kinki magazin - #34

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nr. 33 februar / märz 2011 chf  6,00  (schweiz) eur 4,00 (deutschland) eur 4,50  (österreich) eur 8,00  (nederland)


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auftakt Übersinn, Unsinn und Absinth

Lieber Leser. Wenn dir die flache Hand der Wirklichkeit mit unbarmherziger Regelmässigkeit ins Gesicht klatscht und du dir vor lauter harter, ernüchternder, deprimierender und schwindelerregender Tatsachen schon gar keine SF Tagesschau mehr zu Gemüte führst, hätte sicherlich der letzte Waldorf-Schulen-Leugner Verständnis für deine mentale Zuflucht zu übersinnlichen und Trost spendenden Weltanschauungen. Und davon gibt es viele. Mehr noch: Sie sind so populär wie selten zuvor! Nicht zuletzt, weil sich der Todestag des sinnstiftenden Herrn Rudolf S. zum hundertfünfundzwanzigsten Mal jährt. Auch kinki findet: Sieht doch toll aus! Es lohnt sich einen unverstellten Blick auf die Ästhetik der Esoterik zu werfen. Für mehr Tiefe hat es uns oberflächlichen Magazin(nicht Licht-)Menschen einfach nicht gereicht. Grosses Sorry! Möge sich unser Chakra in Nachsichtigkeit üben ... Deine lichtwesentliche kinki Redaktion

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2011

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inhalt

standard

Auftakt 03 Inhalt 10 Neuzeit 12 kinkimag.ch 18 Klagemauer 20 Abo / Impressum 108 Kopfkino 110 Maske 112 Henry und Paul 114

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report

Rote Unterwäsche ... 40 Wortlaut: Boy George 42 Querschläger: Vincent Raven 44 Des Menschen Werk oder Teufels Beitrag? 46 Haarsträubend 50 Erlöse uns von dem Bösen 54 Die Reise ins Ich 88 Das ABC der Esoterik 92

Interview: Agnes Obel Skorpione sind wohl gar nicht so so giftig, wie man denkt: Dinah Brunner sprach mit der dänischen Sängerin über Tierkreiszeichen.

musik

Interview: Agnes Obel 64 Verhör 66 Vorspiel: Peter Bjorn and John 68 You have all the power ... Interview: Husky Rescue 70 Amanda Camenisch Lieblingslieder: Lukas Fischer 72 Witch World? 74

mode

‹Ad astra› von Nicolas Coulomb 22 ‹You have all the power ...› von Amanda Camenisch 34 ‹Stir of echoes› von Gilad Sasporta 76 Minerals and Pentagrams 84

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kunst

‹Modern life of the soul› von Melanie Bonajo und Kinga Kielczynska 56 ‹She has seen it › von Ellen Rogers 98 Schauplatz: Elaine Lévy Project 106 kooabaisiert [ Ergänzungsmaterial auf kooaba.com ]

She has seen it Ellen Rogers kinki inhalt

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Stir of echoes Gilad Sasporta


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Minerals and Pentagrams Mythos und Magie haben längst den Sprung in die modischen Gefilde des Schmuckdesigns geschafft. Heilsversprechen oder alles falscher Zauber? Oder einfach nur Geschmacksache?

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Des Menschen Werk ...

zugabe

Amanda Camenisch

Stephi Meyer

Zur Fotografie kam Amanda eigentlich eher zufällig: ‹Eigentlich wollte ich ja Bühnenbildnerin oder Dekogestalterin werden. Ich habe immer schon viel gebastelt. Unter anderem auch eben eine Camera Obscura, mit der ich meine ersten Bilder machte.› Aus der selbstgebastelten Kamera wurde aber schnell eine Leidenschaft und daraus sogar ein Beruf: Die 24-jährige Schaffhauserin hat in den letzten Jahren mit ihren Modestrecken und Werbejobs bewiesen, dass sie auch mit grösseren Fotoapparaten umzugehen weiss. Für dieses Heft begab sich Amanda in eine Zwischenwelt aus Mode und Kunst und produzierte für uns die Strecke ‹You have all the power …›. – S. 34

Die Autorin Stephi Meyer hat sich für diese Ausgabe in die Wellen der virtuellen Esoterik gestürzt. Ihr Artikel behandelt ein unerklärbares Phänomen der musikalischen Art, das sich Witch House nennt und seit einiger Zeit durch die Abgründe des Webs spukt. Stephi sprach mit Vertretern der Szene von Berlin bis New York, und versuchte, der düsteren Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Wieder an Land, wendet sich die 20-Jährige allerdings gerne der Sonnenseite des Lebens zu: Malen, Zeichnen, Fotografie und Siebdruck. Und natürlich dem Schreiben! Und hin und wieder auch dem Schwimmen. Wohin genau, das weiss Gott … – S. 74

Nicolas Coulomb und Florence Tétier

Melanie Bonajo und Kinga Kielczynska

Für ihre Modestrecke ‹Ad astra› wandelten der Fotograf Nicolas Coulomb und die Art Direktorin Florence Tétier (ihres Zeichens Art Direktorin und Chefredakteurin des Novembre Magazins) auf den Spuren der Anthroposophen: im Goetheanum in Dornach fanden sie den perfekten Hintergrund, um die Grenze zwischen Mode und Kunst, Sinnlichem und Übersinnlichem verfliessen zu lassen. Florence und Nicolas arbeiten regelmässig zusammen und leben in Lausanne. – S. 22

Zwischen 2006 und 2008 erarbeiteten Melanie Bonajo und Kinga Kielczynska gemeinsam mehrere Foto-, Video-, Installations- und Performanceprojekte, in welchen sie unsere modernen Glaubenssysteme hinterfragen und dem einseitigen Blickwinkel künstlich erschaffene Welten und alternative Realitäten entgegen stellten. Mit dem Projekt ‹Modern life of the soul› gingen die beiden einer ‹öko-extremistischen› Evolutionstheorie nach. – S. 56

Manche mögen sie als einfache Kondensstreifen ansehen, andere sehen darin eine globale Klima-Verschwörung oder das Werk des Gehörnten persönlich. Martina Messerli begab sich auf die Spur des Himmelsphänomens ‹Chemtrails›. 11


neuzeit

ein herz für marken Kein Ufftata, keine Raketen, kein Glimmer – Marken sind manchmal auch nur Menschen. Fernab von Aushängeschildchen und Umsatzrechnung will ‹The Brander› uns grosse wie kleine Marken von ihrer ganz privaten Seite zeigen: Wer dahinter steckt, was die Idee war und wie alles entstand. Das Onlinemagazin der Zürcher Agentur ‹Branders› lockt mit einem klaren ordentlichen Layout, Hochglanzbildern, Fotoreihen und Kolumnen renommierter Autoren. Dazu gesellen sich Hightech-Spielereien für iPad und Co. Gedient ist bei dem Onlinemagazin wohl allen Seiten. Denn Authentizität und Nähe wird in der Markenführung immer wich-

tiger und gleichzeitig ist es für den Leser interessant, was in den führenden Köpfen abgeht. Für den Auftakt am 10. März gibt es bereits ein Aufgebot an Berichten aus weltweiten Metropolen von Neapel über Sydney bis Taipeh sowie persönliche Porträts, etwa von Giorgo Deluca von der New Yorker Marke Dean&Deluca. Und dazu schreibt die bekannte Autorin Juli Zeh über ihre eigene Markenwelt. Wem vorgestellte Personen anbei nicht passen, dem wird die Chance gegeben, seine eigenen Tipps einzureichen – und vielleicht schon bald als nächstes selbst beleuchtet zu werden. (fs) brander.com

jetzt geht’s rund Nun gut, es ist definitiv nicht das erste Mal, dass ein Designer den Kreis als geometrische Muse für das Entwerfen einer Tasche verwendet. Bei ‹Sydney›, so der Name der neuen Bree Kollektion, dürften es deswegen auch mehr die Farben sein, die das liebste Accessoire der Frau zum Objekt der Begierde machen. Acht unterschiedliche Nuancen ergeben, kombiniert mit glattem Natur-Rindsleder, eine wahrhaft runde Sache. Der Taschenhersteller Bree achtet aber nicht nur auf Äusserlichkeiten, sondern es spielen auch innere Werte eine tragende Rolle. In die Masse von 18 x 18 x 3,5 cm passt doch noch das Nötigste hinein und dank des integrierten Steckfachs sollte auch nicht minutenlang nach dem Handy gekramt werden müssen. Bree setzt seit über vierzig Jahren den Fokus auf Nachhaltigkeit, Funktionalität und Innovation. Damals hatte Gründungsvater und Designer Wolf Peter Bree in der eigenen Tasche zwar kaum eine Mark, schaffte es aber trotz finanziellem Engpass, seine erste Kollektion auf den Markt zu bringen. Ihr seid selbst knapp bei Kasse? Keine Sorge, es besteht die Chance, eines der Exemplare des neusten Bree-Streichs kostenlos zu ergattern. Wir verlosen drei Taschen der Sydney-Kollektion in den Farben ‹Samoa›, ‹Rose› oder kinki neuzeit

agenda

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20.03.-27.03. haru matsuri - japanisches frühlingsfestival Winterthur, Töss 26.03. play it loud! presents oliver koletzki & fran Gasskessel, Bern 26.03. the adicts & moped lads Kofmehl, Solothurn 31.03. neon party feat. la riots (fool’s gold/ los angeles) Hive, Zürich

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04.04. jägermeister wirtshaus tour feat. frittenbude, tom deluxx Yachtklub, Frankfurt am Main 07.04. neon party feat. beats 4 education, the kids are terrorists u.a. Hive, Zürich 10.04. storm und störmer – worst case szenarios Gewerbemuseum, Winterthur 11.04. kilimanjaro darkjazz ensemble L’Usine, Genf 14.04. noah and the whale Abart, Zürich 15.04. männer am meer Nordportal, Baden 18.04. friska viljor Mascotte, Zürich 19.04. carpark north Exil, Zürich 21.04.–24.04. electron festival Genf

‹Palm›. Schreibt einfach eine Mail mit eurer Adresse und dem Betreff ‹Sydney› an wettbewerb@kinkimag.ch. (kf) bree.com

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30.04. one man party – steve s. soulwax Kugl, St.Gallen 30.04. vincent raven Kramgasse 4, Bern


kutikuti, winthiwinthi

der könig und die newcomer

Nein, nicht Lordi, sondern das ComicKollektiv KutiKuti erwartet euch am finnischen Frühling in Winterthur.

Alles, was künstler- und designtechnisch aus Finnland stammt, hat ja irgendwie automatisch Kultpotenzial. Deswegen hält vom 18. März bis 1. Mai der finnische Frühling Einzug in Winterthur und berauscht mit seiner farbenfrohen Vielfalt. Ganz im Zeichen der skandinavischen Kunst wird in verschiedenen Winterthurer Lokalitäten so einiges vom hohen Norden zu sehen sein: Filme, Ausstellungen, Theaterstücke und natürlich Kunst. Unter anderem präsentiert auch das finnische Comic-Kollektiv KutiKuti seine Werke in der Alten Kaserne.

KutiKuti, das sind 13 junge Masterminds aus Helsinki, die gemeinsam bunte Comicstrips mit allen möglichen Motiven produzieren. Seit Herbst 2006 erscheint die Zeitung ‹Kut›, in der die ausschliesslich von Hand gezeichneten Werke zu bewundern sind, vierteljährlich in Finnland. Doch traditionelle Comics findet man in Kut eher selten. Vielmehr wird wild experimentiert und ausprobiert. ‹Dig what we do or not, most likely we’ll keep doing this stuff until the end›, heisst es auf der Website. Die Auflage von Kut beläuft sich auf bis zu 7 000 Ex-

emplare und beinhaltet Comics in teils finnischer, teils englischer Sprache. KutiKuti lässt sich auch Strips von nicht renommierten Zeichnern zusenden, die sie in ihrer Zeitschrift veröffentlichen. Und wer es an die Vernissage am 22. März in die Alte Kaserne schafft, kann sich nicht nur das knallbunte Heft zu Gemüte ziehen, sondern gleich auch noch einen Blick auf drei der Mitglieder von KutiKuti erhaschen. (kf)

Das ist mal eine wirklich interessante Kombination zweier Künstler, die am selben Abend am selben Ort, im Bad Bonn, performen: DubKönig Lee Scratch Perry und Hype Williams. Nein, wir sprechen hier nicht vom erfolgreichen Video- und Filmregisseur Hype Williams, sondern von Inga Copeland und Roy Blunt. Die Musik des Duos ist ein Konstrukt aus elektronischen Ansätzen und hypnotisierendem Pop. Die beiden Newcomer hatten es bisher vorgezogen, keinen grossen Rummel um ihre Personen und ihr Werk zu machen und lassen sogar ihre Stimmen in Interviews akustisch verzerren. Legende Lee Scratch Perry steht als klarer Gegenpol im Zentrum des Abends. Der mittlerweile 74-jährige Jamaikaner, der auch schon mit Bob Marley and the Wailing Wailers Songs produziert hat, scheint die Bühne nie satt zu haben. Seine exzentrische Art, die durch imposante Bühnenoutfits und grelle Visuals noch verstärkt wird, gehört nach wie vor zu seinem Markenzeichen. Eine aussergewöhnliche Konstellation von Musikschaffenden, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Zu sehen und zu hören am 2. April im Bad Bonn in Düdingen. (kf)

altekaserne.winterthur.ch

badbonn.ch

jacky und chuck Jaqueline Kennedy hatte das Label Marimekko geliebt. Damit man in Jeans und Turnschuhen auch einen Hauch von Jackys femininer Eleganz abbekommt, hat Converse sich für die neue Frühlingskollektion mit dem finnischen Modehaus zusammengetan.

Damenhaft wirken die daraus resultierenden knatschbunten und mit kleinen dekorativen Mustern überzogenen Sportschuhe zwar weniger, auch wenn es dieselben Drucke sind, die das Haus auch schon in den 70ern bei Frauen beliebt machten. Dafür geht es mit der Neuauflage des All Star Klassikers farbenfroh in den Regenmatsch des Frühlingswetters. Was bei dem neuen Design auf den ersten Blick aussieht wie ein gewolltes Poptrendprodukt für Teenager, ist im Prinzip lediglich die Kombination aus den klassischen Vorsätzen beider Modehäuser. Der amerikanische

Basketballschuh huldigt seit Jahrzehnten dem Spieler Chuck Taylor und hegt ein Faible für Segeltuchmaterial. Und das Design-haus aus dem hohen Norden macht sich seit den 60ern mit kontraststarken farbigen Mustern auf roher Baumwolle einen Namen. Es scheint also, als hätten sich zwei zeitlose Traditionshäuser gefunden, die inzwischen die üblichen Altersbeschränkungen überschritten haben. In Kombination sind poppige Treter entstanden, die die weibliche Modewelt ab Mitte März in ausgewählten Läden erstehen kann. (fs) converse.com

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second place is first loser? kinki präsentiert: does it Natürlich nicht! Zumindest nicht bei einem Wettbewerb in der Grössenordnung der Swatch ‹True Colours›-Competition, an welcher das kinki magazin vergangenen Herbst mit einem Advertorial, fotografiert von David Spaeth, und dazugehörigem Making-of-Video teilnahm. Über zwanzig Magazine aus aller Welt buhlten um die Clicks der Websitebesucher, die schlussendlich darüber abstimmten, welches Medium denn nun die Uhren der ‹New Gent› Serie am passendsten inszeniert hatte. Als Sieger aus diesem kreativen Wettkampf ging schliesslich das Vice Magazine hervor. Und dass wir

offend you, yeah?

uns gleich ein Treppchen tiefer stolz die Silbermedaille vor die geschwollene Brust hängen dürfen, freut uns unglaublich! Zu verdanken haben wir diesen Erfolg nebst allen Mitwirkenden des Foto- und Videobeitrags aber natürlich in erster Linie unseren Lesern, die so fleissig für uns gevotet haben. Deshalb an dieser Stelle: tausend Dank und ein dickes Bussi aus der kinki Redaktion! Wer Fotostrecke und Videobeitrag verpasst hat und sich trotzdem ein nasses Küsschen verdienen möchte, der kann sich beides auf unserer Website unter kinkimag.com/articles/swatch nochmals ansehen. (rb)

Angriff auf Deutschland! Die Engländer von Does it offend you, yeah? touren nächsten Monat durch die Bundesrepublik.

Unvorhersehbarkeit ist König. Nach diesem Motto nahmen Does it offend you, yeah? in einem kleinen Studio in Reading zwischen Bettkante und Kühlschrank das neue Album ‹Don’t say we didn’t warn you› auf, das ihr Debüt in puncto zerstörerischem Elektrorock noch weit übertrifft. Die Lieder erzählen von Reinkarnation und schimpfen gegen gefühlsgestörten Mainstream. James Rushents melodischer Gesang wird dicht gefolgt von Elektrosounds in Krawall- und Remmidemmi-Manier. Seit dem 14. März kann man sich diesen Gefühlsausbruch kaufen. Voller Stress, panisch und hart ging’s bei der Produktion

Das kann sich sehen lassen: kinki hat sich mit David Spaeths Fotostrecke den zweiten Platz an der Swatch ‹True Colours›-Competition gesichert.

schnappi, schnappi Das meistkopierte Krokodil dieser Welt hat die Winterzeit genutzt, um seine Unverwechselbarkeit im Frühjahr einmal mehr unter Beweis zu stellen: Mit der ‹L!VE›-Kollektion setzt Lacoste dem allseits bekannten Krokodil ein grosses rotes Ausrufezeichen vor die Schnauze und richtet seinen Fokus weg vom Golf- und Tennisplatz hin zur urbanen, jungen Mode. In gerade mal sechzig Boutiquen rund um den Globus werden die farbenfrohen und trotzdem dezenten Teile ab diesem Frühling zu haben sein und sich im Nu in den Herzen der modebewussten Städter und Städterinnen ‹festbeissen›. Um euch die Wartezeit ein kleines bisschen zu versüssen, und weil das Krokodil nicht nur auf der Brust, sondern auch am Fuss eine gute Figur macht, verkinki neuzeit

zur Sache. ‹So sind und arbeiten wir halt›, meinen DIOY,Y? dazu nur. Und da es sich live am leichtesten brüskieren lässt, geht die Band mit ihrem neuen Album auf Tour. Nach England und der Schweiz darf sich Deutschland auf die Briten freuen. kinki verlost fünfmal zwei Tickets an alle, die sich einen Abend so richtig die Hörner stossen wollen. Schreib einfach eine Mail mit deiner Adresse und der gewünschten Stadt unter dem Betreff ‹DIOY,Y?› an wettbewerb@kinkimag.ch. (fs) 13.04. Berlin, Festsaal 14.04. Hamburg, Uebel&Gefährlich 15.04. Köln, Luxor 16.04. Stuttgart, Keller Klub 17.04. München, 59:1

paperboy

kinkimag.ch, und zeigt uns, wie gut ihr das echte Reptil vom falschen unterscheiden könnt. Die Wettbewerbsfrage lautet nämlich: In welche Richtung schaut das LacosteKrokodil am liebsten? (rb)

Dank kooaba könnt ihr jeden Beitrag, der im Inhaltsverzeichnis mit dem kleinen Dreiecksymbol gekennzeichnet ist mit euerm Smartphone fotografieren, und erhaltet in Sekundenschnelle Hintergrundinformationen sowie zusätzliche Inhalte wie Videos und Musik. Zudem könnt ihr den Artikel via Facebook und E-Mail weiterempfehlen. Dazu müsst ihr euch lediglich die kostenlose App ‹kooaba Paperboy› runterladen und schon kann’s losgehen: Einfach die Paperboy-App installieren, in der Applikation ein Foto der Heftseite knipsen, und schon liefert euch Paperboy mittels Bilderkennungsprogramm automatisch digitale Extras zu der entsprechenden Seite. (ah)

lacostelive.com

kooaba.com

In den Fussstapfen des Krokodils: kinki verlost das Modell ‹Himos› von Lacoste.

losen wir diesen Monat schon mal den Herrenhalbschuh ‹Himos› in der Farbe Schwarz. Dieser ist zwar nicht Teil der L!VE-Kollektion, passt aber zweifellos prima dazu. Schreibt uns einfach eine Mail mit dem Betreff ‹L!VE›, eurer Adresse und Schuhgrösse an wettbewerb@ 14


weekday x stine goya Die dänische Designerin Stine Goya verwirklichte in ihrer Karriere fast schon jeden Mädchentraum: Sie schloss das Central St. Martins ab, modelte für Chanel, stylte für Harpers Bazar und Vogue, und gründete 2007 ihr eigenes Label. Des Weiteren liess sie Models als Puppenspielerinnen mit Marionetten und goldenen Pony-Haarspangen defilieren – jüngst gesehen an der Copenhagen Fashion Week – und bot einmal mehr eine märchenhafte Inszenierung. Wir haben schon länger ein Auge auf die hübsche Dänin mit dem Gespür für tragbare und formschöne Mode geworfen und verfolgen mit Freude den Hype in der Blogosphäre, der allmählich auch die Aufmerksamkeit der Printmagazine auf die Designerin zieht. Auch für ihren zweiten Streich dieses Jahres, die zweite Kollaboration mit dem schwedischen Modehaus Weekday, wird sich Stine Goya den verdien-

ten Zuspruch einholen. Die kleine und erschwingliche Kollektion erscheint in romantischen Rosa-, Beige- und Nudetönen oder in Weiss mit filigranen Prints und umfasst sommerliche Kleider, Haremshosen und Oberteile. Zahlreiche Designs sind – wie gewohnt – mit güldenen Reissverschlüssen versehen und tragen allesamt die Handschrift der Designerin. Obwohl die Mode von Stine Goya gewöhnlich im zahlbaren Segment angesiedelt ist, sind solche erschwinglichen und gelungenen Kollaborationstücke natürlich äusserst begehrenswert. Ab April gibt es die Kollektion in den Läden. Da wir hierzulande mit keinem Weekday Store gesegnet sind, bleibt nur der Gang über die Grenze nach Deutschland oder gleich der Städtetrip nach Stockholm oder Kopenhagen. (fr)

twentyone, eight Auch wenn es die Bibel war, die verkündetet, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschuf, verdanken wir die Sieben-Tage-Woche nicht ihr, sondern den Sumerern. Sie waren es, die ihre Woche in sieben Teilblöcke einteilten, was uns bis heute erhalten blieb. Dass die Woche ausgerechnet sieben Tage hat, war jedoch eine willkürliche gesellschaftliche Übereinkunft und hat nichts mit äusseren Umständen wie beispielsweise den SonneMond-Zyklen zu tun. Warum also nicht einfach mal eine Acht-TageWoche einführen? Der in Berlin lebende Künstler Fiete Stolte hat mit seinem Projekt ‹Eight Days a Week› genau das getan. Stoltes Woche besteht aus acht Tagen zu je 21 Stunden. Das heisst, dass ein Tag jeweils um 21 Uhr endet und gleichzeitig ein neuer beginnt. Die drei Stunden, die dabei jeden Tag gewonnen werden, bilden in der Summe einen neuen, achten Tag. Die

Auch mit der zweiten Kollaboration mit Weekday begeistert Stine Goya. Die Models mit dem wallenden, roten Haar tun ihr übriges.

weekday.com

Zeit vergeht dabei im selben Tempo und der Montag ist auch immer deckungsgleich mit dem Montag der Sieben-Tage-Woche – wenn auch nur für 21 Stunden. Das Projekt soll zeigen, dass Zeit etwas Abstraktes ist, und lässt den in der 21/8 Woche Lebenden seine Umgebung aus einer völlig anderen Perspektive betrachten. Wenn man die 21/8 Woche ein Jahr lang durchzieht, hat dieses beispielsweise nicht mehr 365 Tage, sondern eben 417. Um nicht den Überblick zu verlieren, hat Fiete Stolte auf der Webseite theeightdayweek.com eine spezielle 21-Stunden-Uhr eingerichtet und Kalender für Wochen und das ganze Jahr konstruiert. Ein ziemlich abgefahrenes Projekt, das uns vielleicht bewusst macht, wie viele selbstverständliche Dinge nur auf gesellschaftlichen Konventionen basieren und eigentlich jederzeit aufgebrochen werden können. (ah)

handschriftlich In Zeiten von gerendertem Grafikperfektionismus und HochglanzLayouts singt ein Grafikdesigner eine Lobeshymne auf Fresszettel und rudimentäre Kritzeleien. Vor zwei Jahren gründete Kris Harzinski die Hand Drawn Map Association und sammelt seitdem online alle Arten von Karten, die von Hand auf Papier gebracht wurden: gekritzelt, ausgefeilt, informativ, dekorativ, fragmentarisch oder restlos unverständlich. Das Prinzip kennt jeder: Man ist unterwegs, weiss nicht wohin und behilft sich – ganz klassisch – mit Stift und Papier, um sich den Weg zu merken. Mitmachen bei Harzinkis Bildchensammlung kann auch jeder: Man schickt ihm einfach eine selbst erstellte Karte und ist so im Online-Archiv verbucht. Die Frage ist nur, ob man damit auch alle Rechte an dem Bild abgibt. Inzwischen sind nämlich genügend Skizzierungen zusammengekommen, dass Herr Harzinski den gedruckten Bildband ‹From here to there› aus den gesammelten Karten machen konnte. Ob man sich allerdings

theeightdayweek.com

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einen Zacken aus der Krone bricht, wenn man der Welt umsonst die Skizze zum nächsten Supermarkt hinterlässt, sei auch dahingestellt. Schön zum Stöbern und zum Über-das-Leben-der-anderenFantasieren ist die Sammlung auf jeden Fall. (fs) handmaps.org Fresszettel im Umschlag: Kris Harzinski sammelte für das Buch ‹From here to there› Skizzen und Kritzeleien aus aller Welt.


magie der fotografie

Obwohl gewisse Kulturen angesichts fotografierender Touristen noch immer meinen, mit der Kamera könne die Seele eines Menschen eingefangen werden, ist der Mythos Fotografie für uns seit langem weitgehend entzaubert, rationalisiert und in den Alltag integriert. Was in den vergangenen Jahrzehnten eher für offene Münder sorgte, war die rapide materielle Reduzierung des Gehäuses sowie die verbesserte Qualität durch die Digitalisierung. Ein Kameragehäuse kann heute – zum Beispiel im Falle der Canon IXUS 220 HS – 19,5 mm messen, entsprechend leicht sein und doch über ein unglaubliches 24-mm-Ultraweitwinkelobjektiv mit fünffach optischem Zoom verfügen. Das Fotografieren wird dank zahlreicher Zusatzfunktionen wie der intelligenten Automatik, optischem Bildstabilisator und dem neuen ‹HS System›, das Bilder selbst in schwach beleuchteter Umgebung ermöglicht (endlich scharfe Partyfotos!), immer einfacher, komfortabler und vielfältiger. Deshalb möchten wir auch einem unserer Leser eine solch praktische Canon IXUS 220 HS in schickem Schwarz mit auf den Weg geben. Dafür müsst ihr natürlich etwas leisten: Um eurer Motivwahl etwas Abwechslung einzuhauchen und der Digitalfotografie etwas Magie und Zauber zurückzugeben, fordern wir euch dazu auf, Fotos zum Heftthema ‹Esoterik› einzufangen. Schickt eure Astral-, Aura- und übersinnlichen Bilder mit eurer Adresse und dem Betreff ‹Canon› an wettbewerb@kinkimag.ch. Einsendeschluss ist der 10. April. Wer sich nicht gedulden mag, der kann die Canon IXUS 220 HS in drei Farbausführungen beim Kamerahändler seines Vertrauens erstehen. (fr) canon.ch

kinki neuzeit

love american skin Die ‹Haut› Nordamerikas hat viele Farben und Oberflächen und sie erzählt tausend Geschichten. Diana Scheunemann hat ihr ein eigenes Projekt gewidmet. Im vergangenen Sommer begab sich die in New York lebende Schweizerin, beladen mit Fotoapparat und Filmkamera, auf eine Entdeckungsreise quer durch die Staaten. Das Ziel war es, die so unterschiedlichen Facetten des Landes aufzunehmen, zu fotografieren und zu filmen, und dann aus ihrer eigenen, individuellen Perspektive wiederzugeben. Während dem Roadtrip entstand in 60 Tagen aus 60 Bekanntschaften, 10 128 Meilen durchquerten Landschaften in 21 Bundesstaaten ‹Love American Skin›, ein MultimediaProjekt, in dessen Zentrum ein Dokumentarfilm steht. Am 2. März startete das spannende Projekt im Web mit Interview-Teasern aus dem Film und mit Fotografien, die Diana während der Reise eingefangen hat. In den folgenden Monaten kommen immer neue Inhalte dazu und nach einer Ausstellung in New York feiert dann – ebenfalls im Big Apple – der Dokumentarfilm Premiere. (ah)

dianascheunemann.com 60 Menschen in 60 Tagen. Diana Scheunemanns Roadtrip-Erfahrungen können im Projekt ‹Love American Skin› verfolgt werden.

kampf der hosen schrank liegen. Und so wie es aussieht, hat die Stoffhose vor, ihren wohlverdienten Platz gegen die Übermacht der Jeans auch weiterhin zu verteidigen. Doch ähnlich schwierig, wie eine perfekt sitzende Jeans zu finden (ja, das geht nicht nur der Damenwelt so), gestaltet sich die Suche nach Chinos: nicht zu eng sollten sie sein, nicht zu weit und die Farbe muss natürlich auch stimmen. In solchen Fällen bietet es sich an, einem Brand zu vertrauen, der den Kampf gegen die Vorherrschaft der Jeans schon führte, als die meisten von uns noch in den Latzhosen steckten. Dockers steht seit über zwei Jahrzehnten für schlichte Khakis in klassischen und ausgefallenen Farben, und prägte mit seinem Beinkleid die Mode der 90er- und 00er-Jahre. Diesen Frühling überzeugt Dockers vor allem mit Washed Out Farben und

Seit spätestens vorletztem Frühjahr hat wahrscheinlich fast jeder Mann eine Chino Pant im Kleider16

‹All American› Vintage Flair. Inspirieren liess man sich in der Kollektion ‹True Character› von Landschaft und Leben im texanischen Wüstenstädtchen Marfa. Herausgekommen ist eine stilsichere Kollektion aus Basics in erdigen Tönen. Da finden sich Jeans- und Leinenhemden, Bermudas, T-Shirts, Accessoires – und natürlich jede Menge Chinos! Und weil wir jetzt schon so viel darüber geredet haben, wollen wir euch eine solche natürlich auch nicht vorenthalten: kinki verlost nämlich drei Dockers Chinos in der Farbe ‹British Khaki› in den Grössen 33 und 34. Schreibt einfach eine Mail mit eurer Adresse und Grösse an wettbewerb@ kinkimag.ch und schafft schon mal Platz im Kleiderschrank. Mindestens eine Jeans muss raus! (rb) dockers.com


UNCONVENTIONAL CHIC

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kahn & selensnick Verträumt und verstörend wirken ihre Werke, die immer etwas Mystisches und Naturverbundenes haben und an die Welten von Michael Ende erinnern. Die zwei in Amerika lebenden Briten Kahn & Selesnick führen uns durch 360Grad-Aufnahmen wirr inszenierter Realitäten und Objektnachahmungen, die jedes Naturkundemuseum schmücken könnten. In ihrer Arbeit aus sepiafarbenen Fotoreihen, Installationen und Objektkunst schreiben sie die Weltgeschichte neu und bemühen sich um die perfekte Illusion der von ihnen geschaffenen Parallelwelten.

einblick Was mit Kyle Falconer, dem Frontmann der Indie-Rockband ‹The View›, am Tag unseres Termins los war, weiss man nicht so genau. Das Interview hat der schottische Sänger zumindest mal verschlafen. Glücklicherweise stand dann aber Gitarrist Peter Reilly für unsere Fragen zur Verfügung. Wir sprachen mit ihm über die nicht enden wollende Indie-Welle und darüber, warum sich The View nicht auf dieser Welle reiten sieht. Natürlich kamen wir dadurch auch auf ihr neues Album ‹Bread and Circus› zu sprechen.

michael paukner Ohne Infografiken würden wir in unserer von Informationen überfluteten Gegenwart wohl nicht mehr auskommen. Eben diese allgegenwärtige Visualisierung und Vereinfachung von Informationen und Gesamtzusammenhängen fasziniert den Wiener Grafikdesigner Michael Paukner. In seinen Arbeiten nimmt er sich solch faktischer oder auch spiritueller Angaben an und setzt sie mit einer Bildsprache zwischen Infografik und

Poster-Art-Ästhetik visuell um. Kornkreise treffen auf Planeten, Stonehenge, das Pythagoras Theorem, den aztekischen Kalender oder den goldenen Schnitt. Aber auch die One-Dollar-Conspiracy der Illuminati, Primzahlenkreise oder die platonischen Körper werden zu wunderbaren, ästhetischen und informativen Illustrationen verarbeitet. Zu sehen auf der kinki Website.

Gedanken) von ‹Esben and the Witch› berieseln lassen, die kreative Bildwelt von Allison Scrapulla aufsaugen und euch von einer Rousseau’schen Modestrecke ent-

führen lassen. Wettbewerbe und Veranstaltungstipps holen euren Geist dann auf schonende Weise wieder in die Realität zurück.

vertiefung Auf kinkimag.ch könnt ihr diese Woche noch tiefer eintauchen in die unerschöpflichen Welten der Kunst, Mode und Ästhetik, euch von der sphärischen Musik (und den kinki kinkimag.ch

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DAS PARFUM

FÜHLEN, TEILEN, TRÄUMEN A U F W O M A N I T Y. C O M


klagemauer Ist dein neuer Kaschmir-Pulli eingegangen? Der Joghurt im Kühlschrank zu neuem Leben erwacht? Setzen sich die Psychopathen im Bus immer neben dich? Egal was dich gerade stresst oder nervt: Auf kinkimag.ch unter ‹Klagemauer› kannst du Dampf ablassen. Die besten Einträge werden hier veröffentlicht.

dämliche kunstbilder in wartezimmern von arztpraxen jackli | dass ichs mal wieder geschafft hab VOR dem frühling schluss zu machen - und mich die nächsten 3 monate über blümchen, herzchen und schmetterlinge zu tode nerven werde. wuhu. keintimingüberhauptkeins | dass es menschen gibt, die schluss machen und dann nicht allein durch den sommer wollen ... sorry aber ich bin sprachlos ich bins dein exfreund | haha innerrhode ist der geilste kanton, hassen ausländer, ballern gern rum ... das riecht nach heimatgefühl! auf in die berge! touristen, reist in diesen wunderschönen kanton, solange ihr wieder abreist tun sie euch nichts! AI_ | gestern geburtstag gehabt, insgesamt 1300 g schokolade gekriegt IST DAS SCHEISSE ODER WAS ich hasse es, dass ich zuviel esse und dass ich essen muss, wenn ich mich innerlich leer fühle mensch ich will eine gute therapie das leben ist so anstrengend | man, jetzt habe ich auch lust auf schokolade. ich könnte es sogar noch vertragen. ich habe aber keine! @das leben ist so anstrengend: schickst du mir was? sehr anstrengend | ich kriegs einfach nicht hin mit schweizer tastatur ein ‹sz› zu machen chuchichäschtli | wann gibts endlich hatebook? otto_möchte_mit_dir_verfeindet_sein | Good morning! what a beautifull lovely day - just had a cup coffee and happy to go to work another day. (singing - walking down the stairs with a big smile - passing by the letterbox) Oh a letter, it’s getting better, who might this be? (silence - rumble in the sky - turns dark - wind starts blowing - camera shows the letter!) Who might ‹Steueramt der Stadt Zürich› be? FUCK! (first scene of ‹the Postman brings Scheiss!›) itsmeClaudio | klaut keine automatenphotos von leuten, die sich im automaten noch schnell schön machen wollen. photomatenfrau | Meteo und Tagesschau ist das deprimierendste das es gibt. Beim einen gibt’s nicht mal Schnee und beim andern geht’s nur um Krieg. Und dann die einzige gute Nachricht auf RTL, Justin Biber kommt in den Stimmbruch. -.- valke | Ich bin sicher; der Mensch der so blöd war ein Buch ÜBER Mathematik zu schreiben war den Rest seines Lebens Single und von anderen Menschen gehasst. Also ich hasse dich, wer auch immer du warst! lomo | aktualisierungen herunterladen. ANDAUERND | Chefs, die zwar das Sagen, aber nichts zu sagen haben. ichnehmetelefonimmernochnichtab | Leute die erzählen, dass sie am Hödsenriver das Böttlerflymuseum besucht haben, und anschliessend ins Pöb gingen um ein Stiek zu essen. Jetzt sind sie wieder zurück und drücken auf den Bötten um ein Öpdate zu laden. tocötitshort | WTF?!Meine geliebten Haselnusskekse mir nichts dir nichts von 99ct auf 1,19euro erhöht? Meine ganzen Ausgaben müssen neu überarbeitet werden und ich kann doch kein Mathe ... derInDiEkeksderalletopt | kinki klagemauer

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Š 2011 adidas AG. adidas, the Trefoil, and the 3-Stripes mark are registered trademarks of the adidas Group.

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Nicolas Coulomb

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‚Suchst du dich selbst, so suche draussen in der Welt. Suchst du die Welt, so suche in dir selbst.› Rudolf Steiner 25




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Kleid: Jil Sander Rollkragen: ‹Pleats Please› von Issey Miyake Pumps: Christian Louboutin

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Strickjacke: Polo Ralph Lauren Hemd: Yves Saint Laurent Krawatte: Hugo Boss Shorts: Dsquared2 Mokassins: Hugo Boss

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Kleid: Louis Vuitton Body: Falke Espadrilles: Christian Dior

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Kleid: Miu Miu Hemd: Yves Saint Laurent Gürtel: Miu Miu Sandalen: Miu Miu Fächer: ‹LV› von Louis Vuitton

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Jackett: Calvin Klein Polo und Pullover: Polo Ralph Lauren Shorts: Dsquared2 Fliege: Monsieur Jean Yves Mokassins: Hugo Boss

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Sandra: Body mit Rollkragen: Wolford Metallgürtel: Maison Martin Margiela Kleid: Alexis Mabille Pumps: Prada Aaron: Polo und Pullover: Polo Ralph Lauren Fliege: Monsieur Jean Yves Hosen: Hugo Boss Photographer: Nicolas Coulomb Art director: Florence Tétier Conception: Helena Dietrich Stylist: Clémence Cahu Hair: Lena Fleicher Make-up: Helve Leal Models: Sandra B. @ Option, Aaron K. @ Fotogen Thanks to Julien Pujol.

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Amanda Camenisch

You have all the power you need if you dared to look for it! The Last Unicorn

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Fransen-Foulard: Vintage

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Hose: Ostblock Federhaarreif: Alsamendi, Z端rich Armreif: Guess @ Globus

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Alpaca Poncho: Vintage

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Hose: Ostblock Federhaarreif: Alsamendi, Z端rich Armreif: Guess @ Globus Fotografie: Amanda Camenisch, amandacamenisch.com Styling: Lea K端ng @ time-model.com Haare & Make-up: Rachel Wolfisberg, rachelwolfisberg.com Model: Amra @ visage.ch

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Rote Unterwäsche, eine offene Himmelstüre und Marcel Duchamp ...

Wenn sie existiert, dann ist sie pink. Oder rot. Davon bin ich immer ausgegangen. Denn ich bin voller Energie und laut und fröhlich und ehrlich und direkt und ein bisschen egoistisch. Dachte ich zumindest. Doch dann verriet mir Joyasha: Meine Aura ist indigoblau. Text: Paula Kohlmann, Foto: Carlo van de Roer kinki report

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J

oyasha – oder Joy, wie sie sich selbst nennt – habe ich übers Internet gefunden. Sie ist seit 15 Jahren Life-Coach, gibt persönliche Motivationsgespräche, Gruppen-Coachings oder Workshops. Und damit sie fremden Menschen sagen kann, wie sie ihr Leben verändern können, liest sie deren Aura. Ich wollte das schon immer ausprobieren. Nicht weil ich besonders spirituell bin. Sondern neugierig. Und ich denke, dass es eine Ausstrahlung gibt, die bestimmte Menschen umgibt. Oder eben auch nicht. Das kennt doch jeder: Bestimmte Menschen werden trotz Anwesenheit nicht wahrgenommen. Dafür habe ich eine Freundin, die kommt in den Raum und bevor sie ein Wort sagt: Zack. Die Aufmerksamkeit liegt zu 100 Prozent bei ihr. Vielleicht ist sie lauter als andere, oder hat Spannenderes zu erzählen. Aber es ist auch eine körperliche Präsenz, die sie umgibt. Mir wurde das auch schon gesagt. Und jetzt habe ich den Beweis: 80 Prozent von 100. So gross ist meine Aura. Und indigoblau. Ich sitze im Wohnzimmer von Joy, meine Hand liegt auf einem metallenen Gerät, das meine Energieströmungen liest. Nach wenigen Minuten öffnet sich vor mir auf dem Computer ein Bild, das einen Körper in einer blauen Wolke zeigt. In meiner senkrechten Körperachse sind ausserdem sieben unterschiedlich grosse und verschiedenfarbige Flecken zu sehen: Meine Chakren. Energieströme im Körper, Zentren in denen Nervenströme zusammenfliessen. Die kenne ich schon vom Yoga, also bin ich nicht ganz so skeptisch und höre zu, was Joy mir erzählt: Eine blaue Aura, die stehe für eine ruhige Ausstrahlung. Ich bin ganz Ohr. Ruhig? Ich dachte immer, ich sei laut und voller Tatendrang. Sie meint: ‹Menschen mit dieser Aura sind grosszügig, sozial, mutig, ehrlich, einfühlsam und offen für die Probleme anderer.› Stimmt soweit. In der Schule haben alle immer getippt, ich werde einmal Anwältin, weil ich mich bei jeder Ungerechtigkeit mit den Lehrern angelegt habe. Dann der grüne Einfluss: Grün ist die Farbe des Herzchakras und steht für Mitgefühl, Liebe, Kommunikation, Harmonie, Frieden. Oh ja! Ein furchtbarer Harmoniemensch bin ich. Keine zehn Minuten halte ich im Streit aus, ich verzeihe alles. Bloss keine Spannungen!

Gut geraten?

Ein bisschen mulmig war mir heute schon zumute, als ich das Haus verlassen habe. Ich hatte ja keine Ahnung, wo ich lande. Vielleicht bei einer Verrückten, die meint, sie müsse mir Dämonen austreiben. Doch bis jetzt fühle ich mich erstaunlich wohl: Ein Tee neben mir, eine schwarze Hauskatze schleicht um meine Beine und eine herzliche und fröhliche Frau um die 40 zählt mir meine positiven Eigenschaften auf: ‹Blau ist beruhigend. Die Menschen um dich herum nehmen deine Aura nicht bewusst wahr, aber fühlen sich wohl in deiner Nähe. Sie kommen gerne zu dir, weil sie wissen, du bist für sie da und hilfst ihnen. Das ist die gute Seite einer blauen Aura …› Ich wusste es. Aber was kommt nun? ‹Andererseits musst du aufpassen, dass dich andere nicht ausnutzen. Du musst lernen, Nein zu sagen.› Autsch. Das sass. Abends

kann ich nicht einschlafen, weil ich Bauchschmerzen bekomme, wenn ich daran denke, wer mich hier in London in den nächsten Monaten alles besuchen kommen möchte. Obwohl meine Freunde es bestimmt verstehen würden, schaffe ich es einfach nicht, abweisend zu sein … Das strahlt meine Aura also aus? Ich weiss nicht. Wie vielen Menschen vor mir hat sie das wohl schon erzählt? Kann es wirklich sein, dass man all das in ein paar elektrischen Strömungen um mich herum lesen kann? Was ist da dran?

‹Kaufe dir einen Notizblock und mache Brainstorming! Und kaufe rote Unterwäsche!› Allgemein bezeichnet man als Aura den Energiekörper, der einen Menschen umgibt. Das griechische Wort ‹aúpa› bedeutet Lufthauch. Inzwischen wird der Begriff fast ausschliesslich in der Esoterik verwendet und oft belächelt, wissenschaftlich ist er natürlich nicht nachgewiesen. Ich bin darauf aufmerksam geworden, weil momentan die US-Künstlerin Susanne Hiller in der Tate Britain Farbfotografien ausstellt, die bunte Aurafarben um unbekannte Köpfe zeigen, sie nennt sie eine ‹Hommage to Marcel Duchamp›. Der wiederum hat in seinem surrealistischen ‹Portrait of Dr. Dumouchel› von 1910 eine rote Farbschicht um eben diesen Dr. Dumouchel gemalt. Zwanzig Jahre später hat Walter Benjamin mit dem Begriff die Kunstwelt stark geprägt. In seinen autobiografischen Schriften schreibt er 1930: ‹Erstens erscheint die echte Aura an allen Dingen. Nicht nur an bestimmten, wie die Leute sich einbilden. Zweitens ändert sich die Aura durchaus und von Grund auf mit jeder Bewegung, die das Ding macht, dessen Aura sie ist. Drittens kann die echte Aura auf keine Weise als der geleckte spiritualistische Strahlenzauber gedacht werden, als den die vulgären mystischen Bücher sie abbilden und beschreiben. Vielmehr ist das Auszeichnende der echten Aura: das Ornament, eine ornamentale Umzirkelung, in der das Ding oder Wesen fest wie in einem Futteral eingesenkt liegt.›

Alle meine Chakren

Zurück zu meiner eigenen ornamentalen Umzirkelung: Joy schaut sich meine Chakren genauer an. Im Idealfall sind sie alle gleich gross. Bei mir wechseln sich kleine, also verkrampftere Chakren und grosse, also energiereiche Chakren ab: Wurzelchakra ist zu klein, will heissen, hat keine richtige Verbindung zur Erde. Gut, ein bisschen idealistisch bin ich ja schon … Sakralchakra am Kreuzbein ist sehr gross. Es steht für Gefühle, Sex, Begeisterungsfähigkeit, Lust am Leben, Selbstwertgefühl, Kreativität, Reisen. Check. Treffer ins Schwarze. Das Nabelchakra ist wiederum zu klein. Bedeutet Machtbessesenheit und starkes Leistungsdenken. Mist, so lang41

sam wird das unheimlich. Wie kann sie so viel über mich wissen? Es wird noch überraschender. Das Herzchakra ist ebenfalls sehr gross, sprich: Viele soziale Beziehungen, Toleranz, Herzenswärme, Verantwortung. ‹Aber›, meint Joy, ‹das Chakra ist in Bewegung, leicht durchlöchert, das kann heissen, dass du gerade viele neue Kontakte knüpfst, neue Freundschaften findest.› Ich hatte ihr nicht erzählt, dass ich erst vor Kurzem nach London gezogen bin. Das fünfte Chakra, das Halschakra, steht für Kommunikation und ist zu klein. ‹Eine Blockade im Kommunikationschakra›, das bedeutet konkret: ich rede zu viel. Zu viel über mich selber. Wieder check. Das höre ich nicht zum ersten Mal. Ich bin mit einigen Zweifeln in dieses AuraReading gegangen, aber mitten drin vergesse ich alle kritische Reflexion: Ich höre ihr zu und kann nicht anders, als alles begeistert aufzunehmen, was diese Frau mir rät: ‹Nach aussen gibst du dich stark, aber innerlich bist du auch verletzlich. Zeige dich, wie du wirklich bist.› Während das Stirnchakra relativ gross ausfällt und mir eine starke Willenskraft und Wahrnehmung verspricht, stutzt Joy vor allem bei dem letzten, wichtigsten Chakra: Das Scheitelchakra, die Verbindung zum höheren Selbst, verantwortlich für tiefen inneren Frieden, sei doppelt so gross wie mein Wurzelchakra. Sie strahlt: ‹Dir steht gerade ein Fenster offen. Du hast den Super-Bonus. Oder wenn du an Schutzengel glaubst: In der nächsten Zeit hast du drei davon. Nutz das aus!› Das ist doch mal eine gute Nachricht! Und dann gibt sie mir noch den Tipp, auf den ich die ganze Zeit gewartet habe. Der mich innerlich schmunzeln lässt, weil er mir doch wieder eine gewisse Distanz zu dieser Frau mit dem langen, wallenden Rock gibt, weil er so typisch esoterisch ist, genau wie ich erwartet hatte: ‹Weg mit deinen dunkelblauen und schwarzen Klamotten. So symbolisierst du den Leuten um dich herum nur, dass sie weiterhin zu dir kommen und sich ausheulen können. Trage Rot! Dann sehen sie deine wirkliche Persönlichkeit! Dann geht es um dich!›

Schutzengel und Strings

Nach eineinhalb Stunden sind wir fertig. Ich habe ihr erzählt, was mir Spass macht im Leben, sie hat mir Vorschläge gemacht, was ich damit machen kann. Zehn Dinge aufschreiben, die ich gerne tue und dann mit viel Fantasie Möglichkeiten erfinden, damit Geld zu verdienen. Das ist ihr Tipp. ‹Kaufe dir einen Notizblock und mache Brainstorming! Und kaufe rote Unterwäsche!› Am Schluss umarmt sie mich, als wären wir beste Freunde seit Jahren. Wir sind es gewesen, für diese 90 Minuten, denn sie hat mehr in mir gesehen als viele meiner engsten Freunde, hat mich ermutigt und motiviert, wie es schon lange niemand mehr getan hat. Und auch wenn alles Humbug und Scharlatanerie ist und ich nur gehört habe, was ich hören wollte: Ich fühle mich gut. Voller Lebensenergie und Mut und Selbstbewusstsein. Ich habe drei Schutzengel, die mich begleiten, ein richtiger Glückspilz bin ich. Und morgen schaue ich mal, was es im Winterschlussverkauf so an roter Unterwäsche gibt. Kann ja nicht schaden …


wortlaut das 10 minuten interview

Boy George: ‹Wünsche sind geheim!› Interview kinki magazin: Gab es einen ausschlaggebenden Moment, in dem dir bewusst wurde, dass du deinen desolaten Lebenswandel von Grund auf ändern möchtest? Boy George: Nein. Die Entscheidung, mein Leben zu ändern, ist nicht über Nacht gefallen. Man wacht nicht morgens mit dem Gedanken auf, heute sein Leben zu ändern. Es ist eher ein schleichender Entwicklungsprozess. Es ist einfach passiert und ich bin heute sehr froh, dass es passiert ist. Es geht eher darum, an einen Punkt zu gelangen, an dem einem bewusst wird, dass man sehr glücklich mit dem ist, was man tut. Oder auch mit dem, was man nicht tut. Das Leben muss nicht unbedingt ein Drama sein und ich muss nicht mehr unbedingt die Drama-Queen sein, die ich früher einmal war. Ich habe erkannt, dass das Leben auch Spass machen, dass man es geniessen kann.

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eorge O’Dowd kann wieder lachen. Über die Welt und über sich selbst. Und über das, was der 49-jährige Allroundkünstler in Form seines Alter Ego namens Boy George immer noch darstellt. Anfang der 80er-Jahre gehörte er mit seiner Kultformation Culture Club zu den ganz grossen Teenie-Idolen im internationalen Musikgeschäft und wurde danach zur exotisch-flippigen Instant-Ikone der New Romantic Bewegung stilisiert. Anfang der 90er folgte der unausweichliche Karriereknick der ‹Glam-PopGeisha›: Hässliche Skandalschlagzeilen von nächtelangen Sex-, Drogen- und Gewaltorgien, Knastaufenthalte, weitere Exzesse, wieder Knast. Eine gefühlte Ewigkeit hat man nichts mehr vom schillernkinki wortlaut

In den letzten Jahren hast du dich aufs DJing konzentriert. Warum der Schritt zurück auf die grosse Bühne? Ich liebe es, Musik zu machen und Shows zu spielen. Spätestens als damals all diese unsäglichen Boybands und konfektionierten ‹Plastic-Acts› immer populärer wurden, war es höchste Zeit für mich zu gehen. Ich fühlte mich mit meiner Musik irgendwie deplaziert; der Massengeschmack hatte sich zu einer oberflächlichen, seichten, inhaltslosen Wegwerfware gewandelt, zu der ich nicht verkommen wollte. Heute geht es mit Künstlern wie Amy Winehouse oder Duffy qualitätsmässig endlich wieder aufwärts – dieser Zeitpunkt fühlt sich gut und richtig an, es noch einmal zu versuchen.

den Schöpfer unzerstörbarer Discohymnen wie ‹Do You Really Want To Hurt Me› oder ‹Karma Chameleon› gehört, was über gewohnheitsmässige C-Promi-Randnotizen über Heroinbesitz, verprügelte Callboys oder sonstige schwerere Verbrechen hinausgegangen wäre. George O’Dowd ist nämlich vom turbulenten Central London an den Waldrand des beschaulichen Hampstead gezogen. Auf seinem neuen Soloalbum ‹Ordinary Alien› hat er augenzwinkernde Songs wie ‹Yes We Can›, ‹Here Come The Girls› oder ‹Kill The A&R› im Gepäck. Ausserdem bereitet er momentan die für 2012 geplante Rückkehr von Culture Club vor. Klingt nach Neuanfang. Aber fragen wir ihn doch selbst.

Du blickst heute auf 30 wechselvolle Jahre im Popgeschäft zurück. Ein kurzes Fazit, bitte. Gerade als junger Künstler unterliegt man am Anfang seiner Kar42

riere leicht dem Trugschluss, dass Ruhm und Erfolg die Lösung für alle Probleme bedeuten. Doch irgendwann platzt dieses Luftschloss und du wirst mit der harten Wirklichkeit konfrontiert. Ich habe fest daran geglaubt, dass mir dieser riesige Erfolg über meine Unsicherheit hinweg helfen würde. Mit der Zeit lernt man gezwungenermassen, alles aus einer anderen, realistischen Perspektive zu betrachten. Ich habe mir angewöhnt, mich nicht mehr gross über die Vergangenheit oder die Zukunft zu sorgen, sondern im Hier und Jetzt zu leben. Ich bin in der glücklichen Lage, das zu tun, was ich liebe und davon auch noch leben zu können. Wie würdest du dich selbst in aller Kürze beschreiben? Als ‹Work in progress›. Man verändert sich ständig, entwickelt sich weiter. Ich habe neuerdings meinen Off-Button entdeckt und gelernt, auch einmal abzuschalten, wenn es nötig ist. Ich kann die Privatperson George O’Dowd vom Künstler Boy George trennen. Wobei es mir in vielen Momenten leichter fällt, Boy George zu sein. Boy George wird von der Öffentlichkeit mit anderen Augen angesehen als George O’Dowd. Das macht es nötig, einfach einmal umzuschalten, die Rollen zu wechseln. Was würdest du dir wünschen, wenn du einen einzigen Wunsch frei hättest? Das kann ich doch nicht sagen, Wünsche sind geheim! Hört sich nach einem obszönen Wunsch an! Nein, nicht obszön. Sondern romantisch!

Text und Interview: Thomas Clausen Foto: Promo


www.g-shock.eu

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querschläger alles, ausser angepasst

Sein Sieg in der Uri Geller Show machte den Mentalisten Vincent Raven bei einem Millionenpublikum bekannt. Wir trafen den ‹Mann mit den Raben› in Bern. Allerdings ohne Raben. Und leider auch ohne mentale Übereinkunft. Text: Rainer Brenner, Foto: Daniel Tischler

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incent ist nicht zufrieden. Das Gespräch gefiel ihm nicht. Lieber wäre er nach dem Sinn seiner Arbeit gefragt worden. Darauf hätte er dann folgendes geantwortet: ‹Ich möchte den Leuten mitgeben, dass nicht nur das, was sie in ihrem Kopf haben, die Wahrheit ist, nicht nur das Sichtbare, sondern die Wahrheit auch anders erfahrbar ist. Und meist gelingt mir das mit meinen Experimenten auch. Das ist meine Aufgabe. Es geht um ein Gefühl, das in die Leute eindringt, wenn sie es zulassen.› Stattdessen haben wir in seinem Kellertheater ‹Zum Raben› in der Berner Altstadt eine knappe Stunde lang über Natürliches und Übernatürliches gesprochen, zuweilen vielleicht sogar ein bisschen gestritten. Dabei liess Vincent uns durchaus an seiner Welt teilhaben: Er erzählte uns von seinem Leben, seinem Uhu, dem Hund und den drei Raben, zeigte uns sogar ein Video von Rabenmännchen Odin, der scheinbar nicht nur Vincents berndeutschen Dialekt, sondern auch sein Stimmtimbre angenommen hat, wenn er spricht. Mit seinen kleinen schwarzen Augen blickt der Vogel in die Kamera und öffnet den Schnabel. ‹Bisch e Schöne›, tönt es nach einer Weile aus dem Lautsprecher. Woher die Laute wirklich kommen, bleibt allerdings auch in digitaler Form Glaubenssache. Vincent selbst glaubt an ‹alles›. Damit sind Wesen im Wald und sonstwo gemeint, aber auch viele andere Phänomene aus der mythologischen und esoterischen Welt. ‹Es gibt diese Dinge einfach. Es ist einfach so!› Gerne illustriert er seine Erzählungen mit Beispielen. Oder aber er stellt mit strengem Blick Fragen, von denen ich die meisten mit einem Achselzucken beantworten muss, da ich keine Ahnung von der keltischen Kultur kinki querschläger

habe und allgemein ‹ein bisschen weniger denken› sollte. Vielleicht hätte ich Vincent nicht fragen sollen, ob seine Rabendame Corax ihm das grosse Geheimnis schon verraten habe. Oder wie es im Jenseits aussieht. Und ich hätte nichts gegen das ominöse weisse Licht dort sagen dürfen. Doch in einer Sache sind wir uns nach einer knappen Stunde und fünf Zigaretten doch einig: Das mit den Antworten ist nicht ganz so einfach. Weder in der Wissenschaft noch in der Esoterik. Und schon gar nicht in Interviews …

sich zusammen und lassen sich wie eine Bombe zur Erde fallen. Du kennst dich ziemlich gut aus mit dem Jenseits, wie’s scheint. Wie sieht’s dort denn aus? Du meinst die Anderswelt. Die ist auch hier präsent. Ich bin ganz ehrlich zu dir: Ich habe Angst vor dem Tod. Meinst du, du könntest mir die nehmen? Das erste, was wir mit unserem Leben hier auf der Welt mitbekommen, ist der Tod, Rainer. Niemand weiss, wann er gehen muss, und das ist ja auch gut so. Wenn man Angst davor hat, muss man sich damit beschäftigen. Wieso genau hast du denn Angst vor dem Tod?

Interview kinki magazin: Deine Performances, die ich im Fernsehen verfolgt habe, sind allesamt extrem kompliziert: Jemand muss irgendwas irgendwo einschliessen, sich irgendwo hinstellen, dann nochmals irgendwo was holen … Man verpasst fast die Pointe. Vincent Raven: Du sprichst von einer Fernsehsendung, da musste man sich halt auch ein bisschen arrangieren, das musste dort halt so sein. Wenn ich hier Vorstellungen gebe, kann das auch mal ganz schnell gehen. Komm doch mal vorbei, hier siehst du Dinge, wie du sie noch nie gesehen hast. Da fliegt dir der Rabe direkt über den Kopf, das ist viel näher.

Ich werde alles verlieren, was mir etwas bedeutet. Ausserdem ist es eine grosse Veränderung, davor fürchtet sich doch jeder Mensch. Ja, unsere moderne Gesellschaft schon. Früher – zum Beispiel bei den Kelten – ging man ganz anders mit dem Tod um. Die wussten, dass sie wiederkommen werden. Der Tod wird in unserer Gesellschaft tabuisiert. Ja aber wieso sagst du mir nicht einfach, was mich im Jenseits konkret erwartet? Das sind verschiedene Dinge, verschiedene Ebenen, die du betrittst. Man betritt eine Zwischenwelt. Du verlässt deinen Körper, aber deine Seele lebt weiter. Weisst du, du überlegst dir zu viel, du musst einfach loslassen.

Dein Rabe Corax ist ja ziemlich eifersüchtig, wie man hört. Ja, Corax ist ein Weibchen (schmunzelt). Eifersucht herrscht ja auch bei menschlichen Beziehungen. Raben sind monogam, sie entscheiden sich einmal pro Leben für einen Partner und wenn dieser verstirbt, so begeht der andere meist Selbstmord.

Genau davor habe ich ja Angst. Du bist eine ziemlich ängstliche Person. Warst du im Militär? Nein. Du ja wahrscheinlich auch nicht, oder? Nein. Die wollten mich nicht. Ich war denen zu verrückt (lächelt).

Selbstmord? Ja, sie fliegen ganz hoch, legen 44

Und was hat das Ganze dann mit dem Militär zu tun? Meistens fürchten sich die Leute, die sich vor dem Tod fürchten auch vor Krieg und so … Aber um zu deiner Frage zurückzukommen: Das, was du im Jenseits erleben wirst, kannst du im Diesseits mit Worten nicht erklären, verstehst du? Aber du hast keine Angst vor dem Tod? Nein. Warum sollte ich mich vor etwas Unausweichlichem fürchten? Eigentlich musst du ein sehr glücklicher Mensch sein, Vincent. Dir stellen sich keine solche Fragen. Die Welt ist ein offenes Buch für dich. Ja. Vincent Raven lebt in einem ‹mobilen Chalet› und verfügt nebst metaphysischen auch über physische Kräfte: Er beherrscht KungFu. Geflügel isst er eher selten. Allerdings nicht seinen Vögeln zuliebe.


‹Die Anderswelt ist auch hier präsent …›

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Des Menschen Werk oder Teufels Beitrag?

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Hoch über unseren Köpfen spielt sich etwas ab, das, je nach Standpunkt, als bedeutungsloses Naturphänomen, die konspirative Rettung des Weltklimas oder das Werk Satans zu betrachten ist. Auf den Spuren des mysteriösen Phänomens der Chemtrails. Text: Martina Messerli, Fotos: Alexander Binder

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er Himmel ist stahlblau, keine einzige Wolke trübt die Aussicht. In rund acht Kilometern Höhe rauscht über unseren Köpfen ein grosses Passagierflugzeug vorbei, nichts besonderes. Als der Spuk vorbei ist, zieren weisse Schlieren den Himmel und zeichnen den Weg, den das Flugzeug zurückgelegt hat, akribisch nach. Kondensstreifen, hat man als Kind gelernt. Auch sie sind keinen zweiten Gedanken wert, auch nicht, wenn unzählige davon den Himmel kreuzen und den regen Verkehr im Luftraum dokumentieren. Nach ein paar Minuten lösen sie sich auf, werden in alle Winde verweht, zerfallen. Und doch sind Kondensstreifen nicht gleich Kondensstreifen. Einige scheinen nicht mehr verschwinden zu wollen. Hartnäckig legen sie sich wie eine zähe Nebelschicht über den Sommerhimmel, trüben die Sonne, bleichen das Blau des Himmels aus und lassen einen frösteln. Das Phänomen, vielfach mit dem Begriff ‹Chemtrails› beschrieben, soll der optische Nachweis dafür sein, dass über den TreibgasAusstoss von Flugzeugen flächendeckend ein Mix aus giftigen Chemikalien versprüht wird. Seit der ersten Erwähnung von Chemtrails in den späten 90er-Jahren hält sich die Geschichte hartnäckig in zahlreichen Internetforen. Die Diskussion findet irgendwo zwischen Verschwörungstheorie und wissenschaftlicher Argumentation statt, zwischen fanatischem Umweltaktivismus und ‹brauner Esoterik›, Angstmacherei und versprochener Rettung des Weltklimas.

Contrails vs. Chemtrails

Herkömmliche Kondensstreifen sind durch Menschenhand entstandene Wolken, die oberhalb von circa acht Kilometern in der oberen Troposphäre entstehen, wenn sich heisse Triebwerksabgase von Luftfahrzeugen mit kalter Luft vermischen. Der Wasserdampf kondensiert an den Russteilchen zu winzigen Tröpfchen, die bei ausreichend kalter Luft zu Eiskristallen gefrieren. Diese Kristalle streuen das Sonnenlicht und werden als weisse Wolkenstreifen sichtbar. Normalerweise lösen sich diese Kondensstreifen nach wenigen Minuten wieder auf. Je nach Wind und Luftfeuchtigkeit kann die Breite der Kondensstreifen aber auf mehrere Kilometer anwachsen und über längere Zeit sichtbar bleiben. Welchen Einfluss die Kondensstreifen auf das Klima haben, ist nicht definitiv nachgewiesen. Klar ist, dass die Kondensstreifen einen kleinen Teil des Himmels bedecken und damit die Sonneneinstrahlung reduzieren.

Andererseits absorbieren Eiskristalle die vom Erdboden kommende Strahlung und behindern – ähnlich dem Treibhauseffekt – deren Abfluss ins Weltall, was eine Erwärmung nach sich zieht. Es wird daher vermutet, dass unser Klima geringfügig durch die Kondensstreifen des Flugverkehrs beeinflusst wird. Im Gegensatz zu den normalen Kondensstreifen entstehen Chemtrails aber nicht bloss durch Bildung von Eiskristallen, sondern durch die Absonderung verschiedener Chemikalien, die über die Triebwerke von Fracht- und Verkehrsflugzeugen in die Luft gelangen. Die Literatur liefert einige Hinweise darauf, wie Chemtrails zu erkennen sind. So würden diese Sprühaktionen vorwiegend an heissen Tagen oder unter Hochdruckeinfluss durchgeführt. Oft überfliegen gleich mehrere Maschinen ein bestimmtes Gebiet, wodurch die Trails in hoher Anzahl und bestimmten Mustern am Himmel erscheinen. Chemtrails lösen sich nicht nach kurzer Zeit wieder auf, sondern breiten sich aus und überziehen den Himmel mit einer milchigen Schicht. Es können auch regenbogenähnliche Reflexionen, die sich kreisförmig um die Sonne anordnen, beobachtet werden. Sich im Aluminiumpulver brechendes Sonnenlicht soll die Ursache sein. Chemtrails-Experten berichten zudem von drastischen Wetteränderungen nach besagten Sprühaktionen. Die Lufttemperatur soll um fünf bis sieben Grad absinken sowie die Luftfeuchtigkeitswerte um rund 20 Prozent abnehmen. In der Folge herrscht oft tagelang schönes, aber auffällig dunstiges und kühles Wetter.

Wettergötter

Doch was wird durch das Versprühen des Chemikalien-Cocktails bezweckt? Die am weitesten verbreitete Annahme ist die der Wettermanipulation. Dass der Mensch das Wetter kontrollieren und beeinflussen will, ist kein neues Phänomen. Bereits in den 40er-Jahren wurden erstmals Regenwolken chemisch behandelt, in der Hoffnung, Wirbelstürme abzulenken oder Hagelwolken kontrolliert abregnen zu lassen. Ein Vorgang, der auch über Schweizer Weinbaugebieten gang und gäbe ist. Dafür werden mit Hilfe einer Rakete Gewitterwolken zur Verhinderung von Hagelbildung mit Silberjodid geimpft. Silberjodid hat eine sehr ähnliche Struktur wie Eis, weshalb diese Partikel als gute Kondensationskeime für die Bildung von Eiskristallen wirken. Die Methode gilt als umwelt- und gesundheitsverträglich. Was also auf lokaler Ebene praktiziert wird, soll als Geheimprojekt unter dem Namen ‹The Shield› im grossen Stil vor den Augen der 47

Chemtrails-Experten berichten von drastischen Wetteränderungen nach besagten Sprühaktionen.


‹Center for Disease Control› (CDC) spricht von womöglich bis zu drei bis vier Milliarden Toten bis ins Jahr 2050 bzw. 60 bis 80 Millionen Toten pro Jahr. Der Schweizer Chemtrail-Experte Gabriel Stetter, der als einer der ersten im deutschen Sprachraum seine Beobachtungen in einem Artikel veröffentlichte, dokumentiert auf seiner Website chemtrails.ch Nachfragen bezüglich Chemtrails bei verschiedenen Ämtern und Organisationen. So liess beispielsweise Greenpeace verlauten, dass sie sich ‹in absehbarer Zeit nicht mit Chemtrails beschäftigen› würden,

Laut einem geheimen Informanten namens ‹Deep Shield› untersteht das Projekt der UNO und wird seit spätestens 1995 tatsächlich umgesetzt. Weltbevölkerung zur Anwendung kommen? Dafür gibt es durchaus gewisse Hinweise. 1991 reichten die beiden Forscher David Chang und I-Fu Shih das ‹Welsbach-Patent› ein, Unterlagen zur ‹Stratosphärischen Welsbach-Anreicherung zwecks Reduktion der globalen Erwärmung›. Aufgrund des massiven Verbrauchs fossiler Brennstoffe in den letzten 150 Jahren wird die Hitzeabstrahlung der Erde in den Weltraum stark behindert, das Klima droht aufgrund dieses Effekts zu kippen. Bei den patentierten ‹Welsbach-Partikeln› handelt es sich um Metalloxide, welche die Hitze in Erdnähe in Infrarotwellen umwandeln, die in den Weltraum abgeleitet werden, wodurch wiederum der gewünschte Kühleffekt eintritt. Zudem binden die Oxide Kohlendioxid an sich und ‹neutralisieren› somit einen der Hauptfaktoren der Erderwärmung. Das Patent von 1991 sieht explizit vor, diese Partikel durch den Treibstoff von Düsenflugzeugen in die Luft zu bringen. Den damit erzielten Ausstoss beschreiben die beiden Forscher optisch als ‹reinweisse Federstreifen› am Himmel. Laut einem geheimen Informanten namens ‹Deep Shield› untersteht das Projekt der UNO und wird seit spätestens 1995 tatsächlich umgesetzt. Dafür sei eigens eine Abteilung der Weltgesundheitsorganisation WHO geschaffen worden. Die praktische Ausführung untersteht angeblich der NATO sowie grossen zivilen Flugverbünden. All diese Hinweise lassen eine grosse Frage unbeantwortet: Weshalb muss die vermeintliche Lösung unseres dramatischen Klimaproblems in diesem Ausmass geheim gehalten werden? Auch darauf gibt es eine Antwort. Offenbar ist die Technik mit einigen Risiken verbunden. Laut ChemtrailExperten setzt die WHO die Gesundheit von Millionen Menschen aufs Spiel. Hauptsächlich davon betroffen sind Kinder, Kranke sowie betagte Menschen. Das US-amerikanische kinki report

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dazu mangle es an wissenschaftlichen Grundlagen. Und weiter: ‹Greenpeace ist nicht die Organisation, die sich um die Verifizierung eines vermuteten Phänomens kümmern kann.› Ähnlich die Reaktion des Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL): ‹Es existieren verschiedene Ideen, wie mittels technischer Massnahmen einer Klimaerwärmung, zumindest vorübergehend, entgegengewirkt werden könnte. Allerdings sind diese Überlegungen rein theoretischer Natur. Uns ist nichts bekannt über die praktische Anwendung solcher Methoden, weder im In- noch im Ausland.›

Novus ordo seclorum

Im Falle der Chemtrails dient das Internet als ergiebige Brutstätte wilder Verschwörungstheorien, die wissenschaftliche Erkenntnisse und gesunden Menschenverstand weit hinter sich gelassen haben. Und wo immer die Verschwörungstheoretiker am Werk sind, sind auch die Illuminaten nicht weit. Die 1776 vom Philosophen und Kirchenrechtler Adam Weishaupt gegründete Geheimgesellschaft verfolgte ursprünglich das Ziel, durch Aufklärung und sittliche Verbesserung die Herrschaft von Menschen über Menschen überflüssig zu machen. Seit dem Verbot des Ordens im Jahr 1785 ranken sich zahlreiche Mythen und Verschwörungstheorien um dessen Existenz und Absichten. Nach Ansicht einiger Chemtrail-Kenner steckt der Geheimorden, dessen mächtige Fühler sich bis in die einflussreichsten Regierungen dieser Welt erstrecken sollen, hinter dem perfiden Plan der Etablierung einer Neuen Weltordnung. Der ‹geheime› Plan der Illuminati sei es, die Weltbevölkerung bis ins Jahr 2050 von derzeit rund sieben Milliarden Menschen auf zwei Milliarden zu reduzieren, um den Weg für die Errichtung einer faschistoiden Weltregierung zu ebnen. Wie es für Verschwörungstheorien üblich ist,


gibt es jede Menge ‹Beweise› und wiederum trotzdem keine stichhaltigen Hinweise auf die tatsächliche Existenz eines solch teuflischen Plans, weshalb die Illuminati-Connection wohl eher als weitere Anekdote in der ganzen Diskussion um die Existenz von Chemtrails einzuschätzen ist. Doch wenn man schon fasziniert auf den Spuren der Illuminaten durch die Weiten des World Wide Webs wandelt, gerät man unweigerlich tiefer in den Strudel an Erklärungen jenseits von Gut und Böse. So kommt eine andere Gruppierung zum Schluss, dass ‹der eigentliche geistige Auftraggeber und entscheidende Drahtzieher hinter der weltweiten Lichtvernebelungs- und Atmosphärenvergiftung durch Chemtrails zur beschleunigten Herbeiführung einer Neuen Weltordnung Satan mit seinen jenseitigen und diesseitigen teuflischen Helfern sein dürfte›. So sollen die vielen Internetseiten, die dort genannten Drahtzieher wie Regierungen, Illuminaten oder andere Geheimlogen lediglich bewusst oder unbewusst ausführende Marionetten Satans und seiner Teufel sein, die ‹dank geistiger Blindheit, Herrschafts-, Macht- und Profitgier keinerlei moralische Hemmungen mehr zu haben scheinen› und ihre ‹illegalen Giftsprüh- und Lichtraub-Verbrechen unter dem Vorwand der Rettung des Weltklimas tarnen›.

Ein bedeutungsloses Naturphänomen, die konspirative Rettung des Weltklimas oder das Werk Satans?

Der ‹geheime› Plan der Illuminati sei es, die Weltbevölkerung bis ins Jahr 2050 von derzeit rund sieben Milliarden Menschen auf zwei Milliarden zu reduzieren. Ein bedeutungsloses Naturphänomen, die konspirative Rettung des Weltklimas oder das Werk Satans? Für viele dieser wohl niemals verifizierbaren Theorien, die im Internet herumgeistern, gibt es keine stichhaltigen Argumente, geschweige denn Beweise. Möglich, dass sich hoch über unseren Köpfen etwas abspielt, das für die Bevölkerung von grösster Bedeutung ist, auf jeden Fall aber geheim gehalten werden soll, aus welchen Gründen auch immer. Solange weder Fakten noch Beweise Aufschluss liefern, dürfen Chemtrails als gut gesponnenes Märchen betrachtet werden, die mit ein wenig Verständnis, logischem Denken und halbwegs vernünftigem Menschenverstand erklärt werden können. Oder etwa doch nicht? Weitere Info findest du unter chemtrails.ch Literatur zum Thema: Chris Haderer, Peter Hiess ‹Chemtrails. Verschwörung am Himmel? Wettermanipulation unter den Augen der Öffentlichkeit.› Verlag V. F. Sammler 2005. Gabriel Stetter: ‹Die Zerstörung des Himmels. Globales Chemie-Verbrechen in der Atmosphäre.› Beitrag auf chemtrails.ch.

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Von Kamasutra bis Krishna und Katharsis: die Ganzheitlichkeit der G채nsehaut.

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Haarsträubend Für das Phänomen der Gänsehaut gibt es eine einfache medizinische Erklärung. Oder doch nicht? Der Autor Floco Tausin präsentiert uns eine andere, spirituelle Theorie, warum uns Menschen zuweilen die Haare zu Berge stehen. Illustration: Rachel Lattimore

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er kennt es nicht, das Prickeln auf der Haut, bei dem sich die Körperhärchen aufstellen? Oft geht dieses Gefühl einher oder wird gleichgesetzt mit Frösteln, Schauer und bestimmten emotionalen Zuständen. Weil die Haut dabei so hügelig wie bei einer gerupften Gans aussieht, sprechen wir von ‹Gänsehaut›. Kaum bekannt ist dagegen, dass dieser Zustand eine gesundheitliche und spirituelle Bedeutung hat, im Sinne einer ganzheitlichen Reinigung des materiellen, emotionalen und gedanklichen Körpers. Dies legen sowohl medizinische Studien nahe als auch die Erfahrungen von spirituellen Meistern verschiedener Kulturen.

Die spirituelle Bedeutung

Es mag nicht sofort verständlich sein, wie die Gänsehaut, die wir im Alltag oft beim Frösteln oder in Schreckensmomenten erleben, eine spirituelle Bedeutung haben kann. Die Heilige Schrift kennt das Phänomen nur im Zusammenhang mit Furcht und Schrecken: ‹Und ein Hauch fuhr an mir vorüber; es standen mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da stand ein Gebilde vor meinen Augen, doch ich erkannte seine Gestalt nicht.› (Hiob 4, 15-16) Auch unsere westliche Medizin gewährt keine Aufschlüsse darüber. Nach der gängigen Ansicht der Mediziner handelt es sich bei der Gänsehaut um ein funktionslos gewordenes Überbleibsel aus der fernen Vergangenheit: Denn als die Menschen noch dicht behaart waren, habe das Aufstellen der Haare gegen die Kälte geschützt – und sei zudem, wie bei Tieren noch heute, eine Drohgebärde in Kampfsituationen gewesen, denn der Mensch wirkte dadurch grösser und bedrohlicher. Für den modernen Menschen sei dieses Prickeln ohne Nutzen. Andere Kulturen sowie manche religiöse und spirituelle Richtungen weisen auf eine andere Seite dieses Phänomens hin: Die Gänsehaut geht nämlich häufig einher mit meditativen oder ekstatischen Zuständen, oft bei tiefer hin-

gebungsvoller Liebe zu einer Gottheit. Das ist für uns gar nicht so schwer nachzuvollziehen, wenn wir uns daran erinnern, dass wir dieses Prickeln ja auch in sehr schönen Momenten erleben: Sei es beim Hören von harmonischer Musik, beim Sehen von stimmungsvollen Naturerscheinungen und vor allem im Zusammensein mit einem geliebten Menschen.

Die Gänsehaut geht häufig einher mit meditativen oder ekstatischen Zuständen, oft bei tiefer hingebungsvoller Liebe zu einer Gottheit. Gerade bei der Liebe und der Sexualität ist das Prickeln auf der Haut das Resultat eines bewussteren Erlebens. Das Kamasutra zum Beispiel, das indische Lehrbuch der körperlichen Liebe, lehrt eine bestimmte Art der Berührung, die das Prickeln auslösen soll. Und der Ausdruck ‹Hautorgasmus› oder ‹Ganzkörperorgasmus› für ein entspannendes und beglückendes Prickeln zeigt die enge Verbindung von Sexualität und diesem Phänomen. Kein Wunder, konnte der Psychologe J. Panksepp neurochemische Ähnlichkeiten im Nervensystem bei einem Prickeln und einem geschlechtlichen Orgasmus feststellen. So wird die tiefere Bedeutung, die dieses Prickeln für viele spirituelle Meister hat, verständlicher: Anstelle der Liebe zu einem Menschen tritt die Liebe zu Gott. Anstelle eines geschlechtlichen Orgasmus tritt der prickelnde Ganzkörperorgasmus. So wird dieses Phänomen in der religiösen Literatur als Erscheinung bei tiefer Kontemplation, Meditation und Ekstase erwähnt. In den Epen und Legenden der Hindus beispielsweise kommt es oft bei grossen Helden, Yogis und Göttern vor, sobald sie edle göttliche Gestalten erblicken oder zeitlose Wahrheiten vernehmen. Ein berühmtes Beispiel ist Arjuna, der Held der Bhagavadgita: Seine Haare sträuben sich, als er die wahre Natur seines Wagen51

lenkers, der Gott Krishna, erkennt. Später findet das Prickeln Eingang in den buddhistischen Abhidamma, den jüngsten Teil des Pali-Kanons. Hier zeigt es eine bestimmte Stufe der Meditation an, die auf das Stillwerden der Gedanken folgt: Es ist Teil einer den ganzen Körper durchdringenden, überwältigenden Freude (‹priiti›), die in ihrer Intensität bis zur völligen Verzückung reichen kann. Im vierten Jahrhundert schreibt der Kirchenvater und Mystiker Augustinus von einem heiligen Schauer, der ihn plötzlich überfiel und ihn das unsichtbare Wesen der Schöpfung Gottes erkennen liess. Und der islamische Mystiker al-Qusayri bezeichnet im elften Jahrhundert die Demut (‹tawadu›) als ‹die Gänsehaut, die das Herz plötzlich überläuft, wenn die Enthüllung der Wahrheit hereinbricht.› Dass die Gänsehaut als religiöses Phänomen kein Fall von Gestern ist, zeigen uns anthropologische Berichte von Gesellschaften, die noch heute bewusst und gezielt mit Ekstasetechniken und Trance arbeiten, um erweiterte Bewusstseinszustände zu erreichen. Berichte über ekstatische Zustände, bei denen Gänsehaut beobachtet wurde, stammen beispielsweise aus dem indischen Bengalen, aus Mikronesien (einem Inselstaat im westlichen Pazifik) und aus Südamerika, wo das Prickeln oft Anzeichen für die Präsenz nichtmenschlicher Mächte und mit bestimmten Seelenzuständen verbunden ist.

Ganzheitliche Heilung

Das Prickeln geht also in verschiedenen spirituellen Richtungen mit Ekstase und veränderten Bewusstseinszuständen einher. Es ist Teil einer Entwicklung, die negative menschliche Bedingungen überwinden und Heilung für Körper und Geist herbeiführen will. Wenn wir Bewusstseinsentwicklung als ganzheitliche Heilung verstehen, worin liegt dann die heilende Wirkung des Prickelns? Ein gutes Bild für die ganzheitliche Betrachtung ist es, das Prickeln als Energie zu beschreiben, die aus unserem Körper fliesst. Dies entspricht auch der ayurvedischen Sicht, die die Natur des Phänomens mit einem erhöh-


ten ‹vata dosha› in Verbindung bringt, also mit dem Wind- oder Ätherzustand und somit mit feinstofflichen, geistigen Energien. Das Prickeln wäre demnach ein Ausscheiden von überschüssiger Energie, und zwar auf einer feinstofflichen Ebene (‹vata›). Als ausfliessende innere Energie deutet dies auf die Beseitigung von Blockaden,

Das Prickeln wäre demnach ein Ausscheiden von überschüssiger Energie, und zwar auf einer feinstofflichen Ebene. die Ausschaffung von ‹Schlacken› und die Kühlung hin – genauso wie das Ausscheiden von Körperflüssigkeiten auf gröberen Ebenen (‹pitta› und ‹kapha›) für Reinigung und Kühlung sorgt. Unsere westliche Medizin schreibt der Gänsehaut bisher keine solche reinigende und kühlende Wirkung zu. Dies liegt wohl daran, dass das Phänomen stets zusammen mit den Symptomen verschiedener Erkrankungen beobachtet wurde, oft mit jenen von Infektionskrankheiten. Daher gilt das Prickeln ähnlich wie etwa das Kältegefühl, die Ohnmacht, der Schwindel, die Taubheit und andere Beeinträchtigungen als negative Auswirkung der Krankheit, die selbst keinen Beitrag zur Genesung leistet. Doch gerade bei Infektionskrankkinki report

heiten gibt es Hinweise darauf, dass es wie das erhitzende Fieber nicht ein Symptom, sondern im oben genannten Sinn eine Abwehrreaktion des Körpers ist. Erwähnt sei hier die Tatsache, dass gewisse Medikamente dieses Prickeln verursachen können. Ganzheitlich interpretiert: Der Heileffekt liegt gerade auch darin, dass der Wirkstoff die Energie im Körper zum Fliessen bringt, um die Krankheit unter anderem durch das Prickeln herauszuleiten. Zudem gibt es bereits vereinzelte statistische Studien, die auf die Möglichkeit eines noch nicht erforschten gesundheitlichen Nutzens von ‹Chills› (engl. für ‹Frösteln›, das meistens mit Zittern und Prickeln einhergeht) hinweisen: So wurde festgestellt, dass Fieberpatienten mit Blutvergiftung, die Chills aufweisen, höhere Überlebensraten haben als solche ohne. Die Forscher vermuten, dass ‹Chill-Patienten› allgemein effektiver auf die Krankheit antworten können.

The chemicals between us

Auch auf einer psychologischen Ebene wirkt das Prickeln reinigend, im Sinne einer Katharsis: Es werden innere Spannungen bewusst gemacht und aufgelöst. So ist es in Angstsituationen die Energie der Angst, die wir durch unseren Körper abgeben. Mit zunehmendem Fortschritt bleibt das Zittern und Herzklopfen auf diese Weise aus. Dabei gelingt es uns nicht nur, ruhig und gefasst zu bleiben, sondern wir können sogar lernen, diese Energie zu geniessen – die Angst verliert 52

ihre Macht über uns. Auch das Prickeln im Kopf, das bei sehr intensiver Wut spürbar wird, wirkt wie ein Ventil und lässt uns sofort ruhig und gelassen werden. Auf diese Weise haben wir die Aggression nicht verdrängt, sondern auf die richtige Weise aus dem Körper fliessen lassen, ohne sie emotional auszuleben – wir haben die Wut überwunden. Gleiches passiert bei starker Zuneigung in der Liebe oder beim Sex. Ein Gespräch mit einem sympathischen Mensch kann in uns ein schönes entspannendes Prickeln verursachen, das uns den Moment frei von beklemmenden Zwängen und Begehrlichkeiten geniessen lässt. Und für diejenigen, die ihre sexuelle Kraft bewusst umzuwandeln versuchen, wird ein vermehrtes Sträuben der Härchen auf das Ausströmen von sexuell freigewordener Energie hinweisen – ein ekstatischer Ganzkörperorgasmus, der den Körper entspannt, stärkt und die unmittelbare Umwelt schön und freudig macht. In all diesen Fällen hilft uns das Prickeln, emotionale Spannungen bewusst zu machen, aufzulösen und als reine Energie abzugeben, ohne dass wir uns in Abhängigkeiten verstricken. Neuropsychologische Studien bestätigen dies indirekt, wenn sie zeigen, dass Gänsehaut mit erhöhter Aufmerksamkeit und positiven Einschätzungen sowie mit einer verminderten Angst und Abneigung einhergeht. Das Prickeln hat also im Sinne einer ganzheitlichen Reinigung einen heilenden Aspekt, der von der Spiritualität nicht zu trennen ist. Was in unserer Schulmedizin allmählich zur Erkenntnis wird, haben spirituelle Meister verschiedener Richtungen vorgelebt: Das entspannende Prickeln auf der Haut, das sich durch eine entsprechende Lebensweise bis zur Ekstase steigern lässt, ist aus dem Körper fliessende Energie. Sie macht uns glücklich und bewusst, und lässt uns das Leben geniessen und bejahen.

Der Name Floco Tausin ist ein Pseudonym. Der Autor studierte an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern und befasst sich in Theorie und Praxis mit der Erforschung subjektiver visueller Phänomene im Zusammenhang mit veränderten Bewusstseinszuständen und Bewusstseinsentwicklung. 2004 veröffentlichte er die mystische Geschichte ‹Mouches Volantes› über die Lehre des im Schweizer Emmental lebenden Sehers Nestor und die spirituelle Bedeutung der Mouches Volantes. Weitere Info zum Autor und seinen Publikationen findest du unter mouches-volantes.com.


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Erlöse uns von dem Bösen Wenn einfach nichts im Leben gelingen will, eine schwarze Wolke über einem schwebt und man von Pech in der Liebe oder von Krankheit verfolgt wird, hat vielleicht der Teufel seine Finger im Spiel. In Rumänien hilft in solchen Fällen nur noch ein Besuch bei einer Wahrsagerin. Text und Fotos: Peter Rösch

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vrig im Winter 2011. Ein kleines Nest in Transsilvanien. Den ganzen Tag hat es geschneit und am Rande der Strada Gheorghe Lazăr, die mich eine junge Roma entlang führt, liegt sauberer weisser Schnee, der im Gehen meine Sneaker von dem Schmutz reinigt, dem sie auf den rumänischen Gassen nun schon seit einer Woche ausgesetzt sind. Die Roma trägt ihr Kind auf dem Arm, während sie mir plaudernd den Weg weist. Ich habe sie, bevor ich sie ansprach, gleich aus der Ferne an ihrem roten Faltenrock und dem bunten Kopftuch erkannt. Sie erzählt mir, dass die Wahrsagerin, zu der sie mich führt, ihr auch schon einmal geholfen habe, als ihr Mann sie mit den beiden Kindern habe sitzen lassen. ‹Und ist dein Mann wiedergekommen?› frage ich sie. ‹Ja›, antwortet sie ziemlich nüchtern. Wir müssen ein ganzes Stück gehen. Auf meine Frage, wo die Wahrsagerin wohnt, entgegnet meine Weggefährtin nur, ich werde schon sehen. Eine alte Dacia rattert langsam an uns vorbei. Wie das Orakel, das mich erwarte, denn heisse, versuche ich meiner Vermittlerin zu entlocken. ‹Das wird sie dir schon sagen›, lautet die knappe Antwort. ‹Und was kostet so was in etwa?› starte ich einen neuen Anlauf. ‹Nun, das hängt davon ab, ob du verhext bist oder nicht›, sagt die Roma wie selbstverständlich. Ich nicke zustimmend und lächle etwas gezwungen. Unser Gespräch stirbt ab, nicht einmal das Kind auf ihrem Arm unterbricht das Schweigen.

Helfe dir Gott

Etwas verwundert nehme ich das schlichte Haus zur Kenntnis, das sich als einsamer, dunkler Fleck in der Landschaft auftut, nachdem wir einer unasphaltierten, menschenleeren Strasse eine Weile gefolgt sind. Ich blicke zu meiner Wegführerin, die ihren freien Arm auf den Punkt in der Ferne richtet und mir anzeigt, ich solle den Rest alleine gehen. ‹Doamne ajută›, sagt sie zum Abschied, ein auf dem Land noch gebräuchlicher kinki report


Gruss, der so viel wie ‹Helfe dir Gott› bedeutet. Ich drehe mich noch einmal nach ihr um, nachdem sie abgebogen ist. Das Kind, dessen Kinn auf ihrer rechten Schulter ruht, schaut mir ohne irgendeine Gesichtsregung tief in die Augen. Mein unwillkürliches Lächeln erwidert es nicht. Dann mache auch ich mich zu meinem Ziel auf.

‹Du kannst nicht glücklich sein. Weil dein Herz nicht mehr dir gehört.› Lange bevor ich auch nur in die Nähe des Hauses gekommen bin, kündet der Hund meinen Besuch an. Vom Gartentor aus rufe ich so lange ‹Alo›, bis sich krächzend die Haustür öffnet und eine ältere Frau erscheint. Durch das Gitter des Gartentors erkläre ich ihr den Grund meines Besuchs, worauf sich ihre misstrauische Mine etwas mildert und sie mich hereinbittet. Ich nehme auf einem Sessel Platz und sie setzt sich neben mich auf einen Hocker. Sie heisse Maria und habe diese Gabe von ihrer Grossmutter geerbt, erzählt sie. Viele Menschen suchten bei ihr Rat. Im Zimmer ist es kalt, man sieht unseren Atem gefrieren, wenn wir reden. Die Wahrsagerin blickt sehr ernst und fast schon etwas bitter. Irgendwie gelingt mir kein Lächeln. Maria ruft etwas auf Romanes ins Nebenzimmer, dann sagt sie, sie werde mir schon mal aus der Hand lesen, bis der Kaffee fertig ist. Ich soll meine Hand zur Faust schliessen und mir etwas wünschen. Als ich die Handfläche öffne, beginnt Maria deren Konturen zu entziffern. ‹Ein Gedanke verfolgt dich, bevor du nachts einschläfst, ein Gedanke verfolgt dich, wenn du morgens aufwachst und ein Gedanke lässt dich nicht los›, sagt sie und hebt ihren Blick nur kurz von meiner Hand, um meine Zustimmung zu vernehmen. Daraufhin fährt sie fort. ‹Geld hast du genug, Liebe hast du genug und dennoch bist du nicht glücklich. Ein tiefer Schmerz verdunkelt dein Leben›, sagt sie und wartet wieder meine Zustimmung ab. ‹Hier, in deinem Herzen, schlummert er›, erklärt sie weiter und setzt ihren Finger dabei auf meine linke Brust. ‹Hier hast du ihn begraben›, fügt sie hinzu und tippt mit dem Finger auf meine Brust. Seltsamerweise blitzt in Marias dunklem Gesicht gerade in diesem Moment kurz ein Lächeln auf, das zwei Goldzähne entblösst. Nach einer kurzen Pause sagt sie: ‹Ein Unglück hat dich zu mir geführt, aber ich kann dir noch nicht genau sagen welches. Zu undeutlich ist deine Handfläche, im Kaffeesatz wird es leichter zu lesen sein.›

Dämonen

Wenig später kommt auch schon ein junges Mädchen mit der rauchenden Tasse ins Zimmer. Unter dem aufmerksamen Blick der Wahrsagerin nippe ich daran, während mir eine zähe Flüssigkeit mit lauter kleinen Pulverkörnchen in den Mund strömt. Angestrengt versuche

ich den bitteren Geschmack zu überlächeln. Ziemlich barsch schickt Maria das Mädchen mit den schwarzen Zöpfen aus dem Zimmer. ‹Es bringt Unglück, wenn jemand meine Deutungen mithört›, erklärt sie mir. Während ich mühselig die dunkle Brühe schlürfe, fragt sie mich, ob ich nachts nicht manchmal ein Pochen höre. ‹Nur ganz leise, kaum hörbar, aber doch da›, erläutert sie. ‹Ja, weiss nicht, kann sein, wieso?› stammle ich. ‹Nur so›, entgegnet sie erneut mit einem kurz aufflackernden Lächeln. Verwirrt trinke ich den letzten Rest meines Kaffees. In der Tasse ist jetzt nur noch der Satz zurückgeblieben. Mit dem Daumen soll ich hineindrücken. Gemeinsam schauen Maria und ich auf den schwarzen Grund der Tasse. ‹Ich sehe einen grossen Streit›, orakelt Maria. ‹Einen Streit, in dem dir jemand grosses Verderben gewünscht, in dem er dir den Bösen Blick gegeben hat. Seit damals begleitet dich Unheil auf deinem Weg.› Als sie diese Worte zu Ende

‹Es gibt Menschen, denen kann selbst ich nicht helfen, weil Gott will, dass sie leiden.› gesprochen hat, hustet sie mehrmals sehr eindringlich. ‹Sag, bist du glücklich?› fragt sie mich daraufhin. ‹Naja, ich weiss nicht so genau›, entgegne ich. ‹Du kannst nicht glücklich sein. Weil dein Herz nicht mehr dir gehört›, sagt sie und tippt wieder auf meine linke Brust. ‹Aber wem gehört es dann?› möchte ich von Maria wissen. Abermals taucht dieses seltsame Lächeln in ihrem sonst todernsten Gesicht auf. ‹Dem Teufel?› frage ich befremdet. Erschrocken flüstert Maria, ich solle Seinen Namen nicht in den Mund nehmen. Einen Moment halten wir beide inne und ich meine hören zu können, wie jemand nebenan Sonnenblumenkerne isst: jede einzelne Hülse wird mit den Zähnen aufgebrochen und nur das winzige Innere verspeist, die leere Schale auf ein Häufchen zu den anderen geschmissen.

Exorzismus

‹Wie lange bleibst du noch in Rumänien?› fragt mich Maria. ‹Morgen geht mein Flug›, erwidere ich. ‹In neun Tagen hätte ich dich von dem Fluch befreien können. Ich will mein Bestes versuchen, aber vermutlich wirst du wieder kommen müssen›, sagt sie. ‹Es gibt Menschen, denen kann selbst ich nicht helfen, weil Gott will, dass sie leiden. Aber dein Unglück ist nicht der Wille Gottes, dir kann ich helfen›, erklärt sie. Dann soll ich eine Banknote von grossem Wert herausholen. Ich zücke einen Schein. ‹500.000?› kom55

mentiert Maria unwillig. Sie verwendet noch die alten Geldbezeichnungen. Vor ein paar Jahren gab es eine Währungsreform, da wurden überall vier Nullen gestrichen. Im Sprachgebrauch sind die alten Bezeichnungen aber immer noch geläufig und mit umgerechnet etwa 30 Franken ist man in Rumänien auch heute noch ein Millionär. ‹Wenn es dir wirklich ernst ist, solltest du mindestens 900.000 opfern, 100.000 für jeden, dem du Böses getan hast›, sagt Maria und richtet meinen Schein dabei in mehrere Winkel des Zimmers, so als würden dort all die Menschen stehen, denen ich Leid zugefügt habe. Ich zücke eine weitere Banknote mit dem Porträt von Aurel Vlaicu und erhöhe auf eine Million Lei. ‹Ich werde jetzt einen Segen über dich sprechen, der dein Herz von dem Übel befreien soll, das in ihm wohnt.› Bei diesen Worten nimmt Maria die beiden Geldscheine, richtet sie auf mein Herz und schlägt mit ihnen ein grosses Kreuz genau vor meiner linken Brust. ‹Danke›, sage ich. Sie nickt und lässt das Geld in ihrem Rock verschwinden. Dann verabschieden wir uns. Draussen dunkelt es bereits. Laternen gibt es hier keine. Ich schaue auf meine Schuhe. Sie sind nass, aber sauber. Über mir krähen ein paar Raben. Ich schaue hoch zu ihnen in den sternenlosen Himmel. Wie Dämonen ziehen sie einsam über mir ihre Bahnen. Ein Taschentuch halte ich in den Händen. Maria hat es mir zum Abschied in die Hand gedrückt. ‹Meine Nummer. Falls du Hilfe brauchst›, hat sie dabei gesagt. Irgendwie lag Mitleid in ihren Augen. Es ist stärker geworden, nachts das Pochen.


Burying the Earth

Fatal Flower Garden

kinki kunst

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Melanie Bonajo Kinga Kielczynska

Modern Life of the Soul. In the forests of Eastern Poland, a sacred cult has formed that has withdrawn from the outside world and worships Mother Nature. Living in houses made of growing plants, its members have turned their backs on the modern world. These eco-extremists believe that the origins of humankind lie in plant life, and seek to reverse evolution by living like plants. Far from the hectic life of modern society, they celebrate the existence of the forest in a spiritual way, with special altars and mystical ceremonies.

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After the After life

kinki kunst

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Listening to Time

The Ultimate Equilibrium

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Re-appearance of Dawn

Silence has Wings kinki kunst

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Thought in Sence 61


Melanie Bonajo & Kinga Kielczynska, 2007

Vision Quest One

Who wants to buy the Earth ? kinki kunst

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Manifesto — Human beings derive directly from plants, not animals, and people are a plague. — Everything in nature contains the powers of nature, and everything is made of one hidden force. — Matter, life, and mind are each different terms of the selfmanifestations of the one divine consciousness. — The orders of creation are based on attracting, combining, and distributing that which already exists. — We oppose the process of evolution as a linear progress; therefore, the time and space categories are no longer relevant. — We believe in the electromagnetic mind and psychological physics of plants, thus we believe that plants can read your mind. — We live in the shadow of the culture and we oppose the maximum visibility of things, therefore the night is our territory. — The idea of future regression as an attitude originates the order of development. — We oppose the overproduction of consumed goods, and of ideas, because it draws the consciousness to the fields of the unnecessary. — We exist in order that we may become something more than we are through the inner search for increased awareness. — We don’t believe in free will. Our desires also desire us. — We move effortlessly and happily through the most strenuous actions with the omnipotent force that guides us in performing the work that needs to be done. — Hidden behind the ghost of our ego, obscured by its struggles and yearning, lays the secret self, which even though hidden, ignored or misunderstood, nevertheless moves all things of life according to their natures and aspirations. — Preoccupation with sensory experience has focused attention on effects instead of causes. This has led scientific investigation down a blind alley where everything grows into infinity, blocking men from seeing the secrets that lie behind life. — It is now only a matter of time until we are faced with the final irrevocable proof of our intuitive perception — the power of mind over matter. — In the modest way we respect what is given to us, and are aware of what we are using and consuming. — Consciousness rises above the pleasure — pain principle of nature and the true meaning of freedom is made apparent. 63

Vision Quest Two


Im Zeichen

des Skorpions Hätte Agnes Obel einen Stachel, würde dieser kein Gift, sondern eine gehörige Ladung Endorphin und Oxytocin injizieren. Und hätte sie Scherenhände, würde sie damit höchstens behutsam Rosen schneiden und kunstvolle Scherenschnitte zaubern. Text und Interview: Dinah Brunner, Foto: Promo

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as will ich eigentlich? Diese Frage blieb der dänischen Sängerin Agnes Obel lange Zeit unbeantwortet. Ein Umzug nach Berlin und viele einsame Stunden brachten ihr schliesslich die Antwort: Berühren. Aber nicht etwa goldene Schallplatten und Autogrammstifte, sondern unsere Herzen. Mit bewusst zurückhaltender Instrumentierung und zeitlosen Melodien gelingt ihr das so behutsam wie einem abendlichen Sonnenstrahl im Märchenwald. Hoffnungslos romantisch und doch von unglaublicher Traurigkeit sind ihre Lieder, sie verströmen eine mystische Ambivalenz. Und genauso wie ihre Musik scheint auch sie selbst zwei Seiten zu haben. Zu Beginn zurückhaltend, ihr blondes feines Haar elfenhaft geflochten, erzählt sie im Interview mal vorsichtig mit leiser Stimme, mal laut und bestimmt: Von ihrer Faszination für Melodien, vom Alleinsein und von der grossen Liebe zu ihrem Freund, mit dem sie alles teilt – sogar das Sternzeichen.

Interview kinki magazin: Dein Debütalbum heisst ‹philharmonics›. Gehst du selbst oft in die Philharmonie? Agnes Obel: Nein, nicht wirklich. Es geht mir um den Kontrast: Die Musik der Philharmonie ist sehr üppig, mit vielen verschiedenen Instrumenten. Meine Lieder hingegen sind ziemlich spärlich instrumentiert. Das Wort ‹harmonic› repräsentiert meine Melodien und die Art, wie ich singe, wiederum sehr gut. Darum hab ich diesen Albumnamen gewählt. Was möchtest du denn mit deiner Musik ausdrücken? Ich bin einfach fasziniert von Melodien. Die Mischung aus Dur und Moll zum Beispiel gefällt mir sehr. Ich kann also nicht wirklich kinki musik

sagen, warum ich Musik mache. Ich liebe es, Klavier zu spielen und Melodien zu erschaffen. In den Texten versuche ich die Atmosphäre der Melodien aufzufrischen. So schreibe ich sie auch immer erst dann, wenn der Song schon steht. Dann ist es das Wichtigste, die Melodie nicht zu zerstören. Denn manchmal habe ich das Gefühl, die Wörter machen das ganze Gefühl kaputt. Ich mag auch keine typischen Liebeslieder. Trotzdem habe ich John Cales Song ‹Close Watch› gecovert. Einerseits ist es ein Liebeslied, andererseits aber auch ganz und gar nicht. Es geht um diesen Typen, der total verloren ist. So hat der Song zwar diese romantische, aber auch diese hoffnungslose Seite. Ich mag diese Zweiseitigkeit. Deine eigenen Songs sind aber auch sehr romantisch ... Ja, vielleicht sind sie das. Melodien sollen Emotionen hervorrufen, etwas in dir auslösen. Und das ist auch mit simplen Mitteln möglich. Ganz spärliche Melodien können unglaublich kraftvoll wirken. Diesen Kontrast liebe ich. Meine Melodien sind zwar komplex, aber ich verwende eine spärliche Instrumentierung. Das ist auch in der klassischen Musik so – meinem Lieblingsgenre. Vor allem ganz einfache Lieder, wie die von Erik Satie, berühren mich am meisten. Und Lieder mit Pausen: Wenn nach der Pause die erste Note erklingt, wirkt das so unglaublich stark. Aber es ist schwierig solche Lieder zu machen, denn man muss sich sehr beherrschen. Man darf nicht immer mehr und mehr hineinpacken, sondern muss es manchmal einfach sein lassen. Manchmal ist es die Pause, die das grosse Bild erschafft. Ich habe gelesen, dass du dich dabei gerne von Filmmusik inspirieren lässt? Nun ja, ich liebe Filmmusik. Es ist beeindruckend, wie die Komponisten den Film einfärben 64

können. Ein Film wäre nie das gleiche ohne seine Musik. Aber das Tolle an der Filmmusik ist, dass die Komponisten wirklich sehr stark mit der Atmosphäre arbeiten und versuchen etwas aufzubauen.

‹Melodien sollen Emotionen hervorrufen, etwas in dir auslösen. Und das ist auch mit simplen Mitteln möglich.› Für welchen Film würdest du denn gerne die Musik schreiben? Vielleicht für einen Horrorfilm? Ich denke, das wäre witzig. Aber keine Ahnung, ich mag eigentlich alle Genres. Für jeden guten Film würde ich gerne die Musik machen. Lass uns ein bisschen über Sternzeichen reden. Du bist Skorpion, oder? Ja, und mein Freund auch! Ich bin ein Oktober-Skorpion, er ein November-Skorpion. Aber ich bin nicht sicher, ob es damit etwas auf sich hat ... Obwohl, mein Freund davor war auch schon Skorpion. Glaubst du denn grundsätzlich an Horoskope? Eigentlich nicht wirklich. Aber es ist doch ziemlich witzig – manchmal. Ich hatte eine Lehrerin in der Grundschule, und sie glaubte stark daran. Skorpione sind ja Tiere, die Menschen verletzen. So gab sie mir das Gefühl, ein böser Mensch zu sein, weil ich ein Skorpion bin. Das fand ich natürlich nicht so toll. Skorpione sind auch Einzelgänger. Magst du es, allein zu sein? Nein, ich bin eher ein geselliger Mensch. Ich mag es, mit anderen Menschen zusammen zu sein und manchmal finde ich es auch etwas


komisch, ganz allein auf Tour zu sein und Interviews ganz alleine zu geben. Dann denke ich, es würde mehr Spass machen in einer Band, wenn wir alles zusammen machen könnten. Aber ich habe meinen Freund, mit ihm kann ich alles teilen. Wir sind wie eine Band. Er macht so Animationen mit Fimo für Stopmotion-Filme und ich helfe ihm oft dabei. So haben wir dieses Gemeinsam-Glücklich-Sein. Früher habe ich in vielen Bands gespielt, einfach weil ich es toll fand, mit diesen Leuten rumzuhängen. Es ging da nicht so sehr um die Musik. Als ich dann nach Berlin zog, kannte ich da niemanden. Alle meine Musikerfreunde lebten in Kopenhagen und ich hatte niemanden, mit dem ich jammen konnte und auch kein Studio zum Üben. Also fing ich einfach an, Songs zu komponieren und selber aufzunehmen. Im Nachhinein war das genau das Richtige: Alleine zu arbeiten, um meinen Fokus zu finden. Vor allem weil ich simple Instrumentierung mag, ist es natürlich schwierig in einer Band mit vielen Leuten und vielen Instrumenten.

Und was waren das für Bands, in denen du zuvor gespielt hast? Ich hatte zum einen dieses Singer/Songwriter-Projekt mit zwei anderen Mädels. Das waren sehr trübe Lieder. Die beiden waren grosse Fans von Sinead O’Connor und Portishead – die eine hat auch gesungen wie Beth Gibbons. Und dann hatte ich dieses Projekt mit einem Typen, der Gitarre spielte und total auf diese Radiohead-Sachen abgefahren ist. Und dann noch diese Band mit ein paar Typen, alle richtige Beatles-Nerds. Immer wenn ich diese Songs höre, dann hört man die Einflüsse so stark. Natürlich hätte ich mich da auch einbringen können, aber ich wusste gar nicht, was mir überhaupt gefällt und was ich genau wollte.

Musikbusiness ist es am wichtigsten, die richtigen Leute zu finden, die dich beraten. Denn reine Menschenkenntnis reicht da nicht. Du brauchst Leute, die Experten im Geschäft sind. Aber es ist bestimmt gut, die Intuition zu haben, einen starken Sinn, wenn es darum geht, diese Leute auszusuchen.

Man sagt, Skorpione verfügen über eine sehr gute Menschenkenntnis. Wie ist das bei dir? Ich weiss nicht. Mein Freund ist sehr gut darin, Menschen einzuschätzen. Ich hingegen bin manchmal ein bisschen naiv ... Aber im

Weitere Info findest du unter agnesobel.com.

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Und bist du ein nachdenklicher Mensch, so wie man es den Skorpionen nachsagt? Ja, das bin ich! Aber ich spreche auch gerne mit anderen über meine Gedanken. Mein Freund ist aber überhaupt nicht so. Er findet schnell mal: ‹Schluss, jetzt reden wir nicht mehr darüber.› Also vielleicht ist das eine Eigenschaft von weiblichen Skorpionen, viel nachzudenken – und viel zu sprechen.


verhör essentielle alben für jede lebenslage

Gehört ihr zu den Gitarrenanbetern? Zur Bruderschaft der synthetischen Klänge? Oder vielleicht sogar zum Zirkel der allseits offenen Ohren? Ganz egal, zu welcher musikalischen Religion ihr euch bekennt, unser Review-Guru hält auch diesen Monat für alle von uns eine silberne Hostie bereit. Remix des Remix des Remix des Remix

Siriusmo – Mosaik ‹Mosaik› heisst das Debüt des Musikers Siriusmo und was aussen draufsteht, ist auch drin: von Dubstep bis House, von Disco bis HipHop, von Elektropop bis hin zu experimentellem Beat-Gefrickel. Ein unersättlicher Genrejäger ist Siriusmo, ein rastloser Zeitengänger dazu, wenn er in seinen Tracks die zahlreichen Stilrichtungen bis zur Clubdecke übereinander legt und sich um die notwendige Statik für seine hoch aufragenden Klanggebilde leider streckenweise nur wenig Gedanken macht. So fällt dann hin und wieder auch einiges an musikalischen Elementen wieder herunter. Songs wie ‹Feed My Meatmachine› und ‹Goldene Kugel› sind zwar durchaus extravagant und wenn man will, kann man sie auch futuristisch nennen, gleichzeitig wird’s aber eben auch schnell hypernervös. Songstrukturen werden aus Prinzip nicht ausgearbeitet und eine gewisse Beliebigkeit stellt man schnell durch den nie enden wollenden Wechsel der Instrumentierung in den Tracks fest. Gelungener sind da schon die Songs, in denen der wilde Stilbruch nicht als einziger polyphoner Fixpunkt gesehen wird. So zum Beispiel im ersten Track der Platte ‹High Together›, hier ist nicht der enervierende inflationäre kinki verhör

wann wieder zurück auf die Insel. Dort lebte sie fortan, bis ihr Vater sich von der Familie trennte, nachdem die Mutter gestanden hatte, Sarah sei das Ergebnis eines Seitensprungs. Die Lebensgeschichte liesse sich an dieser Stelle fortführen, mit weiteren Schicksalsschlägen wie dem Leben im Wohnwagen oder der Pflege der kranken Mutter bis zum Tod. Künstlerisch sind diese Schicksalsschläge durchaus stimulierend gewesen, wie man nun auf ‹Seasons of my Soul› spürt. Zwei Beispiele für das Kaleidoskop an ehrlichen und berührenden Songs sind ‹Healer›, der vom scheinbar unendlichen Schmerz beim Tod eines geliebten Menschen handelt, und ‹Blackbird›, der das Glück beschreibt, die Trauer schliesslich dennoch zu überwinden. Stimmlich ist Sarah Joyce die erste Sängerin seit langem, der man ohne schlechtes Gewissen wieder einmal einen Vergleich mit der berühmten Karen Carpenter zuschreiben kann. Ähnlich glasklar und nur vermeintlich zerbrechlich singt auch Rumer.

Einsatz der unterschiedlichen Musikstile einprägsam, sondern die Nummer ist – zumindest ansatzweise – als cooler P-Funk erkennbar. Bisher war der Berliner Siriusmo, bürgerlich Moritz Friedrich, nur durch verschiedene durchaus gelungene Remixe aufgefallen, beispielsweise für Chikinki, Digitalism oder auch schon mal für die Scissor Sisters. Die Idee, nach einigen Jahren im Musikgeschäft auch einmal eine eigene Platte zu produzieren, macht da natürlich Sinn. Doch zuviel auf ‹Mosaik› klingt noch immer nach Remix, eine eigene musikalische Handschrift spürt man selten.

Enkelin der Carpenter

Rumer – Seasons of my Soul Das Debüt von Rumer, einer sweeten Melange aus poppigem Folk, Jazz und Soul, mutet textlich erst einmal wie eine brasilianische Telenovela an. Schlängeln sich die Lieder doch um fast alle grossen Gefühle, die die Welt in petto hat. Aber die Musikerin Sarah Joyce singt hier nicht nach vorgegebenem Drehbuch, sondern ist durch ihr abenteuerliches Leben selbst mehr als erprobt in der ständigen Erfahrung von Trauer, Zerrissenheit und Glück. So ist sie seit Kindesbeinen geografisch und gefühlsmässig eine Globetrotterin. Aufgewachsen als Nesthäkchen mit sechs Geschwistern in Islamabad in Pakistan, gingen ihre britischen Aussteiger-Eltern irgend-

Bunter Strauss of House

Agoria – Impermanence Leichte Klaviertöne stehen am Anfang der Platte ‹Impermanence› des Musikers Sébastian Devaud aka Agoria. Ein intimer Einstieg in die komplexe Musikwelt des Franzosen. Unterstützt wird der Opener ‹Kiss my Soul› durch die Kinder66

zimmerstimme der erst 20-jährigen amerikanischen Sängerin Kid A. Verdammt clever gemacht, als Hörer verliert man sich sofort in der mit gezuckerten Streichern unterlegten Down-TempoNummer. Doch Agoria hat mehr drauf; nach ruhigem Beginn geht es auf in den Club, auch hier nicht schwer pumpend, eher angenehm entspannt. Stücke wie ‹Souless Dreamer› oder vor allem ‹Speechless›, auf dem kein geringerer als Carl Craig die Vocals in bester ‹Spoken Word Manier› beisteuert, sind sexy Clubhits, die nicht auf den Dancefloor drängen, einfach weil sie wissen, dass man sowieso nicht anders kann. Cool zu sehen, dass Agoria auf seiner zwar bereits dritten LP, aber lediglich ersten Veröffentlichung auf dem eigenen Label InFiné seine neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen auskostet. Vom Standing als DJ, der als Resident im Pariser Rex Club und weltweit in einer Liga mit Typen wie Tiga oder 2manyDJs auflegt, könnte er sich längst auf seinen Lorbeeren ausruhen. Doch mit ‹Impernance› geht der Franzose wieder eher unbekannte Vinyl-Wege und fordert seine Zuhörer lieber mit einem eklektizistischen Mix. Von den ersten House-Anfängen in Chicago bis hin zum Detroit-Techno eines Kevin Saunderson − nur beste Referenzen an elektronischer Musik der vergangenen Jahrzehnte hat er auf dem Zettel. Abwechslung lautet dabei das Motto, wenn beispielsweise auf den Track ‹Grande Torino› mit seinem grandios verträumten Break als nächstes ein Popsong erster Güte namens ‹Heart Beating› folgt. Ein Lied, mit dem Agoria zusätzlich sein Talent als Songwriter und Arrangeur unter Beweis stellt. Somit klarer Kaufbefehl!


Folk für Fortgeschrittene

staubtrockenes musikalisches Road-Movie, bei dem man meint, Tom Waits und Neil Young am Strassenrand stehen zu sehen, wie sie zum respektvollen Gruss kurz die Hutkrempe heben.

Hoffnungsträger

Grossmeister des Tan-Zen The Low Anthem – Smart Flesh Über mangelndes Lob können sich The Low Anthem echt nicht beschweren: Die letzte Huldigung der Band war der renommierte MOJO Award als beste Newcomer. Das Quartett als durchstartende Neulinge zu bezeichnen, war dabei aber schon schräg, superschräg sogar. Immerhin kommt mit ‹Smart Flesh› bereits die dritte Scheibe in die Läden und die vorherigen Alben waren alles andere als erfolglos. Ohne die Glaskugel polieren zu müssen: Das aktuelle Album wird ebenfalls durchstarten. Zu gut geht das Rezept bei The Low Anthem auf, bei dem sich Blues, Folk und weitere Americana-Sounds in gleichen Teilen verbinden. Eine grandiose musikalische Landschaftsmalerei speziell des mittleren amerikanischen Westens liefert die Band um die beiden Gründungsmitglieder Ben Knox Miller und Jeff Prystowsky mit ‹Smart Flesh› ab. Entstanden ist die Platte mit Hilfe des Produzenten Mike Mogis (Bright Eyes) und für die Aufnahmen nutzte man ein riesiges verwaistes Nudelfabrikgebäude, irgendwo in Rhode Island. Hier fand die Band anscheinend auch mental den Platz für die gross angelegten Lieder, deren mystische Melodien beim Hören sofort eine faszinierende Stimmung schaffen. Die abwechslungsreiche Instrumentierung, allen voran typische Folkmittel wie unterschiedlichste Percussions, ergibt klug durchdachte Arrangements, die trotzdem immer erdig klingen. Besonders rockig wird es eigentlich nur im Stück ‹Boeing 737›, eine Widmung an den tollkühnen Artisten Philippe Petit, der 1974 auf einem Seil zwischen den Türmen des World Trade Centers in New York balancierte. Ansonsten dominieren uramerikanische Sounds wie etwa im Country-Song ‹Apothecary Love›, der von einer Steel-Gitarre getragen wird, oder im Stück ‹Wire›, bei dem ein Banjo für Stimmung sorgt. So entsteht im Verlauf der Platte ein

Josh T. Pearson – Last of the Country Gentlemen Josh T. Pearson war aufgrund seiner Medienverweigerung schon auf dem besten Weg, ein musikalischer Thomas Pynchon oder J.D. Salinger zu werden. Aber zum Glück meldet sich der amerikanische Musiker nach etlichen Jahren des Untertauchens nun mit einer neuen Soloplatte zurück. Für seine alten Fans, die ihn als Sänger der legendären Band Lift to Experience aus Texas kennen, wird die Scheibe aber eine gehörige Umstellung mit sich bringen. Statt ausufernder Instrumentierung ist ‹Last of the Country Gentlemen› sparsam und einfach angelegt. Stimme, Gitarre und ein paar zerbrechliche Geigen reichen aber aus, um eine dichte Atmosphäre in den emotionalen Songs zu schaffen. Auf ‹Last of the Country Gentlemen› singt, nein vielmehr predigt Josh T. Pearson schmerzhaft von der Liebe und dem Scheitern an ihr. Über Verlust und Leid. Die Platte will mehrmals gehört sein, ja will erobert werden. Doch wer sich der intensiven Gefühlswelt von Josh T. Pearson stellt, wird nicht enttäuscht. Die eindringlichen Songs entwickeln sich stattdessen zu einem unsichtbaren Begleiter, der trotz aller textlicher Bitterkeit und musikalischer Schwere, Mut macht und Hoffnung für die eigenen uncoolen Momente des Lebens spendet.

Isolée – Well Spent Youth Der Dancefloor atmet auf und schnürt schon mal die Party-Sneakers: Nach über sechs Jahren erscheint mit ‹Well Spent Youth› ein neues Album des Elektroproduzenten Isolée. Hinter dem Künstlernamen verbirgt sich mit Rajko Müller einer der smartesten Typen im Elektro-Biz. Kaum ein anderer DJ schafft es, die Crowd so subtil, so beiläufig zu euphorisieren. Platte Flächen oder direkte Bassläufe fasst Isolée nicht an. Stattdessen baut er sich stets verändernde Klanggebilde, die musikalisch wenig zielgerichtet verlaufen, aber irgendwie trotzdem immer den gerade passenden Impuls liefern. Seit seinem Debüt vor über zehn Jahren mit der Platte ‹Beau Mot Plage› (längst ein moderner Klassiker im gepflegten Minimal House Club), lotete er immer wieder die Grenzen der elektronischen Tanzmusik neu aus. Beneidenswert, wie es der Musiker auch auf der neuen Scheibe schafft, aus einem Königreich an elektronischen Facetten die Tracks in einer zunächst undurchsichtigen Art und Weise aufzubauen, bevor sie sich immer weiter aufhellen und sich schlussendlich dann doch der herbeigesehnten Euphorie verweigern. Das ist zwar im Sinne eines gepflegten Raves hin und wieder schade, aber der bewusste Verzicht auf die einfachere Auflösung der Songs lässt die Musik eben auch nie langweilig werden. Statt auf den grossen Effekt setzt Isolée lieber auf Gelassenheit. Die Labelwahl muss zum Schluss auch noch gebührend gewürdigt werden. Mit Pampa Records, dem neuen Label von DJ Koze, fällt diese ebenfalls mehr als lässig aus.

Das Kindie im Indie

Kakkmaddafakka – Hest Bei den fünf Norwegern von Kakkmaddafakka, der Band mit dem schnell einprägsamen Namen, muss es sich um etwas Besonde67

res handeln. Nur so ist zu erklären, warum Bubbles Records, das hauseigene Label von The Whitest Boy Alive, zum ersten Mal mit dieser Band ein Fremddebüt herausbringt. Zudem lässt sich TWBA-Mastermind Erlend Oye auch gleich noch als Produzent für das Album ‹Hest› ausmachen. Bei so viel vorgestreckter Credibility ist man als Kritiker natürlich gewarnt und sucht erst einmal die extra spitze diamantene Feder heraus. Doch man kann die Scheibe drehen und wenden wie man will, sie klingt einfach immer toll. Ohne elektronischen Überbau produziert die Band mit Gitarre, Cello, Schlagzeug, Piano und einer explosiven Brass-Section ein Indie-Inferno aus dem Bauch heraus, das zu jeder Minute mitreisst. Von Trash bis Punk, von Ska bis Reggae erinnert das hemmungslose Genreschmelzbad an Bands wie Yeasayer oder Vampire Weekend, der Unterschied liegt aber darin, dass die norwegischen Jungs aus Bergen unaufgeregter und lockerer wirken. So verwundert es auch nicht, dass bei fünf Musikern gleich vier abwechselnd die Frontsau spielen dürfen und das Mikrofon in der Band reihum geht. Der semiprofessionelle Ansatz beschert der Scheibe eine unterhaltsame Atmosphäre, die aber nie auf Kosten der Musik geht. Songs wie ‹Restless›, eine 60s-Hymne, oder ‹Touching›, ein treibender Ska-Verschnitt, sind die ersten glänzenden Indieperlen in 2011 und ab sofort wird so manche Plattenkiste in der Indie-Disko neu geordnet werden müssen. Grammys? Lachhaft. Goldene Schallplatten? Ach nö. Um es in das Verhör zu schaffen, braucht es schon mehr. Leidenschaft. Mut. Ekstase. Idealismus. Alles Dinge, die natürlich auch unseren Reviewnator Mathias Bartsch auszeichnen. Auf der Suche nach der perfekten Platte, kommt er dem Ziel mit sieben brandneuen Anwärtern auch diesen Monat wieder einen gehörigen Schritt näher.


vorspiel musiker erklären ihre songs

Peter Bjorn and John: Gimme Some 01 ‹Tomorrow has to wait›

Von folgender Situation handelt dieser Song: Man ist in einem Club, hat seinen Spass und dann wird einem bewusst, dass man eigentlich nach Hause gehen sollte, bevor man zum nächsten Drink greift. Aber man kann einfach nicht. Dann dauert’s nicht mehr lange und es ist zu spät: Der perfekte Moment vor dem Zu-besoffen-Sein ist ruiniert.

02 ‹Dig a Little Deeper›

Dieser hippe Twist-Rocksong wurde ausgetüftelt, als die Band in Berlin ‹Living Thing› promotet hat. Wir waren auf der Suche nach einem Plattenladen, der ‹Dig a Little Deeper› heisst. Ich war immer schon der Meinung, dass die Antworten auf die Fragen von heute im Gestern zu finden sind. Im Song lasse ich es lyrischer klingen: ‹Die Vergangenheit ist immer präsent, die Zukunft verfliesst.›

03 ‹Second Chance›

Obwohl ich den Lead singe, stammt die Textund Melodie-Idee von Bjorn. Jeder von uns schreibt Texte, wir haben keinen ‹Bandleader›. Der Song handelt von jemandem, der in der Vergangenheit lebt, immer an seinen alten Wegen festhält und nicht kapiert, dass seine Glanzzeiten vorbei sind.

04 ‹Eyes›

Ein richtiger Popsong. Zudem auch der einzige Song des Albums, der vom Verliebtsein handelt.

05 ‹Breaker Breaker›

O

bwohl Peter Bjorn and John schon seit 1999 gemeinsam Musik machen, ist vor allem ein grosser Durchbruch in den Köpfen und Ohren geblieben: Das fröhliche Gepfeife aus dem Song ‹Young Folks›, das uns damals den ganzen Tag unaufhörlich verfolgte, gleichzeitig aber auch in unsagbar gute Laune versetzt hat. Der Erfolg, der sich danach einstellte, verhalf den Jungs 2007 zu einer Nominierung für die MTV Music Awards. Nun weht frischer Wind aus dem skandinavischen Norden zu uns rüber. Das sechste Album von Peter Bjorn and John bietet, wie schon die Vorgänger, eine grosse musikalische Bandbreite von Rock bis Pop sowie eine Prise Punk. kinki vorspiel

Das ist einer von Johns Songs. Er sagte mir, dass er von einem Journalisten, den er hasst, ausging (lacht). Er hat sich über etwas aufgeregt, das er gelesen hat. Vielleicht war es eine schlechte Album-Kritik. Dieses Lied wird vor allem lustig live zu spielen sein, es ist sehr energiegeladen.

Das schwedische Trio liess sich von seinem nie ruhenden Erfindergeist treiben und beweist mit der neuen Platte ‹Gimme Some› einmal mehr Kreativität und Experimentierfreudigkeit. Auch im Alleingang lassen Peter Morén, Bjorn Yttling und John Eriksson einiges von sich hören. Bjorn wirkt nicht nur als Musiker, sondern ist auch Produzent von Acts wie Lykke Li und Primal Scream. John hat schon drei EPs veröffentlicht, was Peter mit zwei Soloalben sogar übertrumpft. Wie dem auch sei, gemeinsam mögen wir die Jungs doch am liebsten und freuen uns auf den Release ihres neusten Streichs. Peter Morén erklärt, welche Inspirationen zu den elf Tracks geführt haben.

06 ‹May Seem Macabre›

Dieses Lied handelt von einer Erfahrung, die ausserhalb des eigenen Körpers stattfindet; wenn man seiner Beerdigung von oben zuschaut. Du siehst Freunde und Verwandte trauern. Aber das Lustige dabei ist, dass es sich schön anfühlt, weil deine grosse Liebe an deiner Seite ist. Ihr geht gemeinsam hinunter (oder hinauf), was es zu einem schönen Erlebnis macht. So ein bisschen wie Romeo und Julia, finde ich.

07 ‹Don’t Let Them Cool Off›

Dieser Power-Popsong stichelt gegen die schwedische Königsfamilie, hinter der ein geschäftstüchtiges Jahr liegt: Die Prinzessin hat

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geheiratet, die andere Prinzessin hat mit ihrem Verlobten Schluss gemacht und es erschien ein Buch über den König, das ihn beschuldigt, ständig Partys zu feiern und Affären zu haben. Wir sind alle der Meinung, dass ein Land wie Schweden keine königliche Familie haben sollte. Und zwar nicht weil der König herumvögelt, sondern weil’s einfach altmodisch ist.

08 ‹Black Book›

Ein weiterer ‹John-ist-wütend-Song›. Diesmal singt er ihn selber. Ich höre darin ein wenig ‹Devo›, ‹The Fall›, ‹The Hives›. Es ist wahrscheinlich das punkigste Lied, das wir je geschrieben haben. Ich bin mir nicht sicher, von wem der Song handelt. Vielleicht von mir? Oder einem alten Tour-Manager? Fragt John.

09 ‹Down Like Me›

Der Song übt Kritik an jenen Menschen, die immer Karriere und Geld an erste Stelle setzen und die für den nächsten grossen Durchbruch über Leichen gehen. Grundsätzlich basiert unser gesamtes politisches und wirtschaftliches System auf dem, was solche Menschen glauben und entscheiden. Wer nur an Geld denkt, ist niemals frei. HippieGerede, ganz klar, aber einfach die Wahrheit.

10 ‹Lies›

Der Text handelt von einer Beziehung, die zu Ende geht. Einen Monat nachdem ich ihn geschrieben hatte, war auch meine Beziehung am Ende. Wir hatten einen schlechten Stand, waren aber lange zu feige, um Schluss zu machen.

11 ‹I Know You Don’t Love Me›

Wir machen richtig guten Krautrock. Einmal spielten wir ein Cover der deutschen Band ‹Can› an einer Geburtstagsparty und alle flippten aus. Wir haben auch das Lied ‹School of Kraut› auf unserem instrumentalen Album ‹Seaside Rock›. ‹I Know You Don’t Love Me› ist jetzt schon ein Favorit für Live-Auftritte und zudem die perfekte Art und Weise, einen Gig zu beenden. Und auch ein Album.

Peter Bjorn and John – Gimme Some (Cooking Vinyl / Startime Intl / Columbia) erscheint am 25. März. Weitere Info findest du unter peterbjornandjohn.com. Text: Katja Fässler, Foto: Promo


Musik Alben: von Beth Ditto bis zu den Vaccines

The Strokes

Foo Fighters

« Angles » 18.03.11

«WASTING LIGHT» 08.04.11

Glasvegas

Beth Ditto

«Euphoric /// Heartbreak \\\ » 01.04.11

« EP » 04.03.11

Raphael Saadiq

The Vaccines

« Stone Rollin’» 25.03.11

«What Did You Expect From The Vaccines? » 11.03.11


Midwinter Night’s Dream Eine Mischung aus Bambi und David Lynch. So beschreibt Marko Nyberg, Kopf der finnischen Band Husky Rescue, seine Musik. Zusammen mit einer bunt gemischten HippieTruppe aus Helsinki spielt Nyberg fabelhaften Folk-Pop, unterlegt mit elektronischen Spielereien. Text und Interview: Antonio Haefeli, Foto: Promo kinki musik

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Auf spiritueller Wanderung durch finnische Wälder: Marko Nyberg (3.v.l.) mit seiner Band Husky Rescue.

den Jahren überaus produktiv: Nach dem Debüt ‹Country Falls› folgte ein weiteres Album mit dem Titel ‹Ghost Is Not Real›, einige EPs und Anfang diesen Jahres ihr nun dritter Longplayer ‹Ship Of Light›. Die aktuelle Platte entstand zu einem grossen Teil am Lake Bodon, nicht weit von Helsinki, in der abgelegenen Hütte eines Freundes von Marko. Dort verbrachte die Band eine von der Natur inspirierte Zeit und erweiterte ihren Geist auf nächtlichen Wanderungen durch Wälder und taunasse Wiesen. Das Album handle vom Suchen nach etwas Besserem, von Alltagswundern und davon, sich dem Guten zu verpflichten, sagt Marko. Im Interview stand uns der kreative Finne mit der elfenhaften Haarpracht Rede und Antwort.

Interview kinki magazin: Du hast Husky Rescue einmal als eine Mischung aus Bambi und David Lynch beschrieben. Kannst du mir diesen Vergleich erklären? Marko Nyberg: Ich hoffe, dass ich in meinem kreativen Schaffen den Kontrast zwischen Verspieltheit und Verletzbarkeit immer beibehalten kann. Ich möchte weitergehen in die Richtung des kontrolliert Unerklärbaren, das Lynch in seiner Kunst darstellt. Wie sich das in meiner Musik zeigt, das muss der Hörer selber entscheiden.

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ass es im hohen Norden, genauer gesagt in Finnland, manchmal ziemlich lange dunkel bleibt, stellt sich der Mitteleuropäer ja als ganz schön heftig und nur mit viel Schnaps zu bewältigen vor. Doch der sogenannte ‹mid-winter›, also die Zeit, in der in Finnland die Sonne nie wirklich auf- und auch nie komplett untergeht, sorgt nicht selten für eine geballte Ladung Kreativität und spirituelle Höhenflüge. Die aus Helsinki stammende Band Husky Rescue um den Bassisten und Komponisten Marko Nyberg fühlt sich jedenfalls im duster schimmernden Licht ganz wohl. Ihr fabelhafter, naturverbundener und gleichzeitig elektronischer Folk-Sound bildet die Grundlage für Markos Texte, die von Sängerin Reeta-Leena Korhola gesungen werden und oft märchenhafte, metaphorische Geschichten erzählen. Zu den ständigen Mitgliedern gehören ausserdem Drummer Anssi Sopanen und Ville Riippa an den Keyboards, die bei Live-Auftritten und Studioaufnahmen wiederum von weiteren Musikern unterstützt werden. 2003 ergatterte die finnische Hippie-Truppe einen Vertrag beim englischen Indie Label Catkills Records und zeigte sich in den folgen-

Da wir schon von Kinohelden reden: Die Musik von Husky Rescue scheint mir immer auch in gewisser Weise ‹cineastisch›. Wie vermischen sich deine visuellen Vorstellungen und Eindrücke mit der Musik? Ich versuche, die kleinen Fragmente aus Informationen, die in der Luft schwirren, zu erfassen. Wenn ich genug von ihnen eingefangen habe, beginnt sich die Musik zu formen. Die visuelle Stimulation hilft mir, diese Fragmente aufzunehmen. Es ist eher selten, dass ich mich von Musik inspirieren lasse. Die Texte, die aus den Fragmenten deines Lebens entstehen, haben oft etwas Fantasievolles, etwas abstrakt Narratives. Ja, das mag stimmen. Mein ganzes Leben schon wollte ich meine Realität und mich selbst in der Musik einwickeln – egal auf welche Weise. Es fühlt sich an wie eine riesige warme Decke. Extrem wohltuend.

‹Ich hoffe, dass ich in meinem kreativen Schaffen den Kontrast zwischen Verspieltheit und Verletzbarkeit immer beibehalten kann.› Magst du Märchen? Ich liebe Märchen. Tove Janssons Moomings Geschichten sind meine Favoriten. Die liebenswerten Kreaturen in diesen Märchen sind sehr beruhigend und gleichzeitig aufregend. 71

In Märchen passieren oft paranormale, unerklärbare Dinge. Glaubst du an Geister oder eine höhere Macht? Absolut. Nichts ist, wie es scheint. Nichts ist messbar. Euer neues Album trägt den Titel ‹Ship of Light›. Um was für eine Art Schiff handelt es sich dabei? Ein Rettungsboot? Es ist ein wunderschönes ‹healing unit›. Kannst du mir etwas darüber erzählen, wie das Album entstanden ist? ‹Ship of Light› wurde im El Camino Studio aufgenommen, das schon einige Male das kreative und spirituelle Hauptquartier von uns war. Ich war der Produzent. Die Songs ‹Sound Of Love›, ‹Fast Lane› und ‹When Time Was On Their Side› wurden in Eckerö in der Nähe von Stockholm gemischt. Niklas Flyckt, der das Mixing verantwortete, sagte zu mir: ‹Deine Drums klingen scheisse, aber das weisst du ja.› Das ist ein wertvolles Kompliment von einem Mann, der zum Beispiel Britney Spears’ ‹Toxic› gemischt hat. Die Drums sind genau so, wie ich sie will! Wahrscheinlich hast du diese Frage schon tausendmal beantwortet, aber trotzdem: Was tut ihr Leute eigentlich in Finnland, wenn es für so lange Zeit dunkel ist? Ich mag den Winter sehr. Dieses Jahr haben wir so viel Schnee wie seit hundert Jahren nicht mehr. Ich plane, soviel Ski zu fahren wie möglich. Die Dunkelheit im mid-winter ist sehr förderlich für meine Kreativität. Es ist eine friedliche Zeit für verträumte Ideen. Es ist wie der Winterschlaf eines Bärs, nur dass man dabei absolut wach ist. Weitere Info findest du unter husky-rescue.com.


lieblingslieder jedem das seine

Das Record Label ‹Little Jig› ist der Schweizer Indie-Gemeinde in den vergangenen Jahren fest ans Herz gewachsen. Dies verdankt das Label aus Luzern nicht zuletzt seinem Gründer Lukas Fischer. Für uns kommentierte der Labelboss, Jungunternehmer und Hobby-DJ seine Lieblingslieder. Bill Evans ‹Waltz for Debby›

Ich spielte zehn Jahre Klavier. Leider lehrten mich die Klavierlehrerinnen acht Jahre lang Bullshit. Dann traf ich Bill Evans. Die Bilder, die Musik von Bill Evans und die Art, wie er das Klavier im Jazztrio einsetzt – einfach wunderbar. Ich sollte wieder Klavier spielen. Wer möchte mit mir ein Jazztrio gründen?

Patent Ochsner ‹Scharlachrot›

Ja, der gehört auch zu meinen All Time Favourites. Und ich will mich nicht entschuldigen dafür. Der Song geht mir echt ans Herz.

Highfish ‹Rip Tide›

Der erste Release von Little Jig Records: LJ-101. Rip Tide ist der erste Song dieser EP. Ein Knaller. Damals war Little Jig eher eine Booking-Agentur als ein Plattenlabel. Wir hatten damals kaum Ahnung vom Musikbusiness. Spannende Zeiten. Der Song ist ein Hit!

Soma.fm ‹Indie Pop Rocks›

Meine Lieblings-Radiostation. Soma.fm läuft bei mir rund um die Uhr. Kauft euch ein T-Shirt von denen! Wenn Soma.fm einmal tot sein sollte, dann wäre für mich das, was ich als Indie empfinde, auch tot. Soma.fm hat übrigens noch weitere Channels. Z.B. senden sie während der Weihnachtszeit einen Channel mit trashigen Weihnachtssongs. Und ‹Covers› spielt, was der Name verspricht.

Von Patent Ochsner bis Sonic Youth: Der Musikgeschmack des ‹dreifaltigen› Luzerners Lukas Fischer ist alles andere als einseitig.

Sonic Youth ‹Junkies Promise›

Irgendwann habe ich diesen Beitrag gefunden und er hat mich tief inspiriert. Ich fühle mich als Labelgründer dazu verpflichtet, mit Künstlern faire Deals auszuhandeln.

Eines Tages passierte es. Ich verliebte mich in Detunings. Ich spielte selbst in diversen Bands Gitarre, mit vielen ‹Bodendrückis›, abgefahrenen Tunings und viel Feedback. Ich bastelte vor Jahren sogar meinen eigenen Fuzz-Verzerrer. Sonic Youth hat mir aufgezeigt, was DIY bedeutet, und mich inspiriert.

Kyuss ‹Demon Cleaner›

Falls du noch Kassetten und das entsprechende Bandaudiogerät zu Hause hast: Dieser Song muss aufs Autokassetli. Mit einem KlickKlack ins Autoradio schieben, Sonnenbrille aufsetzen und Volume auf 11 aufdrehen.

Sebadoh ‹Skull›

Pavement ‹Cut Your Hair›

Dazu kann ich gar nicht so viel erzählen. Hinhören. Der perfekte Popsong!

Shellac ‹Rush Job›

Die Pavement-Attitüde hat mich inspiriert. Diese kalifornische Coolness, das Saloppe, die genialen Einwürfe und Verspieltheiten, die Cleverness. Pavement Hören ist wie Haare Schneiden. Oder Salami Essen. Mit Mayo natürlich.

Der Sänger und Gitarrist von Shellac schrieb Anfang der 90er-Jahre einen Beitrag mit dem Titel ‹The Problem with the music industry›.

kinki lieblingslieder

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LCD Soundsystem ‹Losing My Edge›

Als Indie Kid war für mich dieser Song der Grund, die Gitarre wegzulegen. Was vorher für mich Techno war, wurde fassbarer und interessanter. Kurze Zeit später kaufte ich mir tatsächlich MK2s. Heute bin ich als DJ unter dem Namen TIGR TIGR TIGR unterwegs und spiele elektronische Musik. Vor Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich BumBumartiges jemals gut finden würde. Heute arbeiten wir als Promoagentur auch für elektronische Künstler. Text: Antonio Haefeli Fotos: Jason Whalen


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Witch World? Im Internet entstanden während der letzten Monate haufenweise musikalische Kinder. Über den Familiennamen sind sich die Blogger nicht einig. Die Labels vermarkten den düsteren Sound als Witch House, Drag oder Screwgaze: Schleppende Beats treffen auf tiefe Bässe und mystische Frauengesänge. Ganz schön gruselig, wäre da nicht auch eine gewaltige Spur Ironie mit im Spiel. Text: Stephi Meyer, Foto: Tobias Faisst

Witch House hat viele Gesichter. Und er spukt nicht nur durchs Web, sondern treibt sein Unwesen bereits auf dem Dancefloor der Musikmetropolen.

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K

reuze und Dreiecke zieren die Namen der Künstler. Keine Ahnung, wie man › und ‹ › entdas ausspricht. ‹ ziehen sich sämtlichen Suchmaschinen. Ein moderner Mythos wird kreiert und mit psychedelischen Videos untermalt. Die Pioniere der Szene sind unter anderen Salem, ein gewollt unzivilisiertes Trio aus Michigan. Ende 2007 stellten sie ihren von einem DJ Screw inspirierten und stark zerschredderten Sound erstmals ins Netz. Seither touren sie ziemlich erfolgreich in der Welt herum und pflegen vorbildhaft ihr pressescheues Antiheldenimage. Ihre Interviews sind etwa genauso unverständlich wie ihre Songtexte. Brachial und lückenhaft, im Klangteppich dafür erstaunlich kreativ und atmosphärisch. Offenbar hat Salem einen im Menschen ungeahnten Hörnerv getroffen. Ihr Stil wird jedenfalls von zahlreichen Do-It-Yourself-Artisten imitiert und via Soundcloud verbreitet. Aber wie sieht es in der physischen Welt aus? kinki magazin hat sich bei der Suche nach dem Kern von Witch House für euch in die drei wichtigsten Metropolen der musikalischen Brachialesoterik begeben und ist dabei auf interessante Projekte gestossen.

London

Mater Suspiria Vision war die erste sogenannte Drag-Band, die Sebastian Weikart je gehört hat. Er ist Deutscher und lebt seit drei Jahren in London. Das Musikgeschäft hat ihm schon immer gefallen. Hauptberuflich ist er SoftwareEntwickler. Als er Ende 2009 mit einem Londoner Konzertveranstalter das eigene Label Robot Elephant Records gründete, ging ein grosser Traum in Erfüllung. ‹Wir bringen Musik raus, die uns gefällt. Meist ist es experimenteller Elektrosound – düster, breakig, mystisch, geheimnisvoll und tanzbar. In Zukunft wollen wir auch Events organisieren und natürlich weiter Talente fördern.› Er ist selbst viel unterwegs in London und auf vielen Livegigs. Im Zentrum des aktuellen Musikgeschehens fühlt er sich wohl. Zur verstörenden Bildsprache der scheinbar okkulten Witch-House-Videos äussert er sich zurückhaltend. ‹Es geht einfach um Ästhetik›, meint er. Zu sehen sind Tieropfer, nackte Frauen, kaputte Puppen und okkulte Zirkel. ‹Die Videos vermitteln die Philosophie der Musik.› James Weigel alias Owleyes vom Partnerlabel Disaro Records sagt: ‹Du kannst die Dunkelheit nicht ohne das Licht haben! Ich mag die düstere Seite der Szene. Aber wir müssen lernen, die unendliche Liebe in unser magisches Arbeiten zu integrieren.› Er ist Mystiker. Und zuständig für die die Presse- und Grafikabteilung von Disaro Records. Die beiden Labels haben Anfang des Jahres die erste gemeinsame Compilation auf den Markt gebracht. ‹Isvolt› beinhaltet neun Tracks von Künstlern aus Australien, Europa, Mittelamerika und den USA. ‹Die Produktion ging sehr schnell›, erzählt Sebastian. ‹Innerhalb von nur zwei Monaten haben wir alles zusammengestellt.› Es stecke eine Menge Arbeit dahinter. Da freut es den jungen Unternehmer umso mehr, dass die Reaktionen bisher so positiv ausfielen. Der Verkauf läuft gut und neue Projekte sind schon in Planung. Stets wird über den aktuellen

Stand getwittert, geskypet und gemailt. Eine gute und schnelle Pipeline ist unverzichtbar im Business. Owleyes, der selbst künstlerisch und spirituell unterwegs ist, schwärmt von ausserkörperlichen Erfahrungen. ‹Ich müsste ein Idiot sein, nicht an Gott zu glauben – nach allem, was ich erlebt habe! In der Musik und in der Kunst öffnet sich uns die göttliche Sphäre. Das tägliche Ritual bedeutet mir sehr viel. Je mehr ich mir erlaube, mich diesen Energien hinzugeben und ihnen zu vertrauen, umso stärker erlebe ich die astrale Verbindung. Ich fühle mich dann total erfüllt von

‹Ich mag die düstere Seite der Szene. Aber wir müssen lernen, die unendliche Liebe in unser magisches Arbeiten zu integrieren.› Liebe. Es ist eine grenzenlose Liebe, die nicht erlischt. Mein Körper fühlt sich an, als ob er sich in Licht verwandeln könnte!› Seine Homepage immortalmortal.com bietet einen Einblick in sein Schaffen. Unter anderem hat er auch das Cover für ‹Isvolt› gestaltet. Gefeiert wurde das Debüt von ‹Isvolt› im The Den Club an der West Central Street. Mater Suspiria Vision und Fostercare sorgten für den passenden Sound. Ein Mix aus ekstatischer Freude und erschreckendem Horror – bester Witch House in the House!

Berlin

Endorcism nennt sich die erste reguläre Witch House Partyserie aus Berlin. Sie findet etwa alle zwei Monate im legendären King Kong Club statt. Koe Soleil, eine australische Musikerin, legt unter anderem auch auf. Ihr gefällt das offensichtlich gedopte Publikum in Berlin. Und dass in der deutschen Hauptstadt alles gerade erst am Aufkeimen und Entstehen ist, alles ganz frisch und faszinierend − wie bei einem Drogentrip mit dem beliebten Pferdebetäubungsmittel Ketamin, auch bekannt als Special K. ‹Ketamin ist im Moment recht verbreitet. Mit der Droge nimmst du alles in Zeitlupe wahr›, meint Koe. Ob geschnupft, gespritzt oder geschluckt – das Narkosemittel führt zu einem Gefühl der Schwerelosigkeit. Bei sehr hoher Dosis kann die komplette Loslösung des Körpers und gar Lähmungen ausgelöst werden. Die Erinnerung an den Trip bleibt jedoch meistens sehr schwammig. Von Nahtoderlebnissen und Alptraum-Halluzinationen wird häufig berichtet. ‹Der Konsum hängt ganz vom Individuum ab. Ich kenne auch viele, die das Zeug nie anfassen würden!› Koe ist jedenfalls rein musikalisch als DJane froh über die verlangsamte Bewusstseinserweiterung, weil sie wahrscheinlich sonst eher mehr Richtung House- und Technobeat-Geschwindigkeit tendieren würde. Der Multimediakünstler xorzyzt arbeitet ebenfalls in Berlin. Wesentlich experimenteller und unzugänglicher wirken seine Projekte als die seiner DJ-Kollegin Koe Soleil. Seine Videoinstallationen mit sehr lautem und eindringli75

chem Sound erzeugen eine starke physische Empfindung. ‹Das kann bis zur übersinnlichen Erfahrung führen! Die direkte Vermittlung über den Körper steht für mich im Zentrum. Von abstrakten Ideen halte ich mich fern›, erklärt xorzyzt. Sein Interesse am menschlichen Körper hat ihn zur Zusammenarbeit mit Tänzern und Performern gebracht. Mit dem Media Art Collectiv dev01ded und seiner psychedelischen Band Reliq feilt er zur Zeit an einem interaktiven Lichtund Soundsystem. Videos sollen auf einen dreidimensionalen Körper projiziert werden, in welchem die Gruppe zeitgleich eine Performance macht. Seine Filme bestehen aus kurzen Fotosequenzen, die durch zahlreiche Wiederholungen und Überlagern zu einem völlig neuen Bildmaterial werden. So werden Dinge sichtbar, die als einzelnes Foto gar nicht vorhanden sind. Ein Feld von Farben entsteht. Mit Hilfe eines Computerprogramms passt sich der Sound dem Film ideal an.

New York

Das Label Tri Angle aus New York bleibt der Symbolik von Witch House sogar im wörtlichen Sinne treu. Etwa zeitgleich mit dem Londoner Label Disaro Records begann es vor gut einem Jahr damit, die Geistermeister auf den Musikmarkt zu bringen. Der 19-jährige Alex Koone alias Balam Acab, Musikstudent aus New York, hat es mit dem Song ‹See Birds› schon in die L’OréalWerbung gebracht. Experten wie Sebastian Weikart sehen ihn 2011 ganz gross rauskommen. Die britische Tageszeitung The Guardian schwärmte bereits in höchsten Tönen von ihm. Er liefert ja auch beste Töne seinerseits. Ihm gelingt es definitiv, aus den Fussspuren von den Soundpionieren Salem zu treten. Seine Songs wirken leichter und heller. Sie strahlen etwas Kindliches aus. Mehr Engel als Hexe. Seine Inspiration? Gefühle, Seele, Natur. Verpackt in elektronische Vibes. Den Medien gegenüber ist das junge Talent sehr zurückhaltend. Auch die Homepage ist recht spärlich. Keine Ablenkung vom Wesentlichen. Die Musik spricht für sich. Ebenfalls bei Tri Angle vertreten ist oOoOO, ein Soloprojekt aus San Francisco. Mittlerweile hat sich das Geheimnis um die Person des Künstlers gelüftet. Christopher Dexter Greenspan produziert einen ähnlich meditativen Sound, mit einer Spur mehr Sexappeal. Orchestrale Frauengesänge und poppige Elemente versüssen den Ohrenschmaus. Ob Schmaus oder Graus – da streiten sich die Geister! Meinung selbst bilden ist ausdrücklich erwünscht. Hier gilt aber: Zutritt nur auf eigene Gefahr.


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Top : Paule Ka Bag : HermĂŠs Shoulder pads : Lie Sang Bong

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Total look : Paule Ka

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Feathertop : Peachoo+Krejberg Shorts : Paule Ka Leather gloves : Peachoo+Krejberg Head band : Felipe Oliveira Baptista

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Hat : Paule Ka Jacket : Julien FourniĂŠ Bicolor leggins : Ingrid Vlasov Shoes : Dsquared

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Total look : A.F. Vandevorst Melon Hat : Hermes

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Hat and earrings : Paule Ka Top : Yiorgos Elftheriades Pants : Carven Bag : Louis Vuitton

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Sleeves : A. F. Vandevorst Rocket corset : Walter Van Beirendonck Earings : Paule Ka Necklace : Louis Vuitton Leggins : Acne

Photography : Gilad Sasporta Fashion Editor : Julie Allard Hair and Make-up : Corinne Fouet @ AirportAgency Model: Julia Saner @ Elite Model Paris

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Minerals and Pentagrams Schon seit Jahrhunderten werden Edelsteinen und Mineralien spirituelle und heilende Kräfte nachgesagt. Wissenschaftlich nachweisbar sind diese nicht, dafür sind sie heute modisch erfahrbar. Doch handelt es sich dabei um ein blosses Modephänomen oder um ein wirkliches Bekenntnis zum Übersinnlichen?

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Text: Florence Ritter, Fotos: Promo

an müsste blind sein, um die Hinwendung zum Natürlichen, Biologischen, aber auch Spirituellen in unserem Zeitgeist zu übersehen. Yoga, Feng Shui, Farbpsychologie, Handlesen, Alternativmedizin oder Astrologie: die Anzeichen sind offensichtlich, und unsere Zuflucht zu anderen Kräften als den erklärbaren, ist darin deutlich ablesbar. Chakra und positive Schwingungen liegen in der Luft und stellen sich den Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft in den Weg. Vor dieser esoterischen Tendenz machen allerdings weder die profitgeile Wirtschaft noch die inspirationsfreudige Mode Halt.

Mystical power inside out

Glücklicherweise wird es esoterische Kleidung im Sinne von Hippie- oder alternativer Mode mit Ethno-Einschlag so schnell nicht wieder geben, dafür ist unser modisches Auge zu gut geschult und unser Stilbewusstsein zu ausgeprägt. Doch wie kann sich denn dann unsere innere Gesinnung auch äusserlich manifestieren – mal abgesehen von Aura, Chakra und dergleichen? ‹Schmuck› heisst das magische Wort, denn einzig den Schmuckdesignern ist es gelungen, sich esoterischer und okkulter Inspiration zu bedienen, ohne die Assoziation zu verstaubten Ornamentumhängen hervorzurufen. Im Gegenteil: Edelsteine in Goldfassungen, Kreuze und Schlangen schmücken just die Finger der Modischen, und jede Fashionista verfügt über einen Kristallanhänger oder einen Sternarmreif von Pamela Love. Ein weiterer Grund, weshalb sich gerade der Schmuck und nicht die Kleidung auf dem Spielfeld der Esoterik austobt, bietet letztere

Bei den Schmuckstücken von Unearthen wird auf die Kräfte der Kristalle ebenso Wert gelegt wie auf das anmutige Design.

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Der Garten Eden, Atlantis und El Dorado dienten als Inspirationsquellen für die Kollektion von Bjørg Jewellery.

selbst: Während die Mode hin zu Minimalismus und Reduktion driftet, darf das Accessoire immer üppiger, prächtiger und auffallender, ja zum Glanzpunkt des Outfits werden. Und dafür bieten sich Edelsteine und Kristalle mit positiven Schwingungen oder okkulte Symbole mit mystischer Ausstrahlung geradezu an. Aus esoterischer Sicht könnte das Tragen von Schmuck aus Edelsteinen als der Versuch verstanden werden, das Innere nach aussen zu kehren. Ob die Träger mit den Mineralien oder religiösen Symbolen tatsächlich ein spiritistisches Bekenntnis ablegen oder nicht viel eher nur eine modische Überzeugung sichtbar machen, bleibt allerdings fraglich. Ein bisschen heilende oder schützenden Kräfte können aber sicher alle gut gebrauchen.

Stones and spirits

Die unterschiedlichen Einstellungen der Trägerinnen, welche mit innerer oder äusserer Ausstrahlung den neu aufgelegten Eso-Schmuck umhängen, spiegeln sich auch im Angebot wider. Im Internet findet man von Sommervögeln und Engeln beseelte Seiten, religiöse Heilsversprechen oder virtuelle Schmuckkästchen mit hippen Steinen. Die Mineralienlandschaft ist im World Wide Web dicht gesät, und obwohl die einfachen Anhänger (ungeachtet des Anbieters und dessen Haltung) wenig variieren, sind es doch letztlich die Sortimente modeaffiner Designer mit mehr Sinn für Ästhetik als für Spiritualität, die uns magisch anziehen. In diesem Sinne verpflichtet sich beispielsweise das Label VeridiAum der Umwelt und ihren Bewohnern, produziert ethisch und ökologisch korrekt von Hand und zeigt die Schönheit der Natur unter anderem in Form von transparenten Mineralien, die sich anmutig mit Silber und Dreiecksformen vereinen. Das

norwegische Label ‹Bjørg Jewellery› der gleichnamigen Designerin lässt mit der neuesten Schmuckkollektion ‹After Eden› keinen Zweifel an der religiösen und natürlichen Inspiration. Das verlorene Paradies vom Garten Eden und

Aus esoterischer Sicht könnte das Tragen von Schmuck aus Edelsteinen als der Versuch verstanden werden, das Innere nach aussen zu kehren. der Mythos Atlantis werden in glanzvollen Ringen und kristallenem Gepränge wiedererweckt, während Adams Rippen Armgelenk und Finger umfassen und nonchalant an den Sündenfall erinnern. Anders die Jungdesignerin Meghann Sommer aus Ohio, die sich mit ihrem Label ‹&c. Jewelry› ganz der Tradition von Schmuck verschrieben hat, der aus ‹Geschichten und Glücksbringern, Artikeln über Kräfte und Magie› entspringt. Sie erforscht nach eigenen Aussagen anhand symbolischer Zierstücke die Geschichten der Menschheit. Dabei kreiert sie ganz nebenbei noch filigrane und eigenständige Kompositionen aus farbigen Edelsteinen und wiederverwerteten Schmuckteilen, die eigentlich keiner tieferen Ebene mehr bedürften, um zu gefallen.

Unearth on top

Als modischer und spiritueller Vorreiter dieser schmucken Welle kann das New Yorker Label Unearthen der Designerin Gia Bahm bezeichnet werden. Es bedient seit einigen Jahren die Mode- wie auch die Eso-Fraktion. Unearthen beweist aussergewöhnliche Finesse für modi85

Die Designerin von AESA erlernte die klassische griechische und römische Schmiedekunst. Ihre Schmuckstücke umgibt eine mythischeund historische Aura.



DER VIDEOCLIP ZUM RADIO-SONG LIVE AUF: WWW.105.CH RADIO 105 EMPFÄNGST DU AUCH IM KABELNETZ IN DER GANZEN DEUTSCHSCHWEIZ: BS 103.9, BE 105.6, LU 101.7, SG 105.3, ZH 105.1 ODER AUF UKW 93.0 FM


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Die Reise ins Ich

Die Fenster sind verdunkelt, die Stöpsel im Ohr und die Augen geschlossen. Ein sonores Piepen bahnt sich seinen Weg durch die Gehörgänge in Richtung Gehirn. Vor dem inneren Auge beginnt es unruhig zu flackern, Wärme legt sich über die Gliedmassen. Ein geistig fordernder, körperlich anstrengender Weg steht bevor, doch das Ziel ist verheissungsvoll: Es verspricht temporäre Transformationen an weit entfernte Orte, Begegnungen mit Verstorbenen und die Konfrontation mit früheren Leben. Eine Reise mit dem Astralkörper ist eine paranormale Tour zum innersten Kern des Ichs. Text: Bastian Steineck, Bilder: Adam Scott Miller 89


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enseits unserer physischen, grobstofflichen Hülle gibt es einen zweiten, feinstofflichen Körper, der nur in speziellen Zuständen wahrnehmbar ist: der sogenannte Seelenleib. Dieser spirituelle Körper gilt in der Esoterik als Bindeglied zwischen dem Leib, der dem Irdischen zugeordnet ist, und höheren Bereichen, die mit den Sternen korrespondieren. In diesem Astralkörper manifestieren sich Gedankenbilder, Emotionen, Leidenschaften, Instinkte. Auch Moralvorstellungen und die Vernunft werden dort realisiert, ebenso wie alle Begierden und Neigungen − also all das, was uns entscheidend charakterisiert, was intim ist und was wir nur ungerne teilen.

Volles Bewusstsein

Die Vorstellung, dass ein anderer Mensch in diesen tiefen Bereich unseres Geistes eindringen könnte, weckt Erinnerungen an Leonardo DiCaprio: Im Blockbuster ‹Inception› verdient er seine Brötchen mit der seltsam anmutenden Beschäftigung, Informationen aus dem Unterbewusstsein von Schlafenden zu stehlen und Gedanken so fest in Träumen anderer Menschen zu verankern, dass sie auch im späteren Wachzustand danach handeln. ‹Wäh-

Astralreisende berichten von der Erweiterung parapsychologischer Fähigkeiten in einem Zustand absoluter Freiheit. rend wir träumen, fühlt sich alles real an. Dass irgendetwas merkwürdig ist, merken wir erst, wenn wir wieder aufgewacht sind›, sagt er – und könnte dabei auch über Astralreisen fernab der Kinoleinwand sprechen, wo sich der Beruf der Unterbewusstseins-Security noch nicht durchgesetzt hat. Astralreisende berichten von der Erweiterung parapsychischer Fähigkeiten in einem Zustand absoluter Freiheit, von der Überwindung emotionaler Hindernisse und Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens – und das bei vollem Bewusstsein.

Roberts Regeln

In einem diffusen Übergangszustand zwischen Wachen und Schlafen soll der Astralkörper gemäss esoterischer Lehre durch Zeit und Raum schweben können: Losgelöst von der physischen Hülle, die in ihrer Position verharrt, geht er auf spirituelle Entdeckungsreise. So spektakulär die Erlebnisse und Erfahrungen von Astralreisenden klingen, so kompliziert scheint der Eintritt in den entsprechenden Geisteszustand zu sein. Der US-Amerikaner Robert Monroe, Mitte der 1950er Chef einiger Radio- und Fernsehstationen, gilt bis heute als einer der Astralreise-Pioniere des 20. Jahrhunderts. Der Nachwelt hinterlassen hat er eine Liste konkreter Regeln, die beim spirituellen Training zum Eintritt in den tranceähnlichen Zustand zu befolgen sind. Idealerweise unter Begleitung von sanfter Musik in einem abgedunkelten Raum und nur geistig und körperlich völlig entspannt kinki report

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kann die notwendige Konzentration erzeugt werden. Starke, aber kontrollierbare Schwingungen aus dem Körperinneren geben schliesslich das Startsignal zu einer Astralreise.

Das Selbst und die anderen

Es ist nicht nur die beschriebene Schwierigkeit, die ausserkörperlichen Erfahrungen per se herbeizuführen, sondern auch die blosse Abstraktheit der Erzählungen und die zugrunde liegende, unergründliche Spiritualität, die die Eingeweihten und Astralreisenden von ihrer Aussenwelt abgrenzt. Vor allem aber ist eine Astralreise ein Experiment mit dem Selbst,

Wer Details über eine Astralreise ausplaudert, verrät möglicherweise mehr, als ihm bewusst ist. das nicht zur Kommunikation mit anderen, sondern vielmehr als Instrument zu einer klarer definierten Eigenwahrnehmung durchgeführt wird. Wer sich an die Mitglieder eines Internetforums wendet oder ein Seminar besucht, auf dem Themen und Techniken der Astralreise behandelt werden, sucht in erster Linie keine Gleichgesinnten oder Mitreisenden, sondern vielmehr den Schlüssel zum perfekten Trip. Denn wer Details über eine Astralreise ausplaudert, verrät möglicherweise mehr, als ihm bewusst ist. Gleichzeitig scheint keine Theorie zu weit hergeholt: So wird beispielsweise argumentiert, die temporäre Trennung von der leiblichen Hülle könnte dazu führen, dass tatsächliche physische Schmerzen nicht mehr spürbar sind − weshalb Astralreisen der optimale Zeitpunkt für Operationen am physischen Körper seien. Dieses spirituelle Eis ist nicht nur brüchig, sondern erfordert auch Zuhörer, die willig sind, sich auf derartige Gedankenspiele einzulassen. Und so verwundert es kaum, dass die Aussenwahrnehmung der Astralreisenden zwischen Scharlatanerie und Esoterik schwankt und das Thema in der medialen Öffentlichkeit kaum vorkommt. Dies zu ändern, dürfte schwierig sein − bis der erste Astralreisende seinen Trip mit naturwissenschaftlichen Beweisen unterfüttern kann.

Reise ohne Wiederkehr?

Doch wieso setzen sich Menschen überhaupt derart extremen Zuständen aus, die offensichtlich emotional zutiefst verstörend und kognitiv höchst anspruchsvoll sind? Als Hort von Gefühlen, Begierden und Wünschen ist das Seeleninnerste der einzige Ort, an dem alle Lebensfragen eine Antwort finden können. Durch eine Astralreise wird der eigene Körper somit zur letzten Grenze des menschlichen Hinterfragens. Ausserkörperliche Erfahrungen sind aber nicht nur das ersehnte Ziel auf dem Weg zur Selbstfindung, sondern 91

mitunter auch die Folge extern motivierter Faktoren, zum Beispiel bei schweren körperlichen Traumata oder durch Drogeneinfluss. Auch die Thanatologie beschreibt für Nahtoderfahrungen denselben psychedelischen Flug, der zur tiefen Wahrnehmung positiver Emotionen, zum Verlassen der eigenen Körperhülle und zur Begegnung mit Toten oder übernatürlichen Wesen führen kann. In Brasilien kurieren sogenannte paranormale Heiler Krankheiten ohne Narkosen oder Skalpelle, sondern mithilfe blutiger Behandlungsmethoden. Operiert wird mit Kugelschreibern und Scheren. Anstatt auf gewöhnliche medizinische Hilfsmittel zu vertrauen, werden die Patienten in brutale Schockzustände versetzt, die intensive Heilungskräfte freisetzen. Die eigentliche Therapie soll schliesslich nicht am physischen, sondern im Astralkörper stattfinden. Die Trancezustände, in die sich die Heiler selbst mit der Unterstützung von Geistwesen versetzen, würden hierzulande vermutlich auf direktem Weg in die Psychiatrie führen. In Brasilien führen sie, glaubt man begeisterten Einträgen in Internetforen, meist zu wundersamen Heilprozessen. Die Gefahr, dass der Astralkörper nicht mehr in den leiblichen Körper zurückfindet und die beiden zusammengehörigen Teile auf Dauer getrennt sind, besteht nicht nur bei extern verursachten psychedelischen Flügen, sondern auch bei selbstmotivierten Astralreisen. Ein Rezept, um diesen Astralwanderungs-GAU zu vermeiden, gibt es nicht, Hindernisse und Schwierigkeiten auf dem Weg zur kontrollierten Astralprojektion dagegen zuhauf: Astralreisende berichten zum Beispiel von furchteinflössenden Gestalten, die als sogenannte Schwellenbewohner gedeutet werden: Sie wollen den Reisenden von seinem Ziel und von seinem Vorhaben abbringen. Ein weiteres Manko von Astralreisen: irgendwann muss man dann doch zurück in die materielle Welt. Geld verdienen kann man ausserhalb des Körpers nämlich leider noch nicht. Seite 88: ‹The Epiphany of Sophia› Oil paint, chalk pastel, 46 x 61 cm Seite 90: ‹Parabolic Vehicle of Conception› Oil paint, chalk pastel, graphite, 46 x 61 cm Weitere Info zu den Bildern findest du unter AdamScottMiller.com.


Das ABC der Esoterik Wer sich im Reich der Esoterik umsieht, ist stets nur einen Wimpernschlag von Glück und Erleuchtung entfernt. Bevor du dich auf deinen persönlichen spirituellen Weg begibst, bekommst du hier das Basiswissen für deine Suche. Text: Sven Jensen, Fotos: Alison Scarpulla

Alektryomantie Was das Vorhersagen der Zukunft betrifft, so ist Bleigiessen sozusagen reine Kaffeesatzleserei – also nur bedingt zuverlässig. Anders verhält es sich mit der Alektryomantie. So funktioniert es: Man holt den Kampfhahn aus der Scheune oder dem Garten des Nachbarn, verstreut Getreidekörner auf dem Boden und lässt ihn diese aufpicken. Im Muster der übriggebliebenen Körner ist die Zukunft klarer zu erkennen als in der besten Kristallkugel (siehe ‹k›).

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Bilokation Die Fähigkeit, an zwei Orten gleichzeitig zu erscheinen, besitzen einige spirituelle Meister. In der katholischen Kirche wurde die Eigenschaft Heiligen nachgesagt. Wie dies möglich ist, lässt sich einfach erklären: Ihr Wunsch, Gutes zu tun, war so stark, dass sich diese Personen einfach aufteilen konnten.

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Channeln Da der Mensch in seiner Beschränktheit kaum zu höherem Wissen gelangen kann, ist die göttliche Weisheit am schnellsten durch Kontaktaufnahme (channeln) mit Geistern, Engeln und Lehrmeistern erfahrbar. Praktisch für den Esoterik-Fernkurs: Der Meister kann seine Wahrheiten so auch im Schlaf übermitteln.


Diamantenwasser Universalwaffe für Glück und Gesundheit: Das Wasser ist mit Schwingungen angereichert, wandelt diese um und gibt sie weiter. Und es nimmt sogar Wünsche entgegen. ‹Seine Wirkung hängt ab von der Kraft Ihrer ehrfürchtig formulierten und gesprochenen Absicht›, verspricht ein Web-Eintrag. Ein Vorteil: Das magische Wasser, das ein französischer Jazzpianist erfunden haben soll, lässt sich beliebig vermehren. Wer die Grundsubstanz hat, muss sie nur mit herkömmlichem Wasser vermischen – nach wenigen Stunden ist die gesamte Flüssigkeit neues Diamantenwasser.

Engelenergie Ganzheitliche (siehe ‹g›) Heilmethode, bei der durch Channeln (siehe ‹c›) Kontakt mit Engeln aufgenommen wird. Ein Medium (in der Regel eine Dame jenseits der 50 im Vorruhestand) hilft beim Übertragen der Energie. Die positiven Schwingungen lassen sich auch in Heilsteinen (siehe ‹h›) speichern, von denen aus sie wieder abgerufen werden können. Die Ausbildung zum Engelmedium oder zur Engelenergietherapeutin findet in der Regel im kostenpflichtigen Fernstudium statt. Die Durchfallquoten sind niedrig.

Fluchtafel Bei modernen Esoterikern leider etwas aus der Mode gekommen: Meist ein dünnes Stück Blei, auf das Flüche und Verwünschungen eingeritzt werden können. Selbst im gut sortierten Fachhandel nur schwer erhältlich. Als Faustregel gilt: Je teurer, desto zuverlässiger.

Ganzheitlichkeit Der Schlüsselbegriff esoterischer Lebensphilosophie. Längst nicht mehr auf die Medizin beschränkt. Körper, Geist, Seele und Umwelt werden als Einheit wahrgenommen. Mittlerweile weit über die Esoterikszene hinaus ein verbreiteter Begriff. Heute bieten selbst Banken eine ganzheitlich Finanzberatung an. Fuhrund Baggerunternehmen preisen ihre ganzheitliche Tiefbauleistung aus einer Hand.

Heilsteine Achat, Amethyst, Tigerauge und Hunderte andere Heilsteine bündeln die elektromagnetische Strahlung und geben sie durch Hautkontakt an den Körper weiter. Die Wirkung ist abhängig vom Sternzeichen und der Mondphase. Wissenschaftliche Studien, welche die heilende Wirkung belegen, werden von der Pharmaindustrie zurückgehalten, wissen Insider.

Indigo-Kinder Kinder mit einzigartigen spirituellen Eigenschaften. Sie werden als sehr einfühlsam, schlau, naturverbunden und aufgeschlossen beschrieben. Ihre aussergewöhnliche Ausstrahlung wird mithilfe der Aurafotografie sichtbar: Markant sind dabei die indigofarbenen Lichtreflexe. Die Szene munkelt, sie seien Vorboten einer neuen, vielleicht ausserirdischen Lebensform.

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Jophiel Erzengel, der Menschen ein höheres Bewusstsein verschafft. Hilft bei: Verwirrtheit, Unbeständigkeit, Ignoranz, Unkenntnis, Stolz und Engstirnigkeit. Empfohlen für: kinki Autoren, die Esoterik-Glossare verfassen.

Kristallkugel Zuverlässig in Zukunft und Vergangenheit blicken lässt sich nur mit Kristallkugeln von exzellenter Qualität. Gewarnt sei vor billiger Industrieware. Tipp: Wer einen Hellseher aufsucht, sollte nach Beschaffenheit und Herkunft der Glaskugel fragen.

Leoniden Klarer wie in folgendem Esoterikblog sind Leoniden nicht zu beschreiben, weshalb an dieser Stelle nur abgeschrieben wird: ‹Uraltes ausserirdisches Volk, welches löwenartig aussieht. Die Leoniden waren vor Millionen von Jahren die Lehrmeister der Sirianer und leben heute sehr zurückgezogen im System der Sirius A. Vermutlich gibt es eine energetische Verbindung zu unseren Hauskatzen (...).›

Mercurialwasser Spezielle Flüssigkeit zur Auflösung von Materie. Wichtig für die Herstellung von Gold und des Steins der Weisen. Ermöglicht ewige Gesundheit.

Nostradamus Arzt und Astronom aus Südfrankreich. Unerreicht in seiner Hellseherkunst. Im Nachhinein konnte entschlüsselt werden, was er alles vorhergesehen hat: Sämtliche Kriege, Börsencrashs und Naturkatastrophen. Nur einmal lag er daneben: Ein grosser Schreckenskönig sollte nämlich schon 1999 vom Himmel steigen. Er hat sich vermutlich etwas verspätet, was im 16. Jahrhundert noch nicht absehbar war.

Ouijabrett Holztafel, die mit Buchstaben, Zahlen, Sternchen, ‹Ja›- und ‹Nein›-Feldern etc. bemalt ist. Sie dient als Hilfsmittel, um mit Geisterwesen in Kontakt zu treten. Die Zeremonien sind jedoch mit hohen Risiken verbunden. Wird die Tafel zerstört, können sich Geister befreien oder das Ouijabrett fängt selbst an zu schreien, warnt eine Webseite.

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Pyramidenenergie Stuhlgrosse Pyramiden für Innenräume bündeln kosmische Energie und schaffen Kraftfelder. So werden negative Schwingungen ferngehalten und das Raumklima weitaus stärker verbessert als durch herkömmliche Zimmerbrunnen. Wichtig: Der genaue Standort der Pyramide muss ausgependelt werden.

Quantenphysik Modernste Erkenntnisse der Quantenphysik, der Erforschung kleinster Teile, werden in der Schulmedizin nicht berücksichtigt. Spirituelle Heilmethoden verbinden hingegen das aktuelle Wissen der Quantenphysik – insbesondere von feinstofflichen Prozessen – mit den kulturellen Erfahrungen sämtlicher Völker der vergangenen Jahrtausende.

Reichtum Einfach zu erlangen mit folgendem Ritual: Drei Münzen und Minzblättchen in ein Säckchen stecken. Mit dem Säckchen in der Hand folgenden Reim sprechen: ‹Herr der Minze, ich ruf zu Dir, ein paar Münzen schicke mir. Ich zahl dafür, das glaube mir, mit meiner Arbeit dank ich Dir.›

Seelenreise Möglichkeit, den physischen Körper zu verlassen und in eine andere zeitliche und räumliche Dimension zu gelangen. Ideal als Urlaubsersatz bei wenig Freizeit oder knapper Kasse, erklärt die Fachliteratur.

TV-Astrologie Lebensberatung mit hundertprozentiger Treffsicherheit. Allerdings dürfen nur drei Fragen gestellt werden: Kommt mein Mann zurück? Wann treffe ich meinen Traummann? Und: Krieg ich bald einen Job?

Urlicht Einsicht in eine neue Bewusstseinsebene, die durch Meditation erreicht werden kann. In Urlicht-Seminaren wird dem Teilnehmer ein ‹Zugang bewusst›, durch den er sich ‹selbst in die göttliche Ordnung der Heiligen Geometrie einschwingt und dann festigt›, verspricht ein Veranstalter. Es scheint, als liesse sich die genaue Funktion schwer in Worte fassen.

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Verschwörungstheorien Suchende finden in esoterischen Kreisen nicht nur spirituelle Hilfe. Ihnen werden auch in weltlichen Dingen die Augen geöffnet. So kennen Esoteriker die Wahrheit über: die Anschläge des 11. Septembers 2001, sämtliche Geheimbünde, Manipulationen durch die Medien, Ausserirdische, Gedankenkontrolle mittels Chemiestreifen am Himmel. Auf letzteres wird an anderer Stelle in diesem Heft näher eingegangen.

Weltuntergang Das Internet hat ‹Das-Endeist-nah›-Schilder auf den Strassen überflüssig gemacht. Dass Vögel in den USA vom Himmel fallen, kann nur eines bedeuten: Weltuntergang. Das Bienensterben in Europa deutet darauf hin: Weltuntergang. Und endet nicht der MayaKalender am 21. Dezember 2012? Also: Weltuntergang.

Ymir Um spirituelle Energie anzuzapfen, die irgendwo im Universum herumwabert, wildert die Esoterikszene in sämtlichen Religionen, Sagen und Mythen. Ein wahrer Kraftquell aus der germanischen Schöpfungsgeschichte ist Ymir, ein zweigeschlechtlicher Urzeitriese mit sechs Köpfen.

Zigeunerkarten Die Alternative zu Tarotkarten mit ähnlich hoher Trefferquote beim Wahrsagen. Während mit Skatkarten eher finanzielle Belange vorhergesagt werden, dienen Zigeuner- und Tarotkarten für den Blick in die Zukunft in Sachen Gefühlswelt. Vorteil der Zigeunerkarten: Für Laien leicht zu erlernen. Wer bislang mit mühevollem Kugelschreiberzusammenbauen von zu Hause aus seine Nebeneinkünfte erwirtschaftet hat, kann beruflich zum Kartenleger umsatteln. Einsteigerset ab 9,99 Franken.

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Xenoglossie Sprechen einer Sprache, die man nicht gelernt hat. Wichtiges Indiz, um seine bisherigen Wiedergeburten herauszufinden. Taugt leider nur bedingt als Alternative zum Fremdsprachenunterricht.


BA SE L I STU TTG A RT I TO KYO I WIEN I ZÜ RICH

BASEL E-HALLE www.blickfang.com

maxwettach.com | Julia Knüpfer – Foto: Frauke Fischer/Agentur seedsmanagement Berlin

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Ellen Rogers

She has seen it

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Photography: Ellen Rogers Assistant: Hayley Louisa Brown Stylist: Linda Portman Sagum Model: Kim Glaser @ Next Models Make-up: Mia Yang Hair: KIYO kinki kunst

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schauplatz die besten adressen für kunst

Sich nur darüber zu beschweren, was einem geboten oder nicht geboten wird, nützt nichts. Die einzig logische Konsequenz, um alten Mustern zu entfliehen, ist wohl selbst eine Galerie zu eröffnen. Text: Franziska von Stieglitz

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rüssel ruft. Vor allem jene, die es nach Kultur und Kunst dürstet und die den Drang verspüren, etwas in Bewegung zu setzen. Der EUHauptsitz ist ein Grund für die Attraktivität der belgischen Stadt; aber auch der Mont des Artes, Manneken Pis und Brüssler Waffeln locken. Auch Elaine Lévy spürte Brüssels internationalen Herzschlag und folgte dem Ruf. Und bewies damit, dass es egal ist, wie alt man ist oder ob man eine Sprache spricht oder nicht – wenn du Lust hast, etwas zu bewegen, dann tu es. Bereits mit 25 Jahren eröffnete die Französin das Elaine Lévy Project in Brüssel. Die Strassburgerin hatte die Jahre zuvor in Paris verbracht, bei renommierten Künstlern und Galerien gearbeitet und entschied sich 2005, nach Brüssel zu ziehen. Flämisch konnte sie nicht, die Jobaussichten waren somit mager. So gründete sie in einem Kraftakt von nur sechs Monaten das Elaine Lévy Project und ging mit

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einem Line-up von acht Künstlern für das erste Programm in die Vollen.

Internationalität nach Brüssler Art

Die Galerie in der Rue Fourmois zeigt zeitgenössische Künstler aus verschiedenen Bereichen, immer in der Balance zwischen verschiedenen Medien und zwischen Newcomern und etablierten Grössen der Szene. Die Werke, mehrfach Fotografien und Illustrationen, bestechen oft durch ihre Farbbrillanz und Ausdrucksstärke. Diverse Künstler aus New York, Frankreich, Italien, Schweden und Chile waren bereits im Elaine Lévy Project vertreten. Elaines Ziel war es von Anfang an, internationale Projekte hochzuziehen und Neulinge in der Branche zu pushen. Dafür reist Elaine viel herum, stets auf der Suche nach neuen Leuten und Dingen mit dem besonderen Etwas. Wenn es zwischen ihr und einem

einem Künstler ‹funkt›, fängt sie an, mit ihm Pläne zu schmieden. So kommen dann Projekte wie ‹Nine and a Half Weeks› mit Glorent Delval zustande. Während drei Monaten gaben sich in der Galerie Künstler aus dem Performance-, Visual Arts- und Tanzbereich die Klinke in die Hand. Und weil die Galerie alleine Elaine noch nicht genug war, stellte sie mit Frédéric Desimpel die Brussels Art Days auf die Beine, an denen alle Galerien von Brüssel mitwirken und die im Herbst 2011 das vierte Mal stattfinden. Dieses Jahr brilliert die Galerie mit Jonathan P. Lévy, Harun Farocki, Alain Declerq, und ab Mitte April kann man sich auf Megan Withmarsh freuen, die zweite ame-

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rikanische Künstlerin, die in der Galerie vorgestellt wird. Sie ist bekannt für ihre Nähskulpturen, detaillierten bestickten Illustrationen und neonfarbenen Wandbemalungen. Bis zum 21. Mai wird sie im Elaine Lévy Project zu sehen sein. Oben links: Megan Withmarsh Oben rechts: Alain Declerq Unten: Goldiechiari Show Mit freundlicher Genehmigung des Elaine Lévy Project. Donnerstag bis Sonntag, 14 – 19 Uhr oder nach Vereinbarung Elaine Lévy Project Rue Fourmois 9 (erster Stock) 1050 Brüssel, Belgien Weitere Info findest du unter elainelevyproject.com.


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ideologie Mateo Kries

total Design Die Inflation moderner Gestaltung

» Irgendwann

wurde die ›Schöner-Wohnen‹-Idylle unserer Eltern durch eine einfache Frage ins Wanken gebracht: ›Wohnst du noch oder lebst du schon? ‹. Wohnen, das war jetzt altmodisch und hatte zu kleine Räume. Leben hingegen war moderner. Es bestand aus offenen Wohnküchen mit Alessi-Kesseln, Retromöbeln, Badezimmern mit frei stehender Badewanne und Plastikschüsseln, die so bunt waren wie die Gehäuse der ersten iMac-Computer. Wohnen war die politisch korrekte Idylle der deutschen Kleinstadt, Leben hingegen verkörperte den Glamour und die Coolness einer Gesellschaft, in der man jetzt LoungeMusik hörte und Design eine immer größere Bedeutung erlangte.«

‹Tradition and Innovation› und ‹Cool Japan› werden anhand unterschiedlicher Entwürfe Designeigenschaften aufgezeigt, die als typisch japanisch gelten. Selbstverständlich werden die Arbeiten der grossen Meister Issey Miyake, Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo porträtiert, welche Ende des 20. Jahrhunderts das gängige internationale Schönheitsideal anfochten, Mode zur Kunst erhoben und damit den Weg für Designer wie Martin Margiela, und eine neue Ära des Postmodernismus in der Mode ebneten. Es folgen Designer wie Junya Watanabe und Jun Takahashi sowie ein Ausblick auf die aufstrebenden und radikalen Designer der neuesten Generation wie Tao Kurihara, Matohu und Akira Naka. Welchen Einfluss japanische Modedesigner in Sachen Schnitt, Volumen, Materialität, Asymmetrie und Reduktion auf die internationale Mode hatten, lässt sich nicht nur der formschönen Retrospektive entnehmen, sondern auch in der aktuellen Mode verfolgen.

dazu auf, der ‹Designgesellschaft› ein echtes Designbewusstsein zu vermitteln, über Design zu diskutieren und Design in grösseren, gesellschaftlichen Zusammenhängen zu hinterfragen und es endlich wieder auf Nützlichkeit und drängende Probleme statt auf Innovation und Lifestyle auszurichten. Erschienen im Nicolai Verlag, ca. CHF 26.–

prinzip Coverabbildung: BANQUETE CHAIR, FERNANDO UND HUMBERTO CAMPANA, 2002, Studio Campana, © Fernando Laszlo

Mateo Kries: Total Design Das Buch ‹Total Design – Die Inflation moderner Gestaltung› ist ausnahmsweise kein illustriertes Kunstbuch über die Geschichte des Designs, sondern ein Essay des Kunsthistorikers und Chefkurators des Vitra Design Museums Mateo Kries. Kries wählt eine narrative und analytische Auseinandersetzung mit dem Thema, und fasst den Begriff viel weiter als in seinem Metier oder in einer Designausstellung üblich. Kries sucht nach dem Wirkungsbereich und der Wahrnehmung von Design in der gesellschaftlichen Realität. Mit Witz schildert er die Vergangenheit des elitäreren Designbegriffs, den Aufstieg im 20. Jahrhundert bis hin zum ‹totalitären System Design›. Kries zeigt auf, dass nicht nur Produkte, Möbel oder Mode dem Designprozess anheim fallen, sondern dass der komplette Lifestyle, Kommunikationsformen, die Wirtschaft und das soziale Verhalten davon infiltriert werden. Kaum ein Gegenstand oder Konzept wird heute nicht durch den Vorzug des Designs angepriesen – alles ist Design oder designt. Design ist zur Leitideologie der Gesellschaft geworden – ganz ohne eine Diskussion oder Reflexion über Design mit sich zu ziehen. Deshalb ruft Kries kinki kopfkino

Future Beauty – 30 Years of Japanese Fashion Einige Monate hat es gedauert, bis dieses Buch über postale Umwege ins kinki Büro gelangte. Doch meine Ungeduld wurde durch eines der schönsten Printerzeugnisse belohnt, das ich in jüngster Zeit zum Thema Mode in meinen Händen hielt. Das Buch wurde im Rahmen der ersten umfassenden und gleichnamigen Ausstellung über japanische Avantgarde-Mode in Europa – in der Barbican Art Gallery in London – produziert. Akiko Fukai, der Modehistoriker und Direktor des Kyoto Costume Institute, kuratierte die Ausstellung und das Buch. Darin lassen spannende und fundierte Texte von internationalen Modeexperten sowie zahlreiche, bezaubernde Fotografien 30 Jahre japanischen Modedesigns Revue passieren und erlauben einen Blick in die Geschichte und die Zukunft des (japanischen) Modedesigns. In den vier Kapiteln ‹In Praise Of The Shadows›, ‹Flatness›,

Erschienen bei Merrell Publishers, ca. CHF 55.–

überzeugung IntroductIon by andrew Losowsky, whose texts explore the essentials of the editorial process: |1|

edITorIaL, concePT, Idea

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oBjecT

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sTrucTure

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navIgaTIon

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TyPograPhy

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LayouT , grId

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cover

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vIsuaL Language

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The nexT chaPTer

newwork MagazIne seLF servIce voLT —› and many more

How books have become the hotbed for new editorial concepts and design: gavILLeT & rusT, corInne zeLLweger’s Voids/Vides node BerLIn osLo’s Auto-Kino! Francesco FranchI

jungundwenIg’s Ars ViVA 09/10

javIer errea

davId Pearson For PenguIn

kIrcherBurkhardT

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TurnIng Pages Editorial dEsign for Print MEdia

— interviews and statements from leading and upcoming editorial design talent:

MagazInes, Books, newsPaPers

Buch ToTal Design

der Autor schaft und Rolle seiner dsofas und zigerjahren t ganz der

Wenn starre Formen sich plötzlich in bewegte Bilder verwandeln, nennt sich das Bewusstseinserweiterung und hat wahrscheinlich mit rezeptpflichtigen Substanzen zu tun. Nicht? Dann war es wahrscheinlich unsere Buch- und Filmredaktion.

Mateo Kries

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kopfkino vom umschlag bis zum abspann

LudovIc BaLLand MIke MeIré oMar sosa onLaB

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How magazInes are pushing the envelope of what is state-of-the-art in today’s print products: 032c aParTaMenTo Back cover

reinventing news on paper for our digital age:

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Turning Pages – Editorial Design For Print Media Obwohl das Printmedium nach 500 Jahren durch die Digitalisierung und die Invasion von Computer, Internet und iPhones das Monopol für les- und verteilbare Informatio110

nen verloren hat, halten sich die Printmedien (noch) erstaunlich gut in unserer digitalisierten Welt. Der Zeitschriftenexperte Andrew Losowsky geht sogar einen Schritt weiter und spricht in seiner Einleitung zu ‹Turning Pages› vom ‹goldenen Zeitalter der Printmedien›. In einem kurzen geschichtlichen Abriss zeigt Losowsky auf, dass erst die Technologisierung und die zahlreichen Veränderungen, welche dem Printmedium in den vergangenen Jahrzehnten widerfahren sind, sowie das Wetteifern um Anerkennung und Fortbestand es zu seiner aktuellen, herausragenden Form geführt haben. Das Internet hat die gedruckten Medien herausgefordert, ihre Gestaltung und Natur beeinflusst, aber auch neue Möglichkeiten eröffnet. Heute besinnt man sich auf den ursprünglichselbstverständlichen Wert der Materialität und versucht Gestaltung, Druck und Haptik dergestalt zu verfeinern, dass sich das Produkt förmlich von digitalen Darstellungen abhebt. Diesen Entwicklungen in der Print-Landschaft spürt Turning Pages nach und dokumentiert den Wandel anhand zahlreicher internationaler Magazine mit ästhetischem Anspruch, wie etwa Apartamento, Domus, Graphic, Wallpaper, Monocle und Volt. Interviews, Arbeitsweisen und Konzepte von etablierten Gestaltungstalenten ergänzen die unzähligen Publikationen. Das Buch aus dem Hause Gestalten gibt einen umfassenden Einblick in die aktuelle Situation des Editorial Designs und ist so was wie eine Bibel für Gestalter, Medienmacher und PrintLiebhaber. Da freut es uns natürlich besonders, dass auch das kinki magazin auf den Seiten 70 und 130 vertreten ist. Erschienen im Gestalten Verlag, ca. CHF 65.–


versuchung

zum Kannibalismus konvertiert, Flora und Fauna sind ausgelöscht, Hoffnung ist nicht mehr als eine Wahnvorstellung. Das ökologische und soziale Horrorszenario bildet aber nur die Kulisse für die höchst philosophische Suche der Hauptfigur nach einem letzten Grund, am Leben zu bleiben. Wo dieser zu finden sein könnte, wenn die Welt um uns herum verschwunden ist, das ist die eigentliche Frage des Films. Handlung und Themen des Romans sind im Film erstaunlich intakt. Die zentralen Rollen sind mit Viggo Mortensen und Kodi SmitMcPhee kompetent besetzt. Trotzdem eher ein Buch- als ein Filmtipp. Wer den Roman lesen und schätzen konnte, wird allerdings dann auch um die Hollywood-Version kaum noch herumkommen.

DVD

verwünscht

Alejandro Jodorowsky: Wo ein Vogel am schönsten singt Jodorowsky ist zum einen den Cineasten ein Begriff dank seiner surrealen, bildgewaltigen und teils blutigen Kultfilme ‹El Topo›, ‹The Holy Mountain› und ‹Santa Sangre›, zum anderen ist er bekannt als Comic-Schreiberling und Urheber von ‹John Difool› oder ‹Die MetaBarone›. Wenig bekannt ist jedoch sein Roman ‹Donde mejor canta un pájaro› (Wo ein Vogel am schönsten singt). Darin erzählt der Chilene mit viel Fantasie seine Familiensaga. Jodorowsky erschafft seine eigene Realität, indem er, wie er selber sagt, ‹die Wirklichkeit umgestaltet und bis zum Mythos verklärt›. Die Geschichte beginnt bei den Grosseltern in Osteuropa und endet mit der Geburt des Autors am 24. Oktober 1929 in Chile, dem Tag, der den meisten als Anfang der Weltwirtschaftskrise bekannt ist. Jodorowsky ertränkt uns mit diesem Buch in blutig-schönen Tümpeln voller Metaphern. Dabei wähnt sich der Leser zeitweise in einer verträumten Märchenlandschaft, jedoch scheint hinter jedem Baum ein Irrer darauf zu warten, das Ganze in einem schrecklichen Albtraum enden zu lassen. Durch das Buch zieht sich das bekannte Jodorowsky’sche Repertoire: Tarot, Mystik, Esoterik, Religion, Gewalt, Sex, Zirkus, Tanz, Musik, körperliche und psychische Erkrankungen sowie Behinderungen. Wer Alejandro Jodorowksys Filme liebt, muss dieses Buch lesen. Erschienen im Insel Verlag, CHF 37.90

Unsere Rezensenten William S. Blake und Florence Ritter legten diesen Monat kein gemeinsames Glaubensbekenntnis ab. Florences Vorliebe für Ästhetik, Design und Mode zerbarst kläglich an Williams Hingabe an die fantastische, grausame und blutige Welt Jodorowskys.

Werner Herzog: Bad Lieutenant Altmeister Werner Herzog dreht ein Remake des gleichnamigen Klassikers von Abel Ferarra (King of New York) und schafft dabei Erstaunliches: Ein Remake, das tatsächlich etwas Neues zu sagen hat und zugleich Nicolas Cage eine Rolle bietet, in der er nicht weit unter seinen schauspielerischen Möglichkeiten bleibt. Als drogenabhängiger Cop ohne Gewissen kommt er bei einer laufenden Mordermittlung auf einen ziemlich schlechten Trip. Dabei stösst er auf reichlich Leichen und ein paar vom Crackrausch induzierte Leguane. Der Regisseur des Originals soll allen Remake-Beteiligten gewünscht haben, für ihr Werk ‹in der Hölle zu brennen›. Ob das wirklich nötig ist, sollte man selbst herausfinden. Das Remake ist schon deshalb ein Tipp, weil es so bizarr und polarisierend ist. Wobei dies auch schon für die erste Version von 1992 gilt.

Bereits als DVD erhältlich.

verlassen

Semih Kaplanoğlu: Bal – Honig Der 6-jährige Yusuf lebt irgendwo in der türkischen Provinz, wo sein Vater das bescheidene Einkommen der Familie mit dem Sammeln von Honig aufbessert. Während Yusuf unter grösseren Anstrengungen versucht, endlich lesen zu lernen, kommt sein Vater eines Tages aus dem Wald – wo er halsbrecherisch zum Honigsammeln die Bäume hinaufklettert – nicht mehr zurück. Ein stiller und gerade darum kraftvoller Film, der noch das einfache Leben und seine existentiellen Nöte und Faszinationen zeigt. Die Wälder und Berge Anatoliens wirken genauso beruhigend wie die oft wortlose Eintracht zwischen dem kleinen Hauptdarsteller und seiner Familie. Fast so etwas wie die Wiederentdeckung einer verlorenen Welt ist der Abschluss der ‹Yusuf-Trilogie› von Semih Kaplanoğlu geworden. Ohne Musik und ohne künstliches Licht gedreht. Man kann das langweilig finden oder aber feststellen, dass so praktisch jede Einstellung hier ihren eigenen eigentümlichen Reiz entfaltet.

Erscheint am 24. März auf DVD.

verloren

John Hillcoat: The Road Eines gleich vorweg: Wer die Romanvorlage von Cormac McCarthy noch nicht kennt, sollte das schnellstens ändern. Menschen mit einer gewissermassen masochistischen Hingabe an die eigene schlechte Laune und den angelesenen Weltschmerz kommen hier voll auf ihre Kosten. Ein namenloser Mann ist mit seinem ebenso namenlosen Jungen auf der Reise durch die in Schutt und Asche gelegten USA am Vorabend des Untergangs der Menschheit. Die wenigen Überlebenden, die sie dabei noch antreffen, sind inzwischen mehrheitlich

Erscheint am 25. März auf DVD.

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Kino

verdorben

Alejandro González Iñárritu: Biutiful Ob ‹Amores perros›, ‹21 Gramm› oder ‹Babel›: Die Werke des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu sind fast schon aus Gewohnheit nachdrücklich zu empfehlen. Episch, vielschichtig und schonungslos sind sie alle. Die Offenheit, mit der hier menschliche Abgründe durchleuchtet werden, geht unter die Haut. Da passt es, dass im neusten Streifen schon der Titel absichtlich falsch geschrieben ist, denn Schönheit ist hier ein ziemlich relativer Begriff. Im Bezug auf die Bildsprache ist der Titel zutreffend, im Bezug auf die Charaktere und Situationen ist er eher blanke Ironie. Protagonist Uxbal (Javier Bardem) ist ein zwielichtiger Typ auf einer rauschhaften Reise durch die spanische Halbwelt. Ein kleinkrimineller und krebskranker Kotzbrocken, der zielsicher seinem Untergang und dabei vielleicht auch seiner Vergebung entgegensteuert. Ein Happy End darf man nicht erwarten, auch wenn Iñárritu meint, seinen bislang optimistischsten Film gedreht zu haben. Der Handlung ist nicht immer leicht zu folgen, das Drama zeichnen vor allem seine Nuancen und Details aus. Javier Bardem (‹No Country for Old Men›, ‹Das Meer in mir›) spielt, als gäbe es wirklich kein Morgen mehr, und man bekommt Lust, dringend mal wieder nach Barcelona zu fahren. Ab 17. März im Kino.

Unser Filmkritiker Kai Eisele verspricht, in einer der kommenden Ausgaben endlich mal wieder eine Komödie zu rezensieren. Zumindest das, was er aufgrund fortgeschrittenen Qualitätskomödienentzugs dafür hält. Big Mamma’s Haus? Nein, dann doch lieber nicht.


maske art must be beautiful

Jeden Monat setzen an dieser Stelle Schweizer Künstler drei Beauty-Produkte in Szene. Luca Schenardi stiess seine drei Lidschatten dazu nicht von, sondern in die Klippen. Max Factor: Masterpiece Colour Precision Eyeshadow (Coffee)

Yves Saint Laurent: Ellis Faas: Fard Lumière aqua- Light Eyes (E 304) Eyes› trocknet direkt beim Auftragen résistant (Rose des ‹Light und sorgt mit seinem Holographie-Effekt für einen einzigartigen Glanz. Erhältlich sind Sables) die Produkte in der Schweiz unter anderem in

Max Factor Colour Precision lässt sich dank des ausgeklügelten Applikators ganz einfach auftragen und ist nebst ‹Coffee› in sechs weiteren Farben erhältlich. CHF 19.90

Dieser cremige Lidschatten trotzt den Elementen! Wasser, Hitze oder gar die eine oder andere Träne können dem glänzenden Teint nichts anhaben. CHF 47.−

der Parfümerie Theodora in Genf. CHF 52.−

Luca Schenardi Am liebsten geniesst der Urner Künstler und Illustrator Luca Schenardi seine Zeit ja eigentlich in der Natur. In den letzten eineinhalb Jahren verbrachte Luca seine Tage allerdings vor allem in seinem Atelier, wo er an seinem zweiten Buch mit dem Titel ‹An Vogelhäusern mangelt es jedoch nicht› arbeitet, das im Frühjahr 2012 bei der Edition Patrick Frey erscheinen wird. Wer schon vorher einen Blick auf Lucas neueste Werke werfen möchte, der findet in nächster Zeit sowohl im In- als auch im Ausland Gelegenheit dazu: an seinen Einzelausstellungen ‹Symptom of the universe› im Ram Hotel in Bologna und ab dem 25. März unter dem Titel ‹Nid schön› in der Galerie Daeppen in Basel. Text: Rainer Brenner, Realisation: Nicola Fischer

kinki maske

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henry und paul

Von Blut, Tränen, Elend und Vergeltung. Text: Roman Neumann, Foto: Philippe Sir? Sprich, Henry. Sie haben mich gerufen, Sir. Stimmt. Henry, stell dir vor, du siehst den rotzigen Nachbarsjungen von nebenan, wie er eine Katze am Schwanz zieht und dabei hämisch lacht. Nun stell dir vor, der rotzige Bengel rutscht auf einer Bananenschale aus. Das ist zwar ganz und gar unmöglich, wurde uns aber durch Tausende Comics eingebläut: Die Bananenschale schürft tiefer als jeder Psychiater. Hab ich, Sir. Würdest du über den Bengel lachen, Henry? Ich denke schon, Sir. Geschieht ihm recht. Dachte ich’s mir doch. Aber: Wenn nun die gemein auf der Lauer liegende Bananenschale eine betagte Dame erwischt; würdest du da nicht erschrocken zu ihr hinübereilen und ihr auf die Beine helfen? Ich denke schon, Sir. Siehst du. Heuchler. Sir, es ist doch nicht geheuchelt, wenn ich einem Mitmenschen helfe? Doch, eben hast du noch gelacht, als der kleine Bengel auf die Schnauze fiel! Ihm solltest du helfen, nicht der alten Schachtel, die ihr Leben hinter sich hat. Schliesslich könnte die Rotznase noch Nobelpreisträger werden. Oder Erfinder von nützlichen Dingen – lustigen TV-Formaten zum Beispiel. Sie meinen wie ‹Die versteckte Kamera›? Jaja, Henry, mach dich nur lustig. Bei der Versteckten Kamera ist’s dem Zuschauer doch einerlei, auf welche ach so augenzwinkernde Art das Opfer reingelegt wird! Er vertreibt sich die Zeit vor dem Fernseher lieber mit anderen Dingen. Zehennägel schneiden, PizzaRezepte nachschlagen, oder er schält einen Apfel mit den eben abgeknipsten Zehennägeln. Aber dann, wenn der TV-Star kommt, und sich dem armen Opfer zu erkennen gibt und ihm dann die Positionen der kinki henry und paul

versteckten Kameras verrät – ja, auf diesen Moment freut sich der Zuschauer. Er legt den Apfel beiseite, ergötzt sich am erleichterten Lachen des Opfers, suhlt sich im väterlichen Schmunzeln des Stars, der ebenso väterlich den Arm um den Gelackmeierten legt.

tiger. Du weisst ja, Schadenfreude mag das Volk. Und wenn man den TV-Star danach über eine Strasse voller Bananenschalen jagt, dann wär das Gelächter vor den Apparaten gross und die Zehennägelschneider würden sich vor lauter Kichern in die Häutchen schneiden und gleichzeitig weinen, bluten und lachen. Gab’s bisher auch eher selten im TV zu sehen, aber ich würd’s mir anschauen.

Meinen Sie, Sir? Natürlich, Henry. Alle Zuschauer stellen sich vor, wie sie wohl in einer derartigen Situation reagieren würden. ‹Ich hätt’s doch gemerkt!› brüsten sich einige, und andere denken ‹Ich nicht›, und schreien: ‹Ich auch!› Aber kein einziger denkt daran, dem TV-Star zum Dank eine reinzuhauen. Sir! Gewalt ist keine Lösung. Richtig, Henry. Vielleicht keine Lösung, aber durchaus erlösend. Das Format wäre so noch viel lus114


LOS ANGELES TIMES

ThE NEW YORK TIMES

Ein Triumph für ThE fighTEr dank EinEs grandiosEn CasTs.

Christian Bales PerformanCe ist BeeindruCkend.

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OSCAR WINNER BEST SUPPORTING ACTOR - CHRISTIAN BALE BEST SUPPORTING ACTRESS - MELISSA LEO

B A S E D

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Ein giganTisChEs mEisTErwErk.

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M A R K WA H L B E R G CHRISTIAN BALE AMY ADA M S

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S T O R Y

THE

FIGHTER

PARAMOUNT PICTURES AND RELATIVITCASTING Y MEDIA PRESENT IN ASSOCIATION WIMUSICTH THE WEINSTEIN COMPANY A RELATIVMUSICITY MEDIA MANDEVILCOSTUME LE FILMS CLOSEST TO THE HOLE PRODUCTION A DAVIPRODUCTION D O. RUSSELL FILM MARKDIRECTOR WAHLBERG CHRISTIAN BALE AMY ADAMS 3LEO CASTINGBYBY1SHEILA JAFFE, . CSA SUPERVISORS Ä RMUSIC Z COSTUME I M K PRODUCTION JUDYIBECKER N DIRECTOR OFOF O MUSIC M “ T HE FI G HTER” MELI S SA PHOTOGRAPHY DESIGNER PHOTOGRAPHY HOYTE VAN HOYTEMA FSF, NSC SUPERVISORS HAPPY WALTERS SEASON KENT BYBY MICHAEL BROOK DESIGNER DESIGNER MARK BRIDGES EDITOR EDITOR PAMELA MARTIN DESIGNER PRODUCED COEXECUTIVE PRODUCEDBY DAVID HOBERMAN TODD LIEBERMAN RYAN KAVANAUGH MARK WAHLBERG DOROTHY AUFIERO PAUL TAMASY COEXECUTIVE PRODUCERS BY PRODUCERS JEFF WAXMAN KENNETH HALSBAND PRODUCERS PRODUCERS TUCKER TOOLEY DARREN ARONOFSKY LESLIE VARRELMAN KEITH DORRINGTON ERIC JOHNSON STORY SCREENPLAY DIRECTED STORY SCREENPLAY SOUNDTRACK AVAI L ABLE ON RELATI V I T Y MUSI C GROUP SOUNDTRACK AVAILABLE ON RELATIVITY MUSIC GROUP BYBY KEITH DORRINGTON & PAUL TAMASY & ERIC JOHNSON BYBY SCOTT SILVER AND PAUL TAMASY & ERIC JOHNSON DIRECTEDBYBY DAVID O. RUSSELL TheFighterMovie.com TheFighterMovie.com

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