kinki magazin - #36

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nr. 36 mai / juni 2011 chf 6,00 (schweiz) eur 4,00 (deutschland) eur 4,50 (รถsterreich) eur 8,00 (nederland)


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auftakt vom ziehen und verletzen: eine ausgabe über grenzen

Lieber Leser. Nehmen wir einmal an, wir unterlägen alle ausschliesslich den physikalischen Gesetzen der Natur und des Universums, so hätte die viel bejubelte Menschheit zahlreiche Ausdehnungsschritte, Erfahrungen sowie fruchtbare oder furchtbare Entwicklungen nicht durchleben können. Dass wir nicht mehr in Höhlen leben, lässt sich längst glaubhaft belegen. Demnach liegt die Vermutung nahe, dass Kräfte und Widerstände unterschiedlicher Ausprägung überwunden werden können. Nicht allein durch Willenskraft, aber eben auch. Und das macht das Tier ‹Mensch› möglicherweise auch besonders interessant: es überschreitet in unregelmässig wiederkehrenden Abständen selbstgezogene oder fremdbestimmte Grenzen. Im Kopf, auf der Landkarte und im dreidimensionalen Raum. Weil die Festlegung und Missachtung eben genannter Rahmenbedingungen und Handlungsfelder einen nicht zu verleugnenden Reiz auf uns ausübt, haben wir ihr eine ganze Ausgabe gewidmet. Für Cliffhanger, Grenzgänger und Gangbanger. Deine grenzenlos ausufernde und uferlos ausgrenzende kinki Redaktion

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Gelée Eclat du Jour My first Clarins.

Schluss mit kleinen Unebenheiten von junger und schöner Haut. Gelée Eclat du Jour ist reich an pflanzlichen Aktivstoffen wie Kurkuma, Frauenmantel und Gingko Biloba – das unschlagbare Trio für eine perfekt mit Feuchtigkeit versorgte, makellose Haut. Einfach strahlend schön! Clarins, Europas Nr. 1 in pflegender Luxuskosmetik.* *Quelle:

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[ L I F E A F T E R S K ATE]


2011

WeA cti vi sts SHOT BY C H ERY L D U N N w w w.w esc.com




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inhalt

standard

Auftakt 03 Inhalt 10 Neuzeit 12 kinkimag.ch 20 Klagemauer 22 Kopfkino 82 Abo / Impressum 110 Maske 112 Henry & Paul 114

Interview: Veronica B. Vallenes

Ist die Rede von skandinavischer Mode, so wird Norwegen dabei oft vergessen. Dank der Designerin Veronica B. Vallenes dürfte sich das aber bald ändern.

report

Atemlos 32 Querschläger: Karina Berger 36 Love in Finglish 38 Wortlaut: Reinhold Messner 42 Jugend mit Gott 44 Interview: Dan Samsonic 78 Cry me a river 92

musik

Lieblingslieder: David Bauer 68 Interview: Tom Huber 70 Vorspiel: Space Rangers 72 Interview: Retro Stefson 74 Verhör 76

mode

‹It doesn’t matter if you’re ...› von Dennison Bertram 54 Interview: Veronica B. Vallenes 64 ‹Johnny, tu n’est pas un ange ...› von Felix Glasmeyer 84

kunst

‹Watch me!› von Eric Yahnker 24 Interview: Shahram Entekhabi 94 Schauplatz: i8 Gallery, Reykjavík 98 ‹Es gibt keine Grenzen ...› von Yago Hortal 100 kooabaisiert [ Ergänzungsmaterial auf kooaba.com ]

54 100

‹It doesn’t matter ...› Dennison Bertram

32 Atemlos

Maury Gortemiller kann die Luft länger anhalten als die meisten. Dinah Brunner versuchte sich an einer Biografie des Apnea-Tauchers.

‹Es gibt keine Grenzen ...› Yago Hortal

kinki inhalt

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74 Interview: Retro Stefson Die sieben blutjungen Mitglieder der isländischen Band Retro Stefson sind auf dem besten Weg, mit ihrem Multikulti-Sound Europa zu erobern. Katja Fässler sprach mit Frontmann Unnstein über afrikanischen Jazz, Gangster Rap und Techno-Tracks.

78

Interview: Dan Samsonic Der Rumäne Dan Samsonic schmiss seinen Job als Biologielehrer, um mit seinen Pornos Rumäniens Männerlenden zu erobern. Peter Rösch traf sich mit ihm zu einem Gespräch über Politik, Fetisch und Moral.

zugabe

Thomas Tobler

Eric Yahnker

Thomas Tobler wurde für seine Iran-Geschichte auf einem Parkplatz in knapp zwei Minuten zum Moslem. Im Aargau. Dafür bekommt er später mal eine Villa im Paradies. Noch ist Thomas Tobler aber in einer irdischen Luzerner Stadtwohnung zu Hause. Von dort aus schreibt er mit Vorliebe Geschichten über die flüchtigen Momente des Lebens: ‹Mikro, wo doch heute alles makro ist.› Übrigens eine Begriffswahl, die als Nachwehe seines Soziologiestudiums, welches die PRAbteilung seiner ehemaligen Uni lieber ‹Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften› nannte, anzusehen ist. So oder so, die Gesellschaft ist es Wert, gründlich beobachtet zu werden. Ein Praxisbeispiel gibt’s in dieser Ausgabe. – S. 38

‹Als ich aufwuchs, bemerkte ich, dass mir die Art und Weise, wie Brüste wackeln, wenn Frauen lachen, sehr gefällt. Deshalb machte ich das schon früh zu einem Hauptziel in meinem Leben›, kommentiert der Kalifornier Eric Yahnker seine Lebensmission. Dass ihm dies vor allem auf visueller Ebene ausgezeichnet gelingt, bewies er unter anderem als Storyboard Artist für den Southpark-Film sowie nach seinem Abschluss vom California Institute of Arts für MADtv und ‹Sein-Imation› (für Seinfeld). Ab 2007 konzentrierte sich der heute 35-Jährige schliesslich mehr und mehr auf fotorealistische – und stets ironische – Bilder. Wir sind uns sicher, dass er mit der Auswahl seiner Arbeiten, die er in diesem Heft präsentiert, einige weibliche Rundungen in Bewegung versetzen wird. Ziel erreicht! – S. 24

Hanna Terese Nilsson

Sandro Fiechter

Für die vorliegende Ausgabe musste die Grafikdesignerin und Illustratorin Hanna Terese Nilsson ihren Gefühlen – vor allem ihrer Traurigkeit – freien Lauf lassen. Die Wahlberlinerin fertigte nämlich die Illustration zu Paula Kohlmanns Gespräch mit Viktor Wynd an, seines Zeichens Veranstalter tieftrauriger und tränenreicher ‹Loss›-Veranstaltungen in London. Ansonsten scheint Hanna allerdings ein ziemlich lebensbejahender und vor allem fleissiger Mensch zu sein: Sie veröffentlichte bereits in zahlreichen internationalen Magazinen, zeigte ihre Arbeiten in diversen Galerien rund um den Globus und arbeitete mit verschiedenen Künstlern zusammen. Ausserdem ist Hanna Mitbegründerin des Designprojekts ‹Circle Workshop›, der Publikation PWR und dokumentiert auf ihrer Website ‹Office hours› die Arbeitsplätze unterschiedlichster Personen. – S. 92

Zusammen mit dem Autor Dani Mahrer begab sich der Berner Fotograf Sandro Fiechter für diese Ausgabe in Basel auf Spurensuche nach jüdisch-orthodoxen Jugendlichen: ‹Ich versuchte, möglichst nüchtern an das Thema heranzugehen und den Synagogenkomplex Basel als solchen fotografisch umzusetzen und zu interpretieren. Was mich am meisten fasziniert hat, war dieses «Innen und Aussen»: Auf der einen Seite diese von aussen relativ unspektakulären Gebäude und das «normale» Leben, das rundherum stattfindet. Auf der anderen Seite diese Welt der Ruhe in den Synagogen, aber auch die latente Unsicherheit und Befangenheit, die einen irgendwie ergreift, wenn man all die Kameras und Gitter sieht. Im Innern des Jugendzentrums trifft man dann aber wiederum auf eine erstaunlich ungezwungene, lockere Atmosphäre.› – S. 44

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neuzeit

lomo loves japan Wer möchte Japan in diesen schweren Stunden, die sich vermutlich noch über Monate und Jahre hinziehen werden, nicht unterstützen? Auch die Firma Lomography, Hersteller unserer künstlerischen und experimentellen Analog-Fotokameras, hat sich mit dem Kit ‹Lomography Loves Japan – a special edition to support our friends› ganz dem guten Zweck verschrieben. Eine der Golden Week Japans gewidmete Spezial Edition war schon länger geplant gewesen, nach den tragischen Ereignissen wurde die Edition jedoch ganz in den Dienst der Charity-Aktion gestellt. So versprach die internationale Lomography Gesellschaft dem Roten Kreuz 20 000 Euro. Sich an dieser Spende zu beteiligen, ist natürlich nicht der einzige Anreiz zum Kauf. Schliesslich sind die drei Produktvarianten Diana Mini JIYU (Freedom), Diana F+ KIRAMEKI (Sparkling) und Fisheye 2 SHIAWASE eigens für das Kit neu designt worden und bereiten der Lomo-Fangemeinschaft sicher grosse Freude. Die finanzielle Hilfe soll dem Wiederaufbau in Japan zugute kommen. Auch das Lomography Team in Tokyo engagiert sich und organisiert Workshops, um den Menschen mit farbenfrohen

Schnappschüssen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Einem unserer Leser werden wir mit dieser wohltätigen Aktion wohl ebenfalls ein grosses Lächeln entlocken können: kinki verlost eines der Charity Kits und fordert alle anderen dazu auf, sich selbst eines zu besorgen. Schreibt einfach eine Mail mit dem Betreff ‹lomo loves japan› an wettbewerb@kinkimag.ch. Mehr Info zur Aktion, Berichte aus Tokio und Wettbewerbe findet ihr auf der Website. (fr) lomography.com/lomography-loves-japan

05

26.05. – 28.05. bad bonn kilbi feat. animal collective, crystal fighters, gonjasufi, the ex uvm. Bad Bonn, Düdingen 27.05. – 16.07. erwin wurm Galerie Nicola von Senger, Zürich 28.05. - 21.08. ai weiwei – interlacing Fotomuseum Winterthur 31.05. black lips Club Zukunft, Zürich

06 02.06. kinki edition tour feat. les yeux sans visage, djs: der schlechte einfluss Südpol, Luzern 03.06. berner theatersport cup Gaskessel, Bern

jung geblieben Kunst ist dein Leben, ohne Pinsel oder Kamera gehst du nicht ins Bett? Dann pack die Gelegenheit beim Schopf und stell deine Fähigkeiten unter Beweis, denn ‹Jungkunst› findet wieder statt. Bereits zum sechsten Mal können vom 27. bis 30. Oktober 2011 in der Cityhalle Winterthur verschiedenste Werke von jungen Künstlern bestaunt werden. Die Ausstellung hat sich in den vergangenen Jahren zur Plattform für verborgene Talente etabliert. Bis Ende Mai haben potenzielle Mitwirkende noch Zeit ihre Werke dem Jungkunst-Team zu senden. Nachdem die Spreu vom Weizen getrennt ist, verbleiben 25 auserkorene Masterminds, die ihre Arbeiten an der Jungkunst ausstelkinki neuzeit

agenda

len und sie bei Gelegenheit gleich vor Ort verkaufen können. Die Teilnehmer sollten nicht älter als 35 sein und die Kunst zum zentralen Aspekt ihres Lebens gemacht haben. Hobbykünstler begeben sich daher wohl besser in die Besucherreihen, wo man sich zusätzlich zur Kunst auch an musikalischen Eingebungen erfreuen kann. So sorgen DJs und Live-Konzerte während der Ausstellung für stimmige Atmosphäre bis tief in die Nacht. Letztes Jahr strömten rund 6 000 Besucher ins Dachgeschoss der Cityhalle Winterthur. Auch der sechste Teil der Ausstellungsreihe wird wohl wieder auf grossen Anklang stossen. (kf) jungkunst.ch

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08.06. crystal stilts Palace, St. Gallen 09.06. kinki edition tour feat. les yeux sans visage, dj: mahu La Catrina, Zürich 16.06. – 28.08. r.h.quaytman – spine, chapter 20 Kunsthalle, Basel 17.06. kitsuné club night presented by kinki Hive, Zürich 17.06. – 19.06. southside festival feat. arcade fire, kasabian, bright eyes uvm. Neuhausen ob Eck (D) 19.06. premiere: ‹manhattan möwe› (regie: milan peschel) Theater Neumarkt, Zürich 24.06. the u.s.bombs Gaswerk, Winterthur 25.06. – 16.06. stijl sommer 2001 Altes Postlager, Mainz


nachruf Eine traurige Botschaft erreicht uns diesen Monat aus Winterthur: eine der besten Adressen für Skateund Snowboardartikel, der SigSagSug, schliesst dieser Tage seine Tore. Seit 16 Jahren bot der Shop an der Lagerhausstrasse seinen Kunden nicht nur ein grossartiges und topaktuelles Sortiment, sondern bereicherte die Skateboardszene auch mit dem wohl besten Indoorspot des Landes, diversen Contests und weiteren Aktionen. Und auch aus der Schweizer Snowboardgeschichte ist der Shop nur schwer wegzudenken – man erinnere sich nur an Marco Lutz’ innovative Snowboardvideos und die hochrangige Liste der Shoprider. Nun mag manch einer erbost in Richtung der riesenhaften Sportladenketten und Billiganbieter im Internet blicken, die Coreshops wie dem SigSagSug das Überleben in den letzten Jahren immer schwerer machten, oder der lärmenden Bau-

Wir sagen Dankeschön und auf Wiedersehen … Aber bevor der SigSagSug seine Tore schliesst, wird vor allem nochmal richtig eingekauft!

stelle, die dem Laden die Kunden vergraulte, in die Baugrube spucken. Am meisten gedient dürfte dem SigSagSug aber sein, wenn

sich während seiner letzten Tage nochmals richtig viele Kunden an der Totalliquidation ein Stück aus dem einmaligen Sortiment holen

sigsagsug.ch

ideen spenden

green atreebutes Bioanlagen werden rege genutzt, Grosskonzerne setzen auf Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien sind im Kommen: Die Welt wird grüner! Diese achtsame Grundhaltung gegenüber Mutter Natur pflegen auch die beiden Profi-Snowboarder Nicolas Müller und Frederik Kalbermatten. Ihr gemeinsames Modelabel Atreebutes, mit dem sie erst letzten Winter ihre erste Kollektion auf den Markt brachten, ist voll und ganz der Nachhaltigkeit gewidmet. Dies aber nicht als Folge des aktuellen Öko-Hypes sondern aus tiefster innerer Überzeugung. Müller und Kalbermatten engagieren sich nämlich beide für die Umweltorganisation Atlantic Rainforest Institution und sind – nebenbei bemerkt – natürlich Vegetarier. Die Atreebutes Klamotten bestehen aus hochwertigen Materialen und bestechen durch Schlichtheit und Liebe zum Detail. Dass man sich damit auch sehen lassen kann, wird einem schnell klar, wenn man das aktuelle Lookbook durchblättert, dessen Fotos von Nadine Ottawa stammen. Auch auf die im Herbst erscheinende ‹Jetlag›-Kollektion darf man gespannt sein. Doch da wir nun ausgiebig den Sommer ge-

und dem Laden so die letzte Ehre erweisen. Rest in peace, SigSagSug! (rb)

Bio-Apfel meets Bio-Shirt: Atreebutes setzen auf nachhaltige Mode.

niessen und noch keine Gedanken an dicke Winterkleider verschwenden wollen, verlosen wir drei sommerliche ‹Oversize Tee›Frauenshirts und drei ‹NM Apple Tee›-Männershirts aus der aktuel-

len Kollektion! Schreibt einfach eine Mail mit Betreff ‹Atreebutes› und eurer Adresse und Grösse an wettbewerb@kinkimag.ch. (kf) atreebutes.com

‹Als Einzelner kann man doch eh nicht viel bewirken, oder?› So oder etwas eleganter formuliert flieht sich so mancher aus seiner sozialen Verantwortung als Erdenbürger. Doch so gut diese desillusionierte Floskel in rotweingeschwängerten nächtlichen Gesprächen auch ankommen mag – wahr ist sie deshalb noch lange nicht! Dass jeder einzelne zum Beispiel auf Umweltschutzforderungen aufmerksam machen kann, die ihm selbst am Herzen liegen, zeigt Greenpeace mit seiner Banneraktion: Die Teilnehmer gestalten ihren eigenen Banner und schicken ein Handyfoto davon per MMS oder Mail an Greenpeace. Gestalterisch sind keine Grenzen gesetzt. Und ganz so selbstlos ist die Teilnahme auch nicht: Die fünf besten Einsendungen werden nämlich mit einem Handy-Solarladegerät belohnt, und der beste Banner wird von Greenpeace eingesetzt. Wer jetzt also noch eine Ausrede in petto hat, ist einfach nur ein fauler Sack! (rb) greenpeace.ch/banner

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ab mit dem film! auch hierzulande Halt machen. kinki berichtete bereits einige Male über das von uns sehr geschätzte Filmfestival und wir rufen jetzt rechtzeitig dazu auf, euch mit eurer eigenen Film- und Audiokunst zu beteiligen! Je bunter, bewegter, schräger und individueller eure Arbeiten sind, desto besser. Denn das Experimentieren mit und Vermischen von Medien ist erwünscht! Bis zum 20. August könnt ihr beim Call for Entries der Schweizer Edition onedotzero_ch eure Arbeiten für die Teilnahme an dem Festival einreichen, die dann neben den internationalen Werken der Londoner Ausgabe onedotzero_adventures in motion gezeigt werden. Gesucht werden Animations- und Kurzfilme, Musikvideos, Werbespots, Motion Design Clips und Experimente der visuellen Kunst. Informationen und Bedingungen zur Teilnahme findet ihr auf der Homepage des Festivals. Viel Glück!

Das Onedotzero-Filmfestival hält auch dieses Jahr Ausschau nach neuen Talenten.

Ein weiteres Mal brodelt es in den Startlöchern des Onedotzero-Filmfestivals: Die Organisation für bewegte Bilder und Digitalkunst Onedotzero wird vom 22. September

bis zum 2. Oktober wieder Jungtalente der Filmkunstszene in aller Welt zu Wort kommen lassen und im Rahmen des Zürich Film Festivals am 29. und 30. September

onedotzero.ch

klick koukla Onlineshopping gewinnt auch in der Schweiz stetig an Zuspruch, Kundschaft und Zuwachs. Während Bequemlichkeit und Pragmatismus beim virtuellen LebensmittelShopping den Ausschlag geben, so gelten in Sachen Mode ganz andere Vorzüge. Zum Beispiel dass man endlich an gewünschte bis anhin unerreichbare Labels gelangt. E-Shops wie der Berliner Onlineshop koukla sind für unser gesteigertes Online-Konsumverhalten verantwortlich und ermöglichen uns, der kargen Schweizer Shopping-Landschaft ein Schnippchen zu schlagen. Besonders die Accessoires, die koukla feilbietet, bringen unsere Leitungen zum Glühen. Zum Beispiel die übercoolen Super Sonnenbrillen, die Sonnenabwender von Matthew Williamson und auch ein begehrenswertes Modell von Herrn Wang, die lederne Aktenmappe von Sandqvist und die unwiderstehlichen Bleschke Goods, deren eleganten Konturen wir in der Schweiz tatsächlich noch nie begegnet sind. Für das legere Freizeitvergnügen gibt es USLU kinki neuzeit

Der Berliner Onlineshop koukla bietet modische Schätze à discrétion.

Büchern und Magazinen. Klick und hopp! (fr)

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kinki präsentiert: kitsuné club night im hive

Freut sich hoffentlich genauso auf uns, wie wir uns auf ihn: Kitsuné-Boss Gildas Loaëc.

Das Wort ‹Kitsune› bezeichnet im Japanischen einen Rot- oder Schneefuchs. Dieser steht in der nationalen Mythologie oft für ein freundliches, aber ambivalentes Wesen, das übernatürliche Kräfte besitzt und die Gestalt von Menschen annehmen kann – am liebsten die von jungen, schönen Frauen. Genauso wandelbar und ‹schön› ist auch das namensverwandte Pariser Musik- und Modelabel Kitsuné um die Labelmacher Gildas Loaëc, Masaya Kuroki und die Londoner Fashion-Institution Åbäke. Neben Ed Banger hat Kitsuné massgeblich zum Hype um die französische Clubmusik beigetragen. Durch Acts wie Digitalism, Yelle, Delphic und Two Door Cinema Club wurde die internationale ElektroGemeinde auf den frischen Sound aus der Grande Nation aufmerksam, und innert weniger Jahre entwickelte sich die hauseigene ‹Kitsuné Maison Compilation› zu einer Art Fundus für vielversprechende Newcomer. Und weil der Kitsuné Sound so wunderbar zum aufkommenden Sommer passt und schweisstreibende Clubnächte verspricht, präsentieren wir euch die Kitsuné Club Night im Hive. Am 17. Juni bringt Label-Head Gildas zu diesem Zweck mit Beatacue und Logo zwei hoffnungsvolle Durchstarter der neusten Kitsuné-Generation mit nach Zürich an die offizielle Hive Club-Premiere der französischen Kreativ-Fabrik. Und wir wetten, ihr habt nichts besseres vor! (ah) Kitsuné Club Night, 17.06, Club Hive, Geroldstrasse 5, 8005 Zürich


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kinki tunes: space ranger – what about the magnetic fields? Über Musik zu sprechen und zu schreiben ist eine Sache – sie zu hören eine ganz andere. Eine Album-Review kann einem das Wasser im Mund zusammenlaufen, mit dem Fuss wippen und schon mal ungeduldig den Takt auf den Tisch trommeln lassen − bis man das Album dann aber auch wirklich in den Händen hält, dauert es oft noch eine ganze Weile. Dem Problem haben wir uns angenommen und beglücken die kinki Leser mit dieser Ausgabe bereits zum dritten Mal mit den kinki tunes. In der Rubrik ‹kinki tunes› erwartet euch fortan monatlich unser ‹vorspiel›-Album ganz exklusiv zum Reinhören, Abschweifen und sogar zum Herunterladen. Die Schnellsten unter euch können nämlich jeden Monat Gra-

Man nehme die Form eines sportlichen Baseballcaps und das Material des klassischen SommerHerrenhuts und voilà: heraus kommen Hüte von LeTom. Die Schweizer Strohhuthersteller machen seit 2009 Caps, Hüte und jede Art von Kopfbedeckung, die sich durch die Kreuzung der beiden ‹Hutfamilien› ergeben kann. Die erste Hybridmischung wurde von Rolf, dem Gründer von LeTom, aus einer alten Strohmatte hergestellt. Und das ging so: Rolf gründete einst eine fiktive Hutfirma für ein Filmprojekt. Da sich aber das Bedürfnis an multipel einsetzbaren Hüten bei der männlichen Kundschaft bewährte, ist Rolf mit seinem Bruder Tom nun seit zwei Jahren im Geschäft. Inzwischen kamen sogar Herren in Tokio auf den Geschmack der Schweizer Marke. Unbestreitbar ist dabei die Tatsache, dass es sich um praktische Kopfbedeckungen handelt, die sich sowohl bei den

tis-Downloads ergattern – dieses Mal gesponsert von Cardinal. Ab sofort kommt ihr auf kinkimag.ch in den Genuss des neuen Albums des Stuttgarter Disco-Produzententrios Space Ranger. Die entspannten Low-Rider Disco HouseKlänge, die teilweise tatsächlich so klingen, als hätten sie die drei Weltraumpiloten in einer fernen Synthie-Galaxie weitab der Erdanziehungskraft aufgenommen, eignen sich genauso für den urbanen Dancefloor wie für die Privat-Lounge auf dem sommerlichen Balkon. Also, stellt euch den Laptop auf den Fenstersims, holt das Bier aus dem Kühlschrank und geniesst Space Ranger über kinki tunes. (mm) kinkimag.com/blog/tag/kinki-tunes

über stock und stein alle Skilifte nutzen, um sich und sein Mountainbike auf die Spitze befördern zu lassen. Bei der Abfahrt gibt es Natur und Wildnis zu bestaunen, auch Steinadler und Steinböcke sind bisweilen zu sichten. Nachdem man an der ganzen Almharmonie vorbeigerauscht ist und es wieder ins Tal geschafft hat, kann man am Heide See die Füsse ins Wasser strecken und einer wohlverdienten Abkühlung frönen. Wer jetzt das Bedürfnis verspürt, auf zwei Rädern in den Abgrund zu jagen und nebenher Almwiesen zu bestaunen, kann sich freuen: kinki verlost eine Nacht mit Bed & Breakfast im ‹The Lodge› in Churwalden. Dazu gibt es Liftpässe für zwei Tage zum Mountainbiken oder Hiken für zwei Personen. Damit du die Auszeit in den Alpen geniessen kannst, musst du uns nur verraten, wie hoch das Parpaner Rothorn ist. 3001, 2861 oder 2777 Meter? Schicke eine Mail mit der Lösung, dem Betreff ‹Lenzi› mit deinem Namen und deiner Anschrift an wettbewerb@kinkimag.ch. (fs)

‹Vo Chur noch Filisur fahrt d’Bahn ahna›. Und die Lenzerheide erobert man am besten per Mountainbike

Wenn die ersten Schneeglöcklein bimmeln, betrauern die Snowboarder und Skifahrer die auslaufende Wintersaison, in der sie die Hänge der Alpen runterschlittern konnten. Im Sommer kann man das aber eigentlich genauso gut – nur halt eben kinki neuzeit

per Mountainbike. Das Berggebiet der Lenzerheide eignet sich dafür hervorragend. Vom 25. Juni bis zum 23. Oktober werden dort die Lifte wieder in Gang gesetzt. Dann kann man von Churwaden bis Rothorn mit Routen über Arosa

snowmotions.com

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Gartennachmittagen bei potenziellen Schwiegermüttern bewähren, als auch der Kritik der Männerrunde bei nächtlichen Ausschweifungen standhalten. Und auch sonst setzt LeTom auf gutes Klima: Mindestens ein Prozent des Verkaufs der LeTom Hüte geht an myclimate.org, eine Organisation, die CO 2 -Emissionen kompensiert und zudem weitere Umweltschutzprojekte unterstützt. Hut ab! (fs) letom.ch

into the wild Das Designerzelt ‹Heimplanet› bläst den Sommer auf: In nur sechzig Sekunden pumpt man sich dank der praktischen Erfindung sein eigenes Vier-Sterne-Hotel unter freiem Himmel auf. Stilvoll zelten als neues Campingerlebnis? Genau das haben sich die Hamburger Stefan Clauss und Stefan Schulze Diekhoff auf die Plane geschrieben und mit ‹The Cave› das Campen revolutioniert. Luft löst die lästigen Stangen ab und das futuristische Design sorgt auch für optischen Komfort. Die erste Idee diesem Luftschloss entstand bereits vor vielen Jahren während eines gemeinsamen Surfurlaubs in Portugal: ‹Wir haben dort bei Sturm und Dunkelheit versucht ein Zelt aufzubauen und sind gescheitert›, erinnert sich Stefan Clauss. ‹Doch niemals hat uns die Vision, ein neuartiges Zelt zu erfinden, losgelassen. Also haben wir vor drei Jahren unsere Jobs hingeschmissen und uns nur noch auf die Entwicklung konzentriert›, erklärt Stefan Schulze Diekhoff stolz. Die innovativen und formschönen Designerzelte gibt’s ab 499 Euro auf der Website heimplanet.com. (sh)



mannsstücke Wem das Bild des wilden Waldarbeiters gefällt, der mit Axt im Schweisse seines Angesichts sein eigenes Holzhaus baut, der wird sich freuen. Denn Baldr Collective bringt eine Sommerkollektion heraus, mit der sich Mann auch als solcher kleiden kann. Das Konzept des norwegischen Labels beinhaltet so ziemlich genau das, wovon der männliche Endkonsument schwärmt: Einfachheit, Aufrichtigkeit, Stärke. Genauso lautet auch der Schlachtruf des Herstellers für Männeroberteile. Sinnlosen Firlefanz sucht man vergebens an den in extra grobem Material hergestellten Hemden, die sich für Holzfäller und Naturburschen eignen. Und wie man es bei echten Pfundskerlen erwartet, arbeiten die Jungs nur mit Leuten zusammen, die sie mögen und respektieren. Die neue Kollektion der Norweger mit dem Leitspruch ‹trashed youth› besteht vor allem aus einfach bedruckten T-Shirts im College-Stil und karierten Hemden. ‹Trashig› sehen die Oberteile allerdings gar nicht aus. Eher schlicht. Und aufrichtig. Und eben ganz männlich. (fs)

Baldr Collective macht Kleider für echte Mannsbilder. Und solche, die zumindest so aussehen wollen.

baldercollective.com

dear reader Die neue Rubrik ‹Dear Reader› entdeckte kinki Leser Piero Good nicht in Zentralamerika, sondern erst vier Monate nach seiner Rückkehr ins heimische Schweizerland. Den ‹perfect shot› hatte er dennoch mit im Gepäck, schliesslich ist die Kamera auf Reisen ein fast ebenso stetiger Begleiter wie die kinki Bag. Hier Pireos Berichterstattung von der Reisfront: ‹Nun, man weiss immer noch nicht, wie ich aussehe und wer ich bin. Man weiss jedoch, was ich den ganzen Tag in Nicaragua am Lago de Atitlan auf der Isla de Ometepe gemacht habe: Mit diesem Typen einen Schlafplatz suchen. Und was kinki dabei für eine Rolle spielte? Ausflugsrucksack.› Auf die weltweit grösste Vulkaninsel in einem Süsswassersee verirrte sich übrigens auch schon eine kinki Redaktorin, welche die Überfahrt in einem mini Doppelstockschiff über meterhohe Wellen nie vergessen wird. Wir überlegen uns deshalb, das kinki kinki neuzeit

magazin bald in der Finca Magdalena aufzulegen. Weitere Reiseimpressionen findet ihr auf Pieros Blog tishhere.blogspot.com. Fotos

aus dem aufregenden Leben unserer Leser nehmen wir weiterhin gerne unter foto@kinkimag.ch entgegen. (fr)

kinki zwischen Lava und lauwarmem Wasser? Piero Good spendierte seiner kinki Bag Ferien in Nicaragua.

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move, move! Dass Sport und Mord manchmal eben doch sehr nahe beieinander liegen, bekommen die Besucher des Sihlcity Shoppingcenters am 27. und 28. Mai lebhaft vor Augen geführt. Dort stellen im Rahmen des ‹Move City› Events nämlich zahlreiche BMX- und Inline-Pros ihr Können mit halsbrecherischen Manövern unter Beweis. Wem dabei schon vom Zuschauen schwindlig wird, der darf sich natürlich auch im Innern des Shoppingcenters bei Filippa K., BIG, H&M oder in einem der weiteren zahlreichen Shops vergnügen. Und wem weder Shopping noch Sport zusagen, den dürfte die abendliche Party in den Zürcher Club Bling locken. Tanzen zählt schliesslich auch als Sport! (rb) movecity.com


beastieboys.com nixonnow.com


kinkimag.ch

gitarren, doom und todesüberwinder Auch musikalisch wagen wir auf kinkimag.ch diesen Monat einen Blick über die Grenzen hinaus. Zum Beispiel auf die sympathischen Neuseeländer von Phoenix Foundation, die wir auf ihrer Europatour für ein Interview abpassten. Oder auf die Schweizer Band Disco Doom (Bild), die mit ihrem Sound auch jenseits der Zollstationen auf offene Ohren trifft. Ausserdem traf sich unser ‹Reviewnator› Mathias Bartsch in Berlin mit der Musikerin Michaela Meise, die auf ihrem Album ‹Preis dem Todesüberwinder› jahrhundertealten Kirchenliedern neues Leben einhaucht.

fotobuch In unserer neuen Blog-Rubrik ‹fotobuch› übertreten wir die Grenzen zwischen Berufsleben und Privatem. Während wir im Magazin und auf unserer Website feinsäuberlich bearbeitete Kunst- und Modestrecken präsentieren, werfen wir im Fotobuch einen Blick in den Alltag der Kreativschaffenden, die hinter diesen Arbeiten stehen. Jeden Mo-

nat hält eine Person aus dem kreativen Bereich fest, was sie erlebt – stets mit der einzigartigen künstlerischen Sicht des jeweiligen Fotografen bzw. Künstlers. Jeden Montag werden diese Eindrücke dann auf dem kinki Blog präsentiert. Den Anfang machte Thomas Creager Stöckli, darauf folgte unser Querschläger-Fotograf Daniel

Tischler sowie die Modefotografin Angelika Annen. Diesen Monat wird euch der Fotograf Sandro Fiechter in einem visuellen Report zeigen, was ihm Woche für Woche widerfährt. Alle Fotobücher findet ihr auf kinkimag.ch in der Rubrik ‹fotobuch›.

eine dosis leben Mit einer Grenzgängerin der ganz besonderen Art traf sich unsere Autorin Paula Kohlmann in London. Dort fand die zierliche Französin Delphine Noizetoy die Erlösung von ihren seelischen Problemen in körperlichen Schmerzen – durch Suspension. Wie Delphine zu diesem blutigen ‹Hobby› gekommen ist und wie es sich anfühlt, vor den Augen anderer an Fleischerhaken von der Decke zu hängen, verrät sie uns in einem ausführlichen Gespräch.

extraportion durch die Art-Porträts, tanzt zu den coolsten Videoclips und kommt dann mit den stimmigen Modestrecken unter ‹magazin› wieder

Wer jetzt noch nicht genug hat, der schüttet sein Adrenalin bei der Teilnahme an unseren aufregenden Gewinnspielen aus, klickt sich kinki kinkimag.ch

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runter. Das kinki magazin darf dann übrigens auch getrost mal als Fächer benutzt werden.


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klagemauer Ist dein neuer Kashmir-Pulli eingegangen? Der Joghurt im Kühlschrank zu neuem Leben erwacht? Setzen sich die Psychopathen im Bus immer neben dich? Egal was dich gerade stresst oder nervt: Auf kinkimag.ch unter ‹Klagemauer› kannst du Dampf ablassen. Die besten Einträge werden hier veröffentlicht.

diese Sportskanonen von der Nike-Werbung rechts vom Schreibfeld. JA ICH WEISS; ICH HÄTTE HEUTE JOGGEN GEHEN WOLLEEENNN REIBTS MIR UNTER DIE NASE sometimes i cant overwind me | gegen meine Nachbarn war die Stasi ein Kleingärtnerverein. Feist | Ich möchte dem scheiss Hahn hinter meinem Haus den Kopf abschneiden. Ich bin vegetarierin. lomo | Leute die meinen sie sind cool, wenn sie einen 10-Franken-Hut vom Flohmarkt tragen. Edelmann | leute die meinen sie sind kuhl, wenn sie einen 1000-franken-hut tragen flachmann | leute die so pleite sind dass sie sich gar keinen hut leisten können. so leute wie ich. mann | leute mit riesen hüüten und gaanz vielen Bluumen drauf drückemann | meine mutter, die mich zwang, das apfel-tiramisù meiner tante runterzuwürgen. sie selbst mochte es auch nicht. scheiss scheinheiligkeit. über der kloschüssel | Was nervt dich? Heute war doch tatsächlich ein als Osterhase verkleideter Mensch in unserem Garten. tyler | sollten augenringe jemals schönheitsideal werden, dann werde ich die hotness in person sein. meine zeit wird kommen. ganz bestimmt optimist | Ich wollte meine Katze wägen weil ich dachte sie wäre fett (ist sie auch) und da hab ich festgestellt, dass ich selber fettgeworden bin. Oh Schreck. lomo | käsefarbene haut, frauen mit weissen 27/28tel hosen, sonnenhüte, schreiende kinder, schwitzende, dicke, rotköpfige männer und all die anderen komischen dinge die sich an solch heissen frühlingstagen zeigen. Paul | Kumbaya my lord, Kumbaya Kumbaya my lord, Kumbaya Kumbaya my lord, Kumbaya O Lord Kumbaya mir ist langweilig | von wegen zweitgeborene hätten besondere talente. alle talente die ich besitze sind schon von meinen geschwistern besetzt. ich bin ein nichtsnutz. ein unbrauchbares klagendes irgendetwas dass langweilig, öde und fad ist. ach scheisst mich diese welt doch an ... angepisst | angepisst, irgendwas muss es doch geben! Vieleicht liegt Dein Talent ja in der Rechtschreibung, Kommaregeln, Gross- kleinschreibung usw.? Gib nicht auf, wir finden was! Leo | hier, ich stell mich zur verfügung, alle suchende kinkileserinnen! mann bietet herz | @ mann ... endlich, wieso hast du so lange gebraucht? her damit | Teure Monatslinsen, die am Morgen früh zu Boden fallen und die man auch nach 20 Minuten blinden suchen nie ... NIE wieder findet.. willnichtmehraufstehen | Normale Menschen schlitzen sich mit Messern die Finger auf. Ich mach das mit einem Schirm. essa | am sonntag hat mich irgend’ne komische nummer angerufen. hab heute zurück gerufen. psychiatrische anstalt. PAUL | Ich weiss dass meine Haare schrecklich sind, ich will aber trotzdem nicht darauf angesprochen werden! brack | kinki klagemauer

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ich hab immer noch keine magischen kräfte, mit denen sich die ganze arbeit selbst macht. dafür aber ganz viel keine lust. ich will wieder baby sein | ich bin nicht verliebt in ihn, aber er in mich und ich mach alles falsch und verkehrt. falsche hoffnungen | schade eigentlich, dass die klagemauer inzwischen ein zufluchtsort für depressive liebesenttäuschte frauen geworden ist. men, come back! kanns nicht mehr lesen | @kanns nicht mehr lesen Niemnad zwingt dich zum lesen!!!! LASS UNS JAMMERN!! grünes licht | je schöner das Wochenende, desto verschissener der Montag! balulu | ‹oh lueg emol die hüener! die gsehnd aber komisch uus.› ‹ui! do hets jo au no e tuube!› ‹jööö lueg emol das meersäuli aa› ‹und do hine hets au no häsli› dann erklingen meistens noch einige SEHR merkwürdige geräusche um die fiecher anzulocken... LASST MICH DOCH EINFACH IN RUHE SONNEN!!!!!! gras | das buch endet. aber nicht so wie es sein soll. (oder ich es gerne hätte) irgendwie ist das mit dem leben ganz ähnlich. zumindest mit meinem. anaundNICHTanna | der polizei-aspirant, der heute in der routine kontrolle mindestens 5 mal meine papiere fallen gelassen hat und sein dicker kollege, welcher meinte ich solle mal mein auto aufräumen. ichbezahleeurenlohnverdammt | weisse, rosarote, babyblaue und geblümte kleider die immer um ende mai-anfang juni in jedem scheiss geschäft auftauchen. HALLO?!?! haben die leute im frühling keinen geschmack?!? ichbindochkeinbaby |

ÜBER

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SD U A L E K E ARTI

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OS-WE R G I M ER

DER ONLINESHOP FÜR MIGROS-FANS

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kinki kunst

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Eric Yahnker

Watch me!

Links: ‹Berry Astonished› (2009) Colored pencil on paper, 44 x 30 in. Mitte: ‹Fidelity› (2010) Colored pencil on paper, 12 x 12 in. Rechts: ‹Turdhat # 3› (2007) Graphite on paper, 44 x 30 in. 25


Oben: ‹Tits O’Clock› (2010) Colored pencil on paper, 30 x 44 in. Mitte: ‹Juanita Horsetits› (2009) Graphite on paper, 68 x 52.5 in. Links: ‹The Big Cononization (Mutha from Calcutta)› (2010) Charcoal and graphite on paper, 72 x 97 in. kinki kunst

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Oben: ‹The Fifth Muzzle› (2010) Charcoal and graphite on paper, 72 x 81 in. Unten: ‹Selected Reading (Nausea)› (2009) Graphite on paper, 70 x 52.5 in. 27


Oben: ‹Hit It n’ Quit It!› (2009) Graphite on paper, 75 x 97 in. Unten: ‹Cheese Slice on Garland› (2010) Colored pencil on paper, 72 x 72 in. Rechts: ‹Cracks of Dawn› (2010) Charcoal and graphite on paper, 109 x 72 in. Rechte Seite: ‹Fingering (Strawberry Jelly)› (2009) Colored pencil on paper, 44 x 30 in. kinki kunst

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Oben: ‹Star of Davis Jr.› (2008) Colored pencil on paper, 44 x 30 in. Mitte: ‹4-Eyed Dog› (2009) Graphite on paper, 72 x 99 in. Unten: ‹Naughty Teens (Garbanzo Beans)› (2010) Colored pencil on paper, 44 x 30 in. kinki kunst

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Oben: ‹Cheddar Jalapeno Cheetos with Geraldo Features› (2009) Colored pencil on paper, 30 x 22 in. Unten: ‹LA› (2008) Colored pencil on paper, 30 x 44 in. 31


Atemlos 1

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kinki report

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Normale Kinder spielen gerne Fussball, Maury Gortemiller aber hielt lieber die Luft an und spielte Toter Mann. Mittlerweile ist Maury erwachsen und aus dem Spiel ein Lebensziel geworden: der Weltrekord im Zeittauchen. Dafür arbeitet er hart, trainiert täglich und treibt seine körperlichen und mentalen Fähigkeiten bis an die Grenze des Unmöglichen – und nicht selten darüber hinaus. Text: Dinah Brunner, Fotos: Maury Gortemiller

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aury Gortemiller war als kleiner Junge eine Wasserratte. Vielleicht eine etwas aussergewöhnliche Wasserratte. Denn während andere Kinder gerne ihre Füsse ins kalte Nass baumeln liessen, steckte Maury lieber den Kopf ins Wasser – so lange wie möglich. Kein Wunder, wurde es ihm so doch zu Hause vorgemacht. Auch sein Vater verbrachte einen Grossteil seiner Zeit unter Wasser. Im Vergnügungspark ‹Aquarena Springs› am San Marco River in Texas war Papa Gortemiller als der Unterwasser-Clown Glurpo die Hauptattraktion. Das Publikum konnte ihm aus einer abgesenkten Glas-Tribüne zusehen, wie er in der Lagune Unterwasser-Saltos vorführt, Bananen isst und Luftringe ins Wasser zaubert. Maury war beeindruckt. Im Alter von etwa zehn Jahren bemerkten seine Eltern schliesslich, dass Maurys langes Verharren unter Wasser nicht bloss eine eigenartige Marotte war. Sie erkannten es als Talent und sahen Potenzial in der Lunge des kleinen Jungen. Fortan sollte Coach Bonnie dieses Talent professionell fördern.

Unten bleiben

Bonnie war Maurys erster Coach, der ihn im ‹Luftanhalten› oder − um es etwas sportlicher auszudrücken − in ‹Static Apnea› trainierte. Apnea ist ein Sammelbegriff für verschiedene Arten des Freitauchens. Acht Disziplinen gibt es laut dem Internationalen Verband zur Förderung des Apnea-Sports (AIDA). Anders als in allen anderen Disziplinen, bei denen eine möglichst grosse Distanz – geradeaus oder in die Tiefe – mit nur einem einzigen Atemzug zurückgelegt werden soll, findet bei der statischen Apnea keinerlei Bewegung statt. Die Taucher hängen regungslos mit dem Gesicht nach unten im Wasser und versuchen so lange wie möglich ihren Atem anzuhalten. Es geht um die Zeit, nicht um die Strecke, um das Überwinden der psychischen und physischen Grenzen. Diese Fähigkeiten versuchte Coach Bonnie nun also dem kleinen Maury beizubringen. Drei Monate lang trainierten die beiden im elterlichen Pool, optimierten seine Techniken, dehnten seine Lunge, verbesserten seine Zeit. Dann war Schluss. Denn die Familie Gortemiller hatte ganz genaue Vorstellungen, wie ihr talentierter Sohn gefördert werden sollte. Wegen Differenzen im Trainingsprogramm wurde Bonnie gefeuert. Es folgte Coach Davis. Er war es, der Maury zu sei-

nen ersten grossen Erfolgen verhalf. Er war es, der ihm die wichtigsten Apnea-Leute vorstellte. Aber er war es auch, der dabei war, als Maury sein erstes Schwimmbad-Blackout erlebte – ein Koma, bedingt durch Sauerstoffmangel im Hirn. 45 Sekunden Bewusstlosigkeit. Die Folge: Auch Coach Davis war seinen Job los. Der nächste Versuch: Coach Ohlmeyer. Mit ihm reiste Maury für intensive Workouts an ferne Orte: auf die Bahamas, wo Maury mit erfahrenen Freitauchern trainieren sollte, und nach Colorado, dessen stattliche Höhe gut für das Lungentraining sein soll. Coach Ohlmeyer nahm Maurys Gesundheit nicht auf die leichte Schulter und beharrte darauf, einen Lungenspezialisten aufzusuchen und Maury durchchecken zu lassen. Die aufwendigen und kostenintensiven Untersuchungen wurden den Gortemillers jedoch schnell zu viel und so musste auch Ohlmeyer gehen. Er sollte vorerst Maurys letzter Coach bleiben.

er mehr und mehr über den Sinn des Lebens. Er kam zu folgendem Schluss: ‹Es ist meine Bestimmung, all das zu tun, was nötig ist, um ein aussergewöhnliches Leben zu führen.› Er beschloss nicht nur sein Apnea-Training wieder aufzunehmen, sondern seine Anstrengungen und Leistungen auch fotografisch festzuhalten. Als Hommage an seinen Vater, als Kunstform und auch zur Verbesserung seiner Techniken. Die Fotografen wurden angehalten, immer weiter zu fotografieren, egal was auch geschehen würde. Gezeichnet von den Vorfällen der Vergangenheit sass die Angst vor einem erneuten Schwimmbad-Blackout stets in Maurys Nacken. Er trainierte fortan nur noch unter Aufsicht von mindestens einem Trainer, welcher nonstop seinen Puls überprüfte und im Falle eines Blackouts professionell reagieren konnte.

A life less ordinary

Nach Ohlmeyers Rausschmiss brach zwischen Maury und seinen Eltern ein grosser Streit aus. Er liess die Apnea-Sache sausen und hielt in den nächsten fünf Jahren kein einziges Mal die Luft an. Erst als er bei seinen Eltern ausgezogen war, fühlte er sich wieder bereit dazu, das Training erneut aufzunehmen. Die neu gewonnene Kraft und seine Euphorie sollten jedoch nicht von langer Dauer sein. An einer Hausparty in Ruston, Lousiana – Maury war zwanzig Jahre alt – sprang er in den Pool, um mit seinen Atemkünsten zu

Die aufwendigen und kostenintensiven Untersuchungen wurden den Gortemillers schnell zu viel. prahlen. Sein Hirn bekam nicht genug Sauerstoff und Maury fiel in Ohnmacht. Dieses zweite Schwimmbad-Blackout war nur ein Unglück in einer ganzen Reihe von leichtsinnigen Ereignissen. Diese führten dazu, dass ein Psychologe Maury schliesslich riet, eine Pause einzulegen. Sie dauerte ganze 13 Jahre. Als Maury 2006 sein Fotografiestudium in Angriff nahm, grübelte 33

Aufatmen

Maury arbeitete hart, trainierte täglich. Normalerweise können Menschen 25 bis 75 lang Sekunden ihren Atem anhalten. Für Maury waren fünf Minuten ein Kinderspiel. Mit gezielten Atemübungen steigerte er seine Zeit kontinuierlich. Auch den Ernstfall übt Maury mehrmals die Woche, meistens in seiner Badewanne. So auch an einem Abend im Jahr 2007, als er erneut sein Bewusstsein verlor, wenn auch diesmal nur für wenige Sekunden. Dank der Anwesenheit von mehreren Trainern konnte er sofort aus der Wanne gefischt und beatmet werden, sodass er schon wieder bei Bewusstsein war, als der Notfallwagen einfuhr. Was Maury tut, reicht bis an die Grenze des Natürlichen und nicht selten darüber hinaus.


Es ist ein hartnäckiger Kampf zwischen dem mentalen Willen und dem körperlichen Atemreflex. Ein Spiel mit dem Feuer, bei dem der Körper masslos gefordert und immer wieder überfordert wird. Maurys Training ist hart und strikt. Im Frühling und Sommer übt er draussen in Bächen und Flüssen – eingepackt in einen professionellen Wetsuit, welcher seinen Körper wärmt. Auch im Winter beim Training in Pools oder in seiner Badewanne trägt er oft sein volles Equipment. ‹Wenn ich meine Ausrüstung trage, fühle ich mich wie bei einem Wettkampf. Es hilft mir, mich zu motivieren›, sagt Maury. Vor jedem Versuch hyperventiliert er, um den CO2 Gehalt im Blut zu reduzieren. Dies unterdrückt den natürlichen Atemreflex, was zwar die Zeit, andererseits aber auch die Gefahr zu ertrinken erhöht.

Einladende Ruhe

Heute, mit 38 Jahren, schaut Maury auf tausende Trainingsstunden, Unmengen an verbrauchter Energie und drei Blackouts zurück. Das Resultat: Ein stolzer Rekord im Luftanhalten von 9 Minuten und 9 Sekunden. In dieser Zeit könnte man ‹Red Red Wine› von Bob Marley satte drei Mal durchhören, ganze zwei Kilometer weit laufen und sogar Barillas Spaghetti N°5 mehr als al dente kochen. Was mag in einem Menschen in diesen unglaublich langen Minuten vorgehen, in denen er verbissen gegen seine natürlichen Reflexe ankämpft? ‹Vor jedem Zeittauchen verspüre ich grosse Angst und Nervosität. Wenn ich dann aber meine Lungen mit einem letzten grossen Luftzug fülle und untertauche, überkommt mich eine einladende Ruhe.› Der sogenannte Tauchreflex tritt ein. Sensoren um die Augen melden dem Körper, dass das Gesicht unter Wasser ist und der Körper reagiert entsprechend: Sauerstoff wird aus den Muskeln freigesetzt, Zucker wird abgebaut und der Herzschlag verlangsamt sich. ‹Die ersten Minuten sind friedlich und meine Gedanken kreisen um alles, was einem auch kinki report

beim Einkaufsbummel so durch den Kopf geht. Dann macht sich plötzlich die körperliche Belastung bemerkbar: Lunge und Kehle versteifen sich, der Körper fühlt sich eingeschränkt, die Bewegungen fallen schwer. Es ist fast so, als würde das Wasser auf einmal zähflüssig werden. Nach fünf Minuten ohne Atmung kommen Kindheitserinnerungen auf. Ich weiss nicht, warum

‹In diesem Moment fühle ich mich wie eine eigenartige amphibische Kreatur.› sich der Geist mit der Vergangenheit beschäftigt. Freunde und Geliebte aus längst vergessenen Zeiten, flüchtige Bilder von Sommertagen am Strand und vom Skateboarden auf dem rauen Asphalt drängen sich auf wie verblichene Fotografien. Sobald ich mich der Zehn-MinutenGrenze nähere, weichen die gegenständlichen Bilder einer Abstraktion. Grosse, diffuse Farbblasen tanzen vor mir auf und ab und verschwimmen. Dann verbraucht mein Körper die letzte Energie und ich durchbreche unwillkürlich die Wasseroberfläche. Die Lungen leer, sauge ich enorme Mengen an Luft ein. In diesem Moment fühle ich mich wie eine eigenartige amphibische Kreatur, welche das Meer unwiderruflich für ein Leben an Land verlassen hat.›

Neurotischer Draufgänger

Aber Maury hat das Wasser nicht unwiderruflich verlassen. Immer wieder taucht er erneut unter. Natürlich kann er auch ganz normal im Wasser plantschen, so wie auch ein Rennfahrer mit Tempo 30 zum Supermarkt um die Ecke fahren kann. Doch ständig verspürt er diesen unglaublichen Zwang unterzutauchen, seine Luft anzuhalten und zu sehen, wie das Licht verblasst und die Geräusche fern werden. Zu fühlen, wie 34

sein Körper der Anstrengung unterliegt und wie der eiserne Wille doch die Vernunft besiegt. Und das, obwohl Maury eigentlich ein ziemlich konservativer Bursche ist – ein Bünzli am Rande des Wahnsinns. Denn während er minutenlang nicht atmet und sich damit fast täglich in Lebensgefahr begibt, ist er in jeder anderen Lebenssituation überaus ängstlich: ‹Ich fliege nur, wenn es absolut notwendig ist, vermeide es auf Highways zu fahren und kaue jeden einzelnen Bissen für ganze 30 Sekunden, aus Angst, ich könnte ersticken.› Die statische Apnea ist für Maury ein Ritual, eine wiederkehrende Zeremonie, in der er Trost und Erfüllung findet. Aber Glück und Leid liegen nahe beieinander und für seine Apnea-Karriere muss Maury auch grosse Opfer bringen: ‹Persönliche Beziehungen leiden besonders. Es fällt mir schwer, Frauen näher zu kommen. Die Belastung, jemanden zu lieben, der kontinuierlich mit dem Ertrinken und mit möglichen Hirnschäden liebäugelt, wird irgendwann zuviel.› Dennoch hat sich Maury entschieden, seine volle Hingabe weiterhin der statischen Apnea zu widmen. Weiterhin taucht er täglich unter, um eines Tages den momentanen Weltrekord von 11 Minuten 35 Sekunden zu brechen. Er wird weiterhin die Grenzen seines Körpers ausloten und er wird sie auch immer mal wieder überschreiten. Es ist seine Art, dem Leben über der Wasseroberfläche einen Sinn zu geben. Maury Gortemiller setzt sich unter anderem mit Vorträgen an Hochschulen für die Anerkennung der statischen Apnea ein. Trotz seiner zeitraubenden Passion hat er Zeit gefunden, unserer Autorin von seinem etwas anderen Leben zu erzählen. Weitere Info zum Apnea-Taucher und Fotografen Maury Gortemiller findest du unter maurygortemiller.com.


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1 ‹Schon früh entdeckte ich, dass ich die Luft viel länger anhalten kann als alle anderen Kinder.› 2 Erstes Schwimmbad-Blackout, 1986. 3 ‹Der Apnea-Sport ging mir stets durch den Kopf›: Buntstift-Zeichnung, 1987. 4 ‹Nach meinem zweiten Schwimmbad-Blackout 1993 beendete ich meine ApneaKarriere vorläufig.› 5 Frühes Training, 1984: ‹Schon als Kind liebte ich es, lange Zeit unter Wasser zu verharren. Heute unterrichte und coache ich selbst Kids darin, die Luft anzuhalten.› 6 Maurys Premium Equipment Case. Inhalt: Schwimmkappe, Taucherbrille, Nasen-Clip, Stoppuhr, Sonnencreme, Rechner, Visitenkarten, ein Kugelschreiber und Post-it-Zettelchen. 7 ‹Die Sauerstoff-Flasche habe ich Second Hand erworben. Ich brauche sie vor und nachdem ich die Luft anhalte.› 8 ‹Ich trainiere unaufhörlich, um eines Tages den AIDA Weltrekord in Statischer Apnea zu brechen.›

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querschläger alles, ausser angepasst

Durch ihre Karriere als Miss Schweiz 1988, Mitorganisatorin und Pressesprecherin der Misswahlen ist Karina Berger im ganzen Land als ‹Missen-Mami› bekannt geworden. Wir besuchten Karina, um endlich einmal mit ihr über New Wave und das Universum zu sprechen. Text: Rainer Brenner, Foto: Daniel Tischler

I

hr Heim kenne man halt bereits aus unzähligen Illustrierten und Fernsehsendungen, warnt Karina bereits am Telefon. Da wir uns aber sicher sind, zwischen Familienfotos, Kerzenständern und weissen Polstern dennoch irgendwo ein gutes Plätzchen für unser Foto zu finden, lädt sie uns an einem sonnigen Mittwochnachmittag zu sich nach Hause ein. ‹Vanille› nennt sich die Farbe der Wände und auch wenn alles sehr sauber und aufgeräumt wirkt, merkt man, dass hier ein Kind zu Hause ist. Ein kleines Mädchen mit zwei Zöpfen, das mit einem gelben Köfferchen und Stiften in der Hand raus auf die Terrasse tapst. Karina ist charmant und freundlich, aber nicht überfreundlich. So als kenne man sich flüchtig. Was ja gewissermassen auch stimmt. Wir trinken Soda Club-Mineralwasser aus spanischen Gläsern und starten direkt ins Gespräch. Sie redet gerne über Musik. Über 70er Rock, New Wave und ihr kurzes Treffen mit Depeche Mode – die alle besoffen waren – sowie über Klassik und Popmusik. Nur mit Schlager könne sie sich nicht anfreunden, meint Karina. Sie rückt näher an den Tisch. Zwischendurch kommt Stylistin Luisa Rossi vorbei, mit verletztem Fuss und einem Geschenk für die Kleine. Später werden die beiden gemeinsam mit dem Rest der Jury weitere Ordner mit Gesichtern hübscher Miss Schweiz-Anwärterinnen durchblättern und 150 davon zu einem Casting einladen. Nach unserem Gespräch dauert es wirklich nicht länger als drei Minuten, bis Karina sich umgezogen hat. Als sie im Taschenspiegel Make-up und Frisur prüft, fällt ihr noch ein Lieblingssong ein: ‹Putting out fire› von David Bowie. Sie summt die Melodie kinki querschläger

kurz an und lächelt. Dann stellt sie sich vor eine weitere Wand ihres Hauses und lässt sich geduldig fotografieren.

Du kennst dich ja aus mit dem Repräsentieren: Nehmen wir mal an, wir kommen jemals mit anderen Lebensformen in Begegnung. Wie müsste eine ‹Miss Earth› die Erde ihnen gegenüber repräsentieren? Diese Person müsste über die Gabe verfügen, andere innert kürzester Zeit für sich zu begeistern. Sie muss aus der Menge hervorstechen und als Vorbild im positiven Sinne gewisse Dinge vorleben. Das Visuelle ist dabei nur ein Teil davon.

Interview kinki magazin: Eigentlich wollte ich mit dir ja über die Schweiz reden. Aber irgendwie ist uns die doch allen zu klein. Reden wir lieber übers Universum, okay? Karina Berger: Okay. Hast du vielleicht eine eigene Urknall-Theorie? Mit der gängigen wissenschaftlichen Erklärung bin ich eigentlich ganz zufrieden. Ich bin kein religiöser Mensch.

Würdest du dir selbst diese Aufgabe zutrauen? Helvetia der Erde (lacht)? Ich glaube, das wäre eine schwere Bürde für einen einzelnen Menschen. Man bräuchte wohl ein gutes Team.

Es scheint ja zwei wissenschaftliche Lager zu geben: die einen suchen in der Ferne nach Antworten, andere suchen sie auf der Ebene der kleinsten Teilchen. Welchem Lager würdest du dich anschliessen? Je nach Situation und Laune. Manchmal gehe ich gerne ins Detail, aber manchmal muss man auch weitsichtig sein und das Detail im grösseren Kontext erkennen. Ist auch etwas schwierig, sich da zu entscheiden. Das ist wie mit der Frage nach dem Huhn und dem Ei.

Wie entsteht denn Anziehungskraft bei Menschen? Gute Frage. Anziehungskraft kann durch ein Lachen, einen Duft, eine Stimme, einen visuellen Eindruck entstehen. Das macht sicherlich den ersten Eindruck aus. Beim zweiten Blick muss es dann etwas tiefer gehen. Aufmerksamkeit kann man durch solche Dinge sicherlich auf sich ziehen, allerdings muss man dann die Beachtung auch ‹wert› sein. Gibt es eigentlich irgendeinen Tipp, den du deinen Schäfchen mit auf den Weg gibst? ‹Think before you speak› ist sicherlich ein guter Tipp, gerade in Bezug auf den Umgang mit den Medien.

Irgendwann mal wird die Temperatur auf der Erde zu heiss und wir werden alle sterben. Was sollte die Menschheit vorher unbedingt erledigen? Nun, das Ziel ist es wohl, diesen Untergang möglichst lange hinauszuzögern. Ich denke, der Mensch wird versuchen, sich so lange wie möglich anzupassen, so wie er es eigentlich seit Anbeginn tut.

Wo würdest du dich jetzt am liebsten hinbeamen, wenn du könntest? Also im Moment hätte ich gros36

se Lust, mich nach Miami zu beamen. Meine ältere Tochter lebt momentan dort. Wen würdest du denn mitnehmen? Meinen Mann und meine kleine Tochter. Und was würdest du hierlassen? Am liebsten mein Telefon. Also mein Arbeitstelefon, das ‹Miss Schweiz Telefon› (lacht). Karina Berger lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter im Kanton Zürich. Ihre LieblingsNew-Wave-Bands sind New Order, Depeche Mode, U2, Simple Minds und Cabaret Voltaire, auch wenn die eigentlich fast schon Techno spielten.


‹Man muss die Beachtung auch «wert» sein.›

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Hinter den tradierten Bildern, die man im Westen vom Iran kennt, verbirgt sich eine neue Generation. Eine, die den Spielraum der Grauzonen durchaus auszuleben versteht.


Love in Finglish Im Einkaufszentrum treffen sich junge Leute vor allem aus einem Grund: um in Kontakt mit dem anderen Geschlecht zu kommen. Das ist auch in Iran nicht anders. Unser Autor Thomas Tobler verbrachte mit Amir und seinen Freunden einen Nachmittag zwischen Tradition und moderner Technik, wahrer Liebe und schnellen Flirts. Illustration: Lionel Williams

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ieles in Iran beginnt mit Tee. Der Tag, die Geschäfte, das Gespräch unter Freunden. Tee ist Tradition, ein Zeichen der enormen Gastfreundschaft, der Vermittler bei Familienstreitigkeiten, das gesellschaftliche Lebenselixier von Generationen. Heute aber stehen Coca Cola-Büchsen auf dem Tisch. Dazu Pizza auf Papiertellern. Fast-Food statt Reisgerichten. Die Tradition muss draussen bleiben. Was hier zählt, ist die Zukunft. Amir schiebt seinen Teller in die Tischmitte. ‹Nehmt, ich kann das unmöglich alleine essen.› Er redet lieber. Erklärt ausführlich, wenn er gefragt wird. Lächelt, wenn sein Englischwortschatz hapert. Und entschuldigt sich umgehend dafür. Der Rest des Tisches unterhält sich in Farsi, schreibt SMS auf ‹finglish› – Farsi mit lateinischem Alphabet. Man fotografiert für Facebook und wirft englische Gesprächsfetzen in die Diskussionen. Diese drehen sich um Musikvideos, Familienangelegenheiten, Mode in europäischen Klatschmagazinen und Jobaussichten. Zwischendurch vibrieren die Handys. Es ist Irans junge Generation, die sich im sechsten Stock des verstopften Einkaufscenters zu Pizza und Coke trifft. Aufgeschlossen, trotzig und gebildet. Zwischen 20 und 30 Jahren alt. Die jungen Männer tragen Markenkleider. Poloshirts, Jeans, Turnschuhe. Ihre Frisuren sehen nach Arbeit vor dem Spiegel aus. Die Frauen sind dezent geschminkt, mit hüftlangen, dunklen Mänteln. Ihre Unterarme nackt. Trotzdem fehlt Schmuck am Finger oder Handgelenk. Der bunte Schaal liegt locker über dem Haupt und überdeckt knapp den Hinterkopf. Die jungen Frauen sehen es als Spiel, den gesetzlichen Spielraum der Kleidervorschriften bis an die Grenzen auszureizen. Alle Augenbrauenpaare sind feinsäuberlich gezupft. Auch jene von Amir und Reza.

Parfümdüfte treffen sich in der Tischmitte, dort wo Amirs Pizza unangerührt liegen geblieben ist. Iraner essen selten alles auf. Es ist Donnerstag. Wochenende. Am Freitag wird nicht gearbeitet oder studiert. Das Einkaufscenter hat bis 22 Uhr geöffnet. Zwischen den Geschäften auf den beleuchteten Gängen tummelt sich das jugendliche Leben. Ausgang in Maschhad, der zweitgrössten Stadt des Landes. 2,5 Millionen Einwohner. Ein wachsender Koloss. Nahe der turkmenischen Grenze im Nordosten gelegen. Sittenstrenger und konservativer als die Hauptstadt Teheran. Umgeben von sanften Hügelzügen und trockenen Landstrichen. Langsam geht die Sonne unter.

‹Only when it’s love›

Amir hat Ingenieurwissenschaften studiert und ist mit 26 Jahren Assistent an der Universität von Maschhad. Genau wie Reza, der ein Jahr älter ist. Er sitzt neben Amir und bearbeitet seit zehn Minuten die Tastatur seines Handys. Ihre Cousinen Melody, Elahe und Neda studieren Sprachen. ‹We have time, we are young. Enjoy, that’s important.› Alle sind unverheiratet und werden ihren Partner später selber wählen. Das versichern sie mit Nachdruck. ‹Only when it’s love›, sagt Neda. Die jungen Frauen nicken. Die Männer lächeln. Verliebt sein ist schon kompliziert genug. Verliebt sein in Iran ist wie Quantenphysik. Offiziell ist man verliebt-verheiratet oder alleine. Grauzonen sind in Iran weder gesellschaftlich noch gesetzlich genehmigt. Trotzdem wimmelt es von ihnen. Besonders im Leben der jungen Iraner. Vieles spielt sich auf den gesellschaftlichen Hinterbühnen ab. Ohne Zuschauer. Dort tauscht man Telefonnummern, geht auf Partys, trinkt Alkohol, hält Händchen, küsst sich flüchtig. Und Sex? ‹Some do, some 39

don’t.› Amirs Antwort ist kurz. Er lächelt und deutet auf den Ausgang des Pizzaladens. Die gesellschaftliche Bedeutung der Jungfräulichkeit ist in Iran ungebrochen gross. Sex vor der Hochzeit wirft ein schlechtes Bild auf die Familie. Der Islam verbietet es. ‹Unreine› Frau-

Und Sex? ‹Some do, some don’t.› en finden keine Ehemänner. Eine soziale Bankrotterklärung für jede junge Frau. Das wissen die jungen Iraner. Trotzdem wollen sie vorehelichen Geschlechtsverkehr. Geheim, auf den Hinterbühnen. Zum Nachteil der Frau. Manchmal helfen Prostituierte. Aus der Sicht von Melody gibt es in Iran zwei Sorten Männer. Jene, die in der Hochzeitsnacht ihren ersten Sex haben und die anderen, die mit allen möglichen Frauen schlafen, aber nur eine Jungfrau heiraten möchten. ‹We call them: gheirat.› Machos.

They and we

Wir stehen im Eingangsbereich des Einkaufscenters. Bei den DVDs. Das Who is Who Hollywoods ist feinsäuberlich in die Regale eingeordnet. An Aktualität kaum zu überbieten. Trotzdem hatte die iranische Zensurbehörde bereits ihre Hände am Filmmaterial. Bei Ton und Bild. Die Titanic geht so ohne Romanze zwischen Leonardo und Kate unter. Sie sind Geschwister in der iranischen Filmversion. Und James Bond muss gänzlich auf sein Bondgirl verzichten. ‹They think we don’t know the real movies.› Amir spricht viel von ‹they and we›, er verdreht dazu gerne seine Augen. ‹They› ist die Regierung. ‹We› sind alle, die Amir kennt. Gut gegen Böse. Für einmal gibt es keine Grauzonen. Aber mit


der iranischen Politik ist es wie mit dem iranischen Sex: Es gibt Zwischenräume und Schattierungen. Amir und die anderen sprechen ungern über Politik. Nicht aus Angst vor Repressionen. Wenn er es tut, liegt Resignation in seinen

Die Hinterbühne ist in Iran weitaus attraktiver als der Publikumsbereich. Die Grauzonen reizvoller als blosses Schwarz und Weiss. Worten. ‹We can’t change it, we have tried hard. But we got shot, tortured and locked away. And they are still there.› Er lächelt wieder. Es sei ungeschickt, das Leben in Iran auf die Politik zu reduzieren. Ein bemerkenswerter Satz. Den Amir wohl bedacht ausspricht. Der Gast aus dem Westen soll sich dadurch nicht unwohl fühlen. Nach den Massendemonstrationen verfolgte das Regime junge Demonstranten via Facebook. Viele wurden verhaftet. Freunde von Amir und Reza gehörten dazu. ‹It was dangerous to be on Facebook and Twitter. But it’s okay now›, sagt Reza. Zwar blockiert die Regierung weiterhin den Zugang zum sozialen Netzwerk, scheint im Kampf gegen Hacker aber verloren zu haben. Auf jeden Sperrversuch folgt umgehend ein Entschlüsselungsprogramm mit entsprechender Anleitung. Facebook ist in Irans Grossstädten mittlerweile so verbreitet und beliebt wie SMS oder E-Mails. Trotzdem bleibt es ein zweischneidiges Schwert. Wer damit kommuniziert, setzt sich gleichzeitig den digitalen Fängen der Sittenpolizei aus.

‹It’s nice to get to know new people.›

Draussen ist es mittlerweile Nacht. Melody, Elahe und Neda haben sich inzwischen gegenüber den Filmregalen zu den Schmuckvitrinen hingestellt. Sie betrachten die erleuchteten Schaukästen, heben zwischendurch ihre Köpfe und senken sie wieder. Ein junger Mann läuft in ihrem Rücken vorbei, nuschelt und verschwindet zwischen den Regalen. Die Szene wiederholt sich. Auftritt des Mannes, nuscheln, Abgang. Ein sonderbares Schauspiel. Die drei Frauen fokussieren dabei scheinbar gleichgültig die Vitrine. ‹It’s his phone number›, erklärt Amir. Was ist los? ‹The man, he just whisperd his phone number to the girls.› Wort- und regungslos haben die jungen Frauen die genuschelten Zahlen in ihr Handy getippt. Ein übliches Kennenlern-Ritual an Donnerstagabenden in Maschhads Einkaufszentren. Die drei Frauen werden ihre Fahrt nach Hause mit der Diskussion verbringen, wer den unbekannten Fremden kontaktieren darf. Willkommen in der Grauzone der jungen Generation. Aber meistens bleibt es kinki report

beim Kontakt per SMS, vielleicht mal telefonieren. Mehr wird daraus selten. ‹But it’s nice to get to know new people›, sagt Melody. Unsere Wege trennen sich. Die jungen Frauen fahren nach Hause. Amir und Reza nicht. Sie rollen in die Nacht hinaus. Zu einem Teehaus soll es gehen. Mit Wasserpfeifen und gemütlichen Sofas. Maschhads Strassen sind gefüllt mit Taxis und jungen Leuten in ihren Autos. Amir fährt schnell. Er verfolgt zwei junge Frauen, die er zu kennen glaubt. Vielleicht seine Studentinnen? An einer Ampel kommt es zur Kontaktaufnahme. Kurz, nur zwei, drei Sätze. Keine Studentinnen. Grün. Die Frauen rasen davon. Amir hinterher. Über Kreuzungen, durch Wohngebiete. Alles ein Spiel. James Bond jagt seine Bondgirls. ‹It’s a test, the women want to see how serious we are.› An der nächsten Ampel geben die Frauen ihre Namen preis. Mehr nicht. Die Verfolgungsjagd dauert an. Es braucht vier Rotlichter, zahlreiche Kreuzungen und Spurwechsel bis Amir und Reza die Telefonnummern der beiden ergattern. Von nun an geht es gemächlich durch die spärlich beleuchteten Strassen der Grossstadt. Reza deutet auf ein offensichtlich leer stehendes Gebäude. Ein ehemaliges Hotel. Verwachsen die Einfahrt, karg die Fassade. Früher habe der Schah hier Feste gefeiert, später diente der graue Palast Osama Bin Laden als Unterschlupf. Ein Mythos, den man sich in Maschhad gerne erzählt. Zu Fuss ist niemand mehr unterwegs um diese Zeit. Reza bedient sein Handy. Aber

‹It was dangerous to be on Facebook and Twitter. But it’s okay now.› die Frauen der Verfolgungsjagd melden sich nicht. Dabei haben sich Amir und Reza durch meine Anwesenheit zusätzliche Bonuspunkte erhofft. Europäer sind beliebt in Iran. Die weisse Haut, das blonde Haar, die blauen Augen. Ausländer haben einen guten Ruf. ‹Das ist mein Freund aus Europa›, hatte Amir durch die Fahrzeugfenster geschrien und eine Telefonnummer als Antwort bekommen. Mehr wollte er nicht. Mein Zweck ist erfüllt. Mittlerweile ist es spät geworden. Die Einkaufscenter haben längst geschlossen. Rezas Freundin hat eine SMS geschrieben. Wir sitzen am Pool eines Hotels, trinken Tee und rauchen Shisha mit Apfelgeschmack. Sie wird heute nicht mehr auftauchen. ‹It’s okay, we’ll meet tomorrow›, sagt Reza. Amir lächelt. Auch seine Freundin hat heute keine Zeit. Vielleicht ein andermal, meint er. Die Strassenbekanntschaften von vorher melden sich nicht. Trotz Europäer auf dem Beifahrersitz. Er habe zu Hause eine Flasche Wodka, sagt Reza. Aus Russland. Ein Restposten der letzten Party. Reza erzählt es nicht ohne Stolz und besteht auf seiner nächtlichen Einladung. Die enorme Gastfreundschaft der Iraner wirkt manchmal bedrückend. Auf der Rückfahrt passieren wir Bin 40

Ladens ehemaliges Hotel. Rezas Mutter hat uns Tee eingeschenkt. Sie trägt weder Kopftuch noch einen Mantel. Im Gegenteil. Ihre Schuhe haben Absätze, der Pullover einen Ausschnitt und die Jeans sitzen hauteng. In den eigenen vier Wänden wird kompensiert, was öffentlich untersagt ist. High Heels statt Pantoffeln, Markenjeans statt Jogginghose, Lippenstift und Wangenrouge statt Gesichtsmaske. Die Hinterbühne ist in Iran weitaus attraktiver als der Publikumsbereich. Die Grauzonen reizvoller als blosses Schwarz und Weiss. Zu Rezas Wodka gibt es Tee. Vieles in Iran endet mit Tee.


Zwischen Tradition und Umbruch, Tee und Coca Cola, Zensur und Selbstbestimmung: junge Iraner wollen sich nicht l채nger einschr채nken lassen.


wortlaut das 10 minuten interview

Reinhold Messner: ‹Melancholisch bin ich nicht. Eher aggressiv.› Interview kinki magazin: Wie genau war das damals mit dem Yeti, Herr Messner? Reinhold Messner: Dazu gibt es ein ganzes Buch. Aber wenn ich Ihnen das hier kurz zusammenfassen soll: Ich habe eindeutig nachgewiesen, dass es sich bei der Yeti-Legende – ich betone ‹Legende›! – nicht um irgendeine Gutenachtgeschichte meiner Grossmutter oder dergleichen handelt, sondern dass diese aus der Natur stammt. In Tibet, im Himalaja existiert eine Bärenart, die sich genau so verhält und so aussieht, wie das Wesen in der Legende beschrieben wird. Daher ist klar, woher die Legende stammt. Der Yeti ist kein Neandertaler oder irgendein Zwischending aus Affe und Mensch, wie manche Leute behaupteten, das ist absolut dumm! Aber wie gesagt: Ich habe ein Buch dazu geschrieben, da steht alles Weitere drin.

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uchtitel wie ‹Mein Leben am Limit›, ‹Überlebt› oder ‹Bis ans Ende der Welt› mögen recht pathetisch klingen, doch die Erlebnisse des Südtirolers Reinhold Messner bringen sie durchaus auf den Punkt. Seine Biografie liest sich wie das Guiness Buch der Rekorde und es scheint fast, als wolle er den Buchdeckel noch lange nicht schliessen. Messner bestieg alle 14 Achttausender der Erde sowie die sogenannten ‹Seven Summits›. Er durchquerte die Antarktis, Grönland, Gobi, Takla Makan – die grössten Eis- und Sandwüsten dieser Welt. Und selbst wenn Messner gerade nicht als Abenteurer kinki wortlaut

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie hoch würden Sie Ihr Selbstvertrauen einstufen? Da bin ich relativ hoch oben (lacht). Wenn ich etwas angehe, bin ich mir meistens recht sicher, dass ich es auch schaffen kann. unterwegs war, gönnte sich der bärtige Mann selten eine Verschnaufpause: Über seine Erfahrungen als Grenzgänger und Alpinist schrieb der heute 67-Jährige fast 50 Bücher, kümmerte sich um diverse Projekte und Stiftungen, hielt Vorträge, arbeitete als Bergbauer und Kommentator, gründete ein Museum und vieles mehr. Dass es entsprechend schwierig sein würde, Herrn Messner ans Telefon zu kriegen, war also bereits im Vornherein klar. Als es endlich klappt, kommt er nach einer knappen Begrüssung auch gleich zum Punkt: ‹Zwischen fünf und zehn Minuten habe ich Zeit.› Das können wir schaffen!

14 Achttausender und die Antarktis sind nur ein Teil Ihrer Errungenschaften. Macht Ihnen das eigentlich Spass, oder ist die Abenteurerei eher ein Zwang? Spass ist der falsche Ausdruck. Es war eine Herausforderung, und die habe ich zu meinem Lebensinhalt gemacht. Mit Spass hat das nicht viel zu tun, eine Belastung oder ein Zwang war es aber auch nicht. Die Ideen sind aus mir entsprungen, niemand hat sie mir aufgezwungen. Ich habe mir die Herausforderung selbst gestellt. Auf Ihren Abenteuern hatten Sie jede Menge Zeit, über verschie42

denste Dinge nachzudenken. Was ging Ihnen da so durch den Kopf? Das können Sie sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen. Alles. Praktische Gedanken, Zukunftsgedanken, auch Todesängste, wenn die Lage kritisch war. Die Gedanken sind da draussen aber keine anderen als zu Hause. An guten Tagen, wo keine Probleme auftauchen, das Wetter gut ist, kann man sich viel überlegen. Ich habe ganze Bücher in meinem Kopf formuliert, Tagebuch geschrieben. Wenn es Schwierigkeiten gibt, Sturm oder dergleichen, macht man sich keine solchen Gedanken. Da geht es einem wie einem wilden Tier, das nur ans Überleben denkt. Sind Sie ein melancholischer Mensch? Nein, melancholisch bin ich nicht. Eher aggressiv. Aggressiv? Nicht anderen Menschen gegenüber. Aber ich kann sehr viel Aggression aufbauen. Wenn man mit Widerständen zu tun hat, kommt man manchmal nur mit Aggression weiter. Der Mensch ist in der Lage, Energien zu entwickeln, wenn er auf grosse Widerstände stösst. Und so ein grosser Berg ist nichts anderes als ein grosser Widerstand. Die Kunst ist es, Energien zu entwickeln, die dagegen ankommen. Und die sind nicht nur physischer, sondern auch psychischer Natur. Aber wenn Sie zu Hause sind, sind Sie ein friedlicher Mensch? Ich bin der friedlichste Mensch der Welt, wenn man mich in Ruhe lässt (lacht). Text und Interview: Rainer Brenner Foto: Manuel Ferrigato



Jugend mit Gott Orthodoxe Juden f端hren ein Leben mit vielen Gesetzen und Ritualen. Wie genau kommt man als Teenager damit wohl zurecht, wollte kinki Autor Daniel Mahrer wissen. Doch um sie danach zu fragen, musste er sie erst einmal finden. Eine Spurensuche in Basel. Fotos: Sandro Fiechter

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E

s war in den Wanderferien mit meiner Familie in Davos. Ich muss damals etwa sieben Jahre alt gewesen sein, als ich an dieser Sommerrodelbahn stand. Eine Gruppe von bärtigen jungen Männern stand unmittelbar neben uns, trotz der sommerlichen Hitze mit schwarzen Anzügen und breitkrempigen Hüten bekleidet. Doch es war nicht ihre für mich ungewohnte Kleidung, die mich in Erstaunen versetzte, sondern die Art und Weise, wie einer von ihnen die Bahn hinabgeschossen kam. Gross und ziemlich beleibt, brachte er es auf eine Geschwindigkeit, von der ich nur träumen konnte, als er mit der einen Hand den Beschleunigungshebel des Rodels durchdrückte und mit der anderen sein Käppi am Hinterkopf festhielt. Links und rechts vom Kopf flatterten lange Schläfenlocken im zügigen Fahrtwind. Müssig zu erwähnen, dass er für einen 7-jährigen Jungen vom Land eine äusserst imposante Erscheinung abgab, als der Unbekannte in jeder Kurve an der oberen Kante der Bahn so an mir

vorbeidonnerte. Meine Mutter erklärte mir damals, dass das orthodoxe Juden seien und ihr Glaube es ihnen vorschreibe, sich so zu kleiden. Ich nahm das zur Kenntnis, konnte mir aber nichts weiter darunter vorstellen, abgesehen davon, dass sie ausserordentlich schnelle Rodler zu sein schienen. Seither sind viele Jahre verstrichen, ich bin älter geworden und in die Stadt gezogen, wo ich durch die Synagoge in meiner Nachbarschaft hin und wieder einmal einem der dunkel gekleideten Männer auf der Strasse begegne, was mich oft schmunzelnd an diese kleine Anekdote zurückdenken lässt. Säkulare Juden kenne ich einige, aber orthodoxen Juden bin ich – von dem einen Mal bei der Rodelbahn abgesehen – auf dem Land praktisch nie begegnet. Warum hatte ich nie einen orthodoxen Juden in meiner Klasse? Wie sieht die Jugend eines orthodoxen Juden aus? Ist sein Erwachsenwerden von grundsätzlich anderen Erfahrungen geprägt als etwa meins? Und warum sieht man 45

eigentlich so wenige orthodoxe Jugendliche in der Stadt? Gibt es überhaupt welche und wenn ja, wo sind sie, was machen sie, was beschäftigt sie? Fragen, die sich mir ab und an stellen, und denen ich nun endlich nachgehen werde. Ich beginne damit in meinem unmittelbarsten Umfeld in Basel.

Der Dresscode des Jom Kippur

‹Dani, ich bin offensichtlich eine schlechte Jüdin, denn ich habe mich doch gerade noch darüber geärgert, dass ich es verpasst habe, dich auf das jüdische Neujahr aufmerksam zu machen und nun hätte ich auch beinahe noch Jom Kippur diese Woche vergessen. Wie dem auch sei, du kannst mich diesen Freitag in die Synagoge begleiten, wenn du magst.› Liraz Rosenblum, israelisch-deutsche Doppelbürgerin, die seit Kurzem auch den Schweizer Pass besitzt, ist eine alte Bekannte von mir und sie wird mich


nun also diesen Freitag mit in die Synagoge der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) nehmen. Zum Gottesdienst zu Jom Kippur, dem höchsten aller jüdischen Feste, das zu Sonnenuntergang beginnt. Ich ziehe mich gemäss ihren Anweisungen an, lasse Jeans und Turnschuhe zu Hause, einen Hut trage ich sowieso immer. ‹Früher, als wir jeweils vom Land mit dem Auto hierhergekommen sind, haben wir oft in dieser Strasse geparkt

‹Prinzipiell ist es so, dass die Frauen während des Gottesdienstes von oben die Männer abchecken und umgekehrt.› und gehofft, dass uns beim Aussteigen keine anderen Juden sehen›, lacht sie auf dem Weg. Trotz ihrer israelischen Herkunft hat sie kaum einen religiösen Bezug zum Judentum, an die Feste geht sie aber dennoch gerne. Beim Eingang zur Synagoge entschuldigt sie sich, dass sie nicht bei mir bleiben könne, da die Frauen oben auf der Empore, die Männer unten sitzen würden. Spontan erklären sich aber zwei Jungs, die unsere Unterhaltung mitbekommen haben, dazu bereit, mich ein wenig herumzuführen. ‹Prinzipiell ist es so, dass die Frauen während des Gottesdienstes von oben die Männer abchecken und umgekehrt›, grinst einer der beiden jungen Männer, beide um die 20. So frappant scheinen die Unterschiede zu meinem Leben auf den ersten Blick zumindest bei diesen zwei nicht zu sein. kinki report

Im Gegensatz zum feierlich-warm erleuchteten Innern der Synagoge, herrscht draussen eine lockere, gelöste Stimmung. Hauptsächlich Jugendliche stehen herum, reden und lachen. Für sie ist Jom Kippur vor allem ein sozialer Event. Alle Jungs tragen eine Kippa, die meisten auch einen Tallit, den jüdischen Gebetsmantel. Und doch sind offenbar die wenigsten von ihnen wirklich religiös, scheinen sich eher für die kurzen Röcke ihrer Altersgenossinnen als für die Predigt des Rabbiners zu interessieren. ‹Der Dresscode in der Gemeinde ist vorbei – gerade an Jom Kippur, wo es darum geht, sich weiss zu kleiden und nicht etwa auf Äusserlichkeiten zu achten›, erklärt mir Leonardo Fridman, Jugendleiter der IGB, bei einem späteren Termin meiner Spurensuche. ‹Die IGB vertritt heute kein klassisch frommes Judentum mehr, sondern eine breit gefächerte, moderne Variante, die alle Schattierungen aufweist. Jeder entfaltet sich auf seine Art und das Schöne in Basel ist, dass es diesbezüglich wenige Spannungen gibt, sondern man sich gegenseitig leben lässt und mit Toleranz begegnet.› Leonardo selber praktiziert eine modernorthodoxe Auffassung des Judentums. In der Schweiz aufgewachsen und in deren Gesellschaft verwurzelt, richtet er sein Leben streng nach den Regeln der Thora, will sich dabei aber seine kulturelle Offenheit bewahren. Etwas mehr frommen Nachwuchs in der ohnehin schon kleinen Basler Gemeinde würde er natürlich begrüssen.

‹Du wirst total jüdisch aussehen!›

Einer meiner beiden Begleiter kommt aus der Synagoge, reicht mir eine schwarze Kippa und einen weissen Gebetsschal. ‹Hier zieh das an, du wirst total jüdisch aussehen!› Er erklärt mir zum 46

Vergnügen der Umstehenden, denen es offensichtlich Spass macht, einen ‹Goi› einzukleiden, wie ich das weisse Tuch zuerst über meinen Kopf und dann um die Schultern legen soll. Religiös ist aber auch er nicht wirklich. ‹Ich bin ein klassischer Dreitagesjude, wie übrigens die meisten hier›, sagt er. Es sind vor allem die Traditionen und Feste, die die Mitglieder in die Synagoge treiben. Man trifft fast die gesamte Gemeinde hier, einige kommen auch ihren Eltern zuliebe. ‹Ich studiere was ganz Rationales mit Zahlen und so, wie soll ich da an Gott glauben?› meint mein anderer Begleiter und zieht vielsagend die Augenbrauen hoch. Dennoch wird auch er heute fasten, bis zum Sonnenuntergang morgen Abend. ‹Ich werd wohl bis vier Uhr nachts aufbleiben müssen, damit ich lange schlafen kann, sonst halt ich das nicht aus!› Strenggläubige Jugendliche habe ich keine getroffen an diesem Abend. Als fromme Juden werden sie den Gottesdienst nicht wie ich vor der Synagoge verbracht haben. Ausserdem hätten sie wohl auch wenig Lust verspürt, sich mit mir zu unterhalten. ‹Sie werden ohnehin kaum mit dir reden›, meint Liraz. ‹Die Orthodoxen leben in einer eigenen Welt, schotten sich strikt ab von allem, was nicht mit ihnen zu tun hat. Ich könnte kaum in der Schweiz wohnen, wenn ich orthodox wäre, es ist mir ein Rätsel, wie man derart an einer Gesellschaft vorbei leben kann.›

Der Weg führt nach Israel

Dass mir Gitta Diamant von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Basel – der frommeren der beiden Gemeinden – bei der Begrüssung nicht die Hand gibt, hat mit Abgrenzung allerdings nichts zu tun. Berührungen mit dem anderen Geschlecht sind ausserhalb der Ehe schlicht nicht vorgesehen. ‹Ich will nicht unhöflich sein, aber das ist nun mal so. Diesbe-


‹Ich werd wohl bis vier Uhr nachts aufbleiben müssen, damit ich lange schlafen kann, sonst halt ich das nicht aus!›

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‹Die Gefühle sind ja sowieso da, man muss sie einfach in Schranken halten.›

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züglich müssen wir uns oft erklären, wie Sie sich wohl denken können›, sagt sie. Der Empfang bei Familie Diamant ist trotzdem herzlich. Sie haben sich prompt zu einem Gespräch bereit erklärt, scheinen neugierig zu sein, was ich von ihnen will. Wir sitzen im Wohnzimmer, ihre Kinder spielen draussen im Garten. ‹Klar reden wir mit Ihnen, und helfen Ihnen auch gerne weiter, aber was Sie vorhaben, dürfte schwierig werden: Fast alle Jugendlichen unserer Gemeinde verlassen die Schweiz mit 17, um in Israel oder in England ihre jüdischen Studien zu vertiefen. Die Mädchen im Mädchenseminar, die Jungs auf der Jeschiwa – das ist eine Talmudhochschule.› Auch Frau Diamant hat an einem Mädchenseminar studiert, aufgewachsen ist sie als älteste Tochter einer orthodoxen Familie in Basel, wo sie bis zu ihrem Wechsel an die jüdische Mittelschule der IRG die öffentlichen Schulen besucht hat. Sie hat schon früh ein sehr starkes Interesse an der jüdischen Religion entwickelt und kam während ihrer Zeit am Gymnasium Leonhard schlussendlich an einen Punkt, wo ihr der jüdische Religionsunterricht, den sie seit dem

‹Dass die Mathematiklehrerin jeden Samstagmorgen einen Kurztest schreiben liess, machte die Sache etwas unangenehm, wir durften ja nichts machen.› Kindergarten neben der obligatorischen Schule immer besucht hat, nicht mehr gereicht hat und sie sich für einen Wechsel an die jüdische Mittelschule entschlossen hat, was eine Hinwendung zu einer ultraorthodoxen Glaubensrichtung und dementsprechend auch einen Bruch mit der eigenen Vergangenheit bedeutete: ‹Ich habe dann einfach aufgehört, gewisse Dinge zu tun, bin zum Beispiel nicht mehr ins Kino und auch nicht mehr mit einer gemischten Gruppe von Freunden was trinken gegangen. Es gibt aber dennoch viele Orthodoxe, die das machen und weiterhin orthodox bleiben, aber gerade die Geschlechtertrennung in der ultraorthodoxen Gemeinde ist halt nun mal sehr strikt.› Eine Spur pubertäre Rebellion habe da gewiss mit hineingespielt, gibt sie schmunzelnd zu. Daran, dass sie den richtigen Weg gegangen ist, besteht für sie aber nicht der geringste Zweifel. Die Zeit am Gymnasium war für die junge Gitta Diamant aber nicht nur einfach. Als fromme Jüdin eine öffentliche Schule zu besuchen, bringt automatisch gewisse Konflikte mit sich, auch wenn sich die Schulleitung sehr tolerant und entgegenkommend gegenüber Andersgläubigen verhält. Als eines von drei jüdischen Mädchen in der Klasse wäre sie wegen dem Sabbat vom

Samstagsunterricht freigestellt gewesen. Um nicht zu viel zu verpassen und vor allem auch klassenintern nicht ins Abseits zu geraten, entschlossen sich die drei aber für den Kompromiss, samstags zumindest zum Zuhören in die Schule zu gehen. ‹Dass dann aber die Mathelehrerin jeden Samstagmorgen einen Kurztest schreiben liess, machte die Sache etwas unangenehm, wir durften ja nichts machen. Ich will ihr da aber keine böse Absicht unterstellen, das war halt einfach ihr Ding.› Gehässigkeiten gingen eher von gewissen Mitschülern aus. Dies habe sie schlussendlich in ihrem Entschluss bestärkt, an die jüdische Mittelschule zu wechseln, ‹denn für mich war ja ohnehin klar, wohin mein Weg führen sollte›, meint Gitta Diamant. Der Weg führte nach Israel – im Gegensatz zu vielen ihrer Freundinnen, die England bevorzugten. Gleich nach dem Abschluss an der jüdischen Mittelschule nahm Gitta Diamant ihr Studium sowohl der klassischen wie auch der jüdischen Fächer auf, und lernte dabei nicht nur Land, Leute, Sprache und Kultur Israels, sondern ein wenig später auch ihren heutigen Ehemann, Zeew-Dow Diamant, kennen. Da die rigorose Geschlechtertrennung im ultraorthodoxen Judentum die Partnersuche erschwert, hilft in vielen Fällen ein Shidduch weiter, ein Vermittler, bei dem es sich oft um einen Bekannten oder ein Familienmitglied handelt, ‹der noch jemanden kennt, der oder die vielleicht passen könnte›. Sollte aus dem ersten Treffen eine gegenseitige Zuneigung 49

erwachsen, so folgen weitere, bis hin zu Verlobung und Hochzeit, was manchmal bereits sehr schnell schon der Fall sein kann. Den ursprünglichen Plan, als Englischlehrerin in Israel zu bleiben, hat Gitta Diamant allerdings 2003 aufgeben, als ihr das soziale Netzwerk in Basel zu fehlen begann und sie Heimweh verspürte. Deshalb ist sie zusammen mit ihrem Mann in ihre Heimatstadt zurückgekehrt und zieht hier nun ihre Kinder gross.

‹Manchmal ist es halt ein wenig komplizierter.›

In grösseren Schweizer Städten mit entsprechenden Gemeinden ist die komplette Infrastruktur vorhanden, die ein orthodoxes Leben erfordert, insbesondere die Einrichtungen des Gemeindezentrums und Möglichkeiten, koschere Lebensmittel einzukaufen. ‹Manchmal ist es halt ein wenig komplizierter, aber wir kommen eigentlich sehr gut zurecht. Wenn ich an einem heissen Tag an einer Tankstelle vorbeikomme, denke ich schon auch: «Ja, ein Glacé wär jetzt nett.» Aber nicht «Ich will das jetzt», sondern «Es wäre schön, würden sie auch koschere verkaufen.» Man kriegt halt nicht immer und überall alles. Aber was koschere Lebensmittel betrifft, ist die Situation bedeutend besser geworden.› Es komme schon vor, dass einen hin und wieder das Gefühl beschleiche, dass man dieses oder jenes gerne mal wieder tun würde, was auch


nicht verboten ist, ‹die Gefühle sind ja sowieso da, man muss sie einfach in Schranken halten›. Gerade für Jugendliche ein schwieriger Punkt. Besonders dann, wenn sie viel Kontakt mit der offenen, freieren Welt haben, locken viele Versuchungen. Zudem kann es mit der Zeit äusserst mühsam werden, sich gegenüber nichtjüdischen Freunden immer wieder rechtfertigen zu müssen, warum man dieses und jenes nicht machen könne, oder warum man am Freitagabend nicht rauskomme.

Es gab keinen Samichlaus

Dass Liraz Rosenblum nicht viel von den orthodoxen Ausführungen des jüdischen Glaubens hält, war mir schon klar, bevor wir uns darüber unterhalten hatten. Gerade deshalb war ich gespannt, was sie in diesem Zusammenhang zu sagen hätte. Gross geworden ist sie in einem säkularen Elternhaus in der Agglomeration. Zwar im Bewusstsein, jüdisch zu sein, bereits als Kind durfte sie aber schon immer dasselbe machen und essen wie alle andern auch. Spezielle kinki report

Gesetze des Judentums schrieben ihre Eltern ihr nicht vor. ‹Anders fühlte ich mich damals nicht. Abgesehen von diesem einen etwas merkwürdigen Moment, als ich den andern im Kindergarten erklären wollte, dass es den Samichlaus gar nicht gäbe. Für mich war das klar, wir feierten ja keine Weihnachten und meine Eltern haben mir da nie etwas vorgemacht.› Da die Muttersprache ihrer Mutter Hebräisch ist, ist Liraz zweisprachig aufgewachsen. Interesse am Judentum hat sie ihre gesamte Jugend hindurch immer wieder bekundet. ‹Ich habe versucht, die Thora durchzuackern und im Kibbuz meiner Grosseltern habe ich auch den jüdischen Alltag erlebt. Das Massvolle ist mir nicht fremd, das Ultraorthodoxe hingegen sehr.› Obwohl sie sich immer wieder mit dem Judentum beschäftigt hat, hat sie nie den Drang verspürt, streng danach zu leben. Vielleicht auch weil ihre Mutter kaum Kontakt zu Schweizer Juden hat, sondern viel mehr zu hier lebenden Israelis. ‹Da wir nicht religiös sind, reicht unser Jüdischsein alleine nicht als Verbindung zu den 50

Gemeinden. Ich bin immer in erster Linie Israelin gewesen, erst dann Jüdin.› Für Liraz ist die totale Hingabe an den Glauben eine Vereinfachung des Lebens, dank der man sämtliche Antworten vorgesetzt bekommt, ohne selber danach suchen zu müssen. ‹Da muss sich keiner mehr selber entscheiden, was für ihn richtig oder falsch ist. Man kann das durchaus auch als eine Weigerung betrachten, sich mit wirklich wichtigen Fragen auseinanderzusetzen.› Tatsächlich macht es den Anschein, dass sich ein orthodox aufwachsender Jugendlicher nicht mit den typischen Sorgen säkular lebender Pubertierender herumplagen muss, ihm dadurch aber auch spezielle Erfahrungen, etwa in Liebesdingen, entgehen können. So stellt etwa Leonardo fest, dass die Institution der Ehe im orthodoxen Judentum etwas an Dauerhaftigkeit verloren hat: ‹Es wird immer jünger geheiratet, und das nicht immer wohlüberlegt, was natürlich auch daran liegt, dass manche junge Damen und Herren vor allem ihrer körper-


lichen Bedürfnisse wegen den Bund fürs Leben eingehen, obwohl sie im Kopf noch gar nicht bereit dafür sind.› Auf der anderen Seite bieten das Judentum und die mit ihm verbundene Gemeinschaft aber auch eine grosse Sicherheit und enorme Geborgenheit, die einem Heranwachsenden in seinen schwierigen Jahren der Identitätsfindung wertvolle Unterstützung und Rückhalt leisten können. ‹Egal worum es geht: Ich weiss, Gott ist da und hilft mir, wenn ich ihn brauche›, sagt Gitta Diamant.

Vegetarisch statt koscher

Leonardo Fridman treffe ich an einem frühen Mittwochabend in einem Seitengebäude der jüdischen Gemeinde in Basel. Als Jugendleiter der Gemeinde ist er für die Organisation der Treffen der beiden jüdischen Jugendbünde – der liberaleren Emuna und der religiös-zionistischen Bne Akiwa – zuständig. Er ist sehr interessiert und neugierig, was meine Beweggründe, diesen Artikel zu schreiben, betrifft und bald geraten wir in ein angeregtes Gespräch, in dem die Frage, wer wen interviewt, ziemlich schnell hinfällig wird. Auch Leonardo ist säkularisiert aufgewachsen. Er wurde in Argentinien als Sohn eines protestantischen Schweizers und einer jüdischen Argentinierin geboren. Die Familie ist kurz darauf in die Schweiz gezogen. Nach der Scheidung seiner Eltern hat Leonardo den jüdischen Kindergarten und die jüdische Primarschule besucht, und später am Gymnasium Leonhard in Basel seine Matura gemacht. Um sein dreizehntes Lebensjahr herum hat er sich entschieden, ein frommes Leben zu führen. Zunächst allerdings eher aus disziplinarischen als aus religiösen Gründen: ‹Wenn man keinen Vater zu Hause hat, entsteht ein Bedürfnis nach Stabilität. Ich habe mir diese mit dem jüdischen Leben mehr oder weniger erarbeitet. Ich habe damals begonnen, mir Dinge an-

zueignen, von denen ich fand, sie gehörten zur Thora oder würden von Gott von mir verlangt.› Wie die meisten Jugendlichen in diesem Alter hat auch Leonardo ‹sein Ding› gesucht, was in seinem Fall eben das Judentum war, und auch geblieben ist: ‹Ich habe angefangen, den Sabbat einzuhalten. Ausserdem habe ich mich zwei Jahre lang vegetarisch ernährt. Das bedeutet zwar nicht koscher, aber immerhin Disziplin. Mit dem Umstieg auf koschere Lebensmittel kam dann das Beten hinzu. Erst einmal, schlussendlich dann dreimal täglich.› Spannungen aus religiöser Sicht waren selten im Alltag und traten wenn überhaupt vor allem im schulischen Kontext auf. Seine Mutter konnte zwar nicht immer genau nachvollziehen, wie und warum Leonardo seinen Glauben lebte, liess ihn aber stets gewähren. Erst als er im Gymnasium auf Probe kam, bestand sie darauf, dass er am Sabbat zur Schule geht. Im Allgemeinen wurde er sonst in Ruhe gelassen, da er in Teenagerzeiten sehr introvertiert war und erst später, auch gegen aussen hin, aufgeblüht ist.

‹Als Jude rechtfertigt man sich immer, für alles.›

Um mir einen Einblick in seine Jugendarbeit zu verschaffen, hat mir Leonardo angeboten, am nächsten Sabbat bei einem Treffen der beiden Jugendgruppen als Gast aufzutreten, um den Jugendlichen ihrerseits einen Blick auf das Judentum von aussen zu ermöglichen und eine Diskussion anzuregen. ‹Wenn du einen frommen Juden für ein Interview anfragst, so wird sich dieser selber fragen: Warum soll ich mich exponieren? Wird das meine Beziehung zu Gott verbessern? In diesem Fall aber denke ich, dass wir in einer Diskussion mit einem Aussenstehenden immer wieder unser eigenes Jüdischsein reflektieren müssen, was sicher nicht schaden kann.›

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Bereits nach kurzer angeregter Unterhaltung mit den Jugendlichen wird mir klar, dass das Bekenntnis zum eigenen Jüdischsein etwas ist, um das ein Jude nicht herumkommt, egal ob er nun religiös ist oder nicht einmal an Gott glaubt.

‹Ich werde leider immer gleich als Botschafter Israels angesehen.› Die Tatsache, Angehöriger einer Minderheit zu sein und sich immer wieder für abweichendes Verhalten rechtfertigen zu müssen, wirkt natürlich verstärkend: ‹Als Jude rechtfertigst du dich pausenlos. Ich glaube diese Rechtfertigung im Allgemeinen ist per se schon eine Definition für das Judentum.› Gerade für diejenigen, die eine öffentliche Schule besuchen, ist die Wirkung nach aussen, der Umgang und auch die Reibung mit Nichtjuden ein wichtiger Punkt, der schnell aufgegriffen wird. Die Grenzen zwischen Klischee-Vorstellungen und Antisemitismus verlaufen dabei fliessend. Erstaunte Fragen wie ‹Du bist Jude? Warum hast du keine Löckli? Wo ist dein Käppi? Und deine Nase?› gehören zu den harmloseren Dingen, mit denen sich ein junger Jude in seiner Schulzeit immer wieder konfrontiert sieht. Ein wenig problematischer, wenn auch durchaus ambivalent, wird das Verhältnis zu muslimischen Jugendlichen beschrieben. So kann blosses Jüdischsein schon mal ein Grund dafür sein, dass eine Mädchenfreundschaft gekündet wird und plumpe Gifteleien gehören zur Tagesordnung. Gerade die Frommeren haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass


sie von gläubigen Muslimen sehr gut verstanden werden, da die beiden Religionen einiges gemeinsam haben und die Hingabe an den eigenen Glauben verbindend wirken kann. Antisemitismus im Allgemeinen wird von Juden in der Schweiz sehr unterschiedlich wahrgenommen. Es hängt auch stark davon ab, ob man als Jude zu erkennen ist oder nicht. Observante Juden, die eine Kippa oder einen schwarzen Hut tragen, würden beispielsweise öfters angepöbelt, erzählen mir die Diamants. Sie habe noch nie irgendwelche Probleme gehabt, meint dagegen Liraz Rosenblum, bei der höchstens der etwas dunklere Teint auf eine südländische Herkunft schliessen lassen könnte. Allenfalls würde sie zwar wegen ihres Namens auch mit dem Schweizer Pass nicht in gewisse arabische Länder reisen wollen, hier sei sie aber noch nie in irgendeiner Form benachteiligt worden. Dass sie sich aber generell immer wieder für Israels Aktionen im Nahostkonflikt rechtfertigen müssen, nervt viele, haben sie doch als Schweizer mit israelischer Politik genauso wenig am Hut wie alle andern hier. ‹Klar, ich bin immer ein Botschafter des Judentums, werde aber leider immer gleich als Botschafter Israels angesehen›, beklagt sich einer aus der Jugendgruppe.

‹Ich bin Nathan, 16, und ich bin Jude.›

Für viele ist es wichtig, einfach Jude zu sein, auch wenn ihnen die Religion an sich nichts bedeutet: ‹Jüdisch zu sein ist ein Lebensstil. Ich liebe das, kinki report

die Familiarität und die ganzen Feiern und Traditionen!› erklärt ein Mädchen voller Leidenschaft. Die Familie spielt eine zentrale Rolle, in kleineren wie auch in grösseren Zusammenhängen: ‹Egal wo du bist: Wenn’s dort auch andere Juden gibt, hast du sofort einen Aufhänger. Man wird zum Sabbat eingeladen und fühlt Geselligkeit.› Die meisten Jugendlichen, mit denen ich rede, sind stolz darauf, jüdisch zu sein. Es scheint ihnen offenbar auch etwas zu bedeuten, einer Art exklusivem Zirkel anzugehören, das kommt vielleicht vor allem bei pubertären Jugendlichen ein wenig so durch. Auf der anderen Seite gibt es aber auch ein ganz klares Minderheitenbewusstsein. So beklagt sich Nathan, allzu oft auf sein Jüdischsein reduziert zu werden: ‹Ich bin immer Nathan der Jude. Nie Nathan der Intelligente, Nathan der Gutaussehende, Nathan der Fussballer oder so. Jüdisch ist immer mein Attribut. Klar bin ich da schon stolz darauf und ich zeig’s auch gerne, aber das ist ja nicht das einzige, was mich als Mensch ausmacht. Ich hab auch andere Qualitäten, die aber in den Hintergrund treten. Ich stell mich ja auch nicht vor mit «Ich bin Nathan, 16, und ich bin Jude.» Das ist hier im Jugendbund natürlich anders, was ich sehr angenehm finde. Vielleicht ziehe ich deswegen später mal an einen Ort, wo es mehr Juden gibt als hier.› Ihr ‹Anderssein› erfahren natürlich vor allem die gläubigen Jugendlichen immer wieder im Alltag, wenn die Gesetze, nach denen sie leben an die Konventionen der christlich-säkularen Umgebung stossen – insbesondere die koschere Ernährung und die Einhaltung des Sabbat. ‹Ich 52

geh halt am Freitagabend nicht raus und kann auch am Samstag nicht abmachen. Für die meisten in der Bude, in der ich die Lehre mache, ist das seltsam, doch sie gewöhnen sich langsam daran. «Ach so, du hast wieder irgendwie dein Dingsda», sagen sie dann. Einige verstehen es, viele nicht, doch die meisten akzeptieren es immerhin.› ‹Ultraorthodoxe› Jugendliche habe ich im Laufe meiner Reportage keine getroffen. Das mag wohl auch daran liegen, dass es wirklich nicht viele davon gibt in Basel, da die meisten an einer Talmudhochschule im Ausland studieren oder sich einfach nicht gerne exponieren. Am Treffen der beiden Jugendbünde in der IGB wie auch an Jom Kippur in der Synagoge habe ich aber sehr viele unterschiedliche Jugendliche kennengelernt, die sich alle dem Judentum zugehörig fühlen, auch wenn sie im Bezug auf ihre Religiosität zum Teil sehr individuelle Sichtweisen vertreten und auch mal ganz eigene Wege gehen. Obwohl die Jugendlichen ihre jüdische Identität sehr ernst nehmen und sich entsprechend damit auseinandersetzen, so habe ich doch auch den Eindruck, dass gerade die Jungs hier in Basel eine gewisse Selbstironie und einen eher lockeren Umgang mit jüdischen Klischees und Vorurteilen pflegen. Dass es neben den strengen Gesetzen aber immer noch Raum für jugendlichen Übermut gibt, zeigt sich spätestens nach unserer Diskussion im Jugendtreff, als der Ball über den Hof des Gemeindeareals gekickt wird und hin und wieder mal ein Käppi am Boden landet. Dasjenige von Nathan dem Fussballer hat übrigens das Wappen des FC Chelsea eingestickt. Schliesslich fragt ein Mädchen Leonardo, wann der Sabbat heute zu Ende gehe. ‹Wir wollten ja noch zur «Mäss» heute Abend.› Sämtliche Namen wurden von der Redaktion geändert.


‹Für die meisten in der Bude, wo ich die Lehre mache, ist das seltsam, doch sie gewöhnen sich langsam daran.›

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Dennison Bertram

It doesn’t matter if you’re black or white, boy or girl.


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Top: E.vil Shirt: Gabriele Colangelo Necklace: Alysi

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Dress: Elisabetta Franchi Shirts: Pepe Jeans Corsett: MSGN Jacket: Pianura Studio Shirt: Datch Ring: Stramalto for Schild Socks: Stylist’s own Belt: Ilaria Nistri

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Shirts: Cristina Miraldi, Comeforbreakfast Jacket: HTC Pants: Love Sex Money

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Shirts: Ilaria Nistri Jacket: Pepe Jeans Skirt: Francesca Liberatore Sneakers: Converse

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Shirts: Hollyhood Trading Company Pants: Pianura Studio Bracelet and ring: Stramalto for Schild Necklace: Alysi

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Dress: Nolita Tuta: Nolita, MSGM Shirt: RA RE Necklace: Love Sex Money

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Shirts: RA RE Pants: Love Sex Money lorella signorino Jacket: dMajuscule Scarf: Pianura Studio

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Photographer Dennison Bertram Stylist Dafne Kim Make-up & Hair Sara Del Re Model Irina @ Women Management Milano

Shirts: Ilaria Nistri, Comeforbreakfast, Hollyhood Trading Company Jacket: Andy Warhol by Pepe Jeans Pants: Pianura Studio Hot pants: HTC Jacket: dMajuscule Scarf: Pianura Studio, Ilaria Nistri Necklace: Love Sex Money Sneakers: Converse Belt: Ilaria Nistri

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Neat wear: Francesco Scognamiglio Shirt: dMajuscule Skirt: Francesca Liberatore Necklace: Alysi Shoes: Gaetano Navarra Jacket: dMajuscule Scarf: Pianura Studio 63


Norway, Denmark and Minimalism Modisch schreibt die norwegische Designerin Veronica B. Vallenes eleganten und nonchalanten Frauen den skandinavischen Minimalismus auf den Leib. Dafür erfuhr sie jüngst Lobpreisungen aus allen Ecken der Welt. Für die Anerkennung der Modeszene musste sie aber erst die virtuelle Grenzenlosigkeit ausschöpfen und auch physisch ihre Landesgrenzen überwinden. Text und Interview: Florence Ritter, Fotos: Thomas Skou

‹Eastern Promises / Breeze› kinki mode

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‹Rose / Soul›, ‹Savanah / Love›, ‹Black Mystery / Darjeeling›

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eboren in Kristiansand – einer kleinen Stadt im Süden Norwegens am Meer und nahe zahlreicher Inseln, Berge und Wälder – studierte Veronica Brøvig Vallenes Mode- und Kostümdesign am National College of Art and Design in Oslo. Für viele Theaterprojekte engagierte sie sich als Kostümdesignerin. Weder Herkunftsort noch -land schienen ihr eine Laufbahn in der Modebranche nahezulegen. Während man den Schweden und Dänen nämlich längst modisches Talent attestiert, fungiert Norwegen noch als schwarzer Fleck auf der Modelandkarte. Doch die Designerin Veronica B. Vallenes beweist, dass auch da, wo Norwegen drauf steht, der beliebte skandinavische Stil drin ist – und der ist in Zeiten des modischen Purismus besonders angesagt. Seit der Gründung ihres eigenen, gleichnamigen Modelabels im Jahr 2008 hat Veronica B. Vallenes einen kometenhaften Ein- und Aufstieg in der internationalen Modewelt hingelegt. Sie gewann in den vergangenen Jahren verschiedene Preise, darunter den ‹Danish Max Factor Award› und den norwegischen ‹This Years Marketer in Vest-Agder›. Den Stein ins Rollen brachte vor einigen Jahren Vallenes’ Entscheidung, aus der modischen Einöde Norwegens wegzuziehen. Doch nicht in die Fashionmetropole Paris zog es die Designerin, sondern in die beschauliche, dafür jedoch modisch animierte Hauptstadt Dänemarks. Dieses Bekenntnis zu Kopenhagen beeinflusste sowohl ihre Karriere als auch ihre Arbeit: Ihr Modestil kann sich heute durchaus mit dem hippen Qualitätssiegel ‹dänisch› schmücken.

Yves, Grace and David

Veronica B. Vallenes’ Modedesign scheint eigentlich das Gegenteil von Kostümdesign zu sein, welches weder kreative noch praktische

Grenzen kennt. Ihre Mode ist schlicht und sehr tragbar. Einzig das Spiel mit der Silhouette hat sie vom Kostümdesign übernommen und die beliebten Drapierungen möglicherweise vom römischen Theater. Veronica spielt mit den Formen und kombiniert weite mit femininen Schnitten, die anmutig die weibliche Figur umschmeicheln. ‹Ich balanciere zwischen elegant, feminin, edgy und cool. Ich spiele dabei die Extravaganz des Kostümdesigns herunter und konzentriere mich auf cleane, einfache Linien und die Qualität der Materialien›, lautet ihre Design-Devise. Die geraden und klaren Linien, die ihre Handschrift prägen, sind typisch für skandinavisches Design. In ihren Kollektionen sind unterschiedliche weibliche Ideale vergangener Dekaden auszumachen. Ob sie die naive Hausfrau der 50er-Jahre mit der Powerfrau der 80er oder den eleganten Ladylook der 70er und

Der Mix aus Vintage und exotischen Inspirationen lässt immer wieder eine gewisse Nähe zu Yves Saint Laurents Frauentyp aufkommen. 80er mit dem Tierleben Afrikas vereint − stets ergeben sich klassische Formspiele daraus. Etwa in Form von hüfthohen Zigarettenhosen und Shorts, Capes mit Kapuzen, Schlauchkleidern und -röcken, Fledermausärmeln, Bustiers, Mänteln mit ausgeprägten Schulterpartien, Turbanen, Haremshosen und Overalls. Der Mix aus Vintage und exotischen Inspirationen lässt immer wieder eine gewisse Nähe zu Yves Saint Laurents Frauentyp aufkommen − gespickt mit den maskulinen Schnitten und Schulterpolstern 65

einer Grace Jones und einem Hauch Twin PeaksCoolness. Die klaren und weiten Schnitte sowie die sorgfältigen Drapierungen sorgen in Kombination mit abwechslungsreichen Stoffen wie Samt, Satin, Seide und Baumwolle für ein eigenes Erscheinungsbild. Die Farbpalette ist ebenso unaufgeregt und tragbar wie die Mode. Sie bewegt sich im Pastellbereich mit einer besonderen Vorliebe für Grau, Nude und Rosa sowie dominantem Schwarz und Weiss.

Oh Land, Anywho and Bjørg

Schon zwei Kollektionen zeigte Vallenes an der Copenhagen Fashion Week. Seither wird sie neben der Dänin Stine Goya als Highlight der dänischen Modewochen gefeiert. Besonders ihre Herbst- / Winterkollektion 2011 stiess auf internationales Echo, das über zahlreiche Blogs bis zur Vogue hallte. Ihre schlichten Designs schmückte sie in der jüngsten Show mit auffälligem Edelsteinschmuck und Armspangen des norwegischen Labels Bjørg. Ein weiteres Geschick der Designerin ist es nämlich, sich ein kunstsinniges Netzwerk aufzubauen. Für ihre bezaubernden Lookbooks arbeitet sie etwa mit dem jungen, aufstrebenden Fotografen Thomas Skou zusammen und produziert auch kleine Lookbook-Videos. Einen musischen Kuss hauchten ihrem Label die jungen Musikerinnen Oh Land aus Dänemark und Annie aus Norwegen ein, die Vallenes für die Bühne einkleidete. Und auch mit dänischen Bloggern arbeitet sie zusammen. Diese verhalfen ihr wiederum zu Aufmerksamkeit über die Landesgrenzen hinweg. Egal wo Veronica ihre Fäden spannt: Die Kollaborationspartner sind trefflich ausgesucht und gehören auch zu unseren Lieblingen. Im Interview erzählte uns die Designerin von ihrer Heimat, fremden Ländern und wie sie dank des Internets Landesgrenzen überschreitet.


‹Midnight Dream›

Interview kinki magazin: Welche Länder, Kulturen und Zeiten beeinflussen deine Mode? Veronica B. Vallenes: Exotische Länder wie Afrika, Japan, und Ägypten inspirieren mich häufig. Ich mag es, ihre traditionelle Kleidungsart zu studieren und dann Referenzen in meinem Design zu verwenden. Auch die wunderschöne Riviera in Frankreich und Italien liefert Anregungen. Ich verbringe viel Zeit damit, die Geschichte der Mode zu durchkämmen und kombiniere dann beispielsweise die 20er, den eleganten Ladylook der späten 70er und frühen 80er-Jahre mit heutiger Mode. Wie steht es im Moment um die norwegische Modeszene? Ich spüre, dass sich in der Industrie etwas tun wird. Hoffentlich werden wir einige neue Brands mit starken Designerprofilen heranwachsen sehen. Aber im Vergleich zu Dänemark und Schweden haben wir noch einen langen Weg vor uns. Was für eine Beziehung hast du zu Dänemark? Ich liebe Kopenhagen und habe die letzten sechs Jahre hier gelebt. Die Stadt hatte einen grossen Einfluss auf meine Arbeit. Wo hältst du dich gerne auf und wo reist du gerne hin? Ich bin gerne in Kopenhagen, aber auch in unserem Sommerhaus auf einer Insel in Norkinki mode

wegen, umringt von Bergen und dem Meer – das gibt mir Frieden. Ich gehe nächste Woche nach Capri in Italien, es ist unglaublich schön dort. Generell wünschte ich mir, mehr Zeit zum Reisen zu haben, es ist so inspirierend, neuen Menschen und Kulturen zu begegnen. Du arbeitest viel mit Bloggern zusammen. Sind sie zugänglicher als Journalisten? Blogger sind sehr wichtig für mich, Blogs sind sehr wirkungsvoll und erreichen viele Leute weltweit. Am wichtigsten finde ich jedoch, dass ich dadurch in Kontakt mit den Trägerinnen meiner Mode treten und hoffentlich eine persönliche Beziehung zu ihnen aufbauen kann. Welchen Einfluss hatte dieses ganze BloggerPhänomen auf dein Label? Blogger hatten einen enormen Einfluss auf meine Arbeit. Ich wurde von den zwei bekanntesten Bloggern Dänemarks − Anywho und Afashiontale − entdeckt. Plötzlich wurde mein Label über Blogs aus der ganzen Welt gestreut. Auf diese Weise entdeckten auch aufregende Magazine und Käufer meinen Brand. Ich verdanke den Bloggern also sehr viel. Wie wichtig ist das Internet für deine Arbeit und für dich persönlich? Das Internet ist sehr wichtig für mich. Ich nutze es intensiv für meine Arbeit, um Wissen über Kulturen, Länder, Musik, Künstler, Designer und Geschichte zu erlangen. Wo produzierst du deine Kollektionen und wie 66

läuft der ganze Designprozess ab? Der Designprozess ist sehr wichtig für mich. Ich liebe es, mit den Stoffen zu arbeiten, qualitatives Material zu finden und damit zu drapieren. Es ist aufregend, Wege zu finden und einen Style zu kreieren, der clean und einfach, aber immer noch wunderschön ist und etwas Neuartiges hat. Erst kreiere ich selbst ein Sample, dann wird es in Portugal reproduziert. Welche Aspekte des Kostümdesigns vermisst du, wenn du Mode designst? Ich vermisse es, mit all den kreativen Personen zu arbeiten, etwa dem Kollektiv Loop Loop Loop oder mit meiner Schwester. Immer gab es neue Projekte, ein neues Gefühl oder einen anderen Ausdruck, der visualisiert werden sollte. Man musste auf bestimmte Orte eingehen oder kurzfristig etwas erschaffen. Das war sehr aufregend. Ich liebe es, spontan zu sein. In welchen Momenten spielt Mode keine Rolle in deinem Leben? Das ist eine schwierige Frage, weil meine Arbeit so wichtig für mich ist und ich immer und überall nach Inspirationen Ausschau halte, sogar unbewusst. Und auch die Sachen, die ich in meiner Freizeit mache, inspirieren mich, ob das nun die Leute sind, die ich treffe, die Konzerte und Ausstellungen, die ich besuche, oder die Reisen, die ich unternehme. Alle Fotos stammen aus der aktuellen Frühjahrs- / Sommerkollektion der Designerin. Weitere Info findest du unter veronicabvallenes.com.



lieblingslieder jedem das seine

Der selbstständige Journalist, Buchautor und Musikblogger David Bauer bringt Wörter in die richtige Reihenfolge, wie er selber sagt. Als Mitbegründer des Online Musikmagazins 78s hat er zudem definitiv eine Ahnung davon, wie man eine gute Playlist zusammenstellt. Darum haben wir ihn gebeten, für uns seine zehn allerliebsten Tracks mit Worten zu kommentieren. Jeff Buckley ‹Morning Theft›

Zerbrechlich, roh, ergreifend. Das ist der Song, mit dem ich mir Jeff Buckley am liebsten in Erinnerung halte. ‹Morning Theft› ist das herausragende Stück der ohnehin grossartigen Sammlung von Songskizzen, an denen Buckley kurz vor seinem Tod gearbeitet hatte. Es soll mir bloss niemand mehr mit ‹Halleluja› kommen.

Elbow ‹One Day Like This›

Elbow begleiten mich seit ihrem ersten Album vor zehn Jahren und sind seitdem in meinem sich wandelnden Musikgeschmack die vielleicht zuverlässigste Konstante geblieben. Sie schaffen es, Popmelodien auf die Essenz zu reduzieren und dann orchestral gross in die Welt zu schicken. In Vollendung zu hören bei ‹One Day Like This›.

Vidulgi Ooyoo ‹Goodnight Sunshine›

Post Rock aus Südkorea. Irgendwann einmal rein zufällig entdeckt, seitdem auf Heavy Rotation. Eine Hymne voller Spannung und schlichter Schönheit.

Lena Fennell ‹Easy Loving›

Wunderbar dreist, einen solch düsteren Text in eine derart schöne Melodie zu verpacken, mit bezaubernder Stimme zu singen und das ganze noch ‹Easy Loving› zu nennen. Ich liebe diesen Song. Und die Sängerin gleich mit.

Findet die richtigen Worte für seine Lieblingslieder: Der Autor, Blogger und Journalist David Bauer kommentierte für uns seine ganz persönlichen Top 10.

Explosions In The Sky ‹Yasmin The Light›

losgelassen hat. Erinnert mich entfernt an Thom Yorkes Solowerk: reduziert, hypnotisch, neue Klangwelten erforschend.

Zehn Lieblingssongs zu benennen, ist eine süsse Qual. Eine echte Tortur aber ist es, aus dem Gesamtwerk meiner liebsten Post Rock Band einen Liebling zu küren. ‹Yasmin The Light› steht darum bloss stellvertretend für die meisterhafte Gabe von Explosions In The Sky, Melodien zu Kunstwerken von unglaublicher atmosphärischer Dichte zu formen.

The National ‹Runaway›

M83 ‹We Own The Sky›

Stadtpark Hamburg, ein heisser Sommerabend, ich frisch verliebt, The National eröffnen ihr Konzert mit dem Song, dem ich am meisten entgegen gefiebert habe. Nach dem Konzert im See nebenan nackt baden, triefend nass in die U-Bahn steigen und zurück ins Fünfsternehotel.

Ein Stück Musik, das jenseits von Zeit und Raum in einem entrückten Klangkosmos schwebt. James Blake war der erste neue Künstler seit langem, der mich sofort in seinen Bann gezogen und danach nicht mehr

kinki lieblingslieder

Die wahnwitzigsten 10 Minuten Schweizer Musik, die mir in den letzten Jahren untergekommen sind. Schlicht grandios.

Einer dieser Songs, die man nicht unbedingt gut finden möchte, denen man sich aber einfach nicht erwehren kann. Auf eigenartige Weise vereinen sich Coldplays Opulenz und Jay-Zs Nonchalance zu einem unglaublich hartnäckigen Ohrwurm. Seit letztem Sommer in meine Erinnerung eingebrannt als Soundtrack für kurvige Fahrten im Cinquecento entlang den Küsten Sardiniens.

Kid Ikarus ‹White Chapel Hill›

James Blake ‹The Wilhelm Scream›

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Coldplay feat. Jay-Z ‹Lost +›

Der ideale Stimmungsaufheller und Motivator. Immer wieder gerne und sehr erfolgreich eingesetzt, um in Schwung zu kommen. Der Klang gewordene Aufruf: ‹Get excited and make things!› Text: Antonio Haefeli , Foto: Tabea Hüberli


N°1 Edition Tour feat.

L e s Y e u x S a n s V i s a g e 14.05.2011 Stickerei / St.Gallen DJs Friends with Displays 21:00 Uhr 19.05.2011 DJs Mercury

Les Amis Wohnzimmer / Bern 21:00 Uhr

02.06.2011 DJs Der schlechte Einfluss

Südpol / Luzern 21:00 Uhr

09.06.2011 La Catrina / Zürich DJ Mahu / abbruchhaus.net 21:00 Uhr

kinkimag.ch

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Lonesome Rider

Der Schritt von der Galerie zur B端hne? Kein Problem f端r das Z端rcher Multitalent Tom Huber.

kinki musik

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Musik für Bilder? Bilder für Musik? So genau weiss der Fotograf, Künstler und Musiker Tom Huber auch nicht, wie das mit seiner Kreativität eigentlich läuft. Klar ist aber, dass er mit seinen Songs und Fotografien auf mysteriöse Art und Weise Bilder erzeugt, die es so eigentlich gar nicht gibt. Text und Interview: Antonio Haefeli, Foto: Promo

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m das Schaffen des Zürcher Kreativkopfs Tom Huber zu verstehen, lohnt es sich, ein paar Jahre zurückzuschauen. Denn auch wenn er sich heute in erster Linie als Musiker sieht, schlug er mit seinen Fotografien und Illustrationen vor vier Jahren erst einmal eine Karriere als erfolgreicher Künstler ein – ohne dies irgendwie geplant zu haben, wie er heute sagt. Huber verarbeitet die Eindrücke seiner Umwelt zu einem mysteriösen Sammelsurium aus Gegensätzen und vermeintlichen Widersprüchen. Eine Gruppe scheuer Rehe starrt zielgerichtet in seine Kamera, in harmonischer Choreografie stehen sie im nebligen Wald, wie auf frischer Tat ertappt. Oder eine Eule mit grimmigen Zähnen und nacktem menschlichen Körper verrenkt sich auf Baumwipfeln. Tom Huber arrangiert, komponiert und sieht gleichzeitig das irritierende Moment im Natürlichen, Realen.

‹Damals dachte ich noch, ich werde Künstler, hatte aber nie ein reales Bild davon, was das heisst.› In seinen Fotografien und Illustrationen stehen immer wieder Menschen und Tiere im Vordergrund − jedoch auf ganz unterschiedliche Weise: ‹Wenn ich ein Tier auswähle, um es zu fotografieren, dann befindet es sich meistens in einem aussergewöhnlichen Moment, in dem es menschlich wirkt. Bei Menschen ist es viel klarer, was sie darstellen. Wenn ich sie fotografiere, dann suche ich jene Momente, in denen das für einmal nicht ganz offensichtlich ist.› Es sind Wunschbilder, die es so eigentlich gar nicht gibt. Dabei gehe es Huber weniger um irgendeine Aussage, sondern eher darum, mit den Bildern eine Art Attitüde zu unterstreichen, ‹eine Haltung zur eigenen Psyche›. Doch gerade als Galerien und Kunstkritiker auf ihn aufmerksam wurden und alles, wie er sagt, ‹professionell› wurde, schloss er ab, merk-

te, dass er da irgendwie gar nicht hin will. Denn noch viel intensiver als die Kunst beschäftigte ihn schon immer die Musik. Diese Umorientierung war ein längerer Prozess. Im Interview erzählt Huber, dass er in den letzen drei Jahren immer mehr zum Musiker geworden ist. ‹Damals dachte ich noch, ich werde Künstler, hatte aber nie wirklich ein reales Bild davon, was das heisst. Wenn man dabei erfolgreich ist, dann ist das zwar ziemlich angenehm und man verdient ganz gut, aber irgendwie habe ich gemerkt, dass das nicht meine Welt ist.›

‹Alles passiert einfach so.›

In der Musikwelt fühlt sich Huber offensichtlich eher zu Hause als in der Kunstszene. Für die Aufnahmen seines ersten Albums ‹Playing for the Goats›, das 2006 erschien, verwandelte er seine Wohnung kurzerhand in ein Studio und fing an, geradezu exzessiv zahlreiche Instrumente einzuspielen. So entstanden vielschichtige, teilweise irritierende Songs mit verspieltem Charme. ‹Während dieser Zeit habe ich gemerkt, dass ich, sobald ich im Atelier war, angefangen habe, an einem Synthie rumzuschrauben. Das zeigte mir, dass ich mich nur noch auf die Musik konzentrieren möchte.› In ein musikalisches Genre pressen lässt sich Tom Huber definitiv nicht. Ob Folk, Metal, Electronica, cineastische Klangwelten oder Country: seine Songs sind nur schwer einzuordnen. ‹Meine Musik muss mich selber überraschen. Country beispielsweise höre ich persönlich eigentlich sehr wenig und es erscheint mir wirklich etwas seltsam, dass relativ viel davon in meinen Songs vorkommt – das passiert irgendwie einfach so.› Die Basis der Songs bildet Hubers hervorragendes Gefühl für Melodien und Harmonien. Dem was darum herum geschieht, sind keine kreativen Grenzen gesetzt. ‹Ich könnte mir auch vorstellen, ein Techno-Album zu machen. Es müsste aber meine Handschrift tragen.› Dass ‹alles irgendwie einfach so passiert›, ist wohl genau das, was Tom Hubers Arbeiten so spannend macht und die Grenze zwischen seiner Musik und der Kunst fliessend erscheinen lässt – zumindest für Aussenstehende. Denn er selbst zieht eine klare Linie zwischen 71

den beiden Disziplinen: ‹Viele meiner Bilder sind irgendwo mysteriös und das ist meine Musik auch. Von der Inspiration her ist meine Musik aber klar von der Kunst getrennt, ich selber sehe da keine Parallelen.›

Empty Roads

Mittlerweile ist bereits sein zweites Album erschienen. Wie auch ‹Playing for the Goats› klingt ‹Walk through Elko›, als sei es das Resultat kollektiver Bandarbeit, wurde jedoch wie der Vorgänger von Huber im Alleingang geschrieben, aufgenommen und arrangiert. Freundliche BanjoKlänge treffen in reduzierten Arrangements auf dramatische Gitarren und elektronische Sounds aus dem Synthesizer. Dazu Hubers dunkle, tiefe Stimme. ‹Following empty roads, no one talks, so we’re smoking›, singt er. Und es stimmt, die elf Songs auf der Platte klingen wirklich wie der Soundtrack zu einem Roadmovie, nach staubigen Strassen, die ins Nirgendwo führen. Huber selbst hat jetzt ein Ziel: Anders als bei der Kunst scheint er sich mit dem zunehmenden Erfolg seiner Musik wohler zu fühlen: ‹Meine Ambitionen sind nach diesem zweiten Album definitiv gestiegen. Ich bin eigentlich nicht so gut mit all dem Vermarkten und so. Aber ich versuche das jetzt alles etwas zu pushen – dafür habe ich mich jetzt sogar extra bei Facebook angemeldet›, sagt er grinsend, zieht an seiner Zigarette und blinzelt in die Abendsonne. Weitere Info zu Tim Hubers Musik und Kunst findest du unter d-e-s-a-s-t-e-r.ch/huber und myspace.ch/tomhubermusic.


vorspiel musiker erklären ihre songs

Space Ranger: What About The Magnetic Fields? 01 ‹Phase Fever›

‹Phase Fever› hat eingängige Rhythmen und soll der smoothe Anfang für die Reise durch unsere 80er Clubmusik sein.

Remix für Aromabar gemacht und er erscheint jetzt erstmals auf Platte. In dem Lied geht es darum, dass es leicht ist zu sagen, alles wäre okay, anstatt ehrlich zu sein und Dinge so zu sehen und auszusprechen, wie sie manchmal wirklich sind.

02 ‹Nightmoves› feat. Captn K

08 ‹Shave me I’m famous› (Ajello’s Vocal Edit)

03 ‹Herbal Cake (The Revenge Rubdown)›

09 ‹Music›

Ursprünglich war ‹Nightmoves› instrumental. Dann hörte Rino das Album von Captn K und fand es so gut, dass er ihn kontaktierte, ihm ‹Nightmoves› schickte und der es dann einfach mal besang. Die Zusammenarbeit war spitze. Der Junge denkt doch wirklich, dass er nicht singen kann! Wir haben aber seine Stimme bewusst so gelassen, wie sie ist: roh und ehrlich.

Uns ist es ehrlich gesagt wichtiger, ein schönes Album zu machen, als nur auf Teufel komm raus eigene Produktionen zu präsentieren. Deswegen ist dieser Remix auch mit von der Partie. Weil wir ihn einfach gut finden und er auf die Platte passt.

04 ‹Can Espartaret›

Fassen wir das Lied mal so zusammen: Evangelis trifft Alan Parsons Project und Claudja Berry am Strand auf Ibiza beim Lagerfeuer und alle nehmen LSD. Dann kommt noch David Gilmour von Pink Floyd mit seinem Duftsäckchen aus der Schweiz vorbei. Wichtig: der virtuelle Panflötenpart.

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ufgrund ihrer Vorliebe für balearische Rhythmen und – wie die Space Ranger ihre Musik selbst beschreiben – ‹discoiden Italo-Electro› der 80er hört sich das Produzententrio nicht unbedingt so an, als würde es aus Süddeutschland kommen. Ganz im Gegenteil, ihre Musik erinnert an Sommer und Meer. Vielleicht wird sie gerade deshalb nicht nur hierzulande, sondern auch in südeuropäischen Clubs wie etwa in Madrid fleissig gefeiert. Dass die Musik der drei Stuttgarter das Flair der sonnigen Mittelmeerinsel Ibiza atmet, ist kaum zu überhören. Sicherlich auch ein Grund dafür, warum Südländer das Temperament dieser Rhythmen lieben. kinki vorspiel

05 ‹Plastic Romance› feat. Captn K

Es hatte so viel Spass gemacht, mit Captn K an ‹Nightmoves› zu arbeiten, dass wir unbedingt noch mal ein Stück mit ihm produzieren wollten. ‹Plastic Romance› haben wir extra für ihn gemacht. Heraus kam so was wie ein Soundtrack zu dem Film ‹Weird Science› aus den 80ern.

Ihre Musik definieren Rino, Flo und Felix als ‹guten klassischen Altherren-Italo-Electro aus den 80ern. Das hören wir selbst gerne und deswegen nehmen wir eben auch solche Musik auf – und lassen dabei die Kirche im Dorf!› Denn ihre Musik soll in erster Linie Spass machen und ‹zum Feiern taugen›. Dass ihnen dies glänzend gelingt, zeigt ihr erstes Album ‹What About the Magnetic Fields?›. Hier richtet das Trio sein Augenmerk definitiv mehr auf tanzbare Rhythmen als auf tiefschürfende Liedtexte. Auf den Mund gefallen sind die Jungs trotzdem nicht. Das beweisen uns die DJs, indem sie uns sprachgewandt und detailverliebt die Tracks auf ihrem neuen Album erklären.

06 ‹Superstring› (Rayko Remix)

Gestatten: die Diesellok des Albums. Der Beat geht besonders gut am frühen oder späten Abend und selbst zu wilder Stunde hält sie einfach den Takt der Menge konstant. Nennen wir es einfach das Schweizer Messer des Albums, die AK47, das Aspirin, der Käfer – er läuft und läuft und läuft und läuft.

07 ‹Nothing’s Wrong› feat. Aromabar & Pollard Berrier

Streng genommen liegen hier die Grundbausteine unseres Albums. 2007 haben wir den

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Ibiza, die Zweite: Wer Ibiza kennt, kennt auch die ‹Fuck me, I’m famous›-Partys. Daraus entstand dann beim morgendlichen Bartstutzen aus Spass ‹Shave me›. Bei dem Song schieden sich unsere Geister: instrumental oder nicht, das war die Frage. Denn wie Ajello ‹shave me, I’m famo-u-s› ins Mikrofon haucht, fanden wir schon hart. Aber jetzt gefällt es uns allen!

Das Lied entstand direkt nach einer durchfeierten Nacht und ist quasi aus der nächtlichen Hydrokultur herausgewachsen – also Disco Club pur!

10 ‹Superstring›

Der Klassiker! Oder nennen wir es ‹die Antimaterie des magnetischen Feldes›. Wenn das Album eine Band wäre, ‹Superstring› wäre die Frontfrau.

11 ‹Shave me, I’m famous›

Das Original, das an einem lauen Sommernachmittag unter der Sonne Ibizas entstand. Wenn die einzelnen Lieder des Albums Zutaten für ein Brot wären – der Track wäre sicherlich die Hefe.

12 ‹Galactic Spice›

Bei diesem Lied singen wir sogar selber! Wer genau zuhört, kann uns auf der Talkbox ‹stars and planets dancing through the night› singen hören. Rudolf Steiner hat das Buch ‹Wie erlangt man Erkenntnisse über höhere Welten?› geschrieben – wir haben hier sozusagen das Intro dazu gemacht.

Space Ranger – ‹What about the Magnetic Fields?› (Lovemonk) ist bereits erschienen. Das Vorspiel-Album gibt es auf kinkimag.ch fortan monatlich zum Hören, Abschweifen und sogar zum Herunterladen − die Schnellsten unter euch können jeden Monat Gratis-Downloads ergattern. Text: Franziska von Stieglitz Foto: Werner Pawlok



Die Sonne über Reykjavík In Sachen Musik kennen sie keine Grenzen. Das kunterbunte Isländer Künstlerkollektiv Retro Stefson bastelt an funkigen Beats, luftigem Dancesound und schiebt hier und da Hip-Hopoder Electro-Elemente zwischen die Zeilen. Ein heilloses Durcheinander. Aber ein äusserst interessantes. Text und Interview: Katja Fässler, Foto: Promo

Vom Gangster Rap über afrikanischen Jazz zur World Music – und das alles von Finnland aus. Retro Stefson mit Frontmann Unnstein (vorne rechts).

kinki musik

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nnstein Manuel Steffánson gibt sich sehr selbstbewusst, wenn man sich mit ihm über das musikalische Schaffen seiner Band Retro Stefson unterhält. Warum auch nicht? Die siebenköpfige Truppe aus Island gilt als Geheimtipp des Jahres und wird dafür gefeiert, dem angestaubten Begriff ‹Weltmusik› eine völlig neue Bedeutung beizumessen. Dass zu viele Köche den Brei verderben, ist zwar eine geläufige Vermutung, die aber im Fall von Retro Stefson nicht bestätigt werden kann. Das neue Album ‹Kimbabwe›, das vor Kurzem erschienen ist, ist eine Ansammlung unterschiedlicher musikalischer Stilrichtungen, die aber ganzheitlich dem Afrika-Motto folgen und sich alles in allem ziemlich cool anhören. Dennoch erregen die sieben Isländer, die das Wort Multikulti geradezu verkörpern und zugleich ein einträchtiges Gesamtbild repräsentieren möchten, auch Skepsis. Ihre Musik, so originell sie sein mag, ist zu Anfang eben sehr gewöhnungsbedürftig, genau deshalb aber vermutlich auch so reizvoll und unkonventionell. Wir unterhielten uns mit Unnstein Manuel Steffánson über Musik, Lebensgefühl, Island und Afrika.

Interview kinki magazin: Unnstein, eure Musik löst bei mir richtiges Open Air Feeling aus! Plant ihr irgendwann an ein Schweizer Open Air zu kommen? Unnstein Manuel Steffánson: Hoffentlich! Ich weiss aber nicht, ob bereits etwas im Kalender steht. Sicher ist, dass wir nach Österreich fahren werden. Aber soviel ich weiss, ist auch die Schweiz vorgesehen. Man lobt euch ja ständig für eure vielseitige Musik. Ihr selbst scheint mir aber auch ein ganz schön bunt zusammengewürfelter Haufen zu sein. Wo habt ihr euch denn kennengelernt? Da wären zum einen mein Bruder Logi und ich. Die anderen haben wir alle im Kindergarten oder in der Grundschule kennengelernt. Einige von der Band kenne ich sogar schon, seit ich drei Jahre alt bin! Ihr wart alle zusammen im Kindergarten? Und seit wann macht ihr gemeinsam Musik? Seit zehn Jahren! Also so richtig ernsthaft haben wir erst vor fünf oder sechs Jahren begonnen. Vor zehn Jahren gründeten wir eine Hip-Hop-Band. Das war aber mehr so als Scherz gedacht. Ihr habt euch Diabolo genannt, richtig? Genau! Unsere Mütter fanden das gar nicht toll (lacht). Wir machten so richtigen Gangster Rap! Und jetzt geht ihr in eine völlig andere Richtung: Ihr produziert afrikanisch angehauchte Musik. Wie kam es dazu? Naja, ich bin halb Afrikaner. Geboren wurde ich in Portugal, meine Mutter kommt von Angola und mein Vater ist Isländer.

Dann war dieser Afrika-Style also eine Eingebung deinerseits? Das kam, als ich ein Teenager war. Ich hab angefangen Jazz-Musik zu hören und hab mich immer gefragt, wie wohl afrikanischer Jazz klingen würde. Ich interessierte mich sehr für Fela Kuti und überhaupt für die ganze Afrobeat-Szene. Das war meine Inspiration. Und die anderen Mitglieder der Band fanden das ebenso inspirierend? Ist es nicht schwer, bei all den Stilrichtungen, die ihr in eurer Musik mischt, einen gemeinsamen Nenner zu finden? Ja schon, wir sind nicht immer gleich einer Meinung. Manchmal wenn ich eine Idee bringe, gibt es mindestens eine Person, die sofort protestiert. Meistens ist es mein Bruder. Aber das gehört halt dazu. Wenn jemand von uns total überzeugt von einer Idee ist, dann wird sie einfach gepusht und gepusht – so lange bis die anderen sie akzeptieren. Zum Beispiel die tiefen Stimmen bei ‹Kimba›, unserer ersten EP des neuen Albums. Die Idee mochte am Anfang niemand, doch irgendwann waren alle davon überzeugt. Generell kann man sagen, dass wenn wir Songs produzieren, wir nie den Mittelweg, sondern immer den radikalsten einschlagen. Wie alt seid ihr eigentlich? Wir sind alle 20, ausser mein Bruder, der ist 19. Die meisten von uns haben das College abgeschlossen, das ist in Island normal mit 20. Einer von uns absolviert gerade seine letzte Deutschklasse und mein Bruder macht bald ein Online-Diplom. Ihm war die Musik bis jetzt wichtiger. Und der Rest von euch? Ist Musik euer ein und alles oder gibt’s da noch eine zweite Liebe? Ich liebe Filme und das Filmemachen. Doch daraus entstand eine Hassliebe, als all diese neuen technischen Effekte in Mode kamen. Ich habe aufgehört zu filmen, versuchte wieder anzufangen, aber es war einfach zu viel für mich. Jetzt mache ich einfach noch simplen Kram mit der Kamera. Unser Drummer zeichnet viel, er hat auch die Kunstschule abgeschlossen. Haraldur hat in dem Teenager Drama ‹Órói› mitgespielt. Er kommt aus einer Schauspielerfamilie. Fortbjörk ist das einzige Mädchen in der Band. Ist es für sie manchmal schwer, mit euch Jungs klarzukommen? Sie hat drei Brüder. Deshalb weiss sie, wie es ist, das einzige Mädchen zu sein. Wir machen normalerweise auch nur kleine Reisen für unsere Gigs, so übers Wochenende. Aber unsere erste richtige Tour hat zwei Wochen gedauert. Da hat sie begriffen, dass es tatsächlich nicht immer einfach ist, das einzige Mädchen zu sein. Also haben wir uns angewöhnt, grosse Appartements zu buchen. So findet jeder auch mal Zeit für sich selber. Was war die Grundidee als ihr Retro Stefson gegründet habt? Grundidee ist wohl fast ein bischen zu viel gesagt. Es gab da diese Sound Competition in 75

Island. Wenn man da gewinnt, darf man in eine grosse isländische Tanzschule eintreten. Eine Schule mit etwa 5 000 Kids! Also hab ich mir meine Crew zusammengetrommelt und wir nahmen am Wettbewerb teil. Wir haben zwar nicht gewonnen, aber unsere Musik durften wir trotzdem weiterspielen, weil die Jury uns so sehr liebte.

‹Wir möchten vor allem erstmal, dass die Europäer uns hören.› Was sind die Hauptunterschiede zwischen eurem Debüt ‹Montagna› und eurem neuen Album? Das Feeling ist dasselbe. Die Soundqualität ist beim ersten Album nicht allzu gut. Ich denke, die Songs vom neuen Album sind viel spezieller. Hattet ihr andere technische Möglichkeiten? Nun, das erste Album haben wir analog auf Tape aufgenommen. Das war aber eigentlich ganz cool für uns. Man sieht, dass nicht bloss ein Computer die ganze Arbeit macht. Beim neuen Album, das wir letzten Sommer aufgenommen haben, ist auch vieles drauf, was wir zu Hause aufgenommen haben. Viele junge Bands wollen die ganze Zeit ins Studio und jeden Effekt und jedes Instrument ausprobieren. Wir haben unsere Zeit im Studio begrenzt und das Beste aus den Möglichkeiten herausgeholt. Dafür, dass ihr euch begrenzt habt, sind aber ganz schön viele Soundvarietäten herausgekommen. Welchen Musikstil bevorzugst du denn? Für mich selbst produziere ich am liebsten House und Techno. Es macht mir Spass, mit den Bass Drums herumzuspielen. In der Band machen wir auch viel Dance Music, aber halt als Band, was wieder ganz anders klingt. Eure Arbeit wird oft als Weltmusik betitelt. Würdest du das auch so nennen? Nein. Es ist eben so: Da ist eine Band aus Island, die sehr international aussieht und die einen Sound spielt, den man so bisher vielleicht noch nie gehört hat. Also ist es am einfachsten, es Weltmusik zu nennen. Ich bezeichne es, wie gesagt, lieber als Dance Music – mit vielen Variationen. Und mit all diesen Variationen wollt ihr möglichst viele Leute erreichen? Oder was sind eure Zukunftspläne? Wir möchten vor allem erstmal, dass die Europäer uns hören. Aber wir sorgen uns nicht allzu sehr um die Zukunft. Wir geniessen das, was wir jetzt haben. Weitere Info findest du unter retrostefson.com.


verhör essentielle alben für jede lebenslage

Musikalische Grenzen dienen nur einem einzigen Zweck: Sie möchten und sollen gebrochen werden. Das bedeutet nicht nur, dass heutzutage House-DJs auch Gitarre spielen dürfen und hartgesottene Punker auch eine Harfe im Reisegepäck führen. Nein, auch unser Reviewnator schöpft bei seiner Auswahl aus der vollen Bandbreite. Einziger Nachteil: schwerfällige Wortschöpfungen wie ‹Disko-Folk-Elektrofunk-Remix› oder ‹70s-Italo-Poprock-meets-New Wave-House› werden leider unverzichtbar. Aber was soll’s, Hauptsache wir verstehen uns. Auch über die Grenzen hinweg. Lockere Familienbande

Family of the Year – Our Songbook Nach maximal zwei Liedern der Platte ‹Our Songbook› hat man das Adoptionsgesuch im Kopf schon komplett ausgefüllt. Zu gern wäre man Teil der Family of the Year. Die Gefahr von nervigen Auseinandersetzungen oder rotierenden Eitelkeiten kann man sich bei der kalifornischen Truppe beim besten Willen nicht vorstellen. Zu harmonisch wirkt der Stil der Band, die mit Hippie Sounds und Anleihen der späten Beatles einen entspannten Sound mixen. Klar ist die Heimat der Band Kalifornien, die Geburtsstätte des Flower Power. Doch damit gehen einem die Stereotypen auch schon aus. Nach der ersten EP ‹Where’s the Sun› und dem kurz danach folgenden LP-Debüt ‹Songbook› aus dem Jahr 2009 klingen die fünf Mitglieder der Band auf der neuen Scheibe nun noch relaxter. Im Unterschied zu vielen anderen kalifornischen Bands, geht Family of the Year locker mit kinki verhör

gefangen oder angekotzt vom Rest der Band sind wohl die drei gängigsten Diagnosen bei Musikern, die die Musik irgendwann nur noch als reinen Gnadenbroterwerb betreiben. Das Gegenteil solch trauriger Gestalten trägt den Namen Chikinki. Mit der neuen Platte ‹Bitten› – der deutsche Titel ist der kurzzeitigen Wahlheimat Berlin geschuldet – melden sich die Briten krachend zurück. Was als quirlige Elektroband mit Brit-Pop-Einschlag in Bristol 1997 begann, ist 2011 noch lange nicht Geschichte. Zum bekannten Einsatz, der immer noch stets leicht neben der Spur wirkenden Orgel, gesellen sich mehr denn je rhythmische Grooves, die man seit den Tagen der Sneaker Pimps nicht treibender im Ohr hatte. Daneben beweist die Band mit Tracks wie ‹Tram Love› oder ‹Into the Night›, dass sie nun sogar etwas mit elektronischen Balladen anfangen kann. Bevor hier aber der Verdacht der sich doch abzeichnenden Altersdemenz aufkommt, biegt die Band bei den restlichen Stücken schnell wieder zum Dancefloor ab. Die Kernkompetenz liegt noch immer bei smarten Breaks und ausladenden Synthesizer-Melodien. Glücklicherweise hat auch die Stimme von Frontmann Rupert Browne nicht an Kraft verloren. Aufgenommen wurde die Scheibe im Studio von Ed East, dem Gitarristen der Band, dessen forderndes Power-Spiel ‹Bitten› noch jede Menge an Retro-Rock beschert. Was will man mehr!

dem musikalischen Erbe um. Hier sind keine Fundis am Werk, für die die Musikevolution irgendwann in den 70er-Jahren abgeschlossen ist. Neue Einflüsse werden nicht als Blasphemie gebrandmarkt, sondern als zusätzliche Elemente eingebaut. So klingt die Gitarre in vielen Stücken eben doch etwas härter und die Orgel rhythmischer, als man dies vom Sound der damaligen Jahre gewohnt ist. Den Zeitgeist haben die fünf Musiker mit Songs wie ‹The Princess & the Pea› oder ‹Summergirl› nicht unbedingt im Sinn. Dennoch könnten Stücke wie ‹Psyche or like Scope› oder ‹The Barn› ohne Probleme auch als heisse neue Single von MGMT durchgehen. Lieder, die uns hoffentlich auf vielen Festivals in diesem Sommer wieder begegnen werden!

Die Benjamin Buttons der Disko

Chikinki – Bitten Bands, die nach fast 15 Jahren noch immer existieren, sind ja oft ganz schön langweilig. Ausgebrannt vom Touren, künstlerisch im Loop 76

Die neue Restless Legs Kollektion ist da!

V.A. – Body Language Volume 10 Wer in der letzten Zeit wenig im Club unterwegs war, kann durch ‹Body Language Volume 10› ab sofort trotzdem problemlos mitreden. So braucht es nur einen Durchlauf der neuesten Extraktion aus dem Hause Get Physical und schon ist man wieder auf dem neuesten Stand in Sachen Clubmusik. Bereits seit sechs Jahren funktionieren die Sampler als Momentaufnahme der internationalen Elektronikszene. Zusammengestellt werden sie jeweils von absoluten Grössen der Plattenwender-Zunft. So durften sich unter anderen bereits DJ Hell oder DJ T hier austoben. Mit Ausgabe 10 schliesst sich aber erst einmal dieser Kreis. In Gestalt von M.A.N.D.Y. kommen nun wieder die Musiker zum Zug, mit denen alles anfing. Hinter dem Projekt stehen Philipp Jung und Patrick Bodmer, zwei für die nächste Dekade ausgebuchte DJs und zudem Mitbegründer des elektronischen Deluxe-Labels Get Physical. Klar


also, dass der Tech-House in den 21 Stücken dominiert. Daneben ist der Plattenteller noch mit Downtempo, Detroit Elektro und Disco mehr als reichlich gedeckt. Im Tracklisting vermisst man bei Namen wie DJ Koze, Extrawelt oder auch Brendon Moeller kaum einen aktuellen DJ der elektronischen Beletage. Speziell DJ Koze wird seinem Ruf mit ‹Der Wallach› als extravaganter Plattenverdreher schon beängstigend routiniert gerecht. Sind die gewählten Jazztunes im Lied bereits exzentrisch genug, erhalten sie mit dem eigenartigen Arrangement noch eine zusätzlich verstörende Note. Dass der Song direkt nach den düsteren technoiden Sounds von Brendon Moeller folgt, zeigt zudem den gelungenen Aufbau der CD. Tracks wie ‹To Insanity and Beyond› von Patrick Bäumel und ‹Conscious Movement› von Harada stehen wiederum stellvertretend für eine Vielzahl von Stücken, die knapp am Betäubungsmittelgesetz vorbeischrammen – so hypnotisch und euphorisierend sind die Beats. Einziges Manko auf dem Sampler ist maximal der Track ‹Home› von M.A.N.D.Y. höchstpersönlich. Zwar

da sie überwiegend vom Andenken an verstorbene Weggefährten handeln. Harvey ist in den vergangenen Jahren durch schwere Zeiten gegangen und musste gleich von mehreren engen Freunden Abschied nehmen. So wird man beim Hören der LP Zeuge, wie der Musiker den Verlust durch Krankheit oder auch Selbstmord in allen Facetten beschreibt. Die Stille, die Trauer, die Lücken in seinem Herzen sind beklemmend spürbar. Song für Song begleitet man Harvey bei dem Versuch, den traurigen Geschehnissen einen Sinn zu geben. Ob die Katharsis gelingt oder nicht, ist dabei nebensächlich. Harvey singt in einer unmittelbaren Art über all die Fragen, die man sich in jenen dunklen Momenten stellt: Was bleibt von dem verstorbenen Menschen in einem selbst? Wie wird das Leben ohne ihn weitergehen? So ist das Album auch ein künstlerisches Zeugnis für Gedanken oder Worte, die jedem in solchen Situationen durch den Kopf gehen, meist aber unausgesprochen bleiben. Man muss dem Musiker für den Mut Respekt zollen, die eigene Verletzbarkeit so offen

geht auch dieser schnurstracks in die Beine, aber für die erste Zusammenarbeit mit den alten Bekannten von ‹Booka Shade› seit über vier Jahren fällt das Ergebnis dann doch zu erwartbar aus.

How would I leave you

Mick Harvey – Sketches from the Book of the Dead Gut vier Jahre sind vergangen seit dem letzten Soloalbum von Mick Harvey, dem ehemaligen Mitglied der Band ‹Nick Cave and the Bad Seeds›. Statt der sonst üblichen Coverversionen findet man auf der neuen Scheibe ‹Sketches from the Book of the Dead› ausschliesslich Lieder aus der eigenen Feder. Songs, die nachdenklich stimmen,

und reflektiert zu präsentieren, fernab eines billigen Seelenstriptease. Musikalisch bewegt sich Mick Harvey auf der Platte routiniert zwischen den Fixpunkten Blues und amerikanischer Folk. Auch wenn er die Platte fast komplett allein einspielte, sind zusätzlich noch weitere grossartige Musiker auf der Platte zu entdecken. Beispielsweise Xanthe Waite, der mit seinem entrückten Gesang besticht, während Rosie Westbrook am Double Bass und J.P. Shilo am Akkordeon glänzen. Wer singt nah an der Luftschutzsirene? Und wer betreibt Musik als ‹Ohrmuschel-Petting›? Wer schreibt Melodien wie ‹Folk-Kleingeld›? Tja, alles Fragen, die aufmerksame Leser unseres monatlichen Verhörs mühelos beantworten können sollten. Nicht? Dann heisst es weiterbüffeln, denn unser ‹Reviewnator› Mathias Bartsch kennt keine Gnade.

der sommer kann kommen!

Aperol Spritz ● ●

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4 cl Aperol 6–8 cl Cinzano Prosecco (oder Weisswein) 1 Spritzer Soda 1 Orangenscheibe Auf Eis servieren

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Rezept:


Die Geburt des rumänischen Pornos aus dem Geiste des Kapitalismus Dan Samsonic ist so etwas wie der Pornking Rumäniens. In einem Land, in dem noch zu Ceauşescus Zeiten selbst Kondome verboten waren, hat er den Wandel erkannt und seinen Beruf als Biolehrer hingeschmissen, um als erster rumänischer Pornoproduzent in die Geschichte einzugehen. Text und Interview: Peter Rösch, Illustration: Nadja Abanin

I

n Diktaturen gibt es keine Pornografie. Eigentlich ein merkwürdiges Phänomen. Denn warum fürchtet sich ein Regime davor, dass seine Bürger anderen Bürgern beim Sex zuschauen und dabei onanieren? Niemand startet eine Revolution, nachdem er einen Porno gesehen hat. In Rumänien kämpfte das kommunistische Regime energisch gegen jegliche Verschwendung des kostbaren männlichen Samens an. Verhütungsmittel und Abtreibungen waren untersagt, jegliche Pornografie fiel der Zensur zum Opfer. Als am 25. Dezember 1989 die Exekution des Diktatoren-Ehepaars Nicolae und Elena Ceauşescu über die Bildschirme der ganzen Welt flimmerte, begann für das Land eine neue Ära. Mit der freien Presse, den Talkshows und Actionfilmen, den bis dahin unbekannten Obstund Gemüsesorten wie etwa Brokkoli oder Ananas, den nun vollen Supermärkten und den Billiglöhne bezahlenden ausländischen Firmen kam schliesslich auch die Pornografie. Westliche Produzenten reisten, angelockt von den niedrigen Preisen, ins Land am Schwarzen Meer und filmten Ende der 90er ein paar englischsprachige Pornos mit Titeln wie ‹Dracula’s Daughter› oder ‹Kisses from Romania›. An diese ersten Gehversuche des rumänischen Pornos erinnert sich heute allerdings kaum noch jemand. Es bedurfte eines Mannes wie Dan Samsonic, damit das Genre seine volle Blüte entfalten konnte. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, Geld zu machen, erkannte er das Potenzial und schloss eine Marktlücke. 2004 produzierte er den ersten rumänischsprachigen kinki report

Porno. Heute hat er über vierzig Filme allein für den inländischen Markt realisiert. Kaum ein Rumäne, dem die Marke ‹Budoar› kein Begriff wäre. In Rumänien hat der 40-Jährige das Porno-Monopol. Dennoch mache ihm die Online-Konkurrenz zu schaffen, erzählt mir Dan, als er mich vom Hotel abholt. ‹Pornografie wird es immer geben›, sagt er, während er seinen Audi Q7 durch das vollkommen normale Bukarester Verkehrschaos manövriert. ‹Doch was früher funktioniert hat – einfach nur Frau und Mann beim Sex zu zeigen – genügt schon lange nicht mehr, um Geld zu verdienen.› Vorbei an den zum Stadtbild gehörenden streunenden Hunden laufen wir zum Restaurant ‹Caru’ cu Bere›, einer beliebten Adresse für traditionelles rumänisches Essen. Während wir unsere Bauernsuppe, wie es sich gehört, mit einer roten Chilischote und Sauerrahm geniessen, stelle ich Dan meine Fragen.

Interview kinki magazin: Wie bist du Pornoproduzent geworden, Dan? Dan Samsonic: Ich bin direkt nach der Wende mit der Schule fertig geworden, 1990. Die Revolution hat einiges geändert. Bis dahin war der Weg klar gewesen: Du gehst zur Uni und danach teilt der Staat dir eine Stelle zu. Leider habe ich den Wandel damals noch nicht begriffen und hab einfach so weitergemacht, als hätte es keine Revolution gegeben: Ich bin zur Uni und habe 78

Biologie studiert. 1995, als ich fertig war, merkte ich dann, dass das Studium Zeitverschwendung gewesen war. Denn als Biolehrer verdiente ich nicht mal vier Millionen Lei (etwa 130 Franken, Anm. d. Red.). Ich habe den Job nur sechs Monate durchhalten können und mich bald nach Alternativen umgesehen, um Geld zu machen. So bin ich schliesslich auf einigen Umwegen und einer Zwischenstation bei der rumänischen Penthouse im Pornobusiness gelandet. Wäre Ceauşescu nicht gestürzt worden, wärst du jetzt also vielleicht Biologielehrer? Ja, wahrscheinlich. Was haben die Menschen während der Diktatur denn bloss ohne Pornografie gemacht? Pornografie hiess für uns damals, uns die Unterwäsche- und Bikini-Models im Neckermann-Katalog anzuschauen. Vielleicht hatte das auch seine gute Seiten. Sexualität verliert ja sehr schnell an Reiz, wenn sie so inflationär wie heute gebraucht wird. Das mag sein, ich gehöre aber im Allgemeinen nicht zu denen, die gegenüber den Zeiten von Ceauşescu Nostalgie empfinden. Das kann ich verstehen. Kannst du uns dein Unternehmen Budoar bitte kurz vorstellen? 2004, als Budoar gegründet wurde, war die Grundidee, rumänische Pornofilme zu produzieren und diese über eine Zeitschrift zu vertreiben. Denn andere Vertriebswege wie etwa Videotheken oder Sexshops gab es damals


‹Es gibt ein Grundbedürfnis nach Pornografie.›


nicht in Rumänien. Die Zeitschrift ‹Budoar› kann man dagegen zusammen mit der DVD direkt am Kiosk kaufen. Ein weiterer Geschäftszweig sind Partys, die von Budoar organisiert werden. Darstellerinnen aus unseren Filmen treten dort in Clubs auf und inszenieren eine erotische Show. Häufig sieht man osteuropäische Pornoproduktionen, in denen mehr oder weniger korrektes Englisch gesprochen wird. Warum sind eure Filme auf Rumänisch? Wir fahren eine Nischenstrategie und konzentrieren uns auf den rumänischen Markt. Der europäische Markt ist ohnehin sehr hart umkämpft und wir versuchen da gar nicht erst zu konkurrieren. Allerdings machen wir auch Auftragsarbeiten fürs Ausland, in denen die Darsteller Englisch sprechen. Oder es zumindest versuchen. Was für Auftragsarbeiten? Hauptsächlich Fetisch-Filme. Zum Beispiel Hairy, Skinny, Uro oder Big Tits. Diese Produktionen verkaufen wir an Kunden im Ausland. Wie findet ihr eure Schauspielerinnen? Nun, gerade bei den Fetisch-Sachen ist das meist sehr schwierig. Ein Hairy-Model zu finden, bedeutet beispielsweise, eine Frau erst mal davon zu überzeugen, sich ihr Schamhaar mindestens zwei bis drei Monate wachsen zu lassen.

‹Ich bin nie mit einer Darstellerin eine Beziehung eingegangen, um die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben nicht zu überschreiten.› Ihr werbt auf eurer Homepage damit, dass heisse Oltenerinnen, Moldoweninnen und Ardeleninnen in euren Filmen mitspielen. Wie unterscheiden sich deiner Meinung nach Frauen aus diesen drei grossen Regionen Rumäniens? Sie haben definitiv ein anderes Temperament. Es fällt mir allerdings schwer, das in Worte zu fassen. Vergleichbare regionale Unterschiede wird es sicherlich auch in der Schweiz geben. Die Betonung der regionalen Herkunft einer Schauspielerin ist für uns in erster Linie eine Marketingstrategie. Im Grunde folgt ihr hierin ja dem Erfolgsrezept von Pornografie überhaupt: ‹das Mädchen von nebenan›. Darstellerinnen, die jenen Frauen sehr ähnlich sind, denen man im Alltag begegnet, üben sicherlich den grössten erotischen Reiz aus. Das stimmt. Authentizität und Glaubwürdigkeit sind sehr wichtig im Porno. Der Zuschauer muss glauben, dass der Darstellerin der Sex wirklich Spass macht. Am besten funktioniert kinki report

das natürlich, wenn dem auch wirklich so ist. Du hast Authentizität und Glaubwürdigkeit genannt. Was macht für dich sonst noch einen guten Porno aus? Es sind auch technische Aspekte, zum Beispiel die Kameraführung. Man muss allerdings sagen, dass es − auch wenn ich hohe Ansprüche an meine Arbeit stelle − meist darum geht, aus den zur Verfügung stehenden Mitteln das Beste zu machen. Eine Produktion hat ein Budget von etwa 3000 Euro, bei der Location hat man nur sehr wenige Wahlmöglichkeiten, die Darsteller haben alle keine Schauspielschule besucht, hauptsächlich wird improvisiert − das hier ist nicht Hollywood. Wie definierst du das, was du machst? Als Kunst, als Business oder als was? Für mich ist es ein Geschäft und für die Käufer wahrscheinlich Unterhaltung. Gleichzeitig ist es eine Art Grundbedürfnis, das wir durch unsere Filme befriedigen. Als ich dich gebeten habe, für ein Porträt von dir eine symbolträchtige Location auszuwählen, hast du dich für das ‹Haus des Volkes› entschieden, jenes imposante Bukarester Bauwerk, das Ceauşescu in den 80er-Jahren auf dem Höhepunkt seines Grössenwahnsinns errichten liess, während die Bevölkerung nichts zu essen hatte. Warum diese Wahl? Ich denke, das Haus des Volkes eignet sich sehr gut als Symbol für Pornografie. Nicht nur wegen des ihm innewohnenden Grössenwahnsinns. Es hat auch etwas Perverses. Du hast sicher schon viel Skurriles miterlebt. Fällt dir ein Beispiel ein? Einmal haben wir für einen Kunden im Ausland ein Feuerwerk in der Vagina einer Darstellerin losgehen lassen. Das war vielleicht etwas skurril. Insgesamt ist es aber sehr schwierig, im Porno noch etwas Aussergewöhnliches zu machen. Alles, was im Porno möglich ist, wurde bereits umgesetzt. Und wir waren da sicher nicht die ersten. Gibt es Dinge, die du aus moralischen oder anderen Gründen nicht tun würdest? Zum Beispiel Filme, in denen Gewalt propagiert wird? In solchen Filmen ist die Gewalt ja inszeniert und geschieht mit dem Einverständnis der Schauspielerinnen, deswegen finde ich das moralisch eher unbedenklich. Absolute Tabus sind für mich nur Sodomie, Inzest und Kinderpornos. Dinge, die ja auch zu recht verboten sind. 80

Warum gibt es dann noch keinen rumänischen Schwulenporno? Das liegt nicht an mir. Es gab Produktionen mit rumänischen Darstellern, allerdings nur fürs Ausland. Zwar existiert hier in Bukarest eine kleine Schwulenszene, auch mit Clubs und so, jedoch muss jemand, der sich in Rumänien öffentlich outet, nicht nur Ausgrenzung befürchten, sondern sogar Gewalt. Die Menschen sind hier gegenüber Homosexuellen nicht so aufgeschlossen wie im Westen. Gelingt es dir, deine Arbeit strikt von deinem Privat- oder gar deinem Intimleben zu trennen? Ja, ich denke schon. Es gibt viele Fälle, in denen ein Pornoproduzent mit einer Schauspielerin liiert ist. Kannst du das nachvollziehen? Ja, kann ich, ich habe auch einige Frauen beruflich kennengelernt, die mir sehr gut gefallen haben und von denen ich vielleicht mehr gewollt hätte. Ich bin einen solchen Schritt aber nie gegangen, eben gerade um diese Grenze zwischen Privat- und Berufsleben nicht zu überschreiten. Sagen wir, du wärst diesen Schritt gegangen. Hättest du dir vorstellen können, eine Szene zu produzieren, in der deine Partnerin mit einem anderen Mann Sex hat? So weit, eine ernsthafte Beziehung mit einer Darstellerin einzugehen, wäre ich wohl ohnehin nicht gegangen. Was ich zuvor gemeint habe, war eher ein sexuelles Interesse. Aber selbst das habe ich wie gesagt bewusst nicht ausgelebt. Bist du eifersüchtig? Selbstverständlich. Ich könnte nie akzeptieren, dass meine Freundin in einem Film mitspielt oder dergleichen. Ich dachte, dass sich vielleicht die eigenen sexuellen Vorstellungen ändern, wenn man so lange in diesem Beruf arbeitet. In der Pornografie existiert Treue als Wert ja überhaupt nicht. Mich hat dieser Beruf nicht geändert. Für mich ist es ein Job wie jeder andere. Weitere Info findest du unter budoarvideo.com und budoardancers.com.


JESSICA CHASTAIN BRAD PITT SEAn PeNN

EIN FILM VON TERRENCE MALICK 26. MAI IM KINO

NACH DEM BESTSELLER «DER MANDANT» VON MICHAEL CONNELLY

ascot-elite.ch


kopfkino vom umschlag bis zum abspann

Um etwas zu erleben, muss man nicht immer die Landesgrenze passieren oder sich mit hedonistischen bis bedenklichen Selbstversuchen an die eigenen Limits bringen. Manchmal reicht schon ein Blick über den eigenen Horizont hinaus – zum Beispiel hinter die folgenden Buchdeckel und auf diese ausgewählten, bewegten Bilder. Buch antipasti

Daniel Sannwald: Pluto & Charon Als wir Kinder waren, zählte Pluto noch zu den neun Planeten der Erde. Heute wird er wissenschaftlich als Zwergplanet eingeordnet. Während wissenschaftliche Normen sich änderten, blieb unsere kindliche Faszination für die unerklärlichen und unerreichbaren Himmelskörper bestehen. ‹Pluto & Charon› heisst nicht nur das aussergewöhnliche Paar aus Kleinplaneten und ihrem innersten Mond, sondern auch die erste Monografie des deutschen Fotografen Daniel Sannwald. Beide haben die mystische Ausstrahlung gemein und unsere Bewunderung ist ihnen sicher. Sannwald studierte an der Royal Academy in Antwerpen und bereichert heute von London aus Magazine wie Dazed and Confused, i-D, Vogues Hommes Japan, 032c, 10+ und das V-Magazine mit einzigartigen Editorials und seiner surrealistischen und cinematografischen Bildsprache. Im vorliegenden Buch zeigt er Arbeiten aus den vergangenen fünf Schaffensjahren, in denen er – wie das Kind die Fantasiegrenzen der Erwachsenenwelt – die Normen der Modefotografie ideenreich ausreizt. Im vorderen Teil scheint sich die dunkkinki kopfkino

auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht. So erschien 2010 sein Gemeinschaftswerk mit William S. Burroughs ‹Und die Nilpferde kochten in ihren Becken› und in diesen Tagen ‹Lebendiger Buddha› sowie ‹Mein Bruder, die See›. Dies immerhin mehr als 40 Jahre nach Kerouacs Tod. ‹Mein Bruder, die See› schrieb Kerouac 1942 im zarten Alter von 20 und es kann bezweifelt werden, dass er grosse Freude an dessen später Veröffentlichung gehabt hätte. Als Kerouac dieses Buch schrieb, war er nämlich offensichtlich weit entfernt von seinem Beat-Stil, für den er Jahre später, insbesondere durch ‹On The Road›, gefeiert wurde. Dabei handelt es sich keinesfalls um einen schlechten Roman, nur lässt er die Kerouac’sche Handschrift vermissen und eher die seiner literarischen Vorbilder wie Hemingway erahnen. Die Formulierungen sind stellenweise holprig und auch die Übersetzung scheint mir nicht über alle Zweifel erhaben. Der Autor erzählt im Buch die Geschichte von zwei Amerikanern, die sich während dem Zweiten Weltkrieg in New York kennenlernen. Nach einer durchzechten Nacht entschliesst der Theoretiker und Dozent Bill, sich dem Lebenskünstler und Matrosen Wesley anzuschliessen und bei der Handelsmarine anzuheuern. So gegensätzlich die Protagonisten auch sind, zeichnen sie dennoch beide Charakterzüge des Autoren nach. Der geschulte Kerouac-Leser meint darin seine zeitlebens andauernde, zerstörerische, innere Zerrissenheit wiederzuerkennen. Lobend zu erwähnen ist die grosszügige Aufmachung der deutschen Erstveröffentlichung im A4-Format und mit über 50 zeitgenössischen Fotografien.

le Seite des Mondes zu befinden: Schwarzweissbilder zeigen klassische Porträts hübscher Jünglinge, die dann angereichert durch Negativ-Effekte surreale Gegenstände, Collagen, Wasserfarben und delikate bis plumpe PhotoshopManipulationen immer weiter abdriften. In der zweiten Hälfte präsentiert Sannwald die farbige Seite seines Universums: Ob in der Mode, der Umgebung, der flächigen Schminke, den grafischen oder geometrischen Elementen − von überall knallen einem Farben entgegen, die jedes zurzeit so angesagte Color Block Editorial verblassen lassen. Mit jeder Strecke scheint sich der Fotograf neu zu erfinden und neue abgedrehte Welten zu zaubern. Diese Vielgestaltigkeit gelingt ihm vielleicht auch deshalb, weil er – ungewöhnlich für einen Modefotografen – die Bildkomposition und die inszenierte und retouchierte Entourage für genauso wichtig hält wie die Mode selbst − wenn nicht sogar noch wichtiger. Danke, wir tauchen gerne ein. Erschienen bei Ludion Editions, ca. CHF 45.–

henkersmahl

Jack Kerouac: Mein Bruder, die See In den letzten Monaten wurden einige verloren geglaubte Romane Jack Kerouacs ausgegraben und

Erschienen bei Edel, CHF 56.90

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patisserie

Cutting Edges – Contemporary Collage Wer hat als Kind nicht die Modemagazine seiner Mutter ruiniert, um die schönsten Bilder in einer eigenen Kreation voll Klebstoff und abgeknickten Ecken zu vereinen? Collagieren hat Tradition. Im Buch des Gestalten Verlags wird einleitend der kunsthistorische Kontext der Collage aufgezeichnet: von den Einflüssen des Surrealismus, des Dadaismus und des Konstruktivismus bis zur Anerkennung als Kunstform in den 1920er- und 1930erJahren. Heute feiert die CollageTechnik ein kleines Revival. ‹Cutting Edges› präsentiert eine Auswahl dieser neuen Generation CollageKünstler, -Designer und -Illustratoren und zeigt auch die Parallelen des altmodischen ‹cutting and pasting› zu modernen Verhaltensweisen wie dem ‹copy and paste› in Texten oder Blogs auf: man dekonstruiert und fügt nach persönlichem Gefallen Elemente zu etwas Neuem zusammen. Auch die zeitgenössischen Collage-Künstler greifen vorwiegend zu Schere und Leimstift und arbeiten von Hand, bedienen sich in kleinem Masse aber auch digitaler Gestaltungsmittel. Also, ran an die Schere und kinki zerschnippeln. Erschienen im Gestalten Verlag, ca. CHF 51.–


heisse küche

Ohne davon zu wissen. Bis Hanna schwanger wird und der Dritte im Bunde für beide nicht mehr zu verheimlichen ist. Tom Tykwer zeigt in seinem Film interessante Blickwinkel. Der Soundtrack hämmert dazu in für Tykwers Filme typischem Elektro das Publikum in eine melancholische Trance, in der man jenseits des Puppenspiels, das einem hier vorgeführt wird, pure Menschlichkeit wiederentdeckt. Jene, die Tykwer bereits verfallen sind, werden ihre alte Liebe hier wiederfinden. Neulinge finden dagegen leichten Zugang zu dieser ironischen Liebeskomödie.

DVD

nachwuchs

Hunter S. Thompson: Hell’s Angel Nur wenige Schriftsteller und Journalisten verkörperten die amerikanische Counterculture so hemmungslos und vollkommen wie Hunter S. Thompson. 1966 sorgte Thompson in den USA mit seiner Reportage ‹Hell’s Angels› über die grösste und berüchtigste Bikergang landesweit für Aufsehen. Über den Zeitraum eines Jahres begleitete er eine Gruppe Hells Angels aus Oakland, Kalifornien, hautnah und ermöglichte damit einer breiten Öffentlichkeit, hinter die Kulissen bzw. in die Clublokale der Gang hereinzuspähen. Dabei hatte Hunter S. Thompson in seinen Reportagen nie den Anspruch, objektiv zu berichten und liess bewusst subjektive Ansichten einfliessen. Dieser Stil des New Journalism ist in seinem Frühwerk ‹Hell’s Angels› sichtbar und wird vor allem in seinen darauf folgenden Artikeln und Büchern immer stärker ausgelebt, sodass er die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lässt und damit seinen eigenen literarischen Stil des Gonzo Journalismus begründet. ‹Hell’s Angels› ist nicht nur ein unverschämt unterhaltsames Buch, sondern gleichzeitig auch eine eindrückliche Milieustudie und gilt heute – meiner Meinung nach zurecht – als Klassiker der amerikanischen Literatur. Die neue deutsche Auflage erschien im Mai 2011 im Heyne Verlag und ist Pflichtlektüre für jeden rebellisch-aufgeklärten Geist.

Glendyn Ivin: Last Ride Nein, es handelt sich nicht um die Neuverfilmung des gleichnamigen Actionfilms mit Dennis Hopper aus dem Jahre 2004. Der in Australien gedrehte Independentfilm ist sogar so ziemlich das Gegenteil davon. Obwohl wir uns soeben erst von John Hillcoats ‹The Road› erholen konnten, kommt schon das nächste Vater-Sohn-Drama auf die Leinwand. Diesmal ist es Matrix-Legende Hugo Weaving, der einen heruntergekommenen Vater spielt. Dieser hat einen fraglichen Sinn für Erziehung und Moral. Er flüchtet mit seinem Sohn ins Niemandsland der australischen Wüste, weil der 10-Jährige ein Verbrechen begangen hat. Glendyn Ivin bietet uns ein Roadtrip-Movie mit tiefschürfender Familienpsychologie, unglaublichen Naturaufnahmen und einem Soundtrack, der an ‹Into the Wild› erinnert. Die düstere Thematik von Doppelmoral, Familie, Schmerz und Angst macht den Streifen zum Nerven schürfenden Thriller. Und Tom Russel, der den Sohn spielt, sollte man auch in Zukunft im Auge behalten.

Läuft bereits im Kino.

geliebte

Erscheint am 27. Mai auf DVD.

Kino schwestern

Fabienne Berthaud: Pieds nus sur les limaces Er ist etwas schräg, ziemlich hippiesk und mit den mitunter hinreissendsten Blondinen des Business besetzt – was braucht ein Film mehr! Nach dem Motto ‹lebe lieber ungewöhnlich› bringt Fabienne Berthaud einen Film über eine ganz besondere Geschwisterliebe auf die Leinwand. In lichtüberfluteten Kamerasequenzen und vor dem Hintergrund malerischer Blumenwiesen und französischer Waldlandschaften spielen Diane Kruger und Ludivine Sagnier ein gegensätzliches Geschwisterpaar. Nach dem Tod ihrer Mutter sind die Schwestern gezwungen, auf dem Elternlandsitz wieder zueinander zu finden. Claras desaströse Beziehung zu ihrem Mann Pierre und ihre permanente Selbstkontrolle kollidieren dort mit dem aufmüpfigen und leicht absonderlichen Verhalten ihrer kleinen Schwester. Lily macht aus toten Tieren Plüschpantoffeln, lackiert Truthähnen die Krallen und macht sich nicht viel aus dem, was andere sagen. Und da ihr provokatives Verhalten auf Clara abfärbt, hat das ungeahnte Folgen. Fabienne Berthaud iszeniert ein Familiendrama mit einer guten Mischung aus persönlichen Abgründen, düsteren Mordgedanken und liebevollen Filmsequenzen

Erscheint am 26. Mai auf DVD.

liebelei

Erschienen im Heyne Verlag, CHF 16.90

Weil William S. Blake sich diesen Monat weigerte, die Rezension vor der letzten gelesenen Seite des Romans zu verfassen, verspätete sich die ganze Abgabe. Für dieses edle Prinzip gebührt ihm das ganze Autorenbild. Unserer Rezensentin Florence Ritter schoss immerhin das Foto.

über die Leichtigkeit des Seins. Ein Film, der es durch strategisch kluge Wendungen schafft, das Publikum mitzureissen. Ausserdem eine hinreissende Ode an die Schwesternschaft.

Tom Tykwer: Drei In seinem neusten Werk ‹Drei› widmet Tom Tykwer sich einer unüblichen Liebeskonstellation. Hanna und Simon haben als Berliner Vorzeigepärchen schon alles hinter sich: Kinderwunsch und Affären, Zusammenziehen und Fehlgeburt. In der nun einkehrenden Monotonie der Beziehung, die nichts mehr vor sich hat, verlieben sich beide in denselben Mann. 83

Im Sang-Soo: Das Hausmädchen Gut, die Geschichte vom unbedarften Hausmädchen, das von ihrem Hausherren verführt wird, ist ziemlich altbacken. Aber vielleicht sind es eben solche Geschichten, die uns trotzdem immer wieder fesseln. Wegen prototypischen Rollen wie etwa: der egoistische herrschsüchtige Ehemann, die wutentbrannte Ehefrau oder das arme Hausmädchen. Mit einem von ihnen wird man sich als Zuschauer schon identifizieren können. Ganz nach diesem Prinzip ist auch dieses Drama aufgebaut: Eun-yi kommt als Hausmädchen zu einer reichen Familie. Der Hausherr Hoon schafft es, während seine Ehefrau Byungsik bereits schwanger ist, Eun-yi auch noch zu schwängern. Da die Ehefrau ihr Revier wie eine Tigerin verteidigt, muss das Hausmädchen um ihr eigenes und das Leben ihres Kindes fürchten. Ring frei für die werdenden Mütter. Durch die eindrückliche Szenerie der Familienvilla und die klaren Aufnahmen schafft es Im Sang-Hoo, seinen Erotik-Thriller auf hohem Niveau zu halten. Und wurde dafür bereits in Cannes 2010 gefeiert und mit Hitchcock und Chabrol verglichen. Ab 24. Mai im Kino.

Man lernt ja nie aus! Weder an der Uni noch im Leben. Unsere Rezensentin Franziska von Stieglitz legte diesen Monat jedoch Pflichtlektüre und Theorieabhandlungen beiseite und bevorzugte wirklich lebenswichtige Weisheiten über Nacktschnecken, Dreiecksbeziehungen und inszenierte Fluchtversuche.



Felix Glasmeyer

Johnny, tu n’est pas un ange ...

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Hemd: Paul Smith (Vintage)

Seite 85 Hemd: H&M Pulli: Acne

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Hemd und Pulli: Cos Lederhose: H&M Socken: Cos Boots: H&M

Seite 87 Hemd: H&M Pulli: Acne

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Hemd: Miu Miu (Vintage) Hosenträger: H&M

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Stirnband: Stylist’s own Shirts: Weekday Leggins: H&M Socken: Cos Sneakers: Converse

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Hemd: Paul Smith (Vintage) Netzstick: Stylist’s own

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Hemd: Cos Krawatte: Acne Jeans: Acne Lederjacke: Weekday Fotografie Felix Glasmeyer @ k-representation.com, felixglasmeyer.com Produktion / Styling Dietmar Herbert @ dietmarherbert.com Make-up & Haare Gregor Makris @ gigoudi.de Model Lukas @ thespezial.org

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Cry me a river

Manchmal gleicht diese Welt einer einzigen grossen Tragödie. Und trotzdem bemühen wir uns stets, ihr mit einem Lächeln zu begegnen. Ganz anders in Londons ‹Last Tuesday Society›: Hier trifft man sich, um öffentlich zu weinen. Wir sprachen mit Viktor Wynd, dem chronisch traurigen Organisator dieser Veranstaltung. Natürlich unter Tränen … Text und Interview: Paula Kohlmann, Illustration: Hanna Terese Nilsson

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oss, so nennt sich die traurigste Nacht Londons. Ein Abend, an dem sich die Unglücklichen, die Einsamen, die Elenden, die Melancholischen, die Verlassenen, Geschiedenen und verlorenen Seelen zum gemeinsamen Schluchzen vereinen. Während in den letzen Jahren Glücksformeln, Lachyoga und Lebensberater für positives Denken in Mode gekommen sind, wird eines oft vergessen: Sich mal so richtig auszuheulen, kann verdammt gut tun. Viktor Wynd weiss das. Unter dem Motto ‹Ein Abend der exklusiven Trauer› veranstaltet der Künstler die tragische Nacht, deren Ziel es ist, so viele Tränen wie möglich zu vergiessen. Es wird Fado gesungen, Streichorchester spielen barocke Klänge, auf der Bühne unterschreibt ein Gast seine Scheidungsurkunde und das Publikum, gekleidet im verstaubten Brautkleid der Uroma oder in mottenzerfressenen Samtanzügen, schneidet fleissig Zwiebeln, die ihr übriges tun, den Augen das Wasser zu entlocken. Im Hintergrund laufen schicksals-

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hafte Schwarz-Weiss-Filme, das Dekor bilden vertrocknete Friedhofsblumen, Hühnerfüsse und kaputtes Spielzeug. Zusammen mit Suzette Field leitet Viktor Wynd die ‹Last Tuesday Society›. Früher ein Debattierklub der Harvard Universität, ist sie heute eine Organisation, die das literarische, künstlerische und esoterische Leben in London durch Veranstaltungen wie Maskenbälle, Lesungen und Vernissagen bereichert. Den tränenreichen Abend sieht der Brite als eine freie Interpretation des ‹Zwiebelkellers›, einer fiktionalen Bar aus dem Roman ‹Die Blechtrommel› von Günther Grass. Hier trifft sich die Nachkriegsgeneration zum gemeinsamen Zwiebelschneiden, um wieder Gefühle zulassen zu können. Viktor Wynd selber leidet chronisch unter gebrochenem Herzen und liebt nichts mehr, als sich in Selbstmitleid zu wälzen. Im Interview gibt er sich dementsprechend kühl und wortkarg.

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Interview kinki magazin: Mister Wynd, haben Sie eigentlich etwas gegen Spass? Viktor Wynd: Ich habe nichts gegen Spass! Ist es nicht etwas pathetisch, Traurigkeit zu zelebrieren? Im Gegenteil, es ist pathetisch, Traurigkeit nicht zu zelebrieren. Kummer und Melancholie sind immer präsent. Klar sind sie traurig, aber ebenso sind sie wunderbar und unglaublich schön! Dekadenz leitet sich vom lateinischen Verb ‹cadere› ab, was so viel wie ‹stürzen› bedeutet. Aber es ist ein schönes und anmutiges Stürzen mit Grazie und einer besonderen Ästhetik. Eine Art ‹übersüsses Sich-selbst-Töten›. Ist unsere moderne Gesellschaft zu hedonistisch, um traurig zu sein? Haben wir das Weinen verlernt? Jede Gesellschaft ist hedonistisch. Aber im


Den Tränen freien Lauf zu lassen, fällt nicht immer leicht. Doch zum Glück gibt es Hilfsmittel.

Hedonismus sind immer auch Versagen und Misserfolg enthalten. Niemand kann immer glücklich sein, alle wahren Hedonisten laufen nur von ihrer inneren Trauer davon. Letzten Endes kehrt jeder zum Kummer zurück. Wir alle wissen, wie man weint – ich weine im Moment. Warum wird das Weinen denn so tabuisiert? In Büchern und Filmen weinen die Helden doch ständig. Goethes Werther wird etwa von seinen Lesern so geliebt, gerade weil er weint. Ich finde nicht, dass es tabuisiert wird. Schauen Sie doch mal, was passiert ist, als Prinzessin Diana gestorben ist. Heutzutage ist es den Menschen nicht mehr peinlich, Traurigkeit, Depression und Tränen öffentlich auszudrücken. Am Ende von ‹Die Leiden des jungen Werther› bringt der Protagonist sich um, weil er aus seiner Trauer keinen Ausweg mehr sieht. Ist zu viel Melancholie nicht ungesund?

Es geht hier um die eigene Seele und darum, sich selber treu zu sein, zu seinen Gefühlen zu stehen. Nicht darum, gesund zu leben. Wäre unsere Welt eine bessere, wenn die Menschen mehr weinen würden? Es würde helfen, wenn die Menschen aufhören würden, so zu tun, als seien sie die ganze Zeit glücklich. Wie muss man sich so einen ‹Loss›-Abend vorstellen? Wie bringen Sie die Leute zum Weinen? Wir bringen die Leute nicht zum Weinen. Wir erschaffen eine Atmosphäre, in der traurige Menschen sich wohl fühlen. Sie können sich dort aufhalten, um in der Öffentlichkeit ihren Kummer zu zeigen und ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Was passiert, wenn einige es nicht ernst nehmen und lachen? Das passiert nicht. 93

‹The Last Tuesday Society› wurde 1870 als philosophischer Debattierclub der Harvard Universität gegründet. Warum haben Sie sie wieder ins Leben gerufen? Wir mussten sie nicht neu gründen, sie existierte immer in einer pataphysikalischen Art. Was bringt Sie zum Weinen? Alles. Wie oft empfehlen Sie zu weinen? Ich weine täglich. Ich wünschte es wäre seltener, aber so ist es.


Der Grenzg辰nger Der K端nstler Shahram Entekhabi bewegt sich mit seinen Performances gerne im Grenzbereich. Und hat so auch hierzulande j端ngst f端r Aufsehen gesorgt. Text und Interview: Rita Preuss, Fotos: Boris Geilert

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atort Luzern, Freitag, 28. Januar 2011, auf dem Rathaussteg zwischen Theater und Rathaus. Passanten und Autofahrer wundern sich: Warum ist die Brücke plötzlich gesperrt? Sicher hat die Stadtpolizei hier abgesperrt. Es kann nur eine offizielle Sperrung wegen einer Baustelle sein. Die meisten Luzerner reagieren erwartungsgemäss gelassen auf die Sperrung. Schon nach 15 Minuten ist die Brücke wieder frei. Kurz darauf verschickt die AB Gallery Fotos von dem mit rot-weissen Bändern abgesperrten Rathaussteg per Mail an die Presse. Ein Journalist kann einfach nicht glauben, dass die Kunstaktion im Rahmen der Ausstellung der Luzerner AB Gallery tatsächlich vor Ort stattgefunden hat. Schliesslich ist mit Photoshop heutzutage ja alles manipulierbar. Er ruft die Luzerner Poli-

Kunstaktion hin oder her, der Künstler sei verantwortlich für die Tat. zei an und fragt nach der Aktion, denn die hätte ja, wenn sie wirklich stattgefunden hätte, genehmigt sein müssen. Verärgert antwortet die Polizei: ‹Nein, über eine Aktion auf dem Rathaussteg wurden wir nicht informiert.› Etwas spät erkennt der Journalist, dass sein Anruf ein Fehler war, und ruft sofort bei der AB Gallery an. Dort ist bereits besetzt: Die Polizei erstattet mündlich Strafanzeige gegen den iranischen Künstler Shahram Entekhabi. Kunstaktion hin oder her, der Künstler sei verantwortlich für die Tat. Ihm droht spätestens bei seiner geplanten Ausstellungseröffnung in Zürich wenige Tage später die Verhaftung und die Ausschaffung. Ortswechsel: Zwei Wochen später besuche ich den Künstler in seinem Berliner Atelier. Er ist erst vor ein paar Tagen aus der Schweiz zurückgekehrt und bereitet sich auf seine nächsten Ausstellungen in Galerien in Teheran und Los Angeles sowie im Pariser Palais de Tokyo vor. Schon mit 16 Jahren verliess er seine iranische Heimat, um in Europa zu studieren. Entekhabi ist 48 Jahre alt, hat kurze dunkle Haare, trägt einen schlichten Pulli und Jeans. Was sofort auffällt, sind seine markanten Gesichtszüge und die extrem wachen, braunen Augen. Blitzschnell hat er schwarzen Tee gekocht, den wir aus Bechern mit arabischen Schriftzeichen trinken.

No Entry Switzerland

Rückblickend erzählt er mir von den Folgen seiner temporären Installation ‹No Exit Luzern›: ‹Ich sass in der Falle, denn bei einer Verhaftung drohte mir als Ausländer mit iranischem Pass die Ausschaffung. Die Folge wäre gewesen, nie wieder in die Schweiz einreisen zu dürfen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit der Unterstützung meines Galeristen meine Strategie zu ändern. So hat er die Verantwortung für die Absperraktion übernommen. Zum Glück ging unsere Strategie auf: Als unbescholtener Schweizer Bürger kam der Galerist mit einer kinki kunst

Geldbusse davon.› Diese derart heftige Reaktion im sonst so beschaulichen Bilderbuchstädtchen Luzern ist für Entekhabi eine neue Erfahrung. Schliesslich führt er seine Absperraktionen seit Mitte der 90er-Jahre auf der ganzen Welt durch. Das rot-weisse Plastikband, das normalerweise zum Absperren von Baustellen benutzt wird, ist längst zum Markenzeichen des Künstlers geworden. Ohne Ankündigung bildet er mit dem Absperrband im Zentrum von Grossstädten wie Berlin, London oder Cleveland blitzschnell Barrieren und sperrt für kurze Zeit die stark befahrenen Kreuzungen und Plätze ab. Erfahrungen mit der Polizei habe er oft gemacht, ‹aber normalerweise rede ich mit denen ein bisschen vor Ort und erkläre ihnen meine temporäre Kunstaktion. Geldstrafen habe ich schon mal bekommen, aber es kam bisher nie zu einer Verhaftung. Weder in Pakistan und Mexiko-City, wo die Menschen einfach meine Absperrung ignorierten und durchbrachen, noch in Bologna und Cleveland, wo die Grenze von allen Passanten für eine erstaunlich lange Zeit akzeptiert wurde.›

Burka Collagen

Parallel zu seinen ungewöhnlichen Performances in internationalen Grossstädten, greift Entekhabi in seinen Arbeiten auch das stark umstrittene Thema Burka auf. Entekhabi vergleicht die Burka mit einer Uniform. Das Tragen der Burka in der Öffentlichkeit sei spätestens seit dem 11. September 2001 ein politisches Symbol, das klar zum Ausdruck bringe: die Trägerin will nicht Teil der westlichen Gesellschaft sein. Ausgerechnet die Burka überträgt der Künstler seit 2001 auf westliche Pin-ups und Pornobilder aus Zeitschriften, indem er sie mit der schwarzen Burka übermalt. So rekeln sich auf seinen Collagen westliche Models in eindeutigen Posen in Burkas. Krasser könnten die kulturellen Gegensätze nicht aufeinander prallen. 96

72 Jungfrauen für Genf

Trotz der massiven Reaktionen in Luzern lässt Shahram Entekhabi sich nicht davon abhalten, im kommenden Sommer eine weitere ungewöhnliche Aktion in der Schweiz durchzuführen: ‹72 Virgins›. Am Genfer See wird er als Bräutigam im Gefolge der ‹72 Jungfrauen› eine ungewohnte Hochzeitszeremonie zelebrieren. 72 Jungfrauen: das ist die Belohnung, die nach islamischen Glauben auf jeden Märtyrer nach dem Tod im Paradies wartet. Jede seiner ganz in Schwarz gekleideten Bräute wird eine weisse Tulpe in der Hand halten als Symbol für das Martyrium. 2009 spazierte der Künstler bereits mit 72 russischen ‹Virgins› durch Kaliningrad und besuchte mit ihnen ein Café. Hoffnungslos überfordert war jedoch der russische Juwelier, der nicht in der Lage war 73 Trauringe zu offerieren. Weibliche Leserinnen können übrigens noch ‹Virgin› werden – Entekhabi ist für seine Performance am Genfer See auf der Suche nach Schweizerinnen. Weitere Info zu Shahram Entekhabi findest du unter entekhabi.org.


DER VIDEOCLIP ZUM RADIO-SONG LIVE AUF: WWW.105.CH RADIO 105 EMPFÄNGST DU AUCH IM KABELNETZ IN DER GANZEN DEUTSCHSCHWEIZ: BS 103.9, BE 105.6, LU 101.7, SG 105.3, ZH 105.1 ODER AUF UKW 93.0 FM


schauplatz die besten adressen für kunst

Abgesehen von einigen kulinarischen Herausforderungen, wirkte Island bislang auf uns kulturell sehr gut verdaulich. Wir wollten es genauer wissen und besuchten die Mutter aller isländischen Galerien: die i8 in Reykjavík. Text: Franziska von Stieglitz

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m Herzen Reykjavíks, zwischen dem Stadtsee Tjörnin und dem alten Hafen befindet sich die i8. Sie ist die älteste kommerzielle Galerie Islands und bislang die einzige von grösserer internationaler Bedeutung. Spulen wir ein paar Jahre zurück: 1995, in dem Jahr, in dem Björk ihren Klassiker ‹Possibly maybe› auf den Markt bringt, gründet Edda Jónsdóttir die i8. Zusammen mit ihrem Sohn Börkur Arnarson, dem jetzigen Direktor der Galerie, widmet sie sich einem Vorhaben, das in Reykjavík zu dieser Zeit als radikal angesehen wird. War das Konzept ‹Galerie› in Island damals doch gänzlich neu. Freundschaften in der Künstlerszene, deren Teil Edda selbst ist, verhelfen ihr trotz Anfangsschwierigkeiten zum Erfolg und noch heute gehört ein Grossteil ihrer damaligen Verfechter zum Grundprogramm der Galerie. Natürlich sind aber auch zahlreiche Neulinge hinzugetreten und so bietet das Portfolio einen gelungenen Mix aus kinki schauplatz

Bewährtem und Innovativem. Aus der Talentschmiede der i8 stammen Katrin Sigurdardóttir, Sigurdur Gudmundsson sowie eine ganze Reihe interessanter isländischer Künstler.

Vom hohen Norden bis nach Miami Beach

Von Installation über Skulptur bis zu Fotografie und Malerei sind alle Genres vertreten. Die Galerie setzt den Künstlern hier keinerlei Grenzen. Für uns Mitteleuropäer hat die ausgestellte Kunst vielleicht oft etwas ‹Nordisches› – sei es in der Wahl der Motive, durch die klaren Linien oder die Farbwahl. Dieses besondere Temperament eröffnet aber auch einen völlig neuen kreativen Blickwinkel. Dieses Jahr gehörte eine Gruppenausstellung zu den Highlights der Galerie: Die drei Künstler Finnbogy Pétursson, Hrafnkell Sigurdsson und Ivar Valgardsson präsen-

tierten bunte ‹Müllfotografien› und riesige Papierkugeln. Hochpolierte Hühnereier, maschinenartig präzise Miniaturmodelle und andere skurrile Skulpturen von Karin Sander kann man im Juni bestaunen. Und über den Sommer hinweg wird unter anderen Kristjan Gudmundsson seine ästhetische Form- und Konzeptkunst vorstellen. Wenn ihr Interesse an den Werken der i8 habt, euch Island gerade aber zu kalt ist, könnt ihr die Galerie übrigens auch auf diversen Kunstmessen antreffen – zum Beispiel auf der Art Basel Miami Beach. 98

Oben links: i8 gallery Oben rechts: Ivar Valgarðsson (2011) Unten links: Sigurdur Gudmundsson Unten rechts: Hrafnkell Sugurdsson (2004) Fotos: i8 gallery i8 gallery Tryggvagata 16, 101 Reykjavik Island Dienstag bis Freitag, 11–17 Uhr Samstag, 13–17 Uhr und nach Vereinbarung Weitere Info findest du unter i8.is.



Yago Hortal

Es gibt keine Grenzen. Weder f端r Gedanken, noch f端r Gef端hle. Es ist die Angst, die immer Grenzen setzt. Ingmar Bergman

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maske art must be beautiful

Jeden Monat setzen an dieser Stelle Schweizer Künstler drei Beauty-Produkte in Szene. Der Lausanner Grafikdesigner David Stettler widmete sich dem perfekten Wimpern-Styling durch Mascaras. Sein Motto: Auge um Auge, Haar um Haar. Giorgio Armani: Yves Saint Laurent: Maybelline: Megan Fox’s Eyes to Le Noir Radical Great Lash Mascara Bei der Frage, ob Schwarz nun eine Farbe ist Internationale Make-up Artisten greifen gerne kill Excess oder nicht, scheiden sich die Geister. Wie ein auf diese ‹Geheimwaffe› zurück. Der ‹Great Augen wie Megan Fox kann natürlich nicht jede haben. Dank der Armani ‹Eyes to kill› Mascara mit extra grosser Auftragbürste kommt man aber zumindest ihrem verführerischen Augenaufschlag einen ordentlichen Schritt näher. CHF 54.–

richtiges Schwarz auszusehen hat, zeigt Yves Saint Laurent allerdings ohne Zweifel mit seinem ‹Noir Radical›. Und verleiht den Wimpern zusätzlich ausdrucksvolles Volumen. CHF 49.50

Lash› hat sich in den letzten 40 Jahren dank seiner bewährten Formel, einfachen Anwendung und seines intensiven Effekts sein festes Plätzchen im Make-up-Kit – und in der Handtasche – mehr als verdient. CHF 10.90

David Stettler Seit seinem Abschluss an der Lausanner Ecal arbeitet David Stettler als freischaffender Grafikdesigner und Illustrator in Lausanne und Paris. Ausserdem beweist David als Art Director des wunderschönen Pariser Magazins Please! seit nunmehr drei Jahren ein ausgezeichnetes Auge für Mode- und Kunststrecken. Please! erscheint zweimal pro Jahr, weitere Info zum Magazin findest du unter pleasemagazine.com. Text: Rainer Brenner, Realisation: Nicola Fischer

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henry und paul

Von Bärten, Nachbarn und fauligen Leichen. Text: Roman Neumann, Foto: Philippe Sir? Sprich, Henry. Sir, unten an der Strasse ist ein neuer Doktor eingezogen. Soso, Henry. Mhm. Ich habe gehört, er sei Frauenarzt. Und er trägt einen Bart. Lass mich raten. Du fragst dich gerade, warum Männer Gynäkologen werden? Irgendwie schon, ja, Sir. Henry, wohl kaum einer, weil er sich den ganzen Tag Vaginen anschauen will. Dann könnte man ja Zahnärzte auch fragen, weshalb sie Zahnärzte geworden sind. Aber Zähne sind keine Geschlechtsteile, Sir. Pah, Henry. Trotzdem ist mein Mund kein Vergnügungspark. Dieser Haken, mit denen Zahnärzte die Ritzen zwischen den Zähnen zu untersuchen pflegen und dazu in ihren Bart brummen und der Assistentin damit kryptische Botschaften übermitteln: ‹A3 bis A4, links, füllen.› Fürchterlich. Als Frau empfände ich es wohl als intimeren Eingriff, mir etwas in den Mund stecken zu lassen, als wenn unten etwas reinschneien würde. Sir! Warum wollen Prostituierte wohl nie küssen, hä? Ach ... Sir. Sie mögen wohl keine Zahnärzte? Ein schreckliches Völkchen. Da sind mir Gynäkologen schon lieber! Frauen bezeichnen Frauenärzte übrigens häufig als asexuell. Da sie die einzigen Männer sind, bei denen Frauen hoffen, dass sie ‹da unten› nichts finden. Sir, ich schätze diese Art von Klamauk nicht sonderlich. Jaja, Henry, alter Griesgram. Haben Frauenärzte eigentlich noch Lust auf ihre eigene Frau? Niemand traut sich zu fragen. Wobei, wer will das eigentlich so genau wissen? Man sollte in die Ehen von Frauenärzten nicht unbeholfen hineinplatzen. Genau wie vor den gierigen Augen der Öffentlichkeit andere Dinge verborgen bleiben sollten. kinki henry und paul

Zum Beispiel? Na alles! In einer Nachbarschaft gehört es ja zum guten Ton, dass man genau weiss, wann der andere zu Hause ist oder nicht. Damit man merkt, wenn der andere im Bad umgefallen ist und sich nicht mehr rühren kann und verfaulend am Boden liegt. Ich hoffe – wenn mir das mal passieren sollte – dass unsere Nachbarn mich ganz lange nicht finden, so dass der Gestank meiner Leiche ihnen wochenlang den Spass am Leben verdirbt.

Ich habe nie gesagt, der neue Nachbar sei ein Hippie, Sir. Klappe, Henry. Man kann es dem Volk nie recht machen. Bärtige Gynäkologen sind jedenfalls verpönt, da hast du ganz Recht. Im Restaurant will man schliesslich auch kein Haar in der Suppe.

Sir! Reden Sie doch nicht so. Und so gerne die Nachbarn Einblick ins Leben anderer nehmen und ihre Neugier stillen möchten, so gerne verreissen sie sich das Maul. Er lässt sich einen Bart wachsen? Hippie! Terrorist! Er hat den Bart abgeschnitten? Ex-Hippie! Undercover-Terrorist! 114


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