerb „prima la musica“: Ein erster Preis mit Auszeichnung oder eine Weiterleitung zum Bundeswettbewerb sind Voraussetzung. „Das Programm baut auf das Angebot an den Musikschulen auf und ergänzt dieses durch Workshops, Auftrittsmöglichkeiten und weitere Maßnahmen. Überdies bietet es älteren Jugendlichen Unterstützung bei der Wahl künftiger Ausbildungsinstitute und soll Einblicke in mögliche Musikerkarrieren geben“, erklärt Isabella Maierhofer vom Musikschulmanagement Niederösterreich, die das Projekt leitet.

Bodypercussion Schauplatz Musikschule Mödling: Hier findet der erste Workshop für die jungen Talente statt. Schon beim Betreten des Gebäudes kann das Thema des Tages erahnt werden: Bodypercussion. Die Klänge geleiten einen in den Festsaal. Auf dem Boden sitzt ein Dutzend Kinder und Jugendlicher – ihre Instrumente haben sie heute zu Hause gelassen, denn das Wichtigste haben sie

dabei: Heute wird mit dem Körper musiziert. Hilfsmittel hat Johannes Bohun mitgebracht. Der Musiker, Performer, Pädagoge und Komponist leitet den Workshop, der unter dem Motto „Mit nichts kann man nicht Musik machen! Mit allem anderen schon!“ steht. Becher, Basketbälle und Klangrohre, sogenannte Boomwhackers, kommen dabei zum Einsatz. Für einige der jungen Musiker ist diese Art zu musizieren neu, doch die verschiedenen Übungen werden euphorisch aufgenommen. Im Kreis sitzen sie am Boden und erarbeiten eine Choreografie mit Bechern, dazu wird gesungen – schon bald werden eigene Vorschläge eingebracht und umgesetzt.

Junge Talente Die Teilnehmer werden an Musikschulen aus allen niederösterreichischen Landesteilen unterrichtet, die Instrumente reichen von Violine über Klavier bis zur Stimme. Dass die Musiker nicht nur vom Referenten profitieren, sondern auch viel voneinander und miteinander lernen, wird während des Workshops deutlich. Die elfjährige Sophie Weiss wird in St. Pölten von Jeanette Roeck in Gesang unterrichtet. Sie genießt es besonders, mit anderen Musikern zusammen zu sein, die die gleichen Interessen haben. Katharina Auer ist zwölf Jahre alt und lernt

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Bodypercussion mit Johannes Bohun.

Violine. Im Talenteförderprogramm zu sein ist für Katharina eine große Auszeichnung und ein weiterer Schritt in Richtung Musikkarriere: Sie möchte unbedingt einmal Orchestermusikerin werden. Am Nachmittag findet der Workshop auch für die älteren Teilnehmer des Talenteförderprogramms statt. Viele von ihnen streben, so wie Katharina Auer, schon konkret eine Musikerkarriere an. Die Gesangsschülerin Anna Katharina Kadla aus Mank hat im Rahmen des Programms bereits den Workshop „Musikkunde plus“ besucht, der ihr als Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung an der Universität dient. Paul Blüml, Klavier, wird an der Musikschule der Region Wagram von Stephanie Timoschek-Gumpinger unterrichtet: „Durch das Programm eröffnen sich für mich neue Perspektiven. Bei Workshops und Auftritten können wir Kontakte knüpfen – vielleicht ergeben sich sogar Möglichkeiten, gemeinsam zu musizieren.“ Diese Möglichkeiten werden sich in Zukunft häufen. Nach dem NÖ Landeswettbewerb „prima la musica 2015“ werden zahlreiche Preisträger erneut die Chance haben, in das Talenteförderprogramm aufgenommen zu werden. / Text: Katharina Heger


Schwerpunkt Schreiben / 20

Niederösterreichische Schreibakademie

SCHREIBEN IST LEIDENSCHAFT In der Niederösterreichischen Schreibakademie entfalten junge Literaten ihre Talente.

Es ist bemerkenswert, wie kreativ junge Menschen mit Sprache umgehen, wenn man sie spielerisch an Literatur heranführt. Foto: photo-graphic-art.at

„Ich hasse Kleidung.“ Ein junger Lockenkopf holt tief Luft. Der Sparkassesaal in Hollabrunn atmet Geschichte. Unbeeindruckt von den geschnörkelten Tapeten, den wuchtigen Gardinen und dem Porträt von Kaiser Franz Joseph I. seufzt Jan Waldhart: „Einkaufen! Mann, ist das heute wieder ein Tag. Meine Mutter schleppt mich zum Ein-

kaufen, um mir Kleidung zu kaufen.“ Waldhart macht ein unüberhörbares Würgegeräusch. „Sie sucht ein gelbes Hemd mit rotem Karomuster für mich aus und fragt: ‚Gefällt dir das? Ist doch hübsch, oder?‘ Ich will sagen: ‚Nein, bitte nicht!‘ Stattdessen höre ich mich sagen: ‚Ja, nett, gefällt mir ganz gut.‘ Und nun sitze ich da und schreibe

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diese Worte in meinem gelben Hemd mit rotem Karomuster.“ Applaus und Gelächter. Die Niederösterreichische Schreibakademie hat zur Lesung gebeten und bietet dem Publikum spannende Einblicke in die Gedankenwelt junger Menschen. Georgina Frasl betritt die Bühne.


Schwerpunkt Schreiben / 21

Der Gedanke, dass ihre Texte ein großes Publikum erreichen, beflügelt die Schreibtalente. Foto: Dominic Chan

Ihr Text trägt den Titel „Selbstoffenbarung“: „Schreiben macht die Seele leichter. Selbst wenn ich irrsinnige Worte aneinanderreihe, so drücken diese doch meine Gefühle aus. Auch wenn ich sie nicht verstehe, helfen sie mir, mich selbst zu verstehen. Durch mein Schreiben wachse ich. Ich werde erwachsen und erziehe mich selbst.“

Niederösterreich angeboten. An die 6.500 junge Menschen haben die Kreativakademie seit ihrer Gründung im Jahr 2003 absolviert. Jedes Semester entfalten rund 500 neue junge Menschen ihre Talente in der Niederösterreichischen Kreativakademie.

Begleitet von renommierten Schriftstellern

Die besten Werke eines Schreibakademiejahres werden in der Werkschau Text veröffentlicht. „Dass die Werkschau Text heuer auch online erscheint, freut mich besonders. Dadurch kann sich ein noch größeres Publikum vom Talent unserer jungen Schreiberlinge überzeugen“, erklärt Mag. Rafael Ecker, Geschäftsführer der NÖ KREATIV GmbH, unter deren Dach sich die Niederösterreichische Kreativakademie befindet.

Die Schreibakademie ist ein Angebot der Niederösterreichischen Kreativakademie. Renommierte Schriftsteller begleiten zwölfbis 19-jährige Jugendliche an zehn Standorten in ganz Niederösterreich bei ihrem kreativen Schreibprozess. Schreibakademien gibt es in Baden, Gänserndorf, Gmünd, Hollabrunn, Horn, Laa an der Thaya, Mödling, Perchtoldsdorf, Waidhofen an der Ybbs und Wolkersdorf. Die Angebotspallette der Niederösterreichischen Kreativakademie ist genauso breit gefächert wie die kreativen Talente junger Menschen: Akademie für Schmuck- und Metallgestaltung, Bilderhauerakademie, Filmakademie, Fotoakademie, Journalismusakademie, Malakademie, Musicalakademie, Schreibakademie, Schauspielakademie und Schmiedeakademie – mittlerweile werden 66 Akademien an 34 Standorten in ganz

Werkschau Text

„Von den ersten Schreibversuchen bis hin zur Endfassung ist es ein Stück intensiver Arbeit. Der Gedanke, dass das Endprodukt einer großen Hörer- und Leserschaft zu Verfügung stehen wird, beflügelt die Jugendlichen“, schildert die Schriftstellerin Elisabeth Schöffl-Pöll, die gemeinsam mit dem Autor Gerhard Ruiss die Schreibakademie in Hollabrunn leitet. „Es ist bemerkenswert, wie kreativ junge Menschen mit Sprache umgehen, wenn man sie spielerisch an Literatur heranführt. Die Texte spiegeln vielfach tiefe Empfindungen wider und geben Ein-

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blicke in die unterschiedlichsten Persönlichkeiten“, so Schöffl-Pöll. Was ist Schreiben? Diese Frage stellt sich die 17-jährige Kerstin Fischer aus der Schreibakademie Horn in einem ihrer Beträge in der Werkschau Text: „Schreiben ist Arbeit, aufwenden von Zeit, aufwühlend, vielfach kritisch betrachtet, manchmal gelobt, oft hinterfragt, analysiert, unverstanden. Trotzdem ist es für mich eines der befreiendsten Gefühle der Welt.“ Nach einer längeren Ausführung beantwortet Fischer die Frage mit einem knappen Satz: „Schreiben ist Leidenschaft.“ / Text: Markus Kiesenhofer

INFORMATION ——————————————————— Die „Werkschau Text“, Band 8, ist online zu bewundern: issuu.com/werkschautext/ docs/werkschautext08 Die Niederösterreichische Schreibakademie ist ein Angebot der Niederösterreichischen Kreativakademie. Mehr Informationen auf noe-kreativakademie.at facebook.com/noekreativakademie


Zeitzeugnis / 22

1815 / 1915 / 1945 / 1955 / 1995

DIE FÜNFER-JAHRE Schicksalsjahre in Österreichs jüngerer Geschichte.

Österreichs jüngere Geschichte weist markante Fünfer-Jahre auf: 1815 – Abschluss des Wiener Kongresses, 1915 – Kriegseintritt Italiens gegen Österreich, 1925 – Einführung des Schillings, 1945 – Kriegsende und Wiedergeburt Österreichs, 1955 – Staatsvertrag, 1995 – EU-Mitgliedschaft. Auch die Universitäten feiern: 650 Jahre Universität Wien, 250 Jahre Veterinärmedizinische Universität Wien die als „Lehrschule zur Heilung der Viehkrankheiten“ gegründet wurde und 200 Jahre Technische Universität.

1815: Ein „Hoch“ dem Wiener Kongress Er brachte eine grundlegende Neuordnung Europas nach den Napoleonischen Kriegen: der Wiener Kongress, der die Großmachtstellung Österreichs für die nächsten 100 Jahre begründete. Anekdoten, Hintergrundstorys ranken sich um diesen bisher größten Friedenskongress, den ein überragender Diplomat, der aus dem Rheinland stammende österreichische Staatskanzler Clemens Wenzel Fürst Metternich, beherrschte. Das wichtigste Ergebnis: Österreichs Vormachtstellung in Deutschland sowie Italien wurde sichergestellt – als Präsidialmacht im Deutschen Bund und durch die Dominanz in den oberitalienischen Provinzen. Dazu kamen wichtige territoriale Veränderungen. Österreich erhielt die meisten seiner früheren Besitzungen zurück, verzichtete auf die Vorlande und die österreichischen Niederlande. All dies trotz der vielen gesellschaftlichen Veranstaltungen, die ebenfalls geschickt von Fürst Metternich kontrolliert wurden.

1945: Das zerstörte Wiener Neustadt. Foto: Bundesheer

1915: Schock durch italienischen Bündniswechsel 1882 schlossen sich Österreich-Ungarn, das Deutsche Reich und Italien zum Dreibund zusammen, dem ab 1907 mit Frankreich und Russland die Entente gegenüberstand. Italien war insoferne ein unsicherer Partner, als es immer vehementer die Gebiete der Donaumonachie mit italienischer Bevölkerung beanspruchte. Im Londoner Vertrag vom 3. Mai 1915 wurden Italien von der Entente für den Kriegseintritt an ihrer Seite alle Wünsche zugesagt, tags darauf trat das Land aus dem Dreibund aus und erklärte

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Österreich-Ungarn den Krieg. Es war ein Schock, ein Herzstich für Österreich, insbesondere für die Alpen-Bundesländer Tirol und Kärnten. Und es entstand eine neue Kriegsfront: 600 Kilometer, von der Schweiz bis Triest, meist hochalpin mit den unglaublichsten Frontverläufen. Ein Gebirgskrieg, der auch in zwölf Isonzoschlachten von keiner Seite gewonnen werden konnte. Allein: Italien ging nach Zusammenbruch der Mittelmächte Österreich-Ungarn und Deutschland als Sieger hervor, unter anderem mit Gewinn Südtirols – ein Stachel, der bis heute sitzt.


Zeitzeugnis / 23

1955: Im Belvedere wird der Staatsvertrag unterschrieben. Foto: ÖNB

1925: JahrhundertWährung Schilling Nach der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg löste der Schilling mit 1. Jänner 1925 die Krone ab – bei einem Umwechslungskurs von 10.000 zu 1. Ursprünglich war auch die Bezeichnung Stüber oder Thaler im Gespräch. Apropos Geldentwertung: 1919 brauchte eine Durchschnittsfamilie für ihren Lebensbedarf noch rund 2.500 Kronen, 1922 bereits 300.000, dann ging es in die Millionen. Mit wertlosen Scheinen wurden sogar Wände tapeziert, Öfen geheizt. Dank des Sanierungswerkes von Bundeskanzler Ignaz Seipel mit Hilfe einer VölkerbundAnleihe und der Schilling-Einführung verschaffte sich Österreich für einige Jahre eine gewisse wirtschaftliche und politische Erholung. Freilich mit schweren Nebenwirkungen: So wurden rund 100.000 Beamte entlassen, die Arbeitslosigkeit blieb hoch. Der Schillling bewährte sich jedenfalls, war mit Unterbrechung – von 1938 bis 1945 – Österreichs harte Währung bis 2002.

1945: Ende und Neubeginn „Erfolgsstory“ – ein Wort, das oft, manchmal inflationär verwendet wird. Nach Ende der NS-Herrschaft folgte mit Gründung der Zweiten Republik ein Neuanfang, dies freilich mit zunächst bescheidenen Erwartungen. Zumal die NS- und Kriegsbilanz erschreckend war: Einschließlich der Kriegs-

und Ziviltoten, der Hingerichteten und Ermordeten verzeichnete Österreich an die 400.000 Tote, wozu noch Verwundete, Versehrte, Verschleppte, Kriegsgefangene und die hohe Anzahl an Emigranten kamen. Das neue Österreich wurde am 27. April 1945 ausgerufen, als um Berlin noch erbittert gekämpft wurde, Hitler noch lebte. Fast zehn Jahre blieb Österreich vierfach besetzt, die Hoffnung auf volle Freiheit wurde lange enttäuscht. Wesentlicher Unterschied zur Ersten Republik: Die großen politischen Lager fanden endlich zueinander, die Große Koalition wurde quasi Österreichs pragmatisierte Regierungsform.

Staatsvertrag 1955: Freiheit trotz Beschränkungen „Österreich ist frei!“, rief Außenminister Leopold Figl am 15. Mai 1955 im Saal des Wiener Belvederes. Dass er das vom Balkon der begeisterten Menschenmenge zurief, gehört ins Reich der Legende. Die Besatzungsmächte zogen ab, Österreich bestimmte sein Los künftig selbst, ein beispielloser wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg setzte ein. Neben der Großen Koalition wurde die Sozialpartnerschaft eine Art Nebenregierung, drohende Konflikte wurden bereits im Keim erstickt. Warum eigentlich „Staats-“ und nicht „Friedensvertrag“? Einfach deshalb, weil Österreich als Staat von 1938 bis 1945 nicht bestand und man daher mit dem Land keinen Friedensvertrag

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Bundeskanzler Franz Vranitzky unterzeichnet den EU-Beitrittsvertrag Österreichs; rechts Außenminister Alois Mock. Foto: Jean Guyaux

schließen konnte. Noch eines ist bemerkenswert: Der bejubelte Staatsvertrag wies eine Reihe von Beschränkungen auf – von der Rüstung bis hin zum Anschlussverbot. Aber er bescherte Österreich die Freiheit, war Basis des Wohlstands – ein großer Wurf somit. Das zählte.

1995: EU-Mitglied Österreich Nach dem Staatsvertrag war der EU-Beitrittsvertrag vom 1. Jänner 1995 das zweite epochale staatliche Vertragswerk Österreichs in der Zweiten Republik. Hat es bis zum Staatsvertragsabschluss zehn Jahre gebraucht, so dauerte es bis zum EU-Beitritt – denkt man an die Gründung der EWG 1957 als EU-Vorläuferin – fast 40 Jahre. Der Beitrittsplan scheiterte vor allem an den Bedenken der Sowjetunion wegen Österreichs Neutralität und zu enger Anbindung an den Westen. Es gab aber auch in Österreich selbst Widerstände. Mit dem EU-Beitritt und den damit verbundenen vier Grundfreiheiten (Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) trat Österreich in eine neue Phase seiner Geschichte ein. Dazu kam knapp zehn Jahre später die EU-Osterweiterung. So rückte das Land von der Peripherie ins Zentrum Europas, machte vor allem im Export einen gewaltigen Sprung nach vorne. So gilt auch für 1995: ein FünferJahr mit weit reichenden Folgen. / Text: Franz Oswald


aufhOHRchen / 24

Am 14. März 2015 im Festspielhaus St. Pölten

SCHMELZTIEGEL WIEN Das aufhOHRchen-Konzert im Festspielhaus St. Pölten spannt unter dem Motto „Schmelztiegel Wien“ den musikalischen Bogen von den Philharmonia
 Schrammeln über den Jüdischen Chor Wien bis zur Tschuschenkapelle.

Die Wiener Tschuschenkapelle spielt Lieder der Balkanländer, Serenaden des Mittelmeeres, türkisch-arabische Weisen, griechischen Rembetiko, bosnische Sevdalinka und streift das Wienerlied. Foto: Michael Winkelmann

Stadtluft macht frei – nicht zuletzt wegen dieses mittelalterlichen Rechtgrundsatzes zog es Menschen in die Städte. In Herrschaftssitze wie das alte Wien kamen diese nicht nur aus dem umliegenden Land, sondern aus aller Herren Länder. Schon im Jahr 1548 berichtet Wolfgang Schmeltzl, ein gebürtige Oberpfälzer, von den vielen fremden Kaufleuten am Lugeck. Hebräisch, Griechisch, Latein, Deutsch, Französisch, Türkisch, Spanisch, Böhmisch, Windisch (Slowenisch), Italienisch, „gut Niederländisch“, Syrisch, Kroatisch, Rätzisch, Polnisch und Chaldäisch will er dort gehört haben (John/ Lichtblau: Schmelztiegel Wien). Über die Jahrhunderte hinweg wird über Wien als eine Stadt berichtet, in der die Ethnien aufeinander treffen. Das Wien der

Jahrhundertwende kennt viele Klischees über die Berufstätigkeit der Zuwanderer: die slowakischen Hausierer, die „Ziegelböhm“ und die böhmischen Köchinnen, die italienischen Rauchfangkehrer, die ungarischen Markt- und Fuhrleute und die „Binkljuden“, nur um einige zu nennen, waren aus dem Stadtbild nicht wegzudenken. Nach den Schrecken der zwei Weltkriege und der politischen Neuordnung Europas änderte sich die Situation für Wien. Ab 1910 sank die Einwohnerzahl in der Hauptstadt des vergleichsweise kleinen Staates kontinuierlich, erst seit den 1990er Jahren steigt die Zahl wieder. Angesichts einer sinkenden Geburtenbilanz ist dies nur durch Zuwanderung möglich. In den 1960er Jahren, in Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur, wurden Gastarbeiter vor allem aus der Türkei und

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Sopranistin Birgid Steinberger. Foto: z. V. g.

dem ehemaligen Jugoslawien angeworben. Neue Bedingungen wurden durch den EUBeitritt und der Personenfreizügigkeit innerhalb der Union geschaffen. Laut dem Migrationsbericht 2014 verzeichnet Österreich innerhalb der EU die meisten EUZuwanderer. Mehr als 30 Prozent der Wiener und Wienerinnen dürften im Ausland geboren sein, berücksichtig man den Migrationshintergrund, so ist knapp die Hälfte der Wiener Bevölkerung selbst bzw. mindestens ein Elternteil zugewandert.

Melting-Pot Wien All diese Menschen sind über die Jahrhunderte mit ihren individuellen Geschichten von Krieg und Vertreibung, von politischer Verfolgung oder wirtschaftlicher Hoff-


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Zingt oyf Yiddish

Die Philharmonia Schrammeln gemeinsam mit Birgid Steinberger bringen das Wienerische im Schmelztiegel zum Kochen. Foto: Elisabeth Bolius

nungslosigkeit nach Wien aufgebrochen, sie bringen ihre spezifischen Traditionen, Bräuche und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft mit. Die Melting-Pot-Theorie geht davon aus, dass durch das Zusammentreffen von Personen verschiedener kultureller Herkunft quasi eine neue Kultur entsteht. Gerade im musikalischen Bereich ist dies auf verschiedenen Ebenen und Genres zu beobachten. Die populäre Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts – das Wienerlied, die Schrammelmusik, das Repertoire der Wiener Salonorchester und die Operetten – wurden von Minderheitsangehörigen und Erstzuwanderern stark mitgetragen. Einer der Bekanntesten war Hermann Leopoldi, 1888 geboren als Hermann Kohn, der legendäre Wiener Evergreens komponierte, ebenso wie Gustav Pick, Komponist des „Fiakerlieds“, der aus der jüdischen Gemeinde Rechnitz (damals ungarisch Rohoncz) stammte. Bei Francesco Ezechiele Ermenegildo Cavaliere Suppe-Demelli, geboren in Split, handelt es sich um den bekannten Operettenkomponisten Franz von Suppé. Diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Heute treffen Rhythmen und Lieder aus den verschiedensten europäischen Ländern auf das Wienerlied.

Positiv umdeuten Die Wiener Tschuschenkapelle ist mittlerweile ein musikalisches Markenzeichen für die Multikulturalität Wiens. Der Name des

Ensembles ist schon eine politische Botschaft, da das pejorativ gebrauchte Wort „Tschusch“ als Sammelbegriff für die südosteuropäischen Zuwanderer positiv umgedeutet wurde. Musikalisch beschäftigt sich die Wiener Tschuschenkapelle mit jener Kultur, die mit dem Begriff „Tschusch“ in Verbindung gebracht wird. Die musikalische Brücke spannt sich vom Türkischen, Griechischen, Makedonischen, Bosnischen, Serbischen, Kroatischen über die Romamusik bis ins Wienerische.

Vor 26 Jahren wurde der Wiener Jüdische Chor gegründet. Als Hobbysingverein für die Wiederbelebung des jiddischen und hebräischen Liedes gegründet, ist sein Bestehen doch auch ein Statement, dass die jüdische Gemeinde Wien trotz der Shoa ein kräftiges kulturelles Lebenszeichen von sich gibt. Die Herkunft der Sängerinnen und Sänger könnte nicht vielfältiger sein: aus Österreich, Tschechien, Moldawien, Frankreich, Israel, Belgien, Ungarn, Deutschland und der Ukraine. Die jüdischen Mitwirkenden spiegeln die Entwicklung der Wiener Jüdischen Kultusgemeinde seit 1945 wider, die gojim bringen ihren kulturellen Hintergrund mit. Unter der Leitung von Roman Grinberg, im ehemaligen bessarabischen Shtetl Belz geboren, mit Jiddisch als Muttersprache aufgewachsen, wird miteinander musiziert. In Wien treffen viele unterschiedliche Kulturen aufeinander, es ist nicht immer einfach, den anderen zu verstehen, aufeinander zuzugehen, aber eine Brücke ist die Musik, denn alle sind auf der Suche nach einem kleinem bisschen Glück – „Az di host a bisele mazl – gehert dir di gantze welt.“ / Text: Eva Zeindl

Slavko Ninić ist einer der Gründer der Gruppe und die einzige ständige Konstante seit den 1980er Jahren. 1952 in einem kleinen Dorf in Slawonien geboren, lernte er die Lieder, die dort zum Lebens- und Jahresbrauch gehören. Als Student im Zagreb erweiterte er sein Repertoire um die traditionellen Lieder aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawien. Ende der 1970er Jahre ging Ninić nach Wien und arbeitete in einer der ersten Ausländerberatungsstellen. Mit dem Österreicher Franz Fellner, der Mandoline spielte, und Haydar Sari, der aus der Türkei stammt und Saz spielte, begann er zu musizieren und gründete die „1. Wiener Tschuschenkapelle“. Das Zielpublikum war die österreichische Mehrheit, das Statement: Schaut her, es gibt uns in diesem Land, wir leisten einen kulturellen Beitrag. (Hemetek: Mosaik der Klänge, S. 393) In den fast 30 Jahren ihres Bestehens wechselten die Musiker, die Botschaft hat sich jedoch nicht verändert.

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aufhOHRchen IM FESTSPIELHAUS ST. PÖLTEN ——————————————————— Sa, 14. 3. 2015, 19.30 Uhr Schmelztiegel Wien Tschuschenkapelle Jüdischer Chor Wien Birgid Steinberger & die Philharmonia Schrammeln Wien Karten EUR 39,00, 33,00, 28,00, 22,00, 10,00 Festspielhaus St. Pölten 3100 St. Pölten, Kulturbezirk 2 Ticket-Tel. 02742 908080600 www.festspielhaus.at


Schwerpunkt Schreiben / 26

Waldviertel

PAPIER SCHÖPFEN Seit 1789 produziert die Wurzmühle Büttenpapier in erstklassiger Qualität.

Beim Wasserzeichen steht M für Mörzinger, die Wellenlinie für die Lainsitz und der Baum fürs Waldviertel.

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Schwerpunkt Schreiben / 27

Die Antriebswelle für den Holländer.

Zwischen Filz wird das Papier gegautscht.

Die Gänse vor der Waldviertler Mühle bei Bad Großpertholz können als Boten gesehen werden. Ihre Federkiele dienten einst als Schreibwerkzeug. Die Wurzmühle mahlt kein Getreide. Hier treibt die Wasserkraft einen weißen Brei an, aus dem feines Büttenpapier geschöpft wird.

Haderlumpen „Ich sammle Hadern zu der Mühl, / denn treibt mirs Rad das Wasser kühl, / das mir die z’schnitten Hadern mählt, / der Zeug in Wasser eingequellt. / Draus mach ich Bogn, auf den Filz bring, / durch die Press das Wasser daraus zwing. / Denn henk ich auf, loß trucken wern, / Schneeweiß und glatt, so hat mans gern.“ Der Papiermacherspruch in der Mühle der Familie Mörzinger erklärt anschaulich den Vorgang der Papierherstellung. „Haderlumpen, Haderlumpen“, riefen einst Männer, die von Ort zu Ort gingen, um alte Textilien als Rohmaterial für die 13 Papiermühlen des Waldviertels zu sammeln. Familie Mörzinger sind die letzten Papierschöpfer und haben am alten Handwerk festgehalten. Seit 1789 produziert die Wurzmühle Büttenpapier in erstklassiger Qualität. Geringe Wellungen und Unregelmäßigkeiten im Papier sowie der Büttenrand sind die Qualitätsgaranten des echten handgeschöpften Büttenpapiers.

Mit den Sieben wird der Papierbrei herausgeholt.

Papier war lange Zeit kein Massenprodukt; die Mönche im Mittelalter schrieben auf Pergament. Die aufkommende Stadtkultur, der Buchdruck, der sich vergrößernde Verwaltungsapparat bewirkte eine erste Hochblüte der Papiermacherei. Die verstärkte Nachfrage nach dem Endprodukt Papier bedingte einen riesigen Bedarf an Rohstoffen, den Hadern. Papier wurde damals nicht aus Holz, sondern fast ausschließlich aus Lumpen erzeugt. Zur Beschaffung dieser Hadern oder Lumpen schwärmten über Jahrhunderte die Lumpensammler aus, die durch jede Stadt zogen und alte Hadern einforderten. In der Barockzeit hatte man für diese Lumpensammler eigene Verordnungen erlassen, die genaue Lumpensammelgebiete festlegten.

Holländer Säcke voll zerschnipselter weißer Baumwollreste warten in der Wurzmühle darauf, einmal mit den feinen Worten eines Liebesbriefes beschrieben zu werden oder den kräftigen Strich einer Skizze zu spüren. Die Verarbeitung beginnt im „Holländer“. Dieser Granittrog aus dem Jahre 1827 fasst 1.000 Liter Wasser. Hinter der Holzverschalung hört man die Turbinen brummen. Das Rezept: 30 Kilo Hadern werden im Holländer eingeweicht, die Turbinenkraft zerquetscht die Stofffetzen. Zwei Tage treibt die Lainsitz eine Fuhr an, bis die Masse einer

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Im Holländer wird die Textilfaser zerquetscht.

dicken Milchsuppe ähnelt. Danach wird der Brei in die Schöpfbutten geleitet. Daraus leitet sich auch das Wort Büttenpapier her. Durch ein Sieb, in dem in der Mitte das Negativ des Wasserzeichens eingearbeitet ist (M für Mörzinger, eine Wellenlinie für die Lainsitz und ein Baum fürs Waldviertel), wird Bogen um Bogen herausgeholt, auf einen Filz gegautscht, mit 260 Atü gepresst und am Dachboden aufgehängt. Wie nach einem Großwaschtag trocknet das Büttenpapier auf endlosen Wäscheleinen. Die Blätter, die wie fliegende Raben aussehen, sind Kuverts. Sie werden nach der Trocknung händisch gefaltet und mit dazugehörigen Briefpapierbögen und Gänsekiel verpackt. Die dazu nötigen Tiere schnattern auf der Wiese am Bach. / Text: Mella Waldstein Fotos: Manfred Horvath

WURZMÜHLE ——————————————————— Schaubetrieb Familie Mörzinger 3972 Bad Großpertholz 76 Tel. 02857 2240 
 Öffnungszeiten Februar: Fr, Sa 14.00–17.00 Uhr, So und Fei 14.00–20.00 Uhr
 www.papiermuehle.at


Schwerpunkt Schreiben / 28

Kulturgeschichte

GEZEICHNETE HAUT Kleine Kulturgeschichte des Tattoos in Europa.

Tabu Tattoo? Keineswegs! Knapp jeder fünfte Österreicher ist laut der 2013 durchgeführten Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstituts IMAS tätowiert. Wirft man einen Blick in das World Wide Web, erhält man unter dem Schlagwort „Tattoo“ eine Trefferzahl in Millionenhöhe. Tattoos sind längst salonfähig geworden. Auf einschlägigen Websites werden Listen mit den Tattoos von „Celebreties“ aus der Film- und Musikbranche, aus den Bereichen des Sports und der Mode, aber auch die Tätowierungen historischer Persönlichkeiten wie etwa das Anker-Tattoo, das sich Kaiserin Elisabeth 1888 auf ihre Schulter stechen ließ, angeführt. Dass Tattoos längst im Alltag angekommen sind, verdeutlicht auch ein im Februar 2014 erschienener Artikel der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“, worin der Frage nach der Akzeptanz von tätowierten Menschen am Arbeitsplatz nachgegangen wird. Mitunter hat man das Gefühl, dass nahezu jeder Ort sein eigenes Tattoo-Studio hat. Ihre in den Schaufenstern und auf den Websites präsentierten Arbeitsergebnisse sollen verdeutlichen, dass der Formenvielfalt und dem Variantenreichtum von Tattoos keine Grenzen gesetzt sind. Trotzdem scheinen sich die Motive weltweit zu wiederholen. So zieren als „Tribals“ bezeichnete Ornamente, chinesische Schriftzeichen, religiöse Symbole und bildliche Darstellungen von Tieren, Pflanzen und Menschen weltweit diverse Körperstellen.

Kommunikationssystem Tattoo

Ölgemälde von Sir Joshua Reynolds: Der Südseeinsulaner Omai, der durch James Cook nach England kam, 1776.

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Auch wenn Tattoos heutzutage Teil des Mainstreams sind, stellen sie dennoch ein


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immer wieder polarisierendes gesellschaftliches Phänomen dar. Ihnen werden die unterschiedlichsten Funktionen zugewiesen und zugeschrieben. Die weite Bandbreite reicht dabei von religiösen, therapeutischen, künstlerischen, kulturellen und politischen bis hin zu allgemein gesellschaftlichen Motivationen. Für alle gilt jedoch, dass es sich dabei immer um Grenzziehungen handelt – es gibt jene, die tätowiert sind, und jene, die es eben nicht sind. Leider waren es gerade die Grenzziehungen negativer Art, mit teilweise menschenverachtenden Praktiken, die die Geschichte der Tätowierung nachhaltig prägten. Der Kommunikationswissenschafter Oliver Bidlo bringt es in seiner 2010 erschienenen Publikation über Tattoos auf den Punkt: „Das Tattoo ist zugleich eine Art Kommunikationssystem, mit dessen Hilfe Gesellschaft verhandelt wird. Das Tattoo wird bzw. ist Ausdrucks- und Eindruckszeichen, Inklusion- und Exklusionselement.“ Doch woher stammt die Praxis des Tätowierens? Seit wann tätowieren Menschen ihren Körper? Über den Ursprung und die Herkunft des Tätowierens gibt es verschiedene Theorien. Tatsache ist, dass das Anbringen von Tattoos seit jeher ein weltweites Phänomen darstellt, das Hand in Hand mit der Entwicklung der menschlichen Kulturgeschichte einhergeht. Bereits 1872 vermerkte der Historiker Heinrich Wuttke in seiner Arbeit über die Entstehung der Schrift Folgendes: „Wir haben, wenn dieser Schluß sicher ist, im Tatauieren [= Tätowieren] eine der ältesten Entwicklungen der Menschheit vor uns, einen der ersten Schritte in ihrer aufsteigenden Bahn.“ Der älteste Beleg für die Praxis des Tätowierens wurde 1991 auf dem Tisenjoch in den Ötztaler Alpen in Südtirol gefunden. Die mumifizierte Leiche des Mannes aus dem Eis – genannt „Ötzi“ – weist über 50 Tätowierungen auf. Neben Kreuzen sind zahlreiche Strichbündel dargestellt. Die exponierte Lage der Tätowierungen lässt darauf schließen, dass es sich dabei nicht um Symbole eines Rituals, sondern primär um therapeutische Maßnahmen, sprich schmerzlindernde Behandlungen, handelte. Mit der Entdeckung von Ötzi wurde zugleich der bisher älteste Beleg für Tätowierungen gefunden – schließlich lebte der Mann aus dem Eis vor über 5.000 Jahren.

Tätowierung eines Neuseeländers. Kupferstich aus dem Werk „An Account of the Voyages“, London 1773.

Auch in unseren Breiten längst kein Tabu mehr: Bunte Tattoos zieren die Haut.

Religion & Tattoo

James Cook & tatatau

Ein weiterer früher, wenn auch indirekter Beleg stellt das im Alten Testament erwähnte Verbot von Tätowierungen dar. So steht im dritten Buch Mose, Kapitel 19, Vers 28 geschrieben: „Ihr sollt kein Mal um eines Toten willen an eurem Leibe reißen noch Buchstaben an euch ätzen: denn ich bin der HERR.“ Doch im Frühchristentum verlor das Tätowier- wie überhaupt das Bilderverbot allmählich an Bedeutung. Vielmehr fanden die frühen Christen gerade über die Tätowierung einen adäquaten Ausdruck ihres Glaubens. Als unauslöschliche Zeichen des christlichen Glaubens tätowierten sie – zumeist auf die Handgelenke – frühchristliche Symbole wie etwa das Kreuz oder den Fisch. Dies diente zugleich als Erkennungszeichen unter Gleichgesinnten. Diese Praxis überdauerte viele Jahrhunderte, sodass auch heute noch koptische Christen in Ägypten ein Kreuz auf dem rechten Handgelenk tätowiert haben.

Zur tatsächlichen Ausbreitung der Tätowierung in Europa kam es aber erst im 18. und 19. Jahrhundert. Und hier beginnt die eigentliche Geschichtsschreibung von Tätowierungen in Europa. Es begann mit dem Import des Wortes „tatatau“, das Kapitän James Cook 1774 von seiner Südsee-Expedition mitbrachte und den aufsehenerregenden, weil tätowierten Körperschmuck des jungen Tahitianers namens Omai, der Kapitän Cook nach England begleitet hatte, bezeichnete. Entsprechendes ist auch in der von dem Anthropologen Manfred Kutner verfassten Publikation „Zur Geschichte der Tatautierung und Körperbemalung in Europa“ zu lesen: „Über die ganze Erde verbreitet ist der Brauch, unvergängliche Muster oder Zeichnungen in die menschliche Haut zu stechen, zu schneiden oder zu ritzen. Die Bezeichnung für diese Praktik stammt aus dem Kerngebiet der Verbreitung, nämlich aus Polynesien und heißt auf Tahiti ‚tatatau‘, wobei ‚ta‘ schlagen und ‚tatau‘ richtig bedeutet. Die verdeutschte Aussprache des von dem Weltumsegler J. Cook ins Englische eingeführten ‚tattow‘ [bzw. ‚tattoo‘] wurde im umgangssprachlichen Gebrauch zu tätowieren.“

Aber auch im Zeitalter der Kreuzzüge war das Anbringen von Tätowierungen gebräuchlich. Bekannt wurden die sogenannten Jerusalemer Tätowierungen aber vor allem durch europäische Pilger des 17. Jahrhunderts. Zeitgenössische Reisebeschreibungen und Abbildungen legten beredtes Zeugnis darüber ab, wie etwa über die beiden Jerusalempilger Ratge Stubbe aus Hamburg und Otto von der Gröben aus Brandenburg.

Nun gab es endlich eine einheitliche Bezeichnung für eine Praxis, die es auf dem europäischen Kontinent zwar zuvor schon gegeben hatte, ihren wahren Höhenflug jedoch erst nach Omais Aufenthalt in Europa erreichte: TATTOO! / Text: Nicole Malina-Urbanz

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Bücher und CDs / 30

AUSLAGE ZOO

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hung bis zum Blasorchester zeigen Schüler und Lehrer, was die Musikschule Deutsch-Wagram zu bieten hat … /

TANZMUSIK

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JUBILÄUM 2

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Faltenradio EUR 18,00 zzgl. Versand Erhältlich über: www.faltenradio.at Faltenradio, der Privatsender aus dem Tiergarten, ist die Stimme seines Volkes. Raffiniert, wie die jungen Geparden Vogelstimmen imitieren und damit – ohne mit der Wimper zu zucken – ausgewachsene Löwen an der Nase herumführen. Ihre Hörer jedoch dürfen sich über die gewissenhafte Erfüllung des Bildungsauftrags freuen, der Faltenradio mit Begeisterung nachkommt. Ungetrübter Hörgenuss – verzichtet Faltenradio doch auch in schwierigen Zeiten selbst auf versteckte Werbeeinschaltungen. Und wer weiß, vielleicht verrät ein Tier aus dem Zoo im zweiten Programm des Faltenradios sogar die Bedeutung des Namens „Faltenradio“? (Lukas Beck) /

25 Jahre Musikschule Ybbsfeld Erhältlich über: itunes Informationen: www.musikschule-ybbsfeld.at Die Musikschule Ybbsfeld feiert ihr Jubiläum mit der Produktion einer CD. Die bei Jugendmusikwettbewerben ausgezeichneten Schüler zeigen dabei ihr Können. Die Besetzungen variieren von Solo mit Klavierbegleitung und Kammermusik bis hin zum sinfonischen Jugendblasorchester. /

Krickl-Stickl EUR 18,00 Erhältlich in der Galerie der Regionen und am Brandlhof, 3710 Radlbrunn 24 sowie unter www. volkskulturnoe.at Die „Capelle-Krickl“ war wohl eine der populärsten Vertreter der Weinviertler Kirtagsmusik, ihr Leiter Josef Krickl auch ein hervorragender Komponist. Die Weinviertler Kirtagsmusik unter der Leitung von Martin Haslinger in der klassischen Kirtagsmusik-Besetzung und die Pulkautaler Kirtagsmusik unter der Leitung von Franz Kastner „auf Blech“ erschließen mit der neuen CD einen musikalischen Schatz einer längst vergangenen Zeit und würdigen das Werk des Walzerkönigs des Weinviertels. /

ZEITDOKUMENT

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JUBILÄUM

DIE RAINERVILLA IN BADEN

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Die Steirischen Tanzgeiger EUR 20,00 zzgl. Versand Erhältlich über: www.tradmotion.at 50 Jahre Musikschule Deutsch-Wagram EUR 10,00 Erhältlich über: www.msdw.at bzw. 02247/3161 „Bitte leise – CD-Aufnahme!“ Wenn in der Musikschule wieder einmal dieser Hinweis zu lesen war, wusste man: Einige junge Musiker sind gemeinsam mit ihren Lehrern eifrig bei der Sache. Anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Musikschule soll eine CD einen akustischen Einblick in die Musikschularbeit geben. Die Stückauswahl bietet einen Überblick über das Musikschulangebot: Von der musikalischen Früherzie-

Retro-Genuss: Zwei Schallplatten, die 1979 und 1981 erschienen, sind nun auf einer CD erhältlich. Mit Rudi Pietsch, Ingeborg Pabi-Härtel, Hermann Härtel, Franziska Pietsch-Stockhammer und Sissy Paul. Die Tonaufnahmen sind ein Zeitdokument an der Schnittstelle der beinahe abgebrochenen Überlieferung des volkstümlichen Geigenspiels und einer Renaissance der Tanzgeigermusik, an der die steirischen Tanzgeiger ihren großen Anteil hatten. Im Begleittext bieten Hermann Härtel und Rudi Pietsch einen amüsanten Rückblick auf junge Musikantentage. /

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Bauforschungen in Niederösterreich, Bd. 2 Neuer Wissenschaftlicher Verlag ISBN 978-3-7083-1005-3, EUR 28,00 Erhältlich über: office@nwv.at, Tel. 01 7963562 24 Ritter von Epstein hatte Pech. Er verspekulierte beim Börsenkrach von 1873 sein riesiges Vermögen. Die Villa ging an Erzherzog Rainer (1827– 1913); Baden war um eine Habsburger-Residenz reicher. Als ein absolutes Frühwerk Otto Wagners, der hier bereits seine späteren Auffassungen


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von perfekt inszenierter Baukunst und subtil aufgesetzter Farbfassung andeutet, vereint die Villa zeitgenössische Stildetails der Ringstraßenzeit mit modernsten Materialien und markiert so einen Höhepunkt des Villenbaus im 19. Jahrhundert. Im 20. Jahrhundert wurde die originale Fassade mehrfach überstrichen und vereinfacht. Dieser Band dokumentiert die abgeschlossenen Restaurierungsarbeiten, präsentiert die dabei gewonnenen neuen Erkenntnisse und bettet sie in eine aktualisierte Bau- und Nutzungsgeschichte ein. Das gelungene Ergebnis belegt die vorbildhafte Zusammenarbeit von verständnisvollen und interessierten Bauherren, professionellem Baumanagement, ausgezeichneten Handwerkern und dem alle verbindenden Bundesdenkmalamt. /

SINGEN IM WIRTSHAUS

REMINISZENZ IM WEINVIERTEL

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Die zweite Runde – in Griffschrift Für die Steirische Harmonika EUR 15,00 zzgl. Versand Erhältlich über: Steirisches Volksliedwerk, Tel. 0316 908635 service@steirisches-volksliedwerk.at

Elisabeth Schöffl-Pöll: Seelenlandschaft Weinviertel, mit Federzeichnungen von Gottfried Laf Wurm Literaturedition Niederösterreich ISBN 978-3-902717-25-2, EUR 18,00 www.literaturedition-noe.at

PIONIER IM MOSTVIERTEL

Von zahlreichen Harmonikaspielern sehnsüchtig erwartet, ist nun auch die Griffschriftausgabe des beliebten Liederbuches erhältlich. Das Liederbuch vereint allgemein verbreitetes Liedergut, das eine besondere Nähe zum Wirtshaus hat. Es ist eine Hilfe für alle, die für die Harmonikabegleitung populärer Lieder eine Noten-Griffschrift (noch) brauchen. Komplettiert wird das Buch mit einem guten und informativen Quellenverzeichnis. /

Hans Hagen Hottenroth und Rudolf Schleicher (Hg.): Die Schleicher Familienchronik EUR 33,00 Erhältlich über: hahaho40@hotmail.com und r.schleicher@aon.at

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„In jedes Dorf gehörte wie selbstverständlich ein Dorftrottel. Unserer hieß Toni. Er wurde von Zeit zu Zeit von meiner Mutter und anderen Dorfleuten eingekleidet und verköstigt. Aber auch Bettler gab es damals. Einen ‚Hausbettler‘ aus Eggenburg, heute würde man Sandler sagen, den Mutter schon besser kannte, ließ sie eines Tages auf Stroh in der Stube schlafen, was mich sehr beeindruckte. Der Eindruck für mich als Kleinkind war so stark, dass darauf wahrscheinlich mein Hang fußt, als Erwachsene fremde Kinder und Menschen zu beherbergen.“ Elisabeth Schöffl-Pöll erzählt über die Kindheit im Dorf der Nachkriegszeit: über Ritual des Ausweißens der Wände, wofür sie mit ihrem Vater beim Kaufmann die Walze für das Muster (in blau oder grün) für die Küche aussuchten durfte, über die Trog-Tage (Brotbacken, Waschtag, Sau abstechen) und die Schulzeit. Über die Arbeiten im Keller, „wo ich schon als Kind helfen durfte, wenn mein Bruder die Fässer wischte“. Der zweite Teil sind Gedichte der Autorin: „Fassaden ruiniert / 
Schulen zentralisiert / Postämter transferiert / Blumenschmuck prämiert / Benehmen manieriert / Leute uniformiert / Debile isoliert“ (Auszug aus „Dorfzukunft“). /

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Der Naturforscher, Alpinist, Musterlandwirt und Pomologe, Schriftsteller und Lokalpolitiker Wilhelm Albert Schleicher (1826–1900) nimmt einen zentralen Platz in der Familienchronik ein. Der Sohn einer St. Pöltner Kaufmannsfamilie studierte Agrarwirtschaft, Tierheilkunde, Botanik und Faunistik und betrieb sehr bald nach der Übersiedlung der Familie nach Gresten intensive Naturstudien, die er alsbald in den Jahrbüchern des Österreichischen Alpenvereins publizierte. Darüber hinaus züchtete er alte, vergessene Apfel- und Birnensorten und bemühte sich, die Qualität des Mostes zu heben; er betrieb eine Musterlandwirtschaft, redigierte einschlägige Fachzeitschriften, gründete die erste Feuerversicherung der Region und die erste Raiffeisenkassa, publizierte Aufsätze und Fachliteratur zum Schutz der Vögel und zur Schonung der für die Landwirtschaft nützlichen Tiere. /

PANOPTIKUM

Thomas Hofmann: Es geschah im Weinviertel. Neuigkeiten und Bilder von Damals Edition Winkler-Hermaden ISBN 978-3-9503739-1-2, EUR 19,90 www.edition-wh.at Die Neuigkeiten von damals erstrecken sich vom Zeitraum 1790 bis 1933, die Thomas Hofmann, Geologe und Autor vieler ausgezeichneter Weinviertel-Bücher, aus dem östlichen Weinviertel „ausgegraben“ und mit historischen Fotografien illustriert. Die Zeitungsmeldungen der „Niederösterreichischen Volks- und Vereinszeitung“, des „Znaimer Wochenblatts“ und der „Neuen Freien Presse“ berichten über Kaiserbesuche genauso wie über Alltags- und Festtagsfreuden sowie die „Wunder des Fortschritts“, die einst Sensationen waren. Das Ergebnis ist ein authentisches historisches Panoptikum des östlichen Weinviertels in Text und Bild. / schaufenster / Kultur.Region / Februar 2015

GALERIE DER REGIONEN

——————————————————— 3504 Krems-Stein, Donaulände 56
 Öffnungszeiten Di–Fr, 10.00–12.00 und 15.00–18.00 Uhr, jeden 1. Sa im Monat 10.00–12.00 und 14.00–17.00 Uhr, an Konzerttagen bis 21.00 Uhr Bücher können bei Nachfrage auch über die Galerie der Regionen bestellt werden.


Restaurierwerkstatt / 32

Fahnen

FLATTERN & KNATTERN Historische Fahnen sind Teil einer lebendigen Brauchkultur. Allerdings strapaziert der Auftritt die aufwändig verarbeiteten Stoffe – ein Fall für die Textilrestauratorin Elisabeth Macho-Biegler.

Die Textilrestauratorin aus der Hinterbrühl hatte schon einige Fahnen auf ihrem Arbeitstisch liegen: Fahnen der Landjugend oder eines Gesangsvereins, eines Bürgercorps oder solche, die in Museen lagern und die Zünfte symbolisierten. „Bitte historische Fahnen nicht in der Fahnenfabrik reparieren lassen“, lautet ihr Apell, sondern zu einer Textilrestaurierung bringen. Hier werden die verschiedenen Materialien einer Fahne richtig behandelt und Schadstellen mit passenden Stoffen und Fäden restauriert.

Fahne als Orientierungspunkt

So kommen die Fahnen auf den Arbeitstisch der Textilrestauratorin.

Sie flattern im Wind. Fahnen, die bei Prozessionen mitgetragen werden, Fahnen, die einen ländlichen Festzug anführen, oder Fahnen, die einen Tanzboden schmücken. Das schaut schön aus und das leise Knattern klingt auch gut. Nur nicht für die Textilrestauratorin Elisabeth Macho-Biegler. Sie kann dann schon vor ihrem inneren Auge

sehen, was passiert: Risse und brüchige Stellen dort, wo der Fahnenstoff am Holzbügel wetzt, aufziehender Schimmel nach aufziehendem Regen. „Und schlussendlich werden sie zusammengerollt und in eine Ecke gestellt. Das ist ganz schlecht. Auf der einen Seite wird das Material der Fahne gestaucht und auf der anderen – der äußeren – überdehnt.“

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Fahnen entwickelten sich aus Stammes- und Feldzeichen. Ursprünglich dienten die Fahnen im Kampf als Orientierungspunkt für die Soldaten und Truppenteile. Dadurch wurde die Fahne zum Symbol, zur Insignie und Corporate Identity einer Gruppe. Und weil man auf ihre Farben und Zeichen einen Eid leistete, wurde sie zu einem Heiligtum überhöht, das sowohl kirchlich geweiht wie auch an besonderer Stelle aufbewahrt wurde. Die Begriffe Fahneneid und Fahnenflucht kommen aus der Militärsprache. „Mit fliegenden Fahnen wechseln“ bedeutete ursprünglich, dass ein Teil einer Truppe zur feindlichen Kriegspartei überlief. „Die Fahne nach dem Wind hängen“ meint auch einen Gesinnungswandel, bezieht sich in seiner Bildlichkeit auf die Wetterfahne.

Fahne mit Ölbildern Die Fahne ist das bessere Bild. Sie ist zum Tragen gedacht und daher mobil. Sie erlaubt – lange vor der Etablierung der Collage in


Restaurierwerkstatt / 33

Akrobatische Textilarbeit.

Rübe im Ornament – Fahne aus Stockerau.

der bildenden Kunst – eine Materialvielfalt aus Stoffen, Ölmalerei, Zierelementen aus gedrechseltem Holz, Goldborten, Stickereien etc. Sie ist von beiden Seiten zu betrachten. „Manche Fahnen haben beidseitige Ölbilder“, erläutert Elisabeth MachoBiegler, „direkt auf die Seide auf beiden Seiten bemalt. Das ist bei der Restaurierung besonders herausfordernd.“ Beispiele solcher Prozessionsfahnen stammen vom Kremser Schmidt und sind im Museum in Krems aufbewahrt. Neben Fahnen sind es Paramente und vor allem Reliquien, die Elisabeth Macho-Biegler restauriert. Die Knochen und sterbliche Überreste von Heiligen, die mit aufwändigen Klosterarbeiten verbrämt und zu einem Reliquiar verarbeitet sind, faszinieren die Restauratorin wegen ihrer Gestaltungsund Materialvielfalt: Goldstickerei, Spitzen, Quasten, Bordüren, Perlen, Edelstein, Wachs, gedrehtes Silber sind auf kleinstem Raum verarbeitet. Ihre Arbeit beginnt meist damit, den Staub, Dreck und Schimmel von Jahrhunderten zu entfernen. „Deswegen arbeiten wir auch fallweise mit Schutzanzügen.“

Prozessionsfahne Eine Prozessionsfahne aus dem Tiroler Volkskunstmuseum wurde im Bauhof des Schlosses Schönbrunn gereinigt. Dort hat Hilde Neugebauer, Kollegin von Frau Macho-Biegler, eine Aerosol-Waschanlage

Prozessionsfahne aus dem Tiroler Volkskunstmuseum.

mit Unterdruckabsaugung entwickelt und installiert. Das ermöglicht ein besonders schonendes, das gesamte Gewebe durchdringendes Waschen und ein schnelles Trocknen ohne hohe Temperaturen. Anschließend liegt die Fahne unter der Lichtlupe der Textilrestauratorin. Aktuell ist es eine Fahne der Landjugend Stockerau. Sie ist kein besonders altes Stück (aus dem Jahre 1956; die Einweihung der Fahne hat am 17. Juni 1956 in Senning in Anwesenheit von Leopold Figl stattgefunden; es gab eine Fahnenmutter sowie vier Fahnenpatinnen), aber Fahnen haben schnell Gebrauchsspuren. Der Wind, die Restauratorin seufzt, ist der natürliche Feind der Fahne und andererseits auch der, der eine Fahne zur Geltung bringt und es zum bewegten Bild macht. „Die Schäden sind dort, wo sie dem Wind ausgesetzt ist. Das ist meist im unteren Bereich der Fahne – und dann wird sie manchmal einfach abgeschnitten.“ Die Fahne hatte in der Mitte ein Stoffbild der Stockerauer Kirche appliziert. Dieses war auf ein synthetisches Material gemalt und nicht mehr zu restaurieren, deswegen wurde es durch ein neues, auch wieder auf Kunststoff gemaltes – Stichwort Materialtreue – ersetzt. Auf der einen Seite ist die Fahne grün, auf der anderen in den Landesfarben blau-gold gehalten. Die Ecken sind mit floralen Elementen bestickt. Ein interessantes Motiv ist die Zuckerrübe. Sie ist eine nicht ganz alltägliche Zierfrucht, wiewohl

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Detail der Prozessionsfahne.

aber eine wichtige Feldfrucht Niederösterreichs. Risse werden mit Spannstichen genäht. Damit der Faden die richtige Farbe hat, wird er von Elisabeth Macho-Biegler selbst eingefärbt. Das benötigt mehrere Färbegänge, bis der Ton exakt getroffen wird. Schadstellen werden mit einem passenden Stoff unterlegt und abgewetzte und brüchige Stellen mit einem Seidencrepeline abgedeckt, das den Vorteil hat, nahezu unsichtbar zu sein. Abschließend bekommen die Besitzer der Fahnen einen passenden Karton für die gute Lagerung und den Transport. Manchmal werden Karbonstäbe um die Bilder miteingenäht, damit sie nicht mehr zusammengerollt und in der nächsten Ecke abgestellt auf den nächsten Auftritt warten müssen … / Text: Mella Waldstein Fotos: z. V. g.

TEXTILRESTAURIERUNG ——————————————————— Tapisseriewaschanlage Elisabeth Macho-Biegler 1130 Wien, Schloss Schönbrunn Tel. 0676 5700345 textilrestaurierung.at


Museumsmanagement Niederösterreich / 34

20. NÖ Museumstag am 22. März 2015

AN DIE ZUKUNFT DENKEN Das Stift Seitenstetten ist in diesem Jahr Veranstaltungsort des Niederösterreichischen Museumstags. Am Programm stehen die Zukunftsperspektiven unserer Museen und Sammlungen.

Stift Seitenstetten – der Vierkanter Gottes. Foto: weinfranz.at

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Museumsmanagement Niederösterreich / 35

Bibliothek im Stift Seitenstetten.

Zum 20. Jubiläum beschäftigt sich der Niederösterreichische Museumstag – das jährliche Treffen der Betreuerinnen und Betreuer von Museen und Sammlungen – mit der Zukunft der Museen im Allgemeinen und der künftigen Zusammenarbeit der Museen in unserem Land im Besonderen. Anlässlich des Jubiläums wird eine Publikation zur Museumslandschaft Niederösterreichs herausgegeben, die die Vielfalt der Sammlungen in den Vordergrund stellt. Sie soll dazu anregen, in Niederösterreich auf Entdeckungsreise zu gehen und die erstaunliche Welt unserer historischen Kunst- und Kulturschätze kennen zu lernen.

Gemischte Museumslandschaft Das Tagungsprogramm selbst widmet sich ganz den zukünftigen Perspektiven. Wie geht es weiter mit den Stadt- und Regionalmuseen? Wie müssen sie sich weiterentwickeln, um in unserer veränderten Gesellschaft bestehen zu können? Was braucht es, um einen stabilen Platz im Bewusstsein der Menschen zu erreichen oder zu halten? Wie kann ein Museum anerkanntes Zentrum für die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, des eigenen Lebensraumes werden? Wie kann eine gegenseitig befruchtende Zusammenarbeit der lokalen und regionalen Museen mit den Landeseinrichtungen, wie etwa dem künftigen „Haus der Geschichte Niederösterreichs“ (Arbeitstitel), funktionieren? Gäste aus Deutschland und Vorarlberg werden diesmal gangbare Wege aufzeigen, wie sich eine gemischte Muse-

Winteransicht des Stiftes.

umslandschaft aus „groß“ und „klein“ innovativ und anregend entwickeln und positionieren kann. Die Basis ist in den großartigen Sammlungen unserer Häuser gelegt – wie wir mit diesem Erbe umgehen und es weiterentwickeln, liegt ganz in unseren Händen!

Stift Seitenstetten Das Stift Seitenstetten selbst punktet als Austragungsort des Museumstags allein schon durch seine bauliche Präsenz als „Vierkanter Gottes“ im nordwestlichen Mostviertel. Erst 2012 beging es frisch renoviert seine 900-Jahr-Feier. Kunstschaffenden und sammelnden Ordensbrüdern verdanken wir mehrere der schönsten Sammlungen in Niederösterreich. Aus Museumsperspektive bemerkenswert sind in Seitenstetten die Stiftsgalerie mit Kunstwerken von der Antike bis heute sowie zahlreichen barocken Kunstschätzen. Pater Martin Mayrhofer OSB ist selbst Künstler und Kustos dieser außergewöhnlichen Bestände. Zudem besitzt das Stift ein bemerkenswertes Mineralienkabinett aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Am Museumstag wird es Gelegenheit geben, Räume abseits der normalen Besucherströme zu besichtigen. / Text: Ulrike Vitovec Fotos: www.stift-seitenstetten.at

Die Abteistiege im Stift Seitenstetten.

20. NÖ MUSEUMSTAG ——————————————————— So, 22. 3. 2015 Stift Seitenstetten 3353 Seitenstetten, Am Klosterberg 1 Programmdetails und Anmeldung Museumsmanagement Niederösterreich Tel. 02742 90666 6116 Der NÖ Museumstag ist eine öffentlich zugängliche Fachtagung, Interessierte sind herzlich zur Teilnahme eingeladen! www.noemuseen.at

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Schwerpunkt Schreiben / 36

Buchwerkstatt

WAS BITTE IST EIN OXOHYPH? Seit mehr als 30 Jahren produziert die Edition Thurnhof in Horn authentische Buch-Kunst – und feiert heuer das 20-jährige Jubiläum der Buchreihe Oxohyph.

ne kann man ja auch richtige Bücher drucken! So entstand 1983 der erste Druck der „Edition Thurnhof “, ein Künstlerskizzenbuch von Leo Zogmayer, und bald war dann mit dem Lyrikband „Erdrauch“ von Johannes Wolfgang Paul, zu dem Norbert Schröckenfuchs die farbigen Offsetlithos lieferte, der bis heute gültige Prototyp gefunden.

Autonomie der Bilder

Künstler zeichnen farbgetrennt auf Folien und können so belichtete Druckplatten noch bearbeiten wie hier Joop Visier, ein holländischer Grafiker, Drucker, Komponist, Musiker u. a.

Eine Geheimdruckerei könnte nicht versteckter sein: Am Ende einer schmalen Waldstraße in der Nähe von Horn, im beengten Kellerraum eines schmucken, wiewohl ganz „unverdächtig“ wirkenden Hauses, steht die Druckmaschine, auf der seit mehr als drei Jahrzehnten die Bücher der Edition Thurnhof hergestellt werden. Was aber Toni Kurz, im Hauptberuf als Prof. Anton Kurz mit der Leitung der Museen Horn befasst, als Drucker und Verleger, tatkräftig unterstützt von Ehefrau Christa, an diesem so abgelegenen Ort in Zusammenarbeit mit Künstlern und Autoren geschaffen hat – inzwischen sind es mehr als 250 Druckwerke –, kann sich im wahrsten Sinne des Wortes „sehen lassen“. Was ist so besonders an den Büchern der Edition Thurnhof? Das Besondere entsteht

zunächst schon aus der Grundidee, Text und Bild gleichberechtigt oder sogar mit einer gewissen Dominanz der Bilder zusammenzubringen. Kein Wunder, denn zur Vorgeschichte des Verlags gehört die Kunstgalerie Thurnhof, die Toni Kurz gemeinsam mit dem Architekten Gerhard Lindner 1974 in der Thurnhofgasse gegründet hat und in der, seit 1989 im Kunsthaus Horn in Kooperation mit dem Kunstverein Horn, mehr als 300 Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst, mit Schwerpunkt Grafik und Buchkunst, gezeigt worden sind. Es war die Galerie, die den Anstoß gab zum Selberdrucken, denn als es galt, Einladungen, Handzettel und Plakate möglichst kostengünstig zu produzieren, da wurde kurzerhand eine gebrauchte Offsetdruckmaschine angeschafft. Irgendwann dämmerte die Erkenntnis: Mit dieser Maschi-

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Ein weiterer, von allen akzeptierter Grundsatz lautet: Es geht nicht darum, einen Text im landläufigen Sinn zu „illustrieren“. Natürlich, der Künstler ist eingeladen, sich mit den Texten auseinanderzusetzen, der bildkünstlerische Beitrag zum Buch kann aber auch völlig autonom sein. Er kann eine eigene Geschichte erzählen, er kann sich in ein spannungsvolles Verhältnis zum Text setzen oder er kann ganz subjektiv den poetischen Valeurs von Gedichten nachspüren – alles ist möglich, auch alle Zwischenstufen. Und dass im Laufe der Zeit wirklich alle denkbaren Varianten des Text-Bild-Verhältnisses erfindungsreich durchgespielt werden, wird garantiert durch die Könnerschaft der stets hochmotiviert zu Werke gehenden Künstler, unter ihnen klangvolle Namen wie Ingrid Brandstetter, Wolfgang Buchta, Tone Fink, Regina Hadraba, Heinrich Heuer, Alfred Hrdlicka, Karl Korab, Martha Jungwirth, Franz Part, Ernst Skricka, Erich Steininger, Linde Waber, Günther Wieland oder Herwig Zens. So bietet die Edition Thurnhof die Möglichkeit, die individuellen, künstlerischen Handschriften einer ganzen Grafikkünstler-Generation kennenzulernen.


Schwerpunkt Schreiben / 37

Einstieg ins Büchersammeln

Druckerei der Edition Thurnhof, in der alle Bücher des Verlages gemeinsam mit den Künstlern entstehen. Links im Bild: Toni Kurz.

Literatur in Erstausgaben

Experimentelles Drucken

Die Texte tragen gewiss nicht weniger zur Attraktivität der Edition Thurnhof bei. Das liegt schon an der – für bibliophile Kleinverlage keineswegs selbstverständlichen – Entscheidung, nur Erstdrucke zeitgenössischer Autoren herauszubringen (wenige Ausnahmen bestätigen die Regel). Dieses Prinzip gibt dem Leser einmal mehr Gelegenheit zu literarischen Entdeckungsreisen. Zumal sich hier ein weites Panorama österreichischer Gegenwartsliteratur auftut: Im Alphabet der Namen fehlen ein H. C. Artmann und Ernst Jandl oder eine Friederike Mayröcker ebenso wenig wie Barbara Frischmuth, Karl-Markus Gauss, Bodo Hell, Michael Köhlmeier, Alfred Komarek, Peter Marginter, Barbara Neuwirth, Gerhard Rühm, Robert Schindel, Susanne Scholl, Raoul Schrott, Julian Schutting, Sylvia Treudl oder Alois Vogel.

Besonders sind nämlich auch die Umstände, unter denen die Bücher der Edition Thurnhof entstehen. Toni Kurz ist mit Künstlern und Schriftstellern oft jahrelang in Kontakt, bevor sich die optimale Konstellation und damit der Punkt ergibt, wo alles zusammenpasst: Text, Bildsprache und Buchidee. Dann geht es an die Realisierung; die Autoren kommen häufig, die Künstler aber in jedem Fall persönlich vorbei, denn technisch gesehen geht es gar nicht anders. Die Bücher werden ja im offsetlithographischen Verfahren gedruckt, also von der Aluminiumplatte bzw. -folie. Auf diese Aluminiumplatten wird vom Künstler direkt und meist ganz spontan gearbeitet – genau das ist der große Vorzug dieses originalgraphischen Verfahrens.

Der Blick aufs Ganze offenbart: Es gibt zwar bei Wort und Bild reichlich Prominenz, aber in der Entwicklung des Verlagsprogramms folgt Toni Kurz in erster Linie dem Bestreben, mit jedem Buch etwas überraschend Neues entstehen zu lassen – überraschend nicht nur für den Leser, sondern zunächst schon für die Autoren, insofern sie ihre Texte in einer von ihnen nicht vorhersehbaren Buch-Inszenierung finden. Überraschend auch für die Künstler selbst, die mit ihrem höchsteigenen Temperament auf die Texte reagieren und in Form und Farbe, Strich und Fläche, Gegenständlichkeit und Abstraktion ihre Entscheidungen treffen dürfen. Denn wie das Endergebnis aussieht, entscheidet sich erst im Vorgang der Buchherstellung.

Er oder sie wird wohl bestimmte Bild-Ideen mitbringen; was aber tatsächlich passiert, entscheidet sich letztlich in der Situation. Das hat oft etwas Experimentelles, und da hat dann auch der Drucker ein Wort mitzureden. Gilt eine Platte als gelungen und sind nachfolgend auch die subtilen Probleme der Farbmischung bewältigt, kann der Bogen gedruckt werden – und so weiter, bis das Buch komplett ist. Der Vorgang kann sich über drei, vier Tage erstrecken, da wird durchaus hart gearbeitet, dazwischen liegen aber in dem legendär gastfreundlichen Haus viele fröhliche Mahlzeiten und Gespräche über alles Mögliche. Man meint es den Büchern ansehen zu können, dass sie aus einer so heiter-kreativen Arbeitsatmosphäre heraus entstanden sind!

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Den Abschluss der Herstellungsarbeiten bildet das Signieren. Denn die Bücher der Edition Thurnhof erscheinen sämtlich doppelt signiert, von Autor und Künstler, und sie erscheinen in streng limitierter Auflage, üblicherweise 400 Exemplare – es werden absolut keine Neuauflagen gedruckt. Meistens werden 20 Exemplare als Vorzugsausgabe verkauft, mit einer Originalzeichnung oder einem Aquarell oder einem Text-Autograph. Dem Sammler wird also durchaus Exklusivität geboten. Aber: Das Sensationelle an den Büchern der Edition Thurnhof ist, dass sie zu wahrhaft demokratischen Preisen zu haben sind. Ganz speziell gilt das für die 1995 begonnene Reihe „Oxohyph“. Was Oxohyph heißt? Das darf ruhig eines der letzten großen Welträtsel bleiben. Bemerkenswert ist das Prinzip der Reihe: Man kann sie abonnieren: Für vergleichsweise wenig Geld erhält der Abonnent vier bis sechs Bände im Jahr zugesandt. Jeder einzelne davon stellt eine Einladung dar, sich auf literarisch-ästhetische Expedition zu begeben – in die Welt der Poesie einzutauchen ebenso wie in jene von Form und Farbe, Strich und Fläche, Gegenständlichkeit und Abstraktion. Für die Oxohyph-Reihe gilt, was auf alle Bücher der Edition Thurnhof zutrifft: Sie strahlen eine unglaubliche Frische aus. Da gibt es keine aufgesetzte Ästhetik, nichts Dogmatisches, nirgendwo ein äußerliches Behübschen, hier ist alles echt, alles authentisch. In einer kleinen Waldviertler Kellerwerkstatt lässt sich also zeitgenössische Buch-Kunst auf Weltniveau bewerkstelligen, man muss nur wissen, wie … / Text: Ernst Fischer Fotos: Edition Thurnhof

EDITION THURNHOF ——————————————————— Galerie Thurnhof, Kunsthaus Horn 3580 Horn, Wiener Straße 2 www.thurnhof.at 2O Jahre Oxohyph Kunstverein Horn Eröffnung: So, 12. 4. 2015, 11.00 Uhr Öffnungszeiten (bis 16. 5. 2015): Fr 15.00–18.00 Uhr, Sa 10.00–17.00 Uhr


Schwerpunkt Schreiben / 38

Bücher

VOM UMGANG MIT BÜCHERN Umgebogene Ecken, gebrochene Rücken, vergilbte Seiten – Bücher können verschiedenste Schäden aufweisen. Anbei einige Tipps, wie Schäden an Büchern zu vermeiden sind.

Bücher sollen nur mit sauberen, trockenen und nicht eingecremten Händen angefasst werden. Foto: Marta Paniti / shutterstock

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Schwerpunkt Schreiben / 39

Schäden an Büchern: gerissene Seitenheftung …

Schwere und großformatige Bücher sollen, empfiehlt die Restauratorin Ilse Mühlbacher, flach gelagert werden.

Aufstellung und Handhabung Meist sind Bücher in Regalen aufgestellt. Die Höhen zwischen den einzelnen Regalen sollten so dimensioniert sein, dass man das Buch gut entnehmen kann. Zwischen Buch und Regalbrett sollte genügend Platz für eine Hand bleiben, um das Buch am Vorderschnitt fassen und zu sich kippen zu können. Die zweite Hand nimmt das Buch aus dem Regal. Das falsche Herausziehen eines Buches aus dem Regal mit dem Zeigefinger am oberen Rand des Buchrückens erzeugt die meisten Schäden und Verluste. Es kommt zum Einreißen des Bezugsmaterials in den Gelenken und langfristig zum Abreißen des Buchrückens. Bücher sollten nicht zu dicht, aber auch nicht zu lose in den Regalen aufgestellt sein, um sich gegenseitig zu stützen und gerade zu stehen. Durch Aufstellen von großen neben kleinformatigen Büchern kann es zu Verbiegungen kommen. Schwere und großformatige Bücher werden flach gelagert – nicht mehr als drei Stück übereinander.

Reinigen Bücher werden nur mit sauberen, trockenen und nicht eingecremten Händen angefasst, Essen und Trinken während des Lesens ist zu vermeiden. Staub auf Büchern, besonders am oberen Schnitt des Buches, sollte mit einem Mikrofasertuch entfernt werden. Auch eine vorsichtige Reinigung mit weicher Staubsaugerbürste und niedriger Drehzahl ist möglich. Kontrollieren Sie Ihre

Sammlung von Büchern ab und zu auf Schimmel- und Ungezieferbefall.

Klima- und Lichtschutz Hitze, große Temperaturschwankungen, hohe Luftfeuchtigkeit und Staubeinwirkung können Schäden bei Büchern anrichten. Daher sind Keller und Dachböden ungeeignete Aufbewahrungsorte. Die ideale Lagertemperatur liegt bei 18°–20° Celsius. Zu hohe Luftfeuchtigkeit begünstigt Schimmelbildung und führt zu welligen Seiten, der ideale Wert liegt zwischen 40 und 60 Prozent. UV-Lichteinstrahlung kann Bücher erheblich schädigen. Um besondere Bücher besser zu schützen, wären Buchumschläge aus säurefreiem Material oder Buchkassetten wünschenswert.

Lose Teile Finden Sie lose Teile oder lose Seiten eines Buches, sichern Sie diese nicht mit Klebebändern, sondern legen Sie diese in ein säurefreies Kuvert, beschriften es und legen es dem Buch bei. Abgefallene Rücken nicht mit Gummiringen, Büroklammern oder Selbstklebebändern befestigen, sondern mit einem Baumwollband fixieren.

Benützung von Büchern Bücher sollten nicht für längere Zeit aufgeschlagen und schwere Bücher in geöffnetem Zustand nicht flach auf dem Tisch liegen. Zur Stütze des Buchrückens können Filzrol-

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... und Fraßstellen am Papier.

len oder weiche Pölster verwendet werden. Sandsäckchen oder Bleischlangen halten Buchseiten geöffnet. Feuchten Sie die Finger zum Umblättern nicht an. Verwenden Sie Lesezeichen und knicken Sie keine Seiten um. Notizen auf Post-its, Notizzettel und Zeitungspapier sollten nicht in Büchern verbleiben. Wenn Ihre Bücher Schäden aufweisen, die Sie nicht beheben können ziehen Sie einen Buchrestaurator zu Rate. / Text: Ilse Mühlbacher Fotos: z. V. g.

BUCHRESTAURIERUNG ——————————————————— Atelier für Buchrestaurierungen MMag. Ilse Mühlbacher Buchrestauratorin, Buntpapier 1190 Wien, Pokornygasse 23/6 Tel. 01 3682014 ilse.muehlbacher@gmx.at Grundkurse im Umgang mit Objekten aus Papier mit Ilse Mühlbacher Brandlhof, 3710 Ziersdorf, Radlbrunn 24 Fr, 27. 3. 2015, 9.00–17.00 Uhr: Risse kleben mit Japanpapier Sa, 28. 3.; Fr, 2. 10. 2015, jeweils 9.00–18.00 Uhr: Instandsetzen von beschädigten Büchern Anmeldung & Information Museumsmanagement Niederösterreich Tel. 02742 90 666 6123 www.noemuseen.at/fortbildung


Forschung / 40

Museumsdepots

ARCHE NOAH Man liebt sie. Man liebt sie nicht. Doch. Man liebt sie. Nein, man liebt sie nicht. Geht vielleicht auch beides? Museumsdepots sind ambivalente Orte: Sie sind Lust und Last zugleich.

Depotr채ume des Stiftes Klosterneuburg: Sicherheitstechnik trifft Krummstab.

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Forschung / 41

Die Bananenschachtel – ein Universaldepot.

Wenn man ein Museumsdepot das erste Mal betritt, fühlt sich das meist aufregend an. Jedenfalls mir geht es fast immer so. Manchmal bin ich sogar richtig gerührt. Es überkommt mich dann dieses Gefühl, das einen beschleicht, wenn man erkennt, dass gewisse Menschen ausgewählte Tätigkeiten mit großer Sorgfalt, Kreativität sowie persönlicher Hingabe ausführen – und zwar der Sache wegen, und das auch (oder gerade deshalb) ungeachtet dessen, ob das Ergebnis dieser Tätigkeit jemals gesehen oder gar besondere Wertschätzung erfahren wird. Denn das Ordnen, Schlichten, Beschriften, Dokumentieren, Umlagern, Reinigen, Lüften, Abdecken oder das maßgeschneiderte „Betten“ manchmal sehr fragiler Objekte sind Arbeiten, die im „Schlafsaal“ der abgelegten Sammlungen nötig sind. Wenig befriedigend ist – ähnlich wie wir es alle von der Hausarbeit kennen –, dass man diese Tätigkeiten meist nur dann sieht, wenn sie unterlassen werden. Es kommt noch schlimmer: Menschen, die Depotsammlungen pflegen, wissen, dass sie nie zu einem Ende kommen können, dass die erforderliche Pflege der Sammlung unendlich ist.

Gegen Windmühlen kämpfen Es ist der sprichwörtliche Kampf gegen Windmühlen, der Kampf gegen Unordnung, Platzmangel, Staub, Schädlinge, Klimaschäden, die natürlichen Alterungspro-

Aus dem Depot des Österreichischen Museums für Volkskunde im Areal des Hafen Wien.

zesse der Materialien oder gegen den Verfall von Objekten, die doch eigentlich für die Ewigkeit aufbewahrt werden sollten. Doch jede gute Ordnung im Depot vermittelt die ungebrochene Überzeugung, dass wir nicht resignieren. Ich ziehe meinen Hut vor allen Don Quichottes, die täglich in unseren Depots kämpfen. Die kontinuierliche Pflege der Sammlungen ist also substanziell wichtig und dennoch ein wenig glamouröses Feld der Museumsarbeit. Sammlungspflege passiert im Abseits. Im Schatten medialer oder kulturpolitischer Interessen ist Sammlungspflege mit „Schattenarbeit“ gleichzusetzen. Ivan Illich, dem wir diese Begriffsprägung verdanken, beschreibt Schattenarbeit als produktiv-ökonomische Größe, die aber mit Geld nicht messbar ist und meist unsichtbar bleibt. Will man Sammlungspflege ökonomisch argumentieren, muss man langfristig denken.

Die blinden Passagiere Als ein Leitmotiv für das systematischkontrollierte Sammeln zieht die biblische Arche Noah durch die Jahrhunderte. Ihre Darstellung steht als Symbol für die menschliche Fähigkeit, den Artenreichtum der Schöpfung in einem selbsterdachten Rahmen zu definieren und so über die Zeiten zu retten. Die aus dem Mittelalter erhaltenen Illustrationen dieses zutiefst

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musealen Gedankens bedienen sich häufig einer Darstellung, die einem streng geometrischen Setzkasten gleicht, in den Tiere und Menschen, also die Arche-Typen, die für die lebensrettende Reise auf der Arche Noah ausgewählt waren, eingeordnet sind. Diese strenge Ordnung war ein Idealbild, in der Museumspraxis gibt es sie nicht. Die Realität des Depots zerstört das Idealbild der Arche Noah. Denn nicht alles lässt sich restlos in eine formgebende Struktur pressen. Nicht immer gelingt es, die Systematik einer Sammlung durch ihre räumliche Anordnung und Ablage abzubilden. In jeder Sammlung gibt es auch Reste, die sich einer Systematik nicht unterordnen lassen, weil deren Klassifizierung durch die Forschung noch nicht gesichert, deren kulturhistorische Bedeutung noch umstritten oder ganz einfach durch mangelnde Dokumentation in Vergessenheit geraten ist. Wir sehen uns zusätzlich konfrontiert mit einer eigenständigen Ordnung, die von der realen Beschaffenheit der Dinge ausgeht, wie Material, Format, Gewicht oder Größe: „Leicht beieinander wohnen die Gedanken, / doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.“ (Friedrich Schiller, „Wallensteins Tod“) Manche Objekte entziehen sich also unserer Systematik, sind trotzdem einfach da und zwingen uns, einen passenden Platz


Forschung / 42

der Arche Noah scheint in den Köpfen sehr fest verankert zu sein. Oder täuscht dieser Eindruck? Dem Aufruf eines Museums, das ausgewählte UFOs präsentierte („We have no idea what this is. Do you?“), folgten unerwartet viele Rückmeldungen. Einige unbekannte Objekte konnten identifiziert und somit guten Gewissens endgültig ins Sammlungsinventar zur vertieften Beforschung aufgenommen werden. Museumsdepots sind Lust und Last zugleich. Warum nicht beides öffentlich teilen? Denn je mehr Don Quichottes kämpfen, desto mehr blinde Passagiere können entweder erstklassig versorgt oder aber im nächsten Hafen abgesetzt werden, möglicherweise auch zur Weiterreise mit einem anderen Schiff. Und desto mehr UFOs können, vielleicht erschöpft von langen Irrflügen, endlich landen und mit neuen Geschichten unser kleines Universum erweitern. / Aus dem Depot im Salzburger Freilichtmuseum: Musterwalzen für die Wandgestaltung.

(gedanklich wie räumlich) für sie zu finden. Es sind widerständige Gegenstände. Und wenn sie auch keine Sprache sprechen, fordern sie Mitsprache in der Erstellung, Korrektur und Weiterentwicklung unseres Wissenssystems. Denn wir haben sie an Bord, die blinden Passagiere der Arche Noah. Und man weiß schon lang von deren Existenz. In den Kunst- und Naturalienkammern des 16. und 17. Jahrhunderts versuchte man sie unter „Varia“ zu klassifizieren und offen für eine weitere Auseinandersetzung auszuweisen. Hier wurde alles registriert, das noch keinen rechten Platz gefundenen hatte, aber trotzdem vielleicht künftig Bedeutung haben könnte. Sogar blinde Passagiere bekamen ein vorläufiges Ticket für die Reise. In heutigen Sammlungen hingegen reisen sie ohne Ticket und verstecken sich meist an wenig frequentierten Orten im Schiffsbauch.

Die Landung der UFOs Heute spricht man weder öffentlich noch in der Fachliteratur über die ungeliebten Mitreisenden. Ein beliebtes Pausengespräch auf Museumstagungen sind sie aber doch. Immer wieder höre ich spannende Geschich-

ten über kürzlich entdeckte, unbekannte, derzeit nicht identifizierbare oder nicht bewertbare Objekte im Depot. Die Kolleginnen und Kollegen sprechen dann über „ihre UFOs“. Diese tauchen beispielsweise während einer Depotinventur auf oder bei der gezielten Suche nach einem anderen Objekt, das nicht gefunden wurde, anstelle dessen aber ein UFO. Meist werden die UFOs nach dem Auffinden gesondert gelagert, getrennt vom inventarisierten Bestand, aber an gut sichtbarer Stelle. Denn es könnte ja ein Kollege vorbeikommen und zufällig das eine oder andere UFO identifizieren. Schließlich liegt im personellen Gedächtnis jedes Museums viel mehr Wissen, als in der Datenbank tatsächlich erfasst ist. Nur wenige Museen beziehen die breite Öffentlichkeit ein, wenn es darum geht, unbekannte Objekte zu identifizieren. Zu groß ist die Angst vor dem Imageverlust, gehen doch die meisten Menschen immer noch davon aus, das alle großen öffentlichen Sammlungen zur Gänze über ihre Bestände Bescheid wissen und jedes einzelne Objekt gründlich dokumentiert, vorbildlich gepflegt, restlos erforscht und jederzeit abrufbar vorliegt. Das mittelalterliche Idealbild

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Text: Martina Griesser-Stermscheg Fotografie: Stefan Oláh

MUSEUMSDEPOTS

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Inside the Museum Storage Herausgeber: Stefan Oláh, Martina Griesser-Stermscheg Verlag Anton Pustet 978-3-7025-0766-4, EUR 39,00 Orte unerwarteter Entdeckungen. Üblicherweise Unzugängliches wird auf über 100 großformatigen Fotografien von Stefan Oláh sichtbar gemacht. Sie nehmen eine Vermittlerrolle zwischen dem Verborgenen und dem Öffentlichen ein. Diese Bilddokumentation zeigt Bemühungen um den Erhalt von Kulturgut im Depot, eine oft unterschätzte Leistung von Museen und Sammlungsverantwortlichen. Die Bestandsaufnahme erfolgt am Beispiel von mehr als 20 Museumsdepots in ganz Österreich.


Galerie der Regionen / 43

AUSLAGE Rund um das Dirndl und die Tracht hat die Galerie im Haus der Regionen ein gut sortiertes und geschmackvolles Angebot: Dieses reicht von Meterstoffen über Trachtenschmuck bis hin zu einer großen Auswahl an Strickwesten, Lodenjacken, Tüchern und Taschen.

ab EUR 60,–

Taschen von Dorothee Lehen.

EUR 59,–

Das „Dirndlpackerl“ ist eine Spezialität des Hauses: Drei passende hochwertige Baumwollstoffe – für Leibkittel, Rock und Schürze – sind in den richtigen Abmaßen zu einem Paket geschnürt. Nur mehr zugreifen und selbst nähen (oder nähen lassen – Adressen von Schneiderwerkstätten werden gerne mit auf den Weg gegeben). Ebenso gibt es Blaudruckstoffe und Kalmuck vom Ballen zu kaufen.

ab 0 11,9 R EU

Tuch von Striessnig.

EUR 0 43,9

GALERIE DER REGIONEN

EUR 36,90 Halskette, Gmundner Metallwerkstätte Schrabacher.

Filzschuhe von Gießwein.

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——————————————————— 3504 Krems-Stein, Donaulände 56
 Di–Fr, 10.00–12.00 und 15.00–18.00 Uhr, jeden 1. Sa im Monat 10.00–12.00 und 14.00–17.00 Uhr, an Konzerttagen bis 21.00 Uhr In der Galerie sind auch Eintrittskarten für alle Veranstaltungen im Haus der Regionen erhältlich.


Museumsdorf Niedersulz / 44

Winterzeit

EINE SCHLITTENFAHRT IST LUSTIG F체r die Pr채sentation von ausgew채hlten Fahrzeugen und Schlitten in einem neu errichteten Stadel wird gerade ein Schlitten aus dem Sammlungsbestand des Museumsdorfs Niedersulz mit Unterst체tzung des Freundesvereins renoviert.

Schlitten vor der Renovierung.

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Museumsdorf Niedersulz / 45

Karussell-Schlitten der Königin Maria Theresia, um 1740/50, KHM – Wagenburg (Inv.Nr. WB W 81). Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

Das Museumsdorf zeigt ein idealtypisches Weinviertler Dorf mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, Werkstätten verschiedener Handwerker sowie kommunalen Einrichtungen. Die derzeit bestehende MuseumsWagnerei befindet sich in einer ehemaligen Schmiede. Sie soll zukünftig in eine neue, komplett funktionstüchtige Wagnerei-Werkstatt integriert werden. Von Jänner bis März 2013 konnte die Wagnerei Halmschlag aus Hollabrunn – bestehend aus einem Werkstattgebäude und einem Stadel – abgetragen und in den Bestand des Museumsdorfs übernommen werden. Der Stadel diente vor Ort als Materiallager und wird nach dem Wiederaufbau im Museumsdorf im Frühjahr 2015 eine kleine Auswahl an landwirtschaftlichen Wägen und Schlitten zeigen. Die Objekte sollen einerseits Einblick in die umfangreiche „Produktpalette“ eines Wagners geben. Andererseits bietet sich damit die Gelegenheit, dem Publikum einige ausgewählte Stücke näher vorzustellen. Schließlich umfasst der umfangreiche Sammlungsbestand, der vom Museumsgründer Prof. Josef Geissler aufgebaut wurde, über 50 Transport-, Fahr- und Spritzen-Wägen sowie elf Fahr- und Last-Schlitten.

Schlitten als Lastentransportmittel Die ältesten Belege für Schlitten gehen auf sumerische Schriftzeichen, Schlittenmodelle aus Ton sowie Pollenanalysen von Kufenresten in Skandinavien und Russland zurück und bezeugen übereinstimmend ein Vorkommen um 3000 v. Chr. Bereits vor der

Erfindung des Rades kamen Schlitten als reine Lasten-Transportmittel zum Einsatz. Jahrhundertelang nutze man sie überall dort bzw. immer dann, wenn Wägen nicht einsetzbar waren, also im Winter bei Schnee oder in sehr steilem oder unwegsamem Gelände. Transportiert wurden vor allem Holz und Heu, aber auch Mist, Ziegel, Steine, Schweine oder Kälber. Als Zugtiere verwendete man Pferde, Ochsen oder seltener Kühe, für kleinere Gefährte auch Ziegen oder Hunde. Kleine Handschlitten wiederum dienten zur Beförderung von Säcken, Futter oder Milchkannen, die damit vom Stall zur Straße gezogen wurden; größere Handschlitten verwendete man zum Führen von Holzscheitern. Die Darstellung von Holztransport auf den Monatsbildern im Adlerturm des Trienter Castels Buonconsiglio aus der Zeit um 1400 n. Chr. zählt zu den ältesten Schlittendarstellungen Mitteleuropas. Die ältesten erhaltenen Schlitten im deutschen Sprachraum stammen jedoch erst aus dem 17. Jahrhundert und waren keineswegs Last-, sondern Vergnügungsfahrzeuge.

Die Schlittenfahrt als adeliges Freizeitvergnügen Seit dem späten Mittelalter war es in aristokratischen Kreisen üblich, in künstlerisch gestalteten und prunkvoll verzierten Schlitten winterliche Fahrten zu unternehmen. Kaum eine vom Adel gefeierte Festlichkeit – sei es Hochzeit, Taufe oder Friedensschluss – wurde ohne „Schlittade“ oder „Schlittage“ begangen. Nicht nur am Wiener Kaiserhof, sondern auch in manchen deutschen Fürstenhöfen und Patrizier-Städten wie z. B. Nürnberg war

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Kufenende in Schneckenform.

es im 17. und 18. Jahrhundert üblich, im Fasching prächtige Schlittenumzüge mit bis zu 50 Schlitten zu veranstalten. So wurde auch anlässlich des Wiener Kongresses am 22. Jänner 1815 eine große „Schlittage“ mit 35 Schlitten, in denen Kaiser Franz I. und viele weitere hochadelige Teilnehmer des Kongresses saßen, von der Hofburg bis nach Schönbrunn durchgeführt. Die Schlittenfahrt war lange Zeit ein Privileg des Adels und diente der visuellen Machtentfaltung. Diese Zurschaustellung des eitlen Lebenswandels wurde von den Geistlichen auch deshalb verdammt, da die Zusammensetzung der Paare in den Schlitten per Los entschieden wurde und sich damit die Gelegenheit für amouröse Abenteuer ergab.

Adeliger Schlitten in dörflichem Gebrauch Der Schlitten aus der Sammlung des Museumsdorfs hat sicher auch schon einiges erlebt, das sich aufgrund mangelnder Dokumentation allerdings kaum lückenlos nachvollziehen lässt. Er besteht aus einem Holzkorpus, in dessen Sitzfläche das „Bocktriacherl“ (die Bocktruhe) als Aufbewahrungsort für Reserveteile eingelassen ist. Der aufgesetzte Korb aus Weidengeflecht und die hölzerne Rückenlehne waren ursprünglich mit einer Polsterung versehen, die nur mehr fragmentarisch vorhanden war, aber Hinweise auf eine kräftige blaue Farbgebung liefert. Die Kufen laufen zeittypisch in Schneckenform aus. Das Spritzbrett, das die Fahrgäste vor aufspritzendem Schnee und Kot schützen sollte, ist mit einem Bild in Pferdeform verziert, das ver-


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Pferdebild auf dem Spritzbrett.

mutlich aus jüngerer Zeit stammt. Generell wird vermutet, dass der Schlitten ursprünglich aus adeligem Besitz stammt und im 18. Jahrhundert hergestellt worden war. Die Datierung des Schlittens kann aufgrund von zwei Hinweisen für das 18. oder frühe 19. Jahrhundert angenommen werden: Einerseits finden sich auf der hinteren Oberseite der Sitzbank zwei Schraublöcher, die auf das frühere Vorhandensein eines kleinen Sitzes, der so genannten Pritsche, hinweisen. Von diesem an der Rückwand befestigten Sitz aus lenkte der Fahrer den einspännigen Schlitten halb sitzend, halb stehend. Im Schlittenkasten saß im Regelfall ein einziger weiblicher Passagier. Diese Bauart und Fahrtechnik ist typisch für die Schlitten des 18. Jahrhunderts. Andererseits befindet sich eine händisch aufgeschriebene Zahl auf dem Korpus, die durch den Teppich geschützt war und als „1818“ gedeutet werden kann. Es könnte aber auch „1918“ als Datum der Überarbeitung bzw. Reparatur gemeint sein. Vielleicht hatte der aristokratische Fahrer einen Unfall, oder der Schlitten musste aus anderen Gründen umfangreich renoviert und ergänzt werden. So wurden einige ursprünglich aus Holz hergestellte Konstruktionsteile durch solche aus Eisen ersetzt, die sicher von einem anderen Schlitten stammen. Einerseits wirken die Eisenteile – wie beispielsweise die in Schlangenköpfen auslaufenden Schmiedeelemente – sehr elegant und kunstvoll gefertigt, andererseits sind sie relativ grob an dem Holzschlitten befestigt, was auf die Reparatur durch einen einfachen Dorfschmied oder -wagner hinweisen würde.

Beim jetzigen Erhaltungszustand des Schlittens kann man also durchaus von „aus zwei oder drei mach eins“ sprechen, da eindeutig Konstruktionsteile von zwei oder sogar drei verschiedenen Fahrzeugen zusammengesetzt worden sind. Der derart reparierte Schlitten scheint jedenfalls im dörflich-bäuerlichen Bereich auch häufig in Verwendung gewesen zu sein, da sowohl der Teppich im Fußraum als auch das darunter liegende Linoleum fast komplett durchgewetzt sind. Da die Herkunft des Schlittens leider nicht dokumentiert ist, werden wohl einige Fragen auch weiterhin offen bleiben – als das Rätsel des „RecyclingSchlittens“.

Schlitten-Renovierung durch renommierten Kutschenbauer Für die Präsentation im Wagnerei-Stadel aus Hollabrunn wird der Schlitten nun fachgerecht renoviert. Diese Aufgabe übernimmt der passionierte Kutschenbauer Florian Staudner, der seine Wagnerei-Meisterprüfung eben bei jenem Franz Halmschlag in Hollabrunn, von dem Wagnerei-Werkstatt und Stadel stammen, abgelegt hatte. Nach einer Vorreinigung durch das Team des Museumsdorfs zerlegte er den Schlitten in seiner Werkstatt, indem er die Polsterung abnahm, den Korb entfernte sowie Eisenund Holzteile trennte. Alle Arbeitsschritte werden natürlich sorgfältig fotografisch und schriftlich dokumentiert. Dabei kommen immer wieder interessante Details zum Vorschein – wie etwa die genannten Schraublöcher der „Pritsche“, die Jahreszahl oder Original-Farb- und Verzierungsreste, die als Vorgabe für die Renovierung dienen.

schaufenster / Kultur.Region / Februar 2015

Kutschenbauer Florian Staudner bei der Arbeit.

Alle Holzteile wurden gegen Holzschädlinge behandelt, geschliffen sowie große Löcher gekittet und Bruchstellen geleimt. Diese Teile werden nach den historischen Farbresten mit Ölfarbe grundiert, die Linierung ergänzt und abschließend mit einem Schutzanstrich versehen. Alle Eisenteile wurden entrostet, mit einem Rostschutzmittel versehen und schwarz gestrichen. Der geflochtene Korb erhält wieder die umlaufende Abschlussleiste in Zopfform und einen Farbanstrich, der dem Vorhandenen angepasst wird. In einem späteren Renovierungsschritt wird auch die Polsterung mit historisch belegten Materialien ersetzt werden. Die komplette Renovierung nimmt zumindest 150 Arbeitsstunden in Anspruch und wird großzügig vom Verein „Freunde des Weinviertler Museumsdorfs Niedersulz“ unterstützt. / Text: Veronika Plöckinger-Walenta

WAGNEREI-STADEL ——————————————————— Eröffnung: Sa, 2. 5. 2015, 14.00 Uhr, Dauerpräsentation bis 26. 10. 2015 Museumsdorf Niedersulz 2224 Niedersulz, Niedersulz 250 Tel. 02534 3330 www.museumsdorf.at


Kultur.Region / 47

FORTBILDUNG AUSSTELLUNGSGESTALTUNG

—————————————————————— Fr, 13. 2.–Sa, 14. 2. 2015 Haus der Regionen, 3504 Krems-Stein, Donaulände 56 Referenten: Mag. Susanne Hawlik und Mag. Franz Pötscher Konzeption von Ausstellungen, zielgruppenorientierte Aufbereitung, gestalterische Umsetzung, Zeit- und Kostenschätzung. Anmeldung & Information Museumsmanagement Niederösterreich Tel. 02742 90 666 6123 www.noemuseen.at/fortbildung _

VOM TEXT ZUM WERBETEXT

—————————————————————— Di, 17. 2. 2015 City Hotel Stockerau, 2000 Stockerau, Hauptstraße 49 Referentin: Dr. Maria Gager Ihre kreativen Ideen, attraktiven Angebote und interessanten Veranstaltungen sind es wert, von möglichst vielen Menschen angenommen zu werden. Ein attraktiver Werbetext öffnet dafür Augen und Ohren: Er ist ein Schlüssel für erfolgreiche Werbung. Greifen Sie in diesem Workshop zur Feder und lernen Sie, aus Texten Werbetexte zu formulieren und Menschen damit anzusprechen! Erzählen und berühren statt beschreiben und erklären, so lautet die Devise. Spüren Sie, wie das Formulieren und Gestalten eigener Texte mehr und mehr Lust auf Ihre eigene Botschaft macht! Gerne integrieren wir auch Ihre eigenen Projekte und Vorhaben als Praxisbeispiele. Anmeldung & Information Kulturvernetzung NÖ 2721 Bad Fischau-Brunn, Wiener Neustädter Straße 3 Tel. 02639 2552 seminaranmeldung@kulturvernetzung.at _

GRUNDLAGEN DER VERMITTLUNGSMETHODEN

ZIELGRUPPENMARKETING IM KUNSTBEREICH

—————————————————————— Fr, 27. 2.–Sa, 28. 2. 2015 Haus der Regionen, 3504 Krems-Stein, Donaulände 56

—————————————————————— Do, 12. 3. 2015, 18.00– 21.00 Uhr

Referentin: Helga Steinacher

„Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler …“ und „Der Sammler, das unbekannte Wesen …“ – diese Stehsätze geistern durch die Marketing- und Kunstwelt. Was Künstler hiervon in die Praxis mitnehmen, steht im Vordergrund des Seminars. Wir werden uns mit vielfältigen Zielgruppen beschäftigen, die sich für Kunst interessieren, und Wege erörtern, wie sie uns als Kunstschaffende leichter finden können. Wir erarbeiten praxisnahes Know-how am Beispiel der Projekte der Teilnehmer. Konzept, Organisation & Umsetzung von spezifischen Marketinginitiativen für Zielgruppen – wie man potenzielles Publikum anspricht, Präsentationsunterlagen aufbereitet etc.

Umfassende Einführung in die methodischen wie didaktischen Möglichkeiten, die im Rahmen von Führungen und anderen Vermittlungsangeboten umgesetzt werden können. Praxisorientiert verweisen „Best Practice“Beispiele aus verschiedenen Kulturinstitutionen auf die Vielfältigkeit und Anwendbarkeit von Vermittlungsmethoden. Anmeldung & Information Museumsmanagement Niederösterreich Tel. 02742 90666 6123 www.noemuseen.at/fortbildung _

TANZLEITERAKADEMIE NIEDERÖSTERREICH

—————————————————————— Modul 1: Fr, 27. 2.–So, 1. 3. 2015 Modul 2: Fr, 20. 3.–So, 22. 3. 2015 Modul 3: Fr, 24. 4.–So, 26. 4. 2015 SCHREINERs Das Waldviertel Haus 3663 Laimbach 5 Lehrgang für Volkstanzleiterinnen und Volkstanzleiter. Für die Teilnahme an der Tanzleiterakademie wird das Beherrschen von Walzer und Polka sowie der österreichischen Grundtänze vorausgesetzt. Kosten inkl. Kursgebühren und Seminarunterlagen: pro Modul EUR 100,00 (Mitglieder der Regionalkultur Niederösterreich je Modul EUR 75,00) Anmeldung & Information Volkskultur Niederösterreich 3452 Atzenbrugg, Schlossplatz 1 Tel. 0664 9608876 franz.huber@volkskulturnoe.at _

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Hotel zur Post, 3053 Brand-Laaben 33 Referent: Dr. Leo Hemetsberger

Anmeldung & Information Kulturvernetzung NÖ 2721 Bad Fischau-Brunn, Wiener Neustädter Straße 3 Tel. 02639 2552 seminaranmeldung@kulturvernetzung.at _

SAISONSTART PRAXISKURSE

—————————————————————— Die Saison am Brandlhof in Radlbrunn und im Bauhof des Museumsdorfes Niedersulz startet! Neben den bewährten und beliebten Kursen zum Umgang mit historischen Materialien gibt es neue Kursangebote wie „Schimmel im Museum“ oder „Materialvielfalt in musealen Sammlungen“. Eine Übersicht über alle Praxiskurse 2015 finden Sie online auf www.noemuseen.at/fortbildung _


Kultur.Region / 48

Zwischen Himmel und Erde

SCHÖNE KUNST

Schöne Kunstwerke, seien es Bilder, Statuen oder Musikstücke, werden oft mit „alt“ verbunden, während provokante, ja manchmal hässliche Werke als zeitgemäß mit „neu“ in Zusammenhang gebracht werden. Welche Idee steckt dahinter? Muss man sich dem Zeitgeist anpassen und in der Kunst das darstellen, was in der Wirklichkeit vorhanden ist? Und das ist tatsächlich nicht immer schön – die Medien berichten ständig davon. Aber gibt es nicht auch das wirklich Schöne wie z. B. ein freundliches Lächeln, ein nettes Wort, eine liebe Umarmung, einen strahlenden Sonnenaufgang oder einfach ein schönes Konzert? Ein Künstler kann viele positive Aspekte in seinem Werk verwirklichen, die aufbauend wirken und den Betrachtenden bereichern. Denken wir nur an ein Konzert zurück, wo wir nachher entspannt, fröhlich und sogar glücklich waren und uns gerne daran erinnern. Dagegen bleibt uns ein anderes Konzert in schlechter Erinnerung, aus dem wir schlecht gelaunt und ärgerlich heimgegangen sind. Die Schönheit ist eigentlich ein Teil von uns, zumindest eine Sehnsucht, bis hinein in die Träume. Warum sollten wir diese nicht anstreben? Auch wenn nicht jeder dasselbe gleich schön findet. Schönheit zeigt uns dem Weg zum Göttlichen, zum Guten und Wahren. Schöne Kunst ist geistige Nahrung für uns, die wir mehr seien wollen als nur ein menschliches Tier oder eine Biomaschine. Schöne Kunst verbindet uns mit Gott und seinen Geschöpfen. Schöne Musik erfreut das Herz und hebt den Geist über das rein Materielle hinaus. Ein Künstler stellt in seinem Werk dar, was ihm wichtig ist. Damit ist auch eine Verantwortung verbunden. Dadurch kann die Welt auch zum Besseren verändert werden. Wir müssen es nur wollen und zulassen. / Abt Matthäus Nimmervoll

SENDETERMINE

RADIO NIEDERÖSTERREICH aufhOHRchen, 20.00–21.00 Uhr Di, 3. 2.: Der Ötscher – Die Eroberung des Vaterberges Gestaltung: Hans Schagerl Di, 10. 2.: Volkskultur aus Niederösterreich Gestaltung: Dorli Draxler Di, 17. 2.: MundArt: Allerlei Dialekte Gestaltung: Edgar Niemeczek Di, 24. 1.: Volksmusikalische Kostbarkeiten Gestaltung: Walter Deutsch „vielstimmig“ – Die Chorszene Niederösterreich, Do 20.00–20.30 Uhr: 12. 2., 26. 2. G’sungen und g’spielt & Für Freunde der Blasmusik, Mi, Do 20.00–21.00 Uhr Musikanten spielt’s auf, Fr 20.00–21.00 Uhr Frühschoppen, So 11.00–12.00 Uhr _

Ö1 Fr, 27. 2., 10.05 Uhr: Intrada mit Johannes Leopold Mayer Elisabeth Deutsch über die neue CD „Orgel trifft Volksmusik“ und die gleichnamige Reihe in der Schlosskapelle Atzenbrugg

Foto: E. Marschik

Die Schönheit ist eigentlich ein Teil von uns, zumindest eine Sehnsucht, bis hinein in die Träume.

Volksmusiksendungen des ORF

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ORF 2 Wetter-Panorama, tägl. 7.15–9.00 Uhr _

ORF 3 Unser Österreich, Sa 16.55 Uhr _ Programmänderungen vorbehalten. Detailprogramm: www.orf.at

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Kultur.Region

Kultur.Region

INTERN

NACHSCHAU

WIR GRATULIEREN!

EHRENBÜRGERSCHAFT WAIDHOFEN/YBBS

Ihren runden Geburtstag feiern unsere Ehrenmitglieder: Norbert Spenling (65), Hollabrunn, 7. Februar Josef Preyer (70), Poysdorf, 20. Februar

Der frühere Bürgermeister von Waidhofen an der Ybbs, LH-Stv. Mag. Wolfgang Sobotka erhielt die höchste Auszeichnung seiner Heimatstadt: die Ehrenbürgerschaft. V. l. n. r.: Altbürgermeister Mag. Wolfgang Mair, Landeshauptmann-Stv. Mag. Wolfgang Sobotka, Bgm. Mag. Werner Krammer.

Seinen runden Geburtstag feiert unser Mitglied: Ing. Anton Mörtl (70), St. Christophen, 6. Februar _

GEWINNER DER AKTION CHRISTKIND 1.750 Einsendungen erreichten die Aktion „Advent – Wie ich mich auf das Christkind vorbereite“, die vom Land Niederösterreich, ORF NÖ, NÖN, Spar und der Volkskultur Niederösterreich unterstützt wird.

Foto: Stadt Waidhofen/Langwieser

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SILBERNE VERDIENSTMEDAILLE

V. l. n. r.: Dr. Edgar Niemeczek, GF Kultur.Region, Prof. Harald Knabl, NÖN Chefredakteur, Landesrätin Mag. Barbara Schwarz, Prof. Norbert Gollinger, Landesdirektor ORF NÖ, Spar-Geschäftsführer Alois Huber, Preisträger Jakob Schuch, Lorena Maria Simion, Johannes Winkler. Foto: Erich Marschik _

NEUJAHRSEMPFANG „HILFE IM EIGENEN LAND“

Gute Stimmung beim Neujahrsempfang der „Hilfe im eigenen Land“ mit Erika Pluhar, „Hilfe im eigenen Land“-Präsidentin Sissi Pröll, LH Dr. Erwin Pröll, Vera Russwurm, Volkskultur NÖ-GF Dorli Draxler (v. l. n. r.). Foto: Hilfe im eigenen Land/Lackinger

Der Bund der Österreichischen Trachten- und Heimatverbände würdigte Grete Hammel für das lang jährige Wirken um die Trachtenpflege. Präsident Rupert Klein überreichte in Salzburg die Auszeichnung. _

BÜRGERKORPS WIENER NEUSTADT Das privilegierte, uniformierte Bürgerkorps zu Wiener Neustadt besteht ohne wesentliche Unterbrechungen seit 1231. Ein halbes Jahrhundert sind Paul Fuchs und Heinrich Kadlec dabei, wofür sie mit dem Goldenen Ehrenkreuz des Bürgerkorps ausgezeichnet wurden. V. l. n. r.: Korpskommandant MjrdBK GASCH Wilhelm Gasch, Ehrenkommandant ObstltdBK Paul Fuchs, Dr. Edgar Niemeczek, GF Kultur.Region, Ehrenkommandant Archivar ObstltdBK Heinrich Kadlec. _

schaufenster / Kultur.Region / Februar 2015


Die letzte Seite / 50

2nd LIFE Teatime now. Zu meinem Geburtstag bekam ich diese Teekanne samt Bechern geschenkt. Für mich stand gleich fest, dass das eine typisch tschechische Arbeit ist: Die mit geometrischen Flächen gestaltete Kanne sieht

von vorne wie ein lachendes Gesicht aus und ist einerseits eine Verbeugung vor der Moderne und andererseits mit Schwejk’schem Humor verbrämt. Dem nicht genug. Sie vermittelt auch ein alternatives Lebensgefühl, denn die Henkel sind Griffe von alten Fenstern oder Oberlichten. Auch der Kannendeckelknopf ist ein altes Messingteil, das ich nicht näher bestimmen kann, aber die Funktion hatte, die geöffneten Fensterflügel vor dem Gegeneinanderschlagen zu schützen. Überhaupt sollten alte Messingoder Chromgriffe nicht achtlos weggeschmissen werden. Denn daraus lassen sich – auf eine Holzleiste geschraubt – wunderbare Garderobenhaken machen.

Landeinwärts

GÖNN DIR! die weltweiten Internetnutzer 3,6 E-Mails pro Jahr. Das schaut zunächst gar nicht viel aus. Doch wir können es damit vergleichen: Alle Menschen, die des Alphabets mächtig waren, schrieben vor anno WorldWideWeb 3,6 Briefe pro Jahr. Hand aufs Papier: Schrieben wir dereinst wirklich mehr als drei Briefe pro Jahr?

was geht ab? l-O gehst du PARK? na, i chill Gönn dir!

Da und dort wird geklagt, dass keine Briefe mehr geschrieben, keine Bücher gelesen werden. Kulturpessimismus muss nicht sein. Es wird mehr geschrieben als je zuvor: SMS, E-Mails, Facebook, Twitter, WhatsApp, Blogs und ab und zu eine Notiz am Küchentisch für die „supporter“ (Eltern). Schätzungsweise wurden 2014 weltweit 87,6 Milliarden private E-Mails verschickt. Das sind umgerechnet auf

Es ist in der digitalen Kommunikation kaum denkbar, sich zu präsentieren, ohne akzeptabel schreiben zu können. Beziehungen werden meist schriftlich angebahnt, zum Beispiel mit einer Rose @->-->--, Kommentare werden verfasst, Nachrichten ausgetauscht. „Unsere Studenten schreiben mehr als jede Generation zuvor“, so Jeff Gabrill von der Michigan State University, der das Schreibverhalten von Studenten untersucht hat. Das Schreiben ist ein sich verändernder Prozess, den die sogenannte Jugendsprache mit dem Wort „mitmeißeln“ (= das Mitschreiben im Unterricht) treffend formuliert – vom Meißeln der Buchstaben in die Steintafel bis zu den Emoticons im Chat. Lehrer, die neue Kommunikationen thematisieren und einbringen, orten eine signifikante Verbesserung bei der

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Kompetenz, eigene Gefühle schriftlich auszudrücken. Smiley sei Dank. Tatsächlich geben in der Studie von Gabrill über 90 Prozent der Studierenden an, sie würden hauptsächlich schreiben, um ein persönliches Bedürfnis zu stillen. Neben der klassischen Kultur des Schreibens haben Computer und elektronische Kommunikationsgeräte eine parallele Schreibkultur geformt. Auf dem Papier herrscht(e) die Schrift – mit ihrer Linearität von Zeile zu Zeile. Das Bild war der Schrift untergeordnet. Auf dem Bildschirm dominieren das Bild(liche), das Räumliche und die Gleichzeitigkeit, in der die Schrift in das Bild einbezogen wird. Plötzlich ist Bewegung da, Text, Stimmen, Musik, Bilder, Filme poppen hervor, überall werden wir zum Kommentar aufgefordert – und sei es nur mit einem Daumen.) / Mella Waldstein Übersetzung des WhatsApp-Dialogs: Was machst du? – Mir ist langweilig. – Gehst du in den Park? – Nein, ich ruhe. – Viel Spaß dabei!


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Damit Visionen Wirklichkeit werden, ermöglicht Raiffeisen viele Kulturveranstaltungen durch seine regionalen und lokalen Förderungen. Denn Realisierung und Erfolg von Kulturinitiativen hängen nicht nur von Ideen, sondern auch von finanziellen Mitteln ab. Gemeinsam ist man einfach stärker. www.raiffeisen.at


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Wir setzen jede Bühne ins rechte Licht. Als zuverlässiger Energieversorger sind wir auch dort, wo die Kultur-Events in Niederösterreich stattfinden. Infos auf www.evn.at

Die EVN ist immer für mich da.

facebook.com/evn


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